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[Zusatz:]
D. Joh. Sal. Semlers Antwort auf das Bahrdtische
Glaubensbekenntniß. Halle, im Verlag der Hem-
merdschen Buchhandlung, 1779. 119 Seit. in 8.
Obgleich Hr. D. S. Gründe mag gehabt haben, sich wider das Bahrdtische Glaubensbekenntniß zu manifestiren, und allen Verdacht, als ob er und die theologische Fakultät in Halle, die Heterodoxien desselben begünstige, durch ein öffentliches Zeugniß abzulehnen; so wird es doch wenige Kenner und |z46| Verehrer seiner Talente und Verdienste geben, die nicht aus Freundschaft und Achtung für ihn wünschen sollten, daß, wenn ja auf das, was eigentlich keine Frage war, sollte geantwortet werden, die Antwort anders ausgefallen seyn möchte. Der bittere unmuthsvolle Ton womit Hr. S. antwortet, ist äußerst befremdlich; und wer wünschte nicht mit uns eine kaltblütige ruhige Untersuchung, statt der verdrießlichen mürrischen Laune zu finden, die dem Hrn. D. S. nicht erlaubt, nur irgend eine Zeile, kaum ein Wort, noch weniger ganze Sätze in dem beantworteten Glaubensbekenntniß erträglich zu finden, sollte er auch darüber seinen bisher behaupteten Grundsätzen ungetreu widersprechen, in dem wahren Geiste seiner vormaligen Gegner eines Goetze und Piederits , alle weitere Berichtigungen und Aufklärungen des kirchlichen Lehrsystems für unnöthig, und alle dahin zielende Versuche, so viel an ihm ist, lächerlich und verhaßt machen. Wir müssen diese sonderbare Schrift näher anzeigen.
Befremdend und auffallend muß zuförderst die hier von Hrn. D. S. vorgetragene Aeußerung über Toleranz und Gewissensfreyheit, einem jeden seyn, der dieses gelehrten Mannes Schriften zur Beförderung einer freyern (liberalioris) theologischen Lehrart gelesen, dieses kühnen Theologen, der sich durch seine freye Untersuchung des Canons sogar an die in allen christlichen Partheyen heilig gehaltenen Urkunden der Religionslehre gewaget, und einige dazu gerechnete Bücher, hauptsächlich, weil sie seinem Urtheile nach, nichts zur christlichen Vollkommenheit beytragen, bestritten, wenigstens zweifelhaft gemacht hat. Ein aufmerksamer Leser der Semlerischen Schriften mag etwa die biblische Vorstellung von der Menschwerdung und dem Tode Christi , die Hr. D. S. in seinen Ascetischen Vorlesungen über Gal. 4, 3. 5. und über 1. Cor. 1, 31. vorträgt, für richtig erkannt, und sich daran erbauet haben, wie wird ihm aber, falls er ein Lehrer der Kirche ist, zu Muthe werden, wenn ihm Hr. D. Semler nun bedeutet: ja, hierüber kannst du nach deiner Gewissensfreyheit denken, wie du es nach deiner Ueberzeugung in der Bibel findest; aber bist du einmal ein bestellter Lehrer, so kannst du dies zwar für dich denken, aber öffentlich mußt du lehren, wie die feyerlichen Lehrbücher deiner Kirche es haben wollen, sonst handelst du wider deinen Eyd und Gewissen. – Ich zweifle sehr daran, daß die in Semlerischen Schriften angemerkte und empfohlene Lehrart hiebey eines jeden Gewissen befriedigen wird. Wer kann sich auch, wenn er einmal über das andre lieset, daß ein jeder für sich denken |z47| und glauben kann, was er für wahr erkennet, und daß dennoch das Ansehen der symbolischen Bücher in öffentlichen Vorträgen, so ganz ungekränkt erhalten werden müsse, daß es keinem Lehrer einmal erlaubt sey, nur Vorschläge zur weitern Berichtigung des öffentlich festgesetzten Lehrbegriffs zu thun, (denn wenn Hr. D. S. dies einem Lehrer erlaubt hielte, so würde er den Hrn. D. B. nicht so hart deswegen angesehen haben) wer kann sich denn enthalten zu fragen: wozu soll in aller Welt die unverbrüchliche Beybehaltung, und der ewige Vortrag eines Religionssystems dienen, das weder der Lehrer noch irgend einer der Zuhörer verbunden oder interessirt ist, für wahr zu halten? Mögen doch diejenigen, die außerhalb der durch symbolische Bücher umzäunten Kirche kein Heil und Seeligkeit zugestehen, sich berechtigt und verpflichtet achten, für die unverletzliche Reinigkeit der festgesetzten Lehrform zu eifern; es ist wenigstens nach ihrer Einsicht, Eifer für die Wahrheit und für das Wohl der Menschen; aber wenn ein Semler , der sich selbst reichlich die Freyheit nimmt, und sie jedem andern gern gestattet von allen Kirchenlehren anzunehmen und wegzuwerfen, und überhaupt damit zu machen, was ihm das Beste dünkt, ohne daß er dabey hier oder künftig das geringste zu wagen befürchten darf, für den ewigen Werth der symbolischen Bücher und eines nach ihnen abgezirkelten Lehrvortrages eifert: so kann ihm nicht das Interesse der Wahrheit, nicht die Sorge für die Glückseligkeit seiner Nebenmenschen, sondern blos gewisse politische Betrachtungen können diesen Eifer eingegeben haben. Dies ist noch glimpflich geurtheilt; sonst möchte man eine nähere Ursache finden in dem Bestreben, sich so viel möglich von dem verhaßten D. Bahrdt zu entfernen, nachdem man nicht so glücklich gewesen, ihn durch alle Bewegungen, worinn man sich und andre gesetzt hat, von sich zu entfernen.
Daher möchte sich auch vielleicht die Heftigkeit erklären lassen, womit Hr. D. S. den gewöhnlichen Lehrvortrag wider Hrn. D. B. Vorwürfe, als ob er zum Unglauben führe, und der Tugend und Gottseligkeit schade, weitläuftig, aber doch, wie mich deucht, nicht hinlänglich vertheidigt: denn er nimmt bey seiner Vertheidigung diese Lehrsätze fast immer in einem andern und gemildertern Sinn, als worinn sie vom Hrn. D. B. bestritten werden. Es ist wahr, Hr. D. B. hätte seinen Tadel in gemässigtern und behutsamern Ausdrücken vorbringen sollen; indessen hat er doch offenbar immer nur auf die härteste und unschicklichste Vorstellungsart der angeschuldigten Lehrgründe Rücksicht |z48| gehabt, und Hr. D. S. hätte ihm dergleichen Aeußerungen so strenge nicht rügen sollen, da man in seinen Schriften auch dergleichen findet. So heißt es unter andern in der Vorrede des ersten Bandes seiner ascetischen Vorlesungen: „den meisten Streitigkeiten in der Formula Concordiae gehet es so, daß man über die Art und Weise einer Vorstellung so eifersüchtig wurde, als wenn alle Kraft und Wirkung der Sachen selbst z. E. im Abendmahle, an solche einzige Vorstellungsart und Redensart von Gott gebunden worden wäre. Diese Mangelhaftigkeit der Einsicht und eigenmächtige Bestimmung einer einzigen Art der Vorstellung von einer Sache, hat von jeher die leichte und unanstößige Ausbreitung und Erfahrung der christlichen Religion gehindert, und noch jetzt ist dieses die vornehmste Ursache von sehr vielem Anstoß, der endlich zur Verwerfung der ganzen Sache gereichet, weil es den Schein hat, eine Gesellschaft von Menschen wolle sich das Recht geben, die innern Vorstellungen andrer Menschen unter Vorschriften und gleichförmige Gesetze zu fassen; da doch Gott selbst dergleichen Verschiedenheit der Vorstellungen nicht nur zuläßt und duldet, sondern auch befördert und erhält.“ Noch ein Beyspiel, daß Hr. D. S. sich eben solche Beschuldigungen vormals erlaubt hat, als er jetzt an seinen Gegner so sehr tadelt. So finde ich in dem Versuch einer freyern theologischen Lehrart S. 454 folgenden hart genug ausgedruckten Vorwurf: „Es ist ein schändlicher Begriff, wenn man in Gott dem Vater gar nichts findet, das zur wirklichen Erlösung gehört, als die Strenge eines Richters der Rache fodert,“ (sollte dieser dem Hrn. D. S. vormals wenigstens so anstößige Begriff wohl nicht mit der Vorstellung: daß Gottes Zorn nicht anders als durch das blutige Opfer Christi gestillet werden könne, unzertrennlich zusammen hängen, und sollte nicht Hr. D. B. bey seinen Einwendungen gegen die Genugthuungslehre nicht auch hauptsächlich die so gewöhnliche Entgegensetzung des Vaters und des Sohnes beym Werk der Erlösung im Sinne gehabt haben?) „und die sich kaum dazu bringen läßt, durch Christi Fürbitte in die Seligkeit der Menschen einzuwilligen; und also dem Sohn die ganze Ehre der Barmherzigkeit und Erlösung zuzuschreiben; als könnte man gar wohl sagen, er habe mehr Liebe, als der Vater.“
Es ist oben erinnert worden, daß die Vertheidigung der vom Hrn. D. B. angeschuldigten Kirchenlehren darum nicht hinlänglich und genugthuend sey, weil Hr. D. S. sie nicht in |z49| dem Sinn vertheidigt, worinn das Glaubensbekenntniß sie verwirft. Wir wollen einige Beyspiele davon anführen. Was Hr. D. B. wider die gewöhnliche Vorstellung von Erlösung und Genugthuung eingewandt hatte, wird offenbar dadurch nicht abgewiesen, wenn Hr. D. S. ihm entgegen setzt: (S. 44. ) „Wir danken Gott, daß er einen solchen Christum bestimmt und geordnet hat, für uns eben, wozu wir ihn nöthig haben, zur Offenbahrung der rechten göttlichen Weisheit, der größten Gerechtigkeit, der innersten Heiligkeit, der allergrößten vollkommensten Erlösung, und daraus, aus dieser unsrer eignen Erfahrung und täglichen Proben entsteht in uns das wärmste Lob, der innigste Ruhm Gottes, den preisen wir nach Leib und Geist; weit gefehlet, daß diese christlichen für uns so großen Ideen uns zur Untugend und auch nur entferntesten Ungottseligkeit verleiten sollten. Wir rufen jedem zu: komme und siehe es, thue erst und vollziehe selbst in dir, für dein Bestes diesen Willen Gottes, den Christus lehret, da wirst du es aus deiner Erfahrung wissen, was du jetzt ohne Geist und inneres Leben, so kaltsinnig, so fremd, so unbekannt mit unsern Wahrheiten daher speculierest.“ Wie gesagt, diese Aeußerung trifft den Hrn. D. B. gar nicht und hebt seine Einwendungen nicht. Nicht nur er, sondern jeder Socinianer, ja jeder von irgend einer christlichen Kirchenparthey, kann dieses unterschreiben, und die Erklärungsart, die er für die schicklichste hält, dabey in Gedanken haben. Hier ist kein Wort von der Art und Weise der Genugthuung und Erlösung, wie sie in den symbolischen Lehrvorschriften vorgetragen wird, nichts vom thätigen und leidenden Gehorsam, nichts von einem stellvertretenden Verdienste und poena vicaria. – Ja es stimmt sogar diese Aeußerung mit dem beantworteten Glaubensbekenntniß überein, wenn darinn der Glaube an Christum durch Annehmung und Befolgung der Lehre Jesu beschrieben wird. Annehmung: wir danken Gott, daß er uns Christum, zur Weisheit – Gerechtigkeit – bestimmt und geordnet hat. Befolgung der Lehre Jesu : thue erst und vollziehe selbst in dir für dein Bestes, diesen Willen Gottes den Christus lehrte. – Hr. D. S. sagt: „bringt die Ueberzeugung, die ein Mensch angenommen hat, Gott ist es, der in mir alles Gute wirket, in dem Menschen Sünde und Hinderniß der Tugend hervor? ich denke nicht.“ Darinn hat er gewiß recht; aber diese ewige Wahrheit war es auch nicht, die Hr. D. B. bestritt, oder als nachtheilig und unschriftmäßig angab; sondern vielmehr diese |z50| Ueberredung: ich kann nichts, gar nichts zu meiner Besserung thun, ich muß Gott nur stille halten, und ihn allein wirken lassen. Wird ein Mensch, der sich hiervon überredet hat, nicht natürlicherweise auch so denken: nun, ich will auch nichts thun, sondern will es erwarten, daß Gott die Besserung in mir wirke, denn ich kann ja nichts thun?
Es ließen sich selbst in dieser Widerlegung eines heterodoxen Glaubensbekenntnisses, bey allem Ansehen der Rechtgläubigkeit, das sich Hr. D. S. hier als ein ehrlicher lutherischer Professor und Doctor August. Confess. giebt, manche Abweichungen angeben; allein der Recens. überläßt dergleichen gehäßige Entdeckungen den scharfsichtigen Bemerkern der Ketzereyen, um so viel lieber, da gerade die hin und wieder auch hier, so wie in allen Semlerischen Schriften vorkommende freymüthige und gelehrte Aeußerungen für ihn, und vermuthlich auch für andere das lesenswürdigste in dieser sonderbaren Schutzschrift für das kirchliche System sind. Nur über einen vom Hrn. D. S. angegebenen Endzweck derselben, müssen noch ein Paar Worte gesagt werden. Hr. D. S. scheint es sich als ein Verdienst anzurechnen, daß er das Vorhaben gewisser, wie er sie nennt, viel umfassender Männer, eine Universalreligion, oder ein allgemeines Christenthum, auf Kosten der verschiedenen öffentlich festgesetzten Religionssysteme, und auf den Trümmern der verschiedenen Localkirchen aufzuführen, hier entdeckt, und nach Möglichkeit zu hintertreiben gesucht habe. Zugleich setzt er diesem allgemeinen Christenthume nichts so sehr entgegen, als daß es eine bloße Träumerey oder ein Hirngespinst, und die Einführung desselben in unserer sublunarischen Welt nicht möglich sey. Dies wollten wir ihm allenfalls gern glauben; aber alsdenn läßt sich nicht einsehen, was es so ernsthafter Anstalten gegen eine Träumerey, und gegen einen ganz unthunlichen Entwurf bedürfe. – Sollte aber das Vorhaben der viel umfassenden Männer möglich seyn, und wirklich der größte Theil derer, die über die Religion nachdenken, und es ernstlich mit derselben meinen, sich jemals über einen, das Wesentliche des Christenthums enthaltenden Religionsentwurf vereinigen können: so möchte die Voraussetzung, daß er von dem größten Theile nachdenkender und rechtschaffener Christen angenommen werde, keine so ganz schlechte Empfehlung für denselben seyn, und es ließe sich nicht wohl begreifen, wie ein so aufgeklärter Verehrer der Religionswahrheit und der Gewissensfreyheit, wie Hr. D. S. unstreitig ist, sich überreden könne, daß er sich durch öffentliche |z51| heftige Bestreitung eines solchen Entwurfs um Religion, Tugend und Glückseligkeit seiner Nebenmenschen werde verdient machen, da doch alle diese Bemühung nur darauf abzwecken kann, die Verschiedenheit der Kirchenverfassung, und die Mannichfaltigkeit jener Lokalsysteme, die zwar bis ans Ende der Tage öffentlich gelehrt werden sollen, aber eben nicht dürfen geglaubt werden, in der christlichen Welt aufrecht zu erhalten.
Zitat aus a) D. Carl Friedrich Bahrdts Glaubensbekenntniß:
Wir danken GOtt, daß er einen solchen Christum bestimt und geordnet hat; für uns eben, wozu wir ihn nötig haben, zur Offenbarung der rechten göttlichen Weisheit, der grösten Gerechtigkeit, der innersten Heiligkeit, der allergrösten volkommensten Erlösung; und daraus, aus dieser unserer eigenen Erfarung und täglichen Proben, entstehet in uns das wärmste Lob, der innigste Ruhm GOttes; den preisen wir nun nach Leib und Geist; weit gefelet, daß diese christlichen für uns so grossen Ideen uns zur Untugend, und auch nur entferntesten Ungottseligkeit verleiten solten. Wir rufen jedem zu, komm und siehe es; |b45| thue erst, und volziehe selbst in dir, für dein Bestes, diesen Willen GOttes, den Christus lehrete; da wirst du es aus deiner Erfarung wissen, was du jetzt, ohne Geist und inneres Leben, so kaltsinnig, so fremd, so unbekant mit unsern Wahrheiten, daher speculirest.
Zitat aus a) D. Carl Friedrich Bahrdts Glaubensbekenntniß:
Bringt diese Ueberzeugung, die ein Mensch angenommen hat, GOtt ist es, der in mir alles Gute wirket, in dem Menschen Sünde und Hinderniß des moralisch guten hervor? Ich denke nicht.