Zustand des Menschen /a/bdvor und nach seinem Verfallebd\bd1 *)a\a2.

bd1: vor und nach seinem Verfalle a2: vor und nach seinem Verfalle
/a*) Der Religionslehrer hat /ba) sich zu hütenb\b1, daß er nicht seine Hypothesen über die Auslegung der |c147*| mosaischen Nachrichten von der ursprünglichen Beschaffenheit der Menschen und von dem Falle, für wesentliche Theile der Religion ausgebe und jemand aufdringe, daß er weder die anfängliche Vollkommenheit, noch jetzige Verdorbenheit der Menschen übertreibe, und daß er die fürtreflichen Anlagen zum Guten, welche sich noch itzt in der menschlichen Natur finden, nicht übersehe oder bey seinem Unterricht mit Stillschweigen übergehe, ohne jedoch auf eine der Selbsterkenntniß nachtheilige und den Stolz und falsches Selbstvertrauen |d148*| nährende Weise das d2 Verderben zu verkleinern. Er folge dem Beispiel der Bibel, welche bey ihren Schilderungen von der Verderbtheit der Menschen, Erwachsene vor Augen zu haben pflegt, und das angebohrne von dem nachher hinzugekommenen nicht mit ängstlicher Genauigkeit unterscheidet; welches auch wenigb3 praktischen Nutzen haben kann. /bb)b\ Findet er sich inzwischen veranlasset, über die /bangebohrne Verdorbenheitb\b4 insbesondere sich näher zu erklären, /bwozu er zuweilen durch mancherley Umstände genöthiget seyn kann, so gehe er mit möglichster Vorsicht und Bescheidenheit zu Werk; erb\b5 folge b6 nicht blindlings alten willkührlichen Auslegungen einzelner biblischerb7 Stellen, oder hergebrachten Meinungen dieser und jener theologischen Schule; er trage keine Bestimmung, die nicht deutlich in der Schrift enthaltend8 /bsondern bloß Hypotheseb\ ist, entschei|c148*| dend /bvor; er vergesse nicht, daß die biblischen, zumal die alttestamentlichen Bücher zunächst für damalige Menschen bestimmt waren, und zu deren Vorstellungsart und Sprache sich bequemen mußten; er ziehe endlichb\b9 das, was gründliche Psychologie an die Hand giebt, fleißig zu Rath. /bc)b\ Sein Hauptaugenmerkb10 aber muß immer seyn, die wahre Beschaffenheit und die mannichfaltigen Ursachen des Verderbens so zu zeigen, daß der Mensch und der Erzieher (und das soll jeder Vater, jede Mutter seyn,) daraus lernen könne, |d149*| woran der Fehler eigentlich liege, und welche Mittel angewendet werden müssen, um theils zu verhüten, daß er nicht tiefere Wurzel schlage und weiter um sich greife, theils ihn zu verbessern. /bd)b\ Und /bnurb\ aus diesem Gesichtspunkte kann man /bden sonst dem Christen freilich entbehrlichen Betrachtungenb\b11 über die ursprüngliche Beschaffenheit |b112*| der Menschen vor dem Falle, /b(§. 113.)b\ und über die nächsten und entfernteren Folgen der ersten Versündigung, /b(§. 122–124.)b\ einen /bgewissen Grad von Nützlichkeit zugestehend12, so fernb\b13 sie nämlich angewendet werden, die jetzige Beschaffenheit des Menschen und ihre Ursachen zu dem angezeigten Zweck in ein /betwasb\ helleres Licht zu setzen. Geht doch auch der Philosoph bey gewissen Untersuchungen von seinem Naturmenschen, und seinem Stande der Natur,b14 und wohl gar der Wildheitd15 aus. Und wenn anders der Mensch einst |c149*| unmittelbar aus den Händen des Allgütigen kam, das edelste Geschöpf auf dieser Erde seyn sollte, und eine so erhabene Bestimmung hatte, als gezeigt worden ist; und wenn die älteste Geschichte, oder falls man lieber will, die Sagen der Urwelt einige Aufmerksamkeit verdienen: so, sollt' ich meinen, ists doch wohl so wenig unphilosophisch als unhistorisch, wenn der Theolog von einem Stande der Unschuld /bausgehet; vorausgesetzt, daß er die so eben vorgezeichneten Grenzen nicht überschreitet, und die empfohlnen Kautelen beobachtet. |d150*| e)b\b16 Von dem göttlichen Ebenbildeb17 s. die Anmerk. d18 zu §. 95.a\
b1: sich zu hüten d2: wirkliche b3: keinen b4: an|b111*| gebohrne Verdorbenheit b5: so b6: er b7: biblischen d8: enthalten, b9: vor, und ziehe b10: Hauptaugenmerk b11: selbst den Betrachtungen d12: zu gestehen b13: gewissen Grad von Gemeinnützkeit zuerkennen, so fern b14: Natur d15: Wildheit, b16: ausgehet. b17: Ebenbilde d18: c.

112. Als die ersten Menschen von Gott erschaffen waren, befanden sie sich anfäng|c147||d148|lich in einem Zustande, der bey keinem einzigen ihrer /dnatürlichend\ Nachkommen jemals |c148| wie|b111|der ange|d149|troffen /abwerden kannab\ab1. Sie traten d2 mit |d150| dem a3 Gebrauche aller ihrer Kräfte, und |c149| doch /dmit der vollkommensten Unschuldd\d4, in die Welt, und /aso wie sie aus der Hand des Schöpfers kamen und noch ganz unverderbt waren, stundena\ d5 ihre sämmtlichena6 Kräfte a7 in demjenigen Verhältnisseab8 gegen einander, welches abd9 zur Erreichung ihrer /abdamaligen nächstenab\ /dBestimmungd\d11 erforderlich war.

dBey ihren Nachkommen hingegen, die als Kinder auf die Welt kommen, α) fängt der Gebrauch der edelsten Geisteskräfte erst nach mehreren Jahren an, zu einer Zeit, da β) schwehrlich ein einziger derselben mehr ganz unverdorben an Leib und Seele ist; und selbst die allmäliche langsame Entwickelung einer Kraft nach der andern, bringt γ) eine Disproportion zwischen den Kräften hervor, so wie auch δ) die mannichfaltigen und verwickelten Verhältnisse im gesellschaftlichen Leben, es sehr schwehr machen, unsrer Bestimmung und Pflicht in ihrem ganzen Umfange volles Genüge zu thun.d

ab1: worden ist d2: a) als Erwachsene, mit ausgebildetem Körper und a3: vollen d4: b) vollkommen unschuldig d5: c) a6: sämtlichen a7: stunden ab8: Verhältniße abd9: damals (ab); d) (d) d11: Bestimmung, in ihrer äuserst einfachen Lage,

113. Zwar waren /aa)a\ ihre Verstandeskräfte in dem ersten Momenta1 ihres Daseyns noch nicht /dgeübtd\d2; aber die Kräfte selbst waren doch in /adem ihnen vorerst nöthigenb3 a\a4 Maased5 da, nebst der Fähigkeit /dund dem Strebend\ sie |d151| sogleich anzuwenden; und Gott ließa6 es auch an Veranlassungena7 hierzu nicht fehlen. /ab)a\ Gleich /avom Anfanga\a8 ihres Daseyns /aana\ strömten |b112| von allen Seiten her Kenntnisseab9 in ihre offnenb10 Seelen/a, die noch nicht durch die Gewohnheit |c150| des Eindrucks, den die um sie her befindlichen Dinge auf sie machten, abgestumpft warena\. So /a/bsehrb\ eingeschränkt und unvollkommen diese Kenntnisseb11 a\a12 gewesen seyn mögen, in Vergleichung mit den Kenntnissenab13 /dspätererd\d14 Zeiten, so waren sie doch a15 hinreichend für sie, und würden sich a16 bey Abwesenheit /aso vieler /bHindernisse,b\b17 schnelld18 vermehrta\a19 haben; zumal da Gott selbst sie anfänglich einer ihren Bedürfnissenab20 angemessenen Unterweisung /awürdigte, und dasjenige, was sonst Erziehung bey dem Menschen thun muß, auf andre Weise /b*)b\ ersetzte. |c151| c)a\a21 Ihre Begriffe waren a22 frei|d152|lich noch sehr sinnlich; aber anderer bedurften sie in ihrer /abanfänglichenab\ Lage |a71| nicht; |b113| und die Fähigkeit zu /aden /bwenigenb\ ihnen etwa brauchbarenb23 a\ allgemeinen Begriffen lag doch d24 in ihnen, und wartete nur auf Veranlassungena25 zur Entwickelung. /ad)a\ Auch von Gott, der /dseind\d26 Daseyn, seined27 Güte und Macht, seined28 Fürsorge für sie, ihred29 Abhängigkeit von ihm, und ihred30 Bestimmung, ihnend31 auf eine solche Art, wie es ihrem Zustande gemäs war, entdecktad32 hatte, /ab(§. 7.)ab\ machten sie sich /dnochd\ sinnliche Vorstellungen; aber diese waren hinlänglich, sie in dem Gefühla34 ihrer Abhängigkeit von ihm zu erhalten, und ihr Herz mit /abreligiösenab\ab35 Empfindungen der Ehrfurcht, der Dankbarkeit, des Vertrauens, der Liebe und des Gehorsams zu erfüllen. /ae)a\ Ihre Begierden waren ihren Bedürfnissena36, und diese der Natur angemessen, und |d153| daher regelmäßiga37, ohne zu unerlaubten Gegenständen hingerißend38, oder von wilden Leidenschaften erhitzt zu werden, und schuldlos. /af)a\ Ihr Körper war d39 kraftvoll, gesund, und d40 von solcher Dauer, daß er, ob |c152| er gleich an sich zerstörbar war, dennochd41 a42 bey /ddem Gebrauche gewisser Stärkungsmittel und beyd\ Abwendung äuserer Gefahren, /d/awürde haben fortdauern können,a\ ohned\ einem solchen Tode, wie der unsrige jetzt /aista\, d43 nothwendig unterworfen /ab/dzu seynd\d44; wie sich aus Pauli Argumentationenab\ab45 Röm. 5, 12bd46 ff. /a/bschließen läßt d47.b\ g)a\ Auch ihre äussernab48 Umstände waren höchst glücklichd49, indem sie unter dem mildesten Klima lebten, und bey leichter mäßiger Arbeit einen Ueberfluß an dema50, was ihnen Bedürfnißa51 war, hatten. – Dießd52 ist die Beschreibungd53, welche /awir aus dem, was wir von ihnen bey Mose lesen, zusammensetzen können,a\a54 1 Mos. 1, 26. ff. 2, 2. ff. 3, 1. ff. /aund welche der unpartheiische Forscher wohl nicht unwahrscheinlich finden wirda\. Und hätten sie /adie|b114|sea\ ihre ursprüngliche Un|d154|schuld nicht verscherzt, so würden sie mit jedem Tage a55 an /adihnen brauchbarer Lebens-Weisheit und an moralisch guten Gesinnungen und Fertigkeiten (Heiligkeit)ad\ad56 zugenommen d58 haben.

/ab*) Daß diese Belehrungen nicht durch Sprache und Worte gegeben worden seyen, begreift man leicht; wie sie aber den Menschen zu Theil geworden seyn mögen, ob durch unmittelbare Einwirkungen auf die Seele, oder durch besonders von Gott veranstaltete lehrreiche Begebenheiten und Vorfälle, oder wie sonst, bekennen wir gern, bey dem Mangel genauer Nachrichten, nicht zu wissen. Daß aber irgend etwas auserordentliches hier geschehen /dseyn müssed\d59, wird man schwehrlich unwahrscheinlichd60 finden, wenn man die hohe Bestimmung desd61 für die Ewigkeit geschaffenen Menschen erwegt, und |d152*| zugleich bedenkt, was unvermeidlich aus ihmd62 hätte werden müssen, und was erd63 aller Vermuthung nach Jahrtausende durch, bey allen seinend64 treflichen Anlagen, würded65 geblieben seyn, wenn erd66 im Anfangd67 ohne alle Erfarung und Unterweisungd68 sich selbst ganz überlassen worden wäred69. Läßt |c151*| es sich wohl von der Weisheit und Güte Gottes, der nach der Lehre der Bibel so vieles für den Menschen hernach gethan hat, glauben, daß er ihn bey seinem Eintritt in die Welt, da er noch ganz unerzogen war und der Hülfe am allermeisten bedurfte, ohne alle Hülfe gelassen habe?ab\
d*) Da inzwischen die Stammeltern eben sowohl als ihre Nachkommen für ein besseres als dieses irrdische Leben bestimmt waren, so würde auch bey ihnen nothwendig ein Uebergang aus diesem in jenes statt gefunden haben, nur, wie es scheint, nicht unter so schreckhaften Umständen, als jetzt.
**) Sie stehet vornehmlich zu dem Zweck hier, um allerley noch immer gangbare sehr überspannte Vorstellungen von der Vollkommenheit der Stammeltern herabzustimmen.d
a1: Momente d2: geübt, und daher unstreitig klein b3: erforderlichen a4: hohem d5: Maaße a6: lies a7: Veranlaßungen a8: in der ersten Viertelstunde ab9: Kenntniße b10: offne b11: Kenntniße a12: eingeschränckt anfangs ihre Kenntniße ab13: Kenntnißen d14: der folgenden a15: vollkommen a16: in kurzer Zeit, b17: Hinderniße, zum Bewundern d18: bald a19: aller Hinderniße, bis zum Erstaunen vermehret ab20: Bedürfnißen a21: würdigte. a22: anfangs b23: nöthigen d24: gleich Anfangs a25: Veranlaßungen d26: von seinem d27: seiner d28: seiner d29: ihrer d30: ihrer d31: sie ad32: geoffenbaret (a); belehrt (d) a34: Gefühle ab35: den religiösesten a36: Bedürfnißen a37: regelmäsig d38: hingerissen d39: unverdorben, d40: daher d41: dennoch, a42: immer fort würde haben dauern können, d43: nicht d44: gewesen wäre ab45: zu seyn. bd46: 12. d47: *) ab48: äusern d49: angenehm a50: allem a51: Bedürfnis d52: Dies d53: **) a54: uns Moses von ihnen macht. a55: ihres Lebens ad56: Weisheit und Heiligkeit, (Tugend) welche mit der ersten Stunde ihres Daseyns angefangen hatte, aufs neue (a); moralischen, wie an intellektuellen, Vollkommenheiten schneller, als nun geschehen ist, (d) d58: und es bald zu einer großen Fertigkeit darin gebracht d59: sey d60: unwahrscheinlich, d61: der d62: ihnen d63: sie d64: ihren d65: würden d66: sie d67: Anfang, d68: Unterweisung, d69: wären

114. /aa)a\ Sehr verschieden von diesem anfänglichen Zustande der ersten Menschen, ist der Zustand aller Menschen, die jetzt leben, oder die uns die Geschichte aller Zeiten kennen lehrt. Indessena1 ist es doch |a72| auch /anützlicha\a2 und nöthig, /ab)a\ die mannichfaltigen guten Anlagena3, welche noch jeztd4 in der Na|c153|tur des Menschen angetroffen werden/a, zu kennen, um nicht undankbar gegen den Schöpfer zu seyn, und um die Aufmerksamkeit darauf, wie diese Anlagen kultiviret werden können, zu lenkena\. Dahin gehöret die unsrer Natur unauslöschlich eingedruckte Selbstliebe, nebst den Trieben zur Selbsterhaltung und zur Vervollkommung unsrer selbst; die Sympathie, mit der Geselligkeit; das natürliche Wohlgefallen an Wahrheit, an Zweckmäßigkeita5 , und an Gesinnungen und Handlungen, die recht, gemeinnützig, und edel sind, nebst dem Misfallen an den entgegen gesetzten, auch ohne nähere Rücksicht auf die daraus für uns entspringende d6 oder zu hoffende Vortheile /doder Nachtheiled\; die Schaam, wenn wir unrecht, niederträchtig, treulos, undankbara7 etc. gehandelt /dhaben, u. s. w. Selbstd\d8 der Trieb zur Thätigkeit, d9 der Ehrtrieb, |d155| der Nachahmungstrieb etc. sind gute Anlagen, wenn sie in /agehörigera\ Verbindung mit den übrigen Trieben genommen /aund zweckmäsig gelenkta\ werden. /ac) Es kann daher auch der Mensch |b115| immer noch viele Ausbrüche der Sünden hindern, und mancherley gute und nützliche Handlungen nach vernünftigen Gründen vornehmen, Röm. 2, 14. 26. 27. und es ist kein Mensch, welcher den wirklichen Gebrauch seiner Vernunft hat, der nicht dergleichen, und zum Theil in /dziemlicherd\d10 Anzahl, verrichte. Auch kann der |c154| verderbte Mensch die Nothwendigkeit einer Besserung einsehen, Röm. 1, 32. 2.bd11 15. und die von Gott dazu veranstalteten und ihm dargebotenen Mittel gebrauchen. Röm. 1, 19. 20. Der Trieb zur Dankbarkeit und das natürliche Wohlgefallen an Vollkommenheit b12 können sogar als entfernte Anlagen zur Liebe gegen Gottb13 angesehen werden, wenn ein zweckmäsiger Unterricht von ihmb14, als dem vollkommensten Wesen und dem gütigsten Wohlthäter, hinzukommt. Ja es kann durch solchen Unterricht ein Mensch, in welchem d15 lasterhafte Gesinnungen herrschend sind, dahin gebracht werden, daß er zu manchen einzelnen guten Handlungen die Bewegungsgründe von Gott hernehme.a\

a1: Indeßen a2: einem Lehrer nüzlich a3: zu kennen d4: jetzt a5: Zweckmäsigkeit d6: Nachtheile a7: undanckbar d8: haben; d9: u. s. w. Selbst d10: nicht geringer bd11: 2, b12: machen den Haß gegen Gott unnatürlich, und b13: ihn b14: Gott d15: übrigens

115. Dem allemd1 /aungeachtet a)a\a2 bestätigt selbst die Erfarungd3 dasjenige, was die Bibel von der unter den Menschen herrschenden moralischen |d156| Verdorbenheit sagt, sowohl in Absicht der Allgemeinheit, 1 Joh. 1, 8. 10. Röm.a4 3, 9.a5 ff. 23. 5, 12. 14. 19. 11, 32. Sprüchw. 20, 9. Pred. 7, 21. und des Anfangsa6 derselben mit der frühesten Jugend,a7 Ps. 51, 7. 1 Mos. 8, 21. als auch in Absicht der Größea8 derselben, Ps. 19, /a13. Röm.a\a9 7, 8. 11. 13. 8, 7. und der daher entstehenden großena10 Schwierigkeit der Besserung, Röm.a11 |b116| 7, 11. 13. 14. 15. 18. 21. 23. 24. ja der Unmög|c155|lichkeit,a12 in diesem Leben eine vollkommene Tugend zu erreichen. /ab) Nämlicha\a13 die Menschen wenden die besten von Gott gemachten Einrichtungen ihrer Natur unrecht an, und befriedigen einzelne Naturtriebed14 ohne gebührende Rücksicht auf die übrigen. Ihre Kräfte stehen /ain einer solchen Disproportiona\a15 gegen einander/a, daß die moralische Freiheit dadurch ungemein eingeschränkt wirda\. Diese Zerrüttung und Unordnung in ihren Kräften /ac) zeigt sicha\a16 insbesondere /adarin, daßa\a17 alles was den Sinnen angenehm ist, einen so |a73| mächtigen und schnellen Eindruck auf die Menschen macht, daß sie unzählich oft Scheingüter, oder kleinere und vergängliche, zumal wenn sie gegenwärtig sind, den /awahren, größerna\a18 und bleibenden Gütern, vornehmlich den unsichtbaren und zukünftigen, vorziehen, und also den Reizungen der sinnlichen Lust unterliegen; Jac. 1, 14. 15. daßa19 ganz zügellose Begierden und unbändige Leidenschaften /dentstehend\d20; Röm.a21 1, 26. daßa22 die Sinn|d157|lichkeit die Vernunft entweder gar nicht zur Rede kommen läßt, oder doch auf ihren Widerspruch nicht achtet, Röm.a23 7, 8. ff. und daßa24 der Wille ein Sklave sinnlicher Begierden /awird; Röm.a\a25 7, 19–23. Gal. 5, 17. Joh. 8, 34. daßa26 die Vernunft selbst a27 schwehr zu einer lebendigen Erkenntnis solcher Wahrheiten zu bringen /aista\, welche die Sinnlichkeit, (diea28 noch überdießd29 |c156| durch gewisse habituelle Bewegungen und Beschaffenheiten des Körpers unterstützta30 wird, Röm[.]abd31 6, 11. 12. /a7, 23.a\ 8, /a13. 23.)a\a32 im Zaume zu halten im Stande wären; Röm. 1, 18. daßa33 sich ihr im Gegentheiled34 Irrthümer und |b117| Zweifel und Vorurtheile, die der Sinnlichkeit schmeicheln, eher und tiefer einprägen;a35 Eph. 4, 18. /aund daß daher bösea\a36 Fertigkeiten a37 viel geschwinder und leichter erlangt, hingegen auch weit schwehrer abgelegt /awerdena\, als gutea38.

d1: allen a2: ohnerachtet d3: Erfahrung a4: Rom. a5: 9 a6: Anfanges a7: Jugend a8: Gröse a9: 3. Rom. a10: grosen a11: Rom. a12: Unmöglichkeit a13: Nämlich d14: Naturtriebe, a15: nicht in der gehörigen Proportion a16: zeigt sich a17: darin, daß a18: wahren grösern a19: daß d20: zuweilen erwachen a21: Rom. a22: daß a23: Rom. a24: daß a25: wird. Rom. a26: Ja a27: ist a28: die d29: überdies a30: unterstüzt abd31: Röm. a32: 23. a33: da d34: Gegentheil a35: einprägen. a36: Böse a37: werden daher a38: Gute

116. /aInsbesonderea\

aEs kan zwar der Mensch immer noch viele Ausbrüche der Sünden hindern, und mancherley gute und nüzliche Handlungen nach vernünftigen Gründen vornehmen, Röm. 2, 14. 26. 27. und es ist kein Mensch, welcher den wirklichen Gebrauch seiner Vernunft hat, der nicht dergleichen, und zum theil in ziemlicher Anzahl, verrichte. Auch kan der Mensch die Nothwendigkeit einer Besserung einsehen, Rom. 1, 32. 2, 15. und die von Gott dazu veranstalteten Mittel gebrauchen. Rom. 1, 19. 20. Der Trieb zur Danckbarkeit und das natürliche Wohlgefallen an Vollkommenheit können sogar als entfernte Anlagen zur Liebe gegen Gott angesehen werden, wenn ein zweckmäsiger Unter|a74|richt von Gott, als dem vollkommensten Wesen und dem gütigsten Wohlthäter, hinzukommt. Ja es kan durch solchen Unterricht ein Mensch, in welchem lasterhafte Gesinnungen herrschend sind, dahin gebracht werden, zu manchen einzelnen guten Handlungen die Bewegungsgründe von Gott herzunehmen. Gleichwohla
ist der Mensch zu nichts schwehrer zu bringen, als zu einer habituellen Liebe und einem Vertrauen gegen Gott, welche rechter Art wären, und zu Erfüllung seiner gesammtena1 Pflichten aus d2 Gehorsam gegen Gott und aus Verlangen ihm wohlzugefallen. Und dießd3 gilt selbst von denen, welchen Gott in den Wahrheiten der geoffenbarten Religion die kräftigsten Mittel zu ihrer Besserung anbietet. (Denn in Untersuchungen über die Beschaffenheit solcher Menschen, welchen der |d158| Gebrauch dieser Mittel versagt ist, nämlich der Nichtchristen, haben wir nicht nöthig uns hier einzulassen:a4 obgleich in so fern auf sie Rücksicht zu nehmen ist, daß man dem Menschen überhaupt nicht schlechterdings etwas abspreche, was man doch bey vernünftigen Heiden, auch ohne die höhere Hülfe einer geoffenbarten Religion, antrift. Röm.a5 2, 14.[)]a6

a1: gesamten d2: freudigem kindlichem d3: dies a4: einzulassen; a5: Rom. a6: 14.)

|c157| 117. Die moralische Verderbtheit findet sich zwar bey allen Menschen; jedoch mit einigemd1 Unterschiede. Betrachtet man den Menschen überhaupt, so ist jenes moralische Uebel noch nicht näher bestimmt, sondern bestehet nur überhaupt in der unordentlichen Gewalt der Sinnlichkeit, und in dem Unvermögen der Vernunft, die Herrschaft über sie zu behaupten. Der Mensch liebt sich selbst auf eine so verkehrte Art, daß er das,ab2 was |b118| den Sinnen angenehm ist, für sein höchstes Gut /dhältd\d3, und daher die uneingeschränktea4 Befriedigung seiner sinnlichen Begierden zum Hauptzwecke seines Thuns und Lassens /dmachtd\d5, Eph. 2, 3. woraus ein Hang entstehet zum Sündigen überhaupt, d. i. zu Handlungen, welche dem göttlichen Willen und der Bestim|a75|mung des Menschen zuwider laufen. Bey einzelnen Menschen aber erhält dieses moralische Uebel seine besondere Bestimmung /aund Richtunga\, theils durch die individuelle Beschaffenheit ihrer Seelen und ihrer Körper, theils |d159| durch äusere Umstände; daher jeder Mensch zu gewissen Arten des Bösen geneigter ist, als zu den übrigen; Jac. 2, 11. so wie auch diese Neigung bey einem heftigera6 ist, als bey dem andern. d7

d1: einem ab2: das d3: zu halten a4: uneingeschränckte d5: zu machen geneigt ist a6: stärcker d7: Vergl. §. 152.

118. Aus der beschriebenen verderbten Beschaffenheit des Menschen, (welche in der |c158| Bibel Fleisch, Röm.a1 8, 4. ff. Gal. 5, 16. ff. die in uns wohnende Sünde, Röm.a2 7, 8. 17. 20. 6, 12. der alteab3 Mensch, Eph. 4, 22. Col. 3, 9. und die böse Lust Jac. 1, 14. genennet wird,) und aus den in einzelnen Menschen herrschenden lasterhaften Gesinnungen, (die unter der Benennung des alten Menschen, und der bösen Lust 1 Petr. 1, 14. mit begriffen werden,) entspringen die einzelnen den göttlichen Gesetzen zuwider laufende Handlungen, 1 Joh. 3, 4. /awelched4 wenn sie von solchen, die das Gesetz kennen oder kennen könnten, mit Freiheit begangen werden, wirklichea\a5 Sünden /asinda\. Diese theilen sich /a*)a\ in Begehungs und Unterlassungs Sün|b119|den, Matth. 25, 42.a6 ff. Luc. 12, 47. Jac. 4,b7 17. in innere und äusere, Matth. 5, 22. 28. 2 Cor. 7, 1. in solche, bey welchen bloßab8 das formelle, und solche, bey denen auch das materielle der Hand|d160|lung sündlich ist, /aMatth. 6, 1. 2. 5. 16.a\ 1 Cor. a9 13, 3. in /awissentliche,a\ vorsätzliche, /avielleicht gar Bosheitssünden,a\ welche gegen besser Wissen und Gewissen begangen werden, und in solche, die aus /anicht unverschuldetera\ Unwissenheit, 1 Tim. 1, /a13.a\a10 oder aus /aUeberei|c159|lung Gal. 6, 1. oder aus Schwachheita\a11 geschehen; /aMatth. 26, 41. in anerkannte und unerkannte, Ps. 19, 13. 90, 8. ingleichenb12 a\a13 in selbstbegangene und in fremde, /a1 Tim. 5, 22. da man zwar die strafbare That nicht selbst verübt, aber docha\a14 durch /aVeranlassung derselben, durcha\a15 verschafte Gelegenheit, dargebotene Bewegungsgründe, unterlassene Verhinderung etc. oder auch durch gegebenen Beifall Röm. 1, 32. d16 /asündiget und d17 an jener That strafbarena\ Antheil nimtd18. Auch in Absicht des Grades der Strafbarkeit sind die Sünden verschieden,a19 Joh. 19, 11. Luc. 12, 47. 48. /aund richtet sich dieser nach dem Grade der Moralität und Freiheit, womit man handelt.a\ Die Sünde aber wider den heiligen Geist, Matth. 12, 31. 32. findet gegenwärtig nicht mehr statt/a, wenn man darunter boshafte Lästerung selbsterfahrnerd20 göttlicher Wunder verstehet; in einem andern Sinne aber könnte diese Sünde nicht im eigentlichen Verstande unverzeihlich genennt werdena\.

/a*) Diese Eintheilungen haben die Absicht, Menschen auf |b119*| solche Versündigungen aufmerksam zu machen, welche sie sonst ganz zu übersehen geneigt sind z. B. Unterlassungs Sünden.a\
a1: Rom. a2: Rom. ab3: Alte d4: welche, a5: oder wirckliche a6: 42 b7: 4. ab8: blos a9: 4, 5. a10: 13 (welche jedoch entweder verschuldet oder unverschuldet ist) a11: Ubereilung b12: ingleichem a13: Gal. 6, 1. ingleichem a14: an welchen man a15: Veranlassung, d16: selbst d17: gleichsam d18: nimmt a19: verschieden. d20: selbsterfarner

|a76| |b120| 119. Die Ursachen dieses moralischen Verderbens sind mannichfaltig, und braucht man nicht bey dem entferntesten Grunde stehen |d161| zu bleiben, daß jedes eingeschränktesa1 Geschöpf fehlen könne. Es ist vielmehr dem Lehrer nützlich und nöthig, alle mitwirkende Ursachen kennen zu lernen. Die Ver|c160|nunft und das Nachdenken über unsre tägliche Erfarung geben uns folgende Dinge als Quellen derjenigen Zerrüttung an, welche wir bey allen Menschen imd2 natürlichen Zustande antreffen: a) Unsere Empfindungen haben eine viel größerea3 Stärke, als unsre übrige Vorstellungen, zumal als die Vorhersehungen der Folgen einer Sache oder Handlung.b4 b) Der Hang zu allem, was uns angenehme Empfindungen gewähret, wird um so viel stärker, da wir im Anfange unsers Lebens, ehe noch die Vernunft erwacht, keine andere Regel, was wir begehren oder verabscheuen sollen, haben, als die Empfindungen. Daher gewöhnen wir uns, immer das zu begehren, was uns angenehme Empfindungen gewähret, die uns schon bekannt sind, und die uns die Einbildungskraft lebhaft vormahlet; dagegen fassen wir einen allgemeinen Widerwillen gegen alles, was diese stöhreta5 oder einschränkt.a6 c) Am frühesten aber wird der Mensch mit /aderjenigen Art angenehmera\a7 Empfindungen bekannt, welche aus Befriedigung sinnlicher Begierden, und aus dem Genusse der kleineren und vergänglichen Güter dieses Lebens entspringen. Von diesen erlangt er natürlich und ungesucht eine anschauende Erkenntnis. Erst später lernt er diejenigen angenehmen Empfindungen |d162| kennen, deren Quelle die Tugend ist. Und daßd8 die Tugend allemal und ohne Ausnahme |c161| wahrhaftig glücklich mache, davon würden, ohne fremde |b121| Beihülfe, die mehresten Menschen nie, und die übrigen erst spät überzeugt werden; dahingegen jeder bald und ganz von selbst gewahr wird, daß die Gesetze der Tugend ihm nicht selten den Genuß mancher gewohnten angenehmen Empfindungen untersagen, oder ihn wenigstens, zusamtd9 dem natürlichen Freiheitstriebe, |a77| einschränkena10. d) /aDie unregelmäsigen Ausbrüche allerley Begierden und Neigungenbd11 die man schon an Kindern bemerkt, sind meistens im Grunde nichts, als Folgen wirklich guter Anlagen unserer Natur und Aeusserungen an sich unschuldiger Triebe und Kräfte, denen es aberb12, wegen Unerfahrenheitd13 des Kindes oder Nachläßigkeit seiner Erzieher, an der gehörigen Richtung und Mäßigung fehlt. e) Daß aber der Mensch, wenn nun auch seine Vernunft erwacht ist, dennoch einen Hang hat,a\a14 nach blosd15 sinnlicher Erkenntnis zu handeln, ohne die Vernunft zu fragen oder zu hören, wird begreiflich, wenn man bedenkt, theils, daß wir im Anfanga16 unsers Lebens weder eine andre als bloßa17 sinnliche Erkenntnis haben, noch die Folgen unsrer Handlungen zu übersehen vermögen, und uns daher frühzeitig gewöhnen, geradehin jener Erkenntnis und den ersten Eindrücken, welche die Dinge auf uns machen, zu folgen; theils, daß noch nach erlangtemd18 Gebrauche der Vernunft, |d163| stete Auf|c162|merksamkeit auf uns selbst und sehr viele Uebunga19 nöthig ist, um die Fertigkeit in uns hervorzubringen, jedesmal, ehe wir uns nach den schneller und von selbst entstehenden sinnlichen Begierden entschließen, vorher vernünftig zu überlegen, ob es auch gut und recht gethan seyn würde. f)a20 Daß der Unterricht von Gott, und die Bewegungsgründe ihn a21 zu |b122| lieben, und aus Liebe gegen ihn gut zu handeln, so wenig über den Menschen vermögen, könnte man daraus erklären, theils, daß /aes dem Menschen schwehr wird, seine Gedanken und Neigungen mehr auf unsichtbare, als auf sichtbare Gegenstände zu richten, 1 Joh. 4, 20. theilsd22 daß er mit jenena\a23 erst zu einer Zeit bekannt gemacht werden kanna24, da er schon zu einer Fertigkeit gelangt ist, nach bloßa25 sinnlichen Trieben sich zu bestimmen; theils, daß die Reitzed26 der Sinnlichkeit und böse Gewohnheiten nicht ohne Anstrengung und Mühe, welche der Mensch, so wie überhaupt die Anstrengung der höhern Seelenkräfte, scheuet, besieget werden können; theils, daß dem Unterrichte, man müsse gleichwohl nach diesemd27 Siege ringen, allerley praktische Vorurtheile entgegen gesetzt werden.

a1: eingeschräncktes d2: in a3: grösere b4: Handlung[.] a5: störet a6: einschränckt[.] a7: denjenigen angenehmen d8: das d9: zusammt a10: einschräncken bd11: Neigungen, b12: nur d13: Unerfarenheit a14: Der Hang d15: bloß a16: Anfange a17: blos d18: erlangten a19: Ubung a20: e) a21: (den Unsichtbaren 1 Joh. 4, 20) d22: theils, a23: der Mensch hiermit a24: kan a25: blos d26: Reize d27: dem

120. Hierzu kommt noch g)a1 daß /anach Gottes Absicht der Mensch erst durch Unterricht und Erziehung zum Guten gebildet werden soll, daß abera\ der Unterricht von Gott bey |c163| den mehresten Menschen, zumal in ihrer Jugend, so be|d164|schaffen ist, daß Liebe zu Gott nicht leicht dadurch erweckt werden kanna2. Er ist den Fähigkeiten nicht genug angemessen, /abeschäftigt meist blosbd3 das Gedächtnisa\a4, wird oft zwangsweise mitgetheilet, zeigt zu wenig die Liebenswürdigkeit Gottes und der /aTugend auf eine faßliche und eindringliche Art, nimmta\a5 die |a78| den Kindern /abegreiflichen natürlichena\a6 guten Folgen der Frömmigkeit zu wenig zu Hülfe, giebt der Gottesfurcht wohl gar ein mürrisches Ansehen, kommt aus einem kalten Herzen, /awird zu früh abgebrochen,a\ u. s. w. h)a7 /dDaß died\d8 sittliche Erziehung d9 fast durch|b123|gehends /dsod\ sehr mangelhaft /distd\. Ist sie nicht ganz verkehrt, /awie sie es bey vielen, zumal solchen, die zur feinern Welt gerechnet werden wollenb10, nur allzuoft ist,a\ so wird doch wenigstens nicht Sorgfalt genug auf sie gewendet; man glaubt es sey genug, Tugend und Frömmigkeit zu predigen, und vergißt die so nöthige Gewöhnung zur wirklichen Ausübung derselben; ja es scheinet unmöglich, die Sorgfalt so weit zu erstrecken, daß dem ersten Anfange des Verderbens hinlänglich vorgebeugt werde. i)a11 /dDaß bösed\d12 Exempel d13 das Uebela14 unaussprechlich /dvermehrend\. Die meisten Menschen werden früher mit dem Laster als mit der Tugend bekannt, und saugen, durch den Umgang mit andern, schon in der frühesten Jugend verderbliche |c164| Grundsätze ein. k)a15 /dDaß durchd\d16 das gesellschaftliche Leben d17 die Zahl der Bedürfniße unendlich vermehrt /dwirdd\, und diese d18 grossentheilsa19 der Natur |d165| nicht mehr angemessen /dsindd\. Hierdurch werden die /aReizea\a20 der sinnlichen Begierden vervielfältiget, die Begierden /abekommen mehr Nahrungb21 und werdena\ immer mehr von unsichtbaren und künftigen Gegenständen abgezogen, und die Leidenschaften /awerdena\ heftiger erhitzt. Und dieses Uebela22 nimtd23 zu, und wird gefährlicher mit der steigenden Kultur und Verfeinerung der Lebensart und der Künste, wofern ihm nicht die kräftigsten Mittel entgegen /agesetzt werden, welche aber zum Theil die zunehmende Kultur selbst dem Menschen anbieteta\a24.

a1: f) a2: kan bd3: bloß a4: ist meist Gedächtniswerk a5: Tugend, nimt a6: begreifliche natürliche a7: g) d8: Die d9: ist b10: sollen a11: h) d12: Böse d13: vermehren a14: Ubel a15: i) d16: Durch d17: wird d18: sind a19: grosentheils a20: Reitze und Nahrungen b21: Nahrungen a22: Ubel d23: nimmt a24: gesezt werden

121. /aa)a\ Diese Ursachen ‒ die zu unsrer Natur gehörige Stärke der Empfindungen, die Artd1 wie sich die Seelenkräfte natürlich jetzt entwickeln, und die Umständed2 unter welchen dieses geschiehet ‒ |b124| könntena3 zur Erklärung des traurigen Phänomens, daß gegenwärtig das moralische Böse in allen Menschen von Kindheit an angetroffen wird, hinlänglich /ascheinen. Aber b) über die /bhistorischeb\ Frage: wann und wie dieses Verderben, welches sich bey Adam ursprünglich nicht fand, zuerst angefangen habe? blieben wir in Unwissenheita\a4, wenn uns nicht die Bibel über diese |c165| /aThatsache einigena\a5 Unterricht gäbe. /aSiea\a6 leitet nämlich den Anfang und ersten Ursprung /ajener Verdorbenheit schon von den ersten Stammeltern des menschlichen Geschlechts und von dem freiena\a7 Verhalten /aderselbena\a8 her. /aSie waren zwar unschuldig erschaf|d166|fen. (112. 113.) Aber da sie an moralischer Vollkommenheit wachsen sollten, gab ihnen Gott, um dieses Wachsthum durch Uebung so schnell als möglich zu befördern, ein positives Gesetz, (welches vermuthlich sie zugleich für einer ihnen schädlichen Sache warnte.) Alleina\a9 verführt durch Reize von ausen, /a(vergl. §. 87.)a\ welche der sinnlichen Lust das Uebergewicht gaben, /aübertraten sie dasa\a10 Gesetz; sie sündigten also, /averscherzten ihre ursprüngliche Unschuld, machten sich unglücklicha\ und wurden /astraffälliga\a11. Dießd12 lehret die 1 Mos. 3. vorkommende Erzälung deutlich, man mag sie übrigensa13 erklären wie man will/a: denn auch /dselbstd\ bey der /d(kaum wahrscheinlichen)d\ allegorischen /dErklärungsart bleibt fastd\d14 alles eben so, nur das positive Gesetz ausgenommena\. Und eben dasa15 bestätigen /aauch andre Schriftstellen,a\a16 Röm. 5, 12. ff. 1 Tim. 2, 14. /awelche uns überdießd17 belehren, daß seit jener Sünde der Stammeltern alle natürlich erzeugte Menschend18 /bwelche ein Alter, worin man sündigen kann, erreichen, wirklich sündigenb\b19, und daher /dnicht nur dem Tod, sondern auch andern Strafend\d20 Eph. |c166| 2, 3. /dunter|b125|worfen seyen.d\d21 c) Dieses zusammengenommen mit den in der Bibel so häufig vorkommenden nachdrücklichen Beschreibungen von der Beschaffenheit, Größe und Allgemeinheit der menschlichen Verderbtheit, (/d§.d\ 115‒117.) und mit den mannichfaltigen uns begreiflichen Ursachen dieses Uebels bey Kindern sowohl als solchen,b22 die |d167| zum Gebrauch ihrer Vernunft gekommen sind, (§. 119. 120.) reicht zum Unterricht des Christen hin. Denn er wird dadurch hinlänglich belehrt, theils, daß Gott nicht Urheber der Sünde sey,d23 (vergl. §. 95‒107. und §. 114. und 126.) theils,

dwie nöthig eine gründliche Besserung und ein unausgesetztes ernstliches Ringen nach moralischer Vollkommenheit sey, um bey so vielen Hindernissen die hohe Bestimmung eines Menschen und Christen dennoch zu erreichen; theils, was zu dieser Absicht der Christ zu thun, und was er zu vermeiden habe,d
was zu seiner Besserung erfordert werde, und welche Quellen des Verderbens er bey sich und andern ihm Anvertrauten zu verstopfen bemühet seyn müsse. Daher auch d) die Bibel/b, welcher der Volkslehrer hierin nachahmen sollte,b\ keine ausführliche Belehrung gegeben hat, wie und auf was Art die moralische Verdorbenheit, welche allgemein bey den Menschen angetroffen wird, mit der Versündigung der Stammeltern zusammenhänge und in dieser gegründet sey. Will man inzwischen im Nachdenken über die Folgen der Sünde Adams noch etwas weiter gehen, so kann es etwa auf folgende Weise, (§. 122‒124. /bvergl. Anmerk. d. zu §. 112.b\) mit Rücksicht auf die in der Bibel vorkommenden Winke, d24 geschehen.a\

d1: Art, d2: Umstände, a3: würden a4: scheinen können a5: Thatsache, wie das Menschen Geschlecht zuerst so sehr verschlimmert |a79| worden sey, einen weitern a6: Die Bibel a7: der moralischen Verderbtheit der Menschen von dem freien a8: der Stammeltern des ganzen Geschlechts a9: Röm. 5, 12. 19. Schon diese verscherzten ihre ursprüngliche Unschuld, und übertraten, a10: ein von Gott ihnen gegebenes a11: dadurch strafwürdig d12: Dies a13: auch d14: Erklärungsart, ja selbst, wenn man einen Mythus hier annimmt, bleibt in der Hauptsache a15: dieß a16: andere Schriftstellen. d17: überdies d18: Menschen, b19: Sünder d20: strafwürdig werden. d21: (Siehe §. 125.) b22: solchen d23: sey; d24: zumal bey der Voraussetzung, daß Moses ein wirkliches Faktum erzähle,

|c167| |d168| 122. /aDie Folgen der ersten Versündigung trafen zunächst unsere Stammeltern selbst. Regellosea\a1 Begierden waren nun /aeinmal erweckta\a2 und hatten den Weg zu ihrer Befriedigung gefunden. Die sinnlichen Triebe wurden unordentlich heftig, und ad3 von unregelmäsigen Bewegungen |b126| im Körper verstärkt, (welche vielleicht zum Theil aus den Wirkungen der Frucht, die nicht für sie zum Genusseb4 bestimmt war, /adherrührten),b5 erregten siead\ad6 einen Tumult der Leidenschaften. 1 Mos. 3, 7. Das ihrer Lage angemessene Gleichgewicht war aufgehoben. Heiterkeit des Gemüths und Ruhe des Gewissens waren verlohren, und dafür Bewußtseynab8 der Schuld gekommen. In die Stelle der kindlichen Liebe gegen Gott trat knechtische /aFurcht, mit ihrer Wirkung, dera\a9 Verstellung. V. 8–13.d10 /aUnd von diesem allenb11 mußten sich unausbleiblich die übeln Folgen durch den ganzen Rest des Lebens der Stammeltern zeigen.d12 a\ Auch der Körper fühltea13 die Folgen der /bVersündigung /aund der nun rege gewordenen unordentlichen Begierden und stürmenden Leidenschaften; era\a14 b\b15 ward zerrüttet und geschwächt, und ganz unvermeidlich dem Tode, so wie itzta16 jeder Mensch ihn erfahrenabd17 muß, unterworfen. V. 19. 22. Und aus weiser Güte Gottes gieng auch in den äussernab18 glücklichen Umständen der Menschen eine Veränderung vor, die ihnen nicht anders als |c168| höchstempfindlich seyn /akonnte, so wohlthätig sie auch war. V.a\a19 16. 17. 23. 24. So folgte |d169| /aschon bey den Stammeltern unsers Geschlechtsa\ physisches Uebel dem moralischen auf dem Fußeab20 nach.

a1: Hierdurch geschah es, daß die Stammeltern zuförderst sich selbst die schlimmsten Folgen zuzogen. Unregelmäsige a2: erregt, ad3: erregten, b4: Genuße b5: herrührten,) ad6: und vor welcher sie waren gewarnt worden, herrührten,) (a); herrührten,) (d) ab8: Bewustseyn a9: Furcht. V. 10. Daraus entstund Abneigung von Gott und d10: 8.–13. b11: allem d12: zeigen[.] a13: muste a14: fühlen, b15: Versündigung, a16: jezt abd17: erfaren ab18: äusern a19: konte. |a80| v. ab20: Fuse

123. /aVon ihnen verbreiteten sich nun die schlimmen Folgen jener Sünde weitera\a1 über ihre ganze /aNachkommenschaft. Denn es wird nunmehr a)a\a2 vermittelst der natürlichen /aZeugung eine nicht nur nothwendig dem Tod unterworfene, Röm.a\a3 5, 12. 15. 17. 1 Cor. 15, 22. Röm. 6,a4 23. /asondern aucha\a5 zerrüttete /aNatur auf alle Menschen fortgepflanzt. Diese Zerrüttung (welche von derjenigen Verderbtheit, die aus un|b127|srer oder andrer Menschen Nachläßigkeit und Schuld entstehet, eben so wohl als von den wesentlichen Schranken unsrer Natur und von der nothwendig zu derselben gehörigen Sinnlichkeit und deren d6 Folgen unterschieden ist),b7 bestehet nun zwar b) nicht/b, wie einige gewähnt haben,b\ in einem angebohrnen Haß gegen alles Gute und Gott selbst; oder in angebohrnena\a8 sündlichen Fertigkeiten, /aoder darin, daß der Mensch unwissend und ohne Fertigkeit im Guten auf die Welt kommt. Es läßt sich auch nicht behaupten, daß, falls unsre /dElternd\d9 ihre Unschuld bewahret hätten, die Empfindungen schwächer als andre Vorstellungen auf uns gewirkt, oder die Seelen|c169|kräfte auf eine völlig andre Art, als itzt geschieht, sich entwickelt haben würden: obgleich c) gewiß ist,a\

awohl aber mit sündhaften Beschaffenheiten behaftet ist, fortgepflanzt wird. Hätte Adam nicht gesündigt, so würden die von ihm entsprossene Menschen nicht mit eben diesen Beschaffenheiten und Dispositionen zur Welt gekommen seyn; und sie würden, so lange sie gleichfalls schuldlos geblieben wären, zwar immer fehlbar gewesen seyn, aber doch in einem ganz andern Zustande, als jetzt, sich befunden haben, den wir aber genauer zu beschreiben unvermögend sind. Wir wissen freilich nicht anzugeben, wie sich die Seelenkräfte auf eine völlig andere Art, als jetzt geschiehet, hätten entwickeln sollen; und eben so wenig können wir behaupten, daß unsre Empfindungen minder starke Eindrücke auf uns gemacht haben würden. Aber es ist doch gewis,a
theils, |d170| daß d10 die Entwickelung unsrer Kräfte unter ganz andern Umständen vorgegangen seyn, /amithina\a11 einen a12 andern Gang genommen haben/a, und vermuthlich geschwinder erfolgt seyna\ würde; theils, daß statt aller §. 120. angezeigten Beförderungsmittel der /aVerdorbenheita\a13, eben so viele Beförderungsmittel der /asittlichen Vollkommenheita\a14 würden statt gefunden /ahaben; daher danna\a15, so natürlich es itzta16 ist, daß die Vernunft in die Sklaverey der Sinnlichkeit geräth, /aesa\ eben so natürlich a17 gewesen seyn /awürdea\, daß ersterea18 die /aüber letzterea\ ihr gebührende Herrschaft a19 behauptet hätte. /aSondern d) jene Zerrüttung bestehet in gewissen angebohrnen und von unsern Voreltern ererbten verkehrten Beschaffenheiten oder Dispositionenb20 unsrer Natur. Diese würden die Menschen, wenn ihre Voreltern nicht gesündigt hätten, nicht mit auf die Welt gebracht haben, und sie würden, so lange sie gleich|b128|falls schuldlos geblieben wären, zwar immer fehlbar gewesen seyn, aber doch in einem andern Zustand als itzt, den wir aber genauer zu beschreiben unvermögend sind, sich befunden haben.a\

a1: Hiernächst aber verbreiteten sich auch der Versündigung der Stammeltern üble Folgen a2: Nachkommenschaft, auf welche nunmehr, a3: Zeugung, eine dem Tode nothwendig unterworfene Rom. a4: 6. a5: und d6: unvermeidlichen b7: ist,) a8: Natur, die zwar nicht mit d9: Stamm- und übrige Voreltern sämtlich d10: im angenommenen Fall a11: und also auch a12: ganz a13: moralischen Verderbtheit a14: Frömmigkeit a15: haben. Daher a16: jezt a17: würde es alsdann a18: sie a19: über diese b20: Dispositionen

124. /aDiese fehlerhafte angeerbte Disposition mag wohl a) zunächstb1 im |c170| Körper zu suchen seyn, und vielleichtb2 in einer Schwäche und allzugrossenb3 Reizbarkeit der Nerven und in der Leichtigkeit, mit welcher das Blut d4 in allzuheftige |d171| Wallung geräth, bestehen, wodurch dann auch die sinnlichen Triebe mehr Schnelligkeit und Heftigkeit bekommen, als d5 sie vermuthlich in einem fortdauernden Stande der Unschuld gehabt haben würden. Es läßt sich wenigstens begreifen,a\

aDaß aber, über dieses alles, eine angebohrne und von unsern Voreltern ererbte Zerrüttung der Natur zum Grunde liege bey der jetzigen Disposition |a81| unsrer Seele, nach welcher die sinnlichen Begierden von dem Augenblicke an, da die Vernunft wirksam zu werden beginnet, über diese ein unregelmäsiges Ubergewicht hat; und daß mithin nicht alles einzig und allein aus den §. 119. bemerkten Ursachen herzuleiten sey: wird um so weniger unglaublich scheinen, wenn man bedenckt,a
daß Zerrüttung der Seele /abey den Stammelterna\ nicht habe seyn können, ohne Zerrüttungd6 /aihrer Körper; (der muthmaslichen Wirkung der genossenen Frucht nicht zu gedenken);b7 a\a8 daß zerrüttete Körper natürlich keine andere als gleichfalls zerrüttete a9 erzeugen können; /aunda\ daß die Zerrüttung des Körpers /ader Kinder sicha\ unausbleiblich /aihrera\a10 Seele /amittheile. Ob aber auch eine verkehrte Disposition b) unmittelbard11 in die Seele der Kinder von den Voreltern übergehe, ist /bweder nöthig noch auchb\b12 wohl /bmöglichb\ zu entscheiden/b, indem die Bibel hierüber keine deutliche und bestimmte Belehrungen giebtb\. Inzwischen, obgleich lasterhafte Neigungen der Eltern nicht immer auf die Kinder forterben, so scheint es doch /bnicht unmöglichb\b13a\a14, daß /aeinea\ verkehrte /aDispositiona\a15, welche in der ganzen /alangena\ Reihe der Voreltern ohne Ausnahme/a, wenn schon mit tausernderley Modifikationenb16,a\ angetroffen wirda17, auf die Disposition der Seele a18 der Kinder einen Einfluß |c171| /ahabe. Die eigentliche Beschaffenheit aber dieser |b129| angeerbten Disposition der Seele, falls man eine solche annimmt, läßt sich anders nicht, als durch ihre Folgen beschreiben, |d172| welche darin gesetzt werden müßten, daß die Vernunft so sehr leicht von der Sinnlichkeit überwältiget wird; daß wir, ohne ausserordentlicheb19 Reize und Verführungen und bey einer nicht sorglosen Erziehung doch viel leichter bös werden, als bey aller möglichen angewandten Mühe gut u. s. f.a\a20

b1: zunächst b2: vielleicht b3: allzugroßen d4: bey sinnlichen Reizen allerley Art d5: daß die Vernunft sie leicht im Zaume halten könnte, und als d6: Zerrütung b7: gedenken;) a8: des Körpers; a9: Körper a10: sich der d11: unmittelbar b12: nicht b13: nicht unmöglich a14: mittheile; und daß man nicht sehe, warum es unmöglich seyn sollte, sondern vielmehr es an sich schon für glaublich halten müße a15: Dispositionen des Gemüths und unordentliche Neigungen b16: Modificationen a17: werden a18: und die Neigungen b19: auserordentliche a20: haben.

125. Diese /averkehrtea\a1 Disposition, mit welcher itzta2 alle d3 geborena4 werden, /awo sie auch immer ihren eigentlichen Sitz haben und worin sie bestehen mag, verursachet, daß es keinen d5 Menschen, welcher zum Gebraucha\a6 seiner Vernunft gelangt ist, /agiebt,a\ welcher /abnicht Gottes Gesetz mannichfaltig überträte, und daherab\ vor Gott ab7 strafwürdig wäre. Eph. 2, 3. Doch ist gewißa8, a) daß alleinab9 um des angebohrnen Verderbens willen /abniemand verdammtab\ab10 werde; vergl. Röm. 5, 15. 18. daher wir wegen des künftigen Schicksals der Kinder, welche vor erlangtem Gebrauche der Vernunft versterben,a11 (auch der ungetauften) unbekümmert seyn dürfen; b) daß die Zerrüttung der Natur des Menschen die Moralität seiner freien Handlungen keineswegsab12 aufhebe, noch deren Strafbarkeit, wenn sie böse sind, wegnehme, |c172| oder dem Menschen zur Entschuldigungab13 diene. Röm. 1, 20. Denn hat gleich der Mensch natürlich einen Hang /azum sündigena\a14, d15 so muß er doch nicht sündigen, d16 sondern er /akann durch seine Vernunfta\a17 Gott erkennen, Röm. |a82| 1, 20. hat ein Gesetz von Gott ins Herz geschrieben, Röm. 2, 15. ist mit sehr mannichfaltigen natürlichen Anlagen, das was dieses Gesetz fordert, zu thun, versehen, (§. |b130| 114.) kanna18 daher Gutes thun und Böses meiden, (/aEbendas.a\a19) und Gott verschafft jedem Menschen so viele Hülfen, als nöthig sind, die unordentliche Sinnlichkeit zu bändigen, und urtheilt über jeden nach dem Gebrauche, den er von den ihm dargebotenen Mitteln gemacht hat. Röm. 2, 12.

a1: der hohen Bestimmung des Menschen entgegen laufende a2: jezt d3: natürlich erzeugte Menschen a4: gebohren d5: solchen a6: kan Gott nicht anders als misfällig seyn. Es ist auch kein Mensch, der zum Gebrauche ab7: nicht a8: gewis ab9: allein ab10: niemand verdammt a11: versterben ab12: keineswegs ab13: Entschuldigung a14: zur Sünde d15: und reizt ihn gleich seine eigene Lust zur Sünde, Jak. 1, 14. d16: und am wenig|d173|sten ist er gezwungen gerade diese oder jene Sünde zu begehen, a17: kan, vermöge seiner natürlichen Kräfte a18: kan a19: §. 116.

126. Man muß sich nichtab1 einbilden, daß durch Adams Sünde /abder von Gott gemachte Plan zernichtetab\ab2 worden sey. Vielmehr hat der Allwissende jene Sünde mit allen ihren Folgen vorhergesehen, (§. 42.) und der Allweise und Allgütige Vater der Menschen hat /a/bvon Ewigkeit herb\b3 beschlossen diesb4 alles zuzulassena\a5. (§. /a66. 44. cd6a\a7) Es muß also der unendliche Verstand des Allerheiligsten erkannt haben, daß durch diese wirklich gewordene Reihe von Veränderungen, am Ende und im Ganzen genommen, die größtea8 mögliche Summe des Guten für das menschliche Geschlecht und das Geisterreich erhalten |c173| werden würde, daß hingegen dießd9 nicht zu erreichen gewesen wäre, wenn Gott dend10 ersten Menschen noch vollkommener erschaf|d174|fen, oder alle Gelegenheit zu fehlen von ihmd11 entfernt, oder ein anderes menschliches Individuum an Adams Stelle gesetzt, oder diesen in jenem kritischen Zeitpunkte durch /abdüber natürlicheabd\abd12 Einwirkungen vor dem Sündigenab13 gesichert, oder die Folgen seines Falles auf seine Nachkommen übernatürlicher Weise gehindert hätte. Ja, es ist so schwehr nicht einzusehen, wie es zugehe, daß selbst /abdie Sünde zur Vermehrung des Gutenab\ab14 und zur Veredlung des Menschen mitwirkenab15 müsse, und daß der Mensch ohne Fehlbarkeit unfähig seyn würde, alle ihm mögliche Stufen |b131| der Vollkommenheit durchzulaufen, und eben hierdurch von einer Stufe der Glückseligkeit zur andern, auf eine moralische Art, sich hinaufzuschwingen. Und so ist bey |a83| dem Menschen, so wie in der ganzen Welt, alles in steter successiver Entwickelung, und stetem Emporstreben nach höherer Vollkommenheit. Und Gott weiß das Böse (das ihm immer misfällig, und das an sich immer strafbar bleibt),ab16 zu grösseremab17 Guten anzuwenden. – So kannte dann auch Gott schon von Ewigkeit her die Mittel, wodurch die Wiederherstellung des Menschengeschlechts bewirkt werden würde, übersahe den ganzen Erfolg derselben, und |c174| beschloß, mit der Zulassung des Falles, zugleich auch ihre wirkliche Anwendung.

ab1: nicht ab2: der von Gott gemachte Plan zernichtet b3: von Ewigkeit her b4: dieß a5: von Ewigkeit her beschloßen dieß alles zuzulaßen d6: c. a7: 67. 75. a8: gröste d9: dies d10: die d11: ihnen abd12: übernatürliche ab13: sündigen ab14: die Sünde zur Vermehrung des Guten ab15: mitwirken ab16: bleibt,) ab17: gröserem (a); größerem (b)

|d175| 127. Sollte dem so sehr in Verfall gerathenen Menschengeschlecht geholfen werden, so mußtena1 Mittel geschaftd2 werden, die hinreichten a) den Verstand der Menschen über ihre Bestimmung und Pflichten aufzuklären; b) sie von der Liebe Gottes, und /avona\ dessen Fürsorge für sie und ihre ewige Wohlfarth, zu /dversichern; c)d\d3 einen festen Grund zu legen, auf welchen sich ihre Zuversicht stützen könnte, daß die verdienten Strafen ihnen erlassen werden, und sie des göttlichen Wohlgefallens wieder fähig seyna4; d)d5 zur Liebe und Vertrauen zu Gott sie kräftig zu reizen; e)d6 die unregelmäßigea7 Gewalt der unordentlichen Begierden so zu vermindern, daß die Vernunft wieder die Herrschaft über sie führen könnte; f)d8 sie dahin zu bringen, daß eine Fertigkeit in einem aus Liebe und Gehor|b132|sam gegen Gott entspringenden Bestreben nach allgemeiner moralischer Vollkommenheit in ihnen entstünde.

a1: musten d2: geschafft d3: versichern, und a4: seyen d5: c) d6: d) a7: unregelmäsige d8: e)

128. /aa)a\ Die hiezu dienlichen Mittel hat der allweise Gott nach einem ganz freien Rathschlusse /a(§. 67.)a\ festgesetzt, 1 Cor. 1, 21. 23. Col. 1, 19. 20. a1 Act. 4, 27. 28. und |c175| aus unendlicher Liebe und Erbarmung gegen das gefallene Menschengeschlecht veranstaltet. Joh. 3, 16. Röm. 5, 8. Eph. 1,d2 7. 2, 4. Tit. 3, 4–7. 1 Joh. 4, 9. 10. 19. /ab)a\ Der |a84| Mittelpunkt aber /adera\a3 auf die Wiederherstellung der Menschen abzielenden Anstalten, ist die durch |d176| Christum geschehene Erlösung derselben.d4 1 Cor. 1, 17. 18. 23. 24. 2, 2. a5 1 Tim. 1, 15. /aHebr. 5, 9.a\a6 Durch sie wird alles vollständig bewirkt, was nur (nach §. 127.) dazu gehört, die in Verfall gerathenena7 Menschen zu Erreichung ihrer grossenab8 Bestimmung wieder geschickt zu machen, 1 Cor. 1, 23. 24. 30. indem durch sie die Menschen /atheilsa\ von ab10 Strafübeln /abund der Furcht dafürab\ befreiet, theilsa11 der höchsten Beweise der Gnade Gottes empfänglich gemacht werden. Joh. 3, 16. Eph. 1, 7. /a/d2 Cor. 5d\d12, 14. 15. 196, 1. Röm. 8, 3. 4.a\a13 Tit. 2, 14. /ac)a\a14 Und auf diese Erlösung hatten schon die frühern Anstalten Gottes ihre Beziehung; vornemlichabd15 die in der Familie und unter den Nachkommen Abrahams gemachten, jedoch zum Theil auch die unter andern Völkern getroffenen. Sie waren Vorbereitungen, welche die Weisheit Gottes für nöthig fand, Gal. 3, 19. 23d16 4, 5. auf die /ad)a\ von Gott bestimmte Zeit, /aGal. 4, 4. Eph. 1, 10.a\ in wel|b133|cher der ewige Rathschluß Gottes /aEph. 1, 4. 1 Petr. 1, 20.a\ ausgeführt werden /asollenb17.a\a18

a1: Luc. 22, 22. d2: 1. a3: von allen d4: derselben a5: 3, 11. a6: Röm. 5, 21. a7: gerathene ab8: grosen (a); großen (b) ab10: den a11: und d12: 25 a13: Col. 1, 14. a14: Röm. 8, 3. 4. abd15: vornehmlich d16: 23. b17: sollte a18: sollte. Gal. 4, 4. Eph. 1, 10.

|c176| 129. /aa)a\ Gleichwie die Liebe Gottes über alle Menschen sich erstreckt, Joh. 3, 16. Röm. 2, 11. /a10, 12.a\ 11, 32. 1 Tim. 2, 4. /a5. Tit. 3, 4.a\ so verordnete er auch Christum zum Erlöser aller Menschen. Joh. 3, 16. Röm. 5, 15. 18. 2 Cor. 5, 14. 15. |d177| 1 Tim. 2, 6. Tit.d1 2, 11. /ab)a\ Weil aber die Natur der Sache mit sich bringet, daß zur wirklichen Theilnehmung an den Früchten der Erlösung die freie Einwilligung der Menschen und die Befolgung einer ihnen vorgeschriebenen Ordnung erfordert werde; Marc. 16, 16. Joh. 3, 15–18. Röm. 1, 16. 1 Cor. 1, 18. welches ohne Kenntnis von derselben nicht möglich war; Joh. 17, 3. so war nöthig, daß Gott die geschehene Erlösung, und die Bedingungen, unter welchen man an ihr Antheil bekommt, /abekannt machtea\a2. Röm. 10, 13–17. /ac)a\ Allein Geschichte |a85| und Erfahrungab3 bezeugen, daß diese Bekanntmachung nicht unter allen Völkern aller Zeiten und bey allen Menschen geschehen sey; (§. 7. nr. 6.) und die Bibel lehret, daß dieser Unterschied auf einem freien Rathschlusse /abGottesab\, welcher sich auf das untrüglich eingesehene Beste des Ganzen gründet, Röm. 11d4, 12–32.a5 eben so beruhe in Absicht der Personen und der Zeit, Röm. 8, 30. 9, 6–31.a6 11, 5. 6. Eph. 1, 4–6. 9. 11. /a2, 8. 9.a\ Col. 1, 26. 27. 2 Tim. 1, 9. 1 Cor. 1, 30. a7 Röm. 16, |c177| 25. 26. /a1 Cor. 2, 7.a\ Eph. 3, 10. 11. wie ehemals die den Nachkommen Abrahams vor andern Völkern verliehenen Vorzüge Röm. 3, 1. 2. 9, 4. |b134| 5. 11, 1. 2. 28. Eph. 2, 11. 12. d8 einen freien Rathschluß Gottes, nicht aber ein vorhergegangenes vorzügliches Verdienst, zum Grunde hatten. Röm. 9, 11. 12.

d1: Tit[.] a2: bekannt machte ab3: Erfarung d4: 1 a5: 11–32. a6: 11–21. a7: 2, 7. d8: gleichfalls

|d178| 130. /aa)a\ Durch was für Mittel nun Gott diejenigenab1 Menschen zu ihrer grossenab2 Bestimmung führe, welchen die Kenntnis der geschehenen Erlösung, und der Ordnungd4 in welcher man an ihr theilnimmt, mangelt, darüber können wir unbekümmert /aseyn, ob wir uns gleich bey einigem Nachdenken von der Wahrheit überzeugen können, daß Gott auch an ihnen sich nicht unbezeugt gelassen habe. Act. 14, 16. 17. b)a\a5 Genug, daß es der unendlichen Weisheit nicht an Mitteln hiezu fehlen kanna6; daß auch sie vernünftige, und mit Fähigkeiten und Anlagen zu höherer Glückseligkeit begabteab7 Geschöpfe Gottes sind; daß er der allgütige Vater aller Menschen ohne Unterschied ist, /a(§. 129. a.)a\a8 der aller Menschen wahres Wohl ernstlich will,ab9 Röm. 11, 32. 1 Tim. 2, 4. 2 Petr. 3, 9. Ezech. 33, 11. Matth. 23, 37. /aund von niemand mehr fordert, als ihm zu leisten möglich ist;a\ und daß Christus zum Besten aller Menschen /a(§. 129. a.)a\ gestorben /aist[.]bd10 c)a\a11 Uns kommt nur zu, die|c178|jenige Anweisung zur Seligkeit zu wissen und zu befolgen, welche uns Christen in der Bibel gegeben ist; nicht aber andere zu richten und zu verdammen.

ab1: diejenige ab2: grosen (a); großen (b) d4: Ordnung, a5: seyn. a6: kan ab7: begnadigte a8: Röm. 10, 12. 1 Tim. 2, 5. Tit. 3, 4. ab9: will; bd10: ist. a11: ist. (§. 129.)

131. /a*) a)a\ Von Ewigkeit her ist es der /aunveränderlichea\ Wille Gottes, daß alle Menschen |d179| so |b135| vieler Glückseligkeit theilhaftig werden sollen, als nur ihre Empfänglichkeit verstattet; (§. 48. 43.) folglich ist es auch sein Wille, daß alle |a86| Menschen zur Seeligkeitab1 des künftigen Lebens gelangen sollen, die nicht durch unterlassenen Gebrauch der ihnen möglichen Mittel, und durch Widerspenstigkeit gegen die von Gott festgesetzte und ihnen bekannt gemachte Ordnung, sich selbst von derselben ausschliessenab2. Marc. 16, 16. /abd3)a\ Da nun Gott das freie Verhalten eines jeden einzelnen Menschen in Absicht auf die Ordnung, welche era4 befolgen muß um selig werden zu können, von Ewigkeit vorhergesehen hat; so weiß er auch von jedem einzelnen Menschen untrüglich voraus, ob auch er werde selig werden, oder |c179| nicht. /ac)a\ Und da der Rathschluß Gottes über die Welt, alle Dinge und alle Veränderungen derselben, die jemals wirklich werden, umfasset; (§. 67.a5) so sind auch die Schicksale jedes Menschen unmittelbar nach seinem Tode, in diesem ewigen Rathschlusseab6 Gottes mit begriffen. /ad)a\ Es wird daher auch dieser Theil des /agöttlichen Rathschlussesa\a7 eben so gewißa8 vollzogen, und ist eben so unveränderlich, |d180| als alle andere Theile desselben, weil er auf einer untrüglichen Vorhersehung beruhet, und die einem jeden Menschen vorgeschriebene Ordnung eben so unveränderlich ist, als es der Wille Gottes ist, jedend9 der sie befolgt, aber auch nur diesen, selig zu machen.

/a*) Was dem Christen von der so genannten Prädestinationd10 allenfalls zu wissen nützlich seyn könnte, |d179*| läßt sich sehr kurz, wie hier geschehen ist, zusammenfassen. /bOhnehin fällt der Anlaß zu manchen Mißverständnissen von selbst weg, wenn der Lehrer die §. 129. c. angeführte und andre diesen ähnliched11 Stellen der Bibel bey Gelegenheit richtig erklärt.b\a\
ab1: Seligkeit ab2: ausschließen d3: b. a4: man a5: b. ab6: Rathschluße a7: göttl. Rathschlußes a8: gewis d9: jedem d10: Prädestination d11: änliche