|b120| Zweyter Abschnitt.
Pastoraltheologie und Kirchenrecht.

68.

Die Absicht, wozu man unter uns besondre Religionslehrer bestellt, ist keinesweges, daß sie bloß in der Religion unterrichten, und öffentlich lehren sollen. Man weiset denen, die nicht solche Lehrer selbst bilden oder regieren, oder die sich nicht nur auf Unterricht und Erziehung der Jugend einschränken sollen, also den eigentlichen sogenannten Geistlichen und Pastoren, besondre Gemeinen an, die sie, in Absicht auf alles, was zum Gottesdienst und zu dem nach den Vorschriften der Religion einzurichtenden Verhalten, gehört, regieren, also dahin arbeiten sollen, daß sie denenjenigen, welche ihnen in dieser Absicht anvertraut sind, nicht nur die Religion bekannt machen, und dringend empfehlen, sondern ihnen auch bey allen solchen Angelegenheiten zu Hülfe kommen, und die Ausübung jener Vorschriften befördern. Sie sollen keine bloße Prädicanten, sie sollen auch, wenn man sie so nennen darf, Vormünder, Erzieher, Rathgeber und Aufseher ihrer Anvertrauten in allen solchen geistlichen Angelegenheiten seyn.Die Absicht, wozu man unter uns besondre Religionslehrer bestellt, ist keinesweges, daß sie bloß in der Religion unterrichten, und öffentlich lehren sollen. Man weiset denen, die nicht solche Lehrer selbst bilden oder regieren, oder die sich nicht nur auf Unterricht und Erziehung der Jugend einschränken sollen, also den eigentlichen sogenannten Geistlichen und Pastoren, besondre Gemeinen an, die sie, in Absicht auf alles, was zum Gottesdienst und zu dem nach den Vorschriften der Religion einzurichtenden Verhalten, gehört, regieren, also dahin arbeiten sollen, daß sie denenjenigen, welche ihnen in dieser Absicht anvertraut sind, nicht nur die Religion bekannt machen, und dringend empfehlen, sondern ihnen auch bey allen solchen Angelegenheiten zu Hülfe kommen, und die Ausübung jener Vorschriften befördern. Sie sollen keine bloße Prädicanten, sie sollen auch, wenn man sie so nennen darf, Vormünder, Erzieher, Rathgeber und Aufseher ihrer Anvertrauten in allen solchen geistlichen Angelegenheiten seyn.

|b121| 69.

Ohne dieses würde auch der Zweck, den man bey Einführung eines besondern Standes, zur Aufrechterhaltung und Beförderung der Religion gehabt hat, nicht hinlänglich, es würde selbst nicht einmal der Zweck des Predigens, erreicht werden. – Der Mensch vergißt nur gar zu leicht, seine gute Erkenntniß anzuwenden, und dann ist sie für ihn unnütz; sie ist sogar alsdann, je ausgebreiteter sie ist, auch um so schädlicher, weil, was der Mensch nicht geflissentlich zum Guten anwendet, unvermerkt ein Werkzeug wird, seinen Eigennutz und Leidenschaften noch mehr zu befriedigen, wenigstens sich zu gewöhnen, gleichgültig auch bey der besten Erkenntniß zu bleiben, und unempfindlich gegen ihre Eindrücke zu werden. Und wenn er sie auch anwenden will, so macht doch die Verlegenheit, in der er sich über die Art befindet, wie er sie bey vorkommenden Fällen anwenden soll, oder die Collision zwischen seinen verschiednen Pflichten und der Kampf zwischen seinen guten Grundsätzen und seinen Leidenschaften, daß er sie nicht wirklich anwendet, weil er sie nach Beschaffenheit der vorliegenden Umstände nicht zu wählen oder anzuwenden versteht. Wenn sich nun die wenigsten Menschen in geistigen Angelegenheiten recht gut zu benehmen wissen, zumal wenn sie durch ihre Lebensart und Beschäftigungen gewöhnt sind, weniger an unsichtbare als sichtbare Dinge zu denken, und sich mehr durch äussere Vortheile als durch Grundsätze des Gewissens |b122| leiten zu laßen; wenn sie an ihre Pflicht und an die Lehren der Religion, die sie über andre Beschäftigungen oder Zerstreuungen vergessen, oft wieder müssen erinnert werden; und wenn sie bey zweifelhaften Gewissensfällen sich weder selbst helfen können, noch von ihres gleichen berathen werden: so bedürfen sie nur gar zu sehr eines besondern Führers, der sie gewissenhaft und mit Klugheit leite, oder zu dem sie, als zu einem, der in solchen Angelegenheiten erfahrner und gewandter ist, ihre Zuflucht nehmen können.Ohne dieses würde auch der Zweck, den man bey Einführung eines besondern Standes, zur Aufrechterhaltung und Beförderung der Religion gehabt hat, nicht hinlänglich, es würde selbst nicht einmal der Zweck des Predigens, erreicht werden. – Der Mensch vergißt nur gar zu leicht, seine gute Erkenntniß anzuwenden, und dann ist sie für ihn unnütz; sie ist sogar alsdann, je ausgebreiteter sie ist, auch um so schädlicher, weil, was der Mensch nicht geflissentlich zum Guten anwendet, unvermerkt ein Werkzeug wird, seinen Eigennutz und Leidenschaften noch mehr zu befriedigen, wenigstens sich zu gewöhnen, gleichgültig auch bey der besten Erkenntniß zu bleiben, und unempfindlich gegen ihre Eindrücke zu werden. Und wenn er sie auch anwenden will, so macht doch die Verlegenheit, in der er sich über die Art befindet, wie er sie bey vorkommenden Fällen anwenden soll, oder die Collision zwischen seinen verschiednen Pflichten und der Kampf zwischen seinen guten Grundsätzen und seinen Leidenschaften, daß er sie nicht wirklich anwendet, weil er sie nach Beschaffenheit der vorliegenden Umstände nicht zu wählen oder anzuwenden versteht. Wenn sich nun die wenigsten Menschen in geistigen Angelegenheiten recht gut zu benehmen wissen, zumal wenn sie durch ihre Lebensart und Beschäftigungen gewöhnt sind, weniger an unsichtbare als sichtbare Dinge zu denken, und sich mehr durch äussere Vortheile als durch Grundsätze des Gewissens |b122| leiten zu laßen; wenn sie an ihre Pflicht und an die Lehren der Religion, die sie über andre Beschäftigungen oder Zerstreuungen vergessen, oft wieder müssen erinnert werden; und wenn sie bey zweifelhaften Gewissensfällen sich weder selbst helfen können, noch von ihres gleichen berathen werden: so bedürfen sie nur gar zu sehr eines besondern Führers, der sie gewissenhaft und mit Klugheit leite, oder zu dem sie, als zu einem, der in solchen Angelegenheiten erfahrner und gewandter ist, ihre Zuflucht nehmen können.

70.

Hiezu, und um selbst die eigentlichen Predigten ganz nach den Kenntnissen und Bedürfnissen der besondern Zuhörer einzurichten, ist ja dem Lehrer ein näherer Umgang mit diesen nöthig, ohne welche er jene nicht zuverläßig kan kennen lernen. Da erst lernt er ihre Vorurtheile, ihre Mißverständnisse, ihre Gesinnung gegen das Gute, ihre Leidenschaften, die ihnen eignen Hindernisse des Guten, die besondern Quellen der Unordnungen, überhaupt woran es ihnen fehle, wie ihnen am besten beyzukommen sey, und wie er sie nach ihren besondern Umständen behandeln müsse. Er kan auch da am besten ihre Entschuldigungen oder Gegenvorstellungen hören, mehr mit ihnen im Ton einer freundschaftlichen Unterredung als in dem auf der Canzel üblichen Lehrton reden, mehr sich auf das Besondre einlaßen, die Gemüther besser gewinnen, und sie selbst zu öffentlichen heilsamen Anstalten und Ver|b123|besserungen zubereiten, und williger machen. Bey dem größesten Theil der Menschen wirkt Ansehen und Vertrauen, das jemand bey ihnen hat, wirken gute Beyspiele mehr, als die bündigsten Vorstellungen und Gründe. – Wie soll sich der Prediger jenes erwerben, wenn sein ganzes Betragen nicht eben so für ihn spricht als seine Geschicklichkeit im Vortrage; wenn er seine Bemühungen um das Beste seiner Zuhörer auf die wenigen Stücken einschränkt, die zum eigentlichen öffentlichen Gottesdienste bestimmt sind, und nicht eben den geflissentlichen Eifer für ihr Wohl überall, wie auf der Canzel, zeigt; wenn sie ihn nur als einen Mann kennen lernen, der in feyerlichen Fällen sein Amt verrichtet, aber nicht im nähern vertraulichen Umgange sich ihrer eben so, und noch eigentlicher, annimmt, der mehr der Mann der Gemeine als aller einzelnen Glieder ist, der nur erbeten sie besucht, nicht um selbst nach ihren Angelegenheiten zu sehen, der durch sein eignes Beyspiel das leidige Vorurtheil bestätigt, daß das Christenthum nur in die Kirche und nicht ins ganze Leben gehöre? Was kan die beste Predigt fruchten, wenn er selbst nicht mit freyem Gewissen reden kan; selbst das Vorurtheil gegen sich erregt hat, daß er das nicht glaube, oder ernstlich meine, was er öffentlich sagt; wenn er durch einen schlechten oder unvorsichtigen Wandel gute Eindrücke des Vortrags wieder zerstört, im Umgange gar nicht, oder mit Gleichgültigkeit, von Religions- und Gewissenssachen spricht, oder durch Unbesonnenheit und Mangel der Klugheit |b124| das Vertrauen wieder verscherzt, was er sich durch Eifer für die Religion erworben hatte? Wie mächtig hingegen wird er auf seine Anvertrauten wirken, wenn durchaus sein ganzes Betragen, seine Uneigennützigkeit, sein Fleiß, seine Gutthätigkeit und Behäglichkeit, seine Gewissenhaftigkeit, seine Klugheit, seine Ordnung, sein, auch unter dem Druck und Leiden, immer guter Muth u. d. gl. beweiset, daß er der Mann ist, der er seyn soll oder scheinen will, der durch sen Beyspiel zeigt, was die Kraft der Religion vermag, wenn man sich ihr von ganzem Herzen weyht, und der eben diese Tugenden so durch sein ganzes Beyspiel empfiehlt?Hiezu, und um selbst die eigentlichen Predigten ganz nach den Kenntnissen und Bedürfnissen der besondern Zuhörer einzurichten, ist ja dem Lehrer ein näherer Umgang mit diesen nöthig, ohne welche er jene nicht zuverläßig kan kennen lernen. Da erst lernt er ihre Vorurtheile, ihre Mißverständnisse, ihre Gesinnung gegen das Gute, ihre Leidenschaften, die ihnen eignen Hindernisse des Guten, die besondern Quellen der Unordnungen, überhaupt woran es ihnen fehle, wie ihnen am besten beyzukommen sey, und wie er sie nach ihren besondern Umständen behandeln müsse. Er kan auch da am besten ihre Entschuldigungen oder Gegenvorstellungen hören, mehr mit ihnen im Ton einer freundschaftlichen Unterredung als in dem auf der Canzel üblichen Lehrton reden, mehr sich auf das Besondre einlaßen, die Gemüther besser gewinnen, und sie selbst zu öffentlichen heilsamen Anstalten und Ver|b123|besserungen zubereiten, und williger machen. Bey dem größesten Theil der Menschen wirkt Ansehen und Vertrauen, das jemand bey ihnen hat, wirken gute Beyspiele mehr, als die bündigsten Vorstellungen und Gründe. – Wie soll sich der Prediger jenes erwerben, wenn sein ganzes Betragen nicht eben so für ihn spricht als seine Geschicklichkeit im Vortrage; wenn er seine Bemühungen um das Beste seiner Zuhörer auf die wenigen Stücken einschränkt, die zum eigentlichen öffentlichen Gottesdienste bestimmt sind, und nicht eben den geflissentlichen Eifer für ihr Wohl überall, wie auf der Canzel, zeigt; wenn sie ihn nur als einen Mann kennen lernen, der in feyerlichen Fällen sein Amt verrichtet, aber nicht im nähern vertraulichen Umgange sich ihrer eben so, und noch eigentlicher, annimmt, der mehr der Mann der Gemeine als aller einzelnen Glieder ist, der nur erbeten sie besucht, nicht um selbst nach ihren Angelegenheiten zu sehen, der durch sein eignes Beyspiel das leidige Vorurtheil bestätigt, daß das Christenthum nur in die Kirche und nicht ins ganze Leben gehöre? Was kan die beste Predigt fruchten, wenn er selbst nicht mit freyem Gewissen reden kan; selbst das Vorurtheil gegen sich erregt hat, daß er das nicht glaube, oder ernstlich meine, was er öffentlich sagt; wenn er durch einen schlechten oder unvorsichtigen Wandel gute Eindrücke des Vortrags wieder zerstört, im Umgange gar nicht, oder mit Gleichgültigkeit, von Religions- und Gewissenssachen spricht, oder durch Unbesonnenheit und Mangel der Klugheit |b124| das Vertrauen wieder verscherzt, was er sich durch Eifer für die Religion erworben hatte? Wie mächtig hingegen wird er auf seine Anvertrauten wirken, wenn durchaus sein ganzes Betragen, seine Uneigennützigkeit, sein Fleiß, seine Gutthätigkeit und Behäglichkeit, seine Gewissenhaftigkeit, seine Klugheit, seine Ordnung, sein, auch unter dem Druck und Leiden, immer guter Muth u. d. gl. beweiset, daß er der Mann ist, der er seyn soll oder scheinen will, der durch sen Beyspiel zeigt, was die Kraft der Religion vermag, wenn man sich ihr von ganzem Herzen weyht, und der eben diese Tugenden so durch sein ganzes Beyspiel empfiehlt?

71.

Noch sind zwey ganz einander entgegenstehende Dinge, die jedes in seiner Art den großen Nutzen verhindern, den ein rechtschaffner Geistlicher für die Religion stiften könnte. – Verachtung – und Achtung, die auf Anderer falschen Begriffen von Religion und von seinem Amte beruht. – Wer überzeugt ist, daß die Religion mit keiner magischen Kraft, sondern durch Vorstellungen, wirkt, und daß jede vermeinte Besserung oder Beruhigung, die nicht auf diese Art entsteht, bloße Täuschung und Selbstbetrug ist: dem muß es wehe thun, wenn auch Menschen, die keine Verächter der Religion sind, ihm in Religionssachen blind glauben, oder seinen, besonders gottesdienstlichen, Handlungen, Gebet, Absolution, Segensprechen u. d. gl. oder von ihm |b125| geweyheten Sachen, eine Kraft beylegen, die ihnen alles, was auf ihrer Seite nöthig wäre, erspart, oder höchstens eine sinnliche Andacht für den Augenblick erfordert; weil diese Art zu denken, falsche Religionsbegriffe, Sicherheit und Trägheit, nährt, wahre Besserung verhindert, und, statt Gewissenhaftigkeit, Gewissenlosigkeit verursacht. Bloßes Predigen dagegen wird wenig helfen, weil solche Einbildungen dem Menschen gar zu bequem sind, und sich bey der größesten unaufgeklärten Classe der Menschen durch gewisse dunkle oder undeutliche Vorstellungen von dem Göttlichern und Wundervolleren, das in unmittelbaren (ohne ihre Mitwirkung erfolgenden) Wirkungen Gottes liege, empfehlen und erhalten. Aber fleißiger, erbaulicher Umgang des Predigers kan desto mehr thun; weil er da mehr die oft sonderbaren Ursachen ihrer Einbildungen erfahren, und diesen entgegen arbeiten kan; weil sie ihn da als einen Menschen gleich wie sich kennen lernen, der keine mehrere Kraft, Menschen selig zu machen, und Unglück von ihnen abzuwenden hat, als sie, in ihrer Art, wenn sie wollen, auch erlangen können; und vornemlich, weil er sie da immer mehr gewöhnen kan, nur in Gottes Wort, d. i. nur in Betrachtung der göttlichen Wahrheit und deren Anwendung aufs ganze Leben, Trost zu suchen, und dieses als das alleinige und unentbehrliche Mittel zu ihrer immer mehrern Besserung überall zu gebrauchen.Noch sind zwey ganz einander entgegenstehende Dinge, die jedes in seiner Art den großen Nutzen verhindern, den ein rechtschaffner Geistlicher für die Religion stiften könnte. – Verachtung – und Achtung, die auf Anderer falschen Begriffen von Religion und von seinem Amte beruht. – Wer überzeugt ist, daß die Religion mit keiner magischen Kraft, sondern durch Vorstellungen, wirkt, und daß jede vermeinte Besserung oder Beruhigung, die nicht auf diese Art entsteht, bloße Täuschung und Selbstbetrug ist: dem muß es wehe thun, wenn auch Menschen, die keine Verächter der Religion sind, ihm in Religionssachen blind glauben, oder seinen, besonders gottesdienstlichen, Handlungen, Gebet, Absolution, Segensprechen u. d. gl. oder von ihm |b125| geweyheten Sachen, eine Kraft beylegen, die ihnen alles, was auf ihrer Seite nöthig wäre, erspart, oder höchstens eine sinnliche Andacht für den Augenblick erfordert; weil diese Art zu denken, falsche Religionsbegriffe, Sicherheit und Trägheit, nährt, wahre Besserung verhindert, und, statt Gewissenhaftigkeit, Gewissenlosigkeit verursacht. Bloßes Predigen dagegen wird wenig helfen, weil solche Einbildungen dem Menschen gar zu bequem sind, und sich bey der größesten unaufgeklärten Classe der Menschen durch gewisse dunkle oder undeutliche Vorstellungen von dem Göttlichern und Wundervolleren, das in unmittelbaren (ohne ihre Mitwirkung erfolgenden) Wirkungen Gottes liege, empfehlen und erhalten. Aber fleißiger, erbaulicher Umgang des Predigers kan desto mehr thun; weil er da mehr die oft sonderbaren Ursachen ihrer Einbildungen erfahren, und diesen entgegen arbeiten kan; weil sie ihn da als einen Menschen gleich wie sich kennen lernen, der keine mehrere Kraft, Menschen selig zu machen, und Unglück von ihnen abzuwenden hat, als sie, in ihrer Art, wenn sie wollen, auch erlangen können; und vornemlich, weil er sie da immer mehr gewöhnen kan, nur in Gottes Wort, d. i. nur in Betrachtung der göttlichen Wahrheit und deren Anwendung aufs ganze Leben, Trost zu suchen, und dieses als das alleinige und unentbehrliche Mittel zu ihrer immer mehrern Besserung überall zu gebrauchen.

|b126| 72.

Doch zu unserer Zeit mag Verachtung den Stand eines Geistlichen wohl mehr drücken, und das Gute, was er stiften könnte, erschweren. Gewissermassen liegt die Ursache in der immer wachsenden, und sich weiter ausbreitenden Aufklärung und Verfeinerung der Sitten. – Jene verursacht: daß bloßes Ansehen der Person oder des Standes weniger wirkt als ehedem, und man mit Recht Klarheit der Sache und Gründe verlangt, wo Ueberzeugung und Folgsamkeit entstehen soll; daß der Lehrer der Religion, wenn er vorzüglich gehört seyn, und Andre leiten will, auch vorzügliche Kenntnisse, wenigstens in der Religion, und, wenn man ihm auch diese erläßt, wenigstens vorzügliche Geschicklichkeit und Fertigkeit haben muß, Religionskenntnisse in einzelnen Fällen nützlich zu machen; daß man, bey der Vervielfältigung der wissenswürdigen Gegenstände, von ihm Kenntnisse und Geschicklichkeit auch in vielen andern Sachen, als bloß in der Religion, fordert. – Die Verfeinerung der Sitten will selbst jetzt mehr, daß er umgänglich, gesellig, unterhaltend, ein Mann von gutem Ton seyn soll, als sonst, wo man mit Schlecht und Recht zufrieden war, auch wohl dem Mangel guter oder feiner Lebensart nachsahe, wenn er durch exemplarisches Betragen ersetzt wurde. Mag diese Forderung übertrieben, mag wenigstens die allgemeine Forderung nicht bloß anständiger, sondern auch feiner Lebensart, ungerecht seyn: so |b127| gehört doch Bequemung nach Sitten, die auf bloß willkührlichen Begriffen vom Wohlstand beruhen mögen, wenn sie nichts Sündliches fordern, und Erwerbung solcher Kenntnisse und Geschicklichkeiten, die nicht zu unserm eigentlichen Beruf gehören – falls wir beydes, ohne Versäumung näherer und höherer Pflichten erlangen können, – zu der großen Pflicht, Allen Alles zu werden, ohne die man Viele nicht für die Religion gewinnen kan. Die andern erwähnten Folgen der Aufklärung aber sind so wünschenswürdig, und die darauf gegründeten Forderungen so gerecht, daß jene allen Geistlichen, die mehr Christi Ehre als ihre eigne suchen, lieb, diese aber, kräftige Ermunterung zu mehrerm Fleisse, seyn, und sie wie Paulus denken sollten Phil. 1, 18. und Kor. 13, 7. †) Doch zu unserer Zeit mag Verachtung den Stand eines Geistlichen wohl mehr drücken, und das Gute, was er stiften könnte, erschweren. Gewissermassen liegt die Ursache in der immer wachsenden, und sich weiter ausbreitenden Aufklärung und Verfeinerung der Sitten. – Jene verursacht: daß bloßes Ansehen der Person oder des Standes weniger wirkt als ehedem, und man mit Recht Klarheit der Sache und Gründe verlangt, wo Ueberzeugung und Folgsamkeit entstehen soll; daß der Lehrer der Religion, wenn er vorzüglich gehört seyn, und Andre leiten will, auch vorzügliche Kenntnisse, wenigstens in der Religion, und, wenn man ihm auch diese erläßt, wenigstens vorzügliche Geschicklichkeit und Fertigkeit haben muß, Religionskenntnisse in einzelnen Fällen nützlich zu machen; daß man, bey der Vervielfältigung der wissenswürdigen Gegenstände, von ihm Kenntnisse und Geschicklichkeit auch in vielen andern Sachen, als bloß in der Religion, fordert. – Die Verfeinerung der Sitten will selbst jetzt mehr, daß er umgänglich, gesellig, unterhaltend, ein Mann von gutem Ton seyn soll, als sonst, wo man mit Schlecht und Recht zufrieden war, auch wohl dem Mangel guter oder feiner Lebensart nachsahe, wenn er durch exemplarisches Betragen ersetzt wurde. Mag diese Forderung übertrieben, mag wenigstens die allgemeine Forderung nicht bloß anständiger, sondern auch feiner Lebensart, ungerecht seyn: so |b127| gehört doch Bequemung nach Sitten, die auf bloß willkührlichen Begriffen vom Wohlstand beruhen mögen, wenn sie nichts Sündliches fordern, und Erwerbung solcher Kenntnisse und Geschicklichkeiten, die nicht zu unserm eigentlichen Beruf gehören – falls wir beydes, ohne Versäumung näherer und höherer Pflichten erlangen können, – zu der großen Pflicht, Allen Alles zu werden, ohne die man Viele nicht für die Religion gewinnen kan. Die andern erwähnten Folgen der Aufklärung aber sind so wünschenswürdig, und die darauf gegründeten Forderungen so gerecht, daß jene allen Geistlichen, die mehr Christi Ehre als ihre eigne suchen, lieb, diese aber, kräftige Ermunterung zu mehrerm Fleisse, seyn, und sie wie Paulus denken sollten Phil. 1, 18. und Kor. 13, 7. †)
†) „Möchte doch Gott, nach meinem Wunsch, verhüten, daß ihr nie unrecht handeltet. Mags immer geschehen, daß unser Ansehn falle! wenn ihr nur immer recht handelt, und wir dann unser Ansehen nicht brauchen geltend zu machen.“ Dies ist wenigstens der Sinn dieser Stelle.

73.

Wollte Gott, es gäbe keine andre Ursachen dieser Verachtung! Freylich ist ein sehr großer Theil der Geistlichen selbst durch ihr Verhalten, in Absicht auf Lehre, Methode und Sitten, eben sowohl Schuld daran, als durch ihr Eindringen in einen Stand, wozu sie keinen innern Beruf |b128| haben, oder sich doch nicht dessen durch gewissenhaften Fleiß und redliche unermüdete Treue immer würdiger machen; ein Vorwurf, der eben so wahr, als bey der Anwendung gegen den Stand selbst höchst ungerecht ist, und, wenn er so oft geflissentlich hervorgezogen, und so unbestimmt gebraucht wird, bey aller Protestation gegen gehäßige Absichten, ganz andre Ursachen verräth, als bloßen Unmuth über viele unwürdige Mitglieder dieses Standes. Falsche und unedle Würdigung dieses Standes nach dem geringern Verhältniß, in dem er gegen Beförderung sichtbarer und unmittelbarer Vortheile der bürgerlichen Gesellschaft und des Nahrungsstandes steht; Mißgunst gegen billige Entschädigung des Verlustes der Zeit, der Kräfte, und anderweitiger Arten der Erwerbungsmittel, die gehöriger Fleiß, auf Geistesbeschäftigungen gewendet, nicht erlaubt; Mißvergnügen über einen Stand, der, selbst durch Erhaltung und Empfehlung der Religion, Tugend und Gewissenhaftigkeit, der Zügellosigkeit im Denken und in den Sitten entgegen, einem gewissenlosen zeitlichen Interesse im Wege steht, und Ausbrüche des letztern, wo nicht verhindert, doch erschwert, auf diese aufmerksam, und sie verabscheuungswürdig macht; und – worauf aller dieser Haß zuletzt beruht, – Gleichgültigkeit oder gar Verachtung gegen Religion und Tugend selbst, – sind unstreitig die vornehmsten Ursachen dieser bezeigten Verachtung eines Standes, den seine Absicht und sein unleugbar möglicher Einfluß auf die menschliche |b129| Wohlfahrt verehrungswürdig machen sollten. Jenen Haß durch ein würdiges Verhalten, durch vorzüglichen Fleiß, Treue, Klugheit, Unsträflichkeit, Gemeinnützigkeit, selbst durch Herablaßung zu menschlichen Schwachheiten, und vorsichtige Bequemung zu unschuldigen Gewohnheiten, zu entwaffnen, auch dies machts, daß die rechtschaffne Führung des geistlichen Amts weit mehr erfordert, als Geschicklichkeit im Vortrage, wenn man die ganze Absicht desselben erfüllen, und den so weit reichenden Nutzen stiften will, den es wirklich stiften kan.Wollte Gott, es gäbe keine andre Ursachen dieser Verachtung! Freylich ist ein sehr großer Theil der Geistlichen selbst durch ihr Verhalten, in Absicht auf Lehre, Methode und Sitten, eben sowohl Schuld daran, als durch ihr Eindringen in einen Stand, wozu sie keinen innern Beruf |b128| haben, oder sich doch nicht dessen durch gewissenhaften Fleiß und redliche unermüdete Treue immer würdiger machen; ein Vorwurf, der eben so wahr, als bey der Anwendung gegen den Stand selbst höchst ungerecht ist, und, wenn er so oft geflissentlich hervorgezogen, und so unbestimmt gebraucht wird, bey aller Protestation gegen gehäßige Absichten, ganz andre Ursachen verräth, als bloßen Unmuth über viele unwürdige Mitglieder dieses Standes. Falsche und unedle Würdigung dieses Standes nach dem geringern Verhältniß, in dem er gegen Beförderung sichtbarer und unmittelbarer Vortheile der bürgerlichen Gesellschaft und des Nahrungsstandes steht; Mißgunst gegen billige Entschädigung des Verlustes der Zeit, der Kräfte, und anderweitiger Arten der Erwerbungsmittel, die gehöriger Fleiß, auf Geistesbeschäftigungen gewendet, nicht erlaubt; Mißvergnügen über einen Stand, der, selbst durch Erhaltung und Empfehlung der Religion, Tugend und Gewissenhaftigkeit, der Zügellosigkeit im Denken und in den Sitten entgegen, einem gewissenlosen zeitlichen Interesse im Wege steht, und Ausbrüche des letztern, wo nicht verhindert, doch erschwert, auf diese aufmerksam, und sie verabscheuungswürdig macht; und – worauf aller dieser Haß zuletzt beruht, – Gleichgültigkeit oder gar Verachtung gegen Religion und Tugend selbst, – sind unstreitig die vornehmsten Ursachen dieser bezeigten Verachtung eines Standes, den seine Absicht und sein unleugbar möglicher Einfluß auf die menschliche |b129| Wohlfahrt verehrungswürdig machen sollten. Jenen Haß durch ein würdiges Verhalten, durch vorzüglichen Fleiß, Treue, Klugheit, Unsträflichkeit, Gemeinnützigkeit, selbst durch Herablaßung zu menschlichen Schwachheiten, und vorsichtige Bequemung zu unschuldigen Gewohnheiten, zu entwaffnen, auch dies machts, daß die rechtschaffne Führung des geistlichen Amts weit mehr erfordert, als Geschicklichkeit im Vortrage, wenn man die ganze Absicht desselben erfüllen, und den so weit reichenden Nutzen stiften will, den es wirklich stiften kan.
Alle diese wichtigen Eigenschaften sich zu erwerben, und vorbereiteter, als leider! von den meisten geschieht, dieses Amt anzutreten, wäre sehr zu wünschen, daß die Einrichtung gemacht würde, Keinem ein solches Amt anzuvertrauen, der sich nicht mehrere Jahre im Unterricht und Erziehung der Kinder, so wie, unter der Aufsicht erfahrner und verständiger Führer, in den künftig nöthigen Stücken der Seelsorge, es sey in Schulen, oder allenfalls Conditionen, oder bey einer Predigerstelle, wo er bloß auf der Probe wäre, geübt hätte, und dann, nach mehr oder weniger bewährt gefundener Fähigkeit, Geschicklichkeit, Fleiß und exemplarischen Betragen, zu wichtigern oder geringern Stellen selbst befördert würde. – Es wäre auch Pflicht der Vorgesetzten, bey Prüfung junger Geistlichen, keineswegs bloß nach ihren Kenntnissen, vornemlich practischen, sondern eben so sehr danach zu forschen, ob sie Klugheit, Bedachtsam|b130|keit, Eifer sich vollkommner zu machen, wenigstens Anlage und Neigung dazu, besäßen? ob ihr bisheriges Betragen exemplarisch gewesen? ob sie Interesse für Religion gezeigt hätten? So lange diese Einrichtungen nicht gemacht sind, ist es wenigstens Pflicht jedes rechtschaffnen jungen Mannes, selbst sich darüber zu prüfen, und erst jene Gelegenheiten zu suchen, ehe er ein Predigtamt begehret. – Eben so nothwendig wäre es, fleißige Revision der wirklich schon angestellten Prediger zu halten, und, – wenn es zu hart seyn möchte, unfleißige, bloß mechanisch ihr Amt treibende, ihrem Amte, nach ihrem besten Vermögen, keine Ehre machende Geistliche, davon zu entfernen, oder in weniger erfordernde Stellen zu versetzen, – doch die Bessern verhältnißmäßig zu belohnen. So lange dies nicht geschieht, sollte sich jeder rechtschaffne Mann selbst treiben. Denn Vorgesetzte sehen selten auf sie; und die gewöhnlichen Kirchenvisitationen, wo man oft allein darauf sieht, daß die Rechnungen ordentlich gehalten sind, daß keine Klagen, die sich allenfalls wohl abwenden oder entkräften laßen, einlaufen, oder Weitläuftigkeit machen, und daß die Schul- oder Pfarrkinder gut antworten können, helfen sehr wenig zu diesem Zwecke, zumal wenn der Prediger die Zeit vorher sehen kann, wenn sie sollen gehalten werden.

74.

Etwas Näheres nun über die ganze Art zu sagen, wie sich der Prediger, als wirklicher |b131| Seelsorger, bey allen Theilen seines Berufs zu benehmen habe, würde hier am unrechten Orte stehen. Das Allgemeinere, was hier Platz finden könnte, ist schon bisher bey Gelegenheit des Vortrags und dessen Einrichtung erwähnt, und das Uebrige §. 3 und 11. – Wie erlangt man aber die Kenntnisse, die zur gewissenhaften und klugen Führung dieses Amtes nöthig sind?Etwas Näheres nun über die ganze Art zu sagen, wie sich der Prediger, als wirklicher |b131| Seelsorger, bey allen Theilen seines Berufs zu benehmen habe, würde hier am unrechten Orte stehen. Das Allgemeinere, was hier Platz finden könnte, ist schon bisher bey Gelegenheit des Vortrags und dessen Einrichtung erwähnt, und das Uebrige §. 3 und 11. – Wie erlangt man aber die Kenntnisse, die zur gewissenhaften und klugen Führung dieses Amtes nöthig sind?

75.

Manches ist zwar jeden Ortes durch Kirchenordnungen bestimmt, und es ist vor sich klar, daß, wer in einem besondern Amte angestellt ist, sie sich eben so, wie jeder gute Bürger die Landesgesetze, bekannt machen müsse. Allein sie betreffen doch eigentlich nur die Polizey der Kirche, das Aeusserliche, das man ohne Verantwortung und Ahndung der Obrigkeit nicht unterlaßen darf, nur erzwingliche Pflicht; aber nicht die viel wichtigere Pflicht, sich gerade so zu betragen, daß der heilsame Zweck des Amtes, die geistige Wohlfahrt der uns Anvertrauten, aufs beste erreicht werde, und nichts geschehe, was auf irgend einige Art den Nutzen hindern könne, den der Prediger stiften kan. – Eigene nach und nach erlangte Erfahrung thut freylich auch viel, und ohne sie würde sich der Geistliche nicht selbst bilden; zumal, da er nicht alles, was er zu seinem rechtmäßigen Betragen wissen muß, durch allgemeinern Unterricht lernen kan; da die kluge Anwendung des Allgemeinern auf besondere Fäl|b132|le eigene Geschicklichkeit erfordert; da die besondern Umstände, in die er kommt, vieles erst lehren, und ihm zeigen müssen, wie er sich eben hier, nach den besondern Bedürfnissen derer, mit welchen er zu thun hat, zu verhalten habe; und da es überhaupt sehr mißlich ist, bey eignen Erfahrungen, erst durch Schaden klug zu werden, der oft sich nicht ganz wieder gut machen läßt, oder unangenehme Folgen mit sich führt, deren Eindrücke sich nicht immer ganz wieder auslöschen laßen. – Nützlicher, wenigstens nicht so Gefahrvoll, sind zwar die Belehrungen, die man von andern erfahrnern und verständigern Geistlichen einziehen kan. Allein es giebt dieser Geistlichen nicht viel, die diese Eigenschaften wirklich besitzen, und deren Erfahrungen oder Pastoralkenntnisse sich weiter, als über das Herkommen oder über das Gewöhnliche, erstrecken. Sie können uns wohl zeigen, was sie gethan haben; aber nicht, ob sie, selbst wenn es glückte, recht und wohl daran thaten? ob es im Grunde nicht mehr geschadet als genutzt habe? und, wenn auch alles dies nicht wäre, ob wir es in unsern Umständen nachahmen dürfen? Der geringste Umstand kan die Sache und die Pflicht verändern. Und wer hat in dringenden Fällen, wo man sich auf der Stelle entschließen muß, den Mann immer bey der Hand, der ihn an das Nöthige erinnerte?Manches ist zwar jeden Ortes durch Kirchenordnungen bestimmt, und es ist vor sich klar, daß, wer in einem besondern Amte angestellt ist, sie sich eben so, wie jeder gute Bürger die Landesgesetze, bekannt machen müsse. Allein sie betreffen doch eigentlich nur die Polizey der Kirche, das Aeusserliche, das man ohne Verantwortung und Ahndung der Obrigkeit nicht unterlaßen darf, nur erzwingliche Pflicht; aber nicht die viel wichtigere Pflicht, sich gerade so zu betragen, daß der heilsame Zweck des Amtes, die geistige Wohlfahrt der uns Anvertrauten, aufs beste erreicht werde, und nichts geschehe, was auf irgend einige Art den Nutzen hindern könne, den der Prediger stiften kan. – Eigene nach und nach erlangte Erfahrung thut freylich auch viel, und ohne sie würde sich der Geistliche nicht selbst bilden; zumal, da er nicht alles, was er zu seinem rechtmäßigen Betragen wissen muß, durch allgemeinern Unterricht lernen kan; da die kluge Anwendung des Allgemeinern auf besondere Fäl|b132|le eigene Geschicklichkeit erfordert; da die besondern Umstände, in die er kommt, vieles erst lehren, und ihm zeigen müssen, wie er sich eben hier, nach den besondern Bedürfnissen derer, mit welchen er zu thun hat, zu verhalten habe; und da es überhaupt sehr mißlich ist, bey eignen Erfahrungen, erst durch Schaden klug zu werden, der oft sich nicht ganz wieder gut machen läßt, oder unangenehme Folgen mit sich führt, deren Eindrücke sich nicht immer ganz wieder auslöschen laßen. – Nützlicher, wenigstens nicht so Gefahrvoll, sind zwar die Belehrungen, die man von andern erfahrnern und verständigern Geistlichen einziehen kan. Allein es giebt dieser Geistlichen nicht viel, die diese Eigenschaften wirklich besitzen, und deren Erfahrungen oder Pastoralkenntnisse sich weiter, als über das Herkommen oder über das Gewöhnliche, erstrecken. Sie können uns wohl zeigen, was sie gethan haben; aber nicht, ob sie, selbst wenn es glückte, recht und wohl daran thaten? ob es im Grunde nicht mehr geschadet als genutzt habe? und, wenn auch alles dies nicht wäre, ob wir es in unsern Umständen nachahmen dürfen? Der geringste Umstand kan die Sache und die Pflicht verändern. Und wer hat in dringenden Fällen, wo man sich auf der Stelle entschließen muß, den Mann immer bey der Hand, der ihn an das Nöthige erinnerte?

76.

Indessen ist der Umgang mit solchen, die einerley Geschäfte mit uns treiben, allerdings die |b133| beste Schule, wo wir dies lernen können, wenn die Männer darnach sind, und wenn wir ihre Belehrung zu benutzen verstehen. Denn wie kan sich der praktische Verstand und Beobachtungsgeist besser, als in den Geschäften selbst, bilden, und, wenn man noch wenig eigene Gelegenheit dazu gehabt hat, oder sich für Uebereilung oder Unentschlossenheit fürchtet, wie besser, als durch den Umgang mit solchen, deren Grundsätze, Erfahrungen und Beyspiele musterhaft sind, in dem besondern Kreise vornemlich, worinn wir auch zu handeln haben? Aber es müßten Männer seyn, die, bey wahrer Gewissenhaftigkeit und thätigem Eifer für ihren Beruf, praktischen Beobachtungsgeist und praktische Beurtheilungskraft besäßen, und willig genug wären, den Unerfahrneren auf das rechte Betragen in einzelnen vorkommenden Fällen aufmerksam und selbstthätig zu machen.Indessen ist der Umgang mit solchen, die einerley Geschäfte mit uns treiben, allerdings die |b133| beste Schule, wo wir dies lernen können, wenn die Männer darnach sind, und wenn wir ihre Belehrung zu benutzen verstehen. Denn wie kan sich der praktische Verstand und Beobachtungsgeist besser, als in den Geschäften selbst, bilden, und, wenn man noch wenig eigene Gelegenheit dazu gehabt hat, oder sich für Uebereilung oder Unentschlossenheit fürchtet, wie besser, als durch den Umgang mit solchen, deren Grundsätze, Erfahrungen und Beyspiele musterhaft sind, in dem besondern Kreise vornemlich, worinn wir auch zu handeln haben? Aber es müßten Männer seyn, die, bey wahrer Gewissenhaftigkeit und thätigem Eifer für ihren Beruf, praktischen Beobachtungsgeist und praktische Beurtheilungskraft besäßen, und willig genug wären, den Unerfahrneren auf das rechte Betragen in einzelnen vorkommenden Fällen aufmerksam und selbstthätig zu machen.

77.

Unstreitig muß der, dem man Klugheit ablernen soll, selbst die nothwendigen Eigenschaften wahrer Klugheit besitzen. Er muß 1) die Welt und das menschliche Herz wohl kennen, also fähig zu genauen Beobachtungen dieser Art, und aufmerksam darauf seyn, wie verschieden die Menschen in ihrer Denkungsart und Charakter sind, in wie mancherley Lagen sie kommen können, welchen Eindruck die Umstände auf sie, nach ihrer besondern Gemüthsbeschaffenheit, machen, wie sich dadurch ihre Vorstellungen und |b134| Neigungen verändern laßen, oder eine andre Richtung bekommen, was für Hindernisse und was für Beförderungsmittel in diesem allen liegen, wenn man auf ihr Gemüth wirken will. Dies giebt den Stoff zur Klugheit, der in einzelnen Erfahrungen besteht. Aber er muß auch 2) diese einzelnen Beobachtungen wohl benutzen, und daraus das Allgemeine, wenigstens das, was gewöhnlich geschieht oder zu erwarten ist, abziehen, um sichre Regeln zu haben, die ihn in ähnlichen Fällen leiten können, wenn er die Menschen und die Umstände richtig beurtheilen, oder gewisse Veränderungen in ihnen hervorbringen will. Wer einen solchen Schatz von allgemeinen praktischen Regeln oder Maximen besitzt, die er aus einzelnen Beobachtungen abgezogen, und sich dadurch von ihrer Wahrheit und Brauchbarkeit überzeugt hat, nur der verdient den Namen eines erfahrnen Mannes. Einen Verstand, der dieses vermöchte, könnte man den praktischen Verstand nennen. – Beyde Stücke, ich meine: viele Beobachtungen und der praktische Verstand, müssen bey wahrer Klugheit zum Grunde liegen, und man wird so viel fähiger zur Klugheit, je mehr Gelegenheit man hat, Beobachtungen dieser Art anzustellen, je stärker unsre Aufmerksamkeit darauf ist, und je mehr Geistesfähigkeiten man besitzt, zu vergleichen, und daraus bestimmte allgemeine praktische Regeln zu ziehen. – Kommt nun dazu die fleißige Uebung in Anwendung dieser erlangten Erfahrungen auf vorkommende Fälle, wo man selbst handeln, und auf |b135| Andre wirken soll: so bildet sich nach und nach die Fertigkeit, theils die Umstände, unter welchen man handeln, und die Menschen, die man leiten soll, so weit wenigstens, durchzuschauen, als man es zu seiner Absicht braucht, theils gleich hienach das Rathsamste und Thulichste in einzelnen Vorfällen zu erkennen. Jenes ist der praktische Beobachtungsgeist, dieses die praktische Beurtheilungskraft (Th. 1. §. …), welche eigentlich die Bestandtheile der Klugheit ausmachen.Unstreitig muß der, dem man Klugheit ablernen soll, selbst die nothwendigen Eigenschaften wahrer Klugheit besitzen. Er muß 1) die Welt und das menschliche Herz wohl kennen, also fähig zu genauen Beobachtungen dieser Art, und aufmerksam darauf seyn, wie verschieden die Menschen in ihrer Denkungsart und Charakter sind, in wie mancherley Lagen sie kommen können, welchen Eindruck die Umstände auf sie, nach ihrer besondern Gemüthsbeschaffenheit, machen, wie sich dadurch ihre Vorstellungen und |b134| Neigungen verändern laßen, oder eine andre Richtung bekommen, was für Hindernisse und was für Beförderungsmittel in diesem allen liegen, wenn man auf ihr Gemüth wirken will. Dies giebt den Stoff zur Klugheit, der in einzelnen Erfahrungen besteht. Aber er muß auch 2) diese einzelnen Beobachtungen wohl benutzen, und daraus das Allgemeine, wenigstens das, was gewöhnlich geschieht oder zu erwarten ist, abziehen, um sichre Regeln zu haben, die ihn in ähnlichen Fällen leiten können, wenn er die Menschen und die Umstände richtig beurtheilen, oder gewisse Veränderungen in ihnen hervorbringen will. Wer einen solchen Schatz von allgemeinen praktischen Regeln oder Maximen besitzt, die er aus einzelnen Beobachtungen abgezogen, und sich dadurch von ihrer Wahrheit und Brauchbarkeit überzeugt hat, nur der verdient den Namen eines erfahrnen Mannes. Einen Verstand, der dieses vermöchte, könnte man den praktischen Verstand nennen. – Beyde Stücke, ich meine: viele Beobachtungen und der praktische Verstand, müssen bey wahrer Klugheit zum Grunde liegen, und man wird so viel fähiger zur Klugheit, je mehr Gelegenheit man hat, Beobachtungen dieser Art anzustellen, je stärker unsre Aufmerksamkeit darauf ist, und je mehr Geistesfähigkeiten man besitzt, zu vergleichen, und daraus bestimmte allgemeine praktische Regeln zu ziehen. – Kommt nun dazu die fleißige Uebung in Anwendung dieser erlangten Erfahrungen auf vorkommende Fälle, wo man selbst handeln, und auf |b135| Andre wirken soll: so bildet sich nach und nach die Fertigkeit, theils die Umstände, unter welchen man handeln, und die Menschen, die man leiten soll, so weit wenigstens, durchzuschauen, als man es zu seiner Absicht braucht, theils gleich hienach das Rathsamste und Thulichste in einzelnen Vorfällen zu erkennen. Jenes ist der praktische Beobachtungsgeist, dieses die praktische Beurtheilungskraft (Th. 1. §. …), welche eigentlich die Bestandtheile der Klugheit ausmachen.
Anm. 1. Klugheit ist eine so nothwendige Eigenschaft eines würdigen Geistlichen, als alle übrige Eigenschaften der Erkenntniß und des Herzens immer seyn mögen; weil seine ganze Bestimmung es mit sich bringt, stets auf andre Menschen zu wirken, ihnen in geistlichen Angelegenheiten zu rathen, und sie bloß durch das Mittel der Ueberzeugung zu Gesinnungen und Handlungen zu bringen, zu welchen sie gemeiniglich nur zu wenig Neigung haben; und weil auch ein Mensch vom besten Verstand und Herzen durch Unklugheit seine eigne Absicht vereitelt, und der Beförderung des Guten oft unüberwindliche Hindernisse in den Weg legt. Man sollte daher bey Besetzung der geistlichen Stellen eine eben so sorgfältige Prüfung der Candidaten in Absicht auf ihre Klugheit anstellen, und nicht damit zufrieden seyn, daß sie das Ihrige gelernt hätten, und redliche oder unbescholtne Menschen wären.
Anm. 2. Freylich kan man bey der großen Anzahl der Geistlichen, folglich auch ihrer so großen Ver|b136|schiedenheit, so wenig wie in andern Ständen, erwarten, daß die Anzahl wahrhaftig kluger Männer beträchtlich sey; zumal da die Klugheit nicht vor den Jahren kommt, und nicht ohne lange Uebung entsteht, auch die ganze Beschäftigung eines Studierenden mit unsichtbaren Dingen und allgemeinen Sätzen, eben ihrer Natur nach, ihn von Aufmerksamkeit auf gegenwärtige und concrete Dinge abzieht. – Es giebt eine allgemeine und eine besondre Klugheit in Absicht auf gewisse Arten von Beschäftigungen. Die letztere, die man Amtsklugheit nennen könnte, kan einem sehr fehlen, der sonst überhaupt gar nicht unklug ist, und sie ists vornemlich, diese Achtsamkeit auf seinen besondern Beruf und auf die Art sich dabey gehörig zu benehmen, die von dem Geistlichen erfordert wird, ob sie gleich der nie erlangen wird, dem es an jener sehr fehlt, welche dem Geistlichen eben so nothwendig als die Amtsklugheit ist, da er nicht bloß mit seinem Amt zu thun, sondern auch viele andre Pflichten auf sich hat.

78.

Diese Eigenschaften sind zur Bildung des klugen Mannes unentbehrlich; aber unzureichend, den klugen Seelsorger, und durch diesen Andere, zu eben demselben Beruf zu bilden, wenn nicht noch zwey andere Eigenschaften hinzukommen. Die erste, daß er gewissenhaft und voll thätigen Eifers für seinen Beruf sey; nicht zufrieden, sein Amt ohngefähr und im Aeussern zu thun; |b137| nicht gleichgültig gegen kleinscheinende Mängel, Fehler oder Versäumnisse; überhaupt, nicht gleichgültig gegen immer weitere Fortschritte in der Erkenntniß, in eigner Besserung, im Wohlwollen gegen Andere; sondern seinem Beruf ganz gewidmet; gleich aufmerksam und sorgfältig in Absicht auf alle Theile desselben; überall bedacht auf dessen Zweck, auf die Besserung der Menschen in ihrem ganzen Umfange; durchaus eifrig, alle Mittel zu finden, und mit Weisheit zu gebrauchen, die sie befördern können. Die zweyte, daß er willig sey, sich Andern, die er zu gleichem Zweck bilden könnte, mitzutheilen, sie auf alle in Anschlag kommende Umstände und auf das diesen angemessenste Betragen aufmerksam zu machen, sie zur Selbstthätigkeit zu ermuntern.Diese Eigenschaften sind zur Bildung des klugen Mannes unentbehrlich; aber unzureichend, den klugen Seelsorger, und durch diesen Andere, zu eben demselben Beruf zu bilden, wenn nicht noch zwey andere Eigenschaften hinzukommen. Die erste, daß er gewissenhaft und voll thätigen Eifers für seinen Beruf sey; nicht zufrieden, sein Amt ohngefähr und im Aeussern zu thun; |b137| nicht gleichgültig gegen kleinscheinende Mängel, Fehler oder Versäumnisse; überhaupt, nicht gleichgültig gegen immer weitere Fortschritte in der Erkenntniß, in eigner Besserung, im Wohlwollen gegen Andere; sondern seinem Beruf ganz gewidmet; gleich aufmerksam und sorgfältig in Absicht auf alle Theile desselben; überall bedacht auf dessen Zweck, auf die Besserung der Menschen in ihrem ganzen Umfange; durchaus eifrig, alle Mittel zu finden, und mit Weisheit zu gebrauchen, die sie befördern können. Die zweyte, daß er willig sey, sich Andern, die er zu gleichem Zweck bilden könnte, mitzutheilen, sie auf alle in Anschlag kommende Umstände und auf das diesen angemessenste Betragen aufmerksam zu machen, sie zur Selbstthätigkeit zu ermuntern.
Wenn Candidaten frühzeitig zu verständigen und in ihrem Beruf eifrigen Geistlichen oder in besondere Pflanzschulen gethan würden, wo sie sich, unter gehöriger Aufsicht, in der Seelsorge üben lernten; und wenn von Zeit zu Zeit in jeder Diöces eine Art von Synoden zu diesem Zweck gehalten würden, wo jeder die ihm vorgekommenen Vorfälle und Angelegenheiten dieser Art vortragen, und jeder freundschaftlich seine Gedanken von dem besten Verhalten dabey mittheilen könnte: so lernte nicht nur jeder diejenigen in seinem Bezirk kennen, welchen sich diese Klugheit am besten ablernen ließe, sondern er würde auch auf Vieles aufmerksam gemacht, woran er sonst schwerlich gedacht hätte, und lernte immer mehr durch An|b138|derer Klugheit sich selbst dazu bilden. Wo keine solche Anstalten sind, oder wo man wenig Geistliche findet, die dafür Interesse oder dazu Fähigkeit haben, ist die öftere Zusammenkunft gleichgesinnter Prediger zu diesem Zweck, das Mittel, welches niemand versäumen sollte.
S. Ueber praktische Vorbereitungsanstalten zum Predigtamt, von Heinrich Phil. Sextroh, Göttingen, 1783. 8.

79.

Kan man einen solchen lehrreichen Umgang mit bewährten Geistlichen nicht haben: so bleibt, ausser den andern oben (§. 75 ) erwähnten Hülfsmitteln, nichts übrig, als das fleißige Studieren der besten Schriften, die einen Geistlichen über den ganzen Umfang seiner Pflichten und über besondre bey seinem Amt vorkommende Fälle, so wie von dem gewissenhaften und klugen Betragen dabey, unterrichten; und welche auch bey dem Gebrauch der übrigen Mittel nothwendig sind, theils, um sich wenigstens vorläufig mit den nothwendigsten Eigenschaften und Vorfällen bey seinem Beruf bekannt zu machen, theils, um das Ganze mehr übersehen zu lernen, und selbst in Absicht auf seltenere und schwerere Fälle vorbereitet zu seyn. Ausser den oben §. 57 Anm. und in der Anweisung zur Kenntniß der besten theol. Bücher, §. 568 f. angeführten Schriften, verdienen der patriotische Landprediger (von Joh. Heinr. Reß), Leipzig, 1779–84. in |b139| 4 Stücken in gr. 8; Ueber Predigerbeschäftigungen, und Predigerbetragen von J. L. Ewald, Lemgo 1783–89. bisher in 6 Heften in gr. 8; die Briefe zur Bildung eines Landpredigers, Hof 1785–90. in 3 Bänden in 8; und das Repertorium über Pastoraltheologie und Casuistik für angehende Prediger, von Christ. Wilh. Oemler, Jena 1786–89. in 4 Theilen in gr. 8, in welchen man auch die besten neuesten Schriften über einzelne Beschäftigungen angezeigt findet, vorzüglich verglichen zu werden. Kan man einen solchen lehrreichen Umgang mit bewährten Geistlichen nicht haben: so bleibt, ausser den andern oben (§. 75 ) erwähnten Hülfsmitteln, nichts übrig, als das fleißige Studieren der besten Schriften, die einen Geistlichen über den ganzen Umfang seiner Pflichten und über besondre bey seinem Amt vorkommende Fälle, so wie von dem gewissenhaften und klugen Betragen dabey, unterrichten; und welche auch bey dem Gebrauch der übrigen Mittel nothwendig sind, theils, um sich wenigstens vorläufig mit den nothwendigsten Eigenschaften und Vorfällen bey seinem Beruf bekannt zu machen, theils, um das Ganze mehr übersehen zu lernen, und selbst in Absicht auf seltenere und schwerere Fälle vorbereitet zu seyn. Ausser den oben §. 57 Anm. und in der Anweisung zur Kenntniß der besten theol. Bücher, §. 568 f. angeführten Schriften, verdienen der patriotische Landprediger (von Joh. Heinr. Reß), Leipzig, 1779–84. in |b139| 4 Stücken in gr. 8; Ueber Predigerbeschäftigungen, und Predigerbetragen von J. L. Ewald, Lemgo 1783–89. bisher in 6 Heften in gr. 8; die Briefe zur Bildung eines Landpredigers, Hof 1785–90. in 3 Bänden in 8; und das Repertorium über Pastoraltheologie und Casuistik für angehende Prediger, von Christ. Wilh. Oemler, Jena 1786–89. in 4 Theilen in gr. 8, in welchen man auch die besten neuesten Schriften über einzelne Beschäftigungen angezeigt findet, vorzüglich verglichen zu werden.

80.

Zur Erhaltung des einem Geistlichen so nöthigen Ansehens gehört auch die Erhaltung seiner Rechte, und, da er in seinem Beruf keines Andern Rechte, besonders in geistlichen und kirchlichen Dingen – die hier eigentlich nur in Anschlag kommen – kränken, zugleich auch die Rechte seines Standes, seines Amtes, seiner Kirche und seiner Gemeine insbesondere, aufrecht erhalten muß: so kan er eine Kenntniß dieser Rechte, ihrer Gränzen, wie weit ihre Erhaltung ihm anvertraut sey, und wie er sie handhaben und erhalten solle, nicht entbehren.Zur Erhaltung des einem Geistlichen so nöthigen Ansehens gehört auch die Erhaltung seiner Rechte, und, da er in seinem Beruf keines Andern Rechte, besonders in geistlichen und kirchlichen Dingen – die hier eigentlich nur in Anschlag kommen – kränken, zugleich auch die Rechte seines Standes, seines Amtes, seiner Kirche und seiner Gemeine insbesondere, aufrecht erhalten muß: so kan er eine Kenntniß dieser Rechte, ihrer Gränzen, wie weit ihre Erhaltung ihm anvertraut sey, und wie er sie handhaben und erhalten solle, nicht entbehren.

81.

Jeder Mensch hat, wie die Pflicht, so das Recht, alles zu thun, was zu seinem Besten dient, also auch nach Kenntniß alles dessen zu |b140| trachten, was sein Verhältniß gegen Gott betrift, dieser Erkenntniß gemäß zu handeln, und alles zu thun, was jene Kenntniß und die Befolgung derselben, mit einem Wort, was seine Religion befördern kan. Wollte man den Inbegriff aller dieser Rechte in Absicht auf Religion des Menschen unter Einem Namen zusammenfassen: so könnte man ihn das geistliche oder religiöse Recht nennen. Vereinigen sich mehrere Menschen in Eine Gesellschaft, um ihre durch die Religion zu erhaltende, d. i. geistliche, Wohlfahrt besser zu befördern: so entsteht eine gottesdienstliche Gesellschaft, und, wie man gar wohl sagen könnte, eine Kirche – obgleich dieser Name nur von und unter Christen gebräuchlich ist – und tritt sie zusammen, um jene gemeinschaftliche Wohlfahrt durch die christliche Religion zu befördern, so entsteht der Begriff einer christlichen Kirche. Die Gesetze und ihre Folgen, d. i. die Pflichten und Rechte einer Kirche, müßten sich auf die Natur der Sittlichkeit, der Religion, und einer Gesellschaft, die der christlichen Kirche aber, zugleich auf die Lehren des Christenthums, gründen; und niemand hätte das Recht, ihre Rechte und deren Ausübung einzuschränken, oder ihr Gesetze vorzuschreiben, als sie sich selbst. Sogar alsdann, wenn in ihr eine Verschiedenheit der Meinungen über den Umfang des Zwecks, wozu sie sich vereinigt hat, oder über das Verhältniß gewisser Mittel dazu, entsteht, behält jedes einzelne Glied der Kirche das Recht, entweder sich mit den andern durch einen Vertrag zu |b141| vergleichen, oder an gewissen Anstalten nicht Theil zu nehmen, oder sich von dieser Gesellschaft selbst zu trennen. Wenn sie nun einander durch irgend einen Vortrag nachgäben, der alsdann die Kraft eines Gesetzes bekommt, oder ihre vermeinten Rechte kämen in Widerspruch mit den Rechten andrer Personen oder Gesellschaften, deren Rechte, in Absicht auf den zweifelhaften Punct, sie anerkenneten, oder diesen Widerspruch durch eine Uebereinkunft ausglichen: so entstünden menschliche Kirchengesetze und Rechte, die, sofern sie unter verglichenen Bedingungen gemeinschaftlich angenommen sind, eben so unverbrüchlich als die göttlichen Gesetze, und so lange zu halten wären, als diese Bedingungen durch die Umstände keine Veränderungen litten.Jeder Mensch hat, wie die Pflicht, so das Recht, alles zu thun, was zu seinem Besten dient, also auch nach Kenntniß alles dessen zu |b140| trachten, was sein Verhältniß gegen Gott betrift, dieser Erkenntniß gemäß zu handeln, und alles zu thun, was jene Kenntniß und die Befolgung derselben, mit einem Wort, was seine Religion befördern kan. Wollte man den Inbegriff aller dieser Rechte in Absicht auf Religion des Menschen unter Einem Namen zusammenfassen: so könnte man ihn das geistliche oder religiöse Recht nennen. Vereinigen sich mehrere Menschen in Eine Gesellschaft, um ihre durch die Religion zu erhaltende, d. i. geistliche, Wohlfahrt besser zu befördern: so entsteht eine gottesdienstliche Gesellschaft, und, wie man gar wohl sagen könnte, eine Kirche – obgleich dieser Name nur von und unter Christen gebräuchlich ist – und tritt sie zusammen, um jene gemeinschaftliche Wohlfahrt durch die christliche Religion zu befördern, so entsteht der Begriff einer christlichen Kirche. Die Gesetze und ihre Folgen, d. i. die Pflichten und Rechte einer Kirche, müßten sich auf die Natur der Sittlichkeit, der Religion, und einer Gesellschaft, die der christlichen Kirche aber, zugleich auf die Lehren des Christenthums, gründen; und niemand hätte das Recht, ihre Rechte und deren Ausübung einzuschränken, oder ihr Gesetze vorzuschreiben, als sie sich selbst. Sogar alsdann, wenn in ihr eine Verschiedenheit der Meinungen über den Umfang des Zwecks, wozu sie sich vereinigt hat, oder über das Verhältniß gewisser Mittel dazu, entsteht, behält jedes einzelne Glied der Kirche das Recht, entweder sich mit den andern durch einen Vertrag zu |b141| vergleichen, oder an gewissen Anstalten nicht Theil zu nehmen, oder sich von dieser Gesellschaft selbst zu trennen. Wenn sie nun einander durch irgend einen Vortrag nachgäben, der alsdann die Kraft eines Gesetzes bekommt, oder ihre vermeinten Rechte kämen in Widerspruch mit den Rechten andrer Personen oder Gesellschaften, deren Rechte, in Absicht auf den zweifelhaften Punct, sie anerkenneten, oder diesen Widerspruch durch eine Uebereinkunft ausglichen: so entstünden menschliche Kirchengesetze und Rechte, die, sofern sie unter verglichenen Bedingungen gemeinschaftlich angenommen sind, eben so unverbrüchlich als die göttlichen Gesetze, und so lange zu halten wären, als diese Bedingungen durch die Umstände keine Veränderungen litten.

82.

Diejenigen, natürlichen oder positiven, göttlichen oder menschlichen, Gesetze, welche Religion und deren Ausübung betreffen, nebst den daraus entspringenden Rechten, so fern beyde aus Quellen fließen, die allgemein von allen Christen als Quellen anerkannt werden, machen das allgemeine (christliche) Kirchenrecht aus; die aber, welche in gedachter Rücksicht, nur ein Theil der Christen anerkennt, oder wenigstens genehm hält, das besondre Kirchenrecht, welches so verschieden ist, so viele besondre kirchliche Gesellschaften es giebt, die sich nach diesen Gesetzen als Eine gottesdienstliche Gesellschaft zusammenhalten. Eine Art dieses besondern Kirchenrechts ist das |b142| sogenannte kanonische Recht (im engern Verstande), welches auf kirchlichen Verordnungen (canonibus ecclesiasticis) beruht, die in der römischen Kirche und den mit ihr verbundenen für verbindlich gehalten werden, von welchem noch manche das päbstliche Recht (ius pontificium) unterscheiden, das nur von den Theilen der römischkatholischen Kirche anerkannt wird, die alle Verordnungen der römischen Päbste, um des an sich verbindlichen Ansehens der Päbste willen, als gesetzmäßig annehmen.Diejenigen, natürlichen oder positiven, göttlichen oder menschlichen, Gesetze, welche Religion und deren Ausübung betreffen, nebst den daraus entspringenden Rechten, so fern beyde aus Quellen fließen, die allgemein von allen Christen als Quellen anerkannt werden, machen das allgemeine (christliche) Kirchenrecht aus; die aber, welche in gedachter Rücksicht, nur ein Theil der Christen anerkennt, oder wenigstens genehm hält, das besondre Kirchenrecht, welches so verschieden ist, so viele besondre kirchliche Gesellschaften es giebt, die sich nach diesen Gesetzen als Eine gottesdienstliche Gesellschaft zusammenhalten. Eine Art dieses besondern Kirchenrechts ist das |b142| sogenannte kanonische Recht (im engern Verstande), welches auf kirchlichen Verordnungen (canonibus ecclesiasticis) beruht, die in der römischen Kirche und den mit ihr verbundenen für verbindlich gehalten werden, von welchem noch manche das päbstliche Recht (ius pontificium) unterscheiden, das nur von den Theilen der römischkatholischen Kirche anerkannt wird, die alle Verordnungen der römischen Päbste, um des an sich verbindlichen Ansehens der Päbste willen, als gesetzmäßig annehmen.

83.

Das deutsche protestantische Kirchenrecht ist eine andre Art des besondern Kirchenrechts, und wird in ein öffentliches und Privat-Kirchenrecht getheilt. Jenes, das man auch das deutsche Kirchen-Staatsrecht, nemlich der Protestanten, nennt, ist allen deutschen evangelischen Kirchen gemein, und seine vornehmste Grundlage ist der Augspurger Religionsfriede von 1555, und der westphälische von 1648. Das protestantische Privat-Kirchenrecht ist nach den verschiedenen evangelischen Landeskirchen sehr verschieden, und beruhet auf den Kirchenordnungen, Recessen, Verordnungen der Landesobrigkeit, und der sogenannten wohl hergebrachten Observanz. Es setzt das öffentliche protestantische, und dieses wieder das allgemeine Kirchenrecht, als verbindlich voraus, wo es nicht durch besondre Landesverordnungen oder Einrichtungen eine Einschränkung bekommen hat.Das deutsche protestantische Kirchenrecht ist eine andre Art des besondern Kirchenrechts, und wird in ein öffentliches und Privat-Kirchenrecht getheilt. Jenes, das man auch das deutsche Kirchen-Staatsrecht, nemlich der Protestanten, nennt, ist allen deutschen evangelischen Kirchen gemein, und seine vornehmste Grundlage ist der Augspurger Religionsfriede von 1555, und der westphälische von 1648. Das protestantische Privat-Kirchenrecht ist nach den verschiedenen evangelischen Landeskirchen sehr verschieden, und beruhet auf den Kirchenordnungen, Recessen, Verordnungen der Landesobrigkeit, und der sogenannten wohl hergebrachten Observanz. Es setzt das öffentliche protestantische, und dieses wieder das allgemeine Kirchenrecht, als verbindlich voraus, wo es nicht durch besondre Landesverordnungen oder Einrichtungen eine Einschränkung bekommen hat.

|b143| 84.

Warum, und wie ferne ist das Studium dieser Rechte, einem Lehrer der Religion insbesondre nothwendig? – Schon deswegen, weil er seine eigenen Rechte in Absicht auf Religion, als Mensch und als Lehrer, kennen muß. Pflichten und Rechte hängen unzertrennlich zusammen. Jede Pflicht, von der ich mich überzeugen oder die ich ausüben soll, giebt mir auch ein Recht, die dazu nöthigen Mittel zu brauchen; und wenn ich mich gleich meines Rechts nur bedienen darf, nicht immer muß: so muß ich doch nach gewissen Gesetzen bestimmen, ob ich mich dessen bedienen soll oder nicht, und nach diesen Gesetzen, die eben meine Pflicht bestimmen, kan ich pflichtmäßig oder pflichtwidrig handeln, wenn ich von dem Rechte Gebrauch mache oder nicht. Wir können also nicht einmal immer recht handeln, und unsre Pflicht beobachten, wenn wir nicht unsre Rechte kennen, und wissen, wo wir sie üben müssen, und wo es uns frey steht, sie zu veräussern, oder ihren Gebrauch zu unterlaßen. Wie viele und große Sünden entstehen z. B. aus der unterlaßenen eignen Untersuchung in der Religion und Mittheilung meiner mir richtiger und nützlicher scheinenden Entdeckungen darin an Andere, oder aus dem schrankenlosen Gebrauch des Rechts zu beyden?Warum, und wie ferne ist das Studium dieser Rechte, einem Lehrer der Religion insbesondre nothwendig? – Schon deswegen, weil er seine eigenen Rechte in Absicht auf Religion, als Mensch und als Lehrer, kennen muß. Pflichten und Rechte hängen unzertrennlich zusammen. Jede Pflicht, von der ich mich überzeugen oder die ich ausüben soll, giebt mir auch ein Recht, die dazu nöthigen Mittel zu brauchen; und wenn ich mich gleich meines Rechts nur bedienen darf, nicht immer muß: so muß ich doch nach gewissen Gesetzen bestimmen, ob ich mich dessen bedienen soll oder nicht, und nach diesen Gesetzen, die eben meine Pflicht bestimmen, kan ich pflichtmäßig oder pflichtwidrig handeln, wenn ich von dem Rechte Gebrauch mache oder nicht. Wir können also nicht einmal immer recht handeln, und unsre Pflicht beobachten, wenn wir nicht unsre Rechte kennen, und wissen, wo wir sie üben müssen, und wo es uns frey steht, sie zu veräussern, oder ihren Gebrauch zu unterlaßen. Wie viele und große Sünden entstehen z. B. aus der unterlaßenen eignen Untersuchung in der Religion und Mittheilung meiner mir richtiger und nützlicher scheinenden Entdeckungen darin an Andere, oder aus dem schrankenlosen Gebrauch des Rechts zu beyden?

85.

Eben so wenig darf ich Anderer Rechte beeinträchtigen. Dies würde ich thun, wenn ich |b144| ihnen ihre Rechte, in Absicht auf Religion, Gottesdienst, und was zu dessen Beförderung dient, absprechen, oder einschränken, oder durch den Gebrauch der meinigen sie an der Ausübung der ihrigen hindern, oder sie auch nur bereden wollte, diese, ohne ihre, selbst oft wider ihre, Ueberzeugung, zu veräusseren, und mir nachzugeben, oder sie hindern, ihre veräusserten, aber ihrer Natur nach unveräusserlichen, Rechte wieder an sich zu bringen. Noch mehr, wenn ich die Rechte Anderer, deren Untersuchung, Erhaltung und Ausübung mir anvertraut ist, vernachläßigte oder veruntreuete. – Nun sind viele solche dem Lehrer der Religion anvertrauet, vornemlich so fern er einer besondern kirchlichen Gesellschaft vorgesetzt ist; und, wenn er sie auch allein weder bestimmen noch handhaben darf: so hat er doch das Recht und die Pflicht, Acht zu geben, wo sie vernachläßigt oder beeinträchtigt werden, um den Obern davon Anzeige zu thun, und Vorstellungen zu machen. Daher muß er in aller Absicht diese Rechte, wenn er nicht seine Pflichten, zum großen Schaden Anderer, vernachläßigen, oder überhaupt Anderer Rechten zu nahe treten will, sorgfältig suchen kennen zu lernen.Eben so wenig darf ich Anderer Rechte beeinträchtigen. Dies würde ich thun, wenn ich |b144| ihnen ihre Rechte, in Absicht auf Religion, Gottesdienst, und was zu dessen Beförderung dient, absprechen, oder einschränken, oder durch den Gebrauch der meinigen sie an der Ausübung der ihrigen hindern, oder sie auch nur bereden wollte, diese, ohne ihre, selbst oft wider ihre, Ueberzeugung, zu veräusseren, und mir nachzugeben, oder sie hindern, ihre veräusserten, aber ihrer Natur nach unveräusserlichen, Rechte wieder an sich zu bringen. Noch mehr, wenn ich die Rechte Anderer, deren Untersuchung, Erhaltung und Ausübung mir anvertraut ist, vernachläßigte oder veruntreuete. – Nun sind viele solche dem Lehrer der Religion anvertrauet, vornemlich so fern er einer besondern kirchlichen Gesellschaft vorgesetzt ist; und, wenn er sie auch allein weder bestimmen noch handhaben darf: so hat er doch das Recht und die Pflicht, Acht zu geben, wo sie vernachläßigt oder beeinträchtigt werden, um den Obern davon Anzeige zu thun, und Vorstellungen zu machen. Daher muß er in aller Absicht diese Rechte, wenn er nicht seine Pflichten, zum großen Schaden Anderer, vernachläßigen, oder überhaupt Anderer Rechten zu nahe treten will, sorgfältig suchen kennen zu lernen.
Beyspiele zu dem Gesagten sind: wenn der Lehrer, so fern er als ein an eine besondre kirchliche Gesellschaft gebundner Lehrer handelt, derselben gewisse Lehren wider ihren Willen und wider den Zweck vorträgt, wozu sie in eine besondere Gesellschaft zusammengetreten sind; wenn er eigen|b145|mächtig, und da, wo ihm die Gemeine, oder die, bey welchen die Regierung derselben steht, nicht, wenigstens stillschweigend, bevollmächtigt haben, Veränderungen in der Liturgie vornimmt, oder dergleichen hindert; wenn er durch Aufopferung seiner Rechte den Rechten seiner Mitbrüder etwas vergiebt u. d. gl. Sehr recht und edel handelten hingegen die deutschen Fürsten bey der Reformation im 16ten Jahrhundert, wenn sie, auf Anhalten ihrer evangelischen Unterthanen, die unveräusserlichen Gewissensrechte derselben wieder herstellten.

86.

Zu diesen Rechten gehören nicht nur die, welche aus der Natur des Menschen, der Gesellschaft, der Religion und des Gottesdienstes nothwendig fließen, sondern auch die, so auf einer willkührlichen Uebereinkunft, oder auf den Verordnungen und Veranstaltungen dererjenigen beruhen, die das Recht hatten, das, was aus jenen Quellen nicht nothwendig floß, oder dadurch unbestimmt war, um der guten Ordnung willen, zu bestimmen, welches hiedurch also von ihnen, die in solchen Sachen eine gesetzgebende Befugniß hatten, auch eine gesetzmäßige, oder, durch das unwidersprochne Herkommen, eine ähnliche Kraft bekam. Da solche Verfügungen, die sich auf bloß menschliches Ansehen gründen, in verschiednen gottesdienstlichen Gesellschaften sehr verschieden sind (§. 82 u. 83 ): so ist es Pflicht eines in einer solchen besondern Gesellschaft angestellten |b146| Lehrers , sich auch diese positiven kirchlichen Gesetze und Anstalten, und die daraus fließenden Rechte und Pflichten bekannt zu machen, um keine zu vernachläßigen, zu verletzen, oder sich dadurch Verantwortung zuzuziehen, um dieselben aufrecht zu erhalten, und andern, die darüber belehrt seyn wollen, Unterricht und Rath zu ertheilen; welches ja, so fern solche äussere Anstalten auch eine innerliche Verbindlichkeit, sie zu beobachten, mit sich führen, einen Theil der ihm anvertrauten Seelsorge ausmacht. Man sieht von selbst, daß, in dieser Rücksicht, ein protestantischer Lehrer verbunden sey, vorzüglich sich das protestantische allgemeinere, und, als ein Glied und Vorsteher einer besondern protestantischen Landeskirche, auch das ihn und seine gottesdienstliche Gesellschaft angehende besondre Kirchenrecht zu studieren.Zu diesen Rechten gehören nicht nur die, welche aus der Natur des Menschen, der Gesellschaft, der Religion und des Gottesdienstes nothwendig fließen, sondern auch die, so auf einer willkührlichen Uebereinkunft, oder auf den Verordnungen und Veranstaltungen dererjenigen beruhen, die das Recht hatten, das, was aus jenen Quellen nicht nothwendig floß, oder dadurch unbestimmt war, um der guten Ordnung willen, zu bestimmen, welches hiedurch also von ihnen, die in solchen Sachen eine gesetzgebende Befugniß hatten, auch eine gesetzmäßige, oder, durch das unwidersprochne Herkommen, eine ähnliche Kraft bekam. Da solche Verfügungen, die sich auf bloß menschliches Ansehen gründen, in verschiednen gottesdienstlichen Gesellschaften sehr verschieden sind (§. 82 u. 83 ): so ist es Pflicht eines in einer solchen besondern Gesellschaft angestellten |b146| Lehrers , sich auch diese positiven kirchlichen Gesetze und Anstalten, und die daraus fließenden Rechte und Pflichten bekannt zu machen, um keine zu vernachläßigen, zu verletzen, oder sich dadurch Verantwortung zuzuziehen, um dieselben aufrecht zu erhalten, und andern, die darüber belehrt seyn wollen, Unterricht und Rath zu ertheilen; welches ja, so fern solche äussere Anstalten auch eine innerliche Verbindlichkeit, sie zu beobachten, mit sich führen, einen Theil der ihm anvertrauten Seelsorge ausmacht. Man sieht von selbst, daß, in dieser Rücksicht, ein protestantischer Lehrer verbunden sey, vorzüglich sich das protestantische allgemeinere, und, als ein Glied und Vorsteher einer besondern protestantischen Landeskirche, auch das ihn und seine gottesdienstliche Gesellschaft angehende besondre Kirchenrecht zu studieren.
Je mehrere Eingriffe in solche Rechte öfters selbst von denen geschehen, die Diener der Gerechtigkeit seyn sollen; je öfter diese den Grundsatz haben, daß Rechte nur für die geschrieben sind, welche darüber wachen; und je unwiederbringlicher, einmal verlorne oder eine Zeitlang ungebraucht gelaßene Rechte, dahin, wenigstens schwer wieder geltend zu machen sind: desto unverantwortlicher ist es für einen Geistlichen, der sie erhalten sollte, sie aus Unwissenheit oder Unachtsamkeit zu vernachläßigen. – Je häufiger es überdies geschieht, daß allgemeine und natürliche geistliche und Kirchenrechte durch positive menschliche Verordnungen verdrängt oder eingeschränkt werden, und |b147| je gewöhnlicher es unter Rechtsgelehrten ist, diese eher als jene zu hören, mehr nach diesen als jenen zu sprechen: desto dringlicher wird für Geistliche die Pflicht, das allgemeine, geistliche, und Kirchenrecht gründlich zu studieren.

87.

Minder nothwendig könnte einem protestantischen Geistlichen das Studium des kanonischen Rechtes scheinen, und ist es auch für die meisten. Aber, – nicht zu gedenken, daß es zu besserer Einsicht der Kirchengeschichte dienen kan, und manche Veränderungen der Kirche ohne die Kenntniß der in ihr angenommnen Gesetze und Rechte nicht recht verständlich oder begreiflich sind; – so enthält das protestantische Kirchenrecht zum Theil noch viele Ueberbleibsel aus dem kanonischen; und die Protestanten in Deutschland haben selbst durch Verträge sich zur Beybehaltung mancher auf das kanonische Recht gegründeten Einrichtungen verstanden. Um diese zu verstehen, ist die Kenntniß des kanonischen nicht zu entbehren. – Ueber dies leben viele protestantische Geistliche an solchen Orten, wo die Römischkatholischen entweder die herrschende Kirche ausmachen, oder neben den Protestanten leben; wo sie also auf einer Seite nie die Rechte derselben kränken, noch zu Gegeneingriffen Gelegenheit geben, auf der andern aber wachen müssen, daß ihre eignen Rechte nicht durch die Ansprüche jener beeinträchtigt werden, und daß, wenn man diese letztern oder die daher entstehende Bedrückungen |b148| auf gewisse Rechte gründet, alsdann die gute Sache der Protestanten nach den von den Gegnern selbst durch Friedensschlüsse und Verträge zugestandenen protestantischen, oder selbst nach kanonischen, Rechten vertheidigt werde. – Ueberhaupt aber ist schon die Kenntniß des kanonischen Rechts sehr nützlich zu besserer Einsicht und Beurtheilung der zwischen unsrer und der römischkatholischen Kirche obwaltenden Streitigkeiten, die größtentheils ihren Grund in dem kanonischen Rechte haben; so wie dieses manches Zeugniß der Wahrheit gegen jene Kirche enthält, und die Unschuld oder Nothwendigkeit des Abgangs der Protestanten von jener Kirche rechtfertigt. – Endlich wird die Kenntniß dieses Rechts protestantische Lehrer vorsichtig machen, aus falschen Begriffen von Toleranz oder aus Unkunde desjenigen, was die in der römischkatholischen Kirche für Recht halten, keine Schritte zu thun, wodurch man ihnen Blößen giebt, oder etwas einräumt, wonach sie glauben können, in den Besitz gewisser Rechte gesetzt zu seyn, und sich nicht eine mögliche Vereinigung mit dieser Kirche zu erträumen, die allezeit auf Kosten der Protestanten gehen würde.Minder nothwendig könnte einem protestantischen Geistlichen das Studium des kanonischen Rechtes scheinen, und ist es auch für die meisten. Aber, – nicht zu gedenken, daß es zu besserer Einsicht der Kirchengeschichte dienen kan, und manche Veränderungen der Kirche ohne die Kenntniß der in ihr angenommnen Gesetze und Rechte nicht recht verständlich oder begreiflich sind; – so enthält das protestantische Kirchenrecht zum Theil noch viele Ueberbleibsel aus dem kanonischen; und die Protestanten in Deutschland haben selbst durch Verträge sich zur Beybehaltung mancher auf das kanonische Recht gegründeten Einrichtungen verstanden. Um diese zu verstehen, ist die Kenntniß des kanonischen nicht zu entbehren. – Ueber dies leben viele protestantische Geistliche an solchen Orten, wo die Römischkatholischen entweder die herrschende Kirche ausmachen, oder neben den Protestanten leben; wo sie also auf einer Seite nie die Rechte derselben kränken, noch zu Gegeneingriffen Gelegenheit geben, auf der andern aber wachen müssen, daß ihre eignen Rechte nicht durch die Ansprüche jener beeinträchtigt werden, und daß, wenn man diese letztern oder die daher entstehende Bedrückungen |b148| auf gewisse Rechte gründet, alsdann die gute Sache der Protestanten nach den von den Gegnern selbst durch Friedensschlüsse und Verträge zugestandenen protestantischen, oder selbst nach kanonischen, Rechten vertheidigt werde. – Ueberhaupt aber ist schon die Kenntniß des kanonischen Rechts sehr nützlich zu besserer Einsicht und Beurtheilung der zwischen unsrer und der römischkatholischen Kirche obwaltenden Streitigkeiten, die größtentheils ihren Grund in dem kanonischen Rechte haben; so wie dieses manches Zeugniß der Wahrheit gegen jene Kirche enthält, und die Unschuld oder Nothwendigkeit des Abgangs der Protestanten von jener Kirche rechtfertigt. – Endlich wird die Kenntniß dieses Rechts protestantische Lehrer vorsichtig machen, aus falschen Begriffen von Toleranz oder aus Unkunde desjenigen, was die in der römischkatholischen Kirche für Recht halten, keine Schritte zu thun, wodurch man ihnen Blößen giebt, oder etwas einräumt, wonach sie glauben können, in den Besitz gewisser Rechte gesetzt zu seyn, und sich nicht eine mögliche Vereinigung mit dieser Kirche zu erträumen, die allezeit auf Kosten der Protestanten gehen würde.

88.

Aus dem bisher Gesagten erhellet schon, daß das Studium der geistlichen Rechte nicht jedem gleich nothwendig, wem es am unentbehrlichsten, und welche Arten derselben für einen Geistlichen unsrer Kirche die nothwendigsten seyen; und da zugleich oben angegeben ist, worauf sich diese |b149| verschiedene Arten gründen: so sind – eben damit auch die Quellen angezeigt, woraus jede dieser Wissenschaften zu schöpfen ist. Vernunft und die heil. Schrift, so weit sie uns auf christliche Kirchenrechte führt, sind jedem zugängliche Quellen; und je fleißiger und unbefangner man beyde, mit den gehörigen Kenntnissen und Hülfsmitteln versehen, studiert: je mehr werden alte Vorurtheile in der geistlichen Rechtsgelehrsamkeit verschwinden, und neue Aufschlüsse, wenigstens eine gründliche Ueberzeugung von den wahren geistlichen Rechten, entstehen. Noch ist hier nach jenen zwey Quellen, und zumal der ersteren, Vieles aufzuräumen; es fehlt auch wirklich noch an einem recht geläuterten und gründlichen allgemeinen Kirchenrecht. – Zur Kenntniß dessen, was in dem geistlichen Rechte positiv ist, und auf einer von Menschen beliebten Ordnung beruht, ist genauere Kenntniß der christlichen Kirchengeschichte und Bekanntschaft mit solchen Sammlungen nöthig, welche die Gesetze und gesetzmäßige Einverständnisse enthalten.Aus dem bisher Gesagten erhellet schon, daß das Studium der geistlichen Rechte nicht jedem gleich nothwendig, wem es am unentbehrlichsten, und welche Arten derselben für einen Geistlichen unsrer Kirche die nothwendigsten seyen; und da zugleich oben angegeben ist, worauf sich diese |b149| verschiedene Arten gründen: so sind – eben damit auch die Quellen angezeigt, woraus jede dieser Wissenschaften zu schöpfen ist. Vernunft und die heil. Schrift, so weit sie uns auf christliche Kirchenrechte führt, sind jedem zugängliche Quellen; und je fleißiger und unbefangner man beyde, mit den gehörigen Kenntnissen und Hülfsmitteln versehen, studiert: je mehr werden alte Vorurtheile in der geistlichen Rechtsgelehrsamkeit verschwinden, und neue Aufschlüsse, wenigstens eine gründliche Ueberzeugung von den wahren geistlichen Rechten, entstehen. Noch ist hier nach jenen zwey Quellen, und zumal der ersteren, Vieles aufzuräumen; es fehlt auch wirklich noch an einem recht geläuterten und gründlichen allgemeinen Kirchenrecht. – Zur Kenntniß dessen, was in dem geistlichen Rechte positiv ist, und auf einer von Menschen beliebten Ordnung beruht, ist genauere Kenntniß der christlichen Kirchengeschichte und Bekanntschaft mit solchen Sammlungen nöthig, welche die Gesetze und gesetzmäßige Einverständnisse enthalten.

89.

Wem es, diese zu brauchen, oder zu verstehn, an Fähigkeit, Gelegenheit oder Muße fehlt, oder wer doch gern das Vornehmste dieser Rechtswissenschaft mehr im Ganzen übersehen will, dem möchten vorzüglich folgende Bücher zu empfehlen seyn, die selbst in Rücksicht auf Geistliche unter den Protestanten und auf mehrere Verständlichkeit für sie die brauchbarsten zu seyn scheinen:Wem es, diese zu brauchen, oder zu verstehn, an Fähigkeit, Gelegenheit oder Muße fehlt, oder wer doch gern das Vornehmste dieser Rechtswissenschaft mehr im Ganzen übersehen will, dem möchten vorzüglich folgende Bücher zu empfehlen seyn, die selbst in Rücksicht auf Geistliche unter den Protestanten und auf mehrere Verständlichkeit für sie die brauchbarsten zu seyn scheinen:
|b150| Für den Anfang, in Absicht auf das protestantische deutsche und das damit verbundene allgemeine Kirchenrecht :
  • Just Carl Wiesenhavers Grundsätze des allgemeinen und besondern Kirchen-Staatsrechts der Protestanten in Deutschland. Neue Aufl. Frankf. und Leipz. 1764. in 8.
  • Johann Lorenz von Mosheim allgemeines Kirchenrecht der Protestanten, Helmstädt 1760. in gr. 8. und
  • Deutsches geistliches Staatsrecht, von Johann Christian Majer, Lemgo 1773. in 2 Theilen in 8.
Zur ausführlichern Kenntniß aber:
  • Justi Henningii Böhmeri Jus Ecclesiasticum Protestantium, Edit. 3. Halae 1730. in 5 Tomis in 4. und dessen Jus parochiale, Edit. 4. Halae 1730. in 4.
  • Christoph Matthäi Pfaffen akademische Reden über das sowohl allgemeine als auch deutsche protestantische Kirchenrecht, Frankf. 1747. in 4. und:
  • Das geistliche Recht der evangelisch-lutherischen Landesherren und ihrer Unterthanen in Deutschland, praktisch entworfen von Heinrich Arnold Lang, Culmbach 1786. in 2 Theilen in gr. 8.
|b150| Für den Anfang, in Absicht auf das protestantische deutsche und das damit verbundene allgemeine Kirchenrecht :
  • Just Carl Wiesenhavers Grundsätze des allgemeinen und besondern Kirchen-Staatsrechts der Protestanten in Deutschland. Neue Aufl. Frankf. und Leipz. 1764. in 8.
  • Johann Lorenz von Mosheim allgemeines Kirchenrecht der Protestanten, Helmstädt 1760. in gr. 8. und
  • Deutsches geistliches Staatsrecht, von Johann Christian Majer, Lemgo 1773. in 2 Theilen in 8.
Zur ausführlichern Kenntniß aber:
  • Justi Henningii Böhmeri Jus Ecclesiasticum Protestantium, Edit. 3. Halae 1730. in 5 Tomis in 4. und dessen Jus parochiale, Edit. 4. Halae 1730. in 4.
  • Christoph Matthäi Pfaffen akademische Reden über das sowohl allgemeine als auch deutsche protestantische Kirchenrecht, Frankf. 1747. in 4. und:
  • Das geistliche Recht der evangelisch-lutherischen Landesherren und ihrer Unterthanen in Deutschland, praktisch entworfen von Heinrich Arnold Lang, Culmbach 1786. in 2 Theilen in gr. 8.
|b151| Das gedachte böhmerische Kirchenrecht dient zugleich zur Kenntniß des kanonischen, so fern man es will mit dem protestantischen vergleichen lernen. – Zur nähern Erkenntniß des kanonischen wäre rathsam, erstlich sich die Geschichte derselben aus Spitlers und Pertschens Geschichte (s. Anweis. zur Kenntniß theol. Bücher, §. 424.) bekannt zu machen, alsdann ein gutes Handbuch, etwa Paulli Josephi a Riegger Institutio Jurisprudentiae Ecclesiasticae, Edit. nov. Vindob. 1774. in 4 Theilen in 8. zum Grunde zu legen, und dann das Corpus Juris canonici selbst, nach der böhmerschen Ausgabe, Halae 1747. gr. 4. zu studieren.|b151| Das gedachte böhmerische Kirchenrecht dient zugleich zur Kenntniß des kanonischen, so fern man es will mit dem protestantischen vergleichen lernen. – Zur nähern Erkenntniß des kanonischen wäre rathsam, erstlich sich die Geschichte derselben aus Spitlers und Pertschens Geschichte (s. Anweis. zur Kenntniß theol. Bücher, §. 424.) bekannt zu machen, alsdann ein gutes Handbuch, etwa Paulli Josephi a Riegger Institutio Jurisprudentiae Ecclesiasticae, Edit. nov. Vindob. 1774. in 4 Theilen in 8. zum Grunde zu legen, und dann das Corpus Juris canonici selbst, nach der böhmerschen Ausgabe, Halae 1747. gr. 4. zu studieren.

90.

Die Kenntniß des deutschen protestantischen Privat-Kirchenrechts, das in verschiedenen Kirchen so verschieden ist, muß jeder aus der Kirchenordnung seines Landes und den dazu nach und nach gekommnen Landesverordnungen schöpfen. Mehrere solche Kirchenordnungen verschiedner Provinzien enthält Joh. Jac. Mosers Corpus iuris Euangelicorum ecclesiastici, Züllichau 1737. in zwey Quartbänden; kürzer und besser geordnet kan man das Wichtigste aus solchen Kirchenordnungen in der Pastoraltheologie - - von Volkmar Dan. Spörl, Nürnberg 1764. in 8. übersehen. Für die preußischen Kirchen findet man das Wesentlichste der Kirchenverordnungen beysammen in Wilh. Heinr. Beckhers Kirchenregistratur - - des Königreichs Preus|b152|sen, der zweyten vermehrten Auflage, Königsberg 1769. in 4. mit der Fortsetzung, 1773. und Ludw. Ernst Borowski neuem preußischen Kirchenstaat, ebendaselbst 1788. 4. Sal. Deylingii Institutiones iurisprudentiae pastoralis, Ed. 3. auctior per Chr. Wilh. Küstnerum, Lips. 1768. 8. enthalten auch viel Besonderes, vornemlich in Rücksicht auf die sächsischen Kirchen.Die Kenntniß des deutschen protestantischen Privat-Kirchenrechts, das in verschiedenen Kirchen so verschieden ist, muß jeder aus der Kirchenordnung seines Landes und den dazu nach und nach gekommnen Landesverordnungen schöpfen. Mehrere solche Kirchenordnungen verschiedner Provinzien enthält Joh. Jac. Mosers Corpus iuris Euangelicorum ecclesiastici, Züllichau 1737. in zwey Quartbänden; kürzer und besser geordnet kan man das Wichtigste aus solchen Kirchenordnungen in der Pastoraltheologie - - von Volkmar Dan. Spörl, Nürnberg 1764. in 8. übersehen. Für die preußischen Kirchen findet man das Wesentlichste der Kirchenverordnungen beysammen in Wilh. Heinr. Beckhers Kirchenregistratur - - des Königreichs Preus|b152|sen, der zweyten vermehrten Auflage, Königsberg 1769. in 4. mit der Fortsetzung, 1773. und Ludw. Ernst Borowski neuem preußischen Kirchenstaat, ebendaselbst 1788. 4. Sal. Deylingii Institutiones iurisprudentiae pastoralis, Ed. 3. auctior per Chr. Wilh. Küstnerum, Lips. 1768. 8. enthalten auch viel Besonderes, vornemlich in Rücksicht auf die sächsischen Kirchen.