Vorwort

Die „Bibliothek der Neologie“ verfolgt das Ziel, zehn zentrale, in sich geschlossene Texte oder Textsammlungen der den Kernbestand deutscher Aufklärungstheologie markierenden Neologie in kritischer Hybrid-Edition und damit in einer für die interdisziplinäre Forschung und den akademischen Unterricht gleichermaßen geeigneten Darbietung bereitzustellen. Als Auswahlkriterien dienen dabei insbesondere die repräsentative Bedeutung der Verfasser, die fächerübergreifende Relevanz und gattungsspezifische Streuung der Texte, die in diesen Texten erfolgte exemplarische Bearbeitung einer für die Aufklärungsepoche zentralen Problemstellung sowie die diesen Werken zukommende geistesgeschichtliche und kulturwissenschaftliche Dignität.

Gotthilf Samuel Steinbart (1738–1809) zählt zu den einflussreichsten Repräsentanten der fortgeschrittenen Neologie. Seit 1774 lehrte er als Professor der Philosophie und Theologie an der Viadrina in Frankfurt/Oder, daneben versah er die Direktion des Waisenhauses in Züllichau. Breite Bekanntheit erwarb er durch seine hier erneut vorgelegte, konsequent neologische „Glückseligkeitslehre“. Mit ihr zielte Steinbart auf die Befreiung des ursprünglichen, von Jesus gelehrten Christentums aus den metaphysischen Verkrustungen der traditionellen theologischen Denk- und Sprachtradition. Näherhin propagierte er in dieser Schrift eine allgemeinverständlich artikulierte, den alttestamentlichen Gottesbegriff mitsamt der überkommenen Satisfaktionslehre verabschiedende, zugleich vernünftige und christliche Erkenntnis der von Jesus gelehrten Gottesliebe. Als deren Kern postulierte Steinbart die Bestimmung des Menschen zur Glückseligkeit, welche er nicht platt hedonistisch, vielmehr als den Inbegriff des Bewusstseins vom Überwiegen des irdisch Guten sowie der Hoffnung auf Unsterblichkeit verstand. In der damit ausgelösten Debatte, an der prominente Fürsprecher (u.a. Carl Friedrich Bahrdt, Johann Gottfried Herder), aber auch Kritiker (zumal Johann Georg Hamann, Johann Caspar Lavater) teilnahmen, bewährte sich die „Glückseligkeitslehre“ als ein klassisch-neologischer Systementwurf, der im Rückgang auf das Neue Testament den ursprünglichen „Geist des Christenthums“ beschwor und diesen in der Freiheit des eigenen Denkens erneut zu aktualisieren suchte. Wie einst für die Theologie des 19. Jahrhunderts, so stellt dieses Hauptwerk auch für die gegenwärtige Reflexion des Christentums eine vielfach stimulierende, eigene theologische Authentizität anmahnende Herausforderung dar.

Federführend koordiniert wurde die Erstellung dieser kritischen Ausgabe von Marco Stallmann. Er hat auch die glänzend informierende sachhaltige „Einleitung“ sowie die „Editorische[n] Hinweise“ verfasst, die zusammen mit den „Erläuterungen“ und Registern der gefälligen Benutzung des Bandes entgegenkommen. Die unter meiner Leitung stehende „Bibliothek der Neologie“ wird in ihrem editionswissenschaftlichen Teil an der Arbeitsstelle Münster, in ihrem informationswissenschaftlichen und -technologischen Teil an der von Jan Brase geleiteten Arbeitsstelle Göttingen erstellt. Die Namen aller wissenschaftlichen und studentischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind auf unserer Homepage in der fortlaufend aktualisierten Projektvorstellung (www.bdn-edition.de) verzeichnet.

Ein Editionsprojekt dieser Größenordnung kann nur als ein Gemeinschaftsunternehmen realisiert werden. Mein herzlicher Dank gilt allen, die daran zielführend mitgewirkt haben. Desgleichen danke ich der Deutschen Forschungsgemeinschaft für ihre großzügige Unterstützung sowie dem Tübinger Wissenschaftsverlag Mohr Siebeck für die vorzügliche Herstellung des Bandes.

Albrecht Beutel

Einleitung

von Marco Stallmann

I.

Die kritische Prüfung überkommener biblischer und kirchlich-dogmatischer Traditionen unter dem Kriterium religiös-ethischer Plausibilität gehörte zu den Leitmotiven der theologischen Aufklärung im 18. Jahrhundert. Eine zentrale Rolle spielte dabei die Frage nach dem „Wesen des Christentums“, dessen kategoriale Bestimmung zwar reformatorische und pietistische Vorbilder besaß, nun aber im Dienste der historischen Relativierung traditioneller Verbindlichkeitsansprüche deutlich intensiviert wurde und eine fächerübergreifende, im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts vorherrschende Debatte auslöste. Mit der Veröffentlichung der Schrift System der reinen Philosophie oder Glückseligkeitslehre des Christenthums aus der Feder des in Frankfurt an der Oder lehrenden Philosophie- und Theologieprofessors Gotthilf Samuel Steinbart erreichte diese Debatte ein neues Reflexionsniveau. Die Schrift erschien erstmals 1778 und zog drei überarbeitete Neuauflagen in den Jahren 1780, 1786 und 1794 nach sich. Diese verschiedenen Textversionen sind Spiegelbilder eines intensivierten Religionsdiskurses vor dem Hintergrund gesellschaftlicher sowie politischer Transformationsprozesse – und gleichwohl in ihrer Entstehung und Wirkung bis heute kaum hinreichend erforscht.

Im Rahmen der kirchenhistoriographischen Periodisierungsversuche des 20. Jahrhunderts blieb der Frankfurter Theologieprofessor umstritten: Hatte Karl Aner ihn noch zu den „führenden Neologen“ gezählt, die den christlichen Offenbarungsbestand in religiöse Vernunftwahrheiten überführten, ohne ihn zu verabschieden, verortete Gerhard Alberty Steinbart auf der „Linie des eigentlichen Rationalismus als der letzten Stufe der Aufklärungstheologie“. Dagegen setzt sich in der neueren Forschungsdiskussion die Einsicht durch, dass theologische Richtungsbezeichnungen wie Wolffianismus, Neologie und Rationalismus aufgrund ihrer vielfältigen Überlagerungen bewusst in heuristisch-pragmatischem Sinne zu gebrauchen sind und somit insbesondere der theologische Rationalismus weniger einen speziellen Abschnitt als vielmehr ein „durchgehendes Strukturmoment der Aufklärung“ markiert. In dieser Perspektive rückt Steinbart als akademischer Hauptvertreter der Neologie in den Blick, der den Geist des Christentums von seinen metaphysischen Überformungen zu unterscheiden suchte und sich dabei möglicherweise „mehr als andere Neologen der europäischen Aufklärung [...] öffnete“.

Geboren am 21. September 1738 in Züllichau (heute Teil der polnischen Woiwodschaft Lebus), wuchs Steinbart in einem berufspädagogischen Familienkontext auf: Der Vater, Johann Christian Steinbart, Direktor des 1719 nach dem Vorbild August Hermann Franckes gegründeten Züllichauer Waisenhauses, erzog den Heranwachsenden im Geiste des Halleschen Pietismus. Dem religiösen Einfluss des Elternhauses, von dem sich Steinbart später behutsam abgrenzte, entsprach auch der zwischen 1754 und 1756 erhaltene Schulunterricht im Kloster Berge unter der Leitung des bedeutenden Abtes und Magdeburger Schulorganisators Johann Adam Steinmetz. Von ihm in die Grundsätze der Direktion pädagogischer Einrichtungen eingeführt, sollte Steinbart später die Leitung des Züllichauer Waisenhauses übernehmen. Intensiv studierte er im Kloster vor allem die dogmatischen Werke Siegmund Jacob Baumgartens und die Systemphilosophie Christian Wolffs. Im Selbststudium machte er sich darüber hinaus mit Schlüsselfiguren der westeuropäischen Aufklärung (u.a. Voltaire, Locke und Foster) vertraut, die seinen „Freigeist“ beflügelten, ohne zugleich seine „Ehrfurcht gegen Gott und gegen die Stimme meines Gewissens“ preiszugeben. Steinbart immatrikulierte sich 1756 an der Universität Halle für das Fach Theologie und hörte hier die Vorlesungen Baumgartens, der den neugierigen Hörer aus Züllichau für die Komplexität theologischen Nachdenkens sensibilisierte und in privaten Unterredungen auch zur Abfassung eigener Abhandlungen motivierte. Aufgrund des Siebenjährigen Krieges sah sich Steinbart gezwungen, nach Frankfurt an der Oder weiterzuziehen, wo er Vorlesungen bei Johann Gottlieb Töllner besuchte, der ihm ein wegweisender Lehrer und vertrauter Freund wurde. Von hier ging er um 1760 nach Berlin, um an der von Johann Julius Hecker gegründeten, praxisorientierten Realschule zu unterrichten.

Kurz vor dem 24. Geburtstag wurde er 1762 als Kandidat der Theologie examiniert und daraufhin zum Pastor adjunctus am Züllichauer Waisenhaus bestellt, wo er noch im selben Jahr eine höhere Bildungseinrichtung unter dem Namen „Pensionäranstalt“ gründete. 1766 erhielt er dafür den Titel eines Konsistorialrates und die Einrichtung den Namen eines königlichen Pädagogiums. Nach dem Tod seines Vaters im Jahr 1767 übernahm Steinbart die Leitung des Züllichauer Waisenhauses, mit dem Ziel, die Einrichtung zu einer führenden Lehrerausbildungsstätte auszubauen. Durch sein pädagogisches Engagement und seine Bemühungen um die Schulverbesserung erwarb sich Steinbart das Vertrauen innerhalb der Regierung Friedrichs II., insbesondere des Geheimen Etats- und Justizministers Ernst Friedemann von Münchhausen und seines Nachfolgers Karl Abraham Freiherr von Zedlitz, die ihn mit der Aufstellung von Grundsätzen für neue Landschulbücher sowie mit der Abfassung eines eigenen Schulbuchs beauftragten. 1774 wurde Steinbart zum ordentlichen Professor für Philosophie und außerplanmäßigen Professor für Theologie an der Universität Frankfurt/Oder ernannt, womit er in die Nachfolge seines jüngst verstorbenen Lehrers Töllner treten und gleichzeitig das pädagogische Lehrangebot deutlich erweitern sollte. Zu den bekannten Schülern gehörte der Aufklärungspädagoge und Bildungspolitiker Friedrich Gedike, der 1763 im Züllichauer Waisenhaus aufgenommen wurde und später von Steinbarts väterlicher Förderung berichtete.

Im Schatten der aufstrebenden Universität Halle hatte sich die „Viadrina“ unter Friedrich Wilhelm I. wieder stärker auf ihre polykonfessionelle Gründungsgeschichte besonnen und die einst mehr, zuletzt jedoch immer weniger gepflegte paritätische Besetzung theologischer Lehrstühle wieder aufleben lassen. Die spätere Beförderung des Lutheraners Steinbart zum Ordinarius der reformierten theologischen Fakultät im Jahre 1806 machte Schlagzeilen und wurde von Zeitgenossen als unionspolitisches Pendant der Hallenser Berufung Friedrich Schleiermachers gefeiert. Steinbarts irenische Haltung sah sich hier im besten Sinne bestätigt. Doch an diesem Punkt blickte Steinbart schon auf ein herausforderndes Gelehrtenleben zurück: Nachdem er aufgrund seines Systems durch die theologische Fakultät von Halle zum Doktor der Theologie promoviert und noch 1787 ins preußische Oberschulkollegium berufen worden war, sollte ihm das Woellnersche Religionsedikt von 1788 extreme rechtliche und finanzielle Arbeitsbeschränkungen auferlegen. Erst der Regierungswechsel 1797 ermöglichte eine Rehabilitierung und führte sogleich zur theologischen Beraterfunktion unter Friedrich Wilhelm III. Die kirchenpolitischen Rahmenbedingungen, aber auch das Erstarken der Kantischen Philosophie, die der neologischen Glückseligkeitslehre diametral entgegengesetzt schien, hielten Steinbarts öffentliche Wirkung in Grenzen, obgleich er den spätaufklärerischen Religionsdiskurs wie kaum ein anderer stimulierte und sich die aufklärerische Maxime des Selbstdenkens kritisch zu eigen machte. Steinbart verstarb am 3. Februar 1809 in Frankfurt/Oder im Alter von 70 Jahren. Seine literarische Hinterlassenschaft und insbesondere sein progressives Hauptwerk sind in ihrer Bedeutung für die Theologie des 18. und 19. Jahrhunderts neu zu entdecken.

II.

Steinbarts Publikationstätigkeit ist im Kontext jenes aufgeklärten Absolutismus zu verstehen, der mit der Thronbesteigung Friedrichs II. in Preußen Einzug hielt und anstelle einer konsequenten Umsetzung seiner naturrechtlichen Gleichheits- und Toleranzforderungen vielmehr die völlige Integration der Kirchenorganisation in die Staatsverwaltung zur Folge hatte. Mit Karl Abraham von Zedlitz hatte Friedrich 1771 einen belesenen Aufklärer zum Geheimen Justizminister, Leiter des Geistlichen Departements und Oberkurator der Universitäten ernannt, durch den in Preußen bis auf Weiteres „Staatskirche und Aufklärungsprotestantismus stillschweigend ‚Hand in Hand‘“ arbeiten konnten. Steinbarts akademische Karriere verlief nahezu parallel zum politischen Aufstieg und Fall des von ihm respektierten und nicht selten für seine pädagogisch-institutionellen und theologisch-publizistischen Belange in Anspruch genommenen Ministers. Charakteristisch ist die Dedikation seiner Glückseligkeitslehre, in der sich Steinbart bei Zedlitz, dem „hohe[n] Chef der Kirchen in den Preuß[ischen] Staaten“, für das „Zutrauen“ bedankt, „daß ich in meinem akademischen Amte solche Prediger bilden würde, wie sie die Einwohner der königl[ichen] Länder und besonders der Marken nach dem jetzigen Maaß ihrer Cultur bedürften“.

Den entscheidenden Impuls zum Verfassen einer ethisch akzentuierten Christentumstheorie gab jedoch kein geringerer als der König selbst: Am 11. Januar 1770 ließ Friedrich II. in einer ordentlichen Versammlung der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften seinen Essay über die „Selbstliebe“ als Grundsatz der Moral verlesen. Im Gegensatz zu den metaphysisch überformten Religionslehren des Christen- und Judentums könne dem Menschen allein die Liebe zu sich selbst als „Triebfeder“ des tugendhaften Handelns und „Stifterin unsers Glückes“ dienen, weil nur sie den unmittelbaren Nutzen vor Augen führe. Steinbart antwortete auf diese Schrift mit einer anonym veröffentlichten Prüfung der Bewegungsgründe zur Tugend nach dem Grundsatz der Selbstliebe im selben Jahr und schickte die französische Übersetzung dem König höchst persönlich zur Ansicht. Gegenüber Friedrichs Verabschiedung jeglicher religiöser Begründungsansprüche suchte er den notwendigen Mehrwert einer rechtverstandenen christlichen Ethik aufzuzeigen: „In unsern Tagen wird das Christenthum für eine Offenbarung Gottes [...] gehalten“, in Wirklichkeit aber ist es die „Grundlage der Moralität des Volks“ und insofern die „vollkommenste Anweisung zur Glückseligkeit“. Wenn dem Staat an der Realisierung gesellschaftlicher Wohlfahrt gelegen sei, müsse er „desto glücklicher seyn, je mehr [...] das Christenthum die Gewissen beherrscht“. Friedrich nahm die Schrift wohlwollend auf und regte Steinbart in einem Dankschreiben zum theologischen Weiterdenken des Ansatzes an: Moralisches Handeln könne nicht genug Motive haben, doch sollten die Vertreter einer religiösen Ethik ihrem Prinzip nicht nur theoretisch folgen, sondern es auch praktisch in die Tat umsetzen. Damit war Steinbart herausgefordert, seine Verhältnisbestimmung von Christentum und moralischer Glückseligkeit in einer eigenen Abhandlung zu vertiefen. Bald schon lagen erste Entwürfe vor, deren Veröffentlichung allerdings noch einige Jahre aufgeschoben wurde. Steinbarts charakteristische Verbindung von progressivem theologischem Liberalismus und bürgerlichem, wohl auch aus der finanziellen Not des Züllichauer Waisenhauses geborenem Patriotismus zeigte sich nicht zuletzt in den Vorschlägen zu einer allgemeinen Schulverbesserung, die „nicht Sache der Kirche sondern des Staats“ sein sollte. Unter dem Eindruck der Französischen Revolution versuchte Steinbart später in einer Friedrich Wilhelm III. gewidmeten Abhandlung die Vorzüge der Königlichen Preußischen Staatsverfassung aufzuzeigen, indem er argumentierte, dass die in Frankreich hart erkämpften Güter „Sicherheit, Freiheit, Gleichheit“ hier in idealer Weise verwirklicht würden.

Blickt man auf die literarische Publikationstätigkeit Steinbarts, so ist neben der Staatszweckdebatte auch der gesellschaftliche Strukturwandel kaum zu übersehen, der sich im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts in Popularisierungsmedien wie den Moralischen Wochenschriften, gelehrten Journalen und populartheologischen Abhandlungen äußerte und der auch „den Religionsdiskurs programmatisch und folgenträchtig demokratisiert“ hat. Für diese Entwicklungen öffnete sich – unter der Leitung von Steinbarts Vetter Nathanael Sigismund Frommann – insbesondere die Züllichauer Waisenhausbuchhandlung, in der Steinbart ab den 1770er Jahren fast alle seine Schriften publizierte und auch beratend Einfluss geltend machte. Nach kleineren, anonym veröffentlichten und kontrovers diskutierten Beiträgen zur geistlichen Begleitung von Sterbenden widmete er einem seiner geschätzten „Correspondenten“, dem Pfarrer August Ernst Renthe, die Schrift Gründe für die Abschaffung der Schulsprache des theologischen Systems. Anders als der provozierende Titel vermuten ließ, wollte Steinbart mit seiner Abhandlung keine Entprofessionalisierung theologischer Fachwissenschaft einleiten, sondern im Gegenteil aufzeigen, „daß der in den Schulen der Gottesgelehrten eingeführte Sprachgebrauch ein höchst unbequemes Mittel sey, deutliche [...] Erkentnisse von der christlichen Religion zu befördern“, wenn deren Plausibilität im Zeitalter der Aufklärung doch stärker als je zuvor in Frage stehe. In den Einsichten, der Geist des Christentums sei „kein Geist der Kleinigkeiten“ und die Religion Jesu bestehe „nicht in Worten sondern in der Kraft“, kündigte sich bereits das dogmenkritische Transformationsbestreben an, das in der Glückseligkeitslehre zur Anwendung kommen sollte. Seine Abhandlung provozierte weitere Gegenschriften und stimulierte noch Jahre später die enzyklopädische Debatte um die Inhalte und Ziele des theologischen Studiums.

Steinbarts Gründe erschienen im gleichen Jahr wie Johann Joachim Spaldings wegweisende Schrift Ueber die Nutzbarkeit des Predigtamtes und deren Beförderung, die den pastoral- und populartheologischen Diskurs des ausgehenden 18. Jahrhunderts maßgeblich stimulierte. Dieser Einfluss war auch in der 1779 publizierten und 1784 neu aufgelegten Anweisung zur Amtsberedsamkeit christlicher Lehrer deutlich erkennbar. Die Charakterisierung als „eudämonistisch-utilitaristisch[e] Homiletik“ wird dieser Schrift höchstens insofern gerecht, als Steinbart den pastoraltheologischen Berufszweck in der „Beförderung höherer Glückseligkeit“ zu bestimmen suchte. Aber diese lief, wie Steinbarts Denken insgesamt, nur scheinbar auf hedonistischen Selbstzweck hinaus: In Wirklichkeit ziele sie auf jene „moralisch guten Gesinnungen, welche in der heiligen Schrift der Sinn oder Geist Gottes und Christi heißen“ und deren praktischer Realisierung im pfarramtlichen Berufskontext die Vermittlung dogmatischen Wissens „als ein Mittelzweck unter zu ordnen“ sei. Mit seiner Kriteriologie homiletischer Materienauswahl und seinen Ausführungen zur Rhetorik des Predigers leistete Steinbart einen veritablen Beitrag zur neologischen Predigtlehre, der auch andernorts zur Grundlage von Vorlesungen und Lehrbüchern wurde.

Darüber hinaus ist Steinbart mit erkenntnistheoretischen Beiträgen im aufklärungsphilosophischen Diskurs des 18. Jahrhunderts hervorgetreten: Die Gemeinnützige Anleitung des Verstandes zum regelmässigen Selbstdenken war keineswegs als reine Vernunftlehre gedacht, sondern sollte angehende Gelehrte aller Fachrichtungen, aber auch „andere Personen der gesittenen Stände, die ihren Verstand zu Geistesgeschäften ausbilden“, in die Lage versetzen, „bey allen täglich vorkommenden Fällen richtig zu erfahren, bedachtsam zu urtheilen und vorsichtig zu glauben“. Dafür setzte sich Steinbart unter anderem mit John Lockes Unterscheidung von experience, sensation und reflection, dem Vernunftbegriff des Bibelkritikers Hermann Samuel Reimarus sowie der schottischen Philosophie des common sense auseinander. Auf dieser Basis erkannte er selbst in der gegenüber Empirismus und Popularität kritischen Philosophie Immanuel Kants einen wegweisenden Beitrag, die „Unfruchtbarkeit [...] der transcendenten Speculationen“ und die „practische Philosophie des Gemeinsinns“ einleuchtend zu machen. Mit seinen Logik-Vorlesungen erreichte Steinbart Hörer aller Fakultäten, nicht zuletzt weil der Universität Frankfurt/Oder von dem preußischen Justizreformer Johann Heinrich von Carmer vorgeschrieben worden war, auch in das Jurastudium philosophische Vorlesungen zu integrieren.

Seine erkenntnistheoretischen Vorlesungen entwickelte Steinbart in den 1780er Jahren schließlich auch zu einer Philosophie über den Geschmack (1785) weiter, die im Gespräch mit einschlägigen Ästhetikentwürfen (Charles Batteux, Alexander Gottlieb Baumgarten, Johann Georg Sulzer) nach der ethischen Bedeutung der schönen Künste fragte: Wenn man diese „nicht bloß auf eine vorübergehende Belustigung der Sinne [...] beschränkt, sondern sie zu dem edlern Zweck abzielen läßt, das moralische Gefühl zu verfeinern, und das Gemüth mit lebhaftern Trieben für das Gute [...] zu begeistern; so gehören die schönen Künste unter die gemeinnützigsten Gegenstände der menschlichen Erkenntniß“. Als Theorie zur Verbesserung des Geschmacks und Verhältnisbestimmung zwischen Schönem und Gutem war die Ästhetik für Steinbart keine Privatsache, sondern vielmehr eine öffentliche Bildungsaufgabe, die der Philosophieprofessor sich in seinen Frankfurter Vorlesungen zu eigen machte. Die auch in der Glückseligkeitslehre vorkommenden Begrifflichkeiten des „Geschmacks“, des „Gemüths“ und der „anschauende[n] Vorstellung“ hat man ideengeschichtlich im spinozistisch beeinflussten Idealismus des 19. Jahrhunderts und nicht zuletzt – in eigener, frühromantischer Lesart – beim jungen Schleiermacher wiedergefunden.

III.

Mit seiner Glückseligkeitslehre betrat der 40-jährige Gelehrte 1778 erstmals namentlich das Feld der Publizistik, obwohl das Werk nach der königlichen Anregung schon seit einigen Jahren fertiggestellt war. Steinbart hatte es zurückgehalten, weil er meinte, die ersten Behauptungen, die herrschenden Lehrmeinungen entgegengesetzt sind, würden „selten eine günstige Aufnahme erwarten können“. Mit der Herausbildung rationalistischer Diskursforen im Zuge der Veröffentlichung der deistischen Reimarus-Fragmente schien Steinbart der richtige Moment gekommen zu sein. Die „Anrede an das lesende Publikum“ führt durch Steinbarts bisherigen Lebenslauf und zielt auf eine öffentliche Legitimierung seiner schriftstellerischen Herkunft. Ihre Fortsetzung in der zweiten Auflage gibt über die Entstehung und Ausrichtung der Glückseligkeitslehre Aufschluss und offenbart dabei ihre gleichermaßen kirchenkritischen wie apologetischen Tendenzen: Es sind nicht nur die angehenden Berufstheologen angesprochen, sondern – in einer umfassenderen Perspektive – diejenigen „aufgeklärte[n] Landesleute“, die sich „durch den gemeinen Kirchenvortrag nicht befriediget fühlen“ und deshalb „gründliche Einsichten in Religionsvorträgen verlangen“, um „ihr Gemüth gegen die herrschenden Zweifel und gemeinen Einwürfe wider das Christenthum zu bevestigen“. Steinbarts Publikumsanrede kann daher als wichtige Quelle im Hinblick auf die charakteristische Verlagerung des neologischen Religionsdiskurses aus dem kirchlich-theologischen Rahmen in die bürgerliche Öffentlichkeit gesehen werden. Unter denjenigen, „die nach Weisheit fragen“, wie es im Titel angegeben ist, versteht Steinbart mit Bezug auf August Friedrich Wilhelm Sacks bekannte Religionsapologie eben diejenigen Menschen, die „Religion nicht wie viele Theologen ihre Dogmatik [...] studiren“ wollen, sondern die nach einer „praktischen Anweisung zu wahrer Gemüthsruhe“ und „erhöheten Thätigkeit in Ausübung aller göttlichen Tugenden“ suchen. Gegenüber einem systematisch-theologischen Vorgehen im Sinne etwa der Lokalgliederung Melanchthons oder der mathematischen Deduktionsmethode Wolffs bevorzugt Steinbart eine „historische Lehrart“, also eine dogmengeschichtliche und insofern dogmenkritische Verfahrensweise im Anschluss an Johann Salomo Semler. Darüber hinaus zählt er das in der Zwischenzeit neu aufgelegte Wörterbuch des Neuen Testaments aus der Feder des gleichgesinnten Berliner Aufklärungstheologen und Oberkonsistorialrats Wilhelm Abraham Teller zu seinen wichtigen Einflüssen, weil es ihn befähigt habe, unklare Stellen des Neuen Testaments „dem Geist der Religion Jesu anständig zu finden“.

Damit ist zugleich die materiale Kernintention seiner eigenen Schrift angezeigt, die Steinbart in der Einleitung näher erläutert: Im Anschluss an die schon in der eudämonistischen Ethik der Antike angelegte Frage nach dem höchsten Gut soll das Christentum als ursprüngliche Glückseligkeitslehre profiliert und als solche von ihren dogmengeschichtlichen Akkommodationen unterschieden werden. Die Schrift ist in sechs Abschnitte gegliedert: Unter Aufnahme leibniz-wolffischer Einsichten definiert Steinbart erstens die (über sinnlich-eigennütziges Glücksstreben hinausgehende) höhere Glückseligkeit als das Bewusstsein vom Übergewicht des moralisch Guten in der Hoffnung auf dessen Fortdauer und Vervollkommnung, die sich in der „anschauenden Vorstellung des Anwachses“ immer wieder erneuern muss (§§ 1–10). Zu den wesentlichen Voraussetzungen gehören zweitens die gesellschaftliche Natur und moralische Freiheit des Menschen (§§ 11–21), aber auch die entwicklungsoffene Vernunft und die sinnliche Erkenntnis (§§ 22–29), deren Entfaltung Steinbart zu dem ethisch höchst relevanten Zwischenergebnis kommen lässt, „daß alle höhere Grade menschlicher Glückseligkeit ganz eigentlich auf der Güte der moralischen Gesinnungen oder der Fertigkeit, nach allgemeinen Regeln [...] zu handeln, beruhen“. Dagegen zählen drittens die körperlich-sinnlichen Selbsterhaltungstriebe ebenso zu den natürlichen Hindernissen der höheren Glückseligkeit wie die Neigung zur Orientierung an Autoritäten oder unreflektierten Religionsbegriffen, mit deren Widerlegung sich Steinbart nicht zuletzt innerhalb der breiten, popularphilosophischen Vorurteilsdebatte des 18. Jahrhunderts positioniert. Mit diesen ersten drei Abschnitten hat Steinbart eine religionsphilosophische Wesensbestimmung vorgelegt, die erst im weiteren Verlauf, näherhin im vierten Kapitel in ihrem Verhältnis zum Christentum und seinen biblischen Grundlagen konkretisiert wird (§§ 30–40) und in diesem Gefälle theologiegeschichtlich von eminenter Bedeutung ist.

Im zentralen fünften Abschnitt der Glückseligkeitslehre erfolgt vor dem Hintergrund der kirchenhistorischen Debatte um die Wahrnehmung und Beurteilung des pelagianischen Streites eine dogmenkritische Auseinandersetzung mit den „willkührlichen Hypothesen“, welche „alle Wirkung des Christenthums auf die Moralität der Menschen, und auf die Beförderung der daraus entstehenden höheren Glückseligkeit“ verhindern. Im Mittelpunkt steht dabei die augustinische Erbsündenlehre, die, wie historisch aufgezeigt wird, „vermittelst willkührlicher Gewalt die ältern christlichen Lehren, welche Pelagius und die Griechen behaupteten, verdrungen“ und noch die Wittenberger wie die Schweizer Reformatoren dazu bewogen habe, von einem grundsätzlichen ethischen Unvermögen des sündigen Menschen auszugehen. Gleichzeitig findet Steinbart in der frühen Reformation jene liberalisierenden Impulse, „in der heiligen Schrift selbst zu forschen“, um auf diese Weise einer zeitgemäßen Christentumstheorie im Geiste der Religion Jesu näher zu kommen (§§ 41–55). Die aufgeklärte Schriftauslegung soll insbesondere ein differenziertes Licht auf den Begriff der göttlichen Strafgerechtigkeit werfen, weil aus dessen „Verworrenheit“ erst die folgenschweren Aporien der christlichen Versöhnungslehre resultierten. Der Sache nach an einschlägige Diskursbeiträge von Johann Gottlieb Töllner und Johann August Eberhard anknüpfend, in seiner Distinktion aber über diese hinausgehend, kommt Steinbart zu folgenreichen Unterscheidungen, die davon ausgehen, „daß Gott nie ein einziges Geschöpf stärker strafen könne, als es zu desselben eignen Besserung nöthig ist“. Die anselmische Satisfaktionslehre sucht er als unbiblisch zu erweisen, weshalb Jesus Christus nicht mehr als Stellvertretungsopfer oder als Weltenrichter in den Blick kommt, sondern allein als ethischer Lehrer der Glückseligkeit: Seine Erlösungstat besteht nicht in der stellvertretenden Genugtuung, sondern gerade in der Überwindung jener beängstigenden Gottesvorstellungen und in der weisheitlichen Befreiung zu gutem Handeln (§§ 56–66). Auf der Basis dieser weitreichenden, religionspädagogischen Umformung der christlichen Versöhnungslehre lassen sich laut Steinbart sogar die kontroverstheologischen Streitfragen zwischen Katholiken und Protestanten dahingehend aufklären, „daß fast immer beyde streitende Partheien gewisser massen Recht haben, oder daß die Wahrheit zwischen ihnen getheilet ist“. Wenn der christliche Glaube darauf zielt, dass der Einzelne sich den „Sinn Christi“ aneignet, dann ist die Zusammengehörigkeit von Gesetz und Evangelium zu betonen und dann sind gute Werke – als Ausdrucksform dieser Aneignung, nicht als Heilsvoraussetzung – für die Glückseligkeit notwendig (§§ 67–79).

Der sechste und letzte Abschnitt (§§ 80–90, später bis § 98) bietet eine Zusammenfassung des Systems und greift die christentumstheoretische Adressatenunterscheidung der Vorrede wieder auf: Während die Glückseligkeitslehre des Christentums für diejenigen, die „nach Weisheit fragen, [...] keine Geschichtswahrheiten voraussetzt, sondern [...] auf allgemeine Vernunftwahrheiten gegründet ist“, muss sie für diejenigen, „welche Zeichen und Wunder sehen müssen, [...] in Geschichte eingekleidet werden“. Insbesondere die „Lehre vom Opfertode“, so wird er später sagen, „ist die Brücke für alle, welche da stehen, wo sich die Juden zur Zeit der Apostel befanden: unsre denkende Christen wohnen schon disseits“. Die schon in Steinbarts Dissertation angelegte, ambivalente Verhältnisbestimmung von Altem und Neuem Testament war für das 18. Jahrhundert keineswegs unüblich, entwickelte sich aber zu einem viel diskutierten Problemaspekt und wurde von Steinbart – auch vor dem Hintergrund einer intensivierten Debatte um die gesellschaftliche Judenemanzipation – tiefgreifend überarbeitet. Seine würdigende Historisierung des mosaischen Gesetzes ist gerade in ihrer Überarbeitung von erheblicher religionsgeschichtlicher Relevanz. Insofern lohnt sich der Blick in die Rezeptions- und Redaktionsgeschichte der Glückseligkeitslehre.

IV.

Steinbarts Schrift zog eine weitreichende, den neologischen Religionsdiskurs der 1780er Jahre vielfältig bestimmende Kontroverse nach sich: Während die einen in dem Werk „eines der vorzüglichsten [...] seit dreißig Jahren“ erkannten, empörten sich die anderen darüber, dass Steinbart „das protestantische Kirchensystem umstoßen, und sein eigenes [...] an dessen Stelle setzen wolle“. Dieser Vorwurf einer unvollständigen oder falschen Wiedergabe des kirchlichen Lehrbegriffs gab denn auch die Stoßrichtung zahlreicher Gegenschriften vor. Prominent wurde er im März 1779 von dem Züricher reformierten Pfarrer und Schriftsteller Johann Caspar Lavater vorgetragen, der mit seiner Besprechung auch zur internationalen Rezeption der Glückseligkeitslehre beitrug: Steinbart habe zwar eine der besten philosophischen Schriften seiner Zeit vorgelegt, bei aller „Kapitulation“ gegenüber dem gesellschaftspolitischen Zeitgeist jedoch grundlegende Christentumslehren vermissen lassen. „[I]ch halt’ es für nichts mehr und nichts minder, als feinen Deismus [...] und durchaus nicht für reine ächte apostolische Christus Religion“. Man habe sich an deren Urkunde zu halten und diese vollständig zu berücksichtigen, damit das Christentum als „Individuum [...] unter allen Religionen der Welt“ gewürdigt werden könne, „wie die schweizerische Nation unter den Nationen der Erde“. Eine Summe des christlichen Systems dürfe nicht auf „bloße Menschenliebe“ reduziert werden, sondern müsse die Auferstehung der Toten und Vergebung der Sünden in Jesus Christus als dem „königliche[n] Haupt“ der Menschen bekennen.

Lavater beklagte generell den deistischen Verfall des christlichen Glaubens und bezog sich dabei insbesondere auf Semler, Steinbart und Teller. Semler sah daher in Lavaters Steinbart-Kritik die Gelegenheit zur indirekten Selbstrechtfertigung: Um sich in die Debatte einzuschalten, edierte er Lavaters Rezension zusammen mit einer anonymen Stellungnahme seines Schülers Heinrich Corrodi und eigenen Überlegungen. Corrodi argumentierte mit der Perfektibilität des Christentums und zielte auf eine konsequente Verwissenschaftlichung der Debatte, indem er hervorhob, dass christliche Religion nicht einfach als „blosser Glaube an abgelegtes Zeugniß“, sondern auch als legitimer „Gegenstand der Untersuchung“ zu würdigen sei. Damit war die bereits von Steinbart zugrundegelegte, konsequente Unterscheidung von Theologie und Religion auf den Plan gerufen. Semler selbst wies Lavaters Deismusvorwurf gegenüber Steinbart ebenfalls als grundlos zurück und formulierte: „Das Wesentliche des eigenen Christenthums steht also nicht in historischen Ideen und Aussprüchen von der Person Christi, [...] sondern in der geistlichen Gemütsfassung, die Christus durch geist- und lebensreichen Unterricht uns empfohlen hat“. Wo Corrodi noch von einem lediglich in seiner äußerlichen Hülle veränderlichen „Kontinuum“ ausging, stellte Semler die absolute Entwicklungsfähigkeit der christlichen Privatreligion in den Vordergrund. Mit ihr hatte er keine Schwierigkeiten, Steinbarts Glückseligkeitslehre für biblisch begründet zu halten. Auch Lavaters Vergleich des Christentums mit der Schweiz entkräftete er mit dem Argument, die Schweiz habe „zur Zeit des Cäsar“ einen anderen Charakter gehabt als in mittleren und neueren Zeiten. Kritisch äußerte er sich aber zu den Stellen, die den Eindruck erweckten, Steinbart wolle mit seinem eigenen System das öffentliche Bekenntnis ersetzen. Dieser Einwand entsprach seiner Unterscheidung, welche die Gewissensfreiheit der Privatreligion gegenüber jeder dogmatischen Normierung herausstellte und gleichzeitig an der territorialen Bekenntnisbindung der öffentlichen Religion zu jedem Zeitpunkt (insbesondere in der Woellnerdebatte) festhielt.

In der Fachwelt stieß vor allem Steinbarts dogmenkritische Auseinandersetzung mit der christlichen Versöhnungslehre auf heftigen Widerstand: Der Erlanger Theologe Georg Friedrich Seiler suchte gegen Steinbarts Glückseligkeitslehre und Eberhards Neue Apologie des Sokrates in sorgfältiger biblisch-theologischer Abwägung insbesondere den Stellvertretungsgedanken zumindest als Vermittlungsbegriff zu verteidigen, indem er den Kreuzestod nicht mehr als Kompensationsleistung für die verletzte Ehre Gottes, dafür aber im Anschluss an Hugo Grotius als Strafexempel zur Aufrechterhaltung des göttlichen Gesetzes deutete. Auch den Begriff der Imputation war Seiler zwar nicht bereit aufzugeben, er unterschied aber zwischen metaphysischer und moralischer Zurechnung, beschränkte sie auf die „Theilnehmung an den Folgen der Handlungen Adams und Christi“ und rückte die sittliche Besserung des Menschen in den Vordergrund, womit er – ebenso wie andere reformkonservative Stimmen, beispielsweise Johann Christoph Döderlein – dem neologischen Zeitgeist deutlich entgegenkam.

Welche Auswirkungen hatten aber diese kontroversen Auseinandersetzungen um Steinbarts Schrift auf die überarbeitete zweite Auflage der Glückseligkeitslehre von 1780? Steinbart ging in seiner „Anrede an das lesende Publikum“ auf die wichtigsten Einwände ein: Es sei nicht seine Absicht, das Bekenntnis der lutherischen Kirche abzuändern, seine Schrift enthalte „die Philosophie des Christenthums und nicht des Lutherthums“. Trotzdem weist die Neuauflage charakteristische Änderungen auf, weniger in den ersten fünf Abschnitten, dafür substanziell im sechsten Abschnitt, den Steinbart in der Erstauflage aus Zeitgründen (Leipziger Buchhändlermesse) angeblich nicht mehr habe vollenden können. Gegen die zwischen 1774 und 1778 herausgegebenen „Wolfenbüttelschen Fragmente“ habe er aufzuzeigen versucht, dass „Christus und Paulus über die Gränzen der Autorität des mosaischen Gesetzes völlig harmonisch gedacht und gelehret hätten“. Seine ambivalenten Ausführungen über den Pentateuch hat Steinbart im Rahmen der zweiten Auflage tiefgreifend überarbeitet und auf die These zulaufen lassen, dass „Mosis Schriften [...] das Gesetzbuch der theokratischen Staatsverfassung der Juden seyn solten“ und das Alte Testament insgesamt als „eine ehrwürdige historische Urkunde von den Religionsbegriffen und deren allmähligen Verbesserung unter den Juden bis zu den Zeiten Christi“ zu begreifen seien, aus deren Vergleich mit dem Neuen Testament sogleich die „grossen Vorzüge des Christenthums“ aufscheinen.

Aber diese Feststellung kann Steinbart spätestens vor dem Hintergrund der kontroversen Auseinandersetzung und in der Konsequenz seiner eigenen Religionstheorie nicht mehr absolut setzen. So läuft seine Glückseligkeitslehre ab der zweiten Auflage auf eine dezidierte Anerkennung religiöser Pluralität hinaus, die auch mit Kirchenvätern und antiken Autoren untermauert wird: „Und nun lasset uns in die Geschichte der Welt durch alle verflossene Jahrtausende zurück sehen, ob jemals [...] nur Eine Religion und Lehrsystem der Glückseligkeit herrschend gewesen sey“, oder ob nicht vielmehr „die größte Mannigfaltigkeit der Lehrbegriffe von Anbeginn bis auf unsre Tage neben und nach einander statt gefunden haben“. Wohl auch unter dem Einfluss des zwischenzeitlich erschienenen religionsphilosophischen Hauptwerks von Gotthold Ephraim Lessing wird nun verdeutlicht, dass alle religiöse Einförmigkeit am „höhern Plan der moralischen Erziehung des Menschengeschlechts“ scheitern müsse und somit die „Verschiedenheit der Religionen im Ganzen sowol, als für einzelne Personen, weit zuträglicher“ sein dürfte. Laut Steinbart habe ein Lehrer der Religion vor allem aufzuzeigen, wie sich „freudiges Vertrauen zu Gott“, „großmüthige Menschenliebe und vernünftige Betriebsamkeit zu allem Guten“ auf gesellschaftlichen Sinnfeldern bewähren lassen, denn „in diesen Gesinnungen liegt die Quelle der Seligkeit: sie machen das Wesen und den Geist des Christenthums aus“. Dieser nun deutlich explizitere, pluralitätsaffine Rekurs auf den bei Lavater, Corrodi und Semler bereits vermehrt gebrauchten Wesensbegriff gehört zu den augenscheinlichen, gleichwohl näher zu untersuchenden Änderungen.

Es scheint fast so, als wären Steinbarts Modifikationen in den gelehrten Journalen umgehend positiv aufgenommen worden. Die zweite Rezension der Allgemeinen deutschen Bibliothek ging deutlich ausführlicher auf den Inhalt von Steinbarts Schrift ein und kam zu einer wohlwollenden Einschätzung, die lediglich mit der Bitte um Präzisierung der biblischen Belege und Popularisierung der Sprache einherging. Erst recht in philosophischer Fachperspektive wurde Steinbarts Glückseligkeitslehre insgesamt deutlich positiver beurteilt. Doch auch die Reihe der Gegenschriften sollte sich fortsetzen, wenngleich diese – weitgehend aus der zweiten Reihe zeitgenössischer Gelehrter stammend – über den Generalvorwurf des biblischen und dogmatischen Traditionsverlusts nur noch selten hinaus kamen: Johann Leonhard Frisch, Konrektor der Stadtschule Grünberg, kritisierte in einer ausführlichen, abschnittsweisen Abrechnung unter anderem, dass Steinbarts Zweiklassentheorie der christlichen Religion diese in Epikureismus verwandeln wolle, weder Vernunft noch Offenbarung zu ihrem Eigenrecht kommen lasse und den Übergang in eine eigentliche Pflichtenlehre nicht geleistet habe. Damit legte er zumindest in einigen Punkten deutlich gewichtigere Einwände vor als der Rostocker Prediger Anton Bernhard Thiele, der Steinbart gewissermaßen auf Satzebene logisch zu widerlegen versuchte, mit diesem mühsamen Verfahren aber nur bis zum ersten Abschnitt kam und es auf halber Strecke bei der Aufforderung belassen musste, „daß der Herr Professor Steinbart [...] seine Glückseligkeitslehre gänzlich zurücknehme“. Die Streitschrift des Popularphilosophen und Mystikers Jacob Hermann Obereit suchte Originalität zu beanspruchen, indem sie vier Gelehrte beim Spaziergang inszenierte: „Völlige Uneigennützigkeit mit völligem Eigennutze ausüben“, so die kurzschlüssige Problemanzeige des alten Philosophen Simplicius, „wie soll man das machen?“ Obwohl sich die redundanten „Gespräche“ weder durch literarische Kunstfertigkeit noch durch hermeneutische Treffsicherheit auszeichnen, sind sie zu „den interessantesten Diskussionsbeiträgen“ gezählt worden, weil sie zeigen, „was man auch außerhalb der orthodoxen Theologie mit eben dieser Sittenlehre in Verbindung brachte und welche Gefahren man in ihr zu erkennen glaubte“.

Anstatt die Gegenschriften in erschöpfender Vollständigkeit zu referieren, dürfte es weiterführend sein, abschließend einige mögliche Forschungsfragen anzudeuten, die aus der Glückseligkeitslehre und ihrer Wirkungsgeschichte resultieren. Zu den theologiegeschichtlich interessanten Phänomenen gehört dabei sicherlich das charakteristische Auseinandertreten von theologischem Rationalismus und Supranaturalismus im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts. In diesem Prozess spielt Steinbarts Schrift, wie sich zeigt, eine wichtige, bislang unterschätzte Rolle.

V.

Schon Semler las Steinbarts Glückseligkeitslehre als Vorlage für das umstrittene Glaubensbekenntnis des Hallenser Aufklärers Carl Friedrich Bahrdt, mit dem er selber in einer theologischen Kontroverse stand und bei dem er zentrale, bei Steinbart noch moderat formulierte Einsichten aufgenommen und radikalisiert sah. In der Tat dürfte insbesondere Steinbart gemeint sein, wenn es in Bahrdts kurzer Abhandlung heißt: „O möchten doch Ew. Kayserl. Majestät von Gott auserkohren seyn, alle diejenigen vor der Wuth der Verfolgung zu schützen, welche Kraft und Muth haben [...] den unübersehligen Wust der Systemsreligion zu untersuchen und das reine Gold der göttlichen und seeligmachenden Christusreligion wieder herauszufinden“. In seinen wenig später erschienenen Schriften bezog er sich explizit auf die Glückseligkeitslehre. Die beiden freisinnigen Theologen standen in Briefkontakt und während Semler in Steinbarts Augen noch zwischen Ablehnung und Zustimmung schwankte, schien ihm Bahrdt, unbeschadet seines streitbaren Wesens, einem gemeinsamen, vernünftigen Anliegen zu folgen. Dem entsprach die auffällige, allerdings keineswegs uneingeschränkt positive Würdigung im Rahmen des umstrittenen, im Frommann-Verlag unter fingiertem Druckort erschienenen Kirchen- und Ketzer-Almanach: Steinbart habe nicht bloß „das alte Hauß eingerissen, sondern einen neuen Pallast an seine Stelle gesetzt. Seine Glückseligkeitslehre verdient das allgemeine Compendium der Religion zu werden“. Allerdings deutete die Zeitdiagnose in Steinbarts „Anrede an das lesende Publikum“ der dritten Auflage von 1786 bereits eine gewisse Zurückhaltung gegenüber Bahrdts zunehmender Radikalisierung an: Selbst aufgeklärte Zeitgenossen hätten Grund zur Sorge, dass die rationalistische Sichtweise alle Grundlagen der Religion zersetze und philosophische Hypothesen an deren Stelle gesetzt würden.

Es ist bezeichnend für den Religionsdiskurs des 18. Jahrhunderts, dass eine Schrift wie Steinbarts System genauso auch die Profilierung des theologischen Supranaturalismus erkennbar anregen konnte. Zu dessen exponierten Ursprungsvertretern gehörte der Wittenberger Theologie- und Philosophieprofessor sowie Wegbereiter der Leben-Jesu-Forschung, Franz Volkmar Reinhard, der sich in seiner Dissertation von 1782 auf breiter Basis mit Steinbarts Glückseligkeitslehre auseinandersetzte: „Wer bist du, Mensch, was ist die Kraft deiner Einsicht, daß du in einer so großen und schwerwiegenden Sache wagst, zu entscheiden, was die Weisheit Gottes verfolgen und festsetzen soll?“ Reinhards charakteristische Entwicklung vom Neologen zum Supranaturalisten unter dem Einfluss der Glückseligkeitslehre ließe sich ebenso aufzeigen wie die auf den theologischen Rationalismus entfaltete Wirkung.

Am Ende ist jedoch davon auszugehen, dass gegenüber den radikalen Gestalten dieser beiden Richtungen die vermittlungstheologischen Zwischenformen vorherrschend waren, in denen Steinbarts Werk dann ebenfalls individuell anverwandelt worden ist: Derartige neologische Einflüsse lassen sich etwa in den Sontags-Evangelia des Göttinger Universitätspredigers Gottfried Leß aufspüren – oder bei dem Jenaer Theologen Johann Jakob Griesbach, der seine Anleitung zum Studium der populären Dogmatik in enger Anknüpfung an Steinbarts Definition um den Begriff der höheren Glückseligkeit kreisen ließ und gleichzeitig diagnostizierte: „Wer in unsern Zeiten eine Dogmatik schreibt, kann mit Gewißheit voraus sehen, daß ein Theil der Leser über die Anhänglichkeit des Verfassers an alte Orthodoxie mitleidig die Achseln zucken wird, während dem ein andrer Theil über vermeinte Heterodoxieen [...] bedenklich den Kopf schüttelt“.

Dieser theologische Richtungsstreit wurde auf eine neue Stufe gehoben durch die „bis in die dunkelsten Tiefen hinabführenden Schriften des scharfsinnigen Kants“, dessen Rezeption durch Steinbart ebenfalls unterbelichtet ist. Während der theologische Rationalismus auf der Basis der Kantischen Transzendentalphilosophie die Religion Jesu als Inbegriff vernünftiger Moralität interpretierte, sah sich der nachkantische Supranaturalismus durch die Postulate der praktischen Vernunft ermächtigt, den exklusiven Wahrheitsanspruch des christlichen Glaubens auf eine übernatürliche Offenbarung zu gründen. Die „gemeinen ontologischen Begriffe, worauf die Philosophie unsres Jahrhunderts sicher zu stehen schien“, würden, so Steinbart, nun derart zerlegt erscheinen, dass viele Zeitgenossen geneigt seien, „sich unter die Fahne des Glaubens zurückzuziehen“. Unter diesen Umständen erschien es ihm angezeigt, einen „graden Mittelweg zwischen metaphysischer Spekulation u[nd] dunklem Glauben“ zu suchen, dessen Kompatibilität mit Kants Philosophie er sicherzustellen suchte: „Nach Ihren Schriften“, so schrieb er, „sind wir längst verbrüdert nur daß Sie im scharfsinnigen transcendenten Vortrage das empfehlen was ich populär in meinen Schriften sage“.

Es dürfte in mehrerer Hinsicht reizvoll sein, über die metaphysikkritischen Aspekte im System der reinen Philosophie (1778) und in der Kritik der reinen Vernunft (1781) hinaus die fundamentalethischen Differenzen (und Kontinuitäten) zwischen Steinbart und Kant in textgenetischer Sensibilität herauszuarbeiten: Schon für die Grundlegung zur Metaphysik der Sitten (1785) kam die Glückseligkeit als rationale Begründungsinstanz nicht mehr in Frage. Allerdings war damit die Glückseligkeit als „Neigung“ gemeint. In ihr kam jene Einwohnung des radikal Bösen zum Ausdruck, der die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft (1793) wieder größeren Raum gab und die dennoch auch hier nicht mehr als Erbsünde gedeutet wurde, sondern als Bestimmung der sittlichen Willkür des Menschen zur Wiederherstellung der ursprünglichen Anlage zum Guten. Und diese musste wiederum auch für Kant die Forderung einer Entsprechung von Tugend und Glückseligkeit provozieren. Vor diesem Hintergrund wären die intersubjektiven Potenziale und Grenzen in Steinbarts Begriff der höheren Glückseligkeit näher zu beleuchten und in die Analyse der moralphilosophischen Transformation der christlichen Versöhnungslehre in Kants Religionsphilosophie einzuordnen, um letztlich die „Spuren einer Metamorphose des neologischen Denkens“ in seiner deontologischen Ethik weiter freizulegen.

Stärker noch sind diese Metamorphosen bei dem bedeutenden Dichter und Kulturphilosophen der Weimarer Klassik, Johann Gottfried Herder, nachweisbar: Angeregt durch Lavater beschäftigte er sich ausführlich mit Steinbarts System in den Vorarbeiten zu seinen Briefe[n], das Studium der Theologie betreffend, in welche die Besprechung wohl ursprünglich aufgenommen werden sollte. Seine ambivalente Stellungnahme dürfte sich am ehesten als Ausdruck jenes theologiegeschichtlichen Generationenkonflikts begreifen lassen, der wenige Jahre zuvor bereits zum öffentlichen Bruch mit Johann Joachim Spalding geführt hatte. So wollen ihm Steinbarts dogmenkritische Rückblicke auf die augustinischen Irrwege der Kirchengeschichte ebenso wenig einleuchten wie die Einsicht in die Verschiedenheit der biblischen Texte und die „ärgerlich[e]“ Subordination des Alten Testaments. Dem entspricht Herders Hochschätzung historischer Dokumente als sprachlich-authentischer Ursprungsdenkmäler, die sich auch geschichtsphilosophisch mit den neologischen Perfektibilitätsidealen nicht allein zum Ausdruck bringen ließ. Gleichzeitig ist ihm Steinbarts „Principium“ der Selbst-, Menschen- und Gottesliebe „nicht nur für die Vernunft das edelste, sondern auch so sehr aus der Lehre und dem Sinn Christi“, dass er das Buch in dieser Hinsicht als „unwidersprechlich schön und brauchbar“ würdigen kann. Insofern ließen sich die vielschichtigen Umformungen aufklärungstheologischer Positionen in Herders literarischem Wirken auch von Steinbarts Werk ausgehend quellenbezogen aufzeigen.

Weitere Untersuchungsmöglichkeiten ergeben sich aus der bisher wenig bekannten Rezeption Steinbarts in der insgesamt noch unzureichend erforschten katholischen Aufklärung: So soll der böhmische Philosoph, Mathematiker und Priester Bernhard Bolzano in Steinbart sogar den „bedeutendste[n] Sozialethiker der mitteleuropäischen Spätaufklärung“ gesehen haben. Die relative Fragwürdigkeit einer solchen Einschätzung schmälert nicht die tatsächlichen Einflüsse der neologischen Glückseligkeitslehre, die in Bolzanos religionstheoretischem Hauptwerk offen zutage liegen. Auch der tschechische Theologe, Historiker und Begründer der wissenschaftlichen Slawistik Josef Dobrovský schrieb 1783 nach der Lektüre von Steinbarts Werk: „Das abscheuliche peccatum originale und die gratia victrix waren mir sehr anstößig“ – im Sinne der protestantischen Neologen sei die katholische Dogmatik „als die Unterweisung zur Glückseligkeit nach der Lehre Jesu“ zu reformulieren. Und der einflussreiche Regensburger Pastoraltheologe und Bischof Johann Michael Sailer schien Steinbarts Werk fast kopieren zu wollen, als er 1787 erstmals seine Glückseligkeitslehre aus Vernunftgründen, mit Rücksicht auf das Christentum publizierte. Diese Verbindungslinien, die selbstverständlich komplexer sind, als sie hier dargestellt werden können, dürften gerade deshalb einer näheren Beleuchtung wert sein.

Steinbarts „Anrede an das lesende Publikum“, die kontroverse Diskussion und die ab der zweiten Auflage explizierte Würdigung religiöser Pluralität machen seine Glückseligkeitslehre zu einem „programmatische[n] Beispiel“ für die charakteristische „Diskursivität“ der theologischen Aufklärung in den 1780er Jahren. Eine Zwischenbilanz brachte diesen Diskurscharakter 1786 auf den Punkt, indem sie der streitenden Fachwelt entgegenrief: „[W]as berechtigt euch, Ihr, die ihr Freunde der Wahrheit [...] seyd, etwas mehreres zu thun, als die Gründe eurer Ueberzeugungen mit möglichster Deutlichkeit uns übrigen darzulegen?“ Steinbart selbst hat diesen Aspekt gesehen und seine diskursiven Praktiken ebenso wie die seiner Gegner in den Philosophische[n] Unterhaltungen zur weitern Aufklärung der Glückseligkeitslehre verhandelt. Anhand der vorliegenden kritischen Edition werden sich diese kommunikativen Wechselwirkungen zwischen Steinbarts System und der damit verbundenen Debatte erstmals im Detail untersuchen lassen. In wirkungsgeschichtlicher Perspektive bietet sein Werk ein handfestes Beispiel für die notwendige Strittigkeit des Christlichen im neuzeitlichen Diskurs, die nachfolgende Generationen zur religionsgeschichtlichen Intensivierung der Wesensfrage und zur kommunikationstheoretischen Reformulierung des Kirchenbegriffs veranlasst hat. Wo die Theologie des 19. Jahrhunderts ihre christentumsgeschichtliche Aufgabe darin erkannte, „das Wesentliche in der Erscheinung zu fassen und Kern und Schale zu unterscheiden“, machte sie sich ein zentrales Anliegen der Aufklärungstheologie zu eigen – auch wenn sich in der Frühromantik und im deutschen Idealismus ganz eigene Begrifflichkeiten für das geschichtliche Ineinander von Wesen und Entwicklung, von Ursprung und Idealbegriff, von Kritik und Konstruktion ausgebildet haben. Dass das Kontinuum des Christentums weniger im Buchstaben als vielmehr „in einer geistigen Kraft“ zum Ausdruck kommt, nirgends in exklusiver Formulierung bereit liegt, sondern im Wandel der Zeiten fortwährend einer kommunikativen „Wesensgestaltung“ bedarf, stand bereits dem neologischen Religionsdiskurs und insbesondere den Beteiligten in der Debatte um Steinbarts Glückseligkeitslehre vor Augen. Diese geschichtlichen Dynamiken und Übergänge kritisch zu untersuchen ist Aufgabe zukünftiger historisch-theologischer Aufklärungsforschung.