/z|a[79]| |b80| |c80| Evangelium am 6 Sontage nach Trinitatis.
Matthäic1 5, vers 17–26.

Dieserb2 Text ist ein Stück der Rede, welche Jesus auf einem Berge in Galiläa, vor einer sehr zahlreichen Versammlung hielte. {Lucä 6, 12bc3 } Auf diesem Berge hatte er die Nacht im Gebet zugebracht. {Lucä 6, 13.} Bei Anbruch des Tages wälet er die zwölf Apostel. {Luc.bc4 6, 17–19bc5 vergl. mit Matthäibc6 4, 24 – 5, 1.} Nun gehet er den Berg hinab, den Kranken entgegen, die man von allen Seiten her zu ihm brachte. Er heilet sie durch seinen Allmachts-Befehl. {Matth.bc7 5, 1bc8 } Und um die Schaar von Menschen, welche zu ihm geströmt, besser übersehen und mit einer allenthalben vernehmlichern Stimme anreden zu können, steigt er abermahls auf die Anhöhe des Berges, sezet sich, und hält an die versamlete Menge, c9 eine Rede, die eben darum die Berg-Predigt pflegt genant zu werden. Matthäi Kapitel 5, 6 und 7.c10 und Lucä 6, 20–49. c11

c|c80*| *) Diese Rede beim Lukas ist zwar zu einer andern Zeit gehalten worden; sie erläutert aber die Berg-Predigt in manchen Stellen.c

Eine Rede, die Stoff zu Jahrelangen Betrachtungen enthält! Die jedem aufmerksamen,bc12 und unpartheiischen Leser Achtung für die Religion Jesu, und grosse, erhabene, göttliche Gesinnungen einflössen muß! {Matth.bc13 5, 2–12bc14 } /cWie edelc\c15 sind die Neigungen, |b81| |c81| welche er dort, als die herrschendec16 Gesinnungen eines Christen, so kraftvoll beschreibt und empfiehlet? – {/bcvers 13–16bc\bc17 } Wiec18 erhaben die Bestimmung, die Würde eines Christen! welche in jedem noch nicht ganz füllosen Gemüt die edelste Ehrbegierde entzünden muß! – {v. 17–20bc19 } Wiec20 höchst würdig |a80| /cGott, dem Vater der Menschenc\c21, wie unaussprechlich heilsam für die menschliche Gesellschaft, ist der Zweck, der Geist, seiner Religion, wie er ihn im /c17–20b22 c\c23 beschreibt! – {/bcvers 21bc\bc24 bis zum Schlußbc25 des siebenden Kapitelsbc26 } Wiec27 vernünftig, weise,b28 und gütig sind die einzelne Geseze, welche er aus jenen Gesinnungen, jener Würde des Christen, und dem Geist der christlichen Religion herleitet! – /cc\ Mit einem Wort, diese Berg-Predigt, ist der /cInbegrif der ganzen Moralc\c29, der /cedelsten und besten Moralc\c30. Oder, mit den Worten unsers von Gottc31 gesandten Lehrersbc32 „der Abriß der vorzüglichen Tugendbc33 die das Christenthum fordert,bc34 und wirket!“

Die Jünger, an welche Jesus nach dem ersten Vers diese Rede hielte, sind alle diejenigen, die ihm damahls folgetenbc35 um seinen Unterricht zu hören. Die grosse Menge, welche er (/cvers 1b36c\c37) zu sich herzudringen sahe. /cDas Volkc\c38 seiner Jünger, wie es Lucasc39 6, 17bc40 nennt. Also /cnicht bloß, auch nicht vornehmlichc\c41 für die Apostel, sondern für alle Christen, ist diese Rede gehalten.

Ihr alle denn, meine Mitchristen, was ist der Zweck, der Geist, die Absicht, der Religion die wir bekennen? Etwa, uns mit einer Last von Cärimonien zu beladen? Oder, uns Dinge |b82| zu lehren, die wir bloß glauben und bekennen sollen; die höchstens einige müssigebc42 Empfindungen |c82| hervorbringen; aber mit unserm alltäglichen Leben nichts zu thun haben? Oder gar, den Geist der Zwietracht und Factionc43 in uns zu entflammen? – – {/bcvers 17. 20bc\bc44 } Höret Ihnc45, den Stifter unsrer Religion, /bchöretbc\ die ewige Weisheitbc46 Selbst reden!

|a81| {versbc47 17.} Ihr sollt nicht wänen, daß ich kommen binbc48 das Gesez oder die Propheten aufzulösen. „Das Gesez und die Propheten,“ ist der damahls unter den Juden gewönliche Nahme der Schriften des alten Testaments. Lucä 24, 27. u. a. Also nicht vom Gesezc49 Mosis redet Jesus, sondern von /cden Schriften Mosis und der Prophetenc\c50. Diese aufzulösen, oder deutlicher übersezt, aufzuheben, abzuschaffen, ist Er nicht gekommen. Sondern sie zu erfüllen: /coder genauer,c\c51 zu vollenden, /csiec\ vollständig zu machen, den darin enthaltenen Unterricht zu erweitern, und in helleres Licht zu /csezen. –c\

csezen: oder 2) nach der gewönlichsten Bedeutung, sie zu vollziehen, dasjenige zu thun, was darin geschrieben ist. Der Sinn ist bei beiden Erklärungen ohngefär derselbe, nämlich dieser: „ich bin der dort versprochene Erlöser und Lehrer der Welt.“ Luc. 24, 44. vergl. v. 25. f. und v. 46. 47.c
{/bcvers 18bc\bc52 } Denn ich sage euch, wahrlich bis daß Himmel und Erde vergehe, wird nicht vergehen der kleinste Buchstab, noch ein Tittel (ein Häkchen an dem kleinsten Buchstaben) vom Gesez: (den Schriften des A. T. Nichts, gar nichts soll davon /caufgehoben werden.b53c\c54) bis daß es alles (d. h. was darin c55 geschrieben ist) /cgeschehe. „Nie sollen[“]b56, dies ist der Sin dieser Worte, „Mosesb57 und die Propheten, die Schriften des A. T. abgeschaffet werden. Bis ans Ende der Welt sollen sie ihr göttliches Ansehen behalten.“c\
cgeschehen. „Alles[“] (dies ist der Sinn) „was im A. T. geweissagt und gelehret worden, soll durch mich erfüllet werden; und meine Religion an die Stelle desselben treten.“c

|b83| |c83| {/bcvers 19bc\bc58 } Wer nun eines von diesen kleinsten Geboten auflöset, (aufhebet) und lehret die Leute also: Durch diese Gebote verstehet Jesus nicht, die im A. T. enthaltene Gebote. Diesen waren die damahligen Lehrer der Juden, von ganzem Herzen, nur mit Unverstand und Aberglauben, zugethan. Er meinet Seine eigene, diejenigen Geseze, die er nun vortragen wolte. Dies ist klar aus dem zwanzigsten Vers, wo er den Grund |a82| dieses Ausspruchs anfüret: „Niemand, nämlich, könne Sein Jünger seyn, der nicht die Vorzügliche Tugendc59 die Erc60 lehre, auszuüben trachtet.[“]bc61 Der wird der kleinste heissen im Himmelreich. Das Himmel- oder himlische,bc62 Reich, oder,bc64 das Reich Gottesc65, ist das Reich, zu dessen König, der {/bcPsalm 2bc\bc66 } Messiasbc67, von Gottc68 bestellet worden. {Johannisbc69 18, 37.} Das Reich, welches Er, der Welt-Heiland, durch seine Religion sich in der Welt aufrichtete. Der wird der kleinste heissen (seyn) im Himmelreich, oder wie es /cvers 20b70 c\c71 erkläret wird, nicht ins Himmelreich kommen; c72 heißt, „der kan nicht ein Anhänger meiner Religion, der kan kein Christ, seyn.“ – Wer es (alles was ich jezo lehre /cvers 20–Endec\c73 des 7bc74 Kap.) thut. – Also, Christen,c75 Thun, nicht bloß glauben, oder empfinden, ist es was das Christenthum fordert! – und lehret, der wird groß heissen (seyn) im Himmelreich; derc76 ist mein wahrer Anhänger, ein ächter Christ!c77 – – – Du wilst wissen, ob du ein wahrer Christ, ob du von Gottc78 zur Seligkeit des Himmels auserwälet seyst? Da darfst du nicht lange, tiefe Untersuchungen anstellen; |b84| |c84| darfst nicht in die Geheimnisse der Gottheitc79 dringen, in die Tiefen der göttlichen Rathschlüsse dich versenken. Siehe auf dein Leben, und in dein Herz. Frage dein Gewissen, „thue ich was Jesus gebeut?“ Denn, – wer dies thut und lehretbc80 der ist groß im Himmelreich. vers 19.

{/bcvers 20bc\bc81 } Denn ich sage euch, es sey denn eure Gerechtigkeit besser, denn der Schriftgelehrten und Pharisäer; so könnet ihr nicht ins Him|a83|melreich kommen. Das Wortc82 welches durch Gerechtigkeit, gegeben worden, bedeutet hier und in /bcallen den Stellenbc\bc83 wo es alleine, ohne einen Beisaz stehet, eben dasbc84 was unser deutsches Wort, Tugend. Denn,bc85 es wird der Sünde entgegen gesezet. „Ihr seyd[“], sagt z. E. Paulus Römer 6, 18,bc86 „frei von der Sünde; und Diener der Gerechtigkeit (Tugend) geworden.“ – Der Ausspruch Jesu lautet also in einer genauern Uebersezung, wie folgt: Ich sage euch, woferne eure Tugend die (heuchlerische, zerstümmelte, körperliche) Tugend der Gesezgelehrten und Pharisäer, nicht bei weitem übertrift: so könnet ihr nicht meine Jünger, nimmermehr Christen, seyn.

Und, was ist nun der Zweck, der Geist, der Lehre Jesu, des Christenthums? – {/bcvers 1[–]18bc\bc87 } 1) „Den Religions-Unterricht des A. T. zu erweitern; und in das rechte volle Licht zu /cstellen.c\c88“ Dies lehret auch der Augenschein. Die Kentnisse der Gläubigen des A. T. verhalten sich gegen die Kentnisse der Christen, wie die |c85| Kentniß |b85| eines Kindes zu der Kentniß eines Mannes; wie die Dämmerung zu dem vollen Tage. {2 Timoth.bc89 1, /bc10 versbc\bc90 19. 20bc91 } Und 2) „Eine ganz-vorzügliche Tugend in der Welt auszubreiten.“ Alles was die Vernunft; auch was das A. T. von Tugend lehret, ist nur dürftig, gegen die Vollständige, Reine, Edle Tugend, welche das Christenthum fordert und einflösset. – Die Beispiele davon sehet in dem ganzen Fortgange dieser Berg-Predigt Jesu!

|a84| {Siehe versbc92 38. /bcund 43bc\bc93 } Die Pharisäer und vornehmsten bc94 damahligen Lehrer der Juden behaupteten: nur der grobe Mord sey eine Todt-Sünde, eine Sündebc95 die dem Menschen Gottesc96 Gnade raube. Hingegen Groll, Feindseligkeit, Rachbegierde sey gar keine, oder höchstens eine /bcSchwachheits Sündebc\bc97 die Gottc98 dem Menschen gar nicht zurechne. Eine Lehrebc99 die schon allein, die Menschen sich unter einander zu Teufeln, und die Welt zur Hölle machen würde! Mit edlem Muth, mit so brennendem als erleuchtetem patriotischen Eifer für sein Vaterland, und die Welt, verdammet daher Jesus diese höllische Maxime, und zeiget, wie gar anders, wie vorzüglich hierin die Tugend eines Christen seyn müsse. {/bcvers 21bc\bc100 } Ihr habt gehört, daß zu den Alten gesagt ist: (genauer, „ihr höret gemeiniglich, daß von den Alten, euren alten Lehrern, den Vätern der Tradition, gesagt ist.“ Was Jesus hier, als von den Alten gesagtbc101 anfüret, sind offenbar nicht die Geseze Gottesc102 beim Mosec103; sondern gottlose Sazungen der jüdischen /cLehrer.b104 c\c105 v. 21. 33. und besonders v. 43.c106) Du solt nicht tödten: wer aber tödtetbc107 |b86| |c86| der soll des Gerichts schuldig seyn. Das fünfte Gebot 2 Buchbc108 Mos. 20, 13bc109 heißt, du solt nicht morden. Ganz anders lautet der Saz dem hier Jesus widerspricht. Das Gericht, das Stadt-Gericht ist die Obrigkeit jedes Orts, welche auch über einige peinliche Sachenbc110 als erste Instanz richtete. Der ist dem Stadt-Gericht verschuldet, /cdas heistb111 c\c112 „der hat eine Todt-Sünde begangen.“ Dies war die Lehre der Pharisäer und Gesez-Gelehrten, welche nur den groben Mord, nicht aber Groll und Feindseligkeit für Todt-Sün|a85|de hielten: wie man aus vers 38. 43bc113, und dem Widerspruch Jesu, vers 22bc114 ersiehet.

{/bcvers 22bc\bc115 } Ichc116 aber sage euch, wer mit seinem Bruder, (Neben-Menschen.bc117 Malachiä 2, 10bc118) zürnet, der ist des Gerichts schuldig, (der ist dem Stadt-Gerichte verschuldet.)bc119 – Durch ein Versehen – denn der sel.c120 Luther, der unsre deutsche Uebersezung gemacht, war bei allen seinen grossen Vorzügen, kein Apostel, sondern ein trüglicher Mensch, ausgesezt dem Irthumbc121 wie ein jeder unter uns[.]bc122 – Durch ein Versehen also fehlet hier in unsrer deutschen Uebersezung ein Wort, welches Jesus, wie wir aus den zuverlässigstenbc123 Gründen wissen, seinem Urtheil über den Zorn noch beigefüget. Dies Wort bedeutet in der biblischen Sprache, so viel als im deutschen, ohne Ueberlegung; ohne Grund und Maaß. Er sagte nämlich, nicht schlechtweg, ohne Ausnahme, wer mit seinem Neben-Menschen zürnet; sondern mit der beigefügten Einschrän|b87|kung, „Wer mit seinem Neben-Menschen, ohne Ueberlegung zürnet:“ schon der hat eine |c87| Todt-Sünde begangen. – Wer aber zu seinem Neben-Menschen saget, Rachac124, nichtswürdiger Mensch! „Wer jenen innern Groll und Feindschaft, gar in Schmähungen ausbrechen läßt.“ Es ist hier nicht von Uebereilungen die Rede: sondern von Schmähungenbc125 die aus einem feindseligen Gemüt fliessen. Denn,c126 dieser Ausspruch ist mit dem vorigen genau verbunden. Die Rede Jesu steigt hier, von einem Verbrechen, zu einem noch grösserenc127 hinauf. „Wer aber zu seinem Neben-Menschen saget, nichts|a86|würdiger Mensch!“ Der ist des Raths schuldig. Der Rath, ist der hohe Rath zu Jerusalem: das höchste Gericht der Nation, welches über die vorzüglich grobec128 Verbrechen erkante. Der ist dem hohen Rath verschuldet, das heistbc129 also, „der hat eine noch schwerere Todt-Sünde begangen.“ Denn hier ist das Verbrechen zwiefach: das feindselige Gemütbc130 welches der Mensch hegetbc131 und die Schmähungbc133 worin er es ausbrechen läßt. – Wer aber sagt, du Narr. Was hier, Narr, übersezet worden, ist eigentlich das Wort, womit in der Bibel, der {Siehe Psalm 14, 1.} Gottesverleugner, der verruchteste Bösewicht, bezeichnet wird. c134 Der Ausspruch Christi hat also den Sinn, „Wer jenen Groll bis zur Verdammungs-Sucht treibt; seinen Neben-Menschen Gottesc135 Gnade und Seligkeit abspricht.“ Es ist abermahls, nicht von Urtheilen die Rede, |c88| die in der Hize ausgesprochen und sogleich bereuet werden: sondern von solchenbc136 die aus einem feind|b88|seligen Gemüt fliessen. Denn auch hier steigt die Rede Jesu. Der ist des höllischen Feuers schuldig: „der hat ein noch gröberes Verbrechen begangen, als selbst der grobe Mord.“ – Wie aber? Ist das nicht zu hart? Freilich, die weltliche Obrigkeit, kan die Verbrechen nicht andersbc137 als nach ihren sichtbaren Folgenbc138 in Absicht der Wohlfarth des Staats, beurtheilen. Sie kan nicht ins Herz sehen. Sie kan auch nicht, die Innere, und Ewige Wohlfarth desbc139 Unterthanen, sich zum Zweck machen: die menschliche Ohnmacht nötiget sie;bc140 bloß bei der äussern, und zeitlichen stehen zu bleiben. Der Allwissendec141 und Allmächtigec142 aber richtet vornehm|a87|lich nach der innern Gesinnung und Absicht. Jener Verdammungssüchtige hat ein boshafteres und menschenfeindlicheres Gemüt als der Mörder. Dieser nimmt dem andern nur das zeitliche Leben; jener aber will ihm gar das ewige nehmen. Der Mörder ermordet den andern, vielleicht nur in dem Taumel der Rachbegierde, des Geizesbc143 oder einer andern strafbaren Leidenschaft. Der Verdammungssüchtige aber spricht dem andern sein ewiges Leben im külen Blutbc144 ab.(Siehe oben Seite 54bc145. 55bc146.)

c|c87*| *) Man kan es auch als ein Hebräisches Wort, wie das Raka, durch Moreh übersezen, d. h. Rebell, Gotteslästerer, Atheist, Psalm 78, 8. – Der Sinn beider Uebersezungen ist gleich.c

{versbc147 23. 24.} Darumbc148 wenn du deine Gabe (ein freiwilliges Opfer; 3 Buchbc149 Mos. 1, 2. die edelste Art der gottesdienstlichen Handlungen) auf den Altar opferst; (schon zum Altar gebracht hast.bc150) und wirst alda eindenkenbc151 daß dein Bruder (Neben-Mensch) etwas wider dich habe: |c89| (von dir beleidiget worden; besonders durch |b89| Schmähung, oder lieblose Urtheilebc152 S. /bcvers 22bc\bc153) so laß alda vor dem Altar deine Gabe, und gehe zuvor hin, und versöhnec154 dich mit deinem Bruder; und alsdenn komm, und opfere deine Gabe. – Denn, wird nicht der Schuldner jedes Mittel brauchen, um seinen Gläubiger zum gütlichen Vergleich zu bringen!c155 {versbc156 25. 26.} Sey wilfertigbc157, (versöne dich, vertrage dich) deinem Widersacher (mit deinem Gegen-Part, dem Gläubiger) baldbc158 dieweil du noch bei ihm auf dem Wege bist.c159 (auf dem Wege zum Richter, wohin dein Gläubiger dich füret. Alsdenn ist noch Zeit zum gütlichen Vergleich.bc160) damit nicht dein Gegen-Part dich dermaleins überantworte dem Richter, und der Richter überant|a88|worte dich dem Diener, und werdest in den Kerker geworfen. Ich sage dir wahrlichbc161: du wirst nicht von dannen heraus kommen, bis du auch den letztenbc162 Heller bezahlest. „Der Schuldnerbc163 der sich nicht zu rechter Zeit mit seinem Gläubiger abfindet, sondern es darauf ankommen läßtbc164 daß ihn dieser vor Gericht ziehe: der verliehret alle Gelegenheit zum guten Vergleich; ziehet sich Schimpf zu; und sezt sich in Gefahrbc165 bis auf den lezten Heller zu bezahlenbc166 oder ins Gefängniß geworfen zu werden. Darum verliehre keine Zeit, die Beleidigungen bei deinem Neben-Menschen gut zu machen. Der Todt kan dich sonst übereilen; dich in diesem unversönlichen Zustande antreffen; und dem unerbittlich-gerechten Gerichte Gottesc167 übergeben.“

|b90| |c90| {/bcvers 22bc\bc168 } So ist denn, auch bloß-innerer Groll und Feindschaft gegen irgend einen Menschen, vor Gott,bc169 Todt-Sünde. – – Schwerer noch ist die Sünde, wenn man diesen innerlich herrschenden Groll, inc170 Schmähungen, Schimpf-Worte, heimliche üble Nachreden, oder Beschimpfungen einiger Art ausbrechen läßt. – Ganz ausserordentlich strafbahr aber, ist die Verdammungs-Sucht. Jene alte Bosheit der Juden erneuren, welche jede Nationbc171 die nicht von ihrem Glauben war, für Gottc172 abscheulich und zur Hölle verworfenbc173 erklärete: seinen Neben-Menschen, darum weil er nicht eben so denkt, und glaubtc174 und lebt als wir, mit bitterm Herzen für einen Unbekehrten und Verdamten erklären;bc175 einen andern, der wirklich Religions-Ir|a89|tümerbc176 auch gefärliche, glaubt und ausbreitet; und einen dritten, der wirklich Sündenbc177 auch schwere begehet, sogleich und ohne Einschränkungbc178 einen Verdamten nennen; unaufhörlich klagenbc179 daß fast alle unsre Mitbürgerbc180 und Neben-Menschenbc181 Unwiedergebohrne seyn: das ist – Todt-Sünde; noch schwerere Sündebc182 als ein grober Mord. – – Und warum? Darum, weil kein Sterblicher im Stande ist, mit Gewisheit auszumachen, ob die grobe Unwissenheit und Irthum,bc183 eines Menschen, bei ihm Verschuldet,bc184 oder Unverschuldet? ob seine schwere Sünde, Vorsäzlichec185 oder Unwissenheits- und Schwachheits-Sünde ist? Darumbc186 weil dies immer einen geheimen Stolz; immer ein liebloses, hartes, menschenfeindliches Herz verrät! – – „Soll ich denn aber Irthum, Wahr|b91||c91|heit; und Unrecht, Recht nennen?“ Keinesweges! Sage immerhin, diese Meinung meines Nebenmenschenbc187 scheint mir, (denn, bist du Untrüglich?) Irrig zu seyn; diese seine Handlung ist Sünde; und wenn sie mit Vorsaz begangen wird, Todt-Sünde. Dies gebiethet die Wahrheit. Was hindert dich aber, liebreich hinzuzudenken; „vielleicht ist dieser Irthum bei ihm unverschuldet; und seine Sünde, Uebereilung, oder Unwissenheit. Ach daß es so wäre! Ja Gottc188! ich bete, ich hoffebc189 daß es so sey.“ So kanst du, so mußt du mit der Wahrheit, die Liebe verbinden!bc190 – – „Aber! ich werde doch meinem Heilande es nachsprechen dürfen, daß die Pforte eng und der Weg schmal ist der zum Leben /cfüret, undc\c191 der Weg zur Hölle weit und breit, und sehr volkreich ist?“ Erstlich /clieber Mitchristb192 c\c193 geziemet es uns gerade nicht, alles zu |a90| sagen, was unser Herr, der Heiland und Gebiether der Welt saget. Und vornehmlich, mußt du doch erst recht verstehen, was er saget. Er redetbc194 wie wir aus /bcvers 15bc\bc195 vergl. Matth.c196 23. und Matth.c197 21, 16. u. a. St.bc198 sehn, nur von den Juden seiner Zeit: daß von diesen wenige seine Religion annehmen, die meisten hingegen sie verwerfen würden. Er sagt nie, daß nur der kleinste Theil der Menschen selig werde. Wohl aber weiset er uns in uns selbst zurück. Es fragte ihn jemand, nach Lucä 13, /bc23 24,bc\bc199 „Herr werden nur wenige selig?“ Jesus antwortete. Ringe darnachbc200 daß du durch die enge Pforte eingehest!

|b92| |c92| {v. 23. 24.} Selbst das freiwillige Opfer, die edelste Art des äussern /cGottesdienstes,b201 c\c202 soll vor dem Altar gelassen werden: ohne Verzug soll man gehen und mit seinem /bcNeben Menschenbc\bc203 sich aussönen. Vergebens ist also alles unser Kirchen-Gehen, Haus-Andachtc204 und Gebrauch des Abendmahls, wenn diese Handlungen uns nicht den Geist Gottesc205, {1 Cor.c206 13, 1–3.} Seine Menschen-Liebe einflössen. – – Welch ein Gewicht muß diese Tugend in Gottesc207 Augen haben? Selbst vor dem Altar soll man das Opfer lassen; um sein Herz von aller Feindseligkeit zu säubern. Menschen-Liebe, nach Gottesc208 Muster gebildet, und aus einem Herzen geflossen, das nur Ihmc209 zu gefallen wünschetc210, {Galat.bc211 5, 6bc212 } ist die unausbleibliche, die kostbarste Frucht des Glaubens an Jesu Verdienst; und hat darum, nach Gottesc213 gnädiger Schäzung,bc214 einen höheren Werthbc215 als die glänzendsten Gebräuche des Gottesdienstes. |a91| Barmherzigkeit gefällt mir besser als Opfer! Matth. 12, 7.

Der Zorn hat von je her so schreckliche Verwüstungen in der Welt angerichtet, er ist noch immerfort die Quelle so entsetzlicherbc216 Uebel, daß der Erlöser und Lehrer der Menschen, ihnen auch hierüber besonders, die reinen bessern Kentnisse geben muste. Viele der einsichtsvollestenbc218 Menschen haben diesen Affekt für schlechterdings sündlich, für eine Regung erklärtbc219 die man nicht bloß mässigenc220, sondern ganz und gar ausrotten müsse. Eine Vorschrift, die noch nie ein Mensch auf der Welt hat befolgen können! Die auch nach der ganzen Einrichtung unsers Leibes und Seele, |b93| |c93| nicht kan befolget werden! Und wenn sie es könte, tausend gute grosse Handlungen, Millionen Wohlthaten, der menschlichen Gesellschaft unersezlich rauben, und an deren Stelle vielfaches Unheil in sie bringen würde!

Wie sehr gereichet es demnach unserm Heilande zur Ehre, daß er auch hier den geraden, richtigen Mittelwegbc221 gehet; den Zorn selbst, keinesweges für sündlich, aber auch eben so wenig seine Ausschweifungen für erlaubt erkläret; hingegen die Anweisung giebt, diesen gefärlichen Affekt in solche Grenzen einzuschliessen, ihn so zu mässigenc223 und anzuordnenbc224 daß er das Schiff unsers Lebensbc225 nicht wie ein reissender Sturm in den Abgrund versenke, sondern als ein günstiger Wind in den Hafen füre.

|a92| Nicht ausrotten sollen wir den Zorn: er selbst ist unsündlich. Denn Jesus sagt mit der Einschränkung;bc226 Wer mit seinem Neben-Menschen – ohne Ueberlegung – zürnet, der ist dem Gerichte verschuldet. Aber auch angenommen, daß er diese Einschränkung damahls nicht hinzugesezt: so würde uns doch die Abzweckung dieses Affekts; das Beispiel Jesu; undc227 sein Unterricht durch die Apostel, unwidersprechlich lehrenbc228 daß dieser Ausspruch nach Jesu Absicht, also verstanden und ausgelegt werden müsse. Der Zorn ist ein unentbehrliches Vertheidigungs-Mittel, womit uns die Güte des Schöpfersc229 bewafnet. Jesus selbst gerieth mehr als einmahl in Zorn. Marci 3, 5. u. a. |b94| |c94| Seine Apostel ermahnen uns, {Ephes.bc230 4, 26. 27. Jacobibc231 1, 19. 20c233 } langsam zum Zorn zu seyn; beim Zorn nicht zu sündigen. – Also nicht ausrotten;

Sondern, weise beherrschen, sollen wir ihn. {Matth.bc234 5, /bc22 Ephes.bc\bc235 4, 26. 27. Jacobibc236 1, 19. 20.} 1) Ihn nur bei zulänglicher Ursache hegen; 2) Selbst diesen gerechten Zorn so mässigenc238, daß er unsrer Gesundheit, Vernunft und Menschen-Liebe nicht schade; und 3) auch diesen gerechten und wohlgemässigtenbc239 Zorn, nur durch erlaubte, Gottesc240 Gesezen gemässe, Mittel befriedigen: – das ist die christliche Beherrschungb241 des Zorns! So soll der Christ, selbst im Zorn, Herr seiner selbst bleiben. Und der Würde eines Christen gemäß, auch hierin, das Muster, {Matth.bc242 5, 14–16bc243 } die Sonne der Welt seyn!

|a93|
Uebersezung des Textes.

{v. 17. 18bc1 } Glaubetc2 nicht daß ich gekommen bin das Gesez und die Propheten aufzuheben. Nicht aufzuheben, sondern sie vollständig zu /cmachen,c\c3 ist meine Absicht. Denn ich versichere euch, bis Himmel und Erde vergehen, wird nicht ein Jota, oder ein Häkchen vom Gesez vergehen; es sey denn alles darin geschriebene erfüllet.

{/bcvers 19bc\bc4 20.} Wer denn eines der geringsten dieser Gebothe aufhebet, der ist kein Glied meines Reichs. Wer aber sie ausübet und lehret, der gehöret zu meinem |b95| |c95| Reich. Denn, ich sage euch, woferne eure Tugend, die bc5 Pharisäer und Gesezgelehrten nicht bei weitem übertrift: so könnet ihr nicht Bürger meines Reichs,bc6 (Christen) seyn.

{v. 21. 22.} Ihr höret eure Lehrer sagen, „du solst nicht morden:bc7 wer aber mordetbc8 der ist dem Gericht verschuldet.“ – Ich aber sage euch. Wer mit seinem Nebenmenschenbc9 ohne Ueberlegung zürnet, der ist dem Gericht verschuldet. Wer aber noch dazu seinen /bcNeben Menschenbc\bc10, einen Nichtswürdigen nennet: der ist dem hohen Rath verschuldet. Wer ihn gar, Gottesverleugner,c11 nennet: der /bcist in flammendebc\bc12 Hölle verschul|a94|det. {v. 23. 24bc13 } Wenn du also, dein freiwilliges Opfer Gott zum Altar gebracht hast, und dich da erinnerstbc14 daß dein Nebenmenschbc15 von dir beleidiget worden: so laß da, vor dem Altar, dein freiwilliges Opfer, und gehe vor allen Dingen hin, versöne dich mit deinem Nebenmenschenbc16. Und sodenn komm und bringe dein Opfer.{v. /bc25. 26bc\bc17 } Sey geneigt deinem Gegen-Part, alsbald da du noch mit ihm auf dem Wege bist. Sonst wird der /bcGegen Partbc\bc18 dich dem Richter, und der Richter dem Bedienten übergebenbc19 daß er dich ins Gefängniß werfe. Ich versichere dich, du wirst da nicht losgelassen, /bcalsbc\ bis du den lezten Heller bezahlet.z\

c1: Matth. bc1: 18. b2: Dieser c2: Glaubt bc3: 12. c3: machen und zu erfüllen bc4: Lucä bc4: v. 19. bc5: 17–19. bc5: Tugend der bc6: Math. bc6: Reichs bc7: Math. bc7: morden! bc8: 1. bc8: mordet, c9: von diesem Berge herab, bc9: Neben-Menschen c10: 7.bc10: Neben-Menschen c11: *) c11: Gottesverleugner bc12: aufmerksamen bc12: hat die Flammen der bc13: Math. bc13: 24. bc14: 2–12. bc14: erinnerst, c15: Wie edel bc15: Neben-Mensch c16: herrschenden bc16: Neben-Menschen bc17: v. 13–16. bc17: 25. 26. c18: Wie bc18: Gegen-Part bc19: 17–20. bc19: übergeben, c20: Wie c21: Gott, dem Vater der Menschen bc22: 17–20, (b); 17–20. Verse (c) bc24: v. 21. bc25: Ende bc26: Kapitels. c27: Wie b28: weise c29: Inbegrif der ganzen Moral c30: edelsten und besten Moral c31: Gott bc32: Lehrers, bc33: Tugend, bc34: fordert bc35: folgeten, b36: 1. c37: (Vers 1. c38: Die Menge c39: Lukas bc40: 17. c41: weder bloß, noch vornehmlich bc42: müßige c43: Faktion bc44: v. 17–20. c45: Ihn bc46: Weisheit, bc47: v. bc48: bin, c49: Geseze c50: den Schriften Mosis und der Propheten c51: d. h. entweder, 1) sie bc52: v. 18. b53: werden, c54: unerfüllt bleiben c55: vom Meßias b56: sollen b57: Moses bc58: v. 19. c59: Tugend, c60: er bc61: trachtet.“ bc62: himlische (b); himmlische (c) bc64: oder c65: Gottes bc66: Ps. 2. bc67: Meßias c68: Gott bc69: Joh. b70: 20. c71: Vers 20. c72: das c73: Vers 20. bis zum Ende bc74: 7ten c75: Christen! c76: „der c77: Christ!“ c78: Gott c79: Gottheit bc80: lehret, bc81: v. 20. c82: Wort, bc83: vielen Stellen, bc84: das, bc85: Denn bc86: 18. bc87: v. 1–18. c88: sezen. Diesen bisherigen Kinder-Unterricht, mit dem höheren, Männlichen verwechseln. bc89: Tim. bc90: 10. v. bc91: 20. bc92: v. bc93: u. 43. bc94: der bc95: Sünde, c96: Gottes bc97: Schwachheits-Sünde, c98: Gott bc99: Lehre, bc100: v. 21. bc101: gesagt, c102: Gottes c103: Mose bc104: Lehrer, (b); Lehrer, Siehe (c) c106: 43 bc107: tödtet, bc108: B. bc109: 13. bc110: Sachen, b111: heißt, c112: daß heißt, bc113: 43. bc114: 22., bc115: v. 22. c116: Ich bc117: (Neben-Menschen bc118: 10. bc119: verschuldet). c120: sel. bc121: Irthum, bc122: uns. bc123: zuverläßigsten c124: Racka bc125: Schmähungen, c126: Denn c127: grössern c128: groben bc129: heißt bc130: Gemüt, bc131: heget, (b); heget; (c) bc133: Schmähung, c134: *) c135: Gottes bc136: solchen, bc137: anders, bc138: Folgen, bc139: der bc140: sie, c141: Allwissende c142: Allmächtige bc143: Geizes, bc144: Blute bc145: 52 bc146: 53 bc147: v. bc148: Darum, bc149: B. bc150: hast bc151: eindenken, bc152: Urtheile, bc153: v. 22. c154: versöne c155: bringen? bc156: v. bc157: willfertig bc158: bald, c159: bist, bc160: Vergleich, bc161: warlich bc162: lezten bc163: Schuldner, bc164: läßt, bc165: Gefahr, bc166: bezahlen, c167: Gottes bc168: v. 22. bc169: Gott c170: in bc171: Nation, c172: Gott bc173: verworfen, c174: glaubt, bc175: erklären: bc176: Religions-Irtümer, bc177: Sünden, bc178: Einschränkung, bc179: klagen, bc180: Mit-Bürger bc181: Neben-Menschen, bc182: Sünde, bc183: Irthum bc184: Verschuldet c185: Vorsäzliche, bc186: Darum, bc187: Neben-Menschen c188: Gott bc189: hoffe, bc190: verbinden; c191: füret; aber b192: Mitchrist, c193: lieber Mitchrist! bc194: redet, bc195: v. 15. c196: Matth. c197: Matth. bc198: Stellen bc199: 23. 24. bc200: darnach, bc201: Gottesdienstes (b); Gottesdienstes nach Mosis Gesez, (c) bc203: Neben-Menschen c204: Haus-Andacht, c205: Gottes c206: Kor. c207: Gottes c208: Gottes c209: Ihm c210: wünscht bc211: Gal. bc212: 6. c213: Gottes bc214: Schäzung bc215: Werth, bc216: entsezlicher (b); entsezlicher (c) bc218: einsichtsvollen bc219: erklärt, c220: mäßigen bc221: Mittel-Weg (b); Mittel-Weg (c) c223: mäßigen bc224: anzuordnen, bc225: Lebens, bc226: Einschränkung: c227: und bc228: lehren, c229: Schöpfers bc230: Eph. bc231: Jac. (b); Jak. (c) c233: 20. bc234: Math. bc235: 22. Eph. bc236: Jac. (b); Jak. (c) c238: mäßigen bc239: wohlgemäßigten c240: Gottes b241: Beherschung bc242: Math. bc243: 14–16.