|b[XXI]| |c[XIX]| |d[XXIV]| |z[I]| Fortsetzung der Anrede
an das lesende Publikum bey der
zweiten Auflage von 1780.
Bey der ersten Ausgabe dieser Schrift ward ich durch
die bereits eingetretene Buchhandlungsmesse genöthiget, in meiner Anrede ans Publikum da abzubrechen, wo man vielleicht noch eine
bestimtere Erklärung über meinen eigentlichen Zweck bey dieser Schrift erwartet hatte. Ich glaubte
indes, daß der deutliche
Titel des Buches, nebst dem, was in der
Einleitung und
§. 80 , unmittelbar vor Aufführung des eigentlichen Systems, gesagt worden war, hinlänglich seyn würde, meine wahre Absicht und ihre Grenzen ins Licht zu setzen. Hierin habe ich mich geirret. Der Titel, den ich für sehr verständlich hielt, hat selbst einigen Predigern räthselhaft geschienen, und der Zweck des Ganzen ist von noch mehrerern gänzlich
verkant worden. Ich muß mich also über
beides erklären.
Ich nehme auf dem Titel alle Worte in ihrer eigentlichsten und gemeinsten Bedeutung. Unter Philosophie verstehe ich, der Abstammung |cXX| des |bXXII| |zII| Wortes gemäß, Studium der Weisheit und als Gegenstand der Erkentniß betrachtet, wie sie ein Buch enthalten kan, Weisheitslehre. Da nun wahre Weisheit die Wissenschaft ist, sein Daseyn möglichst zu benutzen, so sind Philosophie und Glückseligkeitslehre gleichbedeutende Ausdrücke, in sofern man |dXXV| blos auf den Inhalt (oder das Materiale) siehet: und darum ist das letztre Wort dem erstern zur Erklärung beygefügt. Allein Philosophie bezeichnet noch überdis die Art und Weise des Erkennens. Ein jeder denkt sich, dem allgemeinen Sprachgebrauch nach, ein gelehrtes Erkentniß aus innern Wahrheitsgründen darunter, und setzt ein philosophisch Erkentniß dem blos historischen entgegen. Eben so ist System in der gebräuchlichsten Bedeutung genommen worden; denn alle Gelehrten verstehen darunter einen zusammenhängenden Vortrag sich auf einander beziehender Wahrheiten, darin zuvörderst die Grundbegriffe entwickelt, und hernach die Sätze so zusammengeordnet werden, daß ihre Begründung in einander, und ihre Zusammenstimmung zu einem Ganzen deutlich übersehen werden kan.
Ein System der Christenthumsphilosophie ist also ein solcher bündiger Vortrag der von Christo ertheilten Anweisungen zu höherer menschlicher |bXXIII| |zIII| Glückseligkeit, woraus derselben innre Wahrheit und hinlängliche Vollständigkeit, |cXXI| unabhängig von Geschichte, deutlich erkant werden kan. Dieses verspricht also der Titel des Buches, und mich deucht, daß der Inhalt desselben das Versprechen erfüllet.
Die Personen, für welche ich eigentlich die Schrift aufgesetzt habe,
bestimt der Titel
ebenfals genau. Es sind überhaupt nur solche, die
Bedürfnisse in Absicht der Religion haben, und die sich also durch den
gemeinen Kirchenvortrag nicht befriediget fühlen; und unter diesen zunächst meine
aufgeklärte Landesleute, die
bey der Freiheit im
denken, sprechen und
schreiben, die in unsrem Vaterlande herrscht, von der Anhängigkeit an unverständliche Wortformeln und gelehrtklingenden Unsinn
entwöhnt worden sind, und nicht Deklamation, sondern klare Sach
|dXXVI|begriffe und gründliche Einsichten in Religionsvorträgen verlangen, durch welche sie in Stand gesetzt werden, ihr Gemüth gegen die herrschenden Zweifel und gemeinen Einwürfe wider das Christenthum zu bevestigen. Ferner habe ich auch andern,
die nach Weisheit fragen, nützlich werden wollen.
Diese Redensart ist aus Luthers
Bibelübersetzung 1 Cor. 1, 22. entlehnt, wo Paulus
den abergläubigen Juden, die immer Zeichen und Wunder sehen
wolten, die gelehrtern Grie
|bXXIV||zIV|chen, die Vernunftgründe zum Beweise eines Religionsvortrages verlangten,
entgegensetzt. Herr Sack
hat auch in der Vorrede zur letztern Ausgabe
|cXXII| seiner Schrift:
Vertheidigter Glaube der Christen; deutlich gezeigt, wie diese Verschiedenheit der doppelten Denkart noch unter unsren Zeitverwandten statt finde, und sich
dabey der nemlichen Ausdrücke bedient. Endlich hatte ich mich zum Ueberfluß
selbst §. 80. der ersten Auflage, ausführlich darüber
erklärt, was für Leser ich unter denen verstehe, die nach Weisheit fragen. Ich bin daher nicht wenig erstaunt, daß selbst Prediger auch diese Ausdrücke für räthselhaft gehalten und mißgedeutet haben. Ich erkläre demnach hiermit aufs
bestimteste, daß ich unter
Leuten, die nach Weisheit fragen, nur solche verstehe, welche
erstlich Weisheit suchen, das ist: die Religion
nicht wie viele Theologen ihre Dogmatik, als eine spekulative Wissenschaft und Gedächtnißwerk studiren
wollen, sondern nach einer praktischen Anweisung zu wahrer Gemüthsruhe und Heiterkeit der Seele und einer erhöheten Thätigkeit in Ausübung aller göttlichen Tugenden sich sehnen: und
zweitens nicht durch Nachrichten von ehemals geschehenen Wundern, deren Glaubwürdigkeit sie in ihrer Lage hinlänglich zu prüfen weder Hülfsmittel noch
Muse genug ha
|bXXV||zV|ben, sondern durch immer fortdaurende innre Merkmale der Wahrheit überzeugt
seyn wollen.
|dXXVII| Und so glaube ich denn nun den vollen Verstand von dem Titel meines Buches so vorbuchstabiret zu haben, daß wenigstens die meisten von de|cXXIII|nen, die ihn vorher nicht verstehen konten, nunmehro klar einsehen werden, wie sie selbst gar nicht unter die Klasse des lesenden Publikums gehören, für welche ich diese Schrift ausgearbeitet habe.
Ehe ich den
Hauptzweck dieser Schrift, in Beziehung auf die besondern Bedürfnisse der jetzigen Zeit, völlig ins Licht setzen
kan, muß ich zuvörderst die
Veranlassung erzählen, wodurch ich
bestimt worden bin, die Hauptwahrheiten des Christenthums in der Form und unter dem Namen eines Systems vorzutragen, und diese Schrift vor allen meinen übrigen Lehrbüchern, die ich nach und nach in Druck zu geben gedenke, zuerst
bekant zu machen. Man hat
vom
Melanchton an in unsrer Kirche, besonders auf Akademien, einen systematischen Vortrag der Theologie für den vorzüglichsten gehalten, und die mehresten haben sich dieser Lehrart bedient. Seit Wolfs
Zeiten ist
so gar eine der mathematischen sich möglichst nähernde Methode empfohlen worden, und mein
Vorgänger im akademischen
Lehramt, der verdiente Töllner
, hat eigne Traktate darüber ge
|bXXVI||zVI|schrieben, in welchen er zu beweisen suchte, daß die strenge scientivische Lehrart zum Vortrage sämtlicher theologischen Disciplinen die beste und die einzige wahre zur Beförderung gelehrter Einsichten sey. Andre neuere Theologen sind dagegen der Meinung, daß die systematische Methode die allerunschicklichste
und schädlichste
beym Vor
|cXXIV|trage des christlichen Lehrbegrifs sey. Ihre Gründe sind:
- 1. weil die meisten Materialien, woraus man das Lehrgebäude künstlich zusammensetzt, noch einer genauern Bearbeitung bedürften; und aus dem rohen und zum Theil vermorschten
Stückwerk des überlieferten Erkentnisses |dXXVIII| kein festes Gebäude, welches den Bestürmungen der Freigeister Widerstand thun könte, aufzuführen möglich sey.
- 2. weil diejenigen, welche ein solches System des Christenthums, als einen Inbegrif erwiesener göttlicher Wahrheiten, von ihrem akademischen Lehrer angenommen hätten, sich nachher nicht wagten, etwas daran zu bessern; aus Beysorge, daß das Ganze die Haltung verlieren möchte, wenn man einen Begrif oder Satz herausnehmen und abändern wolte.
- 3. weil hieraus weiter bey den Verehrern eines Systems, so bald ihnen die Untauglichkeit oder Unzuverlässigkeit einer oder der andern menschli|bXXVII||zVII|chen Hypothese, die das Lehrgebäude zusammenhalten hilft, von einem gelehrten Gegner dargethan wird, in Aengstlichkeit wegen der gesamten Religion gerathen; und entweder auf
Köhlerglauben und blinden Eifer verfallen, und sich selbst alles weitere Nachdenken und Lesen versagen, um nur Zweifel zu vermeiden; oder aber in völligen Unglauben und Freigeisterey |cXXV| gerathen, weil ihr System alle Haltung verloren hat.
Aus diesen Gründen halten nun viele angesehene Gottesgelehrten
eine
historische Lehrart beym Vortrage der Theologie für nützlicher. Nach dieser werden
bey jedem Lehrartikel und wichtigem Satze alle verschiedene Meinungen erzählt, die jemals in der Kirche darüber aufgekommen sind, und die Gründe, womit jede Parthey ihre Behauptungen unterstützt hat, vorgelegt. Man überläßt sodann den jungen Theologen, aus diesem
Reichthum der Materialien sich selbst das Beste zu wählen, und daraus ein Lehrgebäude zu erbauen, wie es ihren übrigen Einsichten zusagt. Diese Methode hat offenbar den Vortheil, daß sie mehr zum eignen Nachdenken erweckt, und die Studi
|dXXIX|renden auf den Weg des Weiterforschens
führt, um nach und nach immer
vollkomnere und
zuverlässigere Einsichten durchs Lesen der besten Schriften, durch
cd√ Reflexion, und
|bXXVIII| |zVIII| durch Aufmerksamkeit auf Erfahrungen sich selbst zu erwerben. Auch bereitet diese historische Vortragsart zur Klugheit im
Lehramt näher vor, daß es dem Prediger nachmals leichter wird,
allen allerley zu werden, wodurch unleugbar mehrere gewonnen werden, als durch systematische Unbiegsamkeit des Geistes. –
Ueberdis ist auch der akademische Lehrer selbst gegen die unartigen Beschuldigungen der Irrgläubigkeit bey dieser
|cXXVI| historischen Methode mehr gesichert, indem er blos
Facta erzählt, daß nemlich diese und jene Meinung in der Kirche vorgetragen worden sey, ohne dogmatisch festzusetzen, ob die unterdrückte und herrschend gebliebene Parthey die Wahrheit auf ihrer Seite gehabt habe.
Allein so vorzüglich sich diese Lehrart von der bisher betrachteten Seite empfiehlt, so fehlt es doch nicht an sehr scheinbaren Gegengründen, woraus man sie von einer andern Seite für nachtheilig und fehlerhaft zu erklären sucht. Man wendet nemlich ein, daß diese Methode nur für diejenigen Studirenden von wahrem Nutzen seyn könne, welche einen guten Kopf, vielen Fleiß, und hinlängliche Hülfsmittel vereint besässen, und nach den Universitätsjahren noch eine geraume Zeit Muse zum eignen Studiren geniessen könten, ehe sie sich als Lehrer der Jugend oder des Volks dürften anstellen lassen. Diese würden allerdings |bXXIX| |zIX| durch die Einleitung in den Weg der freimüthigen Untersuchung und des Weiterforschens vorzüglich brauchbare Männer werden. Allein der weit grössere Theil der mittelmässigen Köpfe unter den Studirenden sey schlechterdings unfähig, sich selbst ein System zu formiren, und werde durch die Menge der Gründe und Gegengründe für jeden Lehrsatz nur in Verwirrung ge|dXXX|setzt, so daß schwache Köpfe lebenslang in ihrem Lehrbegrif unbestimt und schwankend bleiben, wo nicht |cXXVII| gar allgemeine Zweifler werden würden. Ueberdis, sagt man, müssen ja die mehresten Theologen so gleich von der Universität das Amt der Jugendlehrer antreten, und wie können diese im Christenthum unterrichten, wenn sie selbst noch nicht mit sich eins worden sind, was sie glauben und lehren sollen.
Ausser diesen vernünftigen Gegnern der historischen Methode, die sie durch scheinbare Gründe zu bestreiten suchen, giebt es noch andere Eiferer, welche mit Ungestüm
einen verdienstvollen Semler
und
andre Aufklärer der historischen Theile der Gottesgelehrsamkeit beschuldigen, daß sie mehr
niederreissen, als baueten, mehr Zweifel erregten, als
Ueberzeugungen beförderten, und
wol selbst, überall kein System haben möchten!
|bXXX| |zX| Sehet da, meine Leser, die Veranlassung, welche mich bestimt hat, ein System der Christenthumsphilosophie meinen übrigen Schriften voraus zu schicken. Denn auch ich gehöre zu denen, welche die historische Lehrart überall, wo es auf Meinungen ankomt, wie bey dem kirchlichen Lehrbegriffe, für die allein zweckmässige halten, durch welche am sichersten die Berichtigung des Fehlerhaften befördert werden kan; und ich bediene mich daher auch derselben beym akademischen Vortrage der Glaubenslehren. Zugleich aber befinde ich mich in der glücklichen Lage der Unabhängigkeit nach allen meinen äussern |cXXVIII| Verhältnissen und Wünschen, daß ich mich nicht scheuen darf, mein eignes System der Welt vorzulegen.
Und nun
kan ich den
Hauptzweck und zwiefachen
Nebenzweck dieser Schrift deutlicher angeben. Ich habe durch dieselbe
zunächst meinen theologischen Zuhörern, und dann auch andern jungen Gottesgelehrten, die Grund
|dXXXI|lagen zu einem förmlichen Lehrgebäude über das Christenthum liefern wollen, worauf sie sich nun theils selbst ein eignes System aufführen, theils mehrere nach den Bedürfnissen ihrer künftigen Kirchkinder formiren können. Sie finden die allgemeinsten und wesentlichsten Lehrwahrheiten von §.
81 –
84. so vorgetragen, wie sie in der ganzen Christenheit angenommen werden, nur daß
|bXXXI| |zXI| jede Parthey von dem ihrigen etwas hinzusetzt, welches eben daher, weil es nicht allgemein ist, auch zufällig bleibt. Sie haben also zuvörderst doch etwas feststehendes, woran sich nun das andre, was sie durch Lesen, Nachdenken, und eigne Erfahrungen weiter erkennen, anschliessen
kan. Und übrigens ist die ganze Schrift dazu eingerichtet, daß sie aus derselben auch erlernen können, wie sie die Materialien nach ihrer verschiedenen Brauchbarkeit sortiren, und nach Verschiedenheit der Gemüthslage und
Vorerkentnisse ihrer Zuhörer zur Erbauung anwenden können.
Hiernächst habe ich noch zwey andre Zwecke mit dieser Schrift zu erreichen gewünscht.
|cXXIX|
- 1. Ich habe mir ein bequemes Lehrbuch verschaffen wollen, über welches ich akademische Vorlesungen über das Christenthum für diejenigen Studirenden, die sich nicht der Theologie widmen, halten könte. Es ist doch gewiß, daß jeder Gelehrte durch die mehrere Uebung seiner Geisteskräfte, in welcher besondern Wissenschaft es auch immer sey, eine grössere Fähigkeit zu einem weit vollkomnern Religionserkentnisse, als für gemeine Christen hinlänglich ist, erlangt; und daß hiermit auch ein würkliches Bedürfniß für Studirende entsteht, sich um gelehrtere Einsichten und wissenschaftlichere Erkentnisse von der Glückseligkeitslehre zu bemühen, |bXXXII| |zXII| indem sie sonst bey Entdeckung des Groben und Irrigen in der gemei|dXXXII|nen Volksreligion in Zweifel und Gemüthsunruhen, wegen ihrer Hofnungen und wegen der besten moralischen Grundsätze des Lebens gerathen. Nun haben die mehresten unter den angehenden Gelehrten keinen weitern zusammenhängenden Religionsunterricht vor den Universitätsjahren genossen, als welchen man ihnen im katechetischen Unterricht, und in den niedern Schulen, nach den eingeführten kirchlichen Lehrbüchern mit dem grossen Haufen der gemeinen Jugend zugleich ertheilet hat. Gesetzt nun auch, welches doch bey wenigen anzunehmen ist, daß dieser Unterricht so vollkommen gewesen wäre, als es nur immer ihre Fähigkeiten und Vor|cXXX|erkentnisse in frühern Jahren verstattet haben, so vergrössern sich doch diese beym Studiren der philosophischen Disciplinen und der Realwissenschaften auf der Universität in kurzem dergestalt, daß sie gegen das Ende der akademischen Jahre zu einem weit vollkomnern und mehr gelehrten Erkentniß der Religion nicht nur fähig werden, sondern dergleichen auch würklich schon zu bedürfen anfangen, wenn sie nicht in Scepticismus oder Leichsinn verfallen sollen. Hierzu komt noch die Betrachtung, daß unter den Studirenden, die sich der Rechtsgelehrsam|bXXXIII||zXIII|keit widmen, sich viele befinden, die nachher in obrigkeitlichen Aemtern die Aufsicht über Kirchen und Schulen erhalten, und an dem Berufungsrecht der Prediger Theil nehmen, folglich auch in dieser Aussicht weit deutlichere Einsichten in die Verhältnisse des kirchlichen Lehramts gegen das Wohl des Volks, und cd√ die erforderliche Hauptgeschicklichkeit eines öffentlichen Lehrers der Weisheit und Glückseligkeit sich zu erwerben nöthig haben. In dieser Beziehung habe ich im fünften Abschnitt den grossen Nutzen der christlichen Lehrvorträge bey einer zweckmäßigen Einrichtung derselben, |dXXXIII| mehr in Beziehung auf das gemeine Volk, als auf einzelne Personen, ins Licht gesetzt und entwickelt.
- 2. Endlich habe ich auch den edlern Theil des lesenden Publikums, welcher einsiehet, wie |cXXXI| unentbehrlich jedem denkenden Menschen deutliche und zuverlässige Erkentnisse von dem Regierungsplan der Weltbegebenheiten und von unsrer wahren Bestimmung sind, wenn man unter allen Abwechselungen des Lebens und bey dem Ausgange aus demselben, Heiterkeit und Standhaftigkeit des Geistes beybehalten will, durch diese Schrift aus den Verwirrungen heraushelfen wollen, welche durch so viele neuere Schriften über die Religion |bXXXIV| |zXIV| und durch die widersprechenden Behauptungen der Theologen für alle diejenigen veranlasset werden, die das Wesentliche und das blos Zufällige in der Glückseligkeitslehre des Christenthums nicht von einander scheiden können. Freilich habe ich für diese höchstschätzbare Klasse meiner Leser nicht so viel, als ich wol zu thun gewünscht hätte, leisten können, als ich durch die zwey erstern Absichten, die ich, meinen eigentlichen Berufspflichten nach, vorzüglich zu erreichen suchen mußte, eingeschränkt ward. Ob ich aber nun gleich manches in dieser Schrift gesagt habe, was Leser, die mit der Schulgelehrsamkeit unbekant sind, nicht völlig verstehen können, und manches von mir nicht gesagt worden ist, was viele Wahrheitsforscher vielleicht darin noch zu lesen wünschen möchten, so wird doch dieses Buch vielen selbstdenkenden Freunden der Religion manche Zweifel gegen das Christenthum benehmen, und ihnen zur Formirung eines eig|cXXXII|nen Systems über die christliche Glückseligkeitslehre zu ihrem eignen Gebrauch nützliche Dienste leisten können. Ein akademischer Lehrer muß sich darauf einschränken, die Hauptbegriffe |dXXXIV| zu entwickeln und Grundrisse zu liefern; die weitere Ausführung, Anwendung und Belebung der Religionswahrheiten ist die Berufspflicht der Prediger. Solte mir |bXXXV| |zXV| indes noch künftig, nach Vollendung der sich mir näher andringenden Arbeiten für die hier Studirende, Muse und Gesundheit übrig bleiben, für das allgemeinere lesende Publikum etwas auszuarbeiten, so werde ich es für die angenehmste und edelste Beschäftigung ansehen, eine Erbauungsschrift für meine denkende Zeitverwandten, zur Belebung der Wahrheiten zur Glückseligkeit in ihrem Gemüth, anzufertigen.
Nachdem ich nun den Hauptzweck und die doppelte Nebenabsicht, welche ich bey Ausarbeitung meines Systems vor Augen gehabt, selbst angegeben habe, so ist es unnöthig, die falsche Absichten, die man aus Mißverstand mir beygemessen hat, weitläuftig zu widerlegen. Ich habe gar nicht zur Absicht, das Kirchensystem der Lutheraner oder die symbolischen Bücher abzuändern. Ich lasse diese Policeygesetze, welche äussere Gerechtsame begrenzen, so wie Christus Mosis palästinische Landesgesetze, stehen, und wer |cXXXIII| von meinen theologischen Zuhörern darwider redet, und die Kirchengesetze dadurch übertritt, den erkläre ich für einen unächten und mißrathenen Zögling von mir. Meine Schrift enthält die Philosophie des Christenthums und nicht des Lutherthums. – Indes gestehe ich, daß einige Worte in meiner Dedikation an des Herrn Geheimen Etatsministers Freyherrn |bXXXVI| |zXVI| von Zedlitz Excellenz eine Zweideutigkeit enthalten, die ich beym Niederschreiben nicht wahrgenommen hatte, und daß diese allerdings dahin gedeutet werden können, als ob ich auf eine äussere durch obrigkeitliche Befehle hervorzubringende Reform des kirchlichen Lehrbegrifs mein Absehen gerichtet gehabt hätte. Ich sage nemlich in der Zuschrift: Die höhere Genehmi|dXXXV|gung meines System von Seiten des hohen Departement der geistlichen Sachen im Königl. Etatsministerium, dem nur allein in den königlichen Staaten das oberrichterliche Amt, was zum Besten der Nation öffentlich gelehret werden darf, zukomt, würde mir zur weitern Aufmunterung gereichen. Man hat diese Worte dahin auslegen wollen, als ob ich behauptete, das geistliche Departement könne nach Willkühr den öffentlichen Lehrbegrif, so oft es ihm beliebte, abändern; den privilegirten symbolischen Glauben verbieten, und einen andern anbefehlen. Eine solche Erklärung meiner Worte konte mich nun wol nicht von Leuten befremden, die durch ähnliche Auslegungen der Bibel |cXXXIV| eine Fertigkeit erlangt haben, Worten ohne Rücksicht auf Zusammenhang und Zweck eine Deutung zu geben, wie sie zu ihren angenommenen Meinungen und Absichten paßt: denn sonst sagt schon der Titel, und der ganze Inhalt bestätiget es, daß ich nicht ein System fürs Volk, |bXXXVII| |zXVII| sondern blos für selbstdenkende Zeitverwandten geschrieben habe. Ueberhaupt aber wäre es doch wol die auslachenswürdigste Idee, welche ein Mann in cd√ Verhältnissen je haben könte, wenn ich mich überredete, daß in den preussischen Staaten, wo der Schwärmer, der Orthodoxe, der selbstdenkende Christ, und der Freigeist glauben, reden und schreiben können, was sie wollen, und gleiche Bürgerrechte behalten, eine allgemeine Lehrvorschrift zwangsweise eingeführt werden würde, wenn ich bey dem geheimen Etaatsministerium darauf anzutragen versuchte. So ungesund erscheint mein Verstand doch im ganzen Buch nicht!
Ich will indes nach dem unstreitigen Kanon, daß jeder der beste Ausleger seiner Worte ist, den Sinn und Zweck der gerügten Stelle paraphrasirt vorlegen. – Hier ist er:
|dXXXVI| „Gnädiger Chef, ich sehe vorher, daß gar viele Kleinmänner gegen mich aufstehen, und ein kleinpäbstlich Tribunal über mich errichten möchten. Allein ich erkenne blos
Ew.
Hochfreyherrl.
Excellenz für meinen Richter, ob der Inhalt meiner Schrift nicht öffentlich gelehret werden dürfe. Dieses schreibe ich hier indes nicht,
|cXXXV| um
Ew.
Hochfreyherrl.
Excellenz willen, sondern die
unberufne Fiskäle und Richterlein zu erinnern, daß sie es sich nicht etwa arrogiren sollen, ihrer
höhern Obrigkeit vorzugreifen.“
|bXXXVIII| |zXVIII| Es war also mein Zweck, mir die Leutchen im voraus abzuwehren, die destomehr schreien, je weniger sie verstehen. Aus eben diesem Grunde mußte ich auch in dem ganzen Buch, einen determinirten Ton annehmen, weil die Miene und Sprache einer schüchternen Bescheidenheit des Untersuchers oft den Schwächsten keck macht, einen Angrif zu wagen.
Ich bin sehr weit davon entfernt, ältern Theologen oder Predigern, die eine lange Reihe von Jahren, nach einem früh angenommenen System, gedacht und gelehret haben, eine Umarbeitung desselben zuzumuthen. Dieses ist nach psychologischen Principien bey den mehresten unmöglich. Allein ich habe mit Vergnügen bemerkt, daß sehr viele von denen, welche für ihre Person den ältern Lehrbegrif, der dem Geist des Zeitalters in ihren Universitätsjahren angemessen war, beybehalten, doch zugleich einsehen, daß ihre jetzt studirende Söhne nicht für die verfloßne Zeit ihrer Väter, sondern für die nächstkommende Jahre vorbereitet werden müssen, um die Christenthumswahrheiten der Denkart des nächstkünftigen Zeitalters gemäß vortragen, und mit solchen Waffen, wie die neuern Angriffe sie erfordern, gehörig vertheidigen zu können.
|cXXXVI| Man hat mir die Ehre erwiesen, mich unter die neuern Reformatoren zu zählen. Was für Nebenbegriffe
|dXXXVII| nun auch immer von einem oder dem andern mit
|bXXXIX| |zXIX| diesem Titel
verknüpft werden mögen, so erkläre ich doch ohne Rückhalt, daß ich von ganzem Herzen wünsche, durch meine Schriften zu einer sehr wichtigen
Reform, etwas mehr, als gute Wünsche,
beyzutragen. Damit man aber nicht
erst errathen dürfe, wohin ich mit meinem Reformationsentwurf abziele, so will ich dieses sogleich öffentlich
bekant machen. Mein Wunsch gehet dahin, nicht
blos in Absicht der Religion, des Schulwesens und der Erziehungskunst, sondern in Absicht aller Wissenschaften und des gesamten Studirens, der Denkart der jungen Gelehrten die Richtung zu geben, daß sie sich gewöhnen bey allem, was sie unternehmen, sich zuvörderst
erst recht deutlich
auseinander zu setzen, und genau zu bestimmen, wohin sie am Ende wollen, oder was der eigentliche Zweck und das Gute sey, welches sie durch jede Art der Bemühung darzustellen
wünschen, und daß sie nach deutlich
erkantem Zweck sich nun ferner entwickeln möchten, was zur Darstellung desselben wesentlich erforderlich sey, und welche Mittel dazu die kürzesten, sichersten und fruchtbarsten sind:
damit sie nicht mehr so viel
Ueberflüssiges für
die Schule, und destomehr für
das Leben erlernen, und den höchsten und
letzten Zweck alles Studirens und aller Arbeiten, nemlich
Vergrösserung der gemeinsamen und eig
|cXXXVII|nen Glückseligkeit in allen Fächern der
Erkentnisse, und jeder in seinem besondern Standpunkt kräftiger
|bXL| |zXX| und zutreffender befördern möchten. – Dieses ist der Schlüssel zu allen meinen Schriften. –
Ich habe in meiner
Anleitung des menschlichen Verstandes zum regelmässigen Bestreben nach möglichst vollkomner Erkentniß §. 102. 103. etwas mehr hierüber im allgemeinen erklärt, und noch ausführlicher im 5ten
Hauptstück dieses
Buchs, worüber noch gedruckt wird, bey den Regeln über das Studiren davon gehandelt. Man vergleiche hiermit meine
An|dXXXVIII|weisung zur Amtsberedsamkeit christlicher Lehrer, und selbst diese Schrift, so wird sich finden, daß ich überall nichts thue, als daß ich den Zweck
jeder Wissenschaft deutlicher bestimme, und dann zeige, was zur Darstellung desselben wesentlich gehört, und was blos zufällig,
unzweckmässig oder gar zweckwidrig ist, und doch aus Nachahmungssucht noch immer zu den richtigen, und pertinenten Mitteln und
Hülfserkentnissen gerechnet wird. Niemand wird diese meine Reformationsabsicht, an und für sich betrachtet, tadeln können; aber die nothwendig daraus entstehende Simplificirung der Mittel, und Absonderung so vieles
Unnützen in den Disciplinen und dem ganzen
Lehrplan des Studirens wird denen nicht gefallen, welche das Unglück gehabt haben, gerade auf das, was das zweckloseste und
überflüssigste ist, ihren vorzüglichsten Fleiß und den
grössern Theil ihres Lebens verwandt zu haben.
|bXLI| |cXXXVIII| |zXXI| Wenn jemand eine sehr zusammengesetzte und überaus künstliche Maschine erfindet, um einen
bestimten Effekt durch dieselbe hervorzubringen, so wird der
grosse Haufe, nebst den Halbgelehrten und gemeinen Künstlern, die Erfindung desto höher schätzen und
destomehr bewundern, je
grösser die Menge der mannigfaltigen Theile, und
je verwickelter die Art der Zusammensetzung ist. Aber der
grosse Gelehrte und Künstler wird eben dieses, was die übrigen bewundern, für Unvollkommenheit erkennen, und die Erfindung eines weniger zusammengesetzten und weniger künstlichen Werkzeuges für ein
grösseres Meisterstück halten. In der gelehrten Welt ist es ein Mittel sich
bey der Menge in den Ruf eines
grossen Mannes zu setzen, wenn man über jede Aufgabe ein starkes Buch schreiben, und
nach Anführung einer Menge verschiedener Meinungen, und nach Citationen vieler Bücher, endlich eine Antwort herausbringen
kan, welche nicht leicht zu
begreifen ist, und
|dXXXIX| worüber neue Kommentarien erfordert werden. Wenn aber jemand eben dieselbe Aufgabe durch unmittelbare Zusammenstellung der Hauptbegriffe, die verglichen werden müssen, und durch Entwickelung und Bestimmung derselben ohne einige Citaten so auflöst, daß auch ein
mittelmässiger Kopf es sogleich verstehet und einsieht, ohne erst andre Bücher dabey nachschlagen zu dürfen, so wird er von den wenigen Gelehrten vom ersten Range
|bXLII| |zXXII| geschätzt, von den übrigen aber vielleicht kaum bemerkt werden, weil je
|cXXXIX|der glaubt, die Auflösung sey so natürlich und leicht, daß er sie auch selbst erfunden haben würde, wenn er sich die Mühe hätte geben wollen, darüber nachzudenken. Dennoch ist eben das am allerschwersten
zu erfinden, was, sobald es erfunden ist, jedem natürlich und leicht scheint: die einfachste Verfahrungsart ist der höchste Gipfel der Kunst. Um ein hinlängliches Licht über Wahrheiten, die durch
vielerley Streitigkeiten verdunkelt worden sind, mit wenigen Worten zu verbreiten, und viel Sachen auf einem Bogen zu liefern, muß man gar vieles vorher nicht blos gelesen, sondern auch durchgedacht, und halbe Bibliotheken
durchstudirt haben. Aber diese vorhergehende Mühe
sieht man einem leichtgeschriebenen Buche nicht an. Dagegen wird zu einem weitläuftigen Werke, worin man die Meinungen der Gelehrten samlet, und mit
beyfälligen Anmerkungen durchwebt, oft nicht viel mehr als eine fertige Hand zum
schreiben, und wenig Geistesanstrengung erfordert. Allein was haben die Käufer für ihr Geld, und für die Mühe des Durchlesens in ihrem praktischen und
zuverlässigen Erkentniß am Ende gewonnen? Warlich mehrentheils weiter nichts, als
das sie
vielerley Gründe für und wider einen Satz
aufgesamlet haben, und doch kein festes Resultat herausbringen können. – O was
|bXLIII| |zXXIII| würde für die Wahrheit, für die
Glückseligkeit, und für die äussere Be
|dXL|quemlichkeit des Lebens täglich gewonnen werden, wenn man aufhörte,
|cXL| die
Kentniß der mannigfaltigen Meinungen für würkliche Einsichten zu halten; wenn man Belesenheit nicht ferner für Gelehrsamkeit, sondern blos für das, was sie ist, für ein Hülfsmittel der Erweckung zum
eignen Weiterdenken betrachtete, und wenn jeder das Resultat seines Lesens und Studirens zur Brauchbarkeit im Leben kurz und gut
bekant machte, ohne uns erst durch alle die Krümmungen hindurch zu führen, durch welche er sich durchwinden müssen, ehe er seinen neuen Begrif und Satz, den er uns liefern will, hat entdecken können. – Freilich werden diejenigen, welche
cd√ Finanzprincipien oder zur Parade schreiben, keinen Geschmack an dieser Methode finden; aber ich rede auch nur zu denen, welche als Patrioten
d√ möglichst gemeinnützig zu werden
wünschen.
Ich will nun meinen Lesern auch kürzlich anzeigen, was gegen mein System nach der ersten Ausgabe eingewandt worden ist: nicht um hier irgends einen Gegner ausführlich zu widerlegen;
dis soll in einer besondern Schrift unter dem Titel:
Bestätigungen meines Systems
etc.
, welche
stückweis herauskommen werden, geschehen: sondern blos eine allgemeine Idee von der Lage der Einwürfe ge
|bXLIV||zXXIV|gen meine Behauptungen, und was solche eigentlich für Punkte betreffen, zu erwecken.
|cXLI| Gegen dasjenige, was eigentlich in meiner Schrift das System der Glückseligkeitslehre ausmacht, hat kein einziger Gelehrter etwas eingewandt. Man hat weder meinen Begrif von der Glückseligkeit, noch irgends einen
Haupsatz der vier ersten Abschnitte zweifelhaft gemacht, sondern den Inhalt davon theils gelobt, theils ohne die geringste Gegenerinnerung
eingeräumt, und also die Vordersätze, worauf die übrigen daraus gefolgerten Wahrheiten beruhen, zugestanden. Selbst gegen den sechsten Abschnitt
|dXLI| hat niemand behauptet, daß eine derer Wahrheiten, die ich ins allgemeine Christenthumssystem aufgenommen habe, ungegründet oder dahin nicht gehörig, oder auch nur
ausserwesentlich sey. Alles, was man wider mich erinnert hat,
läßt sich auf drey Punkte zurückführen:
- 1.
Daß ich den christlichen Lehrbegrif geliefert hätte, sondern noch mehrere Wahrheiten dahin gehörten. Dis hat Herr Lavater in seinem Etwas über Steinbarts System erinnert, und zwar nach seiner Art, mit mehr Inbrunst eines gutherzigen Enthusiasmus, als mit kaltblütiger Scharfsinnigkeit: daher auch von ihm nicht bestimt angegeben wird, welche Sätze |bXLV| |zXXV| in mein System der Glückseligkeitslehre noch eingeschaltet werden sollen. Ich habe nicht nöthig, etwas weiteres hierüber für meine Leser zu sagen, als daß ich nicht das Lavatersche Christenthum, sondern |cXLII| die Glückseligkeitslehre des Christenthums überhaupt, und zwar zunächst für Leute, die nicht nach Gefühlen, sondern nach Weisheit fragen, habe liefern wollen.
Ein ungenanter Gelehrter, der durch H. D. L. bezeichnet wird, und der Herr Dokter Semler haben mich gegen des Herrn Lavaters Anschuldigungen gerechtfertiget. Beide Schriften sind mit dem Lavaterschen Etwas zusammengedruckt, und von dem Herrn D.
Semler unter dem Titel: Herrn Caspar Lavaters und eines Ungenanten Urtheile über das Steinbartische System des reinen Christenthums, mit vielen Zusätzen von D.
Joh. Sal. Semler , mir freundschaftlich zugeschrieben worden.
- 2.
Daß mein System zwar ein richtiger christlicher Lehrbegrif und für denkende Zeitverwandten gut und hinlänglich sey, daß aber die allgemeine Einführung desselben und der darin gebrauchten Lehrart in der Kirche nicht statt finden könne, und ein obrig|dXLII|keitlicher Zwang in dieser Absicht mehr schädlich als nützlich wer|bXLVI||zXXVI|den würde: weil immer mehrerley Lehrarten nach den sehr verschiedenen Gemüthsfähigkeiten der Menschen erforderlich bleiben würden. Dieses hat der Herr D.
Semler in der Zuschrift und Vorrede des vorhin genanten Buchs, und in seinem eignen darin befindlichen Urtheile über meine Schrift, gründlich ausgeführet: nicht, als ob der Herr |cXLIII| Dokter würklich glaubten, daß ich dahin zielte, meine Lehrart als die einzige wahre allen Kirchenlehrern aufzudringen, sondern nur um diejenigen zu belehren, welche dergleichen ungegründete Besorgnisse gefaßt, und deswegen wider mein Buch deklamirt hatten. Die übrigen historischen Anmerkungen und Zusätze des Herrn Dokters dienen auch alle dazu, den Zweck meiner Schrift zu befördern und ihren Hauptinhalt zu bestätigen.
- 3.
Daß die im fünften Abschnitt von mir widerlegten kirchlichen Lehrsätze von der Zurechnung einer fremden Schuld und fremden Gerechtigkeit u. s. w.
sich wohl vertheidigen liessen, wenn man nur die Worte nicht in der eigentlichen Bedeutung nähme, sondern unter Zurechnung einer Handlung blos die Theilnehmung an den Folgen derselben verstünde. Hierauf antwortete ich überhaupt: über Worte werde ich niemals strei|bXLVII||zXXVII|ten. Theilnehmung an den Folgen der Handlungen Adams und Christi habe ich nie geleugnet. Wir nehmen Theil an den Folgen aller Handlungen aller unsrer Vorältern, sowol der guten als bösen. Wer diese Schrift liesset, nimt Theil an den Folgen der Erfindung des Papiers und der Buchdruckerkunst; aber es ist doch nicht gewöhnlich zu sagen, daß Gott den Lesern einer Schrift die Erfindung des Papiers und der Buchdruckerkunst zurechnet. Wenn also mir |cXLIV| zugestanden |dXLIII| wird, daß keine eigentliche und förmliche Zurechnung einer fremden Schuld und fremden Gerechtigkeit; keine eigentliche und förmliche Genungthuung und Besänftigung Gottes von denkenden Leuten angenommen und geglaubt werden dürfe, so will ich gegen alle tropische uneigentliche und unförmliche Zurechnungen, Satisfaktionen und Aussöhnungen einer zürnenden Strafgerechtigkeit meinerseits nie etwas einwenden, und wir sind also hierüber bald ausgeglichen.
Es erhellet nun aus dieser kurzen Anzeige der Gegenschriften, daß mein System noch auf
keinerley Weise in seinem Innern zweifelhaft gemacht und noch weniger
widerlegt worden
sey. Man hat den fünften Abschnitt desselben vornemlich angegriffen, weil man ihn für eine Bestreitung der symbo
|bXLVIII||zXXVIII|lischen Lehren der Kirche angesehen hat. Allein ich habe in meiner Schrift es gar nicht mit Policeygesetzen der Kirche zu thun; diese lasse ich in ihrem
Werth und
d√ Autorität, so lange es Gott will, daß sie nach obrigkeitlichen Verordnungen noch Lehrvorschriften
seyn sollen. Ich habe eine Philosophie des Christenthums überhaupt, und nicht des Lutherthums geschrieben. Wer mich also widerlegen will, muß entweder einen ganz andern
Begrif von menschlicher Glückseligkeit, als ich gegeben habe, erweislich machen; oder von
|cXLV| den
Sätzen, die ich im 5ten
Abschnitt als Hindernisse wahrer Glückseligkeit für verwerflich erklärt habe, zeigen, daß sie
bey jedem denkenden Manne zur Beruhigung des Gemüths, zur Vermehrung der Freudigkeit zu Gott, und zur stärkern Belebung der Thätigkeit im Guten unmittelbar hinwürken, und daher von jedem geglaubt werden müssen. Die Gegner meines Systems müssen daher die Lehren von der Zurechnung einer fremden Schuld und Gerechtigkeit, vom natürlichen Verderben und gänzlichen Unvermögen des Menschen zum Gu
|dXLIV|ten, von der vertretenden Genungthuung und Besänftigung einer unendlichen Strafgerechtigkeit, nicht als spekulative Lehrmeinungen in
abstracto, sondern als Theile einer Glückseligkeitslehre behandeln, und davon deutlich darthun:
|bXLIX| |zXXIX|
- 1. daß uns Gott in einem weit liebenswürdigerem und reinerem Licht erscheine, und unser Gemüth weit mehr beruhiget und getrost gemacht werde, wenn wir glauben, daß uns Gott Adams Sünde zur Verdamniß anrechne, daß wir nach Gottes Einrichtung durch die Herkunft von Adam durchaus verderbt in die Welt gesetzt worden; daß Gottes Gerechtigkeit uns daher verabscheuen und ewig strafen müsse, wenn nicht ein andrer ein unendlich Lösegeld für uns bezahlt, oder selbst unendlich für uns büßt: als wenn wir nach dem 5ten |cXLVI| Abschnitt meines Systems glauben, daß Gott uns als Unschuldige, mit hinlänglichen unverdorbenen Anlagen zu höherer Glückseligkeit, geboren werden läßt, daß wir aber nur als Fleisch oder Thiere zur Welt kommen, und uns nachher durch eigne Anwendung der Kräfte vom Thiere zum Menschen, und vom Menschen zu einer höhern Klasse vollkomner Geister stufenweis empor heben sollen, und daß Gott nie darüber zürnt, daß wir nicht mehr leisten, als wir nach den uns verliehenen Talenten und Einsichten zu leisten vermögen.
- 2. daß unser selbstthätiges Bestreben nach immer vollkomnern Erkentnissen und unser Fleiß und Eifer in der Gemüthsverbesserung und Uebung aller Tugenden weit mehr erweckt und belebet werde, wenn wir glauben, daß wir etwas Gutes selbst zu denken durch|bL||zXXX|aus ungeschickt sind, und unser eignes Wirken gar nichts taugt, sondern daß Gott alle gute Gedanken und Begierden unmittelbar in uns hervorbringen müsse: und daß es auch überall bey der Seligkeit nicht auf unsre eigne morali|dXLV|sche Güte des Herzens, sondern vielmehr auf Ergreifung und Zueignung einer fremden Gerechtigkeit ankomme: als wenn wir glauben, daß wir hinlängliche Kräfte des Gemüths von Gott natürlich überkommen haben, deren treue Anwendung uns täglich weiter bringen kan, |cXLVII| und daß wir nach dem Maaß Seligkeit erhalten, nach welchem wir selbst christlich und Gott ähnlich denken und handeln lernen.
Sehet, meine Leser, dieses sind die eigentlichen Streitfragen zwischen mir und meinen Gegnern, worauf sich keiner eingelassen hat. – Ohne Rücksicht auf Glückseligkeit mag man meinetwegen lehren und glauben, was man will, wenn man nur nicht Sätze zu Bedingungen und Hülfsmitteln des Seligwerdens macht, die ihrer natürlichen Wirkung nach Gemüthsunruhe, Furcht vor Gott, und Schläfrigkeit und Unthätigkeit im eignen Bestreben nach moralischer Vollkommenheit erzeugen.
In dieser
zweiten Auflage des Systems der Glückseligkeitslehre des Christenthums habe ich in den fünf ersten Abschnitten nichts Hauptsächliches hinzugesetzt oder verändert, sondern nur einzelne Stellen,
|bLI| |zXXXI| die Mißverständnisse veranlasset hatten, deutlicher zu machen gesucht.
Dargegen ist der sechste Abschnitt, den ich
bey der ersten Ausgabe, wegen der nahen
Buchhändlermesse, nicht hatte vollenden können, jetzt sehr erweitert worden. Man findet darin nun völlig deutlich und ausführlich erklärt, was man
bey der ersten Ausgabe vermißt hat, nemlich meinen Glauben und meine Lehren von Mosis
Schriften; vom
Gebrauch des alten Testaments unter Christen;
|cXLVIII| von der richtigen Auslegung der neu testamentischen Bücher; vom Nutzen und Schaden der Lehrsysteme und symbolischen Lehrvorschriften; vom rechten Verhalten eines gewissenhaften christlichen Lehrers gegen kirchliche Gesetze; von Toleranz und deren Prin
|dXLVI|cipien; und endlich von der rechten Beurtheilung der
vielerley Religionen, Lehrgebäude und Streitigkeiten, die von je her in der Welt zur Beförderung der wahren Bestimmung der Menschen zu einer selbst erworbenen Glückseligkeit, nach dem
Plan einer höhern Weisheit, geherrscht haben, und so lange Menschen und endliche Geister existiren, immer in Gottes Stadt
fortdauren müssen.
NB.
Zum Vortheil der Besitzer der ersten Ausgabe habe ich sowol diese Fortsetzung der Anrede ans lesende Publikum, als auch die neuen Zusätze zum sechsten Abschnitt besonders abdrucken lassen, unter
|bLII| |zXXXII| dem Titel: Zusätze zum System der reinen Philosophie der Glückseligkeitslehre des Christenthums, und ich werde, wenn bey neuen Auflagen noch mehr hinzukommen solte, es jederzeit für eine Pflicht der Billigkeit ansehen, das Neue derselben auch besonders für die Käufer der erstern Editionen zu liefern.
Und nun bitte ich alle rechtschafne Freunde der Weisheit und Religion, welche sich für die Aufklärung und moralische Verbesserung ihrer Mitmenschen interessiren, an allen Orten, wo Theologen diese Schrift verlästern und zu verschreien suchen, sich dahin zu vereinigen, und darauf zu dringen,
daß diese sich rechtgläubiger dünkende Männer ihr eigenes besseres System der Glückseligkeitslehre ungesäumt bekant machen. Hierzu gehört nothwendig
zweierley,
- 1. daß sie ihren Begrif von der Glückseligkeit uns deutlich angeben: und zwar von derjenigen Glückseligkeit, die hier durch das Christenthum sogleich im Menschen hervorgebracht werden soll. |cXLIX|
- 2. daß sie von jedem einzelnen Religionssatze, den sie zur Glückseligkeitslehre rechnen, uns entwickeln müssen, wie er die Menschen, die ihn glauben, seliger mache.
Ich werde mich von ganzen Herzen freuen, wenn andre Theologen einen kürzern, ebenern und sicherern |bLIII| |zXXXIII| Weg zur Gemüthsruhe, Heiterkeit der Seele, Thätigkeit und Standhaftigkeit im Guten und den erhabensten Hofnungen zu gelangen, für denkende Zeitverwandten bekant machen werden. Ich will mich gern mit der Ehre begnügen, durch einen unvollkomnen Versuch dazu eine nähere Veranlassung gegeben zu haben, und werde der erste seyn, der den bessern Weg selbst betreten und öffentlich empfehlen wird. Kein Prediger kan sich mit seinem Alter oder vie|dXLVII|len Amtsverrichtungen entschuldigen, daß er den ihm bekanten bessern Weg nicht beschreiben könne, denn je länger jemand im Amte ist, und je öfter er über die Religionswahrheiten zu reden Veranlassung hat, je leichter muß es ihm werden, sein System der christlichen Glückseligkeit, kurz und deutlich zu entwerfen. Macht ihm dieses Schwierigkeiten, so hat er wahrscheinlich noch nie ein würkliches System gehabt. Ich bin gewiß, daß sobald Eiferer unter den Theologen den Versuch machen werden, sich ihren Begrif von menschlicher Glückseligkeit zu entwickeln, und ihre Lehrmeinungen aus dem Gesichtspunkt zu untersuchen, in wie fern sie Seligkeit bewürken, so werden wir in kurzem |cL| weit näher zusammentreffen, als es jetzt möglich ist, da man die Dogmatik als eine auf vielfache Autorität erbauete Wissenschaft, ohne Rücksicht auf Gemüthsruhe und moralische Verbesserung der |bLIV||zXXXIV| Gesinnungen erlernet. Kurz, es wird auf alle Fälle von grossem Nutzen seyn, wenn man anstatt mein System zu verlästern, sich an allen Orten bemühen wird, vollkomnere Anweisungen zu höherer Glückseligkeit zu schreiben. Nach dieser Erklärung haben nun alle, welche diese Schrift öffentlich tadeln, zu erwarten, daß das vernünftige Publikum, so lange bis sie selbst etwas Vollkomneres geliefert haben, sie für Leute halten wird, die selbst nicht wissen, was Glückseligkeit ist, und welche die Religion mehr als einen Wörterkram und Gewerbe, denn als eine Anweisung der Menschen zur Zufriedenheit und Gemüthsverbesserung ansehen und behandeln.
Frankfurth den 16ten Julii, 1780.
der Verfasser.