|c[LIX]| |d14| |e14| |f14| |z[3]| Vorrede zu den Zusätzen der zweyten Auflage.
Um den Besitzern der ersten Auflage meines Wörterbuchs
nicht beschwerlich zu fallen, habe ich die zweyte
bis auf einige
z√ meistens die Zahlen angehende Berichtigungen des Drucks unverändert
gelassen, und dafür die folgenden Zusätze besonders ausgearbeitet. Ich bedaure nur, daß ich der Unbequemlichkeit, die durch eine solche Trennung in dem Gebrauch
entstehen mußte, nicht eben so gut habe abhelfen
können, und sie zum Theil dadurch vermehrt worden ist, daß in der Correctur der ersten Bogen das
Sternzeichen ausgelassen worden, wodurch sich in den
letzten die Beziehungen auf die Zusätze von
cz√ Zurückweisungen auf das Wörterbuch selbst unterscheiden.
Sonst enthalten diese Zusätze einigemal
cz√ wirkliche Verbesserungen; zuweilen Nachholungen von
Wörtern, auf die ich schon im Wörterbuch hingewiesen hatte, wie
Stachel , Spiegel ; noch öfter Bestätigungen, wie bey
Furcht Got|cLX|tes ,
Fülle , u. a. m.
größtentheils aber
freywillige Beyträge von
|f15| Wörtern
und Redarten, als,
andächtig , hochherfahren , Griechen , Handel u. d.
durch
|d15| |e15| deren Auslegung die Lesung des neuen Testaments jedem, der sich nicht selbst helfen kann, erleichtert wird. Bey diesen konnte ich um so kürzer seyn, da die Einsicht in das eigentliche Christenthum davon eben nicht
abhängt, und ich mich hierüber schon in der Vorrede zum
Wörterbuche erklärt habe. Nur die Bestätigungen
erfoderten mehr
Umständlichkeit, welche sich freylich
auch eher für einen Commentar als für ein Wörterbuch schickt, aber gleichwohl wegen der besondern Veranlassungen,
welche ich dazu gehabt, nicht zu vermeiden war.
Es kann nun dem Leser einerley seyn, welches dieselben gewesen. Mir kam es zu, den besten Gebrauch für ihn und mich selbst davon zu machen, und dieß habe ich nicht nur gelegentlich gethan, was die Hauptsache anlangt, sondern will es auch jetzt wegen gewisser dabey vorgefallener Misverständnisse thun.
|z5|
Ich bin völlig überzeugt, daß Religion und Theologie, das Christenthum nach der Schrift und das Christenthum nach dem System
unendlich weit
voneinander unter
|cLXI|schieden sind.
Ich sehe dieses für ein Gebäude an, welches dem
Scharfsinne des menschlichen Verstandes Ehre macht, an
welchem viele Kunst verschwendet ist, und welches man also wohl ein und das
andremal zur Bewunderung der Kunst besehen kann, aber gewiß nicht beziehen muß, wenn man gesund und ruhig
|f16| wohnen will.
Dieß würde auch zuverläßig das Urtheil der
meisten |d16| |e16| seyn, wenn sie nicht das System sich eher geläufig gemacht
hätten, ehe sie aus eignem
Antriebe und mit allen dazu gehörigen Hülfsmitteln die Schrift gelesen. Es würde dann schlechterdings unmöglich
seyn, daran einen Geschmack zu gewinnen, oder, wenn nicht noch nachher die Bekanntschaft mit demselben dazu käme, von selbst auf solche mühsame Zurüstungen zu verfallen. Diese Ueberzeugung nun war bey mir im ersten Aufkeimen,
da ich vor zehn Jahren die Verfertigung meines
Lehrbuchs unternahm; und sie ist seitdem zu einer solchen Größe und Stärke
gewachsen, daß ich vor einiger Zeit mich
entschloß, in einem
Wörterbuche die Bearbeitung merklich zu machen, unter welcher sie bey mir zugenommen
hat. Ich fürchtete
also zwar keine augenblickliche Wegwerfungen oder ungeziemende Anschwärzungen von
gesetzten und billigen Männern; aber ich er
|cLXII|wartete auch eben so wenig den Beyfall derer, die auf andern Wegen die gegenseitige Ueberzeugung sich schon längst in frühern Jahren zu eigen
gemacht, und ich sehe klar ein, wie beynahe unmöglich es für solche seyn muß, wenn besonders Geschäfte oder andre Hindernisse einer ruhigen Prüfung
dazukommen, den Rückweg zu
nehmen und den
Weg, den ich gegangen
bin, einzuschlagen. Ich schrieb also für solche, die noch für kein System eingenommen sind, wie es billig am wenigsten Anfänger in der
|f17| Erlernung theologischer Wissenschaften seyn
sollten, und ihnen vornehmlich widme ich
|d17| |e17| auch diese Zusätze. Sie stehen noch am Scheidewege; bey ihnen steht es
noch, sich der Hülfsmittel aus der Kirchengeschichte und
einer philosophischen Kenntniß der alten Sprachen zu bemächtigen, durch welche man in den Stand
gesetzt wird, das reine Metall des Christenthums von den Schlacken einer sectirischen Philosophie oder abergläubischen Schwärmerey zu
scheiden. |z7| An sie will ich mich also noch mit folgenden Vorstellungen und Bitten wenden.
Zuerst werden sie hoffentlich es der Mühe werth achten, zu untersuchen, wie viel Zeit man eigentlich in beynahe siebzehn Jahrhunderten, oder nur, um nicht so weit |cLXIII| zurückzugehen, seit der Reformation, auf die Auslegung der Schriftstellen verwendet hat, aus denen die Lehrsätze des Christenthums herauszuziehen sind; unter welchen äußerlichen Umständen man dabey zu Werke gegangen ist; und welche Hülfsmittel man dazu angewendet hat. Ich will, um ihrem Urtheil nicht vorzugreifen, nicht sagen, wie günstig oder ungünstig das Resultat dieser Untersuchung für die herrschend gewordne Erklärungen ausfallen muß, wenn sie gehörig angestellt wird: aber ich bitte darum so sehr, so lieb es ihnen seyn wird, und zum mannigfaltigsten Gebrauch nützlich, sie mit Fleiß geendiget zu haben.
Hiernächst ist es
nöthig, daß sie aus
eigner Lesung und Vergleichung bey sich entscheiden, ob
|f18| die Sprachart des neuen Testaments wirklich hebräisch-griechisch oder rein-griechisch sey. Seit
|d18| |e18| ohngefähr dreyßig Jahren hat zwar
|z8| jene
Meinung ein merkliches Uebergewicht
gewonnen, und sie wird wohl
ietzt in Deutschland von den angesehensten Schriftauslegern durchgängig behauptet. Allein ich wünschte doch, daß es
immermehr in der Folge keine bloße Ueberlieferung aus dem
Verstand des einen in das Gedächtniß des andern würde, sondern eine durch
eigne Versuche gewirkte Ueberzeugung. Mir ist
|cLXIV| dazu sehr
nützlich gewesen, wenn ich in meinen
academischen Jahren am Morgen einen
Abschnitt, ohne mich nach Kapiteln zu richten, aus dem
A. T.
, den Grundtext und
die
Alexandrische Uebersetzung
verglichen, gelesen, und nachher Abends einige Absätze aus dem
N. T.
Da war der Eindruck von den früh gefaßten hebräisch-griechischen Redformen der Alexandriner noch so lebhaft in mir, daß ich von selbst
merkte, es sey einerley
Sprachart, und mir in Gedanken manche Erklärung machte, die ich nachher angenommen.
So hatte ich
z. E.
in den Psalmen gelesen
die Erde und ihre ganze Fülle mit demselben griechischen Wort, das Paulus
in den Briefen an die
Epheser und Colosser braucht, gerieth kurz nachher über die Stelle
Col. 1, 19. und machte also die Anwendung davon.
|z9| Aber die hebräisch-griechische Sprachart recht kennen zu lernen, ist es, dünkt mich, noch
Kleinigkeit sie bloß in einzelnen
Worten, Redarten |f19| und
Redverbindungen aufzusuchen. Hier ist
|d19| |e19| auch beynahe von einem
Vorstius und andern nichts mehr zu thun übrig
gelassen.
Darinn, Freunde, liegt ein fast noch
unentwikkelter Keim der Erklärungsart des
N. T.
die ins
Große geht, daß es auch eine ganz hebräisch-griechische
Den|cLXV|kungsart in demselben giebt, die Nationalphilosophie, Nationalsitten, und Nationalgebräuche zum Grunde hat.
Z. E.
Seite
171. habe ich für ein Wörterbuch zureichend die Redart
in Sünden gebohren seyn erklärt; ich hätte aber noch hinzusetzen können, daß es, wie man auch aus der Frage der Jünger und der Antwort Jesu
Joh. 9, 2. 3. wahrnehmen kann, eine herrschende
Meynung unter den Juden war, nur sündhafte Eltern brächten gebrechlich Gebohrne zur Welt. So ist
S.
305. die Beschreibung eines gottgefälligen Almosens als eines
angenehmen Opfers Gott zum süssen Geruch, nicht bloß hebräisch geredet, sondern gedacht. Und so denke ich, verhält
sichs mit allen den Vorstellungen von
Himmel und
Erde , Ge|z10|setz und
Werke , Hoherpriester , Versöhnung u. s. w.
Ich wünschte also, daß diejenigen, für die ich
dieß schreibe, auch hierauf ihre
unpartheyische Untersuchung verwenden
möchten.
Diese Erklärungsart, sagte ich, geht mehr ins Große. Aber auch die Schrifterklärung selbst, auf
welche sich der künftige Lehrer der Religion vorzubereiten hat, um die er sich
ohnstreitig am meisten bekümmern sollte, muß mehr aufs Große
|f20| ge
|d20||e20|richtet seyn; auf die Aussprüche Jesu
und seiner Boten,
|cLXVI| die jedem
Hauptstücke der christlichen Wahrheit, wie sie im systematischen Vortrag gelehrt wird, zur Grundlage dienen. Ich beziehe mich hier auf das, was ich schon zum Theil hierüber
in der
Vorrede zur ersten Auflage erinnert
habe und setze nur noch folgendes
hinzu. Es ist einerley, mit wechem
Hauptstücke der christlichen Lehre man diese Vorbereitung anstellen
will und zur Vorbereitung ist
auch ein einziges zureichend. Jeder neue Aufschluß in
dem einen enthält die Anlagen zur Aufklärung des andern. Wenn man einmal weiß, das ist
Gesetz ohne Zusatz und das ist
Gesetz mit
|z11| dem Zusatz
Gottes, so ist man schon auf
der Spur
Werke und
gute Werke richtiger von einander zu
unterscheiden, genauer zu bestimmen, was
Evangelium ist, was
Glauben an Christum ist, wie Er der
Herr ist, und
wie Luther
schon im Catechismus gesagt, man darauf bestehen, darauf hauptsächlich sein eigenes Wissen von ihm einschränken
müße. Und so etwas sollte nicht die ernsthafteste Angelegenheit für einen jeden seyn, der
andre dereinst lehren soll, was Christenthum ist? Er sollte
als Volkslehrer sich eher oder wohl ganz allein darum bekümmert haben, weches in der Apostelgeschichte die
Ausländer von Rom sind,
ob man beym Lucas
Schatzung |cLXVII| oder
Zählung übersetzen
müße; ehe er bey sich ausgemacht hat, was das heiße
an Jesum glauben und wohl diese Unter
|d21||e21|suchung
|f21| ganz liegen lassen? Wenn es hierauf
ankömmt, sollte der
ganze gewissenhafte Ernst der seyn, daß man mit
einem Seitenblick auf die
Gegend, in der man lehren soll, auf den
Gönner, durch den man sein Glück machen will, die in jener
und bey
diesem geltende Erklärung nimmt und sie mit
allem polemischen Gepränge
aufstutzt? Nun wer das
sich erlauben kann, den bedaure ich und überlasse ihn seiner eignen unpartheyischen Beurtheilung.
Beynahe möchte ich nun auch Anfängern rathen lieber gar keine Regeln der Auslegungskunst sich bekannt zu machen, nur mit
ihrem gesunden
Verstande ihre
Sprachkenntniße auf einzelne Stellen anzuwenden; als jene Regeln
kunstmäßig zu erlernen und sie doch nicht am rechten Orte gebrauchen wollen. Es ist ein altes
Sprüchelchen und von allen für wahr angenommen: „Man muß genau
beobachten, wer etwas sagt, zu
wem er es sagt,
unter welchen Umständen und in
welchen Zeiten er es sagt.“ Aber wie
stehts mit der Anwendung? Nun das sehe man! Jesus
befiehlt seinen Aposteln,
z√ in
sei|cLXVIII|nem Namen zu beten; er sagt es zu einer
Zeit, da er mit ihnen von
seinem Abschiede redet, sie in
ihrem öffentlichen
Lehramte bestätiget, ihnen noch Muth und Freudigkeit dazu einsprechen
will: Er setzt hinzu, daß sie es
bisher noch nicht gethan hätten
, ungeachtet sie ihm so treu und ergeben gewesen waren; er verweiset
ihnen |d22| |e22| das auch nicht; und er versichert endlich,
|z13| daß ihnen dergleichen Bitten allezeit würden
|f22| gewähret werden. Hier wäre also ja wohl der
Ort, die gedachte Regel in Ausübung zu bringen, und zu
sagen, es sey
das apostolische Amtsgebet gemeint! Aber nein! sagt man,
dieß ist nicht der rechte Ort. Nun wo ist er denn? Ich will mich weisen
lassen. Etwa wo Paulus
ein
jüdischer Gelehrter, mit Christen aus dem
Judenthum, die nicht von ihren Gebräuchen
ablassen wollten, von der Beschneidung am Geist, dem Opfer Jesu
, dem Hohenpriesteramt desselben, dem Sabbath des
N. T.
redet? Nein da auch nicht! Nun so ist jene Vorschrift zwar sehr gegründet, in der Natur aller
Sprachen und in dem Gebrauch aller guten Schriftsteller
gegründet, aber sie ist in der Anwendung zu nichts nütze. Man gebe mir also eine
andre, die ich besser brauchen kann! „Frage zunächst den Schriftsteller selbst, den du erklären
willst, in wel
|cLXIX|chem Sinn er ein Wort, eine
Redart, genommen hat; dieses Zeugniß, welches er durch Selbsterklärungen seines Sprachgebrauchs ablegt, ist von
großem Gewichte.“ Nun ja, das sollte ich auch
meynen; und also wird wohl
Fülle Col. 2, 9. die Gemeine bedeuten, weil Paulus
Eph. 1,
23. sagt,
|z14| daß er sie darunter verstehe? Es wird wohl einerley
seyn Fülle des, der alles in allen erfüllet, die ganze Fülle der Gottheit, die Fülle Gottes, die Fülle Christi , der aus |d23| |e23| zweyen gemachte neue Mensch, der ganze Bau, die ganze Familie im Himmel und auf Erden?
einerley; in Christo wohnet die |f23| ganze Fülle der Gottheit, und,
er ist das Haupt der Gemeine?
einerley; sie wohnet in ihm leibhaftig, oder,
Er hat beyde Juden und
Heiden versöhnt zu einem Leibe? –
Nein das folgt nicht; so ungewöhnlich und unbestimmt und willkührlich konnte der Apostel nicht reden, wenn er vernünftig schreiben
wollte; Wie würde ihn der ungelehrte
Haufe verstanden haben? Aber was ists ungewöhnliches, unbestimmtes, wenn er
f√ sich erklärt,
so will ich verstanden seyn?
wo ist hier etwas willkührliches, und wie konnte er anders schreiben, wenn er kein
anders eben so ausdrückendes einzelnes Wort in seiner Sprache hatte? Nun genug es folgt
|cLXX| nicht; Col. 2. ist
Christus Eph. 1. die
Kirche zu verstehen. Erlaube mir denn also einen andern Versuch an dieser Regel zu machen, ob er dir besser gefallen möchte. Ich denke nemlich
|z15| nach derselben,
an Jesum Christum glauben, sey soviel als seine Lehre annehmen und befolgen: Er sagt doch selbst,
ihr seyd meine Freunde, wenn ihr thut, was ich euch gebiete;
so ihr bleiben werdet in meiner Lehre, (Rede)
so seyd ihr meine rechte Schüler (Jünger); er sagt das
einemal,
wer da glaubet, der wird selig werden, und ein
andermal,
die den Willen thun meines Vaters im Himmel, indem
|d24| |e24| sie mich
Herr, Herr nennen,
d. i.
ihren Meister und Lehrer,
werden in das Himmelreich kommen. Hier habe ich also,
wies nach jener Regel seyn soll, seine
eignen Erklärungen. – Wieder falsch
|f24| geschlossen! Wo hat dir Jesus
gesagt, daß du dabey einerley denken sollst? Er legt mirs doch so nahe, indem er mit diesen Ausdrücken und
Redarten abwechselt! Auch Paulus
erklärt das Wort
Glaube dahin; es ist seine eigene ausdrückliche
Definition Röm. 10, 8.
Das Wort ist dir nahe in deinem Munde und in deinem Herzen; dein Gewissensgefühl sagt dirs, was recht und unrecht ist und Gott
gefällt; und dies ist das Wort vom |cLXXI| Glauben, das wir predigen; er sagt das
einemal Gal. 5, 6.
|z16| in Christo Jesu gilt weder Beschneidung noch Vorhaut etwas, sondern der Glaube, der durch die Liebe thätig ist; und ein
zweytesmal 1 Cor. 7, 19.
die Beschneidung ist nichts, und die Vorhaut ist nichts,
sondern Gottes Gebot halten. Hier ist also, denke ich, seine
eigne Erklärung, daß
glauben und
rechtthun ihm gleichviel gelten. Aber hat er ausdrücklich
ausdrücklich
gesagt, daß es ihm gleichviel gelte?
Ich sehe denn wohl, daß auch diese Regel sehr gegründet ist, aber durchaus nicht für den Gebrauch. Oder vielmehr, theuerste Jünglinge an jedem
Ort, wo euch dieses zu
Gesichte kommt,
sehet, ich habe euch mehr denn eine wahre Geschichte
erzählt, lernet daraus festere Tritte thun und wenn
|d25| |e25| ihr einmal sicheren Regeln bey Erklärung der Schriften des
N. T.
ihren Werth in der Betrachtung zugestehen
müßet, so bringet sie auch
ehrlich und
standhaft in Ausübung.
|f25| Von solchen lehrbegierigen Schülern der Wahrheit
müße nun
auch nach meines
Herzens-Wunsch es ewig ferne seyn, eine Erklä
|z17|rung bloß
deswegen sogleich zu verwerfen, weil sie ihnen
neu, oder
unerwiesen, oder
ungewöhnlich, oder
gekünstelt, oder endlich
fremdgläubig vorkömmt. Sich aus
|cLXXII| irgend einer von diesen Ursachen von
einer Erklärung wegscheuchen
lassen und dafür gleichsam zurückprallen, ist dem
Sucher des Wahren, der noch
Zeit und Kräfte und Gelegenheit hat, nicht anständig. Aber sie werden auch dafür genug gesichert seyn, wenn sie sich gewöhnen in jedem
Falle die Ursache ihrer Abneigung sich deutlich zu machen und den Nebel
dunkler Vorstellungen zu zerstreuen.
Was nennst du neu? müssen sie sich fragen. Was dir neu ist, was du noch nicht gelesen oder gehört hast! So laß es denn seyn; vielleicht ist es andern nicht so neu, die länger gedacht, mehr gelesen haben.
Eben so: Was nennst du unerwiesen? Vermengst du es etwa mit dem, was unerweisbar ist, oder hältst das dafür, was nur dir noch nicht genug erwiesen ist, oder nach |z18| den Einschränkungen und der frühen Richtung deiner Vorstellungskraft vielleicht auch nur dir und denen, die dir gleichen, |d26| |e26| nicht erweislich gemacht werden kann? Ja! so ists. Rede also wie es die Sache mit sich bringt bestimmter: Das ist mir neu, das ist für mich unerwiesen. – –
|f26| So habe ich in den Zusätzen bewiesen, daß die Erklärung des Worts
Fülle nicht neu
czf√ und sogar schon bey Col. 1,
19. von
einem |cLXXIII| der größten ältesten Ausleger ohne allen Anstoß gemacht worden
ist; nicht neu die Erklärung von
unterste Oerter der Erden, Engel des Satans, und sogar kein älterer Ausleger an eine wirkliche leibliche Besitzung hierbey gedacht
hat. Und so hoffe ich auch bey
Fülle , die in einer solchen Sache möglichsten Beweise für die angenommene Erklärung gegeben und die Richtigkeit derselben in ein solches Licht gestellt zu haben, daß es geflissentlicher Eigensinn, oder wohl gar noch etwas
ärgeres in
jedem seyn müßte, der noch ferner sagen
wollte, sie sey unerweislich.
|z19| Weiter: Man frage sich, was nennst du
ungewöhnlich? Eine ungewöhnliche Erklärung was heißt das? Doch wohl nur eine solche, die in die
Reihe deiner gewohnten Vorstellungen nicht
einpaßt, und die du noch zur Zeit in
deinem Gedankenregister nicht unterbringen kannst. Wenn denn auch das ist, wie es ist, so wird man leicht sehen, daß man
dieß ungewöhnliche nicht dem andern zum Vorwurf machen sollte, bey dem es aus dem Keim
andrer Ideen
entsprossen ist; man wird sich bescheiden,
daß, wo
andre vorläufige Vorstellungen aus
|d27| |e27| andern Auslegungsgründen Platz genommen, die uns so ungewöhnlich scheinende Erklärung mit denselben in der
genausten Harmonie stehen kön
|cLXXIV|ne. Man nehme
|f27| das Wort
Gottesfurcht : Ich verwerfe
es, von
christlichen Gesinnungen
gebraucht, als unbiblisch, und finde
darinn gar nichts fremdes. Das
macht, alle diese Ideen sind bey mir
vorhergegangen: Furcht und
Ehrfurcht, oder Ehrerbietung, werden in jeder Sprache unterschieden; die Religion der
Christen, mit allen ihren Erweisungen und
Uebungen, soll
kindesartig |z20| seyn, zum Unterschied der jüdischen; daher soll man sich Gott immer als Vater der Menschen, den höchsten und besten Vater, denken, ihn lieben, ihm ergeben seyn, ihn mit aller Freudigkeit des Herzens verehren. Nun nehme man aber
einen, dem es an allen diesen Vorstellungen und Wahrnehmungen bisher gefehlt hat; der in allen öffentlichen Vorträgen nur immer
von Gottesfurcht gehört,
oder sichs selbst bey solchen Gelegenheiten
cz√ geläufig gemacht
hat: er wird jene Erklärung ungewöhnlich schelten, und am Ende ist sie es doch nur in seiner Denkungsart.
Ganz so ist es mit dem
Gekünstelten in Erklärungen, worüber ich
mich schon einmal in der
Vorrede zur
Uebersetzung des Segen Jacobs u. s. w.
f√ erklärt habe. Hielte man auch hier Rücksprache mit
sich, was verstehst du darunter? Verwirrst du nicht
|cLXXV| etwa die ganz verschiedenen Begriffe einer
kunstmäßigen (
artificiosae) und einer
ge|d28||e28|künstelten (
coactae), oder einer
nicht gleich offen lie|z21|genden (
minus obviae, exquisitae) und
erzwungenen (
nimis quaesitae) Er
|f28|klärung
mit einander? Scheint dir das nicht etwa gezwungen
, so daß der damalige Leser das unmöglich dabey habe denken können, weil du
dir ihn mit
deinem ganzen System
f√ vorstellst, welches er doch nicht hatte? Ist es dir nicht vielleicht so, weil
dir das
Sehrohr, mit
welchem er die Rede
betrachtete, verrückt, oder durch die Staubwolken so vieler Fragen und Streitigkeiten verdunkelt worden
ist? Gienge man, sage ich, so bis auf den Grund einer als gekünstelt
empfundnen Erklärung, wie oft würde man sich eines andern besinnen? Es ist vortreflich gesagt, wenn man
verlangt, der Ausleger solle sich in die
Lage derer setzen, zu welchen ein Schriftsteller zunächst
geredet: Es kann wohl niemand diese Regel so hoch
schätzen, als ich, und ich sollte
meynen, daß ich bey den
Artikeln,
bekehren , Ebenbild , Christus , Gesetz , Glaube , heilig , Hoherpriester u. a. m.
sie deutlich genug zum Grunde gelegt hätte. Aber das ist eben die verzweifelte
Täuschung, daß man bey die
|z22|ser Gedankenversetzung doch sein ganzes Ich wieder
mit nimmt, die Ge
|cLXXVI|gend verändert, aber seine Denkungsart, Sitten und Gebräuche beybehält.
Endlich: was heißt
es, die Erklärung ist
fremdgläubig? Sie ist falsch? Und hast sie noch nicht geprüft! Also
etwa: sie kann nicht wahr
|d29| |e29| seyn, weil sie von der
Kirchengesellschaft, in der ich mich befinde, nicht angenommen wird?
Aber sollte denn auch kein Funke von Wahrheit bey
|f29| andern seyn? Oder soll es gar
so viel heißen, ich werde kein Amt darauf kriegen? Schäme
dich, und habe mehr Vertrauen zu
Gott!
Habt, will ich also noch überhaupt bitten,
habt, die ihr dereinst
Andre lehren wollt, eine
unwandelbare große Ehrerbietung für euer
Gewissen, und damit für den Gott, von dessen Willen und Wohlgefallen es ein beständiger Wiederhall ist. Ehret es in Untersuchung, Annehmung und steter Befolgung der Wahrheit, daß ihr
|z23| nichts dafür haltet, was ihr nicht geprüft habt; jeder Ueberzeugung euer
Herz offenstehen, und dann nichts in der Welt euch davon abbringen lasset.
Kaufe die Wahrheit, nach dem
Rathe des Weisen,
f√ wenn du auf die Universität gehst, und
verkaufe sie nicht, wenn du ein Amt
suchest, und so lange du es
verwaltest! ⌇⌇f Berlin, am 5ten
October 1773.
|z[24]|
Abkürzungsauflösung von "D.": Doctor