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|d[III]| Vorrede.
Ich fühle es lebhaft, daß die gütige Aufnahme, welche diese kleine Schrift bey dem Publikum gefunden hat, meine Verpflichtung, ihr den größten mir möglichen Grad von Vollkommenheit zu geben, verdoppelt. Aber eben diese gute Aufnahme, welche in so kurzer Zeit mehrere neue Auflagen nöthig machte, kann und wird mich entschuldigen, wenn man bemerkt, daß gleichwohl diese vierte Ausgabe mit der dritten im wesentlichen ganz übereinstimmt. Der kurze Zeitraum von drey Jahren, welcher seit dem die zweyte ganz umgearbeitete Ausgabe erschien, verstrichen ist, hat in der Lage und den Bedürfnißen der nichttheologischen Christen keine solche Veränderung hervorgebracht, die mich glauben machen könnte, diejenige Anleitung zum Studium der populären Dogmatik, welche ich vor anderthalb und vor drey Jahren aus guten Gründen für die zweckmäsigste |d[IV]| hielt, sey ihrer Absicht jezt weniger als damals angemessen. Haben ja seitdem einige merkwürdige auf Religion und Kirche sich beziehende Begebenheiten sich zugetragen, so waren sie von der Art, daß sie mich nur mehr in meiner alten Ueberzeugung bestärkten, es sey für jeden Lehrer der Religion und Theologie Pflicht, mit möglichster Vorsicht zu Werke zu gehen, damit er nicht durch unbedachtsame und dreiste Aeußerungen seiner Privatmeinungen denenjenigen, welche von weiteren Aufklärungen in der Religionslehre keine Freunde zu seyn scheinen, einen erwünschten Vorwand verschaffe, die Lehr- und Druckfreiheit in engere Grenzen einzuschliessen, und wohl gar, wo möglich, diejenigen, die sich zu kirchlichen Lehrämtern bestimmen, von eigner unbefangener Untersuchung und immer tieferem Eindringen in die Wahrheit abzuschrecken. Billig sollte jeder Schriftsteller, der sein Buch durch den Druck unter das weite Publikum bringen will, und jeder akademische Lehrer, der Jünglinge aus nahen und entfernten Provinzen zum Lehramt vorbereiten soll, nicht vornehmlich darauf Rücksicht nehmen, was er, in seiner Lage, allenfalls zu schreiben oder zu lehren wagen dürfe? sondern, wenn es ihm mehr darum zu thun ist, wahren und bleibenden Nutzen zu stiften, als durch Neuheit zu glänzen, oder |d[V]| durch Dreistigkeit Aufsehen zu erregen, oder den Beifall irgend einer Partey zu erhaschen; wenn er der ihm gestatteten Lehr- und Preßfreiheit sich werth beweisen will; und wenn er diese unschätzbaren Wohlthaten seinen nahen und fernen Zeitgenossen und selbst den Nachkommen, so viel an ihm ist, unverkürzt erhalten und nach Möglichkeit sichern will: so muß die Hauptfrage diese seyn: was ist Wahrheit, und meinen Zeitgenoßen nützliche Wahrheit? Ist dies entschieden, so schreibe er zwar mit Vorsicht und Schonung der Schwachen oder Andersdenkenden, aber doch ohne Menschenfurcht und Menschengefälligkeit.
Da nun über die letzte Frage mein auf bedächtige und lange Ueberlegung sich gründendes Urtheil in so kurzer Zeit nicht so sich geändert hat, daß ich wesentliche Veränderungen in diesem Buch nöthig gefunden hätte; und da überdies auch der Plan deßelben und die von mir gewählte Behandlungsart der Materien von mehreren mir sehr schätzbaren Gelehrten im Ganzen genommen gutgeheisen worden ist: so blieb mir bey der neuen Durchsicht kaum etwas mehreres zu thun übrig, als etliche wenige Sätze, die mir izt dem populären Dogmatiker entbehrlich zu seyn schienen, wegzustreichen, ein paar andern einen bequemern Platz anzuwei |d[VI]|sen, einigen Stellen durch kleine Aenderungen oder Einschaltungen mehr Deutlichkeit und Bestimmtheit zu verschaffen, und hie und da im Texte oder in den Anmerkungen einen Zusatz zu machen. Hierdurch unterscheidet sich diese Ausgabe von der vorigen, ohne daß jene ihren Besitzern durch diese unbrauchbar geworden wäre. Hält es jemand der Mühe werth, eine Vergleichung zwischen beiden anzustellen, so wird er die Aenderungen und Zusätze, die etwa von den meisten Belange seyn möchten, in den §§. 10. 18. 20. 50. 51. 83. 91. 101. 103. b. 108. 112. 143. 144. 146. 150. 164. antreffen. Freilich bot sich zu noch mehreren Zusätzen, zumal zu den Anmerkungen, Stoff genug an. Allein die nächste Bestimmung des Buchs, zu einem Leitfaden bey halbjährigen akademischen Vorlesungen zu dienen, erlaubte nicht, ihm einen weitern Umfang zu geben. Nach dem Urtheil verschiedener würdiger Männer hätte zwar zu allerley nützlichen Zusätzen durch Weglassung einiger ihnen unnöthig scheinender theoretischer Lehrsätze Platz gewonnen werden können. Ich muß aber bekennen, daß ich hierin nicht ganz ihrer Meinung seyn kann, und um Erlaubniß bitten, hierüber noch einiges in der Absicht zu sagen, um zu verhüten, daß man mich nicht mißverstehe, oder dergleichen Stellen meines Buchs anders, als ich wünsche, brauche.
|d[VII]| Ich weiß sehr wohl, daß diese Anleitung zur populären Dogmatik nicht in einem populären Ton abgefaßt ist, und daß sie ziemlich vieles enthält, was ein verständiger Lehrer weder in Katechesationen noch auf der Kanzel abhandeln wird, und was mehr zur Theorie über die Glaubenslehren, als zur simpeln Lehre der Bibel selbst gehöret. Ehe man mich aber deswegen verurtheilt, wäre doch billig dasjenige, was hierüber in der Vorerinnerung gesagt ist, wohl zu überlegen, und nicht zu vergessen, daß mein Augenmerk nicht unmittelbar auf gemeine Christen, sondern zunächst und eigentlich auf künftige oder angehende Religionslehrer gerichtet war, und daß ich diesen nicht eine Anweisung zum populären Vortrage der Glaubenslehren, welche die Katechetik und Homiletik ertheilt, sondern eine Anleitung zum Studium derjenigen Dogmen geben wollte, die der Lehrer der Religion, mit steter Rücksicht auf die sehr verschiedenen Bedürfnisse seiner Zuhörer und Schüler, in sehr mannichfaltiger Form populär vortragen muß, oder wenigstens nach Beschaffenheit der Umstände nicht ohne Nutzen vortragen kann. Und überhaupt wäre es zu bedauern, wenn das Bestreben nach Popularität die Wirkung hervorbringen sollte, daß der den Nichttheologen von ihren Lehrern ertheilte Religions-Unterricht immer |d[VIII]| oberflächlicher, unbestimmter und unvollständiger würde. Ein geschickter Lehrer weiß vieles nicht nur verständlich sondern auch nutzbar und interessant zu machen, was in dem Munde eines andern, der es bloß als ein rohes, geradehin aus seinem gelehrten System oder gar Compendium herausgerissenes Stück hersagt, dem Nichttheologen eben so unverständlich als unbrauchbar ist.
Ich gebe ferner gern zu, daß ich über einige Lehrsätze Theorieen in diese Anleitung zum Studium der populären Dogmatik aufgenommen habe, die aus dem Volksunterricht unter gewissen Umständen gar wohl wegbleiben könnten, weil man, ohne sie zu kennen, doch ein sehr guter, rechtschaffener und würdiger Christ seyn kann. Ich will auch nicht läugnen, daß dergleichen Theorieen, deren praktischer Nutzen ohnehin gering ist, zuweilen mißverstanden und wohl gar mißbraucht worden sind, und daß es deswegen rathsam scheinen könne, sie in populären Vorträgen ganz mit Stillschweigen zu übergehen. Ich würde es daher auch nicht wagen, einen Lehrer zu tadeln, der bey dem Unterricht solcher Menschen, welche von Lehrsätzen dieser Art noch nichts wissen und auch nie etwas davon erfaren werden, sie gar nicht berührte. Aber sind wohl unsre Volkslehrer in diesem |d[IX]| Fall? Haben sie nicht fast durchgängig mit Menschen zu thun, denen dergleichen Sätze als wichtige Religionswahrheiten von Kindheit an eingeschärft worden sind, und die durch ihre Gesangbücher, Gebetbücher, Erbauungsbücher u. d. gl.
unaufhörlich an sie erinnert werden? Und kann man wohl einem solchen Religionslehrer rathen, ein geflissentliches Stillschweigen über Lehren zu beobachten, die seine Zuhörer für wesentlich zur Religion gehörig halten? Meiner Einsicht nach wird er viel besser thun und weit mehr Nutzen stiften, wenn er die falschen, krassen und der Beförderung der praktischen Religion oft nachtheiligen Vorstellungen, die sich ein grosser Theil des Volks von dergleichen Lehren macht, mit Klugheit und Vorsicht nach und nach zu verbessern und zu berichtigen sucht, und die Aufmerksamkeit darauf lenkt, was und wie viel die Bibel wirklich und deutlich davon lehre, und was hingegen blosse Erklärungen oder Erläuterungen sind, die man über die Aussprüche der Bibel in guter Meinung zu geben gewagt hat. Diesen Unterschied habe ich nach Möglichkeit überall bemerklich zu machen mich bemühet, und nicht nur in den Anmerkungen häufig darauf hingewiesen, sondern auch in den Paragraphen selbst durch die Stellung und Verbindung der Sätze und durch den geflissentlich |d[X]| gewählten Ausdruck anzudeuten gesucht, was meiner Einsicht nach zur allgemeinen Christenthums-Lehre gehöre, und was hingegen für bloße Erläuterung, die nach Anleitung der Bibel den Wißbegierigen darüber gegeben werden könne, zu halten sey. Da man aber gleichwohl diese Fingerzeige übersehen zu haben scheint, so bitte ich meine Leser angelegentlich, auf dergleichen gegebene Winke über den biblischen Grund, die Wichtigkeit und die Brauchbarkeit einzelner Lehrsätze, und auf die in dieser Absicht von mir gebrauchten Ausdrücke, aufmerksam zu seyn.
Neue Entdeckungen wird kein Verständiger in einem Buche dieser Art suchen. Man wird aber doch finden, daß ich die schäzbaren Aufklärungen mancher Dogmen, die wir dem Scharfsinne und dem Fleiß neuerer Gelehrten verdanken, so weit ich sie für gegründet hielt, benutzt habe, und zuweilen wird selbst ein gerade in dieser Absicht beibehaltener von jenen Männern gebrauchter Ausdruck den kundigen Leser erinnern, was und wen ich dabey im Sinne hatte. Es kommt inzwischen hier gar nichts darauf an, was alt oder neu, diesem und jenem eigen oder mehrern gemein ist; sondern allein darauf mußte gesehen werden, daß aus dem ganzen Umfange der Dogmen und der darüber versuchten Erklärungen und Er |d[XI]|läuterungen, mit Absonderung bloß gelehrter Spekulationen, die so wenig mittelbar als unmittelbar dem Christen nützen können, diejenigen ausgehoben würden, welche einer auch Ungelehrten verständlichen und gemeinnützigen Behandlung fähig sind; daß diese so geordnet und von der Seite vornehmlich gezeiget würden, von welcher sie am leichtesten faßlich gemacht und zu praktischen Zwecken angewendet werden können; daß den gewöhnlichsten Zweifeln und Einwürfen so viel möglich gleich so vorgebeugt würde, daß es keiner Widerlegung derselben bedürfe; und daß endlich die Beweise so gewählt und so angelegt und gestellt würden, wie es zur Erleichterung einer gründlichen Ueberzeugung, selbst bey solchen, die mit Vorurtheilen gegen gewisse Lehrsätze oder Beweise schon eingenommen sind, am dienlichsten schien. Was insbesondere die Auswahl der biblischen Beweisstellen betrift, so bin ich dabey mit aller Sorgfalt zu Werk gegangen. Ich weiß zwar sehr wohl, daß manche angeführte Stellen von andern mir schäzbaren Gelehrten anders erklärt werden, und daß dagegen manche Beweissprüche hier fehlen, welche andere für tauglich halten. Allein ich bitte mir zuzutrauen, daß ich jedesmal hinlängliche Gründe, so zu handeln, zu haben glaubte. Und ausserdem muß ich noch erinnern, daß aus |d[XII]| manchen Stellen nicht ein direkter sondern nur ein indirekter Beweis geführet, oder nur eine Erläuterung hergenommen werden soll; daß die biblischen Stellen nicht in der Meinung gehäuft sind, als käme etwas auf die Menge der Beweise an, sondern weil es dem Volkslehrer nützlich seyn kann, mehrere gleichsam in Vorrath zu haben, um bald von der einen, bald von einer andern, Gelegenheit zum Vortrage der wichtigsten Wahrheiten nehmen zu können; und daß ich durchgängig denen Lesarten folge, welche im Text meiner Ausgabe des N. T.
stehen.
Wer in unsern Zeiten eine Dogmatik schreibt, kann mit Gewißheit voraus sehen, daß ein Theil der Leser über die Anhänglichkeit des Verfassers an alte Orthodoxie mitleidig die Achseln zucken wird, während dem ein andrer Theil über vermeinte Heterodoxien (Neologie nennt mans izt) bedenklich den Kopf schüttelt. Dem ist nun einmal nicht abzuhelfen, und, die Wahrheit zu sagen, es wäre nicht gut, wenn es für izt anders wäre. Mag ich dann meinen gewissenhaften Ueberzeugungen von dem, was Wahrheit und nützliche Wahrheit ist, nicht eben so gut und ungestöhrt folgen, als andere den ihrigen? Oder was berechtigt euch, Ihr, die ihr Freunde der Wahrheit seyn wollet, und, wie ich glau|d[XIII]|be, seyd, etwas mehreres zu thun, als die Gründe eurer Ueberzeugungen mit möglichster Deutlichkeit uns übrigen darzulegen? Streben wir alle aber wirklich nach Einem Ziele, so kann ich es ja geschehen lassen, daß ihr einen Weg wählet, der mit dem meinigen nicht durchgängig parallel läuft, und ihn vielleicht nur hie und da in einzelnen Punkten berührt. Wo wir aber einander uns nähern, da biete ich euch jedesmal brüderlich die Hand; und wenn ihr dann eure Bahn weiter verfolgt, wie ich die meinige, so begleiten euch meine herzlichen Wünsche, daß wir wenigstens am Ziele wieder zusammentreffen mögen. Nur verrenne keiner dem andern den Weg, oder suche ihn auf den seinigen mit fortzuschleppen. Oder ist etwa der Weg etwas mehr, als nur Weg?
Manchen Lesern wird vielleicht eine gewisse Einförmigkeit und Schwehrfälligkeit des Periodenbaues in diesen Blättern mißfallen. Allein nach meiner Einsicht und Erfarung, ist ein Lehrbuch, welches durch akademische Vorlesungen erläutert werden soll, am zweckmässigsten eingerichtet, wann die zur Sache gehörigen Begriffe und Sätze in der gedrungensten Kürze vorgelegt und so unter einander verkettet sind, daß auf der einen Seite der Zusammenhang unter ihnen und ihre wech|d[XIV]|selsweisen Verhältnisse gegen einander, auf der andern aber die einzelnen Theile, in welche das Ganze bey dem mündlichen Vortrage zerlegt werden soll, deutlich auf einen Blick in die Augen fallen. Hiebey aber werden einförmige, gedehnte und etwas zerstückelte Perioden kaum leicht ohne Affektation zu vermeiden seyn. Ein akademisches Lehrbuch ist aber auch nicht dazu bestimmt, flüchtig gelesen, sondern eigentlich studirt zu werden. Und daß ein solches zweckmäßiges Lehrbuch sich zugleich auch angenehm werde lesen lassen, oder daß ein Buch, das sich gut und leicht weglesen läßt, auch ein wirklich ganz zweckmäßiges Lehrbuch abgeben könne, daran zweifle ich immer noch sehr. Doch lasse ich gern jedem seine Weise. Geschrieben auf der Fürstlich Sächsischen Gesammt Akademie zu Jena, im März 1789.
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Abkürzungsauflösung von "D.": Doktor