<body xml:id="bs_a">
<div type="chapter" xml:id="bs_a_1">
<opener rend="center-aligned">
<pb xml:id="bs_a_page_5" edRef="#a" type="sp" n="5"/> Allerdurchlauchtigster,
<lb/>Großmächtigster und Unüberwind- <lb/>lichster Kayser, <lb/>auch in
Germanien und zu Je- <lb/> rusalem König, <lb/>Allergnädigster Kayser, König und <lb/>
<ptr type="editorial-commentary" target="#erl_a_1_1"/>Herr Herr!</opener>
<p>
<choice>
<abbr>Ew.</abbr>
<expan>Euer</expan>
<expan>Eure</expan>
</choice>
<choice>
<abbr>Kayserl.</abbr>
<expan>Kayserliche</expan>
</choice>
<index indexName="persons-index">
<term>Joseph II. (Habsburg)</term>
</index><rs ref="textgrid:3r6fp">Majestät</rs> haben, aus einer vom <ptr type="editorial-commentary" target="#erl_a_1_2"/><index indexName="subjects-index">
<term>Reichsbücherkommissarius</term>
</index>Reichsbüchercommissarius <index indexName="persons-index">
<term>Scheben, Franz Xaver Anton von</term>
</index><persName ref="textgrid:3r66v">von Scheben</persName>, wegen <ptr type="editorial-commentary" target="#erl_a_1_3"/>meiner Uebersetzung des
Neuen Testaments, unter dem Titel: die neusten Offenbahrungen Gottes,
geschehenen <pb xml:id="bs_a_page_6" n="6" edRef="#a"/>
<ptr type="editorial-commentary" target="#erl_a_1_4"/>Anklage, vermittelst eines
höchstvenerirlichen Reichshofrathsconclusi vom 4ten Februar 1778 <ptr type="editorial-commentary" target="#erl_a_1_5"/><choice>
<abbr>Sr.</abbr>
<expan>Seiner</expan>
</choice>
<index indexName="persons-index">
<term>Pfalz-Sulzbach, Karl Theodor von (Kurfürst)</term>
</index><rs ref="textgrid:3r66x"><choice>
<abbr>Churfürstl.</abbr>
<expan>Churfürstlichen</expan>
</choice> Durchlaucht zu Pfalz</rs> die <ptr type="editorial-commentary" target="#erl_a_1_6"/>Einziehung der noch vorfindlichen Exemplarien des
gedachten Buchs und dem <index indexName="subjects-index">
<term>Reichsbücherkommissarius</term>
</index>Büchercommissarius die <ptr type="editorial-commentary" target="#erl_a_1_7"/>Einholung theologischer <index indexName="subjects-index">
<term>Gutachten</term>
</index>Gutachten von Göttingen und Würzburg anzubefehlen, zugleich aber meine
<ptr type="editorial-commentary" target="#erl_a_1_8"/>einstweilige <index indexName="subjects-index">
<term>Amtssuspension</term>
</index>Amtssuspension und die Einstellung alles auf Religion bezughabenden
Lehrens und Bücherschreibens zu verordnen, und hierauf, durch ein zweytes
Conclusum von 27 Merz <choice>
<abbr>a. c.</abbr>
<expan>anni currentis</expan>
</choice> mit Verwerfung meiner allerunterthänigsten Bitte um Communikation der
Klage und Vernehmung meiner weitern Vertheidigung, mich meines Amtes, so mir
<ptr type="editorial-commentary" target="#erl_a_1_9"/>der mit den Episcopal
gerechtsamen versehene protestantische <index indexName="persons-index">
<term>Leiningen-Dagsburg-Falkenburg, Carl Friedrich Wilhelm Graf von</term>
</index><rs ref="textgrid:3r66w">Reichsgraf von Leiningen Dagsburg</rs>
übertragen hatte, und um dessen Fortsezung <ptr type="editorial-commentary" target="#erl_a_1_10"/>meine Gemeine <choice>
<abbr>Ew.</abbr>
<expan>Euer</expan>
<expan>Eure</expan>
</choice>
<choice>
<abbr>Kayserl.</abbr>
<expan>Kayserliche</expan>
</choice>
<index indexName="persons-index">
<term>Joseph II. (Habsburg)</term>
</index><rs ref="textgrid:3r6fp">Majestät</rs> flehentlich gebeten hatte,
gänzlich zu entsezen, und mir alles Lehren und Bücherschreiben auf immer zu
verbieten, anbey aber, <ptr type="editorial-commentary" target="#erl_a_1_11"/>sub poena einer gänzlichen Verwei<pb xml:id="bs_a_page_7" n="7" edRef="#a"/>sung aus den Gränzen des <choice>
<abbr>H. R.</abbr>
<expan>Heiligen Römischen</expan>
</choice> Reichs, <ptr type="editorial-commentary" target="#erl_a_1_12"/>eine
über meine wahren und nach dem Vorgeben meiner Kläger hinter so <index indexName="subjects-index">
<term>zweideutig</term>
</index>zweydeutige Ausdrücke versteckten Lehrsätze abgefaßte Druckschrift und
Bekänntniß der Gottheit <index indexName="persons-index">
<term>Jesus Christus</term>
<term type="alternative">Christus</term>
</index><persName ref="textgrid:255cd">Christi</persName> und der <choice>
<abbr>H.</abbr>
<expan>Heiligen</expan>
</choice> Dreyeinigkeit, <foreign xml:lang="lat">in termino duorum
mensium</foreign>, mir aufzulegen sich allergnädigst bewogen gesehen.</p>
<p><seg xml:id="quote_bs_a7">Wie ich nun beyden höchstvenerirlichen Conclusis mich
sogleich demüthigst unterworfen, auch mein Amt bereits verlassen, und alles,
was mir, <ptr type="editorial-commentary" target="#erl_a_1_13"/>meiner
Gattinn und vier kleinen unerzognen Kindern bisher Quell des Unterhalts und
der Verpflegung gewesen war, so gar mein im Gräflichen Leiningischen <ptr type="editorial-commentary" target="#erl_a_1_14"/>Schlosse <index indexName="subjects-index">
<term>Heidesheim (Philanthropinum)</term>
</index>Heidesheim mit einem Aufwande von mehr als 6000 <choice>
<abbr>Rthlr.</abbr>
<expan>Reichsthalern</expan>
</choice> errichtetes und von tausend gutdenkenden Menschen gebilligtes
Erziehungsinstitut mit dem Rücken angesehen, und ohne alle bestimmte
Aussichten, mich <ptr type="editorial-commentary" target="#erl_a_1_15"/>in
ein ander Land gezogen habe; also eile <pb xml:id="bs_a_page_8" n="8" edRef="#a"/> ich nunmehro auch noch diejenige Erklärung und Bekänntniß
meiner Lehrsätze, <choice>
<abbr>Ew.</abbr>
<expan>Euer</expan>
<expan>Eurer</expan>
</choice> Kayserlichen <index indexName="persons-index">
<term>Joseph II. (Habsburg)</term>
</index><rs ref="textgrid:3r6fp">Majestät</rs> zu Füßen zu legen, welche
Allerhöchstdieselben von mir zu fodern geruhet haben.</seg></p>
<p>
<choice>
<abbr>Ew.</abbr>
<expan>Euer</expan>
<expan>Eurer</expan>
</choice> Kayserlichen <index indexName="persons-index">
<term>Joseph II. (Habsburg)</term>
</index><rs ref="textgrid:3r6fp">Majestät</rs> großer, durchdringender Geist und
erhabnes, huldvolles, gerechtigkeitliebendes Herz, beydes so allgemein verehrt,
läßt mich hoffen, daß Allerhöchstdieselben meiner allerwilligste Unterwerfung
mit Gnaden und Wohlgefallen vermerken, und meine nachstehende offenherzige
Erklärung nach den Gesetzen der <index indexName="subjects-index">
<term>Menschenliebe</term>
</index>Menschenliebe und der christlichen <index indexName="subjects-index">
<term>Duldung</term>
</index>Duldung aufnehmen und beurtheilen werden.</p>
<p>Ich finde mich aber zu einer so offenherzigen und freymüthigen Erklärung jetzo
verpflichteter als jemals. Denn wenn ich <ptr type="editorial-commentary" target="#erl_a_1_16"/>in meinen zeitherigen Schriften, besonders in denen,
welche das Unglück hatten, meinen Klägern und Richtern zu mißfallen, mich ja
einiger <index indexName="subjects-index">
<term>zweideutig</term>
</index>zweydeutigen und nicht genug bestimmten Ausdrücke bedient habe, <pb xml:id="bs_a_page_9" n="9" edRef="#a"/>
<ptr type="editorial-commentary" target="#erl_a_1_17"/><seg xml:id="quote_bs_a9_1"><hi>um der <index indexName="subjects-index">
<term>Schwache</term>
</index>Schwachen zu schonen</hi>, und nicht, durch <ptr type="editorial-commentary" target="#erl_a_1_18"/>übereilte
Bekanntmachung meiner Einsichten in Dingen, die nach meiner Ueberzeugung das
<index indexName="subjects-index">
<term>Wesen der Religion</term>
</index>Wesen der Religion nichts angehen, den <index indexName="subjects-index">
<term>Nutzen</term>
</index>Nuzen und Eindruck zu schwächen, den ich durch einen guten Vortrag
der mir <hi>wesentlichen</hi>
<index indexName="subjects-index">
<term>Religionswahrheiten</term>
</index>Religionswahrheiten stiften zu können glaubte</seg>; so ist es
gegentheils, bey diesem meinem Bekenntniß, unverletzliche und heilige <seg xml:id="quote_bs_a9_2"><index indexName="subjects-index">
<term>Pflicht, heilige</term>
</index>Pflicht, meine Ueberzeugungen frey und ohne alle Zurückhaltung,
offenherzig zu entdecken</seg>, und meinen allerhöchsten Richtern die
reinste <index indexName="subjects-index">
<term>Wahrheit</term>
</index>Wahrheit aus dem innersten meines Herzens vorzulegen, gewiß, daß <choice>
<abbr>Ew.</abbr>
<expan>Euer</expan>
<expan>Eurer</expan>
</choice> Kayserlichen <index indexName="persons-index">
<term>Joseph II. (Habsburg)</term>
</index><rs ref="textgrid:3r6fp">Majestät</rs>, den ehrlichen Mann, der mit Muth
und Entschlossenheit, erkannte Wahrheit sagt, mit mehr Gnade anblicken werden,
als <seg xml:id="quote_bs_a9_3">den <seg xml:id="quote_bs_a9_4">Heuchler, der,
um des Brods willen, seinem Regenten leugt</seg>, und mit Verletzung
seines <index indexName="subjects-index">
<term>Gewissens, Verletzung des</term>
</index>Gewissens Menschengunst zu erschleichen sucht</seg>.</p>
<p><seg xml:id="quote_bs_a9_5">Ich gestehe also, daß ich schon seit einiger Zeit
überzeugt gewesen, es enthalte un<pb xml:id="bs_a_page_10" n="10" edRef="#a"/>ser protestantisches <index indexName="subjects-index">
<term>Religionssystem</term>
</index>Religionssystem <seg xml:id="quote_bs_a10_1">Lehrsäze, welche weder
in der <index indexName="subjects-index">
<term>Schrift</term>
</index>Schrift noch in der <index indexName="subjects-index">
<term>Vernunft</term>
</index>Vernunft einigen Grund haben und die theils der <index indexName="subjects-index">
<term>Gottseligkeit</term>
</index>Gottseeligkeit schaden, theils, durch ihr der Vernunft
Anstößiges, <seg xml:id="quote_bs_a10_2"><seg xml:id="quote_bs_a10_3">die Quelle des <index indexName="subjects-index">
<term>Unglaubens, Quelle des</term>
</index>Unglaubens</seg> und der <index indexName="subjects-index">
<term>Religionsverachtung</term>
</index>Religionsverachtung bey Tausenden
sind.</seg></seg></seg></p>
<p><ptr type="editorial-commentary" target="#erl_a_1_19"/><seg xml:id="quote_bs_a10_4">Unter diese <index indexName="subjects-index">
<term>Lehrsätze</term>
</index>Lehrsätze <seg xml:id="quote_bs_a10_4a">rechne ich: Die – von der
<index indexName="subjects-index">
<term>Erbsünde</term>
</index>Erbsünde</seg> – von der <index indexName="subjects-index">
<term>Zurechnung der Sünde Adams</term>
</index>Zurechnung der Sünde <index indexName="persons-index">
<term>Adam</term>
</index><persName ref="textgrid:3c0tb">Adams</persName> – von der
Nothwendigkeit einer <index indexName="subjects-index">
<term>Genugtuung</term>
</index>Genugthuung – von der blos und allein durch den heiligen Geist in
dem sich leidend verhaltenden Menschen zu bewirkenden <index indexName="subjects-index">
<term>Bekehrung</term>
</index>Bekehrung – von der ohne alle Rücksicht auf unsere Besserung und
Tugend geschehen sollenden <index indexName="subjects-index">
<term>Rechtfertigung</term>
</index>Rechtfertigung des Sünders vor Gott – von der Gottheit <index indexName="persons-index">
<term>Jesus Christus</term>
<term type="alternative">Christus</term>
</index><persName ref="textgrid:255cd">Christi</persName> und des heiligen
Geistes <ptr type="editorial-commentary" target="#erl_a_1_20"/>im <index indexName="classics-index">
<term>Athanasius von Alexandrien</term>
</index><persName ref="textgrid:2sjxr">Athanasianischen</persName> Sinn –
von der Ewigkeit der <index indexName="subjects-index">
<term>Höllenstrafen</term>
</index>Höllenstrafen – und einige andere.</seg></p>
<p><seg xml:id="quote_bs_a10_5">Ich habe zwar, wie es von einem <foreign xml:lang="lat">Doctore <choice>
<abbr>Theol.</abbr>
<expan>Theologiae</expan>
</choice>
<ptr type="editorial-commentary" target="#erl_a_1_21"/>Augustanae
confessionis</foreign>
<pb xml:id="bs_a_page_11" n="11" edRef="#a"/> ohnehin zu erwarten stehet,
gegen diese vorgedachten Lehrsätze, – vor dem Volk – (weder im Predigen noch
Catechisiren,) niemalen directe gelehret, sondern sie entweder gar
übergangen oder doch so davon gesprochen, daß ihr schädliches abgesondert
und ihr irriges gemildert worden: (davon meine <ptr type="editorial-commentary" target="#erl_a_1_22"/>Predigten über die
Person und das Amt <index indexName="persons-index">
<term>Jesus Christus</term>
<term type="alternative">Christus</term>
</index><persName ref="textgrid:255cd">Jesu</persName> ein Beyspiel
sind:)</seg>
<seg xml:id="quote_bs_a11_1">folglich bin ich auch noch nie von den eigentlichen
Verpflichtungen eines protestantischen <index indexName="subjects-index">
<term>Lehrer, protestantische</term>
</index>Lehrers abgewichen, sondern habe <seg xml:id="quote_bs_a11_2">mit
Klugheit und Vorsicht die <index indexName="subjects-index">
<term>Staatsgesetze</term>
</index>Gesetze des Staats mit der <index indexName="subjects-index">
<term>Gewissensfreiheit</term>
</index>Gewissensfreyheit zu vereinigen gesucht:</seg></seg> – <seg xml:id="quote_bs_a11_3">fest überzeugt, daß streitige Religionspunkte nie in
den <ptr type="editorial-commentary" target="#erl_a_1_23"/><index indexName="subjects-index">
<term>Volksunterricht</term>
</index>Volksunterricht gehören,</seg>
<seg xml:id="quote_bs_a11_4">und <seg xml:id="quote_bs_a11_5">daß folglich auch
von solchen kirchliches <index indexName="subjects-index">
<term>Lehramt</term>
</index>Lehramt verwaltet werden kann</seg>, welche von der <ptr type="editorial-commentary" target="#erl_a_1_24"/><index indexName="subjects-index">
<term>Systemsreligion</term>
</index>Systemsreligion in ihren Ueberzeugungen abweichen, dagegen aber
desto eifriger an der reinen <index indexName="subjects-index">
<term>Christusreligion</term>
</index>Christusreligion halten, und dieselbe gründlich vorzutragen
wissen.</seg></p>
<p>
<pb xml:id="bs_a_page_12" n="12" edRef="#a"/>
<seg xml:id="quote_bs_a12_1">Ich muß es also nun schon ferner wagen, bey dieser
mir zur Pflicht gemachten öffentlichen Erklärung meiner <index indexName="subjects-index">
<term>Privatüberzeugungen</term>
</index>Privatüberzeugungen freymüthig zu gestehen, daß ich die oberwähnten
Lehrsätze, nach meiner geringen Einsicht, für <index indexName="subjects-index">
<term>schriftwidrig</term>
</index>schriftwidrig halte und <seg xml:id="quote_bs_a12_2">als die Quelle
eines doppelten Uebels</seg> ansehe.</seg></p>
<p><seg xml:id="quote_bs_a12_3">Einmal <hi>empören sie die gesunde</hi>
<index indexName="subjects-index">
<term>Vernunft</term>
</index><hi>Vernunft</hi>, und haben so wenig Beweise für sich, daß es kein
Wunder ist, wenn zu allen Zeiten, der <seg xml:id="quote_bs_a12_4"><index indexName="subjects-index">
<term>selbstdenkend</term>
</index>selbstdenkende und prüfende Theil der Menschen</seg>, dieselben
anstößig fand, und wenn die meisten davon, um jener <index indexName="subjects-index">
<term>Lehrsätze</term>
</index>Lehrsätze willen, welche <seg xml:id="quote_bs_a12_5">die auf ihren
Posseß trotzende Geistlichkeit, (die eben nicht immer das <index indexName="subjects-index">
<term>Vorurteile</term>
</index>Vorurtheil der Gelehrsamkeit, Geistesstärke und der kaltblütigen
Prüfungsgabe für sich gehabt hat,) <ptr type="editorial-commentary" target="#erl_a_1_25"/>die Welt als <index indexName="subjects-index">
<term>Glaubenswahrheiten, alleinseligmachende</term>
</index>alleinseeligmachende Glaubenswahrheiten aufdringen wollte</seg>,
die ganze Religion verwarf.</seg>
<seg xml:id="quote_bs_a12_6">Daher man jene Lehrsätze mit Recht als den <seg xml:id="quote_bs_a12_7">Hauptgrund des <pb xml:id="bs_a_page_13" n="13" edRef="#a"/>
<ptr type="editorial-commentary" target="#erl_a_1_26"/>überall
einreissenden <index indexName="subjects-index">
<term>Unglaube</term>
</index>Unglaubens</seg> ansieht, welcher sich von den Höfen bis in die
Hütten des ärmsten Volks ausbreitet, und bald alle <index indexName="subjects-index">
<term>Religion</term>
</index>Religion in der Welt verdrängen wird, wenn dem Uebel durch keine
andere als gewaltsame und freyheitkränkende Mittel gesteuert wird.</seg></p>
<p><seg xml:id="quote_bs_a13_1">Und eben so gewiß scheint es mir, daß die meisten
der obgedachten Lehrsätze <seg xml:id="quote_bs_a13_2"><hi>der <index indexName="subjects-index">
<term>Tugend</term>
</index>Tugend und <index indexName="subjects-index">
<term>Gottseligkeit</term>
</index>Gottseeligkeit <ptr type="editorial-commentary" target="#erl_a_1_27"/>Schaden</hi></seg></seg>. <seg xml:id="quote_bs_a13_3">Denn so bald man die Menschen überredet, daß <choice>
<abbr>z. B.</abbr>
<expan>zum Beispiel</expan>
</choice> a) jeder von <index indexName="subjects-index">
<term>Natur, von</term>
</index>Natur und von Mutterleibe an mit allen <index indexName="subjects-index">
<term>Neigungen</term>
</index>Neigungen zu allem Bösen behaftet und ein gebohrner Feind Gottes
ist</seg>; <seg xml:id="quote_bs_a13_4">daß er b) zur Befreyung von diesem
Elende und zur Besserung seines Herzens und Lebens nichts wirken könne,
sondern lediglich den Beystand des heiligen Geistes dazu erflehen
müsse</seg>; <seg xml:id="quote_bs_a13_5">daß Gott c) auch auf alle gute
Werke des Menschen und auf allen seinen Eifer in der <index indexName="subjects-index">
<term>Gottseligkeit</term>
</index>Gottseeligkeit nichts rechne, sondern <ptr type="editorial-commentary" target="#erl_a_1_28"/><index indexName="subjects-index">
<term>Vergebung der Sünden</term>
</index>Vergebung der Sünden und ewige Selig<pb xml:id="bs_a_page_14" n="14" edRef="#a"/>keit ihm schenke, nicht, wegen seiner Besserung und Tugend,
sondern wegen eines für unsere <index indexName="subjects-index">
<term>Sünde</term>
</index>Sünde geschehenen <index indexName="subjects-index">
<term>Menschenopfer</term>
</index>Menschenopfers und wegen der an unserer statt geleisteten Tugend des
Geopferten</seg> – wenn man, sage ich, die Menschen dergleichen überredet;
<seg xml:id="quote_bs_a14_1">so ists unmöglich, daß ächte <index indexName="subjects-index">
<term>Reue</term>
</index>Reue über die Sünde und Abneigung gegen das Laster entstehen kann;
<seg xml:id="quote_bs_a14_5">so ists unvermeidlich, daß das Herz gegen
die Tugend kalt und gleichgültig werde</seg>, und aller Eifer der <index indexName="subjects-index">
<term>Gottseligkeit</term>
</index>Gottseeligkeit ermatte; und es lehrts auch leider die <index indexName="subjects-index">
<term>Erfahrung</term>
</index>Erfahrung genug, <seg xml:id="quote_bs_a14_6">daß das heutige <index indexName="subjects-index">
<term>Christentum</term>
</index>Christenthum fast alle Kraft zur Heiligung der Menschen
verlohren hat</seg>, und daß seine Zöglinge in Absicht auf Tugend und
Glückseeligkeit oft <ptr type="editorial-commentary" target="#erl_a_1_29"/>sehr weit hinter einen auch nur gemeinen Heiden stehen.</seg></p>
<p><seg xml:id="quote_bs_a14_2">Ach, allergnädigster <rs ref="textgrid:3r6fp">Kayser, König und Herr</rs>! <seg xml:id="quote_bs_a14_4">wie blutet
mir das Herz</seg>, wenn ich denke, wie werth, wie hochgeachtet <seg xml:id="quote_bs_a14_3">das <index indexName="subjects-index">
<term>Evangelium</term>
</index>Evangelium</seg>
<index indexName="persons-index">
<term>Jesus Christus</term>
<term type="alternative">Christus</term>
</index><persName ref="textgrid:255cd">Jesu Christi</persName> unter den
<index indexName="subjects-index">
<term>aufgeklärteste Menschen</term>
</index> aufge<pb xml:id="bs_a_page_15" n="15" edRef="#a"/>klärtesten
Menschen in allen Welttheilen seyn könnte, was für Siege</seg> es über
<index indexName="subjects-index">
<term>Unglaube</term>
</index>Unglauben und Laster erringen, wie <seg xml:id="quote_bs_a15_1">ganz
anders als bisher es auf die Besserung und Heiligung der Menschen wirken,
und was für in die Augen fallende Einflüsse auf Moralität und
Glückseeligkeit dasselbe zeigen würde, wenn es von allen Unrath menschlicher
Hypothesen und Meinungen gereiniget und zu seiner ursprünglichen Lauterkeit
und Einfalt zurückgeführt würde.</seg></p>
<p><seg xml:id="quote_bs_a15_2">O möchten doch <choice>
<abbr>Ew.</abbr>
<expan>Euer</expan>
<expan>Eure</expan>
</choice>
<choice>
<abbr>Kayserl.</abbr>
<expan>Kayserliche</expan>
</choice>
<index indexName="persons-index">
<term>Joseph II. (Habsburg)</term>
</index><rs ref="textgrid:3r6fp">Majestät</rs> von Gott auserkohren seyn,
alle diejenigen vor der Wuth der <index indexName="subjects-index">
<term>Verfolgung</term>
</index>Verfolgung zu schützen, welche Kraft und Muth haben an diesem großen
Anliegen der Menschheit zu arbeiten, den <ptr type="editorial-commentary" target="#erl_a_1_30"/><seg xml:id="quote_bs_a15_3">unübersehligen <index indexName="subjects-index">
<term>Systemsreligion, Wust der</term>
</index>Wust der Systemsreligion</seg> zu untersuchen und <seg xml:id="quote_bs_a15_4"><seg xml:id="quote_bs_a15_5">das reine <index indexName="subjects-index">
<term>Gold der Christusreligion, reines</term>
</index>Gold</seg> der göttlichen und <index indexName="subjects-index">
<term>seligmachend</term>
</index>seeligmachenden <index indexName="subjects-index">
<term>Christusreligion</term>
</index>Christusreligion</seg> wieder herauszufinden.</seg></p>
<p><seg xml:id="quote_bs_a15_6">Möchte unter <index indexName="persons-index">
<term>Joseph II. (Habsburg)</term>
</index><rs ref="textgrid:3r6fp">Allerhöchstdero</rs> Regierung der Tag
anbrechen, da in dem christlichen <pb xml:id="bs_a_page_16" n="16" edRef="#a"/>
<index indexName="subjects-index">
<term>Europa</term>
</index>Europa alle die für Christen gehalten und in den <index indexName="subjects-index">
<term>Menschenrechte</term>
<term type="alternative">Rechte der Menschheit</term>
</index>Rechten des Staats und der Menschheit geschützt werden, <hi>welche
<index indexName="persons-index">
<term>Jesus Christus</term>
<term type="alternative">Christus</term>
</index><persName ref="textgrid:255cd">Jesum Christum</persName>
verehren und seine Lehren befolgen </hi> – ohne gezwungen zu seyn, sich
<ptr type="editorial-commentary" target="#erl_a_1_31"/>Kefisch oder
Paulisch <seg xml:id="quote_bs_a16_1">oder Papisch oder Calvinisch oder
Luthrisch zu nennen</seg> und <seg xml:id="quote_bs_a16_2">auf
Menschenwort zu <index indexName="subjects-index">
<term>schwören</term>
</index>schwören.</seg></seg></p>
<p>Und <seg xml:id="quote_bs_a16_3">möchten doch <index indexName="persons-index">
<term>Joseph II. (Habsburg)</term>
</index><rs ref="textgrid:3r6fp">Allerhöchstdieselben</rs> geruhen, mit
Langmuth und Schonung auf mich unschuldig Verfolgten vom Thron der Majestät
herabzublicken</seg>, und nun mein Glaubensbekenntniß in Gnaden von mir
anzunehmen.</p>
<floatingText>
<body>
<div>
<head>Was ich glaube und nicht glaube.</head>
<list>
<item><hi rend="center-aligned">1.</hi><lb/>„<seg xml:id="quote_bs_a16_4">Ich glaube, daß ich und alle
Menschen <index indexName="subjects-index">
<term>Sünder</term>
</index>Sünder sind, welche der Gnade und Erbarmung Gottes
bedürfen. Daß aber dieses (daß wir <index indexName="subjects-index">
<term>Sünder</term>
</index>Sünder sind) uns angebohren sey und daß alle
Menschen mit der <index indexName="subjects-index">
<term>Neigungen</term>
</index>Neigung zu allem Bösen auf die Welt kommen, <pb xml:id="bs_a_page_17" n="17" edRef="#a"/> daran zweifle
ich. Vielmehr scheinen mir die Menschen an ihrem Verderben
selbst <index indexName="subjects-index">
<term>Schuld</term>
</index>Schuld zu haben. Denn ich bemerke in ihnen <index indexName="subjects-index">
<term>Natur, von</term>
</index>von Natur so viel herrliche Anlagen zur <index indexName="subjects-index">
<term>Tugend</term>
</index>Tugend, so viel <index indexName="subjects-index">
<term>Gefühle, angeborene edle</term>
</index>angebohrne, edle Gefühle und <index indexName="subjects-index">
<term>Neigungen</term>
</index>Neigungen, daß vielleicht nur eine <ptr type="editorial-commentary" target="#erl_a_1_32"/>andere
<index indexName="subjects-index">
<term>Erziehungsmethode</term>
</index>Erziehungsmethode und von Tyranney und Luxus mehr
entfernte Lebensart nöthig wäre, um der <index indexName="subjects-index">
<term>Menschheit, ursprüngliche Güte der</term>
</index>Menschheit ihre ursprüngliche Güte
wiederzugeben.</seg><supplied>“</supplied>
</item>
<item>2. „<seg xml:id="quote_bs_a17_1">Ich glaube, daß der Mensch,
so wie er alles Gute Gott zu verdanken hat, auch all sein
<index indexName="subjects-index">
<term>moralisch Gutes</term>
</index>moralisches Gute, was in ihm ist, der Gnade Gottes
schuldig sey. Daß aber Gott die Besserung der Menschen
selbst wirke, und der Mensch nichts thue, als Gott stille
halte, ist wider die <index indexName="subjects-index">
<term>Schrift</term>
</index>Schrift, und beruhet dieser Irrthum gröstentheils
auf dem <ptr type="editorial-commentary" target="#erl_a_1_33"/>Wort <index indexName="subjects-index">
<term>Gnade</term>
</index><hi>Gnade</hi> , welches die meisten Lehrer der
Kirche bisher gemisdeutet haben.</seg><supplied>“</supplied>
</item>
<item>3. „<seg xml:id="quote_bs_a17_2">Ich glaube, daß uns Gott <ptr type="editorial-commentary" target="#erl_a_1_34"/>aus
blosser Gnade unsre Sünden vergiebt, und daß unsere Tugend
und unser Eifer im Guten, da er selbst im Grunde <index indexName="subjects-index">
<term>Wohltaten Gottes</term>
</index>Wohlthat Gottes und mit so viel Mängeln und
Unvollkommenheiten befleckt ist, einer ganzen <index indexName="subjects-index">
<term>Ewigkeit</term>
</index>Ewigkeit voll Lohn und <pb xml:id="bs_a_page_18" n="18" edRef="#a"/> Seeligkeit nicht werth sey: Daß aber
doch unsere <index indexName="subjects-index">
<term>Besserung</term>
</index>Besserung und <index indexName="subjects-index">
<term>Tugend</term>
</index>Tugend auf der einen Seite die Bedingung sey, unter
welcher uns Gott <index indexName="subjects-index">
<term>Vergebung der Sünden</term>
</index>Vergebung der Sünde und ewige <index indexName="subjects-index">
<term>Seligkeit, Bedingung der</term>
</index>Seeligkeit um <index indexName="persons-index">
<term>Jesus Christus</term>
<term type="alternative">Christus</term>
</index><persName ref="textgrid:255cd">Christi</persName>
willen ( <choice>
<abbr>d. h.</abbr>
<expan>das heißt</expan>
</choice> weil er diese Gnadengeschenke allen Tugendhaften
durch <index indexName="persons-index">
<term>Jesus Christus</term>
<term type="alternative">Christus</term>
</index><persName ref="textgrid:255cd">Jesum
Christum</persName> verheißen und versiegelt hat)
ertheilet, und daß sie auf der andern Seite die natürliche
Quelle der höchsten <index indexName="subjects-index">
<term>Seligkeit</term>
</index>Seeligkeit ist, aus welcher dieselbe von selbst
erfolget. Daß aber <seg xml:id="quote_bs_a18_1">Gott blos
<seg xml:id="quote_bs_a18_2">um eines <index indexName="subjects-index">
<term>Menschenopfer</term>
</index>Menschenopfers willen</seg></seg> mir meine
Sünden vergebe, und um einer fremden Tugend willen die
Flecken der Meinigen übersehe, das ist wider meine <index indexName="subjects-index">
<term>Vernunft</term>
</index>Vernunft, und habe ich auch nie etwas davon in <choice>
<abbr>h.</abbr>
<expan>heiliger</expan>
</choice> Schrift gefunden.</seg><supplied>“</supplied>
</item>
<item>4. „<seg xml:id="quote_bs_a18_3">Ich glaube, daß Gott den
Aposteln seinen <index indexName="subjects-index">
<term>Geist Gottes</term>
</index>Geist gegeben hat; daß aber dieser Geist eine dritte
<index indexName="subjects-index">
<term>Person, dritte</term>
</index>Person in der Gottheit sey, davon bin ich nicht
überzeugt: vielmehr finde ich in heiliger Schrift keine
andre Bedeutung von dem <ptr type="editorial-commentary" target="#erl_a_1_35"/><foreign xml:lang="grc">πνευμα
αγιων</foreign> als diese beyden: daß es entweder
göttlich gewirkte Gaben, <index indexName="subjects-index">
<term>Talente</term>
</index>Talente und Kräfte anzeigt, oder das nomen Dei
selbst, welcher diese Gaben
mittheilt.</seg><supplied>“</supplied>
</item>
<item>
<pb xml:id="bs_a_page_19" n="19" edRef="#a"/> 5. „<seg xml:id="quote_bs_a19_1">Ich glaube, daß Gott in und mit
<index indexName="persons-index">
<term>Jesus Christus</term>
<term type="alternative">Christus</term>
</index><persName ref="textgrid:255cd">Christo</persName>
war, und daß wir folglich alle den <index indexName="subjects-index">
<term>Sohn</term>
</index>Sohn zu ehren verbunden sind, wie wir den Vater
ehren: allein wie Gott in <index indexName="persons-index">
<term>Jesus Christus</term>
<term type="alternative">Christus</term>
</index><persName ref="textgrid:255cd">Christo</persName>
war, ob <ptr type="editorial-commentary" target="#erl_a_1_36"/>nach <index indexName="classics-index">
<term>Athanasius von Alexandrien</term>
</index><persName ref="textgrid:2sjxr">Athanasius</persName>
Vorstellungsart (welche ich gerade für die schlechteste
halte) oder nach <index indexName="classics-index">
<term>Arius</term>
</index><persName ref="textgrid:3r67m">Arius</persName> oder
<index indexName="classics-index">
<term>Sabellius</term>
</index><persName ref="textgrid:3r67n">Sabellius</persName>
oder eines andern Meynung, das ist für den Zweck der <index indexName="subjects-index">
<term>Religion, Zweck der</term>
</index>Religion <choice>
<abbr>d. h.</abbr>
<expan>das heißt</expan>
</choice> für die Besserung und Beruhigung der Menschen,
sehr gleichgültig, und <seg xml:id="quote_bs_a19_2">sollte
nie mit kirchlicher <index indexName="subjects-index">
<term>Autorität</term>
</index>Autorität entschieden, sondern jedem überlassen
werden, wie er sichs denken will.</seg>
<seg xml:id="quote_bs_a19_3">Indessen scheint mir so viel
aus <index indexName="subjects-index">
<term>Vernunft</term>
</index>Vernunft und <index indexName="subjects-index">
<term>Schrift</term>
</index>Schrift bis zur höchsten <index indexName="subjects-index">
<term>Evidenz</term>
</index>Evidenz erweißlich, daß <index indexName="persons-index">
<term>Jesus Christus</term>
<term type="alternative">Christus</term>
</index><persName ref="textgrid:255cd">Christus</persName> und der einige Gott <index indexName="subjects-index">
<term>Jehova</term>
</index>Jehovah, den er seinen Vater nennt, sehr
verschieden sind, und daß wenigstens <index indexName="persons-index">
<term>Jesus Christus</term>
<term type="alternative">Christus</term>
</index><persName ref="textgrid:255cd">Christus</persName> nicht in dem nämlichen Sinne
Gott heisse, in welchen es der einige Gott <index indexName="subjects-index">
<term>Jehova</term>
</index>Jehovah heißt</seg>; wie er sich denn selbst
über diese Benennung <ptr type="editorial-commentary" target="#erl_a_1_37"/><bibl type="biblical-reference">
<citedRange n="Joh:10">Joh. 10.</citedRange>
</bibl> deutlich und ehrlich genug erklärt hat; wenn er
denen, die ihm Gotteslästerung vorwarfen, sagt: – Wenn die
Schrift alle die <hi>Gott</hi> nennt, <foreign xml:lang="grc">προς ους ο λογος θεου εγενετο </foreign>
, <choice>
<abbr>d. h.</abbr>
<expan>das heißt</expan>
</choice> die göttliche <index indexName="subjects-index">
<term>Aufklärungen</term>
</index>Aufklärungen zu Belehrung der Menschen erhalten
haben, wie könnte ich <hi>mir</hi> über diese Benennung
ei<pb xml:id="bs_a_page_20" n="20" edRef="#a"/>nen
Vorwurf machen, <ptr type="editorial-commentary" target="#erl_a_1_38"/>(<foreign xml:lang="grc">ον ο
πατηρ ηγιασε </foreign>) da mich der Vater so ganz
besonders ausgezeichnet hat.</seg><supplied>“</supplied>
</item>
<item>6. „<seg xml:id="quote_bs_a20_1">Daß für Christen der <index indexName="subjects-index">
<term>Glaube</term>
</index>Glaube an <index indexName="persons-index">
<term>Jesus Christus</term>
<term type="alternative">Christus</term>
</index><persName ref="textgrid:255cd">Jesum
Christum</persName> die unausbleibliche Bedingung der
<index indexName="subjects-index">
<term>Seligkeit, Bedingung der</term>
</index>Seeligkeit sey, ist unleugbar. Allein daß sich diese
Verbindlichkeit auch auf die <ptr type="editorial-commentary" target="#erl_a_1_39"/><index indexName="subjects-index">
<term>Nichtchristen</term>
</index>Nichtchristen erstrecke, halte <hi>ich</hi> für
<index indexName="subjects-index">
<term>unvernünftig</term>
</index>unvernünftig, unmenschlich und <index indexName="subjects-index">
<term>schriftwidrig</term>
</index>schriftwidrig. Und <ptr type="editorial-commentary" target="#erl_a_1_40"/>daß dieser Glaube in einer
Ergreifung und <index indexName="subjects-index">
<term>Zueignung des Verdienstes Christi</term>
</index>Zueignung des Verdienstes <index indexName="persons-index">
<term>Jesus Christus</term>
<term type="alternative">Christus</term>
</index><persName ref="textgrid:255cd">Christi</persName>
bestehe, halte ich für eben so falsch. Wenigstens steht im
neuen Testament so wenig von diesem Begrif des <index indexName="subjects-index">
<term>Glaube</term>
</index>Glaubens, daß es mir ein Räthsel ist, wie die Lehrer
der Kirche je haben drauf fallen können. <seg xml:id="quote_bs_a20_2">Der Glaube an <index indexName="persons-index">
<term>Jesus Christus</term>
<term type="alternative">Christus</term>
</index><persName ref="textgrid:255cd">Christum</persName> ist Annehmung und Befolgung der
Lehre <index indexName="persons-index">
<term>Jesus Christus</term>
<term type="alternative">Christus</term>
</index><persName ref="textgrid:255cd">Jesu</persName>,
und festes <index indexName="subjects-index">
<term>Vertrauen</term>
</index>Vertrauen auf seine mit seinem Tode besiegelten
<index indexName="subjects-index">
<term>Verheißungen</term>
</index>Verheißungen einer künftigen <index indexName="subjects-index">
<term>Seligkeit</term>
</index>Seeligkeit der
Tugendhaften.</seg></seg><supplied>“</supplied>
</item>
<item>7. „<seg xml:id="quote_bs_a20_3">Daß Gott alle <index indexName="subjects-index">
<term>Tugendhafte</term>
</index>Tugendhafte in einem andern Leben höchstseelig
machen werde, glaube ich; daß er aber eben so geneigt sey,
die Bösen <hi>in alle</hi>
<index indexName="subjects-index">
<term>Ewigkeit</term>
</index><hi>Ewigkeit</hi> zu martern und dem Teufel zu
übergeben, glaube ich nicht. Denn er selbst sagt: <ptr type="editorial-commentary" target="#erl_a_1_41"/>ich
bin ein eifriger Gott, der über <pb xml:id="bs_a_page_21" n="21" edRef="#a"/> die, so mich hassen, die Sünde der
Väter heimsucht bis ins <hi>dritte und vierte Glied</hi> ,
aber denen, so mich lieben und meine Gebote halten, denen
thue ich wohl bis ins <hi>tausende</hi> Glied. Daraus
schliesse ich gegen die, welche Gott gern eben so <index indexName="subjects-index">
<term>strafgierig</term>
</index>strafgierig als gütig machen möchten: wie sich
verhält 4 gegen 1000, so verhält sich Gottes Neigung zu
strafen, gegen seine Neigung zu
belohnen.</seg><supplied>“</supplied>
</item>
<item>8. „<seg xml:id="quote_bs_a21_1">Daß es <index indexName="subjects-index">
<term>Engel</term>
</index>Engel und <index indexName="subjects-index">
<term>Teufel</term>
</index>Teufel giebt, mag wahr seyn: Daß sie aber das sind,
wofür das <index indexName="subjects-index">
<term>Kirchensystem</term>
</index>Kirchensystem sie ausgiebt – daß sie leiblich die
Menschen besizen, daß sie sich als Gespenster zeigen, daß
sie in die Seelen der Menschen wirken, und böse Gedanken und
Vorsätze hervorbringen können, dazu habe ich nie einen
hinreichenden Grund gefunden, es zu
glauben.</seg><supplied>“</supplied>
</item>
<item>9. „<seg xml:id="quote_bs_a21_2">Daß die göttlichen Schriften
neuen Testaments göttliche Belehrungen der Menschen zur
Glückseeligkeit enthalten, denen wir alles <index indexName="subjects-index">
<term>Vertrauen</term>
</index>Vertrauen und allen <index indexName="subjects-index">
<term>Gehorsam</term>
</index>Gehorsam schuldig sind, davon bin ich gewiß; daß
aber <ptr type="editorial-commentary" target="#erl_a_1_42"/>Gott alle in diesen Schriften enthaltene Worte eingegeben
habe, davon habe ich noch nie einen befriedigenden Beweis
gelesen.</seg><supplied>“</supplied>
</item>
<item>10. „<seg xml:id="quote_bs_a21_3">Daß alle Christen die <index indexName="subjects-index">
<term>Religionslehre</term>
</index>Religionslehren der Schrift, welche ohne <index indexName="subjects-index">
<term>Kunstauslegung</term>
</index>Kunstauslegung darin<pb xml:id="bs_a_page_22" n="22" edRef="#a"/>nen zu finden sind, zu glauben und zu
befolgen verbunden sind, ist gewiß, <seg xml:id="quote_bs_a22_1">daß aber der <index indexName="subjects-index">
<term>Kirche</term>
</index>Kirche, (darunter ich mir doch eigentlich nichts
als <ptr type="editorial-commentary" target="#erl_a_1_43"/>den <hi>großen Haufen</hi>
{plurima vota} der <index indexName="subjects-index">
<term>Geistlichkeit</term>
</index>Geistlichkeit denke, die, wie schon oben gesagt
worden, zu keiner Zeit das <index indexName="subjects-index">
<term>Vorurteile</term>
</index>Vorurtheil der tiefen Einsicht, Gelehrsamkeit
und <index indexName="subjects-index">
<term>unparteiisch</term>
</index>unpartheyischen Prüfungsgabe, gehabt hat)</seg>
<seg xml:id="quote_bs_a22_2">das Recht zustehe, mir, aus den
Sätzen der Schrift künstlich gefolgerte Lehren und
Begriffe aufzudringen</seg>, das glaube ich nicht. <seg xml:id="quote_bs_a22_3">Wenigstens wäre dieß ganz wider
die Grundsätze des <ptr type="editorial-commentary" target="#erl_a_1_44"/><index indexName="subjects-index">
<term>Protestantismus</term>
</index>Protestantismus, welcher im deutschen Reich mit
dem <index indexName="subjects-index">
<term>Katholizismus</term>
</index>Catholicismus gleiche Herrschaft und Rechte
behauptet. Denn nach diesen Grundsätzen bin ich in
Absicht auf meinen Glauben an keines Menschen Ansehn
gebunden, sondern habe das Recht, <ptr type="editorial-commentary" target="#erl_a_1_45"/>alles zu <index indexName="subjects-index">
<term>prüfen</term>
</index>prüfen, und nur das zu behalten, wovon ich mich
aus Gottes Wort überzeugt fühle.</seg> Und <seg xml:id="quote_bs_a22_4">dieses Recht erstreckt sich bey
protestantischen <index indexName="subjects-index">
<term>Lehrer, protestantische</term>
</index><hi>Lehrern</hi> noch weiter als bey gemeinen
Protestanten.</seg>
<seg xml:id="quote_bs_a22_5">Denn <seg xml:id="quote_bs_a22_6">als ein solcher bin ich ein
Theil der <index indexName="subjects-index">
<term>Kirche, repräsentierende</term>
</index>repräsentirenden Kirche</seg>, und bin daher
nicht nur verpflichtet, <seg xml:id="quote_bs_a22_7">die
<index indexName="subjects-index">
<term>Lehrsätze</term>
</index>Lehrsätze meiner Kirche zu <index indexName="subjects-index">
<term>prüfen</term>
</index>prüfen, sondern auch das Resultat meiner
Prüfung, wenn <pb xml:id="bs_a_page_23" n="23" edRef="#a"/> es von Wichtigkeit ist, meinen
Glaubensbrüdern vorzulegen</seg>, wie ich bisher in
einigen meiner Schriften gethan habe, auch fernerhin
thun werde, und in diesem meinem öffentlichen Bekenntniß
jezt zum erstenmale vor dem allerhöchsten Richterstuhle
thun zu können, gewürdiget
werde.</seg></seg><supplied>“</supplied>
</item>
</list>
</div>
</body>
</floatingText>
<p>
<choice>
<abbr>Ew.</abbr>
<expan>Euer</expan>
<expan>Eure</expan>
</choice>
<choice>
<abbr>Kaiserl.</abbr>
<expan>Kaiserliche</expan>
</choice>
<index indexName="persons-index">
<term>Joseph II. (Habsburg)</term>
</index><rs ref="textgrid:3r6fp">Majestät</rs> gestatten mir allergnädigst, nun
dieser meiner Erklärung und Bekenntniß nur dieses einzige noch hinzuzufügen, was
in der That der allergrößten Aufmerksamkeit werth ist: daß es mir
höchstwahrscheinlich ist, es sey dieß zugleich das Bekenntniß eines sehr großen
und ansehnlichen Theils der deutschen Nation. </p>
<p><seg xml:id="quote_bs_a23_1">Tausend und aber Tausend denken so wie ich; nur daß
sie keine Gelegenheit oder Verbindlichkeit oder auch nicht genug
Freymüthigkeit haben mögen, es laut zu sagen.</seg></p>
<p>Tausend und aber Tausend wünschen, sehnen sich mit mir, nach <index indexName="subjects-index">
<term>Reform</term>
</index>Reforme, nach <index indexName="subjects-index">
<term>Freiheit</term>
</index>Freyheit – weil sie sehen, daß diese <index indexName="subjects-index">
<term>Freiheit</term>
</index>Freyheit das sichere und entscheidende Mittel seyn <pb xml:id="bs_a_page_24" n="24" edRef="#a"/> werde, den Sieg der Religion
<index indexName="persons-index">
<term>Jesus Christus</term>
<term type="alternative">Christus</term>
</index><persName ref="textgrid:255cd">Jesu</persName> allgemein zu machen,
allen <index indexName="subjects-index">
<term>Unglaube</term>
</index>Unglauben zu beschämen, und in kurzem eine <ptr type="editorial-commentary" target="#erl_a_1_46"/>allgemeine <index indexName="subjects-index">
<term>Verbrüderung</term>
</index>Verbrüderung aller Religionspartheyen zu stiften. </p>
<p><seg xml:id="quote_bs_a24_1">Tausend und aber Tausend flehen mit mir um <seg xml:id="quote_bs_a24_2">die <ptr type="editorial-commentary" target="#erl_a_1_47"/><index indexName="subjects-index">
<term>Menschenrechte</term>
<term type="alternative">Rechte der Menschheit</term>
</index>Rechte der Menschheit und des <index indexName="subjects-index">
<term>Gewissensrechte</term>
<term type="alternative">Rechte des Gewissens</term>
</index>Gewissens</seg></seg>, und stimmen in meine allerunterthänigste
Bitte, <seg xml:id="quote_bs_a24_3">daß <choice>
<abbr>Ew.</abbr>
<expan>Euer</expan>
<expan>Eure</expan>
</choice>
<choice>
<abbr>Kayserl.</abbr>
<expan>Kayserliche</expan>
</choice>
<index indexName="persons-index">
<term>Joseph II. (Habsburg)</term>
</index><rs ref="textgrid:3r6fp">Majestät</rs>, mit <ptr type="editorial-commentary" target="#erl_a_1_48"/>Zuziehung der <index indexName="subjects-index">
<term>Reichsstände (Stände des Reichs)</term>
</index>Stände des Reichs, ein Mittel ausfindig machen möchten, wodurch die
beyden Stüzen der öffentlichen <index indexName="subjects-index">
<term>Glückseligkeit, öffentliche</term>
</index>Glückseeligkeit – <index indexName="subjects-index">
<term>Gewissensfreiheit</term>
</index>Gewissensfreyheit und <index indexName="subjects-index">
<term>Kirchenfriede</term>
</index>Kirchenfriede – vereinigt und in ewiger Verbindung erhalten werden
könnten.</seg></p>
<p>Ich ersterbe in allertiefster Submission</p>
<p rend="center-aligned">
<choice>
<abbr>
<hi>Ew.</hi>
</abbr>
<expan>Euer</expan>
<expan>Eurer</expan>
</choice>
<choice>
<abbr>
<hi>Kayserl.</hi>
</abbr>
<expan>Kayserlichen</expan>
</choice>
<index indexName="persons-index">
<term>Joseph II. (Habsburg)</term>
</index><rs ref="textgrid:3r6fp"><hi>Majestät</hi></rs>
</p>
<signed> allerunterthänigster Knecht, <lb/>
<choice>
<abbr>D.</abbr>
<expan>Doctor</expan>
</choice>
<index indexName="persons-index">
<term>Bahrdt, Carl Friedrich</term>
</index><persName ref="textgrid:2541p"><choice>
<sic>Carl.</sic>
<corr type="editorial">Carl</corr>
</choice> Friedrich Bahrdt</persName>.</signed>
<note type="editorial-commentary" place="end" xml:id="erl_a_1_1"><label>Herr
Herr!</label>
<p>Zu der Gepflogenheit, bei Schreiben an höhergestellte Minister oder Regenten
die Anrede „Herr“ zu verdoppeln, vgl. etwa die dringende Empfehlung in
Johann Alphons de Lugos <hi>Sistematische[m] Handbuch für Jedermann, der
Geschäftsaufsätze zu entwerfen hat, Erster Theil für Privatpersonen</hi>
(³1784), 260.</p></note>
<note type="editorial-commentary" place="end" xml:id="erl_a_1_2"><label>Reichsbüchercommisarius von Scheben</label>
<p>Der Wormser Weihbischof Franz Xaver Anton Freiherr von Scheben (1711–1779)
wurde 1765 Kaiserlicher Bücherkommissar in Frankfurt. Er stand der
kaiserlichen Bücherkommission vor, die seit dem 16. Jh. die Aufsicht und
weltliche Zensur über den Buchmarkt, besonders im Umfeld der Frankfurter
Buchmesse, umsetzen sollte. Scheben war ab 1767 zudem Apostolischer
Bücherkommissar und somit auch mit der römischen Buchzensur betraut. Das
Reichshofratsconclusum vom 27. März 1779 rügte explizit das fehlende
Einschreiten der Frankfurter Bücherkommission und setzte sie gleichzeitig
als Adressat der von Bahrdt geforderten Erklärung ein.</p></note>
<note type="editorial-commentary" place="end" xml:id="erl_a_1_3"><label>meiner
Übersetzung [...] unter dem Titel: die neusten Offenbahrungen Gottes</label>
<p>Bahrdt veröffentlichte zwischen 1773 und 1774 in vier Teilen eine Übersetzung
des Neuen Testaments unter dem Titel <hi>Die neusten Offenbarungen Gottes in
Briefen und Erzählungen</hi>, Riga bey Johann Friedrich Hartknoch. Eine
zweite Ausgabe (<hi>Die neusten Offenbarungen Gottes</hi>) in zwei Bänden
erschien 1777 in Frankenthal bey Ludwig Bernhard Friedrich Gegel
(1731–1788), später sogar noch eine dritte Ausgabe (<hi>Das Neue Testament
oder die neuesten Belehrungen Gottes durch Jesum und seine Apostel</hi>)
1783 in Berlin bei August Mylius, außerdem ein von Johann Friedrich Kleuker
(1749–1827) anonym herausgegebener, berichtigter und ausführlich
kommentierter Nachdruck der zweiten Auflage (<hi>Die lezten Offenbarungen
Gottes das ist die Schriften des Neuen Testaments</hi>) 1780/81 in
Frankfurt und Leipzig.</p></note>
<note type="editorial-commentary" place="end" xml:id="erl_a_1_4"><label>Anklage
[...] vom 4ten Februar 1778</label>
<p>Am 4. Februar 1778 war ein erstes Reichshofratsconclusum erschienen, welches
das Verfahren und erste Maßnahmen gegen Bahrdt einleitete. Ein Abdruck
findet sich etwa im <hi>Frankfurter Staats-Ristretto</hi>, Nr. 33
(27.2.1778), 133f., sowie in den <hi>[N]euesten Religionsbegebenheiten</hi>
2 (1779), 128–131.</p></note>
<note type="editorial-commentary" place="end" xml:id="erl_a_1_5"><label>Sr.
Churfürstl. Durchlaucht zu Pfalz</label>
<p>Gemeint ist Karl Theodor von Pfalz-Sulzbach (1724–1799), seit 1742 Pfalzgraf
und Kurfürst von der Pfalz und seit 1777 auch Kurfürst von Bayern. Er ist
hier als Kurfürst von der Pfalz angesprochen, weil Bahrdts inkriminiertes
Buch <hi>Die neusten Offenbarungen Gottes</hi> in der zweiten Auflage von
1777 im pfälzischen Frankenthal gedruckt worden war. Entgegen der
reichsrechtlich immer wieder geforderten Pflicht hatte der Drucker Gegel
kein kaiserliches Druckprivileg erworben, das im Gegenzug eine weltliche
Präventivzensur zur Folge gehabt hätte. Die Erteilung des Druckprivilegs und
die Ahndung von diesbezüglichen Verstößen oblag dem Reichshofrat. Die
Bestrafung des Druckers überließ der Reichshofrat dem Kurfürsten, mahnte
aber eine Benachrichtigung darüber an.</p></note>
<note type="editorial-commentary" place="end" xml:id="erl_a_1_6"><label>Einziehung
der noch vorfindlichen Exemplarien</label>
<p>Im Reichshofratsconclusum vom 4. Februar 1778 werden explizit der pfälzische
Kurfürst sowie Bahrdts Landesherr, der Reichsgraf zu Leiningen-Heidesheim,
aufgefordert, „alle in seinem Gebieth antreffende Exemplaria dieses Buchs
einsweilen auf die Seite zu schaffen, und in Verwahrung zu halten“
(<hi>Frankfurter Staats-Ristretto</hi>, 33. St., 27.2.1778, 133). Bahrdt
selbst gab daraufhin noch in Heidesheim in dem von ihm herausgegebenen
<hi>Litterarische[n] Correspondenz- und Intelligenzblatt</hi> süffisant
die Verbote seines Buches in Worms, Speyer und Frankfurt bekannt.</p></note>
<note type="editorial-commentary" place="end" xml:id="erl_a_1_7"><label>Einholung
theologischer Gutachten von Göttingen und Würzburg</label>
<p>Der Reichshofrat hatte in seinem Conclusum vom 4. Februar 1778 zwei
theologische Fakultäten zur Beurteilung von Bahrdts Bibelübertragung
(<hi>Die neusten Offenbarungen Gottes</hi>) aufgerufen. Die zwei
Gutachten aus dem lutherischen Göttingen und dem katholischen Würzburg lagen
1779 im Druck vor (Berlin und Leipzig bey George Jacob Decker) und wurden in
den zeitgenössischen Rezensionen lebhaft diskutiert.</p></note>
<note type="editorial-commentary" place="end" xml:id="erl_a_1_8"><label>einstweilige
Amtssuspension [...] zu verordnen</label>
<p>Der Reichshofrat wies Bahrdts Landesherrn, den Reichsgrafen zu
Leiningen-Heidesheim, bereits im ersten Beschluss vom 4. Februar 1778 an,
ihm vorsorglich „das Bücherschreiben, Lehren und Predigen“ (<hi>Frankfurter
Staats-Ristretto</hi>, 33. St., 27.2.1778, 133) zu untersagen. Das
Finalconclusum vom 27. März 1779 bekräftigte diesen Befehl ausdrücklich „ein
für allemal bey Vermeidung schärferer Strafe“.</p></note>
<note type="editorial-commentary" place="end" xml:id="erl_a_1_9"><label>der mit den
Episcopal gerechtsamen versehene protestantische Reichsgraf von Leiningen
Dagsburg</label>
<p>Carl Friedrich Wilhelm von Leiningen-Dagsburg-Falkenburg (1724–1807), ab 1779
erster Fürst zu Leiningen, fungierte in seinem Territorium als „Notbischof“
der lutherischen Kirche. Ihm unterstand somit die Aufsicht über
Kirchenangelegenheiten und er war direkter Dienstherr von Bahrdt, der seit
1776 Superintendent in der leiningischen Residenz Dürkheim an der Haardt
war.</p></note>
<note type="editorial-commentary" place="end" xml:id="erl_a_1_10"><label>meine
Gemeine [...] flehentlich gebeten hatte</label>
<p>Die Gemeinde im pfälzischen Dürkheim, deren Superintendent Bahrdt seit Juli
1776 war, hatte eine Supplik (lat. <hi>supplicium</hi>; „flehentliche
Bitte“) an den Kaiser gerichtet. Der genaue Wortlaut ist nicht bekannt, vgl.
aber Bahrdt, <hi>Geschichte seines Lebens</hi> III (1791), 385.</p></note>
<note type="editorial-commentary" place="end" xml:id="erl_a_1_11"><label>sub poena
einer gänzlichen Verweisung aus den Gränzen des H. R. Reichs</label>
<p>Das Reichshofratsconclusum vom 27. März 1779 drohte bei Ungehorsam (lat.
<hi>contumacia</hi>) die Reichsacht an. Dieses „Contumax-Acht“ genannte
Zwangsmittel benutzte der Reichshofrat weiterhin, obwohl die Reichsacht
bereits im Jüngsten Reichsabschied (1654) offiziell abgeschafft worden
war.</p></note>
<note type="editorial-commentary" place="end" xml:id="erl_a_1_12"><label>eine über
meine wahren [...] in termino duorum mensium</label>
<p>Hier paraphrasiert Bahrdt das Reichshofratsconclusum vom 27. März 1779 fast
wörtlich, unterschlägt allerdings den dort explizit genannten Befehl, seine
Druckschrift vorab der kaiserlichen Bücherkommission zur Einsicht, d.h. zur
Präventivzensur, vorzulegen. Der Reichshofrat setzte für die Einreichung der
Druckschrift die gängige Frist von zwei Monaten.</p></note>
<note type="editorial-commentary" place="end" xml:id="erl_a_1_13"><label>meiner
Gattinn und vier kleinen unerzognen Kindern</label>
<p>Bahrdt war seit 1769 mit Johanna Elisabetha Kühn (1746/47–1793) verheiratet,
der Witwe des sächsischen Regierungssekretärs Christian Wilhelm Kühn und
Tochter des Konsistorialrats und Superintendenten Christian Wilhelm Volland
(1682–1757) aus Mühlhausen (Thüringen). Aus der Ehe gingen acht Kinder
hervor, von denen vier (drei Jungen und ein Mädchen) binnen weniger Tage
oder Wochen nach der Geburt starben. Zur Abfassungszeit des
<hi>Glaubensbekenntniß</hi> lebten vier Töchter. Namentlich bekannt sind
die älteste Tochter Johanna Christiana („Hanchen“; 1773–1791), Christel,
sowie die jüngste Tochter „Dorchen“ (gest. 1779, nachdem die Eltern das
todkranke Kind in Heidesheim zurückgelassen hatten). Daneben hatte Bahrdt
mindestens fünf (vermutlich aber mehr) uneheliche Kinder: davon drei –
Johanne Caroline (1789–1835), Erdmann Hannibal (1791–1792) und ein weiteres
namentlich nicht bekanntes – mit der Magd Christina Klarius (Christine Klar)
in Nietleben, Zwillingsmädchen (geboren 1778) mit einer Magd aus Heidesheim
sowie wahrscheinlich ein Kind (geboren 1768) mit einer Prostituierten in
Leipzig. – Bahrdt erwähnt seine (ehelichen) Kinder recht selten. Wenn er es
tut, spricht er aber mit Wärme von ihnen. Insbesondere seine älteste Tochter
scheint er innig geliebt zu haben. Als Bahrdt seine Ehe im zweiten und
dritten Teil seiner Autobiographie (1790/91) in schwarzen Farben malte und
als von Beginn an unglücklich beschrieb, replizierte Bahrdts Schwager –
Georg Gottfried Volland, <hi>Beiträge und Erläuterungen zu Herrn Doctor Carl
Friedrich Bahrdts Lebensbeschreibung die er selbst verfertiget</hi>
(1791) – mit einer Ehrenrettung seiner Schwester: Bahrdt habe aus Liebe
geheiratet (16) und mit seiner Frau vor der Nietlebener Zeit „sehr vergnügt
gelebet“ (6), bis er sie schließlich einer „nichtswürdigen Hure [Christina
Klarius]“ (5) aufopferte und verstieß.</p></note>
<note type="editorial-commentary" place="end" xml:id="erl_a_1_14"><label>Schlosse
Heidesheim</label>
<p>Das Schloss Heidesheim, auf dem Gebiet der heutigen Gemeinde Obrigheim
(Pfalz), beheimatete das von Bahrdt während seiner Dürkheimer
Superintendentur (s. <ptr type="page-ref" target="#erl_a_1_10"/>) ins Leben
gerufene und geleitete reformpädagogische Philanthropinum, das im Mai 1777
den Lehrbetrieb aufgenommen hatte. Die erste und berühmteste Schule dieser
Art war 1774 von Johann Bernhard Basedow (1724–1790) in Dessau gegründet
worden. Bahrdt selbst hatte bereits von Juni 1775 bis Juni 1776 dem
Philanthropinum in Marschlins (Graubünden) als Direktor vorgestanden. Dort
verfasste er auch einen neuartigen <hi>Philanthropinische[n] Erziehungsplan
oder vollständige Nachricht von dem ersten wirklichen Philanthropin zu
Marschlins</hi> (1776; ²1777). – Die Neugründung in Heidesheim entpuppte
sich spätestens mit dem finanziellen Rückzug des Reichsgrafen von
Leiningen-Dagsburg (vgl. <ptr type="page-ref" target="#erl_a_1_9"/>) als
wirtschaftliches Desaster. Nach Bahrdts „Weggang“ (vgl. <ptr type="page-ref" target="#erl_a_1_15"/>) wurde die Schule geschlossen, sein
zurückgelassener Besitz versteigert, ein Großteil der Schulden jedoch nie
beglichen, vgl. <ptr type="page-ref" target="#erl_b_10_34"/>. Das Schloss
wurde 1794 schließlich von französischen Revolutionstruppen
niedergebrannt.</p></note>
<note type="editorial-commentary" place="end" xml:id="erl_a_1_15"><label>in ein
ander Land gezogen</label>
<p>Das <hi>Glaubensbekenntniß</hi> wurde zwar in Heidesheim geschrieben,
allerdings war Bahrdts Weggang zur Abfassungszeit bereits beschlossene
Sache. Nach einer abenteuerlichen Flucht vor seinen Gläubigern erreichte er
am 27. Mai 1779 Preußen und ließ sich mit seiner Familie in Halle (Saale)
nieder. Während Bahrdt seine Ankunft auf den Folgetag datiert
(<hi>Geschichte seines Lebens</hi> IV, 1791, 17), notieren die Hallenser
Universitätsakten den 27. Mai (Archiv der Martin-Luther-Universität
Halle-Wittenberg, Rep. 3, Nr. 272, fol. 1). Am 27. Mai 1779 endete die vom
Reichshofrat verhängte Frist für Bahrdts Stellungnahme und drohte eine
direkte Verhaftung.</p></note>
<note type="editorial-commentary" place="end" xml:id="erl_a_1_16"><label>in meinen
zeitherigen Schriften</label>
<p>Bahrdt war ein Vielschreiber, für den Einnahmen aus Publikationen eine
wichtige Rolle bei der Bestreitung des Lebensunterhalts spielten. Sein Werk
umfasst über 100 selbstständige Schriften (knapp die Hälfte lag zum
Abfassungszeitraum vor). Thematisch betreffen sie sämtliche theologische
Disziplinen, darüber hinaus vor allem politische Philosophie und Pädagogik.
Die Genres reichen von klassischen Abhandlungen und Streitschriften über
Predigten, Jahrbücher, Texteditionen, Übersetzungen, autobiographische Werke
etc. bis hin zu Lustspielen und Romanen. Zu Anfang seiner
schriftstellerischen Laufbahn orientierte sich Bahrdt noch an der
lutherischen Orthodoxie. Erst mit Beginn der 1770er Jahre löste er sich von
ihr. In diese Periode fallen die inkriminierten Schriften (vgl. <ptr type="page-ref" target="#erl_a_1_3"/> und <ptr type="page-ref" target="#erl_a_1_22"/>).</p></note>
<note type="editorial-commentary" place="end" xml:id="erl_a_1_17"><label>um der
Schwachen zu schonen</label>
<p>Gängiger Topos, gemäß dem man in Dingen, die nicht das Wesen der Religion
angehen (Adiaphora), den intellektuell oder motivational „Schwachen“ ihre
(abergläubischen) Meinungen und Praktiken lassen soll. Biblische Bestätigung
hierfür fand man vor allem in den paulinischen Bemerkungen zum Streit um
Speisegebote; vgl. Röm 14,1–23; 1Kor 8,13. Bahrdt benutzt obige Formulierung
explizit in seinen <hi>[N]eusten Offenbarungen</hi> (s. <ptr type="page-ref" target="#erl_a_1_3"/>) für Apg 20,35.</p></note>
<note type="editorial-commentary" place="end" xml:id="erl_a_1_18"><label>übereilte
Bekanntmachung</label>
<p>Während Bahrdt sich hier gerade gegen Übereilung ausspricht, wird Semler ihm
genau eine solche vorwerfen (vgl. <ref target="#bs_b_page_25">b25.</ref><ref target="#bs_b_page_30">30.</ref><ref target="#bs_b_page_62">62.</ref><ref target="#bs_b_page_81">81</ref>) und Bahrdt sich wiederum
(vgl. <ref target="#bs_e_page_5">e5.</ref><ref target="#bs_e_page_6">6.</ref><ref target="#bs_e_page_10">10</ref>) von diesem Vorwurf
distanzieren. Vgl. aber auch Bahrdt, <hi>Geschichte seines Lebens</hi> IV,
1791, 70.</p></note>
<note type="editorial-commentary" place="end" xml:id="erl_a_1_19"><label>Unter diese
Lehrsätze</label>
<p>Während das Reichshofratsconclusum vom 27. März 1779 ein Bekenntnis von
Bahrdt zur Christologie (Art. 5 des <hi>Glaubensbekenntniß[es]</hi>) und
Trinitätslehre (Pneumatologie Art. 4 und Christologie Art. 5) eingefordert
hatte, behandeln die nur wenig systematisch geordneten zehn Artikel seines
<hi>Glaubensbekenntniß[es]</hi> auch weitere Punkte: Sünden- und
Gnadenlehre (Art. 1–3), Erlösungslehre (Art. 6–7), Lehre von Engeln und vom
Teufel (Art. 8), Lehre von der Heiligen Schrift (Art. 9) und Ekklesiologie
(Art. 10).</p></note>
<note type="editorial-commentary" place="end" xml:id="erl_a_1_20"><label>im
Athanasianischen Sinn</label>
<p>Anspielung auf die großen theologischen Kontroversen des 4. Jh.s, aus denen
Athanasius von Alexandrien (299?–373) als Sieger hervorging. Auf dem ersten
Konzil von Nicäa (325) hatte sich die Konzeption der Trinitätslehre
durchsetzen können, die man im bis heute für alle großen Kirchen
verbindlichen nicäno-konstantinopolitanischen Glaubensbekenntnis
wiederfindet. Diese Konzeption wird mit dem Namen des Athanasius assoziiert,
der sie im Nachgang des Konzils wirkmächtig interpretierte und
verteidigte.</p></note>
<note type="editorial-commentary" place="end" xml:id="erl_a_1_21"><label>Augustanae
confessionis</label>
<p>Gemeint ist das <hi>Augsburger Bekenntnis</hi>, eine ursprünglich von
Kurfürst Johann von Sachsen (1468–1532) in Auftrag gegebene Erwiderung an
Kaiser Karl V. (1500–1558) auf dem Augsburger Reichstag 1530. Weitere
evangelisch gesinnte Reichsfürsten schlossen sich an, sodass das
<hi>Augsburger Bekenntnis</hi> schnell die wichtigste Bekenntnisschrift
des lutherischen Protestantismus werden konnte. Seit dem Augsburger
Religionsfrieden (1555) und dem Westfälischen Frieden (1648) bildete es die
Grundlage für die Anerkennung der Evangelischen im Reich.</p></note>
<note type="editorial-commentary" place="end" xml:id="erl_a_1_22"><label>Predigten
über die Person und das Amt Jesu</label>
<p>Gemeint ist <hi>Die Lehre von der Person und dem Amte unsers Erlösers in
Predigten rein biblisch vorgetragen</hi> (1775). Bahrdt legt in seinem
an den Gießener Professorenkollegen und Intimfeind Johann Hermann Benner
(1699–1782) adressierten unpaginierten Vorwort [11]–[20] Wert darauf, dass
das Buch „in der Hauptsache mit den wesentlichen Lehrsätzen unserer Kirche
[...] übereinstimmend“ [15] sei. Diese Einschätzung hinderte den
Bücherkommissar von Scheben (vgl. <ptr type="page-ref" target="#erl_a_1_2"/>) freilich nicht, die Vorwürfe gegen Bahrdt auf besagte Schrift
auszudehnen, vermutlich weil er sie mit der weit anstößigeren
Predigtsammlung von 1772 (<hi>Predigten</hi>) verwechselte. Vgl. dazu
Bahrdts <hi>Kirchen- und Ketzer-Almanach aufs Jahr 1781</hi> [1780],
204–206.</p></note>
<note type="editorial-commentary" place="end" xml:id="erl_a_1_23"><label>Volksunterricht</label>
<p>Dass man metaphysische Streitigkeiten, etwa über Details der Trinitäts-,
Zweinaturen- oder Satisfaktionslehre, der akademischen Auseinandersetzung
vorbehalten und in Predigten oder Erbauungsschriften nach Möglichkeit
zugunsten des moralischen und soteriologischen Kerns des Christentums
aussparen sollte, war unter Neologen Allgemeingut. Vgl. etwa Johann Joachim
Spalding, <hi>Ueber die Nutzbarkeit des Predigtamtes und deren
Beförderung</hi> (1772; ³1791), SpKA I/3, 104–106; 144–160.</p></note>
<note type="editorial-commentary" place="end" xml:id="erl_a_1_24"><label>Systemsreligion [...] der reinen Christusreligion</label>
<p>Die terminologische Gegenüberstellung von (mit spekulativen Annahmen
befrachteter) offizieller „Systemsreligion“ und (auf Bibel und gesundem
Menschenverstand gegründeter) „reiner Christusreligion“ scheint Bahrdts
Erfindung zu sein (vgl. <ref target="#bs_b_page_34">b34</ref>), der Sache
nach war die Unterscheidung aber unter Aufklärungstheologen gängig (vgl.
<ptr type="page-ref" target="#erl_a_1_30"/>).</p></note>
<note type="editorial-commentary" place="end" xml:id="erl_a_1_25"><label>die
Welt</label>
<p>Semler verbessert in seinem Zitat dieser Stelle stillschweigend zu „der
Welt“, s. <ref target="#bs_b_page_38">b38</ref>.</p></note>
<note type="editorial-commentary" place="end" xml:id="erl_a_1_26"><label>überall
einreissenden Unglaubens</label>
<p>Die Klage über angeblich „einreissenden Unglauben“ war ein Topos (nicht nur)
der Aufklärungszeit. Tatsächlich wurden <hi>explizit</hi> atheistische
Positionen im 17. und 18. Jh. jedoch nur selten vertreten (u.a. von Knutzen,
Łyszczyński, de La Mettrie, d’Holbach). Häufiger anzutreffen war eine
deistisch, spinozistisch, später auch kantisch begründete Kritik am
Christentum.</p></note>
<note type="editorial-commentary" place="end" xml:id="erl_a_1_27"><label>Schaden</label>
<p>Semler verbessert in seinem Zitat dieser Stelle stillschweigend zu „schaden“,
s. <ref target="#bs_b_page_48">b48</ref>.</p></note>
<note type="editorial-commentary" place="end" xml:id="erl_a_1_28"><label>Vergebung
der Sünden [...] ihm schenke, nicht, wegen seiner Besserung und Tugend,
sondern wegen eines [...] Menschenopfers [...]; so ists unmöglich, daß ächte
Reue über die Sünde und Abneigung gegen Laster entstehen kann</label>
<p>Vgl. hierzu ausführlicher Bahrdts anonym erschienene <hi>Apologie der
Vernunft durch Gründe der Schrift unterstüzt, in Bezug auf die
christliche Versöhnungslehre</hi> (1781), Kap. XI („Die Versöhnungslehre
des Systems bewirkt weder Besserung noch Beruhigung der Menschen, sie
<hi>schadet</hi> vielmehr“), 194–207.</p></note>
<note type="editorial-commentary" place="end" xml:id="erl_a_1_29"><label>sehr weit
hinter einen auch nur gemeinen Heiden stehen</label>
<p>Vgl. <ptr type="page-ref" target="#erl_a_1_39"/> und <ptr type="page-ref" target="#erl_b_v_21"/>.</p></note>
<note type="editorial-commentary" place="end" xml:id="erl_a_1_30"><label>unübersehligen Wust der Systemsreligion</label>
<p>Vgl. die augenfällige Parallele zu einer Formulierung aus der nur ein Jahr
zuvor erschienenen Schrift Gotthilf Samuel Steinbarts (1738–1809),
<hi>System der reinen Philosophie oder Glückseligkeitslehre des
Christenthums</hi> (1778; <hi rend="superscript">4</hi>1794, BdN VIII),
4: „Wir haben daher noch in dem herrschenden Kirchensysteme den ganzen Wust
menschlicher Hypothesen, welche [...] aus mißverstandenen Theorien [...] mit
dem Christenthum vermischt worden sind.“ In <ref target="#bs_e_page_16">e16</ref> bezieht sich Bahrdt explizit auf Steinbarts Buch, vgl. auch
<ptr type="page-ref" target="#erl_b_v_14"/>.</p></note>
<note type="editorial-commentary" place="end" xml:id="erl_a_1_31"><label>Kefisch
oder Paulisch oder Papisch oder Calvinisch oder Luthrisch</label>
<p>Anspielung auf 1Kor 1,12 sowie 3,5. Die paulinische Mahnung zur Einheit wird
hier auf die drei reichsrechtlich geduldeten christlichen Konfessionen
übertragen. Vgl. auch Bahrdts eigene Übersetzung der Bibelverse in <hi>Die
neusten Offenbarungen Gottes</hi> III (1773), 105 u. 113.</p></note>
<note type="editorial-commentary" place="end" xml:id="erl_a_1_32"><label>andre
Erziehungsmethode</label>
<p>Wichtigstes Prinzip der originellen Pädagogik, die Bahrdt in seinem
<hi>Philanthropinische[n] Erziehungsplan</hi> (vgl. <ptr type="page-ref" target="#erl_a_1_14"/>) umreißt, ist die Erziehung zur Fröhlichkeit.
Fröhlichkeit ist ihm nicht weniger als „das Ebenbild Gottes, zu welchem wir
erneuert werden sollen“ (25), „Erzeugerin“ der Tugend (31), „eigentliche
Bestimmung des Menschen“ (26). Fröhlich wird, wer „die seltene Kunst
versteh[t], die Welt zu genießen“ (30). „Lasset uns [...] fröliche Menschen
machen, damit wir auch arbeitsame, willige, folgsame, gesellige, Gott
ergebne – tugendhafte Menschen aus ihnen machen mögen.“ (36) Vgl. Bahrdt,
Ueber den Zwek der Erziehung, in: <hi>Allgemeine Revision des gesammten
Schul- und Erziehungswesens</hi> I (1785), 3–124, wo er von „Vergnügen
aus Thätigkeit“ (17), „Heiterkeit“ (37), „Bildung zur Liebe“ (50), mit der
der Mensch „in der <hi>Vorstellung</hi> der von ihm bewirkten Freude und
Zufriedenheit Andrer seine <hi>eigene</hi> und <hi>höchste Freude</hi>
finden <hi>lerne</hi>“ (48), als Zweck der Erziehung spricht.</p></note>
<note type="editorial-commentary" place="end" xml:id="erl_a_1_33"><label>Wort Gnade,
welches die meisten Lehrer der Kirche bisher gemisdeutet haben</label>
<p>Die Gnadenlehre stellt eine der großen Herausforderungen christlicher
Theologie dar. Die unterschiedliche Beurteilung des Miteinanders von
göttlicher Gnade und menschlicher Freiheit durchzieht die gesamte
Theologiegeschichte und spaltete selbst konfessionelle Lager, so etwa in den
unterschiedlichen Ausprägungen des Protestantismus sowie im katholischen
Gnadenstreit (vgl. <ptr type="page-ref" target="#erl_b_2_9"/>).</p></note>
<note type="editorial-commentary" place="end" xml:id="erl_a_1_34"><label>aus blosser
Gnade [...] Vergebung der Sünde und ewige Seeligkeit um Christi
willen</label>
<p>Seine im <hi>Glaubensbekenntniß</hi> skizzierte (pelagianische) Gnaden- und
Versöhnungslehre hat Bahrdt ausführlicher in der <hi>Apologie der
Vernunft</hi> (vgl. <ptr type="page-ref" target="#erl_a_1_28"/>)
vorgetragen, vgl. v.a. 116–167: Göttliche Begnadigung setze moralische
Besserung auf Seiten des Menschen voraus. Eine solche moralische Besserung
wurde durch Jesu Unterricht, Beispiel, Beglaubigung in Leiden und Tod etc.
angestoßen oder „begründet“. Insofern, <hi>und nur insofern</hi>, könne man
sagen, dass uns um Christi willen vergeben wird.</p></note>
<note type="editorial-commentary" place="end" xml:id="erl_a_1_35"><label><foreign xml:lang="grc">πνευμα αγιων</foreign></label>
<p>Der Heilige Geist. Semler hat in seiner <hi>Antwort</hi> (s. <ref target="#bs_b_page_80">b80</ref>) das Griechisch stillschweigend von
<foreign xml:lang="grc">αγιων</foreign> zu <foreign xml:lang="grc">ἁγιον</foreign> verbessert.</p></note>
<note type="editorial-commentary" place="end" xml:id="erl_a_1_36"><label>nach
Athanasius Vorstellungsart [...] oder nach Arius oder Sabellius</label>
<p>Athanasius (gest. 373), Arius und Sabellius (3. Jahrhundert) gelten als
Hauptvertreter und Pole unterschiedlicher theologischer Konzeptionen der
Trinitätslehre. Während Athanasius in Übereinstimmung mit den Beschlüssen
des 1. Konzils von Nicäa (325) die Wesensgleichheit Christi mit Gottvater,
bei gleichzeitiger personaler Verschiedenheit, betonte, sahen Arius und
Sabellius durch die Annahme von drei Hypostasen (Gottvater, Sohn, Hl. Geist)
den christlichen Monotheismus bedroht. Arius lehnte die Wesensgleichheit ab
und lehrte eine Subordination des Sohnes, der von Gottvater aus dem Nichts
gezeugt worden sei. Die Anhänger des Sabellius schlugen den
entgegengesetzten Weg ein und hoben die Verschiedenheit auf, indem sie
annahmen, die Redeweise von drei Personen spiegle lediglich unterschiedliche
Erscheinungsformen oder Seinweisen der einen Gottheit.</p></note>
<note type="editorial-commentary" place="end" xml:id="erl_a_1_37"><label>Joh. 10
[...] <foreign xml:lang="grc">προς ους ο λογος θεου
εγενετο</foreign></label>
<p>Joh 10, 35: „an die das Wort Gottes erging“.</p></note>
<note type="editorial-commentary" place="end" xml:id="erl_a_1_38"><label>(<foreign xml:lang="grc">ον ο πατηρ ηγιασε</foreign>) da mich der Vater so ganz
besonders ausgezeichnet hat</label>
<p>Joh 10, 36.</p></note>
<note type="editorial-commentary" place="end" xml:id="erl_a_1_39"><label>Nichtchristen</label>
<p>Ob Menschen (und evtl. auch Bewohner fremder Planeten), die nie von Christus
gehört, geschweige denn seiner Kirche angehört haben, zu vollkommener
Besserung (Heiligung; s. <ref target="#bs_a_page_14">a14</ref>) und
Seligkeit fähig sind, war ein viel diskutiertes Thema der Zeit. Calvin etwa
(<hi>Institutio</hi>, IV, 1, 4) hatte eine solche Möglichkeit genauso
verneint wie die vorreformatorische Kirche (z.B. während des Konzils von
Ferrara/Florenz, 1438–45). Für Bahrdt (<hi>Apologie der Vernunft</hi> [vgl.
<ptr type="page-ref" target="#erl_a_1_28"/>], 161–163) ist hingegen
klar, dass Menschen immer und überall einen „<hi>bessernden Messias</hi>“
haben, „obgleich nicht in Person“. Denn sie haben „den <foreign xml:lang="grc">λογος θεου</foreign>, der zu allen Zeiten alle Menschen
erleuchtete – die Vernunft.“ Erlösung und Seligkeit sind für die gesamte
Menschheit bestimmt, auch wenn die Bibel nichts über die besondere Art der
Erlösung von Personen lehrt, die vor Christus lebten oder nie von ihm
erfuhren. Vgl. <ptr type="page-ref" target="#erl_b_v_21"/> und <ptr type="page-ref" target="#erl_b_6_3"/>.</p></note>
<note type="editorial-commentary" place="end" xml:id="erl_a_1_40"><label>daß dieser
Glaube in einer Ergreifung und Zueignung des Verdienstes Christi
bestehe</label>
<p>Eine unter lutherischen Autoren der Zeit verbreitete, formelhafte
Charakterisierung des christlichen Glaubens, welche in Artikel 20 der
<hi>Confessio Augustana</hi> (1530) wurzelt. Vgl. z.B. Peter Ahlwardt:
<hi>Gründliche Betrachtungen über die Augspurgische Confession</hi>, 5.
Teil (20. Betrachtung; 1746), 396: „Das Wesen des seeligmachenden Glaubens
besteht in der Ergreiffung und Zueignung des Verdienstes JEsu und der
göttlichen Gnaden-Verheißungen“. Oder Christian Thomasius: <hi>Ernsthaffte,
aber doch Muntere und Vernünfftige Thomasische Gedancken und
Erinnerungen über allerhand auserlesene Juristische Händel</hi> IV
(1725), 44f.: „Dieses ist leicht zu erkennen, wenn man erweget, daß der
rechte Glaube [...] JEsum Christum ergreiffet und ihn dem Menschen, in
welchen er ist, appliciret oder zueignet [...]. Wo die Ergreiffung und
Zueignung JEsu Christi ist, da ist auch die thätige Ubung durch Liebe und
andere Tugenden gegen GOtt und den Nechsten [...]“. Zu diesem Modell des
Glaubens und zur neologischen Abkehr von ihm vgl. ausführlich zu Propst
Teller <ptr type="page-ref" target="#erl_e_2_8"/>.</p></note>
<note type="editorial-commentary" place="end" xml:id="erl_a_1_41"><label>ich bin ein
eifriger Gott [...] tausende Glied</label>
<p>Anspielung auf Ex 20, 5–6.</p></note>
<note type="editorial-commentary" place="end" xml:id="erl_a_1_42"><label>Gott alle
in diesen Schriften enthaltene Worte eingegeben habe</label>
<p>Die Lehre der Verbalinspiration, nach der die Bibel <hi>im Wortlaut</hi> von
Gott den menschlichen Schreibern eingegeben (vgl. 2Tim 3,16) oder „diktiert“
worden sei, wurde von Vertretern der lutherischen Orthodoxie (u.a. Gerhard,
Buxtorf d. J., Quenstedt, Hollaz) verfochten. Vorbilder lassen sich bereits
bei den Kirchenvätern finden (Hieronymus, Augustinus u.a.). Die meisten
Aufklärungstheologen lehnten die Lehre ab, so auch Semler in seiner
<hi>Abhandlung von freier Untersuchung des Canon</hi> I (1771), 115–117;
s. außerdem <ref target="#bs_e_page_18">e18</ref>.</p></note>
<note type="editorial-commentary" place="end" xml:id="erl_a_1_43"><label>den großen
Haufen der Geistlichkeit {plurima vota}</label>
<p>Bahrdt will hier darauf hinaus, dass in den Kirchen die Mehrheitsmeinung der
Theologen zähle („plurima vota valent“), nicht bessere Einsicht. Vgl. Johann
Konrad Dippel (s. <ptr type="page-ref" target="#erl_b_n_20"/>),
<hi>Eröffneter Weg zum Frieden</hi> III (1747), 139f.: „man kan hiebey
sehen, daß der heutige Separatismus (oder <hi>Trennung von dem gewöhnlichen
GOttes-Dienst</hi>) eben so alte Vorgänger hat, als der
<hi>Kirchismus</hi> und <hi>Sacramentismus</hi> der heutigen Orthodoxen,
(wir müssen auch anfangen neue Ismos zu machen) nur hat er damals noch nicht
die plurima Vota (<hi>meiste Stimmen</hi>) gehabt, um den Titul der
Orthodoxie zu erlangen; [...] so lange der Abfall von dem lebendigen GOtt
noch währet, und der Bösen, Narren und Blinden Anzahl grösser ist, als der
Guten und Sehenden, auch allezeit die plurima Vota für den Irrthum
schließen, und folglich der Irrthum selbst Orthodoxia heissen werde. Also
muß man die wahre Kirche und die Wahrheit selbst nie unter dem Hauffen, der
das Dominium (<hi>die Herrschaft</hi>) hat, oder orthodox ist, suchen,
sondern unter einem suspecten (<hi>verdächtigen</hi>) und verworffenen Namen
eines Ketzers“.</p></note>
<note type="editorial-commentary" place="end" xml:id="erl_a_1_44"><label>Protestantismus, welcher im deutschen Reich mit dem Catholicismus
gleiche Herrschaft und Rechte behauptet</label>
<p>Durch den Augsburger Religionsfrieden (1555) erhielten die weltlichen
Reichsstände in ihrem jeweiligen Territorium das Recht, die Reformation
sowie ein eigenes Kirchenwesen einzuführen (<hi>ius reformandi</hi> und
<hi>ius circa sacra</hi>). Die Untertanen erhielten zudem ein
Emigrationsrecht aus Glaubensgründen (<hi>ius emigrandi</hi>). Diese
pragmatische Lösung befriedete den schwelenden Religionskonflikt und schuf
den Anhängern des <hi>Augsburger Bekenntnisses</hi> (1530) reichsrechtliche
Anerkennung.</p></note>
<note type="editorial-commentary" place="end" xml:id="erl_a_1_45"><label>alles zu
prüfen, und nur das zu behalten</label>
<p>Anspielung auf 1Thess 5,21. Die in dieser Wendung zum Ausdruck kommende (und
eng mit dem Prinzip des Selbstdenkens verbundene) Eklektik wurde häufig als
Kennzeichen der Aufklärung angesehen. Spalding, <hi>Nutzbarkeit des
Predigtamtes</hi> (vgl. <ptr type="page-ref" target="erl_a_1_23"/>),
spricht von einer „heilige[n] unverletzliche[n] Vorschrift“
(219).</p></note>
<note type="editorial-commentary" place="end" xml:id="erl_a_1_46"><label>allgemeine
Verbrüderung aller Religionspartheyen</label>
<p>Gemeint ist eine friedliche Wiedervereinigung der getrennten christlichen
Konfessionen, wie sie seit der Reformation von unterschiedlichen Irenikern
gefordert worden war.</p></note>
<note type="editorial-commentary" place="end" xml:id="erl_a_1_47"><label>Rechte der
Menschheit</label>
<p>Es ist nicht ganz klar, ob und ggf. durch wen (Locke, G. F. Meier, Rousseau,
Wieland) die Redeweise von „Rechten der Menschheit“ hier beeinflusst ist.
Bahrdt sollte in den folgenden Jahren der Presse- und Religionsfreiheit
eigene radikale Schriften widmen, die weit über die Forderungen der meisten
Aufklärer hinausgingen, an erster Stelle: <hi>Ueber Preßfreyheit und deren
Gränzen. Zur Beherzigung für Regenten[,] Censoren und
Schriftsteller</hi> (anonym; 1787). Zwei Kostproben: „<hi>Freyheit zu
denken und zu urtheilen</hi>, unabhängig von Autorität, [...] ist das
<hi>heiligste, wichtigste unverletzlichste Recht der Menschheit</hi>“
(38f.); „Ich behaupte: das Recht, über Religion seine Gedanken mitzutheilen,
darf <hi>gar nicht</hi> eingeschränkt werden, weil es keinen Fall gibt, wo
der Gebrauch desselben dem Staate oder den <hi>Rechten einzeler</hi>
Menschen einen <hi>wirklichen</hi> Schaden thun könnte“ (78).</p></note>
<note type="editorial-commentary" place="end" xml:id="erl_a_1_48"><label>Zuziehung
der Stände des Reichs</label>
<p>Gemeint ist die Herrschaftsteilhabe derjenigen Personen und Korporationen des
Alten Reichs, die Sitz und Stimme am Reichstag besaßen.</p></note>
</div>
</body>