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Fünfter Brief.

Daß die Absicht des Recensenten den symbolischen Büchern geradehin ungünstig seye, werden Sie bald noch umständlicher sehen. Wenn er es als seinen Gedanken äusserte, stünde es ihm frey, wie vielen andern; zumal, da ich nicht einmal weis, ob er eine Verpflichtung dagegen auf sich hat. Er gehet aber weiter, und will nicht zugeben, daß eine eigene Privaterkenntnis des Lehrers für ihn selbst, dabey, neben dem Inhalte der symbolischen Bücher, statt finden könne; daher sucht er in meinen Schriften manches auf, um den Schlus zu machen, daß solche Bücher nun abgeschaft werden sollten. Auch wider diesen Saz, als Aufgabe, hätte ich nichts; ich habe es selbst gesagt, daß unsere Obrigkeiten ihren Vorfahren in dem jure Sacrorum externorum succediren, und daher Kirchliche Verordnungen fortsetzen, einschränken, ändern, erweitern können; so gut als die Fürsten und Staaten im 16ten Jahrhundert; folglich würden aber auch würdige, Theologen und Lehrer, auf denen das Zutrauen des Volks hierinn beruhet, zu dieser neuen Untersuchung oder Berathschlagung mit gezogen werden; wie bey der augspurgischen Confession, Apologie, schmalkaldischen |d155| Artikeln und Formula concordiae. Wir sehen es an mehrern Beispielen, z. E. articuli visitationis Saxonicae: consensus helueticus und ihrer Geschichte oder ihrem abwechselnden Erfolge. Aber aus diesem jure Sacrorum, wie es besonders durch nachherige Verträge feierlich für die öffentliche Religionsgesellschaft festgesezt worden: können Privati kein Recht herleiten, diese ruhigen Gesellschaften täglich zu stören und zu zerrütten; unter den Vorspiegelungen, einer viel bessern Religionsform und eines Lehrsystems zu grösserer Glückseligkeit der Menschen: als wenn wir an christlicher Wohlfahrt einen grossen Mangel hätten. Ich denke, daß ich deutlich genug hievon rede.
Aber nun die Beschuldigung wider mich. Wer kann sich auch, wenn er immer lieset, daß ein jeder für sich selbst denken und glauben kann, was er für wahr erkennet; und daß dennoch das Ansehen der symbolischen Bücher so ganz ungekränkt erhalten werden müsse, daß es keinem Lehrer einmal erlaubt seye, nur Vorschläge zur weitern Berichtigung des öffentlichen Lehrbegrifs zu thun, (denn sonst würde er Herrn D. Bahrdt nicht so hart deswegen angesehen haben) enthalten, zu fragen –[“]
Lesen Sie meine ehrliche Antwort auf diese vorsezliche Verwirrung und Verdrehung der Sache. 1) Ich habe es schon abgelehnet, daß Herr D[.] Bahrdt nur Vorschläge zur Berichtigung des Lehrbegrifs gethan habe; denn dis hiesse der Lehrbegrif von Erbsünde, Bekehrung, Genug|d156|thuung, wobey gar ein Menschenopfer bisher zum Grunde liege, Rechtfertigung – solle nur weiter berichtiget werden. Können Sie, mein Freund, es gleichgültig ansehen, daß die berlinische Bibliothek hier so gar die historische platte Wahrheit, die Lage des Bekenntnisses, so öffentlich verdrehen will? Ist es eine geringe Sache, mich auf diese Weise vor den Augen des ganzen Teutschlands unterdrücken zu wollen? Es ist durchaus ungerecht gehandelt, Herrn D[.] Bahrdt auf diese gewaltthätige Weise noch gar ein Verdienst daraus zu machen, daß er alle drey Kirchen, so voll Einbildung auf sein Ich, wie jener Ungenannte oben ehrlich sagte, beschuldigte, ihre Lehrsätze von Erbsünde – – seyen wider Schrift und Vernunft. Kann man diese alsdenn durch Vorschläge berichtigen? Kein denkender Leser wird sich hier hintergehen lassen. 2) Will ich diese Verwirrung auseinander legen, die der Recensent zu Hülfe rufte. Es wird von allen Lehrern gerade dieser Zweck ihres Lehrens, das sie nach den symbolischen Büchern, materialiter fortsetzen, gesucht und erreicht: daß jeder Zuhörer nun selbst für sich denken und glauben soll; denn der Lehrer kann nicht für die einzelnen Zuhörer denken und glauben. Aus der Lehre sammlet sich der Zuhörer Erkenntnis, und sie soll und mus seine individuelle Erkenntnis, Ueberzeugung, Entschliessung – werden. Eben daher nun, weil es unzählige Modificationen der eigenen Vorstellungen giebt und geben soll, wird ein Hauptinhalt der Lehrwahrhei|d157|ten, loci communes, allen Lehrern von einer Kirchensocietät überreichet; diese Lehrsätze, materias, articulos, sollen sie treiben und erklären; und nun freuet sich der Lehrer und die protestantische Kirche, wenn ihre Zuhörer und Mitglieder über diese Wahrheiten nachdenken; freilich denkt sie jeder in seiner besondern moralischen Localität; diese varietas gehört aber zum moralischen Ganzen der Gesellschaft. Giebts einen menschlichen Körper ohne Füsse, Hände, Magen – ? das öffentliche Ansehen lutherischer symbolischer Bücher beruhet geradehin auf dem Willen und Befehl der lutherischen Obrigkeit; diese will die Absicht erreichen, daß die Glieder ihrer Religionsgesellschaft in eben den Lehrsätzen den öffentlichen Unterricht bekommen sollen, welche diese lutherische Kirchengesellschaft ferner erhalten und fortsetzen. Diese Absicht wird auch durch unsere Lehrer, welche nach den lutherischen symbolischen Büchern ihren Unterricht einrichten, wirklich erreichet, und zeigt sich in den öffentlichen Kirchen, wo man zur Religionsübung, bey Taufe, Abendmahl, gemeinschaftlichen Gebeten, Anhörung der Predigt, zusammen kommt; denn öffentliche Anstalten haben einen öffentlichen gemeinschaftlichen Endzweck. Nun kommt jezt die privat Religion; die ist frey; sie wird nicht weiter durch das Obrigkeitliche Ansehen und durch symbolische Bücher bestimmt; wenn ein Christ selbst seines Gewissens wegen, Anwendungen davon auf seine eigene privat Religion macht. Die privat Religion ist also nicht an die symbolischen |d158| Bücher gebunden. Der Christ kann privatim allerley ihm erbauliche Schriften lesen, welche aber nicht in den Vortrag der Lehren einfliessen können, wenn sie zugleich den Lehrsätzen dieser öffentlichen Gesellschaft entgegen sind. In der römischen Kirche ist diese Privatfreiheit so bekannt und ausgemacht, daß jeder Gelehrte seine Privatmeynungen so gar drucken lassen kann; wenn er nur sich bescheidet, die öffentliche Autorität der Kirche nicht anzugreifen, und also unnütze Störungen und Unruhen zu machen. Scholastice disputo, ist die ganze Antwort auf noch so ernstliche römische censuras. Ist etwa bey Protestanten weniger Recht? Nun wird doch wohl ein jeder Leser mich verstehen, wenn ich lehre, die Privat Erkenntnis und Vorstellung des Lutheraners ist nicht an die symbolischen Bücher gebunden; es ist ganz unleugbar wahr. Wir lebten ja sonst in einer greulichern Sclaverey, als sie im Pabstthum jemalen gewesen ist; wo doch Gerson schreiben durfte, es kann der Fall seyn, daß eine gemeine Frau die rechte christliche Glaubenslehre behält; und viele Gelehrte und vornehme Leute sie verlohren haben. Es ist auch ausgemacht, daß ein Christ seine Privaterkenntnis nicht für andere Christen öffentlich aufstellen, und verlangen darf, man solle ihn zum Richter über die öffentliche Lehre machen: die öffentliche Lehre soll nicht für einen Privatus allein eingerichtet werden.
Aber nun weiter 3) Vorschläge – sind einem jeden treuen Lehrer, Professor – gerade |d159| in seine Pflicht mit eingerechnet; eben darum sucht man geschikte Personen, und examinirt Candidaten, um zu sehen, ob sie die Lehrsätze völlig, für unsere Zeit, gefasset haben, und im Stande sind, statt der wenigen Zeilen, die in augspurgischer Confession etc. etc. damalen zu einem besondern Zweck, enthalten sind, sie zu erklären, und darüber also ihre Lehrgeschiklichkeit an den Tag zu legen. Wo kämen denn die vielen tausend Schriften und Predigten unserer Lehrer her? Sind das etwa Abschriften der symbolischen Bücher? Ich habe also keine neue Entdekung gemacht, wenn ich es oft wiederhole, die Lehrgeschiklichkeit ist eine immerfortgehende Fertigkeit; sie ist immer grösser, oder schlechter. Jede Societät verlangt, ihre Lehrer sollen jezt, in jetziger Localität lehren: sonst liessen wir blos Luthers Kirchenpostille ablesen. Nun halten Sie doch des Recensenten unredliche Anzeige gegen meine Aufklärung: Herr Bahrdt habe nur wollen Vorschläge thun, zu Berichtigung des Lehrsystems: und ich hätte eine solche Ungerechtigkeit begangen, dieses an Herrn D. Bahrdt nicht zu leiden. Daß in der berlinischen Bibliothek einem alten ehrlichen Professor auf der königlichen Universität zu Halle, so gar ungerecht begegnet werden konnte, oder sollte: ist freilich manchem ein Geheimnis. Herr Bahrdt ist auf einmal unsern Kirchen viel mehr werth worden, als ich. Wozu? Nun muß doch auch folgen, was man sich nicht enthalten kann, zu fragen: |d160| wozu soll die unverbrüchliche Beybehaltung eines Religionssystems dienen, daß weder der Lehrer, noch irgend einer der Zuhörer verbunden oder interessiret ist für wahr zu halten? – – wenn ein Semler für den ewigen Werth der symbolischen Bücher eifert, so kann ihm nicht das Interesse der Wahrheit, nicht die Sorge für die Glükseeligkeit seiner Nebenmenschen, sondern blos politische Betrachtungen diesen Eifer eingegeben haben. Dis ist noch glimpflich geurtheilet; sonst möchte man eine nähere Ursache finden.[“]
Sie werden gewis recht gern mit mir dem Recensenten hier zusehen. Ich antworte 1) es mus doch ein jedes Mitglied einer Societät wissen, daß die Grundsätze und die Absichten, worauf die Verbindung der Societät beruhet, kein Eigenthum eines jeden privat Mitgliedes seyen; folglich auch nicht des Lehrers, der gerade zur Mittelspersohn, diese Absichten immer zu erreichen und fortzusetzen, feyerlich bestellt worden ist. Wie konnte der Recensent sich hier in eine solche Verwirrung einhüllen? Es ist folglich immer falsch, daß der Lehrer nicht für die Grundsätze der lutherischen Kirchengesellschaft interessirt seyn könne. Der Fall ist ganz unmöglich. Es ist auch falsch, daß die Zuhörer diese Grundsätze der lutherischen Kirche, als ihrer Gesellschaft, jemalen aufgeben wollen; sie haben daher die heiligsten Verspre|d161|chungen ihrer Landesherren sich geben lassen, daß ihre bisherige Gesellschaft nicht soll auf einige Weise gewaltsam oder listig zerrissen werden. 2) Die armselige Betrachtung, Sorge für die Glückseligkeit der Nebenmenschen – gehört ganz und gar nicht her; man mus zuerst gerade die Pflichten vertauschen und aufheben, die man als ein Lehrer der lutherischen Gesellschaft wirklich schon hat. Diese Vereinigung unserer kirchlichen Gesellschaft ist gerade um der täglichen Rotten, Secten und Trennungen willen, von uns eingewilliget; wir wollen keinem Menschen dis Recht einräumen, unsre Religionssocietät unter der beliebigen Gaukeley zu zerrütten, daß wir eine grössere Glückseligkeit für unsere Nebenmenschen alsdenn schaffen könnten. Die Liebe und Sorge für die Erhaltung fängt ganz gewis von sich selbst an; unsere Societät soll nicht zerrüttet werden, unter gar keinem Vorwande; am allerwenigsten von Herren Basedow und Bahrdt . Ist die Rede aber blos von ohnmasgeblichen Gedanken eines Privati für andere Privatos, da hat niemand etwas dawider; denn da bleibet alles Privatsache. 3) Die Beschuldigung, ich hätte hier politische Absichten gehabt – kann ich dem Urtheil des Publikum’s ganz und gar anheim geben; man siehet aber schon vielmehr, als der Recensent sagen wollte. Ich habe als Professor für die Bildung geschickter, würdiger, moralischaufmerksamer Lehrer zu sorgen; ich habe noch nie etwas vorgenommen, die |d162| lutherische Religionsgesellschaft, ihren Grundsätzen, Absichten und Rechten nach, öffentlich zu zerrütten; denn da griffe ich in res publicas ein, darauf bin ich in meiner Bestallung nicht gewiesen: ich habe keinen Antheil an der Staatsverwaltung. Was für politische Absichten konnte ich aber nach 30 Jahren wohl haben? Waren diese Anstalten, eine ganz neue Religion aufzubringen, die Herr Basedow mit Herrn D. Bahrdt anfänglich gemeinschaftlich, kosmopolitischer Weise, bearbeitete, nicht wichtig genug, mich aufmerksam zu machen? In dem Almanach wird geäußert, ich hätte für meinen Applausum Schaden gefürchtet. Soll das hier etwa auch zu verstehen gegeben werden? Nun hierauf mag antworten, wer es der Mühe werth achtet. Herr Bahrdt hat keinem von unsern Magistris die Zuhörer genommen; ich denke immer er würde mir auch nicht alle entfernet haben. Meiner Denkungsart aber ist es darum nicht gemäs, weil ich, wie es zur Ehre unserer Universität notorisch ist, die größten, gelehrtesten Männer in der theolog. Facultät stets habe befördern helfen, von denen ich wußte, sie werden gewis mich übertreffen.
Ich gestehe es, daß ich den Unwillen nicht begreifen kann, womit diese Recension mich behandelt. Ich hatte es schon gesagt, daß Luther selbst in den schmalkaldischen Artickeln unsern Lehrern es frey gegeben hat; wie er seinen Catechismus eben so stellet, wer es besser kann, soll es so buntkraus machen als er will; wir sehen es auch |d263[!]| an der Confessio Saxonica und Würtembergica, daß man die augspurgische Confeßion für das tridentinische Concilium nicht geradehin wieder abgeschrieben hat. Selbst die Apologie zeiget es, was die Lehrgeschicklichkeit Tag für Tag, noch immer zusetzt, in der Erklärung eben derselben Sachen. Sacrificium und Sacramentum ist in der augspurgischen Confession noch nicht erkläret worden; aber in der Apologie geschiehet es: wirklich ohne den Inhalt der Lehren zu ändern. Eben so unbegreiflich ist es mir, daß von Zuhörern geradehin gesagt wird, sie seyen nicht intereßiret. Sie sind, manche wenigstens, nicht intereßiret bey den Formalien; aber auch viele behalten alle Worte des Unterrichts, den sie einmal gefaßt haben; will der Recensent sie bereden, es seye ihnen viel nützlicher, Herrn Bahrdts Bekenntnis nachzureden? Wir überlassen jedem Zuhörer, sich aus dem Unterricht eigene eigenthümliche Vorstellungen zu sammlen; weil es nicht möglich ist, daß die Formulare der Vorstellungen der Individuorum schon in irgend einigen libris Symbolis stehen sollten. Ist aber diese Freyheit, die ich als daseyend aufstelle, selbst zu denken, weil gar niemand anders für mich denken und glauben kann, eben so viel, als: folglich hat weder Lehrer noch Zuhörer eine Verbindlichkeit, oder ein Interesse, in Absicht der Grundbücher der lutherischen Kirchen, wozu sie selbst gehören? So schändlich mus man die Sachen verkehren, um ja mir vorzüg|d164|lich alle Schuld zu geben, Herrn D. Bahrdt aber, in der Sache selbst, gar zu vertheidigen. Man kann ja sehen, ob ich je die Sache, Erbsünde, oder natürliche moralische Unordnung des Menschen, Genugthuung – weggeworfen habe; wenn ich gleich die eigene freye Erkenntnis davon fordere und behaupte.
Zitat aus a) D. Carl Friedrich Bahrdts Glaubensbekenntniß:
Wer kann sich auch, wenn er einmal über das andre lieset, daß ein jeder für sich denken |z47| und glauben kann, was er für wahr erkennet, und daß dennoch das Ansehen der symbolischen Bücher in öffentlichen Vorträgen, so ganz ungekränkt erhalten werden müsse, daß es keinem Lehrer einmal erlaubt sey, nur Vorschläge zur weitern Berichtigung des öffentlich festgesetzten Lehrbegriffs zu thun, (denn wenn Hr. D. S. dies einem Lehrer erlaubt hielte, so würde er den Hrn. D. B. nicht so hart deswegen angesehen haben) wer kann sich denn enthalten zu fragen
Zitat aus a) D. Carl Friedrich Bahrdts Glaubensbekenntniß:
wozu soll in aller Welt die unverbrüchliche Beybehaltung, und der ewige Vortrag eines Religionssystems dienen, das weder der Lehrer noch irgend einer der Zuhörer verbunden oder interessirt ist, für wahr zu halten?
Zitat aus a) D. Carl Friedrich Bahrdts Glaubensbekenntniß:
für den ewigen Werth der symbolischen Bücher und eines nach ihnen abgezirkelten Lehrvortrages eifert: so kann ihm nicht das Interesse der Wahrheit, nicht die Sorge für die Glückseligkeit seiner Nebenmenschen, sondern
Zitat aus a) D. Carl Friedrich Bahrdts Glaubensbekenntniß:
blos gewisse politische Betrachtungen können diesen Eifer eingegeben haben. Dies ist noch glimpflich geurtheilt; sonst möchte man eine nähere Ursache finden
Zitat aus a) D. Carl Friedrich Bahrdts Glaubensbekenntniß:
Sorge für die Glückseligkeit seiner Nebenmenschen
Zitat aus a) D. Carl Friedrich Bahrdts Glaubensbekenntniß:
gewisse politische Betrachtungen