|a448| |b181| |c157| Dritter Abschnitt.
Systematische Theologie.

132a1.

Wenn wir einen Blick auf die Lehren werfen, die Jesus Christus und seine Apostel ausbreiteten, und auf die Lehrart, derc2 sie sich /cdabey bedienten:c\c3 so zeigt sich bald, daß sie das, was sie zu sagen hatten, immer gelegentlich und nach den Bedürfnissen ihrer jedesmaligen Zuhörer oder Leser vortrugen. – An Verständlichkeit konnte es diesem Vortrag damals nicht /cfehlen. Dennc\c4 sie richteten sich immer nach dem Sprachgebrauch derer, mit welchen sie redeten; sprachen mit dem Volke, als Volkec5, in Sentenzen und Bildern, die diesem vor Augen, oder geläufig waren; mit den Gelehrteren, nach ihrer Denk-c6 Beweis- und Sprachart. Blieb ja noch etwas dunkel, oder mußten sie, wegen Neuheit der Sachen, gewissen Ausdrücken neue Bedeutungen unterlegen: so gab der Zusammenhang, in dem sie sprachen, es gaben die Umstände, unter denen, und in Beziehung auf die sie redeten, den Ausdrücken die nöthige Deutlichkeit; und was dieser ja abgehen mochte,a7 das konnte man beyc8 diesen Lehrern selbst, man konnte es beyc9 ihren Schü|a449||b182|lern leicht erfragen. – Die Gewißheit von dem, was sie als Gottes Gesandten vortrugen, gründete sich, für den Anfang, zum Theil auf die Wunder, wodurch sie sich als solche gezeigt hatten, zum Theil, und /cbey allenc\c10, die sie einmal willig hören wollten, |c158| auf die Beruhigung und Besserung, als die ohnfehlbarenc11 Wirkungen, wodurch sich die göttliche Wahrheit ihrer Lehren beyc12 jedem rechtfertigte, der diesen /cLehren folgtec\c13 (Joh. 7, 17).c14 Daher führten sie auch weiter keine Beweise für ihre Wahrheit, als da, wo gewisse Vorurtheile, Zweifel, Lastera15 oder Unachtsamkeit und Leichtsinn ihrer Zuhörer eine nähere Ueberzeugung nöthig machten; alsdanna16 bezogen sie sich entweder auf Sätze der gesunden Vernunft, oder auf Stellen der heiligen Schrift, je nachdem es die Fähigkeit der Zuhörer zuließ, oder das Bedürfniß derselben erforderte.a17 – Uebrigens suchten sie /cnurc\ richtige Kenntnisse in der Religion zu gründen,c18 und eindrücklich zu machen. Die nähere Anwendung auf die jedesmaligen Angelegenheiten der Zuhörer mußten sie diesen selbst überlaßenac19, eben so wie das Fortbauen auf diesen gelegten Grund:c20 denn daß sie dieses Fortbauen voraussetzten und verlangten, läßt sich schon sowohl aus der Bestimmung des Christenthums für allerleyc21 Völker und für die künftigen Zeiten, als aus den Fähigkeiten des Menschen, immer vollkommnerc22 zu werden, schliessenc23, wenn sie auch nicht ausdrücklich darauf drängen (Matth. 13, 12. Kap. 25, 14 flgg.c24 1 Kor. 3, 11 flgg.c25 Eph. 4, 12 f. Ebr. 5, 11 f. etc.)

a1: 419 c2: deren c3: dabei bedienten; c4: fehlen; denn c5: Volk c6: Denk-, a7: mochte c8: bei c9: bei c10: bei Allen c11: unfehlbaren c12: bei c13: redlich folgte. c14: 17.) a15: Laster, a16: alsdenn a17: erforderte c18: gründen ac19: überlassen c20: Grund; c21: allerlei c22: vollkommener c23: schließen c24: folg. c25: folg.

|a450| |b183| 133a1.

Was jene Stifter des Christenthums über die christlichen Lehren gesagt und geschrieben haben, ist auch für die folgenden Zeiten in den Büchern des neuen Testaments aufbehalten worden. In dieser spätern Zeit mußten sich, wie es die Sache mit sich bringt, nothwendig in der Erkenntniß der Christen großea2 Veränderungen ereignen, man mag auf die Verständlichkeit jenes Unterrichts Christi und |c159| seiner Apostel, oder auf die Gewißheit von den in der heiligen Schrift enthaltnenc3 Lehren, oder auf ihre Anwendung, oder auf die Erweiterung und Aufklärung dieser Erkenntniß sehen.

a1: 420 a2: grosse c3: enthaltenen

134a1.

Nach dem Tode der Apostel und ihrer nächsten Schülerc2 traten immer weniger Judenc3 zum Christenthum /cüber;a4 c\c5 die /cmeistenc\ /aneuen Christena\ /cwarenc\c6 bisherige /cHeiden, undc\c7 des jüdischen und morgenländischen Sprachgebrauchs /aunkundig. Diea\a8 Kenntniß der Umstände, unter welchen jene Stifter geredet hatten, verlor sich; /aunda\ nachfragen konnte man beyc9 den ersten Lehrern nicht /amehr. Diea\a10 griechische Sprache littec11, wie alle Sprachen, in Dingen, die ihrer Natur nach nicht nothwendig sind, viele /aAbänderungen. Diea\a12 Begierde, was man in der Religion für wahr hielt, auch in der heiligen Schrift zu finden, verursachte, daß man einen ganz fremden Sinn /ahineintrug. Selbsta\a13 die |a451| Uebertragung der biblischen Ausdrücke und Be|b184|griffe in anderea14 Sprachen, und, wenn man auch nicht auf ungeschickte oder flüchtige Uebersetzer zu rechnen hätte, die Unmöglichkeit, biblische Ausdrücke ohne Mißverstand in fremde Sprachen zu übersetzen, machte,c15 die heilige Schrift zu verstehen,c16 schwerer, und die Verschiedenheit in der Auslegung nothwendig. – Auch die Art des von den Stiftern des Christenthums zu ihrer Zeit so weislich gebrauchten gelegentlichen und populären Vortragsc17 trug das Ihrige dazu beyc18. Der populäre Vortrag ist fasslicherac19 und eindrücklicher,c20 als der gelehrte, und beydesc21 zu |c160| werdenc22 war die Absicht jener Stifter; aber was er an jenen Eigenschaften gewinnt, verliert er an Bestimmtheit, und ist daher eine reichere Quelle des Mißverstandes. Was man gelegentlich sagt, das sagt man in Beziehung auf die Bedürfnisse der jedesmaligen /aZuhörer. Warena\a23 diese, oder die Absicht beyc24 ihrer Belehrung, verschieden, so erklärtena25 sich auch jene /cerste christlichec\c26 Lehrer über eben dieselbe Sache sehr verschieden; und so entstanden nothwendig scheinbare Widersprüche in der Bibel, die der Eine Leser so, der Andrec27 anders zu heben suchte, wobeyc28 dem Einen diese, dem Andern jene Behauptung der heiligen Schrift deutlicher oder wichtiger /cschien †).c\c29 So konnte es an einer großena30 Verschiedenheit der Vorstellungen von dem Sinn der heiligen Schrift nicht fehlen.

/c†)c\c31 Man vergleichec32 z. B. Joh. 5, 23.a33 mit Kap.a34 14, 28. Röm. 3, 23 f. mit Kap.a35 2, 6a36 f. Kap. 6.a37 und Jak. |a452| 1, 25.a38 auch Kap. 2. 1 Tim. 2, 4.a39 mit Matth. 20, 16.
a1: 421 c2: Schüler, c3: Juden a4: über, c5: über. Wie sie überhaupt gegen die Heiden nur die kleine Zahl überall ausmachten, so waren auch natürlich, als sich das Christenthum erst mehr ausbreitete, c6: der Mehrzahl nach c7: Heiden, folglich a8: unkundig; die c9: bei a10: mehr; die c11: litt a12: Abänderungen; die a13: hineintrug; selbst a14: andern c15: machte c16: verstehen c17: Vortrags, c18: bei ac19: faßlicher c20: eindrücklicher c21: Beides c22: werden, a23: Zuhörer; waren c24: bei a25: erklären c26: ersten christlichen c27: Andere c28: wobei c29: schien. *) a30: grossen c31: Anm. *) c32: vergl. a33: 23 a34: K. a35: K. a36: 6. a37: 6 a38: 25 a39: 4

|b185| 135a1.

Die Gewißheit der christl.c2 Erkenntniß war einer ähnlichen Revolution ausgesetzt. Es ist recht, und sogar Pflicht, nach der uns möglichsten Gewißheit zu streben, weil von der Festigkeit der Ueberzeugung auch der Eifer, nützliche Wahrheit weiter auszubreiten, und die Willigkeit, ihr zu folgen, abhängt. Nach dem Abschiedc3 Christi und seiner nächsten Schülerc4 konnte man weder, wie zu ihrer Zeit, sie in der Verlegenheit befragen, noch Zeuge ihrer Wunder seyn. Man hatte freylichc5 ihre Lehren und Thaten in der heiligen Schrift; aber,c6 daß es ihre Schriften, daß diese durchaus in der Lehre unverfälscht /cwären, diesc\c7 forderte, wenn es zuverläßigc8 seyn sollte, Beweise, und das um so mehr, da es schon in den ältesten Zeiten Leute gab, die das |c161| Eine oder das Andere bezweifelten, oder selbst den Aposteln falsche Schriften unterschoben. War aber diese Aechtheitc9 ihrer Aussprüche auch gewiß genug: so konnte man doch mit Recht immer mehr Ueberzeugung von ihrer Wahrheit suchen, immer mehr eignec10 und fremde Erfahrungen von ihren heilsamen Wirkungen, und somit von ihrem göttlichen Werthe, sammlen;ac11 alle weitere Fortschritte in der Kritik, in Sprachen, in der Philosophie, in der Geschichte und andern Wissenschaften zur stärkern Ueberzeugung benutzen;a13 die christlichen Lehren mit andern Grundsätzen und Kenntnissen |a453| in eine immer nähere Uebereinstimmung bringen, um dadurch die sonst aufsteigenden oder von Andern |b186| erregte Zweifel zu entkräften. Und hätte man auch alles dieses nicht selbst bedurft: so wäre es um Andrerc14 willen nöthig gewesen, wenn man diese heilsamen Lehren, und richtige Begriffe oder Ueberzeugung von ihrer Wahrheit, mittheilen, und sie gegen falsche Vorstellungen oder Zweifel verwahren wollte.

a1: 422 c2: christlichen c3: Abschiede c4: Schüler, c5: freilich c6: aber c7: wären: dieß c8: zuverlässig c9: Echtheit c10: eigene ac11: sammlen, (a); sammeln; (c) a13: benutzen, c14: Anderer

136a1.

Selbst beyc2 der Anwendung der christlichen Lehren auf sich selbst oder Andrec3 mußte manche Verlegenheit, mußten sehr verschiednec4 Meinungen eintreten. Ist dieses oder jenes (z. B. Matth. 19, 21. Apostelgesch. 15, 20 etc.) auch uns, oder ist es nur den damaligen Schülern Christi gesagt? und in jenem Fall, wie fernec5? Ist der mir vorkommende Fall eben der, auf den der oder jener biblische Ausspruch (/cz. E.c\c6 Matth. 6, 25. 1 Kor. 3, 19.) geht? und wenn mehrere solche Aussprüche, die doch einander nicht wirklich widersprechen können, nicht zugleich können in einerleyc7 Absicht wahr seyn (s. die Anmerk. zu §. 134ac8), wie fern ist jeder wahr? wie laßenac10 sie sich mit einander ver|c162|einigen? oder, wenn zweyc11 Gebote nicht zugleich können gehalten werden (z. B. Matth. 7, 6. und Kap. 10, 27c12), welches geht vor? oder, wie weit kanc13 man beydesc14 beobachten? – /cErweitertenc\c15 sich nunc16 vollends, mit fortgehender Zeit, allerleyc17 Arten der mensch|a454|lichen Kenntnisse und Wissenschaften, die entweder in eine Art von Widerspruch mit den biblischen Aussprüchen zu kommen, oder diese aufzuklären und zu bestätigen |b187| /cschienen; fing man anc\c18 mit eben dem Fleiß über diese Aussprüche, wie über die Sätze in andern Wissenschaften, /cnachzudenken – und diesc\c19 machte selbst der Widerspruch gegen manche, /cnebst den verschiednenc\c20 Vorstellungen von ihrem Sinn und ihrer Ausdehnung, /cnothwendig, wennc\c21 diese Aussprüche /cnichtc\ schon vorc22 sich einer solchen weitern Aufklärung werth /cgewesen wärenc\, die man nicht anderwärts her, als aus dem fleißigen Studium des Sprachgebrauchs der Bibel und aus klaren Sätzen der Vernunft, nehmen /ckonnte –: soc\c23 mußten sich c24 auch die Kenntnisse vom Christenthum erweitern, noch mehr befestigen, und bestimmter und zusammenhängender werden. Wie endlich diese Masse von Kenntnissen immer mehr zunahm, eine Läuterung derselben zur Scheidung des Wahren und Falschen nöthig wurde, nach und nach Lehranstalten aufkamen, wo man, zumahlc25 angehenden Lehrern der Religion, eine allgemeinere Uebersicht des Ganzen geben, und diese mannichfaltigen Kenntnisse vom Christenthum durch ihren innern Zusammenhang, durch ausgesuchtere, bewährtere Beweise und die nöthigen Bestimmungen befestigen wollte: so entstand natürlich eine mehr /cwissenschaftliche Formc\c26 christlicher Kenntnisse.

a1: 423 c2: bei c3: Andere, c4: verschiedene c5: fern c6: z. B. c7: einerlei ac8: 421 (a); 134. (c) ac10: lassen c11: zwei c12: 27. c13: kann c14: Beides c15: Nun erweiterten c16: überdieß c17: allerlei c18: schienen. Man fing an, c19: nachzudenken. Dies c20: so wie die Verschiedenheit der c21: nothwendig. Auch waren c22: an c23: konnte. Nothwendig c24: also c25: zumal c26: wissenschaftliche Form

|a455| |c163| 137a1.

/cHier haben wir denc\c2 Ursprung der systematischen Theologie, oder der Theologie, im Unterschiede von der Religionc3 (/aTheil 1.a\ §. 3c4 Anm. 2),c5 im eigentlichsten und engsten Verstande (/aTh. 2c6 a\ |b188| §. 1ac7), d. i. des zusammenhängenden Inbegrifsc9 gelehrter Kenntnisse von der Religion. Man könnte, wenn Religion, wie hier, von der christlichen genommen wird, diese Theologie durch eine Wissenschaft (oder den Inbegrifc10 der Wissenschaften) erklären, worin die in der heiligen Schrift zerstreuten Lehren erklärt, in einen ordentlichenc11 Zusammenhang gebracht, durch einander bestimmt und eingeschränkt, bestätigt, und weiter aufgeklärt werden.

c12 Wenn mehrere Lehrsätze, die mit einander zusammenhängen, d. i. deren einer mit und durch dena13 andern besteht,c14 (oder mit dem andern zugleich und um seinetwillen wahr ist,)c15 zusammen genommen, d. i. zu Einem Zweck verbunden werden, so entsteht ein System; und, sind dieseac16 Lehrsätze der Religion, ein /cReligions-System; folglichc\c17 ist systematische Theologie der Inbegriff aller Religionslehren, die in einem solchen Zusammenhange erkannt oder vorgetragen werden. Beyc18 ihr kommt demnach allesc19 auf dreyc20 Stücke an: 1) daß man die einzelnena21 Lehrsätze verstehe oder erkläre, 2) sie mit einander verbinde, und zwar 3) so, daß einer mit und durch demc22 andern bestehe.
a1: 424 c2: Aus dem allen erklärt sich nun der c3: Religion c4: 3. c5: 2.) c6: 2. ac7: 288 (a); 1. (c) c9: Inbegriffs c10: Inbegriff c11: regelmäßigen c12: Anm. a13: dem c14: besteht c15: ist), ac16: dieses c17: Religions-System. Folglich c18: Bei c19: Alles c20: drei a21: einzlen c22: den

138a1.

Man darf nur auf die bisher beschriebnec2 Art Acht geben, wie systematische Theologie ent|a456|standen ist, und über die Natur derselben nachdenken, um sogleich überzeugt zu werden, wie nützlich es seyc3, daß man die christlichen Lehren in ein solches |b189| System gebracht habe. Wer sich einer christ|c164|lichen Kenntniß, und noch mehr einer Ueberzeugung von ihrer Wahrheit rühmen, oder sie anwenden will, muß doch 1) wenigstens sie verstehen. Dazu ist zwar die Kenntniß des biblischen Sprachgebrauchs unentbehrlich; aber, wenn dieser Gebrauch mehr als Einen Sinn zuläßt;a4 oder wenn ein Satz, den wir zu verstehen glauben, mit einem andern biblischen Satz nicht bestehen kanc5: so muß ich den Satz, von dessen Sinn die Frage ist, mit dem Zusammenhang, in dem er in der Bibel vorkommt, mit der Absicht des Schriftstellers, mit seinen anderweitigen Erklärungen, vergleichen, um zu finden, welcher Sinn, allein oder am meisten, damit übereinstimme; oder, scheinen zweyc6 biblische Sätze einander zu widersprechen, wie fern und in welchem Sinn jeder wahr seyc7, und mit dem andern bestehen könne. †)c8 Hier ist offenbar die versuchte Verbindung eines zweydeutigenc9 Satzes mit dem Zusammenhange, der Absicht des Schriftstellers und den Parallelstellen, oder mit andern eben so biblischen Sätzen, das Mittel, hinter dessen wahren Sinn zu kommen. Ja eben dieser Versuch, einen Zusammenhang zu finden, leitet michc10 oft auf die Entdeckung des wahren Sprachgebrauchs, indem er michc11 aufmerksam macht, anderweitigen Beyspielenc12 von dem Sprachgebrauch nachzuforschen, beyc13 dem |a457| /cichc\ allein denc14 Satz c15 denkbar /cfinde ††).c\c16 Oft finde ichc17 auch beyc18 dem Sinn eines biblischen Satzes gar kein Bedenken, und /ckanc\c19 daher einen wirklich falschen Sinn für wahr annehmen, bis ichc20 ihn |b190| erst – wie eben in dem System geschieht – mit andern biblischen Sätzen zusammenstellec21, und dadurch von meinemc22 Irrthum in der Erklärung überzeugt, dadurch genöthigt werde, michc23 nach einenc24 richtigern Sinn umzusehen. Schon diesc25 ist also ein großera26 Vortheil, den /cmir diesesc\c27 Zusammenstellen und der Versuch, |c165| die biblischen Sätze in ein System zu bringen, gewährt, daß /cichc\ dadurch /cden wahrenc\c28 Sinn dieser Sätze /centdecken kanc\c29, ohne welchen alle /cmeinec\ Erkenntniß aus der Bibel keinen festen Grund haben würde.

/c†)c\c30 So kanc31 /aes scheinen, als wenn die Stellea\ Röm. 5, 12 f. die Lehre /aenthalte: daß wir selbst zugleich mit unserm ersten Stammvater, und dadurch, daß er sündigte, gefallen wären; es kanc32 diese Stelle wenigstensa\a33 eine eigentliche Zurechnung seines Falls beyc34 seinen Nachkommen, d. i. den Satz zu enthalten scheinen, daß wir um jenes Falls willen bestraft a35, wohl gar mit dem ewigen Tode /abestraft würden. Es ist auch bekannt genug, daß sie so seyc36 verstanden wordena\. Aber eben sowohl kanc37 ἁμαρτάνειν, wiec38 von solchen verstanden werden,a39 die nicht gesündigt, sondern nur ein gleiches Schicksal mit /aandern Verbrecherna\a40 haben; θανατοςa41 kanc42 den leiblichen Tod bedeuten; und Paulus kanc43 eine ganz natürliche Veränderung, die auch ohne Verbrechen erfolgt seyn würde, nach einer beyc44 den Hebräerna45 gewöhnlichen Art zu reden, als eine Strafe beschreiben, wenn sie gleich keine, sondern ihr nur (materialiter) ähnlich ist, wie 1 Mos. 3, 14. 16. 17–19. Kap. 9, 12 f. und in vielen Stellen, die aus dem alten Testament im neuen, |b191| nicht nach ihrer eigentlichen Absicht, sondern |a458| wegen einer Aehnlichkeit, angeführt werden. Vergleiche ich nun den biblischen Ausspruch Ezech. 18, 20ac46, den sogar der gemeine Menschenverstand als recht billigt; erkenne ich die deutliche Anspielung der Worte des Apostels auf 1 Mos. 2, 17,c47 verglichen mit Kap. 3, 19c48; finde ichc49 daß P. im Zusammenhang nur bloß den Tod erwähnta50, und weder ihn Strafe nennt, noch von einer andern Strafe ausserc51 dem Tode redet;a52 vornehmlich aber, daß er unser Schicksal nicht von unsrerc53, von vieler Menschen Sünde herleitet, sondern in allen Versen von Eines Sünde V. 15. 16. 17. 18. 19;ac54 und daß er endlich den Adam und Christum vergleicht, mit oder in wel|c166|chem letztern wir ja nicht recht gehandelt haben, sondern nur seinetwegen als Gerechte von Gott behandelt werden: so kanc56 man vernünftiger Weise an der Richtigkeit der letztern Erklärung nicht zweifeln. – So scheint auch 1 Joh. 3, 6c57 und 9c58 mit Kap. 1, 8c59 zu streiten, und man hat allerleyc60 Arten, den Sinn jener Stelle zu mildern, versucht. Johannes hebt doch selbst allen Mißverstand, da aus Kap. 5, 18c61 augenscheinlich wird, μὴ ἁμαρτάνειν seyc62 so viel als τηρεῖν ἑαυτὸν, sich fürc63 Sünden zu hüten suchen.
††)c64 Wie beyc65 gedachter Stelle 1 Joh. 3. und beyc66 solchen, wo es scheint, daß Gott für die Ursach des Bösen ausgegeben werde; welcher in die Augen fallende Mißverstand gänzlich gehoben wird, wenn ichc67 aus ähnlichen Redensarten Apostelgesch. 13, 29c68 und Kap. 1, 18c69 gelernt habec70, daß die Ebräer von jeder entfernten, selbst mit Mißfallen verknüpften |b192| Veranlassung einer Handlung, /aalsc71 a\ wie von einer Ursach derselben reden.
c⌇⌇c {Ob freilich die strenge Bestimmtheit und Consequenz bei so populären und selbst im Schreiben ungeübten Schriftstellern, ἰδιώταις λόγου, wie die V. des neuen Testaments waren, überall angenommen und vorausgesetzt werden dürfe, ist eine andere Frage. A. d. H.}c
a1: 425 c2: beschriebene c3: sei a4: zuläßt, c5: kann c6: zwei c7: sei c8: 1) c9: zweideutigen c10: sehr c11: darauf c12: Beispielen c13: bei c14: der c15: als c16: erscheint. 2) c17: sich c18: bei c19: man kann c20: man c21: zusammenstellt c22: seinem c23: sich c24: einem c25: dieß a26: grosser c27: ein solches c28: der wahre c29: entdeckt werden kann c30: Anm. 1) c31: kann c32: kann a33: von unsrem eignen Falle mit der ersten Versündigung Adams, oder doch c34: bei a35: würden c36: sei c37: kann c38: auch a39: werden a40: ihnen a41: θάνατος c42: kann c43: kann c44: bei a45: Ebräern ac46: 20. c47: 17. c48: 19. c49: ich, a50: erwehnt c51: außer a52: redet, c53: unserer ac54: 19, (a); 19.; (c) c56: kann c57: 6. c58: 9. c59: 8. c60: allerlei c61: 18. c62: sei c63: vor c64: 2) c65: bei c66: bei c67: man c68: 29. c69: 18. c70: hat c71: gerade

|a459| 139a1.

Zur Ueberzeugung von der Wahrheit der biblischen Sätzec2 müssen uns zwar schon die Aussprüche der heiligen Schrift selbst zureichend seyn; aber die Gewißheit davon wächst doch noch mehr 2) dadurch, wenn wir sie mit andern Sätzen, die uns gewiß sind, in Verbindung bringen; es mögen diese andern Sätze biblische, oder anderwärtsher gewisse seyn. Denn, so wie diese Gewißheit der Sätze leidet, wenn wir sie nicht mit solchen andern zu reimen wissen: so wird sie befestigt, wenn sie aus diesen fließena3, |c167| oder diese ohne jene nicht bestehen /ckönnen †).c\c4 Indem ichc5 sie ferner mit andern Sätzen zusammenhaltec6, so /csehe ichc\c7 3) wie einer den andern bestimmt und einschränkt, fügec8 also im System diese Einschränkungen hinzu, und verhütec9 dadurch theils die Mißdeutung dieser Sätze, theils Zweifel und Vorwürfe gegen sie; wodurch Irrthümer abgeschnitten werden, und der richtige Verstand derselben sowohl wieder befördert, als die Gewißheit der Sätze aufs neue verstärkt /cwird ††).c\c10

c11 Dies ists, was vornehmlich der deutlichen und gelehrten Kenntniß vor der undeutlichen und gemeinen, dem Vortrag der erstern Art vor dem populären, den Sätzen im System vor den abgerissenen Sätzen, einen so großena12 Vorzug giebt. Beyc13 Köpfen, die zum Nachdenken aufgelegt und an deutliche Begriffe |b193| gewöhnt sind, ist systematische Kenntniß der Religion unentbehrlich, und dahin, in seinem Maaß, zu trachten, Pflicht eines jeden Christen, zumala14 Lehrers, |a460| zumala15 in aufgeklärtern Zeiten. Siehe den sehr lesenswürdigen tellerischenc16 Excursus III. hinter Th. Burneti lib. de fide et offic. Christianorumc17 p. 290 sqq.
†)c18 So wird die Lehre von Unentbehrlichkeit der Gnade Gottes zu allem Guten und von seiner schonenden Erbarmung, gewiß in dem Grade überzeugender erkanntc19 als die Ueberzeugung von unserer Ohnmacht und unserm Verderben auf einer, und von dem, was wir wohl könnten, wenn wir wollten, auf der andern Seite, stark ist; und die wahre Lehre der heil.c20 Schrift von der Versöhnung durch Christum ist beyc21 einer richtigen Vorstellung von der Gerechtigkeit Gottes weit weniger Zweifeln ausgesetzt, als ohne diese.
/c††) Beyspielec\c22 giebt hier die Vergleichung der biblischen Lehre, daß der Glaube ein Geschenk Gottesa23 seyc24, mit anderen Stellen, die doch den Mangel des Glaubens dem /aMen|c168|schen selbst Schuld gebena\a25; der Lehre, die den Glauben an Jesum Christum als nothwendig zur Seligkeit fordert, mit der Lehre Röm. 2, 11–15. 26. 27c26; der Lehre, die Gott als den vorstellt, der allen Menschen wolle geholfen wissen, und /adera\a27 durch sein Wort oder Lehre die Menschen selig mache, mit dem Erfahrungssatz, daß doch die wenigsten Menschen Gelegenheit /cgehabt haben, die christliche Lehrec\, selbst viele nicht einmal Fähigkeit c28, eine natürliche Reli|b194|gion kennen zu lernen; der Lehre von Vergebung der Sünden, und hingegen der Erfahrung, daß natürliche Strafen nach unsern Vergehungen nicht ausbleiben.
a1: 426 c2: Sätze, a3: fliessen c4: können. 1) c5: man c6: zusammenhält c7: sieht man c8: fügt c9: verhütet c10: wird. 2) c11: Anm. 1) a12: grossen c13: Bei a14: zumahl a15: zumahl c16: Tellerischen c17: Christianorum, c18: 2) c19: erkannt, c20: heiligen c21: bei c22: 3) Beispiele a23: Gottes c24: sei a25: Menschen zum Vorwurf machen c26: 27. a27: daß er c28: gehabt haben, die christliche Lehre

|a461| 140a1.

Eben diese richtige und bedächtige Vergleichung der Lehren unter einander und die Bestimmung der einen durch die andrec2, zeigt auch 4) den verhältnißmäßigen Werth oder dergleichenc3 Entbehrlichkeit einer Lehre. Diese Würdigung kanc4 sehr viel /cbeytragenc\c5 zur Bestimmung, ob gewisse Lehren oder Vorstellungen /cauchc\c6 in den gemeinen Unterricht, /coder nurc\c7 für Gelehrterec8 gehören; c9 zur Beruhigung /cunsrer selbstc\, wenn wir uns von gewissen Lehren nicht überzeugen, sie nicht so sehr, als wir es wünschten, uns aufklären, nicht alle Zweifel dagegen heben können; c10 zur billigern Beurtheilung derer, die über gewisse Lehrenc11 anders denken als wir; c12 zur Absonderung unnützer oder entbehrlicherer Untersuchungen. †)c13 Und wie viele neue Aufschlüsse gewährt 5) eine solche Vergleichung und Zusammenstellung?c14 die so viele Vorurtheile, Irrthümer und Zweifel verdrängen /akönnen.c15 Denna\a16 wodurch anders gelangen wir zu solchen erweiterten und mehr geläuterten Einsichten, als durch Vergleichung mehrerer Sätze, und ihrer Bestandtheile, mit einander? ††)c17

|c169| /c†)c\c18 Man denke hier an den so /cäusserst zweydeutigenc\c19 Streit über Grund- und Nebenartikel des christlichen Glaubens (articulos fundamentales primi und secundi ordinis und non fundamentales), und an den unverständigen höchst schädlichen Eifer, der menschliche Vorstellungen von christlichen Lehren mit |b195| diesen selbst, der Wichtigkeit nach, in /ceine Classec\c20 setzte, auf einer, wiea21 auf der andern Seite, an die Kälte und |a462| Gleichgültigkeit gegen gewisse Lehren, sowohl als an den Unverstand, eine Lehre selbst zu verwerfen, wenn eine Vorstellungsart davon verwerflich ist. Die Lehren von dem göttlichen Ansehen der heiligen Schrift und ihrer göttlichenc22 Eingebung; von dem moralischen Verderben der Menschen, der Erbsünde und der Zurechnung des Falles Adams, und so viele andrec23, mit den verschiednenc24 Vorstellungen davon, die keinesweges zusammen stehen und fallen, können hier zum Beyspielec25 dienen.
††)c26 Gute und schlechte Beyspielec27 dieser Aufklärung christlicher Lehren sind bekannt genug. Wie ärmlich und willkührlichc28 sieht die Lehre von der Eingebung der heil.c29 Schrift vor der letztern Zeitc30 des vorigen Jahrhunderts aus, gegen die Gestalt, die sie seitdem, zumal in den neuesten Zeiten, /calsc\c31 in Töllnersc32 Buch von der göttlichen Eingebung, gewonnen hat? Wie ganz anders erscheinen uns jetzt die Lehren von der wahrhaftigen Göttlichkeit des Christenthums, von der Deutlichkeit der heil.c33 Schrift, von der göttlichen Vorhersehung der freyenc34 Handlungen der Menschen, von der göttlichen Vorsehunga35, von den göttlichen Strafen, von der Versöhnung Christi und seinem thätigen und leidenden Gehorsam, von der wahren Besserung des Menschen, und dem, was dabeyc36 Gottes und des Menschen ist, von dem Glauben und der möglichen Seligkeit derer, die keine Gelegenheit gehabt habenc37 das Christenthum kennen zu lernen, |b196| von der steten Fortdauer der Strafen nach dem Tode, und mehrere andrec38? die alle so laut für den Nutzen der systematischen Untersuchungen sprechen.
a1: 427 c2: andere c3: auch c4: kann c5: beitragen, theils c6: eben sowohl c7: als c8: Gelehrte c9: theils c10: theils c11: Punkte c12: endlich c13: 1) c14: Zusammenstellung, c15: können! a16: können; denn c17: 2) c18: Anm. 1) c19: äußerst zweideutigen c20: Eine Klasse a21: und c22: unmittelbaren c23: andere c24: verschiedenen c25: Beispiele c26: 2) c27: Beispiele c28: willkürlich c29: heiligen c30: Hälfte c31: z. B. c32: Töllner's c33: heiligen c34: freien a35: Fürsehung c36: dabei c37: haben, c38: andere

|a463| |c170| 141a1.

Alle diese Vortheile kanc2 die systematische Theologie, zur bessern Erkenntniß des Christenthums, leisten. Sie erleichtert aber auch das gründliche Studium der Religion, besonders angehenden Theologen. /aDenna\ 6) schona3 für den langsamen Kopf, und eben so sehr für jeden, der noch zu wenig Bekanntschaft mit der heiligen Schrift und deren rechtem Verstande, mit Philosophie, mit Geschichte der Lehre und den so vielfältigen Versuchen gelehrter Theologen, das Christenthum aufzuklären, noch zu wenig feste Grundsätze und Uebung im Denken, und /aina\ reifer, nüchterner Prüfung, hat, ist es ein großera4 Vortheil, wenn ihm Andrec5 darin mit Sammlung dessen, was am bewährtesten erfundena6 worden, mit eignerc7 Untersuchung, vorarbeiten, ihm durch ihr eigenes Beyspielc8 die rechte Art zeigen, wie er, aufs sicherste und überzeugendste, Untersuchungen über die Religion und das Christenthum anstellen müsse, ihn dadurch fürc9 Dünkel und zu rascher Entscheidung einerseits, und andererseitsa10 fürc11 Trägheit beyc12 dem einmal Gelernten, verwahren. 7) Er bekommt dadurch eine allgemeinere und geschwindere Uebersicht des Ganzen, an die er hernach viel leichter seine übrigen erlangten Kenntnisse und Untersuchungen knüpfen und ordnen kanc13. 8) Er wird durch ein wohleingerichtetes |b197| System von dem Leichtern zum Schwerern fortgeführt, oder doch, beyc14 der zusammenhängenden Stellung der Lehren, durch das Vorhergehende |a464| zu dem Nachfolgenden zubereitet. Er gewöhnt sich, durch einen solchen erläuternden und mit Beweisen unterstützten Commentar über die biblischen Lehren, gleich anfangs zu deutlichen und bestimmten Begriffen, die ihn gegen seichte Erkenntniß, Ausschweifungen der Phantasie, halbwahre Zweifel, und |c171| mehrere dergleichen Uebel, sichern. 9) Der stete Zusammenhang, verbunden mit solchen deutlichen Begriffen, gewährt einem Selbstdenkenden und nach gründlicher Kenntniß Durstenden ein großesa15 Vergnügen, macht ihm das Studium der Religion selbst interessanter, und befördert dadurch zugleich seinen Fleiß. Auch drückt sich 10) das, was man so imc16 Zusammenhang gebracht hat, viel tiefer ein, und setzt uns in den Stand, das leichter zu behalten, und sich /adessena\ eher wieder zu erinnern, als was man nur einzeln und stückweise gelernt hat.

a1: 428 c2: kann a3: Schon a4: grosser c5: Andere a6: befunden c7: eigener c8: Beispiel c9: vor a10: anderseits c11: vor c12: bei c13: kann c14: bei a15: grosses c16: in

142a1.

Freylichc2 führt dieser systematische Vortrag des Christenthums auch manches Unbequeme mit sich, und veranlaßt oft genug Uebel, die der rechten Erkenntniß desselbena3 nachtheilig werden. – Die Bequemlichkeit, die er verschafft, und das Vertrauen auf Andrerc4 Vorarbeit, verleitet sehr leicht zur Trägheit, hemmt den Trieb zu eignerc5 Untersuchung, und zieht blinde Anhänglichkeit an |b198| dem System nach sich. – Nur zu oft wird darüber das Schöpfen aus der Quelle, das Studium der heiligen Schrift, vernachläßigtc6; man be|a465|gnügt sich mit Beweisen aus der Natur der Sache und aus dem Zusammenhang der Lehren, und, anstatt das System nach der heiligen Schrift zu bilden, trägt man aus jenem den Sinn in diese hinein; wenigstens hindert die stete Rücksicht auf das System, wogegen man nicht verstoßena7 will, das recht unbefangnec8 Forschen in der Bibel. – Und da man in dem System, nebst den christlichen Lehren, auch menschliche Vorstellungen davon vorträgt: so wird man gar leicht verführt, einerleyc9 Gewißheit und Wichtigkeit diesen wie jenen beyzulegen,c10 und dies verursacht wieder den Schaden, daß die oft gerechten Zweifel gegen solche |c172| menschliche Begriffe, zur Bestreitung der christlichen Lehren selbst gebraucht werden. – Endlich scheint dabeyc11 die Fruchtbarkeit und das eigentlich Praktische der Religion, nebst der Anwendung des Christenthums auf unsrec12 Besserung und Beruhigung, zu leiden. Denn je mehr Fleiß auf die Speculation verwendet wird, jec13 mehr wird gemeiniglich die Anwendung, und, über dem Streben nach Deutlichkeit und Gewißheit, die Beförderung des Eindrucks, den die Lehren machen sollten, vergessen. Und, weil die Untersuchungen in dem System durch Streitigkeiten über einzelnea14 Lehren und durch die Umstände der Zeit, wo sie für nothwendig befunden wurden, veranlaßt worden sind: so sind viele, zum Theil wichtigere, Untersuchungen ganz versäumt, viel Un|b199|nützes, wenigstens für uns Entbehrliches, in das System getragen, auf Vieles ein Gewicht gelegt worden, was ihm nur die Zeitumstände |a466| und Leidenschaften der Menschen gaben, und das Christenthum ist durch die Ideen gewisser Schulen, Völker und Zeiten so verstelltc15, der Vortrag so dürre, und durch den Gebrauch der Schulausdrücke so unverständlich wordenc16, daß man oft Mühe hat, die einfältige Lehre Christi darin wieder zu finden.

a1: 429 c2: Freilich a3: derselben c4: Anderer c5: eigener c6: vernachlässigt a7: verstossen c8: unbefangene c9: einerlei c10: beizulegen; c11: dabei c12: unsere c13: desto a14: einzle c15: entstellt c16: geworden

143a1.

Alles dieses ist wahr;c2 ob es gleich von den Feinden der systematischen Lehrart und eines besondern Systems selbst, sehr übertrieben, und zu gar zu einseitiger Beurtheilung derselben angewendet wird. – Billig fordern solche Gegner, daß sie gehört, daß die Fehler gebessert werden, die dieser Lehrart und einem besondern System ankleben. Aber eben so gerecht ist die Forderung, die großena3 Vortheile dieser Lehrart nicht zu verleugnenc4, die vorhin dargestellt wurden, und das nicht zu verkennen, was selbst die syste|c173|matische Behandlung der christlichen Lehren zur Beförderung desjenigen /cbeytragen kanc\c5, wovon man sich einbildet, daß es durch diese Behandlung verhindert /cwerde †). Jac\c6 diese Forderung ist beyc7 einzelnena8 Systemen um so gerechter, je mehr man wahrnimmt, daß die Meisten, welche sie so schnell verurtheilen, sich nicht einmal die Mühe gegeben haben, den wahren Sinn gewisser Vorstellungen und die Einschränkungen zu studierenc9, mit |b200| welchen man sie in dem System /cbehauptet ††);a10 c\c11 als wozu eine viel ausgebreitetere Belesenheit, |a467| eine weit größerea12 Biegsamkeit der Seele, um sich in Andrerc13 Vorstellungen hineinzudenken, mehr bedachtsame Prüfung und weit mehr historische, philologische und philosophische Kenntnisse gehören, als diese zu raschen Richter verrathen. †††)c14

/c†)c\c15 So vermindert z. B. die systematische Behandlung des Christenthums nicht nothwendig den Fleiß, den man auf das Studium der Bibel wendet. Vielmehr, wenn man aus dem System sieht, wie getheilt die Christen über gewisse Stellen und Lehren der Bibel gewesen sind: so wird man nicht nur auf manchen Sinn geführt, der uns vorher gar nicht einfiel;a16 man wird auch ermuntert, recht genau die Bibel zu studieren, um unter so verschiednenc17 Vorstellungen zu entscheiden, und eine recht feste, auf allen Seiten wohl verwahrte, Ueberzeugung von dem richtigen Sinn und dessen Gründen zu erhalten. Und wenn man beyc18 dem System findet, wie sehr Einc19 Satz /cdem Andernc\c20 einschränke, und auf wie grobe Irrthümer oder unauflösliche Zweifel man gerathen würde, wenn man die biblischen Sätze so gerade nähme, wie sie sich uns zuerst darstellen: so wird man ja viel vorsichtiger, /cnicht geradezuc\ einen gutscheinenden Sinn c21 zu billigen, und keine Ideen an gewisse Sätze der Bibel zu hängen, die hernach diese Sätze mit andern in Widerspruch bringen. Was kanc22 uns von dem so verführerischen Vorurtheil: man müsse sich einfältig an den Buch|c174|staben der heil.c23 Schrift halten, |b201| und einfältig glauben,c24 was kanc25 uns davon abbringen, als eben die Bemerkung, die das System so augenscheinlich macht, zu was für Irrthümern und Widersprüchen uns die Befolgung dieses Grundsatzes verleite?
|a468| ††)c26 Zum /cBeyspiel kanc\c27 hier die Lehre der evangelischen Kirchen von der Versöhnung der Menschen mit Gott durch Jesum Christum, und von der Rechtfertigung allein durch den Glauben, dienen, gegen welche viele noch immer den Vorwurf erneuern, daß sie die Sicherheit der Menschen befördrec28, und der Nothwendigkeit der Heiligung Eintrag thue; desgleichen die Fragen: von Nothwendigkeit der guten Werke (der Tugend) zur Seligkeit, und des Glaubens an Jesum Christum zu jeder guten That,c29 von der Seligkeit derer, die das Christenthum nie gekannt haben, und dera30 Satz, daß ihre Tugenden splendida vitia wären (Fehlera31 oder Mängel, die besser zu seyn scheinen, als sie sind). – In diesem Fehler liegt der Grund zu aller Verketzerung/a, der sich übereilte und halbgelehrte Reformatoren eben so leicht schuldig machen, als im Gegentheil Andere, die steif an den gewohnten Vorstellungen von gewissen Lehren hängena\.
/c†††) Denn, wasc\c32 man System überhaupta33 nennt – undc34 die obigen Einwürfe sind ja gegen allesc35 gerichtet, was so heißt – ist nicht einerleyc36 mit dem besonderna37 System einer gewissen Kirche oder eines besondern Lehrers. Wer also einzelnea38 Lehren, wie sie philosophisch und im Zusammenhange mit andern vorgestellt worden sind, beurtheilen will, muß nicht |b202| bloß Eine oder Einec39 und die Andrec40 Vorstellung, sondern eigentlich alle Versuche kennen, die man zur Aufklärung einer Lehre gemacht hat;a41 und dazu gehört keine geringe Belesenheit, Scharfsinn, Fähigkeit, sich in Andrerc42 Gedanken zu versetzen /cu. d. gl.c\c43 Welch eine ganz andere schrift- und vernunftmäßige Gestalt haben gewisse Lehren unter den Händen gelehrter und scharfsinniger Lehrer bekommen, zumala44 je nachdem durch Streitigkeiten nähere Veranlaßungac45, darüber weitere Unteruchungen anzustellen, entstanden war! |c175| Wie groß erscheint z. B. Leibnitz auch in den Erklärungen, die er über gewisse hergebrachte und angefochtene |a469| Vorstellungen in der Theologie, gelegentlich in seinen Schriften eingestreuet hat!
a1: 430 c2: wahr, a3: grossen c4: verläugnen c5: beitragen kann c6: werde. 1) Ja, c7: bei a8: einzlen c9: studiren a10: ††), c11: behauptet; 2) a12: grössere c13: Anderer c14: 3) c15: Anm. 1) a16: einfiel, c17: verschiedenen c18: bei c19: ein c20: den andern c21: nicht geradezu c22: kann c23: heiligen c24: glauben – c25: kann c26: 2) c27: Beispiel kann c28: befördere c29: That; a30: den a31: (Fehler, c32: 3) Was a33: überhaupt c34: denn c35: Alles c36: einerlei a37: besondern a38: einzele c39: eine c40: andere a41: hat, c42: Anderer c43: u. dergl. a44: zumahl ac45: Veranlassung

144a1.

Freylichc2 sind alle menschliche Werke unvollkommen, und die besten Unternehmungen dem Mißbrauch ausgesetzt: soll man aber deswegen lieber nichts versuchen, weil es doch immer nur Stückwerk seyn wird? Odera3 haben die Gegner der systematischen Theologie nicht auch schon einmal ihre Parteyac4 genommen, ohne die Sachen aufsc6 Neue nach der heiligen Schrift zu untersuchen? Habena7 sie nicht auch Ihrc8 System, das sie oft in die heilige Schrift hineintragen? Unda9, wenn die Natur eines Systems zu gewissen besondern Fehlern leicht verführt,c10 giebts nicht wieder andrec11 gleich schädliche Fehler, in die man um so eher verfällt, je weniger man gewisse Sätze im System versteht? verworrnec12 Begriffe z. B. |b203| und daher entstehende Zweydeutigkeitc13, falsche damit einschleichende Nebenvorstellungen, Widersprüche, welchen man die Lehren aussetzt /au. d. gl.a\a14 /cUnd jenenc\c15 Fehlern des Systems, nebst dessen zufälligem Mißbrauch läßt sich doch abhelfen, wenn man /cfolgendec\c16 Regeln nicht aus den Augen läßt:c17

⌇⌇c /cDiec\c18 zugleich dienen /ckönnenc\, theils den Werth besondrerc19 Systeme, und der Verfahrungsart beyc20 Aufklärung einzelnera21 Lehren zu bestimmen; theils Vorsichtigkeit zu befördern, wenn man sich selbst sein System macht,c22 eine Pflicht, die jeder auf sich hat, wer /aeine gewissenhaftea\a23 Erkenntniß der Religion, und wer überall eigne Ueberzeugung sucht;c24 theils gerechter und billiger von denen zu urtheilen, die über gewisse Lehren oder deren Erweislichkeit anders c25 denken /cwie wirc\.
a1: 431 c2: Freilich a3: oder ac4: Parthey (a); Partei (c) c6: auf's a7: haben c8: ihr a9: und c10: verführt: c11: andere c12: verworrene c13: Zweideutigkeit a14: u. d. gl.? c15: Jenen c16: nur die itzt näher anzudeutenden c17: läßt. c18: Sie können c19: besonderer c20: bei a21: einzler c22: macht – a23: nach einer gewissenhaf|a470|ten c24: sucht; – c25: als wir

|c176| 145a1.

Zuerst /cmüßte man überall beyc\c2 einem christlichen System c3 die heilige Schrift zum Grunde c4 legen. Es kommt aber dabeyc5 so viel auf die Art an, wie dieses geschieht, und es werden dabeyc6 so manche unerkannte Fehler begangen, so manche Sätze und Beweise für biblisch ausgegeben, die nichts weniger als biblisch sind, daß es sehr der Mühe werth ist, diesen rechten Gebrauch der heiligen Schrift,c7 zu dieser Absicht etwas bestimmter anzugeben. /cHier müßtec\c8 1) zuvörderst ausgemacht seyn, ob das zur heiligen Schrift, wie sie hier gebraucht werden soll, gehöre, was man dahin rechnet. Denn es versteht sich a) von selbst, wenn eine Leseart unsrerc9 gedruckten Bi|b204|beln falsch oder unsicher, und eine Stelle unächtc10 ist, daß man darauf auch im System nichts bauen /cdürfe †)c\c11 (§. 24).ac12 b) Eben so viel aber, und noch weit mehr, kommt darauf an, daß man überzeugt seyc14, was in der heiligen Schrift als Quelle der Belehrung für Christen angesehen werden müsse. Denn wenn man /aerwegtc15: –a\a16 daß Gott seine in der heiligen Schrift enthaltnenc17 nähern Offenbarungen nach und nach und immer stufenweisea18 deutlicher bekannt gemacht habe; /aa\ daß Jesus und seine |a471| Apostel selbstc19 theils von den Offenbarungen im alten Testamentc20 als von einem noch /cunvollkommnen Unterichta21 c\c22 sprechen, theils ganz /candre Gesinungena23 c\c24 von Christen fordern, als sich zu den Zeiten des alten Testaments fanden (Luc. 9, 54–56. Joh. 1, 17. Gal. 3, 23–25. K. 4, 9 f. Ebr. 8, 6. 12, 18–24); – daß das alte Testament doch eigentlich für Israeliten, als ein besondresc25 Volk Gottes, bestimmt war, und augenscheinlich nach israelitischen Nationalumständen und Bedürfnissen eingerichtet /cista26 ††);c\c27 /aa\ daß hingegen die eigentliche Belehrung für Christi Schü|c177|ler in dem Unterricht ihres Stifters und Herrn und seiner unmittelbaren Schüler gesucht werden müsse, und diese Reden in den Schriften des neuen Testamentes vorkommen: so kanc28 der großea29 Unterschied zwischen den Büchern a30 neuen und alten Testamentes, als einer Quellec31 und als eines für Christen unmittelbar verbindlichen Unterrichts, nicht geleugnetc32 werden.

|b205| /c†)c\c33 Z. B. Röm. 8, 11.a34 διὰ τοῦ ἐνοικοῦντος πνεύματος ἐν ὑμῖν statt der bessern διὰ τὸ ἐνοικοῦν πνεῦμα ἐ. ὑ. Matth. 5, 22ac35 εἰκῆ. Joh. 5, 4c36 u. a.
/c††) S. Die Schriften des A. T. nach ihrem Inhalt und Zweck bearbeitet - - von W. F. Hufnagel, Erstes Bändchen, Erlangen 1784. 8.c\c37
a1: 432 c2: ist bei c3: überall c4: zu c5: dabei c6: dabei c7: Schrift c8: Es muß c9: unserer c10: unecht c11: dürfe. 1) ac12: 311.). (a); 24.) (c) c14: sei c15: erwägt a16: erwegt, c17: erhaltenen a18: stuffenweise c19: selbst, c20: Testament, a21: Unterricht c22: unvollkommenen Unterricht, a23: Gesinnungen c24: andere Gesinnungen c25: besonderes a26: sey c27: ist; 2) c28: kann a29: grosse a30: des c31: Erkenntnißquelle c32: geläugnet c33: Anm. 1) a34: 11 ac35: 22. c36: 4. c37: 2) Mehr hierüber bei §. 147 f.

146a1.

Nur aus den Zeugnissen der ältern jüdischen und christlichen Kirche c2 wissen /cwir alleinc\, |a472| welche Bücher von solchen Männern herrühren, die, als göttliche Gesandtenc3, die Lehren der göttlichen Offenbarung im alten und neuen Testament zuerst bekannt gemacht /chaben; und inc\c4 dieser zwiefachen Kirche hat es /cunleugbar verschiednec\c5 Meinungen über das göttliche Ansehen einzelnera6 Bücher gegeben, aus welchen man die erste Kenntniß jener Lehrea7 schöpfen könne, ohne daß man jemanden, der darüber anders als Andrec8 dachte, des Namens eines Juden oder Christen unwürdig gehalten hätte, – zumahlc9 da nie ein göttlichesa10 Zeugniß diese Frage entschieden hat. So gewiß es auch ist, daß einige Bücher der heiligen Schrift (als die Bücher Mosis, die Evangelien, und manche Briefe des neuen Testaments) in der Absicht geschrieben worden sind, die Lehren der den Juden und Christen mitgetheilten göttlichen Offenbarung zuerst schriftlich bekannt zu machen,c11 und für die Nachwelt zu erhalten: so wenig läßt sichsc12 doch von andern, zumahlc13 historischen, bewei|c178|sen, die aber deswegen immer glaubwürdig sind, auch in |b206| einzelnena14 Stellen solche Lehren enthalten, und, wenn sie auch nicht eigentlich in jener Absicht geschrieben sindc15, doch von Gott als ein Mittel gebraucht werden konnten, die Aufschlüsse, die er den Menschen über die Religion geben wollte, auszubreiten und fortzupflanzen. Da aber viele dieser Bücherc16 oder die darin erzählten Reden der göttlichen Gesandten, an gewisse besondrec17 Arten von Lesern oder Zuhörern gerichtet, und nach deren besondern Fähigkeiten, |a473| Kenntnissen und Bedürfnissen vorgetragen, folglich, nur denc18 Inhalt nach, auch für andrec19 Arten von Lesern, hingegen, der Einkleidung nach, oft nur für die damaligen Leser oder Zuhörer bestimmt sind: so läßt sich hieraus, so wie aus dem Uebrigen vorher Gesagten, schließena20, daß weder alle Bücher der heiligen Schrift, noch alle Stellen derselben, noch vielwenigera21 alle Worte, geradezu als ein Grund angesehen werden können, worauf sich die ungezweifelte Erkenntniß des Christenthums bauen läßt. c22

cAnm. 1) Neben den Zeugnissen der Kirche ist allerdings auch die Kritik als Prüfungsmittel zu nennen, wiewohl neuerdings besonders die sogenannte höhere sich oft mehr anmaßt, als sie billig sollte, besonders wo die kirchliche Ueberlieferung sie behutsam machen müßte. A. d. H.c
c23 Was hier nur ganz im Allgemeinen gesagt ist, soll die Vorsichtigkeit in der Wahl des Beweises der göttlichen Lehren empfehlen, und die Zweydeutigkeitc24 des Begriffs von dem, was biblisch ist, begreiflich machen;a25 welcher Begriff eben sowohl nur von dem gebraucht wird, was in der Bibel steht, als von dem, was uns Gott darin über seinen Willen geoffenbart hat. Die Gränzen näher zu bestimmen, wo sich beydesc26 scheidet, verdiente gar sehr eine |c179| recht genaue und vorsichtige Bestimmung, wozu hier der Ort nicht ist.
a1: 433 c2: können wir c3: Gesandte c4: haben. 1) – In c5: aber unläugbar verschiedene a6: einzler a7: Lehren c8: Andere c9: zumal a10: göttlich c11: machen c12: sich's c13: zumal a14: einzlen c15: wurden c16: Bücher, c17: besondere c18: dem c19: andere a20: schliessen a21: viel weniger c22: 2) c23: 2) c24: Zweideutigkeit a25: machen, c26: Beides

|b207| 147a1.

Wenn ausgemacht ist, daß etwas in dem §. /c145a2 angegebnenc\c3 Sinn zur heiligen Schrift gehöre: so tritt die 2tec4 Hauptfrage (§. 145ac5) ein: wie nun die Kenntniß der Lehren aus der heiligen Schrift zu schöpfen /csey? Diesc\c7 gründet sich auf die richtige Erklärung der heiligen Schrift, und diese lediglich auf ihren erweislichen Sprachgebrauch. Man kanc8 daher das früh|a474|zeitige Studium der Bibel und ihres Sprachgebrauchs nicht genug empfehlen, um so mehr, als sonst auch das unbefangenste Gemüth durch einen bereits empfangenen systematischen Unterricht gar zu leicht verstimmt und verleitet werden kanc9, gewisse Lehren in der Bibel zu suchen, anstatt sie, ohne Rücksicht auf ein vorgefaßtes System, so aus der Bibel anzunehmen, wie man sie darin findet. Was über das Auffinden des wahren biblischen Sprachgebrauchs zu sagen wäre, ist überhaupt schon oben beyc10 der exegetischen Theologie angegeben. Hier nur einige Anmerkungen über die Auffindung des christlichen Lehrbegriffs in der Bibel, und einige dabeyc11 gar zu oft übersehene Fehler.

c12 Hier ist noch viel zu leisten übrig, und die Sache ist für den christlichen Lehrbegriff von äussersterc13 Wichtigkeit, wenn man nicht aufc14 Gerathewohl handeln, oder der Bibel seine eigeneac15 Begriffe unterschieben, und wenn man das viele willkührlichec17 Gerede über reinbiblischec18 Theologie gehörig sichten will. Nie können die wichtigsten Streitigkeiten |b208| über biblische Lehren aus dem Grunde gehoben werden,c19 nie werden harte Urtheile über Dissentirende aufhören, ehe man diese Begriffe nicht vorsichtig und nach festen Regeln aus der Bibel auffindet und klar macht, wie weit, |c180| und warum man nicht weiter in Bestimmung der biblischen Begriffe gehen dürfe. Noch enthält unsre Hermenevtikc20 keine solche hinlängliche Regeln,c21 aber man hat einige sehr gute Versuche über einzelnea22 biblische Begriffe. Ich muß mich sehr irren, oder ältere christliche Theologen haben hierin gar nichts geleistet;a23 /cunsre ältere sprachkundige protestantischec\c24 Theo|a475|logen etwas weniges mehr, aber nur wenig, z. B. über den Begriff der δικαιωσεως; viel mehr einige Theologen unsrerc25 Zeit. Ernesti hat in seiner vortreflichenc26 Institutione interpretis N. T. und seiner theologischen Bibliothek zuerst die Bahn geöfnet;ac27 weiter sind nur wenige, meistens einige seiner würdigen Schüler, gegangen, besonders W. A. Teller, (zum Theil auch einige, /cdie gegenc\c29 sein Wörterbuch geschrieben haben,)c30 Morus (selbst in Absicht auf Regeln)c31 und Tittmann, in einzelnena32 kleinen /cSchriftenc\c33. Ich gebe hier einen schwachen Versuch, der jedem bessern und vollständigern gern Platz machen will.
a1: 434 a2: 432 c3: 145. angegebenen c4: zweite ac5: 432 (a); 145. (c) c7: sei? Dieß c8: kann c9: kann c10: bei c11: dabei c12: Anm. c13: äußerster c14: aufs ac15: eigne (a); eigenen (c) c17: willkürliche c18: rein-biblische c19: werden; c20: Hermeneutik c21: Regeln; a22: einzle a23: geleistet, c24: unsere älteren sprachkundigen protestantischen c25: unserer c26: vortrefflichen ac27: geöfnet, (a); geöffnet; (c) c29: die, wie Campe, über c30: haben), c31: Regeln), a32: einzlen c33: Schriften, so wie Alle, die das Temporelle und Lokale in der Schriftlehre, desgleichen den Unterschied zwischen Hauptlehren und Introductionslehren des Christenthums näher erörtert haben

148a1.

Da sich die heilige Schrift so oft über unsichtbare und geistige Sachen sinnlich ausdruckta2, so /cwäre I)c\c3 vor allen Dingen zu untersuchen, ob die Wörterc4 und Redensartenc5, worauf man bauen will, eigentlich oder uneigentlich zu nehmen /awärenc6. |b209| Denna\a7 wärec8 das Letztrec9, so würde man, wenn man sie eigentlich nähme, Sätze der heiligen Schrift beylegenc10, die gar nicht darin behauptet wären, /cund wäre das Erstere,c\c11 Sätze übersehen, die sie wirklich hätte lehren wollen. Sehr oft läßt sich diesc12 gleich unterscheiden, wenn entweder die Natur der Sache die eigentliche Bedeutung nicht /czuläßt †),c\c13 oder durch beystehendec14 Anzeigen ††)c15 oder Anspielungen †††)c16 zu |c181| erkennen gegeben wird, ob es eigentlich oder uneigentlich gemeint seyc17. Giebt aber beyderleyc18 Bedeutung einen denkbaren Sinn:c19 so muß der Vorzug des einen vor dem andern entschieden |a476| werden, nach der eignenc20 Erklärung der heiligen Schrift in der Stelle selbst und in ihrem /cZusammenhang *),c\c21 oder in offenbar ähnlichen /cStellen **),c\c22 oder nach dem Zweck eines /cAusspruchs ***),c\c23 oder nach dem Sinn des Wortes in ähnlichen Verbindungen, und dem beyc24 den letztern üblichen eigenthümlichen Sprachgebrauch der heiligen Schriftsteller. ****)c25

/c†)c\c26 Z. B. zur rechten Hand Gottes sitzen; theilhaftig werden der göttlichen Natur 2 Petr. 1, 4.c27 /adesgl.a\ Ephes. 5, 27 und 30.
††)c28 Ephes. 2, 22. 4, 14. Kap. 3, 17c29, vergl. mit 2 Tim. 1, 15c30, und Koloss. 3, 16. Röm. 12, 1c31, und Ebr. 13, 15. Kol. 2, 11.
†††)c32 So θάνατοςa33 eigentlich Röm. 5, 12c34 wegen Anspielung auf 1 Mos. 2, 17. 3, 19c35; hingegen Joh. 8, 44c36 ἀνθρωποκτόνος, und Ebr. 2, 14c37 τὸ κράτος ἔχων τοῦ θανάτου uneigentlich, wegen der Anspielung auf 1 Mos. 3.
|b210| *)c38 So ist 1 Petr. 5, 8c39 uneigentlich zu nehmen, weil es Petrus v.c40 9.a41 durch παθήματα erklärt; hingegen Joh. 5, 21 f. die Auferweckung der Todten eigentlich, wegen der Verbindung mit dem Gericht /cv. 22c\c42 und den /cv. 28c\c43 erwähntena44 Gräbern. Röm. 6, 8c45 ist so wenig als Kap. 8, /c10 und 11c\c46, oder Eph.c47 2, 5 f. von Hoffnung unsrerc48 künftigen Auferstehung gesagt, sondern von der geistlichen Auferstehung und dem Leben zur Ehre Gottes, weil es der ganze Zusammenhang giebt. So zeigt auch die ausdrückliche Erklärung Pauli 2 Kor. 4, 6c49 warum Christus /cv. 4c\c50 εἰκὼν τοῦa51 Θεοῦ heissec52, und daß es da im uneigentlichen Sinn zu nehmen seyc53, vergl. v.c54 3 und 4.
|a477| **)c55 Röm. 6, 6c56 zum Beyspielc57, /adesgl.a\ v. 12c58 und 13c59, und K. 7, /c24 kanc\c60 man unmöglich leugnenc61, daß da,a62 nicht vom sterblichen Körper, sondern von den Tod bringenden |c182| (ins Verderben stürzenden) Lüsten die Rede seyc63, wenn man nicht nur den ganzen Zusammenhang vergleicht, sondern auch findet, daß Paulus Kol. 3, 5c64 τὰ μέλη durch πορνείαν u. s. w. erklärt, und damit Matth. 5, 29 und 30c65 zusammenhält.
***)c66 So würde, wenn es nicht schon das so eben Gesagte lehrte, Matth. 5, 29c67 und 30c68 nicht anders als uneigentlich können genommen werden, weil, wenn man es eigentlich nehmen wollte, der Zweck, wozu dieses Mittel vorgeschlagen wird, dem Zweck /adieser Regel Jesua\ nicht entspräche,c69 verglichen mit Christi eignen Worten /cv. 28c\c70 am Ende.
****)c71 Die Juden sprachen z. B. von allem Unglück und Sünden so, vermuthlich wegen 1 Mos. 3, |b211| als wenn der Teufel dieses alles in die Welt gebracht hätte, so wie sie alles Gute und alles Glück Gott beylegtenc72. Diese Art zu reden behält die heil.c73 Schrift, z. B. von Gott, 2 Kor. 8, 1 und 16. /aKap. 14;c74 a\a75 vom Teufel Ebr. 2, 14. Joh. 13, 2. Apostelgesch.a76 5, 3. 2 Kor. 12, 7 etc.c77 legt ihra78 aber ohne Zweifel einen uneigentlichen Sinn unter, wie /az. B.a\ beyc79 dem Tode, als einer natürlichen Veränderung des Menschen, beyc80 den Sünden der Menschen, die sonst nicht ihnen könnten zugerechnet werden, und aus 1 Petr. 5, 8ac81 verglichen mit V. 9c83 offenbar ist. Wegen dieses beständig uneigentlichen Sprachgebrauchs in solchen Redensarten, würde man sie in andern Redensarten eben derselben Art eben so uneigentlich erklären müssen, wie man im Gegentheil die Versöhnung der Menschen mit Gott durch Christum immer von seinen Leiden und Todea84, nicht von seiner Lehre, also eigentlich, erklären muß, weil die heil.c85 Schrift so beständig |a478| diese Versöhnung dem Tode und Blute Christi, niemals seinera86 Lehre, zuschreibt. Nach eben dieser Bemerkung würde ich Apostelgesch.c87 5, 4ac88 ἐψεύσω τῷ Θεῶc90 /anicht eigentlich von Gott, sonderna\ uneigentlich von den Aposteln, als Gottes Gesandten, erklären müssen, weil es in ähnlichen Redensarten so geschehen |c183| muß,c91 z. E. Apostelgesch. 7, 51c92 ἀντιπίπτειν τῷ Πνεύματιc93 welches durch διώκειν τοὺςc94 προφήταςa95 /cv. 52a96 c\c97 erklärt wird.
c⌇⌇c {Ob ich gleich gestehe, daß mir nicht jede dieser Erklärungen einleuchtet, so habe ich doch Bedenken getragen, dem sel. Verfasser meine Ansichten unterzuschieben, oder hier darüber zu streiten. Die Hauptregel steht fest, wenn auch nicht jedes Beispiel für sie beweiset. A. d. H.}c
a1: 435 a2: ausdrückt c3: ist I. c4: Wörter c5: Redensarten c6: sind a7: wären; denn c8: ist c9: Letztere c10: beilegen c11: im ersteren Fall aber c12: dieß c13: zuläßt, 1) c14: beistehende c15: 2) c16: 3) c17: sei c18: beiderlei c19: Sinn, c20: eigenen c21: Zusammenhang, 4) c22: Stellen, 5) c23: Ausspruchs, 6) c24: bei c25: 7) c26: Anm. 1) c27: 4., c28: 2) c29: 17. c30: 15. c31: 1. c32: 3) a33: θανατος c34: 12. c35: 19. c36: 44. c37: 14. c38: 4) c39: 8. c40: V. a41: 9 c42: V. 22. c43: V. 28. a44: erwehnten c45: 8. c46: 10. u. 11. c47: Ephes[.] c48: unserer c49: 6., c50: V. 4. a51: του c52: heiße c53: sei c54: V. c55: 5) c56: 6. c57: Beispiel c58: 12. c59: 13. c60: 24. kann c61: läugnen a62: da c63: sei c64: 5. c65: 30. c66: 6) c67: 29. c68: 30. c69: entspräche; c70: V. 28. c71: 7) c72: beilegten c73: heilige c74: 14.; a75: 9, 14, a76: Apostelgesch[.] c77: etc., a78: ihm c79: bei c80: bei ac81: 8, (a); 8. (c) c83: 9. a84: Tod c85: heilige a86: seine c87: Apostelgeschichte ac88: 4: (a); 4. (c) c90: Θεῷ c91: muß; c92: 51. c93: Πνεύματι, c94: τὰς a95: προφέτας a96: 52. c97: V. 52.

149a1.

/cUndc\c2 nun denc3 Sinn solcher uneigentlichen Ausdrücke.c4 Dieser ist oft schon mitgefunden, |b212| wenn man den Grund gefunden hat, warum ein Ausdruck uneigentlich zu nehmen seyc5, wenigstens in den Fällen, wo man dieses Letztrec6 aus den eignenc7 Erklärungen der heiligen Schriftsteller, aus dem Zusammenhang oder der Absicht eines Satzes, oder aus dem uns bekannten jüdischen Gebrauch, erkannt hat. Ueberhaupt aber darf man nur immer /caufc\ die eignenc8 Erklärungen der heiligen /cSchriftsteller †), und,c\c9 wo die nicht gleich dabeyc10, oder im Zusammenhang sich finden, auf ähnliche /cStellen ††)c\c11 Acht haben. Schwerlich wird sich irgend ein tropischer Ausdruck finden, der die christliche Lehre angeht, welchen man nicht auf diese Art aus der Bibel selbst könnte verstehen lernen. Indessen haben manche solchec12 uneigentliche Ausdrücke verschiednec13 Bedeutungen, aus welchen man das herausziehen muß, was sie mit einander gemein haben. †††)c14 Hat man einmal einen Tropen verstehen gelernt:c15 so kanc16 man da|a479|nach /cähnliche *),c\c17 und eben so die mit ihm in einer Stelle verbundenen, erklären.

/c†)c\c18 So ist der innrec19 Mensch Röm. 7, 22c20 gewiß anders nichts, als /cv. 23c\c21 ὁ νοῦς, /ader Verstand,a\ so fern er Gottes Gesetze erkennt; Friede mit Gott habenc22 Römera23 5, 1c24 eben so viel, als keine Strafen von ihma25 fürchten /cdürfen v. 9;a26 c\c27 und aus eben diesem Zusam|c184|menhang, oder vielmehr /aausa\ Pauli Erklärungen, läßt sich der wahre Begriff von Versöhnung der Menschen mit Gott durch Christum abnehmen. Denn /cv. 10 heissenc\c28 καταλλαγέντες eben die, welche v.c29 9.a30 δικαιωθέντες heissenc31, oder solche, die nicht mehr als Strafwürdige von Gott behandelt werden, so wie sie vor Christi Tod |b213| v.c32 8. und 10c33 ἁμαρτωλοὶ (Strafwürdige)a34 und ἐχθροὶ (Feinde) heissenc35. Aus diesem Letztern ist zu ersehen, warum Paulus das Wort Versöhnen brauche, nemlichc36 weil man dieses von denen sagt, die vorher als Feinde angesehen wurden,c37 und demnach liegt in diesem uneigentlichen Ausdruck der Versöhnung weiter kein andresc38 Bild undc39 Aehnlichkeit, als diesc40, daß Gott uns, wegen des Todes Christi, nicht als Strafwürdigec41 oder Feinde behandeln wollea42.
††)c43 Der so eben angegebene Begriff von Versöhnung z. B. wird durch ähnliche Stellen augenscheinlich bestätigetc44. Denn 2 Kor. 5. heissenc45 die Versöhnten /cv. 19,a46 c\c47 Gerechtigkeit Gottes,c48 (Gerechte vor /cGott,) v. 21c\c49, und Gott versöhnte die Welt durch Christum mit /csich v. 19c\c50 erklärt Paulus gleich durch: er rechnete ihnen ihre Sünden nicht zu. Röm. 11, 15c51 wird καταλλαγὴ Κόσμουa52 durch ζωὴν ἐκ νεκρῶν erklärt (d. i. vermöge dieses Gegensatzes, die Heiden waren Todeswürdige, und ihnen ist nun das Leben zugesprochen); hingegen /cheis|a480|sen v. 28c\c53 die Juden,a54 Feinde,c55 (gerade wie Röm. 5, 10)c56 im Gegensatz gegen Beliebte (denen Gott wohl will); c57 also können Feinde nicht seyn die Gott hassen, und Versöhnung kanna58 nicht /cBesserung bedeuten,c\c59 sondern Feinde sind, an welchen Gott keinen Wohlgefallen haben kanna60. – So sind Ephes. 2, 1c61 und 5c62 Todte nicht: ganz Unfähige zu allem Guten, sondern Strafwürdige, nicht nur, weil sie /cv. 3c\c63 τέκνα ὀργῆς heissenc64, sondern auch, weil Kol. 2, 13c65 Lebendigmachen durch Sünde vergeben erklärt wird.
|c185| †††)c66 Ein Beyspielc67 ist der Name Kinder Gottes (S. meina68 Programm de nomine filiorum Dei, in /adena\ Opusculis /aFascicul. II. No. 13.).c69 a\a70 Dieser bedeutet |b214| bald den, der Gott gleich gesinnt istc71 Matth. 5, 45. 1 Joh. 2, 29c72, bald den, der das für wahr annimmt, was göttliche Wahrheit istc73 1 Joh. 4, 6c74, balda75 den, der eben so selig ist wie erc76 1 Joh. 3, 1. Röm. /c8, 17c\c77; also überhaupt, wer ihm ähnlich ist.
*)c78 Nach der vorstehenden Anmerkung wäre also klar, was das seyc79: der göttlichen Natur theilhaftig werdenc80 2 Petr. 1, 4c81, welches selbst die beygefügtec82 Erklärung lehrt;a83 von oben her geboren werdenc84 Joh. 3, 3c85; das Reich Gottes als ein Kind annehmen Marc. 10, 15. – Weiß man einmal, Joh. 14, /c23 heissec\c86 Gott wohnt beyc87 uns, so viel, als: er unterrichtet, belehrt uns,c88 (wie aus v.c89 22 und 26c90, vergl. mit v.c91 16 und /c17, desgleichenc\c92 aus Kap. 15, 7. Kol. 3, 16c93 und Ephes. 3, 17–19c94 offenbar ist): so weiß man auch, daß μένειν ἐν Θεῷ oder Χριστῶc95 Joh. 15, 3. 7c96 und anderwärts, nichts anders heissec97, als: sich an diese Belehrung halten,c98 und danach ist die ganze Allegorie Joh. 15, 1 f. zu verste|a481|hen; s. das Programm über diese Stelle in denc99 Opusc. /aFasc. II. N. 2.a\a100
a1: 436 c2: Doch – welches ist c3: der c4: Ausdrücke? – c5: sei c6: Letztere c7: eigenen c8: eigenen c9: Schriftsteller, 1) und c10: dabei c11: Stellen, 2) c12: solcher c13: verschiedene c14: 3) c15: gelernt, c16: kann c17: ähnliche, 4) c18: Anm. 1) c19: innere c20: 22. c21: V. 23. c22: haben, a23: Röm. c24: 1. a25: ihn a26: 9, c27: dürfen, V. 9.; c28: V. 10. heißen c29: V. a30: 9 c31: heißen c32: V. c33: 10. a34: (Strafwürdige[)] c35: heißen c36: nämlich c37: wurden: c38: anderes c39: der c40: dieß c41: Strafwürdige a42: will c43: 2) c44: bestätigt c45: heißen a46: 19 c47: V. 19., c48: Gottes c49: Gott), V. 21. c50: sich, V. 19. c51: 15. a52: Κοσμου c53: heißen V. 28. a54: Juden c55: Feinde c56: 10.), c57: und sie sind versöhnt, sobald dieß Wohlgefallen anders möglich ist; a58: kan c59: Besserung bedeuten; a60: kan c61: 1. c62: 5. c63: V. 3. c64: heißen c65: 13. c66: 3) c67: Beispiel a68: das c69: 13.) a70: Tom. II.). c71: ist, c72: 29. c73: ist, c74: 6. a75: bald c76: er, c77: 8., 17. c78: 4) c79: sei c80: werden, c81: 4. c82: beigefügte a83: lehrt: c84: werden, c85: 3. c86: 23. heiße c87: bei c88: uns c89: V. c90: 26. c91: V. c92: 17., desgl. c93: 16. c94: 17–19. c95: Χριστῶ, c96: 7. c97: heiße c98: halten; c99: meinen a100: Tom. II.

150a1.

Hiernächst (§. 148.a2) müßtenc3 wir uns II)c4 sowohl beyc5 diesen uneigentlichen als überhaupt beyc6 allen Begriffen und Sätzen der heiligen /cSchrift diesc\c7 zur allgemeinen Regel machen, niemals einen Begriff unterzulegen, er seyc8 an sich so wahr, oder unserm, gemeinen oder gelehrten, Sprachgebrauch so gemäß, als er wolle; wenn wir nicht beweisen können, dieser Begriff seyc9 wirklich in der Bibel an ein gewisses Wort oder c10 Redensart |b215| geknüpft, und zwar in der Stelle, wo derjenige Ausdruck vorkommt, worauf wir bauen. Denn es kanc11 etwas wahr, und doch von jemandc12 nicht ge|c186|meint; es kanc13 eine Bedeutung in der Bibel üblich seyn, und doch ist sie in einer gewissen Stelle nicht gebraucht; es kanc14 etwas nach unsrerc15 Sprachart gewöhnlich seyn, und ists doch in der Sprache der Apostel nicht; es kanc16 ein Begriff sogar allen Sprachen gemein seyn, und doch kanc17 er von einem besondern Schriftsteller eine nähere Einschränkung oder Erweiterung bekommen haben. Wenn wir von der heiligen Schrift lernen sollen:c18 so müssen wir auch nur sie hören, und nicht das unterschieben, was sich zu unsrerc19 Art zu reden und zu unsern Urtheilen am meisten reimt. Wo diese Regel aufhört, da hört auch das Biblische auf, da fangen unsrec20 Zusätze an. So ungereimt es |a482| ist, so gewöhnlich ists doch, /cdies Beydesc\c21 zu verwechseln: dieses steht in der Bibel, und es steht in dem Sinn darin, wie wirs nehmen; man begnügt sich nur zu oft mit dem Erstern, und vergißt das Letzterea22, worauf es doch hier allein ankommt.

c23 Zu den Vergehungen gegen diese Regel gehört:
  • 1. wenn man den biblischen Wörtern Bedeutungen giebt, die sie überall in der Bibel nicht haben;c24 als, daß χάρις von übernatürlichen Wirkungen Gottes in den Menschen (von gratia inhaesiva)ac25 im Gegensatz gegen natürliche Kräfte des Menschen, gebraucht werde, da doch χάρις stets in der Bibel entweder von Gottes freyerc27 Güte, Ephes. |b216| 2, 5c28 verglichen mit V. 4c29, oder von seinen Wohlthaten überhaupt gebraucht wird; /adesgl.c30 a\ daß διαθήκη einen eigentlichen Vertrag bedeute, worauf man die ganze Föderaltheologie, die Lehre von Zurechnung des Falls Adams, von Adamc31 als einenc32 Repräsentanten des menschlichen Geschlechts, /cu. d. gl.c\c33 gebaut hat; daß 1 Kor. 2, 14c34 πνευματικοὶ und ψυχικοὶ, Wiedergeborne und Unwiedergeborne sind etc.
  • |c187| 2. Wenn man Bedeutungen in eine Stelle trägt, die sie in dera35 Stelle nicht haben, woraus man etwas beweisen will; als in diec36 Stelle Röm. 5, 12 f. den gewöhnlichsten Begriff derc37 Zurechnung, worauf hernach die Lehre von einer mit und in Adam begangnenc38 Sünde, von schon daher rührender Strafwürdigkeit der Menschen etc. gegründet wird; oder in das Wort αἰώνιοςa39 Matth. 25, 46c40 den Begriff von nicht immer, sondern nur lange dauernden Strafen, weil man dieses besser mit Gottes unendlicher Güte, oder vielmehr die gewöhnlichen falschen Begriffe |a483| von eigentlicher Ewigkeit der Strafen, nicht mit dieser Güte zu reimen weiß, so sehr auch für die erstrec41 Bedeutung der Gegensatz in der Stelle selbst (ζωὴ ἀιώνιοςc42) und die Stelle Marc. 9, 46c43 spricht.
  • 3. Wenn man einen Unterschied zwischen biblischen Ausdrücken erdichtet, den sie, wenigstens in den Stellen, wo man diesen Unterschied anbringt, nicht haben; als zwischen ἐκπορεύεσθαι und ἐξέρχεσθαι beyc44 Joh. 15, 26c45 die doch Kap. 16, 28c46 gleichgültige Ausdrücke sind; desgleichen zwischen den Wörtern Matth. 22, 37. Gal. 5, 19 f. /cu. d. gl.c\c47
  • |b217| 4. Wenn man gewöhnliche und,a48 der Sache selbst nach,a49 richtige Abtheilungen in Stellen trägt, wo gar nicht zu beweisen ist, daß die heil.c50 Schriftsteller diese Verschiedenheit im Sinn gehabt haben; als die Abtheilung in das rituelle und moralische Gesetz beyc51 Röm. 3, 20 f., den Unterschied zwischen Gott- und Menschheit Christi etc. den Unterschied zwischen Wieder- und Unwiedergebornen Röm. 7, 14 f. etc.
  • 5. Wenn man an die Wörter Nebenbegriffe hängt, wovon keine Spur im Wort oder dem Texte liegt;c52 als Joh. 6, 44c53 von unmittelbaren oder übernatürlichen Wirkungen, Röm. 5. von unserm Tode als Strafe /cu. d. gl.c\c54
a1: 437 a2: 435 c3: müssen c4: II. c5: bei c6: bei c7: Schrift, dieß c8: sei c9: sei c10: eine c11: kann c12: jemandem c13: kann c14: kann c15: unserer c16: kann c17: kann c18: sollen, c19: unserer c20: unsere c21: dieß Beides a22: Letztre c23: Anm. c24: haben: ac25: inhaesiua) (a); inhaesiva), (c) c27: freier c28: 5., c29: 4. c30: desgleichen c31: Adam, c32: einem c33: u. dergl. c34: 14. a35: der c36: der c37: die c38: begangenen a39: αἰωνιος c40: 46. c41: erstere c42: αἰώνιος c43: 46. c44: bei c45: 26., c46: 28. c47: u. dergl. a48: und a49: nach c50: heiligen c51: bei c52: liegt, c53: 44., c54: und dergleichen.

|c188| 151a1.

Doch hier ist nicht sowohl die Frage, wie man /chinterc\ dena2 Sprachgebrauch der heiligen Schrift überhaupt /ckomme,a3 c\c4 (davon ist schon oben geredet worden), sondern wie ichc5 den bestimmten Sprachgebrauch, vornemlichc6 in Rücksicht auf |a484| Lehrbegriffe, d. i. wie ichc7 finde, welche Erweiterung oder Einschränkung die heiligen Schriftsteller ihren Ausdrücken gegeben haben, um weder zu wenig noch zu viel aus ihren Ausdrücken zu nehmen? Nun ist doch offenbar, daß sie dieselben nicht überall nach einerleyc8 Umfang nehmen (z. B. πίστις, μετάνοια, βασιλεία τοῦ Θεοῦ, τοῦ Χριστοῦ, τῶν οὐρανῶν), daß sie bisweilen nur Einen Theil, Eine Eigenschaft einer Sache, Einen Gesichtspunctc9 erwähnena10, woraus man sie ansehen kanc11, |b218| daß sie bisweilen genauer, bisweilen unbestimmter davon reden u. s. f. Daher müssen diese Ausdrücke erst in einzelnena12 Stellen untersucht, hernach diese einzelneac13 Stellen verglichen, und mit einander verbunden werden, um den ganzen Umfang desjenigen zu erkennen, was sie von den Lehren durch ihre Ausdrücke anzeigen wollen. In beydenc15 Fällen würde man sowohl auf die einzelnena16 Wörter und Redensarten, als auf die Sätze sehen müßenac17, worin sie einen Begriff mit einem andern verbinden.

a1: 438 a2: dem ac3: komme (a); entdecken könne (c) c5: man c6: vornehmlich c7: man c8: einerlei c9: Gesichtspunkt a10: erwehnen c11: kann a12: einzlen ac13: einzle (a); einzelnen (c) c15: beiden a16: einzlen ac17: müssen

152a1.

Worauf hätte man also III)c2 (§. 150.a3) zu sehen, um zu finden, in welchem Umfang die mit biblischen Ausdrücken verbundnec4 Begriffe in einzelnena5 Stellen genommen werden? Hier müßenac6 wir 1) untersuchen, welche Bestimmung oder Umfang haben die von den heiligen Schriftstellern gebrauchten Ausdrücke schon in der Sprache, |c189| der sie sich bedienten, besonders in der /cebräischgriechischena7 †)?c\c8 2) Bekommen sie in einzelnena9 Stellen von Christo oder den heiligen Schriftstellern eine nähere Bestimmung, oder nicht? und, wenn jenes ist, welche? Denn oft brauchenc10 sie, wie es in dem populären Vortrag gewöhnlich ist, die Ausdrücke nicht nach der strengen /cBedeutung ††);a11 c\c12 sie legen ihnen gereinigtere Begriffe /cunter †††);a13 c\c14 sie verengen oder erweitern die mit den Ausdrücken /cverbundenea15 Begriffe *);a16 c\c17 sie geben nicht nur die Sachen an, sie erklären sie auch /cnäher **).c\c18 Wie dieses alles in einec19 Stelle seyc20, das müßenac21 die |b219| schon oft genannten Hülfsmittel, die ausdrückliche Erklärung, der Zusammenhang, der Zweck der Rede und die eigentlichen Parallelstellen lehren.

/c†)c\c22 So brauchen die griechischen Uebersetzer, Symmachus /cz. B.c\c23 Hiob 36, 10c24 und Jes. 30, 15c25 μετανοεῖν und μετάνοια statt des hebräischen שׁוב אל יהוה oder שׁובה, und dieses Letztrec26, welches sie ἐπιστρέφειν πρὸς τὸν Θεὸν übersetzen, wird 5 Mos. 30, 10c27 offenbar erklärt durch: der Stimme des Herrn gehorchen, und seine Gebote befolgen; daher heißt μετάνοια nach dem hebräischen Sprachgebrauch gewiß die gänzliche Besserung des Menschen;a28 und Bußea29 (μετανοιαc30) und Bekehrung (ἐπιστροφὴ) ist gewiß einerleyc31. Φόβος κ. τρόμος Phil. 2, 12. ist nicht Furcht und Zittern, sondern Achtung, Scheu, Bescheidenheit, wie 1 Petr. 3, 15ac32 2 Petr. 2, 10ac33 1 Kor. 2, 2c34 verglichen 2 Kor. 10, 10c35, fordert also keine Aengstlichkeit beyc36 der Besserung, die ohnehin, nach Röm. 8, 15,ac37 dem Geiste des Christenthums zuwider ist.
|a486| ††)c39 Wie in den Redensarten, die Gott /cscheinenc\ zum Urheber des Bösen zu /cmachen,c\c40 (§. 138.a41 Anm. ††c42); in πεπραμένος ὑπὸ τὴν ἁμαρτίαν Röm. 7, 14c43 verglichen mit Kap. 8, 12c44; in ἀδύνατον, was sehr schwer, nicht, was unmög|c190|lich ist, Ebr. 6, 4.ac45 verglichen mit κατάρας ἐγγὺςc47 V.a48 8c49 und Matth. 19, 26.ac50 verglichen mit V.a52 23.
†††)c53 Z. B. der βασιλείᾳa54 τοῦ Χριστοῦ Joh. 18, 36c55 und Marc. 1, 15c56, wenn sie es auch nicht immer ausdrücklich sagen, wie Christusc57 Apostelgesch. 1, |b220| 7 f.c58 in seiner Antwort; den jüdischen Redensarten vom Satan oder Teufel, womit sie offenbar in vielen Stellen alle Hindernisse des Guten bezeichnen, es mögen Irrthümer oder Laster, oder Unglück,c59 oder feindselige Menschen seyn, wie Joh. 14, 30c60 verglichen mit 16, 33ac61 Luc. 10, 18. 19ac62 Röm. 16, 20c63 verglichen mit V.a64 17.
*)c65 D. i. sie geben ihnen entweder einen Nachdruck oder Nebenbegriff, den die Ausdrücke an sich nicht haben, wie dem Auferwecken, nämlich zur Seligkeit Joh. 6, 39c66 verglichen mit V.a67 37c68, der γνῶσει τοῦ Θεουc69 1 Joh. 2, 3c70 verglichen mit Kap. 4, 6c71, dem μεριμνᾶν Matth. 6, 25c72; oder nehmen die mit den Worten gewöhnlich verbundnenc73 Begriffe bald weiter, bald enger, z. B. πίστις, νόμος /acu. dgl.ac\ac74
**)c76 So erklärt Jesus Luc. 15, 11 f. was zur μετανοίᾳ V.a77 10c78 gehöre,a79 Joh. 3, 14c80 was er V.a81 15c82 und 16c83 für einen Glauben an sich verstehe, und Joh. 6, 44–46c84 daß er von keiner gewaltsamen Besserung rede, sondern von einerc85 die durch Unterricht, und zwar durch mittelbaren Unterricht, geschieht.
a1: 439 c2: III. a3: 437 c4: verbundenen a5: einzlen ac6: müssen a7: ebräisch-|a485|griechischen c8: ebräisch-griechischen? 1) a9: einzlen c10: gebrauchen a11: ††), c12: Bedeutung; 2) a13: †††), c14: unter; 3) a15: verbundne a16: *), c17: verbundenen Begriffe; 4) c18: näher. 5) c19: einer c20: sei ac21: müssen c22: Anm. 1) c23: z. B., c24: 10. c25: 15. c26: Letztere c27: 10. a28: Menschen, a29: Busse c30: (μετάνοια c31: einerlei ac32: 15. ac33: 10. c34: 2., c35: 10. c36: bei ac37: 15 (a); 15., (c) c39: 2) c40: machen scheinen a41: 425 c42: 2. c43: 14., c44: 12. ac45: 4 (a); 4., (c) c47: ἐγγύς, a48: v. c49: 8. ac50: 26 (a); 26., (c) a52: v. c53: 3) a54: βασιλειᾳ c55: 36. c56: 15. c57: Christus, c58: f., c59: Unglück c60: 30. ac61: 33. ac62: 19. c63: 20. a64: v. c65: 4) c66: 39. a67: v. c68: 37. c69: Θεοῦ, c70: 3., c71: 6. c72: 25. c73: verbundenen ac74: u. d. gl. (a); u. dergl. (c) c76: 5) a77: v. c78: 10. a79: gehöre c80: 14., a81: v. c82: 15. c83: 16. c84: 44–46., c85: einer,

|a487| 153a1.

Eben darauf muß man 3) beyc2 ganzen Sätzen Acht geben, und ihre Ausdehnung darnach bestimmen. Von /cwemc\c3 reden sie /calleinc\ in einer Stelle? †)c4 wie weit legen sie ihnen etwas beyc5, oder fordern es von ihnen? ††)c6 4) Haben sie |b221| aber einen Sinn oder die Beschaffenheit und Ausdehnung eines Begriffs oder Satzes nicht näher angegeben:c7 so muß es nach dem verstanden werden, was sie beyc8 ihren Zuhörern oder Lesern, nach ihren Umständen, aus der ihnen |c191| bekannten Natur der Sache, oder dem sonst bekannten Sprachgebrauch, oder Gewohnheiten, oder anderweitigen Unterricht derselben, voraussetzen /ckonnten *).c\c9 Indessen müßte man sich dabeyc10 bescheiden, daß, wenn dieses, was Jesus und seine Apostel beyc11 denen, mit welchen sie sprachen, voraussetzen konnten, uns nicht ganz gewiß bekannt ist, daß alsdanna12, was wir dabeyc13 denken müssen, nur wahrscheinlich seyc14, und weder den Grad von Gewißheit noch Verbindlichkeit haben könne, als das, was sie selbst deutlich irgendwo erklärt haben.

/c†)c\c15 So wird Matth. 18, 6c16 ganz falsch auf den Glauben der kleinen Kinder, Röm. 9ac17 auf die Seligkeit der Menschen (s. die 1ste und 6ste Abhandlung in den Opusculis Tom. I.), Phil. 2, 12c18 auf die Sorge für unsrec19 Seligkeit gezogen. So reden viele Stellen offenbar nur von den Aposteln, als Joh. 14–16ac20 Joh. 20, 22. 23c21 und 2 Kor. 3, 5c22, die man fälschlich auch auf Andrec23 gezogen hat, wenigstens nicht, ohne |a488| weitere Untersuchung, gleich hätte auf Andrec24 ziehen sollen.
††)c25 So erlaubt doch die Veranlaßungac26 der Rede Christic27 Matth. 18, 3c28 nur an die Pflicht der Demuth zu denken;a29 und daß Matth. 5, 3 f. von leiblicher Armuth und Traurigkeit zu /cverstehn seyc\c30, |b222| und die Prädicate nur von denen a31, die um des Christenthums willen in Dürftigkeit und traurige Umstände gerathen, zeigt die Stelle Luc. 6, 20–26c32 und Matth. 19, 23 und 29;c33 so wie nach dem Matth. 19, 22c34 erwähntena35 Umstand, Christi Worte daselbst /cv. 21c\c36 keine allgemeine Pflicht enthalten.
*)c37 Wie fern Paulus die heil.c38 Schrift (A. Test.c39) 2 Tim. /c3, 16c\c40 θεόπνευστον nenne, erklärt er weiter nicht; ists also bloß einerleyc41 mit ἱερὰ γράμματα v.c42 15? oder, wenn es mehr ist, geht es auf alle Bücher? (denn πᾶσα γραφὴa43, nicht /aπ.a\ ἡ γραφὴ, heißt doch nur eine jede Schrift, die θεοπν. ist), und wenn auch diesc44, wie weit dehnt P. dabeyc45 die Eingebung aus? – Schließt Matth. 28, 19c46 auch Kindertaufe mit in sich? V. 20c47 entscheidet nichts dagegen, denn sie konnten hinterdrein unterrichtet werden über Christi Gebote, wie mehrere damalige Erwachsene, Apostelgesch. 2, 37. 38c48 verglichen v.c49 42. Schwerlich aber konnten die Apostel diese Worte anders als auf die Kindertaufe auch mit ziehnc50, weil sie hörten, durch die Taufe sollte jemand ein Schüler Christi werden, und wußten, daß die Beschneidung, wodurch jemand unter das Volk Gottes aufgenommen wurde, auch beyc51 Kindern befohlen war.
a1: 440 c2: bei c3: welchen Personen c4: 1) c5: bei c6: 2) c7: angegeben, c8: bei c9: konnten. 3) c10: dabei c11: bei a12: alsdenn c13: dabei c14: sei c15: Anm. 1) c16: 6. ac17: 9. c18: 12. c19: unsere ac20: 14–16. c21: 23. c22: 5. c23: Andere c24: Andere c25: 2) ac26: Veranlassung c27: Christi, c28: 3., a29: denken, c30: verstehen sei a31: gelten c32: 20–26. c33: 29., c34: 22. a35: erwehnten c36: V. 21. c37: 3) c38: heilige c39: T. c40: 4, 16. c41: einerlei c42: V. a43: γραφή c44: dieß c45: da|c192|bei c46: 19. c47: 20. c48: 38., c49: V. c50: ziehen c51: bei

|a489| 154a1.

Weil es nun aber IV)c2 zur Entdeckung des wahren christlichen Lehrbegriffs nöthig ist, mehrere oder eigentlich alle Stellen zu Rathe zu ziehnc3, |b223| die darüber einiges Licht geben können (§. 152ac4): so müßte man 1) alle Stellen sammlenc6, wo entweder eben dieselben oder gleichbedeutende Ausdrücke gebraucht werden,c7 wo von eben den Sachen, wenn gleich mit andern Umständen, geredet, oder das Verhalten Jesu und seiner Apostel erzählt wird, welches man als einen praktischen Commentar über ihre Lehren ansehen /ckan †).c\c8 2) Fände sich überall derselbe bestimmte Begriff mit einem Ausdruck verknüpft:c9 so müßte man auch denc10 durchaus daran /a/cbinden ††).c\c11 Wärena\a12 aber 3) diese Begriffe in verschiednenc13 Stellen verschieden angegeben:c14 so müßte diese Verschiedenheit bemerkt, und der Gesichtspunctc15 aufgenommen werden, unter welchen der Begriff bald diec16, bald eine andrec17 Bestimmung /cbekommt †††);c\c18 doch müßte man 4) das aufsuchen, was diese verschiednec19 Begriffe mit einander gemein haben, und dadurch einen allgemeinen Begriff bilden, unter den sie sich alle bringen /cließena20 *);c\c21 und 5) nach diesen gefundenen bestimmten Begriffen,c22 das, was von ihnen gesagt wird, erklären und /cbestimmen **);c\c23 6) nirgends |c193| aber, weder die von Jesu und seinen Aposteln erst stufenweise gegebnec24 Aufklärung und genauere Bestimmung, noch den Unterschied dererjenigen aus den Augen laßenac25, mit |a490| welchen und nach deren Bedürfnissen sie /creden ***)[.]a26 c\c27

/c†)c\c28 /aZ. B.a\ Christi und Pauli Beyspielec29 Joh. 18, 23ac30 Apostelgesch. 16, 37ac31 Phil. 3, 4 f. um zu zeigen, wie weit Erduldung des Unrechts gehen, und man auf Ehre halten dürfe; wodurch selbst der Miß|b224|verstand allgemeiner Lehrsätze, als Matth. 5, 39 f. gehoben wird. Doch dieser (gehörig eingeschränkte) Gebrauch der Beyspielec32 fällt von selbst in die Augen; weniger,ac33 der Nutzen für Bestimmung dogmatischer Sätze. Indessen läßt sich, was z. B. zur wahren Besserung der Menschen gehört, eben so, und fast noch besser, aus dem Verhalten Jesu und seiner Apostel in Bearbeitung derselben, abnehmen, als aus eigentlichen Lehrstellen.c34 (s. allgemeine deutsche Bibliothekc35 Band 12ac36 St. 2. S. 142 f.[)]c37; und wer gegründete Begriffe von der Eingebung der heil.c38 Schrift sucht, kanna39 sie allein aus Wahrnehmung des Verfahrens der heil.c40 Schriftsteller in ihren Schriften sicher erkennen, und sich z. B. dadurch überzeugen, wie ungegründet die Hypothesen sind, daß Gott ihnen allesc41 dictirt habe, und sie sich dabeyc42 bloß leidentlich verhalten, daß sie stets die allerbeste Ordnung und Ausdrücke gewählt haben /cu. d. gl.c\c43 Eben so beyc44 der Lehre von der Deutlichkeit der heil.ac45 Schrift.
††)c46 So redet die Bibel stets von der Versöhnungc47 als durch Christi Tod, niemals als durch Christi Lehre, geschehen. So versteht sie unter den ἀπίστοις, denen sie die Seligkeit abspricht, niemals die, so keine Gelegenheit zur Erkenntniß der christlichen Lehre gehabt, noch sich von deren Wahrheit überzeugen gekonntc48, sondern welche jene Gelegenheit und die Mittel zur Ueberzeugung nicht brauchenc49 wollen, z. B. |a491| Marc. 16, 16c50 vergl. mit v.c51 11. Joh. 3, 18c52 vergl. v.c53 19. /c20, 27c\c54 Apostelgesch. 19, 9c55 etc.
|b225| †††)c56 So der sehr verschiednec57 Begriff von Christoc58 als einem König und von seinem Reich. S. meinea59 Abhandlung de |c194| Christo homine regnante im 2ten Bande der Opuscul. ad interpret. SS. /aScript[.]c60 N. 14.a\a61
*)c62 Ganz anders z. B. wird der Gegenstand des in der heil.ac63 Schrift empfohlnenc64 Glaubens Ebr. 11, 1c65, anders Marc. 1, 15c66 und Kap. 16c67 vergl. mit Matth. 28, 20c68, anders Matth. 21, 21c69, anders Matth. 8, 5 f., anders Joh. 3, 16c70 vergl. mit /aV. 14,c71 a\a72 und Röm. 3, /a25c73 angegeben. Ebena\a74 so ist Ebr. 11a75 in einigen Beyspielenc76, z. B. Abrahams, gewiß der Glaube,a77 Vertrauen, in andern nur Beyfallc78, oder /cFür wahr halten;a79 c\c80 so wie Röm. 14, 2. 22. 23c81 Ueberzeugung von dem,a82 was recht, was zu thun oder zu laßenac83 ist. Alle diese Bedeutungen geben den allgemeinsten Begriff: Glauben seyc84 etwas für wahr oder recht halten, der danna85 in einzelnena86 Stellen eine nähere Bestimmung bekommt, entweder in Absicht des Gegenstandes, als Gottes, Christi, des Todes Christi für uns, solcher Dinge, die ihrer Natur nach nicht gewiß sind /acu. d. gl.,ac\ac87 oder in Absicht der Art, die immer nach den Umständen jeder Stelle zu nehmen ist, ohne den einen, zumala89 häufigern Begriff, überall hinzutragen. So ist z. B. Matth. 15, 25–28c90 und Joh. 9, 35–38c91 vergl. mit V.a92 16c93 gewiß diea94 Art des Glaubens sehr von der gewöhnlichen, in der heil.ac95 Schrift empfohlnenc96, verschieden, und kanc97 viel Licht auf die Lehre vom Glauben werfen, die gemeiniglich zu sehr verengt wird.
|b226| **)c98 Z. B. was die sogenannte Unterwerfung Christi unter Gott 1 Kor. 15, 28c99 sagen wolle, oder |a492| die dunklec100 oft durch Mystik verunstaltete Stelle 2 Kor. 3, 18. S. die schon erwähntea101 Abhandlung de Christo regnante, und eine andrec102 über 2 Kor. 4, 6c103 in dem 2ten Bande der Opusculorum ad interpr. SS. Script. /aN. 7.a\
***)c104 Denn vieles ist doch theils erst durch später aufgetretnec105 Propheten, durch Jesum, und, da selbst Jesus noch vielc106 unbestimmt ließ, Joh. 16, 12c107, durch seine Apostel aufgeklärt und bestimmt worden,c108 theils erforderten a109 die Umstände der Zuhörer und Leser, sonderlich der Juden, manche Bestimmung, die nur für siea110 nöthig, oder /awider|c195|riethen manche nähere Bestimmung,a\ die ihnena111 nicht zuträglich war. Wer also die heilige Schrift, zur Aushebung des christlichen Lehrbegriffs daraus, mit weiser Vorsichtigkeit studieren will, wird sich auf der einen Seite hüten, keine solche Bestimmung in Schriftstellen sogleich für allgemeine christliche Lehre anzunehmen, wenn sie sich nirgends als in gewissen Arten von heiligen Büchern, oder in besondern Reden an eine gewisse Art von Lesern und Zuhörern findet, und auf der andern Seite, sie von dieser Lehre für alle Christen bloß darum auszuschließena112, weil sie nur in einigen Stellen oder Büchern vorkommt.
a1: 441 c2: IV. c3: ziehen ac4: 439 (a); 152. (c) c6: sammeln c7: werden; c8: kann. 1) c9: verknüpft, c10: diesen c11: binden. 2) a12: binden ††); wären c13: verschiedenen c14: angegeben, c15: Gesichtspunkt c16: diese c17: andere c18: bekommt; 3) c19: verschiedenen a20: lassen c21: ließen; 4) c22: Begriffen c23: bestimmen; 5) c24: gegebene ac25: lassen a26: ***). c27: reden. 6) c28: Anm. 1) c29: Beispiele ac30: 23. ac31: 37. c32: Beispiele ac33: weniger c34: Lehrstellen c35: Bibliothek, ac36: 12. c37: f.) c38: heiligen a39: kan c40: heiligen c41: Alles c42: dabei c43: u. dergl. c44: bei ac45: heiligen c46: 2) c47: Versöhnung, c48: können c49: gebrauchen c50: 16. c51: V. c52: 18. c53: V. c54: 20. 27. c55: 9. c56: 3) c57: verschiedene c58: Christo, a59: die c60: Script. a61: Script. c62: 4) ac63: heiligen c64: empfohlenen c65: 1. c66: 15. c67: 16. c68: 20. c69: 21. c70: 16. c71: 14., a72: v. 14 c73: 25. a74: 25, angegeben; eben a75: 11. c76: Beispielen a77: Glaube c78: Beifall a79: halten, c80: Fürwahrhalten; c81: 23. a82: dem ac83: lassen c84: sei, a85: denn a86: einzlen ac87: u. d. gl. (a); u. dergl., (c) a89: zumahl c90: 25–28. c91: 35–38. a92: v. c93: 16. a94: die ac95: heiligen c96: empfohlenen c97: kann c98: 5) c99: 28. c100: dunkele, a101: erwehnte c102: andere c103: 6. c104: 6) c105: aufgetretene c106: Vieles c107: 12. c108: worden; a109: oder widerriethen a110: sie a111: ihnen a112: auszuschliessen

155a1.

Wenn man nun von dem ganzen Lehrvortrage der heiligen Schrift, nach dem bisher Ge|b227|sagten, 1) alles das absondert, was entweder bloßesa2 /cBild †),c\c3 oder aus Herablaßungac4 zu den besondern Lesern oder Zuhörern, und nach den ihnen geläufigen Vorstellungen und Ausdrücken, gesagt ist ††)c5 – denn dieses beydesc6 gehört doch |a493| offenbar nur zur Einkleidung der /cLehre –;c\c7 wenn man 2) das beyc8 Seite, oder zur gelehrtern Untersuchung aussetzt, was die heilige Schrift selbst nicht näher angegeben und bestimmt /chat †††);a9 c\c10 und wenn man 3) gefunden hat, daß viele Ausdrücke in der That nur einerleyc11 Begriff und Sache, und welche /csie? bezeichnen *):c\c12 so gelangen wir theils zu gewissen /cHauptbegriffen **),c\c13 theils zu gewissen Hauptsätzen, die aus solchen Begriffen /cbestehn ***)c\c14 welche das ganze in der heiligen Schrift angegebnec15 Verhältniß zwischen Gott und uns, d. i. unser /cElend undc\c16 Verderben, c17 die Anstalten Gottes zu unserm Besten, unsrec18 daraus entstehendec19 Pflichten und Erwartungen, im Ganzen vorlegen. c20 Diese Begriffe und Sätze sind das eigentliche Christenthum, als Lehre genommen,c21 und wer diese für wahr annimmt, der ist (seiner |c196| Erkenntniß oder der Lehre nach) ein Christ, so sehr seine Vorstellungen von dem Uebrigen auch von den Meinungen Andrerc22 abgehen /cmögen ****);c\c23 und diese Hauptbegriffe und Sätze sind es auch, nach welchen alles Andrec24 beurtheilt, und auf eine ihnen angemessene Art erklärt werden /cmuß *****).c\c25

c26 S. Sam. Friedr[.]ac27 Nath. Morus treflichec28 Disp. de notionibus universisa29 in Theologia, und, von dem großena30 Nutzen dieser Begriffe, dessen Programm de utilitate notionum universaruma31 in Theo|b228|logia, beydec32 Lips. 1772,c33 /a4. Sie sind wieder aufgelegt in s. Dissertatt. theolog. et philologicis, Lips. /c1787 inc\c34 8.a\a35
†)c36 Z. B. Feuer und die danach gebildeten Redensarten, brennen, nicht verlöschen /cu. d. gl.c\c37 von |a494| künftigen Strafen; Menschen sind Feinde Gottes, liegen unter seinem Zorn, sind mit ihm ausgesöhnt, von dem hergestellten guten Vernehmen mit Gott und von /cunsrer Seligkeit,a38 c\c39 als ein Kind ins Reich Gottes gehnc40, ein neuer Mensch, wieder- oder von oben her geboren werden, von Besserung des Menschen u. s. f. So auch die Ausdrücke: Gott giebt die Menschen c41 in einen verkehrten Sinn,c42 /agiebt ihnen Augen,a\a43 daß sie nicht sehen,c44 bestimmt sie zum ewigen Leben /cu. d. gl.c\c45 von /abloßer Zulaßungc46 a\a47 oder Anstalten, die zu einem gewissen Verhalten der Menschen Gelegenheit geben.
††)c48 Wie augenscheinlich Matth. 12, 43–45. verglichen mit Tob. 8, 3ac49 und Jes. 13, 21. 22c50; Matth. 8, 11. 11, 14. 18, 10c51; Joh. 7, 37. 38. 14, 30. 2 Petr. 2, 4,ac52 im Brief an die Hebräera54, Gal. 4. und in unzählichena55 andern Stellen.
†††)c56 Z. B. den Begriff von θεόπνευστος, die Beschaffenheit und Umstände der künftigen Auferstehung, das Allgemeine ausgenommenc57 daß wir einen wirklich bessern, als den irdischen,c58 Körper haben werden /cu. d. gl.c\c59
*)c60 Z. B. Θεὸςc61 ἐμφανίζει ἑαυτὸν ἡμῖν, ἔρχεται πρὸς ἡμᾶς, μονὴν ποιεῖ παρ' ἡμῖν, μένει, περιπατεῖ, ἐν ἡμῖν; und |c197| von /aden Menschen:a\a62 μένειν ἐν Θεῷ, ῥήματα |b229| αὐτοῦ ἐν ἡμ. μένουσι, θεοδίδακτοι, κοινωνίαν ἔχειν μετ' αὐτοῦ, ἄγεσθαι πνεύματι Θεοῦ; ὁ κόσμος, οἱ ἄπιστοι, τὸ σκότος, ἔχθροι,c63 ἀντικείμενοιc64, ἐκ τοῦ πονηροῦ ὄντες, οὗτος ὁ αἰών; μετανοεῖν, ἐπιστρέφεσθαι, ἀνανεοῦσθαι und viele andrec65.
**)c66 Als σωτὴρ und μεσίτης;a67 ἁμαρτία und ἐπιθυμία;a68 χάρις, σωτηρία, /aδικαιοσύνη,a\ ἐπίγνωσις τοῦ Θεοῦ, πίστις, μετάνοια;a69 ζωὴ und θάνατος, a70 u. a.
|a495| ***)c71 Als Joh. 3, 16ac72 Ephes. 2, 5ac73 Röm. 3, 23. 24ac74 Koloss. 1, 12. 13ac75 1 Joh. 1, 5–7c76 etc.
****)c77 Daher auch die heil.c78 Schriftsteller in den Stellen, wo sie den Inhalt des Christenthums zusammen nehmen, mehr nicht angeben, z. B. 1 Thess. 1, 9. 10ac79 Tit. 2, 11. 12ac80 Kap. 3, 4. 7c81, und noch kürzer 1 Kor. 3, 11ac82 und 1 Joh. 5, 1ac83 verglichen mit Matth. 28, 20.
/c*****) Diesc\c84 sind die wahren notiones directrices des ganzen Christenthums,c85 und in der Uebereinstimmung damit besteht die wahre Analogia fidei oder doctrinae.
a1: 442 a2: blosses c3: Bild, 1) ac4: Herablassung c5: 2) c6: Beides c7: Lehre; – c8: bei a9: †††), c10: hat; 3) c11: einerlei c12: sie bezeichnen: 4) c13: Hauptbegriffen, 5) c14: bestehen, 6) c15: angegebene c16: moralisches c17: dann c18: unsere c19: entstehenden c20: 7) c21: genommen; c22: Anderer c23: mögen; 8) c24: Andere c25: muß. 9) c26: Anm. 1) ac27: Friedr. c28: treffliche a29: vniuersis a30: grossen a31: vniuersarum c32: beide c33: 1772. c34: 1787. a35: 4to. c36: 2) c37: u. dergl. a38: Seligkeit; c39: unserer Seligkeit; c40: gehen c41: hin c42: Sinn; a43: Augen c44: sehen; c45: u. dergl., c46: Zulassung a47: blosser Zulassung c48: 3) ac49: 3. c50: 22. c51: 10. ac52: 4. (a); 4., (c) a54: Ebräer a55: unzählich c56: 4) c57: ausgenommen, c58: irdischen c59: u. dergl. c60: 5) c61: Θεός a62: uns c63: ἔχθροι; c64: ἀντικειμενοι c65: andere c66: 6) a67: μεσίτης, a68: ἐπιθυμία a69: μετάνοια, a70: σωτηρία, δικαιοσύνη c71: 7) ac72: 16. ac73: 5. ac74: 24. ac75: 13. c76: 5–7. c77: 8) c78: heiligen ac79: 10. ac80: 12. c81: 7. ac82: 11. ac83: 1. c84: 9) Dieß c85: Christenthums;

156a1.

Nun erst, wenn der Grund der christlichen Lehre aus der heiligen Schrift gelegt ist, kanc2 man hernachc3 (§. 145ac4) darauf bauen, oder über diese christlichen Lehren /a/cphilosophiren *).c\c6 Unda\a7 wer sich an dieses Wort oder an die Sache selbst stößt, weil er besorgt, dadurch werde das Christenthum nach Philosophie geformt und umgeändert, und der ganze Wust menschlicher Einfälle in das Chri|b230|stenthum gebracht:a8 der hat zwar Beyspielec9 genug füra10 sich, die seine Besorgniß bestätigen, wie es beyc11 keiner einzigen Sache in der Welt an Mißbräuchen fehlt;a12 aber er ist entweder zu kurzsichtig, oder nicht gerecht genug. Denn /cc\ nothwendig ist dieser verkehrte Gebrauch der Philosophie nicht. – Philosophie kanc13 entweder in so fern gebraucht werden, als sie die Regeln alles |c198| vernünftigen Denkens, oder /cso fernc\c14 sie unwidersprechliche Vernunftsätze |a496| enthält. Jene muß man überall, muß man ja selbst beyc15 Erklärung und Anwendung der heiligen Schrift, und beyc16 dem Beweis ihres göttlichen Ansehens, befolgen; diese, wenn sie wirklich unwidersprechlich sind, sind die Grundlage aller richtigen Erkenntniß, und, wenn gleich nicht überall zureichend zur Entdeckung der Wahrheit, doch in so fern der Prüfsteina17 aller Wahrheit,a18 als nichts wahr seyn kanc19, was sich nicht mit ihnen verträgt. Wer beydec20 nicht c21 für das /cwillc\ gelten laßenac22, was uns beyc23 aller Untersuchung leiten muß, und sich auf die Schwäche und Trüglichkeit der menschlichen Erkenntniß beruft, der überlegt nicht, daß man sich ja auch trügen könnea24, wenn man etwas für göttliche Offenbarung hält, daß man sich auch in ihrer Erklärung irren könnea25, daß man also entweder eine allgemeine Ungewißheit aller menschlichen Erkenntniß annehmen, oder zugeben müssea26, es müssen Grundsätzec27 überall vorausgehen, die mirc28 zeigen, wie und wonach ichc29 Wahrheit, auch beyc30 Prüfung einer angeblich göttlichen Offenbarung a31 ihres Sinnes, /cfindec\c32.

|b231| c33 *) Töllnersc34 theologische Untersuchungen, Band 1. St. 2. S. 264 f.
a1: 443 c2: kann c3: hernach ac4: 432 (a); 145. (c) c6: philosophiren. *) a7: philosophiren *), und a8: gebracht, c9: Beispiele a10: vor c11: bei a12: fehlt, c13: kann c14: sofern c15: bei c16: bei a17: Prüfestein a18: Wahrheit c19: kann c20: beide c21: will ac22: lassen c23: bei a24: kan a25: kan a26: muß c27: Grundgesetze c28: da c29: man c30: bei a31: und c32: zu finden sicher sei c33: Anm. c34: Töllner's

157a1.

Haben wir nun eine Menge /atheilsa\ von Begriffen und Sätzen, die wirklich, nach richtigen Regeln der Auslegung, aus der heiligen Schrift c2 geschöpft /csindc\, theils von vernünftigen Regeln und Sä|a497|tzen, die unwidersprechlich sind: so können jene mit diesen letztern, oder unter einander, zu streiten scheinen; und daher ist das erste beyc3 Bildung eines theologischen Systems, die Vereinigung derselben unter einander, daß sie mit einander bestehen können. Wirk|c199|lich unwidersprechliche Sätze der Vernunft und wirklich geoffenbarte Sätze können einander nicht wirklich widersprechen; wenn sich also ein Widerspruch zeigt:c4 so muß entweder ein Satz der Vernunft, den man für unwidersprechlich hält, nicht unwidersprechlich /cwahr †),c\c5 oder der biblische Satz muß unrecht /cverstanden ††),c\c6 oder unrecht bestimmt seyn, d. i. man muß etwas hineingeschoben haben, was nicht darin liegt, oder etwas in demselben übersehen /chaben †††).c\c7 Nur durch Entdeckung eines oder mehrerer dieser Fehler kanc8 man den Widerspruch heben, und bewirken, daß die Sätze mit einander bestehen.

/c†)c\c9 Wenn z. B. die heil.c10 Schrift die Anstalt Gottes, die er mit Christo und durch ihn zum Besten der Menschen gemacht hat, überall von Gottes Liebe zu uns herleitet, Joh. 3, 16c11, und sogar ihm |b232| diese Liebe vor der Versöhnung der Menschen durch Christum beylegtc12 Röm. 5, 8c13; was aber aus Liebe und Gnade geschieht, nicht seiner Natur nach geschehen mußc14 Röm. 4, 4c15: so kanc16 es kein unwidersprechlicher Satz der Vernunft seyn, daß Gott habe die Menschen, oder einen von ihnen an ihrer Stattc17, strafen müssen, so wie alle angebliche Demonstrationen dieses Satzes auf willkührlichenc18 und undenkbaren Voraussetzungen beruhen, und mit allem ihrena19 Gott und das Christenthum /centehrendem Gefolgec\c20 von |a498| einem erzürnten und erst durch Christum befriedigten Gott /cu. d. gl.c\c21 wegfallen. Gegen wie viele Hypothesen und vermeintliche Demonstrationen a priori hätte c22 das /cbloßea23 c\ fleißige Studium der heil.c24 Schrift sichern können! Wenn man z. B. zusammengenommen hätte, daß die heiligen Schriftsteller so klar in ihren Schriftenc25 z. B. Philem. 9. 1 Kor. 2, 1 f.c26 von sich selbst und von Gott, als einem drittenc27, reden;a28 Gebete an Gott richten;a29 erzählen, woher sie ihre Nachrichten genommen haben, Luc. 1, 2ac30 Joh. 19, 35;ac31 einander scheinbar widersprechen;c33 zusammengehörige Begebenheiten |c200| verschiedentlich stellen/a, z. B.a\ Matth. 4. und Luc. /c4;a34 einerleyc\c35 Reden Christi mit ganz verschiednenc36 Worten ausdruckena37: wie hätte man darauf fallen können, die heiligen Schriftsteller hätten sich beyc38 Abfassung ihrer Schriften ganz leidentlich verhalten, nicht sie, sondern Gott c39 durch sie allesc40 geschrieben /cu. d. gl.c\c41?
††)c42 So scheint der Satz Röm. 3, 24c43 nicht nur gegen Jak. 2, 14 f.c44 sondern auch gegen das stete Dringen der heil.c45 Schrift auf Heiligkeit und Tu|b233|gendc46 Röm. 2, 7ac47 Ephes. 2, 10c48 zu streiten. Letztrec49 Stellen leiden keinen verschiednenc50 Sinn, also liegt Mißverstand im ersten Satz, und ἔργα oder ἔργα νόμουa51 sind entweder nur äusserlichec52 Beobachtungen des mosaischen Gesetzes durch Gebräuche, Opfer etc. oder, mir wahrscheinlicher, was wir nach Gottes Gesetz thun sollten, aber nicht thun, verglichen Kap. 2, 13ac53 Röm. 8, 3ac54 Kap. 7, 14 f.; denn diesc55 heißts doch Kap. 2, 15,ac56 wie ἔργον τ. Θεοῦ Joh. 6, 29;ac58 und im ganzen Zusammenhang wird νόμος niemals vom Gesetz der Gebräuche (Ephes. 2, 15c60), sondern stets von der nähern göttlichen Offenbarung gebraucht, z. B. Vers 19 und 31.
|a499| †††)c61 Wenn man es z. B. unverträglich mit Gottes allgemeiner und unparteyischerac62 Liebe findet, allec64, die keine Gelegenheit, das Christenthum kennen zu lernen, gehabt haben, oder allec65, die nicht getauft sind, zu verdammen, wegen Apostelgesch. 4, 12ac66 1 Joh. 5, 12ac67 Joh. 3, 5 /cu. d. gl.c\c68 oder es wenigstens für bescheidner hält, nichts darüber zu entscheiden,c69 (also es auch a70 dahin gestellt seyn /aläßta\, ob Gottes Liebe allgemein und /cunparteyischa71 seyc\c72?) so kanc73 ja schon 1) der gemeine Menschenverstand lehren, daß alle allgemein klingende Sätze den Fall voraussetzen, daß man etwas könne oder wisse, wie 2 Thess. 3, 10ac74 2 Joh. 1 etc. 2) daßa75 die heil.c76 Schrift nur die ἀπίστους verdamme, und nur die so nenne, die etwas wissen und wovon überzeugt werden /akonnten (§. 154. Anm. ††)c77;a\a78 und 3) daß sie sogar wahren Glauben denen beylegec79, die keine Versicherung, vielmehr das Gegen|b234|theil, vor sich hatten, wie Matth. 15, 28c80 ver|c201|glichen V.a81 24c82; keine nähere Kenntniß von ihm besaßena83, Joh. 9, 16c84 verglichen mit V.a85 35–38c86; und weder getauft waren, noch sich äusserlichc87 zu den Christen hieltenc88 Marc. 9, 38–42. Und so würde man jene zuerst angeführten Stellen nicht auf bloß des Christenthums Unkundige ausdehnen,c89 man würde einen allgemeinern und unentwickelten Glauben von einen ausdrücklichen oder bestimmten unterscheiden, nicht von eben demselben Glauben im alten, wie im neuen Testament, und dessen Nothwenigkeit, reden,c90 u. s. f. – Hingegen ist ein Beyspielc91 von falschen, Widerspruch veranlassenden, Bestimmungen, wenn, wider alle klare Schriftstellenc92 1 Tim. 3, 4ac93 Kap. 4, 10ac94 1 Joh. 2, 2 u. a., in allen Sätzen von Gottes Bereitwilligkeit, alle Menschen selig zu machen, allea95 nur alle Auserwählte /cheissen sollenc\c96. Und beyc97 dem Anstößigen, das die wirkliche Lehre der heiligen Schrift von ewigen Strafen nach dem Tode giebt, hängt sicherlich das Anstößige da|a500|von ab, daß man sich zum Begriff der Verdammniß, die gänzliche Unmöglichkeit der Besserung, und zu ewig fortgehenden (protensive ewigen) Strafen, ins unendlichec98 zunehmende (intensive ewige) hinzudenkt.
a1: 444 c2: selbst c3: bei c4: zeigt, c5: wahr, 1) c6: verstanden, 2) c7: haben, was darin lag. 3) c8: kann c9: Anm. 1) c10: heilige c11: 16. c12: beilegt, c13: 8. c14: muß, c15: 4. c16: kann c17: Stelle c18: willkürlichen a19: ihrem c20: entehrenden Gefolge, c21: u. dergl. c22: bloß a23: blosse c24: heiligen c25: Schriften, c26: f., c27: Dritten a28: reden, a29: richten, ac30: 2. ac31: 35, (a); 35.; (c) c33: widersprechen, a34: 4. c35: 4.; einerlei c36: verschiedenen a37: ausdrücken c38: bei c39: hätte c40: Alles c41: u. dergl. c42: 2) c43: 24. c44: f., c45: heiligen c46: Tugend, ac47: 7. c48: 10., c49: Letztere c50: verschiedenen a51: νομου c52: äußerliche ac53: 13. ac54: 3. c55: dieß ac56: 15. (a); 15., (c) ac58: 29, (a); 29.; (c) c60: 15. c61: 3) ac62: unpartheyischer (a); unparteiischer (c) c64: Alle c65: Alle ac66: 12. ac67: 12. c68: u. dergl., c69: entscheiden a70: lassen a71: unpartheyisch c72: unparteiisch sei c73: kann ac74: 10. a75: Daß c76: heilige c77: 2.) a78: konnten, c79: beilege c80: 28., a81: v. c82: 24. a83: besassen c84: 16., a85: v. c86: 35–38. c87: äußerlich c88: hielten, c89: ausdehnen: c90: reden c91: Beispiel c92: Schriftstellen, ac93: 4. ac94: 10. a95: alle c96: heißen sollten c97: bei c98: Unendliche

158a1.

Ausserc2 dem /ac[(]§. 157ac\ac3) bleibt noch übrig, die Begriffe durch Erklärungenc5 oder Beschreibungenc6 deutlicher und bestimmter zu machen, um allen Mißverstand und falsche Nebenvorstellungen |b235| zum voraus abzuschneiden, und dadurch die Quelle fast aller Streitigkeiten zu verstopfen – die Lehren selbst immer mehr, durch Vergleichung unter einander, und mit andern richtigen Kenntnissen, aufzuklären, und ihnen noch mehr Licht, Stärke und Anwendbarkeit zu geben – zuletzt sie so zusammen zu stellen, wie eine zur Kenntniß und Ueberzeugung von der andern vorbereiten kanc7. – Wie weit man hierin gehen müsse, diesc8 müssena9 die |c202| Absicht solcher Untersuchungen, das Maaß unsrerc10 Kräfte und Kenntnisse, und /cunsre eignenc\c11 oder dererjenigen Bedürfnisse zeigen, für die wir dergleichen Untersuchungen anstellen.

a1: 445 c2: Außer ac3: (§. 444 (a); (§. 157. (c) c5: Erklärungen c6: Beschreibungen c7: kann c8: dieß a9: muß c10: unserer c11: unsere eigenen

159a1.

Denn die Absicht /cdabey kanc\c2 entweder Verbesserungc3 der Erkenntniß, oder des Willensc4 seyn, so wie das Christenthum Erkenntniß der Wahrheit zur Gottseligkeit ist. Der Hauptzweck aller solcher |a501| Untersuchungen muß also stets seyn, den Menschen glücklich zu machen, seine Besserung und Beruhigung zu befördern, und was überall dazu nicht beyträgtc5, ist keiner Untersuchung werth;a6 es ist sogar schädlich, und veranlaßt, seine Kräfte unnütz zu verschwenden, die man zu etwas Besserm brauchenc7 könnte. Aber ohne überzeugende Kenntniß desjenigen, was uns bessern und beruhigen kanc8, ist keines von beydenc9 möglich. Kenntniß der göttlichen Wahrheiten und Eindruck aufs Herz ist also gleich nöthig; man schadet dem Einen, wenn man es auf Kosten des Andern erhebt oder treibt.

a1: 446 c2: dabei kann c3: Verbesserung c4: Willens c5: beiträgt a6: werth, c7: gebrauchen c8: kann c9: Beiden

|b236| 160a1.

Indessen kanc2 nicht jeder allesc3 oder beydesc4 gleich gut leisten; das Maaß der Gaben und der Kenntnisse ist sehr verschieden ausgetheilt; und der Beruf, in den Gott jeden gesetzt hat, erfordert die Anwendung der Kräfte zu gewissen Zwecken, wobeyc5 man nicht mit eben der Anstrengung das andrec6 eben so Nützliche treiben kanc7. Ein jeder muß sich daher mit der Art von Untersuchung und Uebung am meisten beschäftigen, wozu er die meiste Fähigkeit, Kenntnisse, und äusserlichen Beruf hat, und das Uebrige zwar nie vernachläßigenc8, aber doch vorzügliche Beschäftigungena9 damit denen überlaßenac10, die dazu geschickter sind, und mehr |c203| durch die Umstände, unter welchen sie leben, dazu aufgefordert werden.

|a502| /cSehrc\c11 viel hängt hier von den Zeitumständen ab, unter welchen gewisse Wissenschaften mehr wiec12 sonst aufgeklärt;a13 und von unsern besondern Umständen, wodurch wir glücklicher Weise auf Entdeckungen geführt werden, an die Andrec14 nicht dachten. Diesc15 sind Winke der göttlichen Vorsehunga16, denen wir mehr als andern folgen müssen, denn sie weisen jedem, der dazu Fähigkeit hat, gerade dasjenige an, was er bearbeiten soll. /a/cVergleiche Theilc\c17 1.a\ §. 37.
a1: 447 c2: kann c3: Alles c4: Beides c5: wobei c6: Andere c7: kann c8: vernachlässigen a9: Beschäftigung ac10: überlassen c11: Anm. So c12: als a13: aufgeklärt, c14: Andere c15: Dieß a16: Fürsehung c17: Vergl. Th.

161a1.

Vornemlichc2 ist das Gefühl desjenigen, was wir selbst, oder was die bedürfen, die wir belehren, bessern und beruhigen sollen, immer das, |b237| was uns anweiset und ermuntert, etwas vor andern aufzusuchen, und mit vorzüglicher Aufmerksamkeit zu treiben. Mag es seyn, daß der Genuß besser ist, als das Aufsuchen desjenigen, was /cich geniessen will,c\c3 daß jenes Zweck, dieses nur Mittel ist,c4 daß also Anwendung meinerc5 Erkenntniß /czu meinemc\c6 oder Anderer Besten wichtiger ist, als die Erkenntniß selbst: so ist doch jenes ohne dieses nicht möglich, und /cich kanc\c7 entweder gar nicht, oder nicht ohne größerna8 Schaden, genießena9 oder anwenden, wenn ichc10 das, was /cich brauchenc\c11 will, noch nicht erlangt habec12, oder es erst sichern und erhalten, oder erst wissen muß, ob /cmirc\ es gut ist, ob ichc13 nicht über dem Genuß das /cmirc\, dermalen wenigstens, Nützlichere verliere. Darum kanc14 hier, wenn die Frage von dem ist, was ichc15 jedesmal |a503| vorzüglich suchen müsse, nicht das entscheiden, was überhaupt das Nützlichste, sondern was das Dringendste ist (Matth. 26, 11);ac16 und wenn /cmeinec\ Besserung und Beruhigung auf der Aufklärung gewisser Sätze, auf Ueber|c204|zeugung von ihrer Wahrheit, auf Wegräumung gewisser Zweifel beruht: so wird die Untersuchung auch dessen, was sehr geringfügig scheint, /cmir,c\ unter diesen Umständen, wichtiger seyn müssen, als was überhaupt wichtiger c18 seyn mag.

a1: 448 c2: Vornehmlich c3: man genißen will; c4: ist; c5: unserer c6: zum eignen c7: man kann a8: grössern a9: geniessen c10: man c11: man gebrauchen c12: hat c13: man c14: kann c15: man ac16: 11), (a); 11.); (c) c18: genommen

162a1.

Dieses /cmein größresc\c2 Bedürfniß c3, und auch das Bedürfniß derer, für die wir, in Absicht auf Religion, arbeiten müssen, wird offenbar durch |b238| die Zeitumstände bestimmt. So wie jede Zeit ihr Gutes und ihre Mängel hat, jede in einem besondern Verhältniß gegen das Ganze und gegen Gottes Absichten steht, jedes Glied des großen Körpers in seinem Maaß und seiner Lage zum Besten des Ganzen arbeiten muß: so müssen wir für die Zeit leben und arbeiten, in die uns Gott gesetzt hat (1 Kor. 12, 14 /af.).c4 Wasa\a5 diesen Zeitumständen gemäß ist, interessirta6 uns auch mehr, und setzt unsrec7 Kräfte mehr in Thätigkeit, erleichtert den Gebrauch unsrerc8 Kräfte, ist für das Ganze von einem wirksamern Erfolg. Selbst unser Herr und seine Gesandten arbeiteten recht eigentlich und am meisten für ihre Zeit und deren Bedürfnisse. (§. 132a9 f.) – Jede Zeit hat ihre eignec10 Angelegen|a504|heiten, die am meisten zur Untersuchung anziehnc11, und so allgemein /cbey allenc\c12, denen Religion theuer ist, der Hauptzweck, Besserung und Beruhigung der Menschen bleibt: so verschieden sinda13 zu verschiednenc14 Zeitena15 die Beschäftigungen mit den einzelnena16 Sachen, die dazua17 als Mittela18 etwas beytragenc19 können. Was Eine Zeit erfindet, das gährt in der Anderna20, in der folgenden setzt sichs, und das Klare scheidet sich von den Hefen. So arbeitet, nach der göttlichenc21 allezeit weisen Vorsehunga22, jede Zeit für die folgende, und diese /aletzterea\ |c205| sollte nicht das Vorbereitete benützenc23, und c24 für die /cwiederc\ folgende arbeiten?

a1: 449 c2: größere c3: eines Jeden c4: f.) a5: f.); was a6: intereßirt c7: unsere c8: unserer a9: 419 c10: eigenen c11: anziehen c12: bei Allen a13: sind, c14: verschiedenen a15: Zeiten, a16: einzeln a17: dazu, a18: Mittel, c19: beitragen a20: andern c21: göttlichen, a22: Fürsehung c23: benutzen c24: wieder

163a1.

Selbst die glücklichen /cundc\c2 mißlichen Zeitumstände sind eine Aufforderung Gottes, Gutes zu |b239| stiften. – Wenn die weitere Aufklärung und Ausbreitung der Wissenschaften, namentlich derer, die mit der Religion in der nächsten Verbindung stehen, auf einer Seite Untersuchungen in der Religion rege macht, und auf der andern sie befördert; wenn die Wißbegierde, auch in der Religion, allgemeiner wird, und selbst das Volk nach Aufklärung dürstet; wenn die Freyheitc3 der Untersuchung nicht durch Einschränkung gelähmt, sondern vielmehr ermuntert wird; wenn alte heftige Streitigkeiten verraucht, und die Gemüther zur kühlblütigernc4 Untersuchung derselben gestimmt sind; wenn der öffentliche Geschmack mehr zur Liebe des Praktischen, auch in der Re|a505|ligion, gebildet ist; wenn selbst die größerea5 Gefahr für die Religion, die aus Zweifeln entsteht, diejenigen, die überall den wichtigen Einfluß der Religion zu schätzen wissen, bereitwilliger macht, auch das Neuentdeckte, das ihnen sonst bedenklich war, darum anzunehmen, weil es die Zweifel löset, und die Ehre der Religion befestigt; wenn man also auch geneigter ist, Mißverstand beyzulegenc6, und, so weit es ohne Nachtheil der Wahrheit geschehen kanc7, sich zum Frieden die Hände zu bieten: – alsdanna8 ist es Dankbarkeit gegen Gott, Pflicht gegen Wahrheit und Frieden, diese Umstände zur nähern Untersuchung zu brauchenc9, und das von uns oder Andern Gefundnec10 mit Weisheit auszubreiten.

a1: 450 c2: oder die c3: Freiheit c4: kaltblütigern a5: grössere c6: beizulegen c7: kann a8: alsdenn c9: gebrauchen c10: Gefundene

|c206| 164a1.

Und wenn eben diese günstigen Umstände, durch eine anderwärtshin genommnec2 Wendung, |b240| Gelegenheit zu mancherleyc3 Angriffen auf die Religion, wenigstens zu mehrern Zweifeln, zur Beeinträchtigung der Wahrheit und zur Verminderung ihres Werthes und Einflusses auf die Menschen, geben; wenn sich gerechtscheinende Klagen der Besorgniß eines immer weiter um sich greifenden Schadens erheben; wenn diese die weitere Untersuchung, zu der selbst die anscheinende Gefahr auffordern sollte, hemmen, und durch Verdächtigung ihren Nutzen vernichten oder einschränken, den edlern Theil der |a506| nach Wahrheit und gegründeter Ruhe durstendenc4 des Mittels seiner Befriedigung berauben, und den Feinden der Religion, die nicht durch Klagen, sondern nur durch Untersuchung entkräftet werden können, die Freude über ihren vermeinten Sieg in die Hände spielen: /a– alsdanna\a5 wäre es unchristliche Muthlosigkeit, Unglaube gegen Gott, oder Versuchung desselben, Verräthereyc6 gegen die göttliche Wahrheit, offenbarea7 Gleichgültigkeit gegen die Ruhe, die der Mensch mit so großema8 Rechte in der Religion sucht, nicht immer weiter untersuchen, die Ueberzeugung der Menschen von ihr nicht auf einen immer festern Grund setzen, ihren unaussprechlichen Werth nicht immer einleuchtender und dringender darlegen zu wollen.

c9 Es ist eines verständigen Christen ganz unwürdig, über solche Untersuchungen, und das, was dadurch entdeckt wird, als über Neuerungen zu klagen, auf seine Meinungen, weil sie alt sind, stolz zu |b241| thun, und alles Neue mit bloßera10 Verunglimpfung von der Hand zu weisen. – Freylichc11 fassen alte Schläuche den neuen Wein nicht (Luc. 5, 37 f.); aber es ist doch Undank gegen Gott, Einschläferung unsrerc12 Kräfte, mit denen wir zum |c207| Guten, wenigstens durch Sichtung, mitwirken könnten, Versündigung gegen den, der Hülfe bedarf, und gegen den, der ihm helfen will, nicht nur selbst nichts zu thun, und nichts zu brauchenc13, was Andrec14 statt unsrerc15 thun, sondern auch selbst Andrec16 davon abzuhalten, und ununtersucht den guten Keim, den Gott aufgehen läßt, wie Unkrauta17 zu zertreten. – Rotte das Unkraut aus, weil |a507| es Unkraut, nicht weil es neu ist; du möchtest eine sehr heilsame Pflanze vertilgen, von der du nur vorher noch nichts gehört hattesta18. Doch vergiß auch beyc19 dem Ausjäten des Unkrautes das nicht, was unser Herr sagt Matth. 13, 39a20. – Allerdings giebts nur Einen Grund, auf den wir bauen müssen, der, daß Jesus der Christ seyc21 (1 Kor. 3, 11).c22 Auf den hat man hölzerne und steinerne Häuser gebautc23 (V.a24 12).c25 Sind alle alte dieser, und alle neue jener Art? Die Zeit wirds klar machen, sagt der Apostel (V.a26 13c27); aber wie kanc28 sie /cdirc\ dasa29, wenn alles Neue, was die Zeit lehrt, schon daruma30 das Zeichen der Verwerfunga31 trägt, weil es neu ist? – Die Wahrheit ist ewig, aber sie wird oft erst spät erkannt. Wer das bisher Unerkannte ans Licht bringt, der sagt freylichc32 etwas Neues; aber verdient er die schnöde Verachtung, er, den Gott vielleicht zum Werkzeug brauchenc33 will, dich zu erleuchten? – Ephes. 4, 11–15. 1 Kor. |b242| 13, 9 f. Ebr. 5, 12–14. 1 Kor. 3, 21 f. – Es ist wohl kaum nöthig zu sagen, daß wer darum nicht das Neue will weggeworfen wissen, weil es neu ist, damit keinesweges /calles Neuec\c34 billigt, eben /cweil es neuc\c35 ist. Ob etwas neu oder alt ist?a36 muß gar nicht, ob es wahr sey?ac37 muß allein in Anschlag kommen.
a1: 451 c2: genommene c3: mancherlei c4: Durstenden a5: alsdenn c6: Verrätherei a7: thätige a8: grossem c9: Anm. a10: blosser c11: Freilich c12: unserer c13: gebrauchen c14: Andere c15: unserer c16: Andere a17: Unkraut, a18: hast c19: bei a20: 29 c21: sei. c22: 11.) c23: gebaut. a24: (v. c25: 12.) a26: (v. c27: 13. c28: kann a29: das a30: darum a31: Verwerfung c32: freilich c33: gebrauchen c34: alles Neue c35: weil es neu a36: ist, ac37: sey, (a); sei? (c)

165a1.

Auf die beschriebene Art sollte sich ein jeder selbstdenkender Christ, der alle dazu erforderliche Fähigkeit und Mußea2 hätte, wenigstens jeder Lehrerc3, sein christliches System bilden; und alsdanna4 wäre es Zeit, auch Ande|c208|rer Vorstellungen zu hören. Denn /cc\ der bloßea5 Selbstfor|a508|scher urtheilt gar zu leicht einseitig, und läßt sich von geheimen Vorurtheilen, aufgefaßten Gesichtspunctenc6, wohin er allesc7 allein zieht, und selbst Leidenschaften, beschleichen. – Da uns über dies so viele, denen gewiß Aufspürungc8 des wahren Christenthums Herzensangelegenheit war, und denen es nicht an den nöthigen Fähigkeiten und Kenntnissen fehlte, vorgearbeitet haben:a9 warum sollten wir ihre Vorarbeit nicht benutzena10, ihnen wenigstens nicht danken, daß sie unsrec11 Aufmerksamkeit auf Vielesa12 lenken, was ihr entwischtc13 ist, und uns zeigen, was und wo es noch weiterer Untersuchung bedürfe? – Wollen wir c14 vollends als Lehrerc15 Anderera16 auftreten:c17 so erfordert die gesellschaftliche Ordnung, uns zu einer gewissen kirchlichen Gesellschaft zu halten, deswegen die |b243| Vorstellungen in der Religion, die sie von ihren Mitgliedern erwartet, kennen zu lernen, und zu prüfen, ob wir sie mit Ueberzeugung fortpflanzen, wenigstens öffentlich unbestritten laßenac18 können. Es erforderts auch die /cWeisheit undc\ Gerechtigkeit gegen /cAndre, unsrec\c19 Kenntnisse vom Christenthum möglichst ihren Vorstellungen, wenn sie nicht schädliche Irrthümer sind, anzuschmiegen;ac20 ihres, wenn gleich oft irrenden, Gewissens zu schonen;ac22 und nicht durch Unvorsichtigkeit oder Allgenügsamkeita23 ein Mißtrauen oder c24 Abneigung zu erregen, dasc25 einen Lehrer der Religion so sehr hindert, beyc26 Andern Gutes zu stiften. Alles dieses führt die Pflicht mit sich, uns um Andrerc27 Vorstellungen zu bekümmern, und auf diese, wenigstens eine prüfende, Rücksicht zu nehmen.

c{Anm. So urtheilt auch Fichte in dem System der Sittenlehre: „Der Diener einer Kirche muß davon ausgehen, worüber Alle einig sind, vom Symbol. – Er muß darauf |c209| hinausgehen, worüber Alle einig werden sollen. Er muß sonach weiter sehen, als die Einzelnen; das beste und sicherne Resultat der moralischen Cultur des Zeitalters in der Gewalt haben: und zu diesem hat er sie zu führen. – Alle sollen einig werden; sie sollen aber auch, während ihres Fortschreitens, einig bleiben; mithin muß er stets so gehen, daß man ihm folgen kann. – Sobald er in seinem Vortrage zu sehr der Cultur seiner Zuhöhrer voreilt, sobald redet er nicht mehr zu Allen (einer Gemeinde) u. s. w.“ – Ausführlicher habe ich den Begriff und die Natur der Lehrweisheit, welche schon eine gründliche Kenntniß des Systems voraussetzt, entwickelt in den Briefen an christliche Religionslehrer, 3te Sammlung. A. d. H.}c
a1: 452 a2: Musse c3: Lehrer a4: alsdenn a5: blosse c6: Gesichtspunkten c7: Alles c8: Auffindung a9: haben, a10: benützen c11: unsere a12: vieles c13: entgangen c14: aber selbst c15: Lehrer a16: Andrer c17: auftreten, ac18: lassen c19: Andere, so wie die Lehrweisheit, unsere ac20: anzuschmiegen, (a); anzubequemen; (c) ac22: schonen, a23: Allgenugsamkeit c24: eine c25: die c26: bei c27: Anderer

|a509| 166a1.

Diese Vorstellungen /cAndrer sindc\c2 entweder /csolche, welchec\ in einer besondern Kirche eine Art von gesetzmäßigema3 Ansehen erlangt /chabenc\, oder c4 Privatgedanken und Resultate solcher Untersuchungen, die von einzelnena5 gelehrten Männern angestellt sind. Die erstern verdienen unsrec6 Kenntniß und Prüfung, nicht nur weil sie /cdas Vorurtheil vorc\c7 sich haben, daß sie nach öftrerc8 Untersuchung vieler redlichen, verständigen und gelehrten Christen bewährt befunden worden, sondern noch vielmehrc9 wegen der so eben (§. /a165c10) erwähntena\a11 /cGründe für einenc\c12 öffentlichen Lehrerc13. Die letztern hingegegen scheinen noch mehr wichtige Aufschlüsse |b244| über Religion und Christenthum zu versprechen, zumahlc14 wenn sie den Beyfallc15 der /cgelehrtesten und untersuchendstenc\c16 Männer füra17 sich haben. Denn beyc18 solchen besondern Untersuchungen einzelnera19 Lehrsätze kanc20 man mehr eigentlichen Fleiß und neue Aufklärung erwarten; man kanc21 erwarten, daß dergleichen Männer weniger durch die Fesseln eines Kirchensystems oder eingeschränkter Lehrfreyheitc22 zurückgehalten worden, freyec23 Untersuchungen anzustellen; der |c210| Beyfallc24, mit dem man ihre Untersuchungen aufgenommen, hat weniger den Verdacht wider sich, daß er durch kirchliches Ansehen oder Schonung des Hergebrachten gestimmt seyc25; und, wenn solche Untersuchungen von Männernc26 herrühren, denen man, neben wahrer Bescheidenheit, vorzügliche Bekanntschaft mit den Hülfsmitteln zur Aufklärung |a510| der Theologie, wenigstens in den Theilen, woran sie gearbeitet haben, und vorzügliche Uebung in solchen Untersuchungen nicht absprechen kanc27: so kanna28 man sicherlich mehr von ihnen lernen, als von denen, die nur der gebahnten Heerstraßea29 folgen.

a1: 453 c2: Anderer, haben a3: gesetzmäßigen c4: es sind bloß a5: einzeln c6: genaue c7: wenigstens das für c8: öfterer c9: vielmehr, c10: 165. a11: 452) erwehnten c12: Gründe, von Seiten des c13: Lehrers c14: zumal c15: Beifall c16: gelehrtesten, unermüdet forschenden a17: vor c18: bei a19: einzler c20: kann c21: kann c22: Lehrfreiheit c23: freie c24: Beifall c25: sei c26: Gelehrten c27: kann a28: kan a29: Heerstrasse

167a1.

Indessen /cist eignec\c2 Untersuchung doch immer das Nöthigste. Was ist wahr? was ist Christenthum? diesc3 ist doch eigentlich die Hauptsache, davon muß man /cwollenc\ im System unterrichtet seyn c4; was der oder jener, diese oder jene Kirche, geglaubt /chat, diesa5 c\c6 zu wissen, ist, wenn es nicht Gelegenheit giebt, Wahrheit zu finden, fast von |b245| gar keinema7 Werth. Sammlungen von Meinungen, wenn sie nicht geprüft, sondern der Wahl eines jeden überlaßenac8 werden, verwirren nur, und stimmen die Seele zum ewigen Schwanken zwischen menschlichen Einfällen. Und wie? wenn unter allemc9, was bisher /cworüberc\c10 gesagt ist, gerade die rechte Vorstellung noch fehlte? c11 – Was übrigens zur Bildung eines immer vollkommnern Systems geschehen müsse, ist schon oben gesagt. Hier nur noch etwas über den bessern Vortrag desjenigen, was man, nach oben erwähntema12 Verfahrenc13 von dem Christenthum gefunden hat, oder besser, gefunden zu haben glaubt.

cAnm. *) Eine Dogmatik, die in eine bloße Dogmengeschichte verwandelt wird, hört auf, da sie ihren eigenthümlichen |c211| Charakter, Glaubenslehre und Untersuchung der Lehre zu seyn, verliert, Dogmatik zu seyn, und wird ein Theil der historischen Theologie. A. d. H.c
a1: 454 c2: bleibt eigene c3: dieß c4: wollen a5: das c6: hat: dieß a7: keinen ac8: überlassen c9: Allem c10: über eine Lehre c11: *) a12: erwehntem c13: Verfahren,

|a511| 168a1.

Allerdings bleibt Wahrheit immer Wahrheit, und /ces ist übel gesprochenc\c2, wenn man sagt, daß c3 Wahrheit leiden, c4 Religion in Gefahr kommen könne, obgleich die Ueberzeugung der Menschen davon, und die Achtung und Liebe zu ihr leiden kanc5. Auch nutzt sich die Wahrheit nie ab, daß man auf Erfindung einer andern denken müßte. Da auch die christliche Theologie sich auf die heilige Schrift gründet, diese aber einen bestimmten Umfang hat: so laßenac6 sich eigentlich neue Entdeckungen über christliche Lehren selbst nicht machen, wenn man nicht besserea7 Erklärung einzelnera8 Stellen, die mehrere Entwickelung desjenigen, was in der heiligen Schrift liegt, die weitern Aussichten, die aus Vergleichung der christlichen Lehren unter einander, und mit natür|b246|lich bekannten Sätzen, entstehen, und die Wegräumung falscher Vorstellungen, dahin rechnen will. Aber man kanc9 die Ueberzeugung der Menschen von der Wahrheit und von dem Christenthum, oder der rechten Vorstellung davon, durch neue Gründe, und den bessern Eindruck derselben, durch neue Anwendung befördern.

a1: 455 c2: man drückt sich wenigstens unbequem und unrichtig aus c3: die c4: die c5: kann ac6: lassen a7: beßre a8: einzler c9: kann

169a1.

So wie sich alle Wissenschaften durch neue Entdeckungen oder gründlichere Einsicht des bereits Bekannten erweitern, namentlich Sprachkunde und Philosophie: so ist kein Zweifel, daß da|a512|durch auch für die Religion und das Christenthum neue Bestätigung möglich wird, und daß, wenn |c212| die Aufklärung der Wissenschaften immer fortgeht, und Geschmack und Denkungsart mehr gebildet wird, allerdings auch auf neue oder neu geschärfte und einleuchtender gemachte Beweise der Lehren gedacht werden müsse. – Noch mehr findet dieses beyc2 der Anwendung der Lehren statt. Die Willigkeit, sich an die christlichen Lehren, zur Beförderung unsrerc3 Gemüthsruhe, zu halten, und dieselben treulich zu befolgen, hängt offenbar von dem Werth ab, den man auf diese Lehren legt, d. i. auf den deutlich und lebhaft erkannten Einfluß derselben auf unsrec4 Glückseligkeit. Diesen Einfluß müßte man vornemlichc5 klar machen, und diesen recht darstellen,c6 das ists, wie mich dünkt, eigentlich, was man praktischen Vortrag nennen sollte.

|b247| c7 Es ist ein sehr gewöhnlicher Mißverstand, das Praktische mit dem Moralischen zu verwechseln, und die Folge davon ist nur zu oft Verachtung oder Gleichgültigkeit gegen allesc8, was nicht unmittelbara9 das Thun und Laßenac10 der Menschen betriftc11. Praktisch ist /cdoch allesc\c12, was auf die menschliche Glückseligkeit anwendbar ist. Nun beruht diese Glückseligkeit 1) keinesweges bloß auf unserm Thun und Laßenac13, oder der Beobachtung unsrerc14 Pflichten, sondern auch auf Gemüthsruhe, die zwar auch von dem guten Gewissen abhängt, aber eben so sehr von der Ueberzeugung, daß allesc15, was uns begegnet, wirklich für uns gut ist, und daß wir uns zu Gott und dessen Regierung immer des Besten versehen können. Diese letztrec16 Ueberzeugung |a513| ist zu unsrerc17 Glückseligkeit unumgänglich nothwendig, in Absicht auf solche Veränderungen, die nicht in unsrerc18 Gewalt stehen, wohin auch diejenigen gehören, die wir nicht können ungeschehen machen, /anamentlicha\ unsrec19 vielfältigen Vergehungen, und die daher entstehendena20 Folgen. 2) /cKanc\c21 der Einfluß eines Satzes auf unsrec22 Glückseligkeit eben sowohl mittelbar als |c213| unmittelbar seyn, und wir urtheilen wie Kinder, wenn wir das Nutzbare, auch in /adera\ Religion, bloß auf das Letztere (auf das materialiter /aoder unmittelbara\ Praktische) einschränken, ohnerachtetc23 uns die ganze Einrichtung der physischen und moralischen Welt so deutlich an den auch sehr entfernten Einfluß gewisser Ursachen auf unser Wohl und Weh erinnert. Daher ist jedera24 noch so /cspeculative Satz,a25 c\c26 praktisch, wenn er 1)c27 die zu unsrerc28 Gemüthsruhe unent|b248|behrliche Ueberzeugung von Gottes allezeit weisen und gütigen Anstalten und Fügungen zu unserm Besten überhaupt und in einzelnena29 Fällen, auf eine nähere oder entferntere Art, befördern, irgend einen Beweis dafür geben, irgend einem Zweifel dagegen zuvorkommen, oder ihn /cheben kan. 2) Wennc\c30 er c31 irgend einen Grund zu einer Pflicht enthalten, irgend eine Ermunterung dazu, irgend eine Erleichterung derselben in der Ausübung,c32 geben /ckan. Und einenc\c33 Satz praktisch machenc34 ist c35 nichts anders, als zeigen, welchen Einfluß derselbe auf unser Bestes haben könne, es seyc36 auf die eine oder die andrec37 so eben angegebene Art; welches auch dadurch geschehen kanc38, wenn wir ihn so erklären, so bestimmen, in eine solche Verbindung mit andern stellen, daß andrec39 diesen Einfluß leicht einsehen, und die Anwendung desselben auf ihre Gemüthsruhe oder Besserung leicht machen können.
c{Dieß ist die wahre Idee, die Allen, welche die praktische Theologie im Gegensatz der Schultheologie verarbeitet haben, vorgeschwebt hat.}c
a1: 456 c2: bei c3: unserer c4: unsere c5: vornehmlich c6: darstellen; c7: Anm. c8: Alles a9: unmittelbar ac10: Lassen c11: betrifft c12: im Grunde Alles ac13: Lassen c14: unserer c15: Alles c16: letztere c17: unserer c18: unserer c19: unsere a20: entstehende c21: Es kann aber c22: unsere c23: ungeachtet a24: jeder, a25: Satz c26: spekulative Satz c27: a) c28: unserer a29: einzeln c30: heben; wenn c31: b) c32: Ausübung c33: kann. Einen c34: machen, c35: demnach c36: sei c37: andere c38: kann c39: andere

|a514| 170a1.

Zu diesemc2 guten Vortrage der systematischen Theologie gehört auch der weise Gebrauch gewisserc3 dem System eigenthümlichenc4 Ausdrücke, welche man gemeiniglich mit dem Namen der Schulsprache c5 belegt, und welche viele aus dem Vortrag der Religion wollen entfernt, an ihrer Statt aber biblischec6, zum Theil /cauch mystischec\c7, oder Ausdrücke aus der Sprache des gemeinen Le|c214|bens, eingeführt /cwissen †).c\c8 Wahr ist es, Ausdrücke sind gleichgültig, wenn sie nur die Sachen verständlich und ohne Irrthümer bezeichnen, wenn sie also nur, falls sie dunkel oder zweydeutigc9 |b249| sind, erklärt werden, daß man dadurch wirklich die Sachen verstehen lernta10, und gegen falsche Vorstellungen gesichert wird; wahr ist es auch, daß, wo man beyc11 einema12 Vortragc13 nicht sowohl deutliche und genaue Einsicht, als vielmehr Eindrücke der Religion, selbst beyc14 undeutlicher Erkenntniß derselben, befördern will, die c15 Schulsprache völlig entbehrt, und der Gebrauch unbestimmter und sinnlicher Ausdrücke selbst nützlicher werden kanc16, weil sie durch Nebenbegriffe den Eindruck befördern; wahr ist es, daß man die Absicht der Schulsprache oft ohne sie erreichen /ckan ††;a17 c\c18 wahr istsc19 endlich, daß die gelehrte Sprache in der Theologie manche Unbequemlichkeit mit sich führt. Denn durch sie wird die Erlernung der Theologie erschwert; der Vortrag wird trocken, und, weil sie die Sachen bloß dem Verstande, nicht der Einbildungskraft, darstelletc20, so wird |a515| die Anwendung der Sachen auf sich selbst und auf das Herza21 weniger einleuchtend oder nahe gelegt; sie ist dem größten Theil der Zuhörer entweder unverständlich, oder erweckt eben sowohl falsche Nebenbegriffec22 wie andrec23 Arten der /cSprache *),c\c24 und, was beynahec25 das Schlimmste ist, sie verbindet gewisse menschliche, zum Theil irrige, Vorstellungen so inniglichc26 mit den c27 Lehren des Christenthums, daß jene eben das Ansehn wie diese erhalten, und so lange nicht ausgerottet werden können, als man an dieser Schulsprache hängt. **)c28

/c†)c\c29 /aS. c30 Gründe für die gänzliche Abschaffung der Schulsprache des theologischen Systemsa\a31, Berlin 1772. 8.
|b250| |c215| ††)c32 Entweder wenn man uneigentliche, sinnliche, und überhaupt unbestimmte Ausdrücke mit gemeinbekannten eigentlichen vertauscht, z. B. statt Vergebung der Sünden,c33 Verschonung mit Strafen, statt Wiedergeburt, gänzliche oder /cHerzenbesserung,c\c34 setzt; oder sich durch wohlgewählte Umschreibungen, Beschreibungen und Beyspielec35 erklärt, wie Jesus in seinen Parabeln, als Luc. 15, 11 f. 18, 10 f. etc.;a36 oder wohlerklärte, und durch weitrec37 Erläuterungen sonst schon den Zuhörern bekannte Hauptbegriffe und Hauptsätze (§. /c155a38) beybehältc\c39.
*)c40 Z. B. Person in der Gottheit;a41 an welches Wort die meistenc42 gar nicht den metaphysischen Sinn knüpfen, worin es unsrec43 Theologen wollen genommen wissen, und daher entweder gar nichts dabeyc44, oder grobe Begriffe von Theilbarkeit, menschlicher Gestalt, oder, wie einige in der |a516| ältern Kirche beyc45 dem Wort πρόσωπον, bloßea46 Verhältnisse /chinzu denkenc\c47.
**)c48 Als eben beyc49 dem Wort /aPerson; beyc50 dem Ausdrucka\a51 Entäusserungc52 /aChristi, dem man den falschen Begriff von einema\a53 unterlaßnenc54 Gebrauch göttlicher /aEigenschaften untergelegt hat; Genugthuungc55 a\a56 wenn es nicht in gut lateinischem Verstande genommen wird;a57 Caput /cmoralec\c58 von Adam gebraucht /cu. d. gl.c\c59
a1: 457 c2: einem c3: gewisser, c4: eigenthümlicher c5: (termini technici) c6: biblische c7: wohl gar mystische c8: wissen. 1) c9: zweideutig a10: kan c11: bei a12: einen c13: Vortrage c14: bei c15: gelehrte c16: kann a17: ††); c18: kann; 2) c19: ist's c20: darstellt a21: Herz, c22: Nebenbegriffe, c23: andere c24: Sprache, 3) c25: beinahe c26: innig c27: eigentlichen c28: 4) c29: Anm. 1) c30: die, den Gegenstand sehr einseitig fassende, Schrift: a31: Gründe für die gänzliche Abschaffung der Schulsprache des theologischen Systems c32: 2) c33: Sünden c34: Herzensbesserung, oder Sinnesänderung c35: Beispiele a36: etc. c37: weitere a38: 442 c39: 155.) beibehält c40: 3) a41: Gottheit, c42: Meisten c43: unsere c44: dabei c45: bei a46: blosse c47: hinzudenken c48: 4) c49: bei c50: bei a51: Person, c52: Entäußerung a53: Christi für c54: unterlassenen c55: Genugthuung, a56: Eigenschaften, Genugthuung, a57: wird, c58: morale, foederale, c59: u. dergl.

171a1.

Dieses allesc2 beweiset aber nur:c3 daß dergleichen gelehrtere Sprache nicht überallc4 nöthig, oft, und in denc5 gemeinen /cVortrag insbesondrec\c6, |b251| unschicklich seyc7; daß man sich also hüten müsse, allein darin zu denken und vorzutragen; daß sie noch, besonders die eingeführte Kirchensprache, mancher Verbesserung bedürftig sey;c8 /alautera\ Vorwürfe, die man den andern Arten der /aSprache, welchea\a9 man statt dieser gebraucht wünscht, und die man jeder eigenthümlichen Sprache in irgend einer Wissenschaft und Kunst,a10 mit eben dem Recht und Unrecht /cmachen kan,c\ wie dieser c11. Hingegen beweiset |c216| alles dieses nicht, daß sie gar nicht, daß sie auch selbst nicht in dem systematischen Vortragc12, daß nicht nur ihr Gebrauch nicht, sondern auch nicht einmal ihre Kenntniß nöthig seyc13. Vielmehr hat sie und ihre Kenntniß allerdings, in der systematischen Theologie, wenn sie nur gehörig erklärt, und mit Weisheit gebraucht wird, sehr großea14 Vortheile, die ganz verlohrenc15 gehen würden, wenn man sie abschaffen wollte. Sie ist 1) einmal da, und nicht nur in vielen, ja |a517| gerade in den gründlichsten,c16 theologischen Schriften, sondern auch selbst in öffentlichen Bekenntniß- und Lehrbüchern eingeführt, die man also ohne die Kenntniß dieser Sprache nicht verstehen, vielweniger beurtheilen kanc17. Und wenn man sich über seine Unbekanntschaft mit ihr damit trösten will, daß solche Schriften nicht brauchten gelesen zu werden, und bald nur noch zur Geschichte der Lehre nöthig seyn würden: so überlegt man nicht, daß doch symbolische Schriften nicht so nach eignem Gutbefinden können beyc18 Seite gelegt werden, oder dem Lehrer, der sich zu einer gewissen Kirche bekennt, unbekannt oder unverständlich bleiben |b252| dürfen; daß mit Wegschaffung der in der Schulsprache geschriebnenc19 Schriften ein großera20 Schatz von Kenntnissen und Bestimmungen c21 würde /cverlohren gehenc\; daß die Kenntniß der Schulsprache doch immer unentbehrlich bleibe, wenigstens c22 theologische Streitigkeiten und Irrthümer ganzer Kirchen zu verstehen und zu beurtheilen.

a1: 458 c2: Alles c3: nur, c4: überall c5: dem c6: Vortrage insbesondere c7: sei c8: sei: a9: Sprache die a10: Kunst c11: machen kann c12: Vortrage c13: sei a14: grosse c15: verloren c16: gründlichsten c17: kann c18: bei c19: geschriebenen a20: grosser c21: verloren gehen c22: um

172a1.

Indessen mag dieses der kleinste Vortheil seyn, den wenigstens die historische Kenntniß der theologischen Schulsprache mit sich führt; aber selbst der Gebrauch dieser Sprache ist sehr nützlich. Denn 2)c2 lassen sich c3 manche |c217| Begriffe gar nicht, oder doch nicht so kurz ausdruckena4, als durch Hülfe dieser /cSprache †);a5 c\c6 und die reichhaltige Kürze kommt doch nicht nur dem Gedächt|a518|niß zu Hülfe, und befördert die leichtere Uebersicht der großena7 Menge von Sachen, sondern sie befördert auch die Schnelligkeit im Denken, und führt auf neue Begriffe. 3) Hauptsächlich ist sie zu der so unschätzbaren Bestimmtheit der Begriffe,c8 wenigstens da unentbehrlich, wo Bestimmtheit mit Kürze vereinigt werden soll. Sie hebt die Zweydeutigkeitc9 der Begriffe und Sätze, die der Grund des Mißverstandes und der daher entstehenden Streitigkeiten ist;a10 und wenn alles diesc11 durch die gelehrte Sprache sogar zum voraus /ckanc\ verhütet werden c12, wie viele unnütze Untersuchungen und Zweifel erspart sie uns? ausc13 wie vielerleyc14 Verwirrung hilft sie, welche die |b253| Quelle aller Ungewißheit ist? /c*) 4)c\c15 Sie befördert selbst die Einsicht des Zusammenhangs der Lehren, und giebt ihnen ein gewisses Licht und eine Stärke, die sie ohne diese Sprache würde entbehren müssen. **)c16

/c†) Beyc\c17 den so schwierigen Fragen, z. B. von Mitwirkung Gottes beyc18 sündlichen Handlungen;a19 von den Absichten, die Gott hat, und nicht erreicht;a20 von der Seligkeit derer, die keine Gelegenheit zur Erkenntnißa21 des Christenthums gehabt haben;a22 welche Fragen mit Gottes Heiligkeit und Weisheit, und mit der Nothwendigkeit des Glaubens an Christum, worauf die heilige Schrift dringt, so sehr in Widerspruch zu stehen scheinen, giebt der Unterschied zwischen dem Materiellen und Formellen der freyenc23 Handlungen, demc24 voluntate absoluta und inabsoluta Dei, dem ausdrücklichen und unentwickelten Glauben,c25 sehr kurze und bestimmte Entscheidung.
|a519| *)c26 Man weiß, welche Unbestimmtheit und Zweydeutigkeitc27 in der gemeinen Sprache liegt, und wie oft an den Ausdrücken derselben Nebenbegriffe hängen, die mit derselben in |c218| die Erkenntniß der Religion übergehen, und Irrthümer verursachen (/a/cTheil 1c\a\c28 §. 61c29), oder doch von dem festen /cGesichtspunct beyc\c30 einer Untersuchung ableiten, und auf Nebensachen führen, welchem Fehler man alsdanna31 nur durch eine bestimmtere Sprache zuvorkommen kanc32. – Freylichc33 mag diese Sprache bisweilen zarten Ohren widrig klingen, und danna34 stehts beyc35 jedem, sie durch besser gewählte Ausdrücke harmonischer zu |b254| /amachen. Sonsta\a36 aber ist nicht abzusehen, warum man die Ausdrücke von fide quae und fide qua, von der Rechtfertigung durch den Glauben correlatiuec37 ad Christum, /cvon der Rechtfertigung im medicinischen und juristischen Verstande,c\ mißbilligen will, wenn man die dadurch ausgedruckteac38 Sache versteht, und sie selbst nicht mißbilligt. – Selbst durch bestimmte Ausdrücke und Erklärungen der biblischen Begriffec39 wird die Abhandlung der Sachen ungemein abgekürzt,c40 und unnöthige Untersuchung verhütet; wie man aus Vergleichung dererjenigenc41 Lehrbücher sehen kanc42, die aus der Lehre von den sogenannten dreyc43 Aemtern Christi, von Erleuchtung, Bekehrung, Bußea44, Wiedergeburt, Heiligung, mystischer Vereinigung /cu. d. gl. besondrec\c45 Artikel machen, wenn man sie mit andern vergleicht, wo sie zusammengenommen sind, weil man fand, daß ein und dieselbe Sache nur durch verschiednec46 Tropen ausgedrucktac47 war, die alle durch Einen bestimmten Ausdruck vereinigt werden.
**)c48 So wird man schwerlich den Zusammenhang zwischen Gottes höchster Seligkeit, Gütigkeit, Heiligkeit und Gerechtigkeit, wenigstens schwerlich ohne Weitläufigkeit, populär zeigen können. |a520| Aber man nehme die vorher wohl erklärte Terminologie vom bonoc49 physico und morali zu Hülfe, und denke sich die Sache so: Gott will allezeit was bonum (oder vielmehr optimum) ist, beyc50 sich und /cbey Andern,c\c51 das bonum aber ist entweder physicum oder morale; folglich will Gott aufs höchste 1) das bonum physicum beyc52 sich, 2) das bonum mo|b255|rale beyc53 sich, 3) das bonum physicum /cbey Andernc\c54, und 4) das bonum morale beyc55 Andern (/aesa\ versteht sich, die dessen fähig sind). Was ist das erstec56 anders, als die höchste Seligkeit, das zweytec57 |c219| die höchste Heiligkeit, das drittec58 die höchste Gütigkeit, das viertec59 die höchste Gerechtigkeit? So fällt der Unterschied dieser Eigenschaften, der nothwendige Zusammenhang unter ihnen, und zugleich der wichtige Umstand in die Augen, daß Gottes Gerechtigkeit nichtsa60 anders als seine höchste Gütigkeit seyc61, so fern sie das bonum morale /cbey freyenc\c62 Geschöpfen als Mittel zu deren bono physico will. Wenn auch nichts als dieser allein würdige Begriff von Gottes Gerechtigkeit durch diese Terminologie /cgewonnenc\c63 würde:a64 zu wie viel herrlichen Folgen würde diese führen, sowohl uns über a65 unser Schicksal zu beruhigen, als uns Gottes Gesetze werth, und uns zu ihrer Befolgung willig zu machen? welches beyc66 dem gewöhnlichern Begriff von Gottes Gerechtigkeit, die man als abgesondert von der Liebe, oder a67 als ihr entgegengesetzt denkt, gar nicht zu erhalten ist.
a1: 459 c2: es c3: 2) a4: ausdrücken a5: †) c6: Sprache; 1) a7: grossen c8: Begriffe c9: Zweideutigkeit a10: ist, c11: dieß c12: kann c13: Aus c14: vielerlei c15: 2) c16: 3) c17: Anm. 1) Bei c18: bei a19: Handlungen, a20: erreicht, a21: Kenntniß a22: haben, c23: freien c24: der c25: Glauben c26: 2) c27: Zweideutigkeit c28: Th. 1. c29: 61. c30: Gesichtspunkt bei a31: alsdenn c32: kann c33: Freilich a34: denn c35: bei a36: machen; sonst c37: correlative ac38: ausgedrückte c39: Begriffe, c40: abgekürzt c41: derjenigen c42: kann c43: drei a44: Busse c45: u. dergl. besondere c46: verschiedene ac47: ausgedrückt c48: 3) c49: bono c50: bei c51: bei Andern; c52: bei c53: bei c54: bei Andern c55: bei c56: Erste c57: Zweite c58: Dritte c59: Vierte a60: nichts, c61: sei c62: bei freien c63: gewonnen, wenigstens mehr ins Klare gebracht a64: würde, a65: alles c66: bei a67: gar

173a1.

Die Beschwerden, welche man schon längst gegen den Gebrauch der gelehrteren Sprache in der Theologie, wie gegen den gelehrteren Vortrag des Christenthums überhaupt, erhoben hat, |a521| rührten freylichc2 wohl am meisten von der Besorgniß her, daß dadurch das Christenthum zu sehr eine Sache des Verstandes, und zu wenig Sache des Herzens werden /cmöchte; ob man gleichc\

cmöchte, daher sie auch häufig, wie die Geschichte der Kirche in allen Zeiträumen lehrt, gerade von denen erhoben sind, denen das Praktische in der Religion Hauptsache war, und am meisten am Herzen lag. Man darfc
|b256| von der Billigkeit dieser Gegner erwarten /ckanc\, daß sie /cwürdenc\ milder geurtheilt haben c3, wenn sie mehr Bekanntschaft mit der Gelehrsamkeit, sonderlich der Philosophie,c4 und ihrem Werth, gehabt, mehr diese gelehrte Sprache und die dadurch bezeichneten Sachen verstanden, mehr,c5 aus eigner Uebung im Nachdenken über die Lehren des Christenthums und ihre Verbin|c220|dung unter einander, die großena6 Vortheile der philosophischen Behandlung dieser Lehren, auch in Absicht auf den Ausdruck, gekannt hätten. Diese letzteren Ursachen, nebst dem Gefühl der Unschicklichkeit des Gebrauchs dieser Sprache und Lehrart in jederc7 Art des Vortrags, auch vor den Ungelehrten, mögen wohl beyc8 Andern die Beschwerden darüber veranlaßt haben,c9 und diese Klagen mußten nothwendig mehr Eindruck machen, nachdem man hauptsächlich zu unsrerc10 Zeit angefangen hatte, die Nothwendigkeit einer Absonderung des gelehrten und gemeinen Vortrags beyc11 dem Christenthum einzusehen.

c12 Die Vernachläßigungc13 des Volksunterrichts überhaupt; die bald unter den Christen eingerissenea14 Gewohnheit, das Volk mehr durch Ansehnc15 der Kirche, als durch verständliche Lehren und durch Ueberzeugung, zu regieren; und der größre Werth, den man, auch sehr frühzeitig unter Christen, auf Beobachtung äusserlicher Disciplin, mehr als auf wirkliche Erkenntniß des Christen|a522|thums, gelegt, mögen wohl am längsten, die Nothwendigkeit dieses Unterschieds einzusehen, verhindert haben. Da nun |b257| vollends das Ansehnc16 der Kirche eine gewisse gelehrte Sprache im Christenthum geweyhtc17, und auf die Nothwendigkeit, diese geweyhetenc18 Ausdrücke beyzubehaltenc19, eben so sehr, als auf den rechten Glauben selbst, gedrungen hatte: wie schwer mußte es da werden, diese Sprache, selbst wenn sie unbequem, wenn sie am unrechten /cOrt, beyc\c20 dem Volkc21, gebräuchlich war, mit einer schicklichern zu vertauschen?
a1: 460 c2: freilich c3: würden c4: Philosophie c5: mehr a6: grossen c7: jeder c8: bei c9: haben; c10: unserer c11: bei c12: Anm. c13: Vernachlässigung a14: eingerißne c15: Ansehen c16: Ansehen c17: geweiht c18: geweiheten c19: beizubehalten c20: Orte, bei c21: Volke

174a1.

Diese eingesehene Nothwendigkeit hat den Unterschied zwischen der sogenannten scholastischen,a2 akroamatischen oder gelehrten, und zwischen der populären oder katechetischen Theologie hervorgebracht, wel|c221|cher auf der Verschiedenheit des Vortrags der Religion beruht. /aa\ Jene ist für den Gelehrternc3 bestimmt. Sie braucht also alle Hülfsmittel der Gelehrsamkeit, die Lehren der heiligen Schrift, als solche, vorzulegen, und sie in einen Zusammenhang zu stellen, in welchem eine der andern noch mehr Licht und Stärke ertheilt. Sie arbeitet ganz eigentlich für den Verstand und für Deutlichkeit und Gründlichkeit der Erkenntniß, um durch eine solche Art der Ueberzeugung aufs Herz zu wirken. Sie erfordert deswegen auch eine strengere Lehrart, eine bestimmtere Sprache, und Untersuchungen, die zur weitern Aufklärung der Religion für den scharfsinnigern Denker gehören. /aa\ Diese hingegen, |a523| weil sie für den Ungelehrternc4 bestimmt ist, übergeht allesc5, was ohne gelehrte Kenntniß nicht be|b258|greiflich gemacht werden kan;ac6 schränkt sich bloß darauf ein, aus den deutlichen Stellen der heiligen Schrift die Lehren vorzustellen,a8 sie mehr aus der Erfahrung und aus Sätzen, die der gemeine Menschenverstand begreifen kanc9, als durch scharfsinnige Beweise und Erläuterungen einleuchtend zu machen, und, wo sie etwas nicht ohne alle Gelehrsamkeit deutlich machen kanc10, legt sie mehr das Resultat gelehrter Untersuchungen vor, als daß sie dergleichen selbst vor denen, die sie unterrichtet, anstellen sollte. Ihr Hauptzweck ist Fasslichkeit,ac11 und kanc13 sie deutliche Vorstellungen der Lehren nicht /cfasslicha14 machen:c\c15 so begnügt sie sich, für die Einbildungskraft und den gemeinen Menschenverstand zu arbeiten, und dadurch den Lehren Eindruck aufs Herz zu geben. Sie enthält sich daher eben sowohl der gelehrternc16 Sprache, als aller Untersuchungen, die nicht nothwendig sind, um die Wahrheit und den Einfluß der Lehren auf die menschliche Glückseligkeit, auf die gedachte Art einleuchtend zu machen, und |c222| Zweifeln zuvor zu kommen, oder sie zu heben, auf die auch der nachdenkende Ungelehrte leicht gerathen kanc17. Kurz, beydec18 Arten der Theologie sind nach ihrem Zweck verschieden, und nach der darnach sich richtenden Wahl der Sachen und der Art sie vorzutragen.

/cAnm.a19 1.c\c20 So, scheint es, könnte man die Gränzen am richtigsten bestimmen;c21 ob sie gleich gemeiniglich nicht ganz, weder im mündlichen noch |a524| schriftlichen Vortrage beobachtet werden, auch es nicht immer |b259| können, weil man /cbey beyderleyc\c22 Vortrag sehr oft Leser und Zuhörer von überaus verschiednenc23 Fähigkeiten und Kenntnissen in Absicht auf Gelehrsamkeit hat. Doch noch eher kanc24 man sich in Schriftena25 eine gewisse Classec26 von Lesern denken, für die man arbeiten will, und, da man unter den sehr weit ausgedehnten Namen der Ungelehrtenc27 eben sowohl Leser von ganz gemeinen Fähigkeiten, als solche begreifen kanc28, die höhere Fähigkeiten, und die sie, wo nicht durch hieherc29 gehörige Lectürec30, doch durch Nachdenken und Uebung in scharfsinnigen Untersuchungen, gebildet haben: so ist es sehr gut, für beyderleyc31 Arten von sogenannten Ungelehrten durch besondrec32, nach ihren verschiednenc33 Bedürfnissen eingerichtete, Schriften zu sorgen. Man findet die bestenc34 in der Anweisung zur Kenntniß der besten theologischen Bücher §. /a228–230. erwähnta\a35. Zu der letztern Art /agehörena\a36 vorzüglich: /adas Handbuch der Religion von Joh. Aug. Hermes, zweytec37 vermehrte Ausgabe, Berlin 1780c38 in /czwey Bänden inc\c39 gr. 8.; und Johanna\a40 Christoph Döderleinsac41 christlicher Religionsunterricht nach den Bedürfnissen unsrerc43 Zeit, wovon zu Nürnberg /a1785–1791c44 zeither erst fünfa\a45 Theile in 8. erschienen sind; so wie a46 Joh. Jak. Griesbachsc47 Anleitung zum Studium der populären Dogmatik, /czweyte Ausgabea48 c\c49 Jena /ac1786 inac\ac50 gr. /a8.,a\a51 /a/czwar die rechte Wahl zwischen gelehrter und populärer Theologie lehren soll, zugleich aber wirkliche Darstellung der populären Dogmatik ist.c\a\
cund A. H. Niemeyer's populäre und praktische Theologie, 5te Auflage, Halle 1805., verbunden mit Desselben Briefen an christliche Religionslehrer, als eine Art von Commentar über einzelne Materien, 1ster und 2ter Theil.c
|c223| /cAnm.a52 2.c\c53 Der Name der scholastischen Theologie ist daher entstanden, daß die Scholastiker der mit|b260|lern Zeit vorzüglich diese Vortragsart in Vorstellung der Theologie gebraucht haben; und der Name der akroamatischen /c(eigentlich akroatischen)c\ ist aus der Schule des Aristoteles entlehnt; s. Gellii noctes Att. XX,c54 5. Katechetische Theologie c55 ist nicht mit der Katechetik, oder der Anweisung zu /cdergleichen Vortrage,c\c56 zu verwechseln.
a1: 461 a2: scholastischen c3: Gelehrteren c4: Ungelehrteren c5: Alles ac6: kan, (a); kann; (c) a8: vorzustellen; c9: kann c10: kann ac11: Faßlichkeit, (a); Faßlichkeit; (c) c13: kann a14: faßlich c15: faßlich machen, c16: gelehrteren c17: kann c18: beide a19: Anm. c20: Anm. 1) c21: bestimmen, c22: bei beiderlei c23: verschiedenen c24: kann a25: Schriften c26: Klasse c27: Ungelehrten, c28: kann c29: hierher c30: Lektüre c31: beiderlei c32: besondere c33: verschiedenen c34: besseren a35: 228–30 erwehnt a36: gehöret noch c37: zweite c38: 1780. c39: zwei Bänden, a40: Joh. ac41: Döderlein (a); Döderlein's (c) c43: unserer c44: 1785–1791. a45: 1785 und 86 erst zwey a46: der Zweck von c47: Griesbach's a48: Ausg. c49: zweite Ausgabe, ac50: 1786. a51: 8. schon aus dem Titel erhellt. a52: Anm. c53: 2) c54: XX. c55: bezeichnet die Materialien des ersten Religionsunterrichts für Anfänger, und c56: dem Vortrage derselben

|a525| 175a1.

Es ist ganz unnütz, über den Vorzug der einen Art vor der andern streiten zu wollen, welches Niemand in den Sinn kommen kanc2, der den wahren Zweck beyderc3 Arten kennt, und nicht aus Unwissenheit, aus Verwechslung zufälliger und nothwendiger Fehler, oder aus Vorliebe zu Einer Art, die seinen Fähigkeiten und Umständen angemessenera4 ist, gegen die Vortheile der andern ungerecht wird. Die populäre Theologie ist unstreitig gemeinnütziger, und für die allermeisten zuträglicherc5; es ist auch nichts weniger als leicht, sich selbst zu den gemeinsten Fähigkeiten herabzulaßenac6; es muß dem noch schwerer werden, der sich beyc7 Treibung der Wissenschaften an die gelehrtere Art gewöhnt hat. Daher bleibt es eine sehr wichtige Pflicht für den künftigen Lehrer des Volks, sich ja mit dem ersinnlichsten Fleiß zu üben, um diese wirklich seltnec8 Fertigkeit zu erlangen, sich die Lehren der Religion so zu denken, und sie so vorzutragen, wie es der Zweck der populären Theologie erfordert.

a1: 462 c2: kann c3: beider a4: angemeßner c5: zugänglicher ac6: herabzulassen c7: bei c8: seltene

|b261| 176a1.

Auf der andern Seite ist die scholastische, so wie sie vorhin beschrieben wurde (§. 174ac2), in ihrer Art eben so nothwendig,c4 erstlich, weil es eben sowohl scharfsinnige |c224| Köpfe giebt, die anders als durch eigentlich deutliche Gründe nicht können befriedigt, und gegen Zweifel be|a526|waffnet, oder davon befreyetc5 werden, die auch nicht auf menschliches Ansehen und bloßea6 Versicherung glauben, so lange die Natur der Sache erlaubt, deutliche Gründe für solche Versicherungen anzugeben; hernachc7, weil eine recht überzeugende Kenntniß vom Christenthum doch nicht ohne alle gelehrte Kenntnisse möglich ist. †)c8

/c†)c\c9 Schon zur eignenc10 Ueberzeugung, daß 1) etwas der heiligen Schrift gemäß seyac11, gehört Kenntniß ihres Sinnes; und Ueberzeugung von dessen Richtigkeit erfordert Sprach- und andere gelehrte Kenntnisse. 2) Eben so kanc13 ohne alle Kenntniß von Geschichte und Philosophie nicht die Glaubwürdigkeit und Göttlichkeit der heiligen Schrift oder ihres Inhalts überzeugend und zur Wegräumung aller Zweifel dagegen eingesehen werden. Und ist jemand 3) in solchen Umständen, wo er Religionsvorstellungen verschiednerc14 Menschen oder Parteyenac15 vergleichen muß, z. B. wenn er Religionsschriften von verschieden Denkenden gelesen hat, oder unter Leuten lebt, die ihn durch scheinbare Gründe zu ihrer Parteyac17 zu bringen suchen: so kanc19 er wenigstens ohne alle historische Kenntnisse schwerlich, was das Beste seyc20, beurtheilen. – Wahr ists, wer |b262| sich geradezu an die wesentlichen Lehren des Christenthums hält, und sie durch die Erfahrung zu seiner Besserung und Gemüthsruhe bewähretac21 findet, kanc22 immer sicher genug seyn, daß er in der Hauptsache nicht fehlen werde; und was er ja von gelehrten Kenntnissen braucht, kanc23 er beyc24 Gelehrtern erfragen, wo alsdanna25 der /anothwendigea\ Glaube an ihre Einsicht die Stelle des Beweises und der eignenc26 Ueberzeugung vertritt. Allein erstlich ist es doch ganz etwas anders, wenn /cich wovonc\c27 überzeugt, d. i. aus eignerc28 Kenntniß und Unter|a527|suchung davon gewiß binc29, und wenn ichc30 etwas auf Glauben an dasjenige annehmec31, was |c225| andrec32 Menschen wissen, oder zu wissen meinena33; und es kanac34 Fälle geben, wo /cmirc\ ein Satz so wichtig ist, und c35 Zweifel dagegen so stark sind, daß /cich mich /adamit nichta\a36 c\c37 begnügen kanc38, auf /cbloßena39 Creditc\c40 anderera41 Menschen zu bauen, zumahlc42 wenn diese ganz verschiednec43 Einsichten äussernc44, und ihr Ansehnc45 in solchen Sachen /cbey mirc\ gleich /cist. Hernachc\c46 ist zwar jener Weg der Erfahrung vollkommen sicher (Joh. 7, 17)c47 in solchen Sachen, welche durch die Erfahrung können erkannt und dadurch bestätigt werden, auch hinlänglich, wenn man bloß auf die Hauptsache des Christenthums sieht. Aber wie, wenn die Frage von Dingen ist, wo Erfahrung nichts entscheiden kanc48, z. B. über die Glaubwürdigkeit der Evangelisten, und die Aechtheitc49 der biblischen Bücher? oder, wo /cmira50 zu meinerc\c51 besondern Ueberzeugung, und sonderlich beyc52 sehr scheinbaren Zweifeln, /cdaran vielc\c53 liegt, auch von gewissen Lehren überzeugt zu werden, die eigentlich zur Hauptsache des Christenthums nicht gehören?
a1: 463 ac2: 461 (a); 174. (c) c4: nothwendig: c5: befreiet a6: blosse c7: dann c8: *) c9: Anm. *) c10: eigenen ac11: ist (a); sei (c) c13: kann c14: verschiedener ac15: Partheyen (a); Parteien (c) ac17: Parthey (a); Partei (c) c19: kann c20: sei ac21: bewährt c22: kann c23: kann c24: bei a25: alsdenn c26: eigenen c27: man von etwas c28: eigener c29: ist c30: man c31: annimmt c32: andere a33: meynen ac34: kann c35: die a36: nicht damit c37: man sich nicht damit c38: kann a39: blossen c40: bloßes Ansehen a41: andrer c42: zumal c43: verschiedene c44: äußern c45: Ansehen c46: groß scheint. Nächstdem c47: 17.), c48: kann c49: Echtheit a50: mir, c51: zur c52: bei c53: viel daran

|b263| 177a1.

Für solche zu schärferem Nachdenken aufgelegte, daher auch mehr dem Zweifeln ausgesetzte, zumahlc2 durch gelehrte Lectürec3 gebildete, oder in Verlegenheit gesetzte Christen, ist gelehrte Kenntniß des Christenthums, und desjenigen, was dazu gehört, sehr nützlich, ja unter gewissen (am Ende der Anmerkung zum vorigen §. gemeldetenc4) Umständen sogar eigentliches Bedürfniß. Ein Lehrer der Religion aber bedarf dieser gelehrte|a528|ren Kenntniß eben so sehr, und überhaupt noch mehr, als andrec5 Christen. Denn wenn er, nach seinem Beruf, für andrec6 denken, und untersuchen, und denen, die ihm anvertrauetc7 sind, in aller Verlegenheit, welche die Religion angeht, zu Hülfe kommen soll: so kanc8 er, in Absicht auf nachdenkende und untersuchende Christen, solche Kenntnisse schlechterdings nicht entbehren, und, wenn sie nicht durch blinden Glauben geleitet werden sollen oder |c226| können, so muß er ihnen deutliche Rechenschaft geben, oder, wo er diese ihnen nicht geben kanc9, weil es ihnen an Fähigkeiten oder gelehrten Vorerkenntnissen mangelt, so muß er wenigstens sich alles nöthige Vertrauen auf seine vollkommnerec10 Einsichten erwerben, damit dieses Vertrauen beyc11 ihnen den Abgang der Ueberzeugung ersetzen könne; wie kanc12 er sich aber dieses beyc13 Verständigern erwerben, wenn er nur eine gemeine Erkenntniß der Religion hat? /aa\ Bedürft' er aber auch dazu der gelehrten Kenntniß nicht:c14 so hättea15 er sie zu seiner eignenc16 Ueberzeu|b264|gung nöthig, wozu er viel mehreres und esc17 viel gründlicher wissen muß, als er es zum bloßena18 Vortrag vor Andern nöthig hat. Es ist daher die Pflicht eines jeden gewissenhaften Lehrers der Religion, der sich selbst und Andern ein Genüge thun will, sich mit der gelehrtern Theologie bekannt zu machen, und /csichc\ durch alle ihm mögliche Hülfsmittel auch auf eine gelehrte Art von der Religion zu überzeugen; er müßte denn so wenig natürliche Fähigkeiten dazu haben, daß er sich dergleichen Kenntnisse nicht erwerben könnte, |a529| oder gewiß seyn, er würde bloß mit Zuhörern von /cganz gemeinenc\c19 Fähigkeiten zu thun haben, c20 daß er /csie nichtc\c21 zu erwerben brauchte. Dieses ist nicht zu erwarten, und jenes nicht zu wünschen;a22 auch würde es ihm keinen Beruf geben, einen Lehrer vorstellen zu wollen, /causser beyc\c23 bloß einfältigen und allesc24 mit blindenc25 Glauben annehmenden Zuhörern, und nur danna26, woc27 keine geschickterec28 Lehrer, als er selbst, vorhanden wären.

Anm.ac29 Nach dem, was hier gesagt ist, bedarf es keiner Widerlegung der Ausflucht: daß der Lehrer nur Volkslehrer seyn dürfe, nur Religionc30 und nicht Theologiec31 vorzutragen, und überall keine Gelehrsamkeit auf |c227| die Kanzela32 zu bringen habe; zumal wenn man das vergleicht, was darüber schon anderwärts, sonderlich /aTheil 1.a\ §. 33–40. /aTheil 2. §. 8a\a33 f. und 138a34 f. gesagt worden ist. – Uebrigens versteht sichs von selbst, wenn man den angegebnenc35 Zweck erwegtc36, warum man sich mit dieserc37 gelehrten Theologie bekannt machen müsse, |b265| daß man sie nicht in ihrem weitesten Umfangc38 zu lernen /cbrauchec\c39, der ohnehin ins Unendliche geht, weil immer neue Fragen /ckönnenc\ aufgeworfen c40, und darüber immer vielerleyc41 Meinungen seync42, und vielerleyc43 Erläuterungen Statt finden werden. Es ist genug, so viel von dieser gelehrten Theologie zu wissen, als zur gründlichen Ueberzeugung seiner selbst und Andrerc44 in solchen Sachen dient, die das praktische Christenthum (§. 169ac45 Anm.) betreffen, und mit diesem näher zusammenhängen. In Absicht auf Kenntnisse, die erst durch besondere Umstände und individuelle Bedürfnisse nothwendig werden, kanc47 der eigene Fleiß noch immer viel nachholen, wenn man nur erst die nothwendigsten ge|a530|lehrten Kenntnisse hat, und eine hinlängliche Bücherkenntniß besitzt, um zu wissen, woraus man, bedürfenden Falls, seine Kenntnisse erweitern könne.
a1: 464 c2: zumal c3: Lektüre c4: berührten c5: andere c6: Andere c7: anvertraut c8: kann c9: kann c10: vollkommneren c11: bei c12: kann c13: bei c14: nicht, a15: hatte c16: eigenen c17: dieß a18: blossen c19: zu geringen c20: als c21: sich auch diese a22: wünschen, c23: außer bei c24: Alles c25: blindem a26: denn c27: wenn c28: geschickteren ac29: Anm. c30: Religion c31: Theologie a32: Canzel a33: 210–14. 295 a34: 425 c35: angegebenen c36: erwägt c37: dieser c38: Umfange c39: nöthig habe c40: werden können c41: vielerlei c42: herrschen c43: vielerlei c44: Anderer ac45: 456 (a); 169. (c) c47: kann

178a1.

Die von einigenc2 immer wieder erneuerten Vorwürfe gegen die gelehrtere Theologiec3 sind überhaupt schon durch das weggeräumt, was bisher für den Nutzen und die Nothwendigkeit der systematischen Theologie und der sogenannten Schulsprache gesagt worden ist (§. 142a4 f. und §. 171a5 f.), ob sie gleich noch die ehemaligen und zum Theil manche jetzige Systeme treffen. Wer sie aber gegen gelehrte Theologie überhaupt brauchenc6, deswegen das Studium derselben widerrathen, und bloß populäre Theologie zu treiben empfehlen wollte, der würde entweder verra|b266|then, daß er die jetzige sich immer mehr ausbreitende Artc7 sie zu behandelnc8 |c228| nicht erkenntea9 oder nicht kennen wollte, oder sich, in seinen Beschuldigungen und Forderungen, der Ungerechtigkeit schuldig machen. Denn alle angebliche Fehler der gelehrten Theologie sind entweder bloß zufällig, oder es sind keine Fehler. /aa\ Man hat jene in unsrerc10 Zeit schon längst zu bessern angefangen, unnütze Untersuchungen weggelaßenac11, und wichtigere, nach unsern Zeitbedürfnissen, /aaufgenommen. Mana\a12 hat durch besserea13 Auslegung der heiligen Schrift und durch bestimmtere Erklärungen der Sachen,c14 eine großea15 Menge von Zweifeln und Streitigkeiten /aabgeschnitten. Mana\a16 erinnert beyc17 dem, was zur hi|a531|storischen Kenntniß verschiednerc18 Vorstellungen gesagt werden muß, daß es nur zu diesenc19 Zweck gesagt werde, und wie weit es höchstens noch gekannt zu werden /averdiene. Mana\a20 bestimmt beyc21 dem, was allerdings gelehrte Untersuchungen erfordert, wie fern es nöthig, und warum es nicht in den Unterricht des Volks zu bringen, sondern zu seiner eignenc22 Ueberzeugung und zura23 Befriedigung nachdenkender Christen mit Weisheit zu brauchen /aseyc24. Mana\a25 bedienetc26 sich einer gelehrten Sprache, aber einer verbesserten, und nicht allein der gelehrten Sprache, und nur da, wo sie, nach den oben erwähntena27 Umständen (§. 172ac28) nützlich oder gar nothwendig /cist; man hat sogarc\c30 angefangen, auf Universitäten eine populäre Theologie, ausserc31 der gelehrtern, vorzutragen. Wenn von allem diesenac32 noch nicht genug, noch nicht überall geschehen ist, so ist zu hoffen, daß die Nachwelt |b267| noch mehr thun /awerde. Wasa\a33 bereits geschehen ist, beweiset doch wenigstens, daß viele, und daß die am meisten auffallende,c34 Fehler nicht von der gelehrten Theologie unzertrennlich sind.

a1: 465 c2: Einigen c3: Theologie, a4: 429 a5: 458 c6: gebrauchen c7: Art, c8: behandeln, a9: kennte c10: unserer ac11: weggelassen a12: aufgenommen; man a13: beßre c14: Sachen a15: grosse a16: abgeschnitten; man c17: bei c18: verschiedener c19: diesem a20: verdiene; man c21: bei c22: eigenen a23: zu c24: sei a25: sey; man c26: bedient a27: erwehnten ac28: 459 (a); 172. (c) c30: ist. Andere gelehrte Theologen, wie Griesbach, Henke u. a., haben selbst c31: außer ac32: diesem a33: werde; was c34: auffallenden

|c229| 179a1.

Aber die Gegnerc2 der /cgelehrtern Theologiec\c3 übertreiben auch oft ihre Forderungen. – Universitäten sind nicht für Schulmeister angelegt, sondern zur Bildung künftiger Gelehrten, und wenn nicht da für Letztrec4, auch in der Religion, gearbeitet werden soll, wo sollen sie danna5 gebildet, oder soll /cgar nurc\ in der Religion c6 für den |a532| großena7 Haufen, nicht eben so sehr für denkendere Christen, gearbeitet werden? – Soll man den Hauptzweck der Wissenschaften, ausgebreitetere Kenntnisse und gründliche Ueberzeugung, beyc8 Seite setzen, um nur für das Volk, das ohnehin nur einen sehr eingeschränkten Unterricht brauchtc9, zu sorgen? beyc10 der Physik nichts vortragen, als was der Kinderlehrer auch den Kindern, der Landprediger dem Landmann sagen /ckan? beyc\c11 Erklärung der heiligen Schrift nur auf gemeine Erbauung, nicht auf überzeugende Darstellung ihres Sinnes sehen? den Wißbegierigen, der Unterhaltung für den Verstand sucht, mit den gemeinsten Kenntnissen ermüden? oder den künftigen Lehrer gar die Form und Einkleidung der Sachen vorsagen, daß er nur nachschreiben und nachsprechen dürfe? – Wer so wenig Fähigkeiten hat, und nicht einmal so viel eignenc12 |b268| Fleiß anwendet, daß er den von Andern empfangenen Unterricht nach seiner eignenc13 Art zu denken umändern, vor seine eignec14 Ueberzeugung bringen, in seine eignec15 Sprache verwandeln, Andern nach ihren Bedürfnissen mittheilen, und was für Einen, nicht für den Andern gehört, unterscheiden kan,c16 der ist zum Lehrer Andrerc17 verdorben, /aunda\ wird allesc18, was man ihm auch vorgesagt hat, niemals mit Weisheit und nach den besondern Bedürfnissen seinen Zuhörern vorzutragen wissen. Hat jemand aber diese Fähigkeit und diese Lust, sich selbst zum Lehrer zu bilden: |c230| so gewöhne er sich nur, allesc19, was er über die Religion hört, immer mit Rücksicht auf seine und Andrerc20 Beru|a533|higung und Besserung, zu betrachten; alsdanna21 wird er bald selbst finden, was dazu etwas beytragec22 oder nicht, und worauf er sehen müsse, um dem Gelernten Eindruck für Verstand und Herz zu verschaffen; er nutze den Unterricht, den er in der Homiletik und Katechetik haben kanc23; er lese fleißig wahrhaftig populäre Schriften über die Religion, und lerne ihnen die Art des Vortrags ab; er übe sich in populären Aufsätzen und Vortrag, und /alaßec24 sie von Verständigern und Geübtern streng beurtheilen. Alsdanna\a25 hat er gar nicht nöthig, sich die Sachen, von denen er zum Volk reden, oder gar die Einkleidung,c26 vorsagen zu laßenac27, in der er sie vortragen soll.

a1: 466 c2: Gegner c3: gelehrten Theologie c4: Letztere a5: denn c6: wohl gar nur a7: grossen c8: bei c9: gebraucht c10: bei c11: kann? bei der c12: eigenen c13: eigenen c14: eigene c15: eigene c16: kann: c17: Anderer c18: Alles c19: Alles c20: Anderer a21: alsdenn c22: beitrage c23: kann c24: lasse a25: brauche dazu die oben (§. 287) vorgeschlagne Kritik. Alsdenn c26: Einkleidung ac27: lassen

180a1.

Man hat die gelehrte oder vielmehr scholastische Theologie auch noch durch eine andere |b269| Vergleichung um ihr Ansehen zu bringen gesucht, indem man ihr eine sogenannte biblische /centgegen gestelltc\c2 hat. So schwankend die Begriffe von einer solchen biblischen Theologie zu seyn scheinen:c3 so kommen doch die, welche sie jener entgegensetzen, darin überein, daß sie die Theologie lediglich /cwollenc\ aus der Bibel hergeleitet wissen c4, und es mißbilligen, wenn man in die Theologie Sätze aufnimmt, die nicht in der heiligen Schrift stehen, oder nicht unmittelbar daraus, oder nicht aus bloßera5 Vergleichung der biblischen Sätze unter einander, /afließen. Siea\a6 scheinen also unter scholastischer Theologiea7 (oder, wie sie |a534| es bisweilen nennen, unter dem System)c8 einen zusammenhängenden Inbegriff der (wahren oder vermeintlichen) Religionskenntnisse zu verstehen, /cso fernc\c9 er nicht bloß auf die heiligec10 Schrift, sondern auch auf natürlich be|c231|kannte Sätze gegründet wird. Die Abneigung von derselben scheint darauf zu beruhen, daß doch die heiligec11 Schrift allein uns sichere Kenntniß von dem Christenthum gebe;a12 daß die Lehren desselben über der Untersuchung natürlich bekannter Wahrheiten, oder daß die biblischen Beweise über den Beweisen aus der Vernunft zu sehr vernachläßigt;ac13 daß jene Lehren selbst durch Zusätze oder Erklärungen, über welche die heiligec15 Schrift nichts entscheidet, sehr verstellt, oft wohl gar verdrängt worden; wiewohl auch ein Vorurtheil gegen allesc16, was Gelehrsamkeit und besonders Philosophie heißt, und die Abneigung von dem System einer besondern Kirche, viel zu dieser Abneigung mit mag beygetragenc17 haben.

a1: 467 c2: entgegengestellt c3: scheinen, c4: wollen a5: blosser a6: fliessen; sie a7: Theologie, c8: System), c9: sofern c10: heil. c11: heil. a12: gebe, ac13: vernachläßigt, (a); vernachlässigt, (c) c15: heil. c16: Alles c17: beigetragen

|b270| 181a1.

Es wird also beyc2 Beurtheilung des Streites über den Vorzug der biblischenc3 vor der scholastischenc4 Theologie auf zweyc5 Fragen ankommen: 1) ob es nothwendig schädlich, wenigstens unnöthig seyc6, in der Religion, wenigstens beyc7 dem Christenthum, etwas auf natürlich bekannte Wahrheiten zu bauen? und 2) ob und wie fern die so eben erwähntea8 biblische Theologie jener vorzuziehen seyc9? Die erste Frage ist für die Unschuld, |a535| den Nutzen, und in gewisser Weise Nothwendigkeit der sogenannten scholastischen und überhaupt gelehrten Theologie durch dasjenigea10 hinlänglich entschieden, was darüber §.c11 /a138–144. 176 und 177c12 a\a13 gesagt worden ist, wo immer mit auf den Gebrauch natürlich bekannter Sätze Rücksicht genommen wurde; und /cdies kanc\c14 zugleich die Einschränkungen lehren, unter welchen dieser Gebrauch gewiß nicht bloß unschädlich, sondern auch nothwendig ist[.]ac15 Die zweytec16 Frage läßt sich wohl am besten beantworten, wenn man die verschiednenc17 Vorschläge hört, wie eine |c232| solche biblische Theologie beschaffen seyn oder ausgeführt werden soll.

a1: 468 c2: bei c3: biblischen c4: scholastischen c5: zwei c6: sei c7: bei a8: erwehnte c9: sei a10: das c11: (§. c12: 177.[)] a13: 425–431. 463. 464 c14: dieß kann ac15: ist. c16: zweite c17: verschiedenen

182a1.

Alle diese Vorschläge scheinen auf /czwey /ahinaus zu laufena\a2c\c3. Man empfiehlt entweder eine bloße Sammlung von Stellen der Bibel, die unter gewisse Hauptmaterien gebracht werden möchten, ohne alle Erklärung und nähere Bestimmung ihres Sinnes, so daß es jedem freyc4 bleibe, sich |b271| das dabeyc5 zu denken, was ihm das Richtigste zu seyn /cscheine. Oderc\c6 man schlägt vor: beyc7 jeder Lehre die davon handelnden Stellen der heiligen Schrift zum Grunde zu legen, sie sorgfältig zu erklären, bloß daraus unmittelbare Folgerungen zu ziehnc8, diese biblischen Aussprüche mit ihren nothwendigen Folgen unter einander zu vergleichen, und sie durch einander aufzuklären, weiter nicht, als so weit diese Sätze selbst oder deren unmittelbare Folgen leiten,a9 hingegen alle Sä|a536|tze für problematisch zu halten, die entweder auf Stellen, deren Sinn nicht ganz klar gemacht werden kanc10, oder auf Folgen beruhen, die nicht nothwendig aus den biblischen Sätzen fließena11.

a1: 469 a2: hinauszulaufen c3: zwei hinauszulaufen c4: frei c5: dabei c6: scheint; oder c7: bei c8: ziehen a9: leiten; c10: kann a11: fliessen

183a1.

Der erstere Vorschlag mag beyc2 Friedensformeln gut seyn, wo man Personen oder Parteyenac3, die über die Lehren des Christenthums sehr verschieden denken, doch in den nothwendigsten und unstreitigen Lehren vereinigen will; und dieses scheinen diejenigen zu bezwecken, die auf ein sogenanntes Universal- oder Urchristenthum dringen. /cAber, /aausser dema\a5 c\c6 daß eine solche Sammlung ein bloßesa7 Spruchbuch, und kein Lehrbuch seyn würde, so kanc8 1) ein jeder eben sowohl ganz falsche als wahre Vorstellungen damit verbinden, wie man aus dem |c233| Catechismusc9 der Quäcker, einigen Aufsätzen der Socinianer u. a. weiß; und, wenn es nicht gleichgültig für das Christenthum ist, falsche Vorstellungen davon zu verhüten: so kanc10 |b272| es auch nicht gleichgültig seyn, jedem bloß dergleichen Text in die Hände zu geben. /cUeber dieses kanc\c11 man 2) durch eine solche bloßea12 Sammlung sogar den Lesern Irrthümer in die Hände spielen, wenn man den Text so wählt, daß man das übergeht, was man nicht will zum Christenthum gerechnet haben, und wenn man die Stellen so stellt und verbindet, daß eine auf die andrec13 ein falsches Licht, eben vermittelst des gemachten Zusammenhangs, wirft; nicht zu gedenken, daß 3) |a537| wenn nicht vorher ausgemacht ist, ob und welche Sätze der Bibel bloß auf gewisse Leser, z. B. der damaligen Zeit, gehen, oder gar nur Vorstellungen enthalten, die Jesus und seine Apostel mehr stehen ließena14 als billigten, oder wohl gar aus einem gewissen Sprachgebrauch beybehieltenc15, ohne damit eben dieselben irrigen Begriffe zu verbinden, welche die damaligen Zuhörer damit verbanden,c16 daß alsdanna17 sogar Sätze für biblisch gehalten werden, die zwar in der Bibel stehnc18, aber keineswegs in dem Sinn, wie sie die Stifter der christlichen Religion nahmen. Es ist daher ein solch reinbiblisches Christenthum, das vielec19 vorgeben, eine sehr zweydeutigec20 Sache; und wie oft durch das Vorgeben, sich allein an die Bibel und an die ganze Bibel zu halten, andernc21 Staub in die Augen gestreuet worden seyc22, ist so bekannt, daß es keiner besondern Beyspielec23 bedarf.

a1: 470 c2: bei ac3: Partheyen (a); Parteien (c) a5: ausserdem c6: Aber außerdem, a7: blosses c8: kann c9: Katechismus c10: kann c11: Ueberdieß kann a12: blosse c13: andere a14: liessen c15: beibehielten c16: verbanden; a17: alsdenn c18: stehen c19: Viele c20: zweideutige c21: Andern c22: sei c23: Beispiele

184a1.

Die zweytec2 Art, biblische Theologie abzuhandeln, kommt mit der oben (§. 145a3 f.) be|b273|schriebenen besten Einrichtung der systematischen, wovon die gelehrte oder scholastische nur |c234| eine besondrec4 Art ist, darin überein, daß sie die Lehren auf Erklärung der Schriftstellen und Vergleichung ihres Inhalts unter einander gründet; nur darin geht sie, wenn man sie der scholastischen entgegensetztc5, von ihr ab, daß sie nicht auch bloß natürlich bekannte Sätze mit denc6 aus der Bi|a538|bel gezognenc7 verbindet. *)c8 1) In jener Rücksicht beruht der Unterschied bloß auf der Methode, so daß die biblische von den Quellen zu den Lehren geht, die daraus fließen;a9 die scholastische aber – wenn sie nach den obigen Regeln eingerichtet ist – gleich die Resultate, und alsdanna10 erst die Beweise aus der Bibel;ac11 ob man gleich in der Untersuchung selbst zu jenen durch diese gelangt /c/awar. Beya\a13 beyderley Methodec\c14 hat man die Lehren auf einerleyc15 Art gefunden,ac16 sie werden nur denenc17 Lesern oder Zuhörern in verschiednerc18 Ordnung vorgelegt. Beyderleyc19 Methoden haben ihre Vorzügec20. Die sogenannte biblische,c21 nicht sowohl darin, daß man dabeyc22 viel mehr auf die heilige Schrift sieht, aus ihr lernt, anstatt schon vorgefaßte Meinungen darin erst zu suchen – (dennc23 man kanac24 ja auch schon /cbey Erklärungc\c25 der heiligen Schrift auf die Sätze schielenc26, die man für christliche Lehren hält, und danach, oft unvermerkt, jene /cerklären –),c\c27 als vielmehr darin, daß sie den Zuhörern oder Lesern die rechte Art zeigt, wie sie selbst lernen sollen, aus der heiligen Schrift die christlichen Lehren herzuleiten. Aber sie hat die Unbequemlichkeit, a) daß die |b274| Lehren nur aus einzelnena28 Hauptstellen hergeleitet werden. Diese aber enthalten oft bloß einen meist ohnehin schon bekannten Satz, ohne den geringsten weitern Aufschluß darüber zu geben, sonderlich in moralischen oder solchen Stellen, die keine näher geoffenbarten Lehren vortragen,c29 und, indem man sich an solche einzelnea30 Stellen hält, vergisstac31 man die Aufschlüsse, die uns |c235| die Bibel nicht |a539| sowohl durch Wörter und ausdrückliche Sätze, als vielmehr durch erzählte Thaten, Einrichtungen des Vortrags, und unangezeigte Voraussetzungen giebt (s. §. 154.a32 Anm. †,c33 und §. 153.a34 Anm. *)c35 Auch führt diese Methode b) zu gar zu großerac36 Weitläuftigkeit. Denn die meiste Zeit wird auf exegetische Untersuchungen verwendet, die man dem Ausleger /cüberlaßena37 könnte †),c\c38 und dadurch wird der Zuhörer, der Resultate sucht, zerstreut; aus mehrern Stellen werden die nehmlichenc39 Sätze wiederholtc40; und, da beyc41 einzelnena42 Stellen die darin liegenden Sätze angegeben werden, so wird die allgemeine Uebersicht aller von Einer Sache redenden Stellen erschwert, oder man muß nachher wieder das vorlegen, was sie alle gemein haben, oder was nur einigen eigen ist.

/c*)c\c43 S. die in der Anweisung zur theologischen Bücherkenntniß §. 232c44 angeführten /aSchriftsteller.a\a45 Doch haben diese oft nicht Umgang nehmen können, a46 natürlich bekannte Sätze mit zu brauchenc47.
†)c48 Wer als bloßera49 Ausleger handelt, also nur die Absicht hat, den Sinn der Schriftstellen zu finden, |b275| der wird sie im Zusammenhange, wo er sie lieset und erkläretc50, viel deutlicher verstehen,a51 und den Verstand derselben darstellen können, als wer eine Schriftstelle zum dogmatischen Behuf aushebt, und den Zusammenhang nicht so ganz deutlich machen kanc52, wie er ihm war, wenn er sie in Verbindung des Ganzen las. Auch hat |a540| der /cbloßea53 Auslegerc\c54 gar kein dogmatisches Interesse, sieht also, was wirklich in dera55 Stelle liegt, viel reiner und bestimmter, als wer sie in der Absicht lieset, sich daraus über ein Dogma zu unterrichten.
c⌇⌇c Zusatz. Es scheint mir doch, als habe der Verfasser den Begriff einer biblischen Theologie zu einseitig aufgenommen, und ihr danach nicht volle Gerechtigkeit widerfahren lassen. Wenn nämlich bei ihrer Bearbeitung lediglich der Zweck im Auge behalten wird, das, was von Re|c236|ligionsideen und Religionslehren erweißlich in den heiligen Schriften enthalten ist, zu ergründen, und zu zeigen, theils wie weit sie sich über gewisse Punkte ganz bestimmt erklären, oder etwas unbestimmt lassen, theils weil in ihnen selbst eine Verschiedenheit der Vorstellungsarten (τρόπων παιδείας) Statt finden, so wird doch das Resultat von nicht geringer Wichtigkeit seyn. Denn es soll ja eine Lehre nicht aus einer einzigen, sondern aus mehrern, ja aus allen Stellen gezogen werden, welche davon handeln. So kann doch z. B. nur auf diesem Wege die Frage beantwortet werden, wie weit alle die in der Lehre von der Dreieinigkeit im System enthaltenen Bestimmungen und Subtilitäten führen, in der heiligen Schrift wörtlich oder dem Sinne nach enthalten sind, oder was Zusatz der spätern Zeit und Erzeugniß einer über die Bibel hinaus philosophirenden Schultheologie ist. Hiermit möchte ich indeß nicht behaupten, daß in den bisherigen Bearbeitungen der biblischen Theologie von Hufnagel, Zachariä, Ammon, dieser Gesichtspunkt überall festgehalten sei. D. H.c
a1: 471 c2: zweite a3: 432 c4: besondere c5: entgegengesetzt c6: denen c7: gezogenen c8: 1) a9: fliessen, a10: alsdenn ac11: Bibel, (a); Bibel: (c) a13: war; bey c14: war. Bei beiderlei Methoden c15: einerlei ac16: gefunden; c17: den c18: verschiedener c19: Beiderlei c20: Vorzüge c21: biblische c22: dabei c23: denn ac24: kann c25: bei Erklärungen c26: hinblicken c27: erklären, – a28: einzeln c29: vortragen; a30: einzle ac31: vergißt a32: 441. c33: 1. a34: 440. c35: 3.) ac36: grosser a37: überlassen c38: überlassen könnte, 2) c39: nämlichen c40: widerholt c41: bei a42: einzlen c43: Anm. 1) c44: 232. a45: Schriftsteller, wozu noch das hufnagelsche Handbuch der biblischen Theologie, erster Theil, Erlangen 1785. gr. 8. kommt. a46: auch c47: gebrauchen c48: 2) a49: blosser c50: erklärt a51: verstehen c52: kann a53: blosse c54: bloße Ausleger a55: der

185a1.

Warum sollen nun aber 2) von der christlichen Theologie alle Sätze und alle Beweise ausgeschlossen werden, die nicht in heiliger Schrift liegen, sondern /aauch ohne siea\a2 bekannt sind? – Vieles, was doch wirklich zur Religion gehört, sonderlich von moralischen Grundsätzen, ist in der Bibel gar nicht eigentlich erwähnta3, oder nur berührt, nicht ausgeführt;a4 weil Jesus und seine Apostel es entweder als bekannte Lehre und Pflicht voraussetzten, oder sie sich in ihrema5 Vortragc6 nach den vornehmsten Bedürfnissen ihrer Zeit und Zuhörer, mit Uebergehung andrerc7 eben so wichtigenac8 Sachen, richteten, oder weil sie von vernünftigen Zuhörern und Lesern erwarteten, daß sie die ihnen mitgetheilten Kenntnisse (die über|c237|haupt ihren bisherigen Kenntnissen vielmehra9 eine bessere und heilsamere Richtung geben, als sie mit neuen bereichern sollten), mit denen, welche ihnen vorhin |b276| bekannt waren, oder /aohne besondern Unterricht von Jesu den Seinena\a10 bekannt werden konnten, vergleichen, und so durch immer neue Anwendung auch auf neue Aufschlüsse kommen würden. Warum soll also dieses Mittel, das Gott jedema11 vernünftigen Menschen gegeben hat, nicht gebraucht werden, um die mehrere Entwickelung der christlichen Lehre zu befördern? /c|a541| warumc\c12 nicht, um sie noch einleuchtender und anschaulicher zu machen, ihre Gewißheit zu verstärken, Zweifel dagegen zu benehmen, ihre vielfältige mögliche Anwendung zu zeigen, und dadurch ihren Werth noch mehr zu empfehlen? – Und wie ist die so wichtige praktische  Darstellung des Christenthums möglich, wenn man bloß biblische Sätze sammletc13 und verbindet, ohne ihren Einfluß auf unsre Glückseligkeit klar zu machen? – Hat Jesus selbst es nicht für unnöthig gehalten, seinen Zuhörern, was ihnen schon aus dem alten Testament bekannt war, vollständiger vorzulegen, und mehr zu entwickeln (Matth. 5, 17c14); hat er dabeyc15 offenbar die Natur und Bestätigungen daraus zu Hülfe genommen (Matth. 6, 24 f. und anderwärts); haben diesc16 seine Apostel mit dem christl.c17 Unterricht ebenfalls gethan: warum sollen wir sie darin nicht nachahmen? /cc\ Haben diese vollends Manches nur für ihre Zuhörer gesagt, und manche allgemeine Pflichten, wegen ihrer besondern Bedürfnisse, nur eingeschränkt (wie Matth. 19, 21c18): wie können wir bloß aus der heiligen Schrift wissen, ob und wie weit sie für uns gehören? ob eingeschränkt ausgedrucktea19 |b277| Pflichten, und wie c20 sie für uns allgemeinec21 werden können, ohne hier natürlich bekannte Sätze und Betrachtun|c238|gen über die Natur der Pflichten und der Menschen zu Hülfe zu nehmen.

/c/aS.a\ Prüfung der philosophischen Predigten, (von Felix Heß,) 1767. in 8.c\
a1: 472 a2: natürlich a3: erwehnt a4: ausgeführt, a5: ihren c6: Vortrage c7: anderer ac8: wichtiger a9: mehr a10: natürlich a11: jeden c12: Warum c13: sammelt c14: 17. c15: dabei c16: dieß c17: christlichen c18: 21. a19: ausgedrückte c20: fern c21: allgemeiner

|a542| 186a1.

Eine andrec2 Eintheilung der systematischen Theologie, nach der man diese sogar in besondrec3 Wissenschaften zerfället hat, /cist nachc\c4 den /cverschiednen Artenc\c5 der /cLehren gemachtc\c6, die darin sollen abgehandelt werden. Sie betreffen entweder das, was das Christenthum für wahr, oder was es für recht erkennt, was es geglaubt, oder was es gethan wissen will. Den zusammenhängenden Inbegriff jenerc7 Lehren nennt man die dogmatische, speculative, auch theoretische, /cund einen solchenc\c8 Inbegriff /cdieserc\c9, die Moral- oder praktische Theologie, auch theologische Moral. Und weil man /cbey beydenc\c10 die Lehren entweder selbst darstellen, beweisen und erläutern, oder falsche Vorstellungen davon und deren Gründe widerlegen kanc11: so nennt man die Wissenschaft, worin jenes geschieht, auch die dogmatische, die thetische, auch wohl die /apositive odera\a12 didaktische; worin aber dieses geschieht, die antithetische, elenchtische, oder polemische Theologie.

/cAnm.a13 1.c\c14 Diese in der systematischen Theologie gemachte Absonderung ist, wie die Namen selbst, |b278| ein Werk der neuern Zeit. Ehe Abelard in einer Art von System Gebrauch von der Dialektik machte, waren alle Abhandlungen der Theologie überhaupt, anders nichts als Rhapsodienc15, oder ein Inbegriff von Rubriken, unter die man Sätze über christliche Lehren geschichtet, und sie meistens nur durch kirchliches, zum Theil auch biblisches Ansehn unterstützt hatte. Robert Pulleyn, und noch weit mehr Peter |a543| der Lombarde, die der alten Lehrart, durch Autorität zu beweisen, aufhelfen wollten, veran|c239|laßten durch ihre Sentenzen den Gebrauch der Philosophie noch mehr, und wenn die folgenden Systematiker den Titel der Sentenzen oder Summen brauchten, so war doch Philosophie das eigentlich zur Aufklärung der Theologie gebrauchte Mittel, und die Theologie scholastisch, so wie die nach jener alten Methode abgehandelte Theologie den Namen der positiven erhielt. Auch /cnochc\ die protestantischen Theologen c16 bis gegen das jetzige Jahrhundert /cbrauchtenc\ die allgemeinen Namen Loci theologici, Institutiones religionis Christianae oder Theologiae, Systema oder Corpus, Epitome, Compendium oder Breviarium Theol. Seit Bellarminsc17 Dispp. de controversiisa18 Chr. fidei ward es in der römischen Kirche üblich, die Streitigkeiten mehr von der dogmatischenc19 Behandlung abzusondern, und in der zweytenc20 Hälfte des 17ten Jahrhunderts betraten protestantische Theologen eben den Weg. In dieser Zeit fing man auch unter /cihnenc\c21 an, die Moraltheologie besonders abzuhandeln, welches die in der römischen Kirche schon seit dem Anfang des 17ten Jahrhunderts gethan hatten.
|b279| /cAnm.a22 2.c\c23 Warum diese Scheidung nicht eher geschehen seyc24, davon liegt der Grund wohl darin, daß überall die christl. Moral zu sehr vernachläßigtc25, /aunda\ anfänglich bloß Sammlung von asketischenc26 oder Mönchsmaximen war, bis Thomas von Aquino in seiner Summe anfing, ihr einen besondern Theil zu widmen; so wie die erstena27 protestantischen Systematiker keine andrec28 Abhandlung als nach den 10 Geboten kannten, das Wenige ausgenommen, wozu besondere Streitigkeiten mit der römischen Kirche oder Schwärmern Gelegenheit gegeben hatten. Und |a544| da die weitere Cultur der systematischen Theologie durch Streitigkeiten veranlaßt wurde, so war es natürlich, diese anfänglich nicht von der dogmatischen Abhandlung zu trennen.
/cAnm.a29 3.c\c30 Nützlicher ist es allerdings, die dogmatischec31 Theologie von der moralischenc32 zu scheiden, weil diese nur selten |c240| Folge von jener ist, und auf einer ganz andern Art von Gründen beruht, zumal nachdem man seit der Mitte des 17ten Jahrhunderts mehr die /cersten Grundsätze der Sittenlehrec\c33 entwickelt, und die Moral überhaupt mehr auf die Natur gebauetc34 hat. – Streitiger kanc35 hingegen der Nutzen von Absonderung der dogmatischen und elenchtischen Theologie seyn, und es scheint /aüberhaupta\ besser, sie beysammenc36 zu laßenac37, weil sie doch einerleyc38 Gegenstand betreffen, und die /aBeweise mit den Gegenbeweisena\a39 einleuchtender werden, wenn man sie sogleich einander entgegen stellt.
a1: 473 c2: andere c3: besondere c4: beruht auf c5: verschiedenen Arten c6: Lehren c7: jener c8: den c9: dieser aber c10: bei beiden c11: kann a12: positive, a13: Anm. c14: Anm. 1) c15: Aphorismen c16: brauchten noch c17: Bellarmin's a18: controuersiis c19: dogmatischen c20: zweiten c21: ihnen, besonders nach Calixtus, Versuch a22: Anm. c23: 2) c24: sei c25: vernachlässigt c26: ascetischen a27: erstern c28: andere a29: Anm. c30: 3) c31: dogmatische c32: moralischen c33: ersten Grundsätze der Sittenlehre c34: gebaut c35: kann c36: beisammen ac37: lassen c38: einerlei a39: Gegensätze und Gegenbeweise

|b280| 187a1.

Nach dem, was bisher von dem Nutzen der systematischen Theologie, in Absicht auf diese Artc2 die Theologie abzuhandeln, und von ihrer rechten Einrichtung, um diesen Nutzen zu befördern, gesagt worden ist, bedarf es über diese verschiedenec3 Theile derselben keiner Weitläuftigkeit;a4 und die folgenden Anmerkungen über diese einzelnena5 Wissenschaften sollen sich bloß auf ihren zweckmäßigen Inhalt, den Nutzen, der aus ihrema6 Inhalt zu ziehen ist, und die wahre Art einschränken, sie mit Vortheil zu studieren.

a1: 474 c2: Art, c3: verschiedenen a4: Weitläuftigkeit, a5: einzle a6: ihren

|a545| 188a1.

Wenn also die dogmatische Theologie oder christliche Glaubenslehre †)c2 noch von den gedachten beydenc3 andern Wissenschaften unterschieden wird:c4 so müßtec5 sie, sollteac6 sie ihrem Zweck (§. 186ac7) und dem Zweck der systematischen Theologie entsprechen, 1) allesc9 enthalten, was wir als Christen, abgesehen von den uns aufgelegten Pflichten, in Absicht auf Gott und dessen Verhältniß gegen uns, für wahr zu erkennen haben, es mag zu unsrerc10 Belehrung oder Ermunterung oder Trost dienen, c11 aus der heiligen Schrift oder aus unleugbarenc12 Sätzen der Vernunft |c241| erkennbar seyn; c13 2) die verschiednenc14, wenigstens wichtigern, Vorstellungen, die man sich von diesen Lehren unter Christen gemacht hat, mit Beurtheilung derselben. Diese Wichtigkeit müßtec15 nach einer doppelten Rücksicht /cbestimmt werdenc\c16: erstlich nach |b281| ihrem Einfluß auf die Befestigung der christlichen Erkenntniß, folglich auch danach, ob dadurch Zweifel und Widersprüche am besten abgeschnitten werden, und nach ihrem Einfluß auf die Besserung und Beruhigung der /cMenschen /a††); sodanna\a17 c\c18 auch danach, ob eine solche Vorstellung vielen Beyfallc19 gefunden hat, zumahlc20 wenn sie Unterscheidungslehre ganzer /cKirchenparteyena21 wordenc\c22 ist. Und weil eine Beurtheilung derselben nöthig ist – denn wozu sollte bloß historische Kenntniß dienen, da beyc23 der christlichen Erkenntniß allesc24 auf Ueberzeugung und Untersuchung des Wahren und Falschen ankommt? – so |a546| müßte auch 3) die Unrichtigkeit des Irrthums eben sowohl als die Wahrheit einer christlichen Lehre und der richtigsten Vorstellung davon, gezeigt /cwerden *).c\c25

/c†) Einc\c26 nicht ganz angemessener Ausdruck! denn diese Wissenschaft begreift auch Vielesa27, was wir wissen können, und nicht bloß auf ein Zeugniß der heil.ac28 Schrift glauben, und sie enthält nicht bloß die christlichen Lehren, sondern auch die richtigen Vorstellungen davon.
††)c29 Wenn auf die §. 152a30 f. angezeigte Art der bestimmte Begriff klar genug wird, den die heiligea31 Schrift mit einer gewissen Lehre verbindet;a32 und eben so, wenn durch die Vergleichung der biblischen Sätze unter einander und mit unwidersprechlichen Vernunftwahrheiten, der Begriff von einer Lehre genau bestimmt wird: so fallen viele auf Mißverstand beruhende Vorstellungen von selbst weg, und brauchen nicht einmal erzählt zu werden, wenn sie |b282| nicht durch den erlangten Beyfallc33 wichtig wordenc34 sind.
|c242| *)c35 Wenn Wahrheit und Irrthum untersucht werden soll:c36 so können 1) Beweise für die Wahrheit, und 2) gegen den Irrthum vorgelegt; so wie 3) Gründe oder Zweifel gegen die Wahrheit, und 4) Gründe für den Irrthum beantwortet werden. Ehe man die Dogmatikc37 von der Polemikc38 trennte, geschahec39 alles dieses zusammen, mit Vortheil; weil nicht getrennt wurde, was zur Vollständigkeit der Untersuchung gehörte. Jetzt hat man die zweyc40 ersten Arten zu untersuchena41 in die Dogmatik, und die zweyc42 letztern in die Polemik verwiesen; und diesc43 mit Recht; denn Beweise für die Wahrheit sind zugleich Beweise gegen den Irrthum, und um die Wahrheit zu vertheidigenc44 ist sowohl nö|a547|thigc45 die Gründe gegenc46 die Wahrheit, als die Gründe /cfürsc\c47 Gegentheil zu entkräften.
a1: 475 c2: 1) c3: beiden c4: wird, c5: muß ac6: soll ac7: 473 (a); 186. (c) c9: Alles c10: unserer c11: mag c12: unläugbaren c13: desgleichen c14: verschiedenen c15: ist c16: zu bestimmen a17: ††), sodenn c18: Menschen; 2) sodann c19: Beifall c20: zumal a21: Kirchenpartheyen c22: Kirchenparteien geworden c23: bei c24: Alles c25: werden. 3) c26: Anm. 1) Glaubenslehre – ein a27: vieles ac28: heiligen c29: 2) a30: 439 a31: heil. a32: verbindet, c33: Beifall c34: geworden c35: 3) c36: soll, c37: Dogmatik c38: Polemik c39: geschah c40: beiden a41: untersuchen, c42: beiden c43: dieß c44: vertheidigen, c45: nöthig, c46: gegen c47: für das

189a1.

Hiernach läßt sich der Nutzen dieser dogmatischen Theologie bestimmen, der oft übertrieben, oder zu sehr heruntergesetzt wird, und den man genau kennen sollte, um zu wissen, worauf man beyc2 Beschäftigung mit derselben eigentlich zu sehen hättea3. Sie giebt uns 1) richtige Begriffe von dem Verhältniß zwischen Gott und uns, d. i. von seiner und unsrerc4 Natur, seiner Gesinnung gegen uns, seinen zu unserm Besten gemachten moralischen Anstalten, /cunsrerc\c5 erforderlichen Gemüthsbeschaffenheitc6 wenn seine Absichten mit uns |b283| erreicht werden sollen, unsrenc7 daher entstehenden sichern Erwartungen, oder den im Gegentheil gewiß zu befürchtenden Folgen. Sie enthält somit 2) Grundsätze zu den übrigen theologischen Wissenschaften, – besonders zur Polemik, indem sie uns zeigt, was wir zu vertheidigen brauchen oder nicht, und wie? denn aller Widerspruch gegen Wahrheit beruht doch zuletzt auf Mißverstand, dem eben schon in der Dogmatik vorgebeugt werden |c243| muß, – zur Moral, denn unsrec8 Pflichten beruhen ja auf dem gedachten Verhältniß, und dieses giebt uns auch Bewegungsgründe und Ermunterung zu Ausübung der Pflichten – und zur weisen Führung des Lehramtes, damit man lerne, was für Begriffe und Ueberzeugungen man beyc9 Andern befördern, oder |a548| welchen man entgegenarbeiten solle. Sie eröffnet uns 3) die Quellen der wahren Beruhigung, die zu unsrerc10 Glückseligkeit so unentbehrlich ist, als die Beobachtung unsrerc11 Pflichten. 4) Sie unterrichtet uns von dem richtigsten Lehrbegriff, und zeigt dadurch, wenn wir uns, wie es mehrere Gründe erfordern, zu einer /cvorhandnen äusserlichenc\c12 Kirchea13 zu schlagen haben, welcher wir nach der richtigsten Ueberzeugung beytretenc14 müssen?a15 und 5) setzt sie uns in den Stand, die verschiednenc16 Vorstellungen von göttlichen Lehren und ihren Werth richtig zu beurtheilen, welches sehr großena17 Nutzen hat.

c18 Der Nutzen dieses Letztenc19 zeigt sich 1) in Absicht auf die Zweifel, welche die Ueberzeugung von gewissen Lehren hindern. Denn nur zu oft verwechselt man |b284| die Vorstellungen von gewissen Lehren mit den Lehren selbst, und verwirft entweder diese, weil man jene falsch befindet, oder bestehet eben so eigensinnig auf gewissen Vorstellungen, weil man gewohnt ist, die Lehren anders nicht,a20 als nach diesen für wahr zu halten. 2) Ueberhaupt wird man von Vorurtheilen in der Religion darum nicht freyc21, weil man sich die Lehren auf keine andere, als /aaufa\ Eine, Art denken kanc22; man kanc23 also davon anders nicht zurückkommen, als durch Bekanntschaft mit mehrern Vorstellungen davon, und ihren Gründen, die uns auch oft zeigen, wie fälschlich man etwas für Vorurtheil halte, was dergleichen nicht ist. Und eben diese Kenntniß befördert 3) die Billigkeit gegen die, welche nicht unsrerc24 Meinung sind, wenn wir einsehen, daß entweder ihre Meinung die nicht seyc25, die wir ihnen beygemessenc26, oder, daß sie aus /cden Gesichtspunctc\c27 betrachtet, woraus sie die Sache |a549| ansehen, ihren guten Grund, oder, wenn sie auch irrig ist, den schädlichen oder nothwendigen Einfluß nicht habe, den wir uns dabeyc28 einbildeten.
a1: 476 c2: bei a3: habe c4: unserer c5: deren uns c6: Gemüthsbeschaffenheit, c7: unseren c8: unsere c9: bei c10: unserer c11: unserer c12: vorhandenen äußerlichen a13: Kirchengemeinschaft c14: beitreten a15: müssen; c16: verschiedenen a17: grossen c18: Anm. c19: Letztern a20: nicht c21: frei c22: kann c23: kann c24: unserer c25: sei c26: beigemessen c27: dem Gesichts|c244|punkt c28: dabei

190a1.

Beyc2 dem Gebrauch guter Vorlesungen oder Lehrbücher über die dogmatische Theologie würdec3 es hauptsächlich darauf ankommenc4, daß man sich 1) /adarausa\ sowohl die Lehrenc5 als die /cVorstellungen davonc\c6, mit ihren genauen Bestimmungen, wohl bemerktec7; 2) genau auf die Beweise /cAcht gäbec\c8, womit beydec9 unterstützt werden, und |b285| wie diese Beweise geführt sind; 3) die Lehren selbst, wie sie in der heil.c10 Schrift liegen, oder in der Vernunft unwidersprechlich gegründet sind, von den Vorstellungen darüber, und wo jene aufhören und diese anfangen, recht unterscheiden lerntec11; 4) die Beweise für beydec12 sorgfältig prüftec13, ohne, aus Begierde einen Satz zu unterstützen, mit jedem Beweise zufrieden zu seyn, oder, um eines schlechten Beweises willen, die Sätze selbst zu verwerfen; 5) den wahren Werth jeder Lehre und Vorstellung davon, d. i. ihren Einfluß auf andrec14 Lehrsätze sowohl, als auf die menschliche Glückseligkeit, recht schätzen /czu lernenc\c15, und besonders 6) die ganze erlangte Erkenntniß sich recht praktisch zu machen suchtec16 (§. 169.a17 Anm.).c18 Je vorsichtiger man hier beyc19 jedem Schritt ist; /cje mitc\c20 unbefangnerm Gemüthe man allesc21 prüft, bereit, die Wahrheit, sie seyc22 alt oder neu, geachtet oder verachtet, anzunehmen, wo sie sich |a550| findet; je mehr man sich fürc23 Gleichgültigkeit auf einer, und /cfürc\ Vorwitz, d. i. Neugier nach Entdeckungen, wozu uns Kräfte oder Hülfsmittel versagt sind, auf der andern Seite, hütet; und je mehr es /cunsc\c24 um wahre Besserung und Beruhigung |c245| durch erkannte göttliche Wahrheit zu thun ist: /cje sichrer, glücklicherc\c25 und heilsamer wird diese Beschäftigung seyn.

c26 Die hieherc27 gehörigen allgemeinerna28 Bücher s. in der Anweisung etc. §. 233 flg.c29 und von der Beurtheilung ihres Werthes ebendaselbst §. 225 und 227. /aFür diejenigen Leser, denen zunächst das gegen|b286|wärtige Buch bestimmt ist, d. i. für solche, die, beyc30 vorausgesetzten übrigen nothwendigen Vorerkenntnissen, nach einer gründlichern und gelehrtern Kenntniß dieser Wissenschaft trachten, und sie vorc31 sich selbst studieren wollen, würde ich unter den ältern Lehrbüchern Jo.c32 Franc. Buddei Institutiones Theologiae Dogmaticaec33, Lips. /c1723 inc\c34 4.; doch noch mehr, theils an sich, theils nach den Bedürfnissen unsrerc35 Zeit, Jo.c36 Christoph. Döderlein Institutio Theologi Christiani, Edit. 2.c37 Norimb. /c1782 in 2 Bänden in gr. 8.c\c38; und die Epitome Theologiae Christianae von S. F. N. Morus, Lips. /c1789 in 8.c\c39, vor allen Büchern dieser Art empfehlen.a\
c⌇⌇c {Eine recht gute Uebersicht des historischen, dogmatischen und polemischen Theils der Dogmatik giebt G. F. Seiler Theologia dogmaitico-polemica cum compendio historiae dogmatum. Erlang. 1789. Den streng kirchlichen Lehrbegriff stellt auf C. C. Storr doctrinae christ. pars theoretica. Edit. 2. Stuttg. 1801., und deutsch von Flatt, 1803. Unter den neuesten von demselben auf sehr verschiedenen Wegen abweichenden Systemen, sind die Lehrbücher von Henke, Ammon, de Wette, Wegscheider und andern bemerkenswerth. Letzteres stellt am anschaulichsten die rationalistische Ansicht des christlichen Religionssystems auf. A. d. H.}c
a1: 477 c2: Bei c3: kommt c4: an c5: Lehren c6: Vorstellungsarten von ihnen c7: bemerkt c8: achtet c9: beide c10: heiligen c11: lernt c12: beide c13: prüft c14: andere c15: lernt c16: sucht. a17: 456. c18: Anm.) c19: bei c20: mit je c21: Alles c22: sei c23: vor c24: dem Forscher überhaupt c25: desto sicherer, gelingender c26: Anm. c27: hierher a28: allgemeinen c29: folg., c30: bei c31: für c32: Io. c33: dogmaticae c34: 1723. c35: unserer c36: Io. c37: 6. c38: 1797. c39: 1799, Ed. 4.

191a1.

Diese dogmatische Theologie verdient billig eher als die Polemikc2 und Moralc3 getrieben zu werden, weil diese sich auf die Dogmatik gründen (§. 189a4). Mit ihr könnte das, was man der Polemika5 angewiesen hat, am besten gleich verbunden werden (§. 186ac6 Anm. 3); so wie diese auch ei|c246|gentlich gar keine besondere Wissenschaft ist, weil sie keine Lehren im Zusammenhangc8 vorträgt, sondern nur eine Vertheidigung des Inhalts der Dogmatik. †)c9 Womit sie sich eigentlich beschäftige, ist schon §. 186ac10 gesagt. Es müßte darin 1) jede Frage, worüber man verschiednerc12 Meinung ist, genau und bestimmt vorgetragen werden, so daß man angäbe, worin die, so darüber uneins sind, gleichwohl in Rücksicht auf /aunternommenea\a13 Untersuchung, übereinstim|a551||b287|men, und alles das absonderte, was in die Untersuchung gemischt worden, ohne dazu zu gehören, mithin den eigentlichen Gesichtspunctc14 anzeigte, woraus die Dissentirenden die Frage angesehen, und ob sie /ceinerley Gesichtspunct genommenc\c15 hättena16 oder nicht. Ist das Letzterea17, – und das ist gemeiniglich der Fall, – so fällt der ganze Streit von selbst weg; und schon in /cso fernc\c18 ist diese Bestimmung der Streitfrage gerade das Wichtigste beyc19 solchen Untersuchungen; sie ists aber auch deswegen, weil ohne sie der Streit nie aufs Reine kommen kanc20. 2) Müßte man diejenigen und ihre Schriften angeben, welche einen von uns behaupteten Satz mit der meisten Kenntniß der Sache, oder doch am scheinbarsten, bestritten haben, und, wenn der Streit mit einer ganzen Parteyac21 ist, die Schriften, wozu sie sich öffentlich bekannt hat;c23 damit der Leser oder Zuhörer nachsehen könne, ob man die richtige Meinung der Gegner gefasstac24 und angegeben habe; 3) das wahre Verhältniß zeigen, worin die Frage gegen andrec25 Lehrsätze steht, die damit stehen oder fallen, oder wenigstens an Stärke oder Werth verlieren; und sich hüten, die Folgen aus einer Meinung zu übertreiben, auch anzeigen, ob die Gegner diese Folgen anerkennten oder nicht; und alsdanna26 4) die Gründe der Gegner wider unsrec27 und für ihre Meinung in völliger Deutlichkeit und Stärke vor|c247|legen, und zeigen, daß sie entweder unsrec28 Meinung nicht treffen, oder daß sie unrichtig oder doch unbewiesen sind.

|a552| |b288| /c†)c\c29 Auf diese dogmatischen Sätze schränkt man sich in der Polemik ein, obgleich mit eben so vielem Recht auch Streitigkeiten über Sätze der christlichen Moral könnten und sollten hineingezogen, oder den Einwürfen dagegen eine besondrec30 Untersuchung gewidmet werden. Daß man dieses nie in der Polemik gethan hat, rührt wohl daher, weil man sich ehedem überhaupt weit weniger um genauere Untersuchung der Moral als der Dogmatik bekümmerte, weil darüber selten Streitigkeiten mit ganzen Parteyenac31 entstanden, und weil man ehedem solche streitige Sätze der Moral, da diese von der Dogmatik noch nicht abgesondert war, mit in die Dogmatik aufnahm, daher auch nur diese wenigen Streitigkeiten über moralische Sätze/a, z. B. über die Rechtmäßigkeit des Eydes,c33 a\ in die heutige Polemik mit übergegangen sind.
a1: 478 c2: Polemik c3: Moral a4: 476 a5: Polemik ac6: 473. (a); 186. (c) c8: Zusammenhange c9: *) ac10: 473 (a); 186. (c) c12: verschiedener a13: die unternommne c14: Gesichtspunkt c15: einerlei Gesichtspunkt angenommen a16: haben a17: Letztre c18: sofern c19: bei c20: kann ac21: Parthey (a); Partei (c) c23: hat, ac24: gefaßt c25: andere a26: alsdenn c27: unsere c28: unsere c29: Anm. *) c30: besondere ac31: Partheyen (a); Parteien (c) c33: Eides,

192a1.

Wenn man diese Absicht und Einrichtung der sogenannten polemischen Theologie wohl und ohne Vorurtheile überlegt;c2 so läßt sich der großea3 Nutzen, den sie haben kanc4, nicht verkennen. Schon diesc5 wäre 1) viel werth, daß man daraus die verschiednenc6 Vorstellungen von Lehren der Religion, mit ihren Bestimmungen und Gründen kennen lerntec7. Dadurch würden einseitige Vorstellungen verhindert, und man lernte einsehen, daß /cunsre eignec\c8 Vorstellung gar nicht die einzige mögliche seyc9, mit der die Lehre selbst stünde oder fiele, und daß, wenn wir unauflösliche Zweifel gegen unsrec10 |b289| Vorstellung bekommen, diese uns noch keinesweges /anöthige,a\ die Lehre selbst aufzugeben a11. |a553| Man lernte, /adasc12 Vielesa\a13, was verschrieen ist, so gefährlich nicht seyc14, daß wir uns dafürac15 entsetzen, und wohl selbst die Untersuchung scheuen müsstenac16. |c248| Man stießea17 selbst auf manche nicht bekannte oder verkannte und sehr nützliche Wahrheit. Man würde wenigstens zur neuen Untersuchung veranlaßt, an die man vorhin nicht gedacht hatte;a18 und die Geschichte lehrt ja offenbar, daß nie die Kenntniß der Religion erweitert und bestimmter wordenc19, als durch solche Untersuchung, die fast immer erst durch Streitigkeiten erweckt worden ist. Man würde den wahren Werth einer Lehre und Vorstellung kennen lernen, und dadurch einer Seits fürc20 Gleichgültigkeit gegen Wahrheit, auf der andern /aabera\ fürc21 Unbilligkeit gegen anders Denkende verwahrt werden.

a1: 479 c2: überlegt, a3: grosse c4: kann c5: dieß c6: verschiedenen c7: lernt c8: unsere eigene c9: sei c10: unsere a11: nöthigten c12: daß a13: daß vieles c14: sei ac15: davor ac16: müßten a17: stiesse a18: hatte, c19: geworden c20: vor c21: vor

193a1.

Selbst 2) unsrec2 Ueberzeugung von der Wahrheit, und /cdiec\ Standhaftigkeit /cbey ihr,c\c3 würde dadurch gewinnen. Denn kennen wir, beyc4 jener Ueberzeugung, zugleich auch die Gegenmeinungen mit ihren Gründen, so setzen sie uns nicht so sehr in Verlegenheit, als wenn wir hernach sie unerwartet erfahren. Wir gerathen alsdanna5 nicht hinterher auf den Verdacht, daß man sie uns verheimlicht habe, aus Furcht, sie nicht widerlegen zu können; welcher Verdacht immer ein schädlichc6 Vorurtheil gegen das bisher Geglaubte, |b290| und für das Neue giebt, welches die ruhige unparteyischeac7 Untersuchung hindert. Wir lernen |a554| durch diese Kenntniß einsehen, daß entweder diese Gegenmeinung mit unsrer bestehen könne,c9 und so leidet unsrec10 Ueberzeugung von der Wahrheit nicht; oder wir sehen ein, daß sie falsch ist, und werden dadurch in unsrerc11 Ueberzeugung befestigt; oder daß sie wahr sey,c12 und so befreytc13 sie uns von einem Irrthum.

a1: 480 c2: unsere c3: bei ihr c4: bei a5: alsdenn c6: schädliches ac7: unpartheyische (a); unparteiische (c) c9: könne: c10: unsere c11: unserer c12: sei: c13: befreit

194a1.

In so fern wir aber 3) aus der Polemik das Verhältniß eines Irrthums gegen andrec2 lernen, die durch diesen |c249| Irrthum unterstützt werden, oder zu dessen Unterstützung dienen: so sehen wir ein, wie man auf einen solchen Irrthum seyc3 geleitet worden, und lernen also, welchen Sätzen man vorbauen, oder welche man mitentkräftenc4 müsse, wenn ein Irrthum verhütet, oder er widerlegt werden solle. Und wenn 4) Zweifel unsrec5 Ueberzeugung von der Wahrheit zerstören, wenigstens vermindern, oder uns in Zweifelsucht stürzen, worunter oft genug unsrec6 Gemüthsruhe leidet, und die Wahl zwischen Gutem und Bösem, wenigstens die Ausführung des Guten, gehindert oder aufgehalten wird: so erfordert es die Liebe zur Wahrheit, das Streben nach gewisser Erkenntniß, die Liebe zu uns selbst und zu Andern, diese Zweifel aus dem Grunde zu heben. Da aber die Wenigstena7 Kenntniß genug von Irrthümern in der Religion und ihren bloß scheinbaren Gründen, so wenig wie von alle dem haben, was |b291| zur gründlichen Beurtheilung |a555| derselben erfordert wird; da die Wenigstena8 Scharfsinn oder Fähigkeit besitzen, das Wahre und Scheinbare zu unterscheiden, und eben so wenig Geduld und Uebung, verwirrte Untersuchungen aus einander zu wickeln: so kanc9 die Polemik großea10 Dienste dem leisten, der selbst noch nicht die nöthige Fähigkeit, Kenntniß und Uebung in solchen Untersuchungen hat, ja sie kanc11 selbst für ihn eine vortreflichec12 Schule zu solchen Uebungen werden.

a1: 481 c2: Andere c3: sei c4: mit entkräften c5: unsere c6: unsere a7: wenigsten a8: wenigsten c9: kann a10: grosse c11: kann c12: vortreffliche

195a1.

Und eben in dieser Uebung besteht 5) einer der größestenac2 Vortheile, den die Polemik stiften kanc4. Wenn man sieht, wie die streitige Frage mit gehöriger Genauigkeit bestimmt, und beyc5 der Beantwortung der Gegengründe bestimmt angegeben wird, wie weit und warum man sie einräumen kanc6 oder nicht: so gewöhnt man sich an Verdeutlichung der |c250| Begriffe; man gewöhnt sich, eine Frage nicht gleich abzuurtheilen, sondern sie /cerstc\ auf mehrern Seiten zu betrachten; verwirrte Untersuchungen aus einander zu wickeln; vorsichtig zu werden, und was man behauptet, auf allen Seiten zu befestigen, um weder Blößena7 zu geben, noch Zweifel und Streitigkeiten zu veranlaßenac8; discret zu werden, um nicht mit dem verworfnenc9 Irrthum die Wahrheit zugleich zu verwerfen, oder mit dem, was man zugeben kanc10, auch das Falsche zu billigen, und dem Gegner Gelegenheit zu geben, in jenem Fall die verworfnec11 |b292| Wahrheit in Schutz zu nehmen, und den |a556| Streit von der wahren Frage abzulenken, und in diesem Fall den zugelaßnenc12 Irrthum gegen uns zu brauchenc13. Kurz, es giebt keine Art von Uebungen, wobeyc14 man so sehr könnte den Verstand schärfen, sich zur Präcision in Gedanken und Ausdrücken gewöhnen, recht nüchterne und geläuterte Untersuchungen anstellen lernen, als die Polemik, wenn sie recht eingerichtet wird.

/cAnm.a15 1.c\c16 Dieser Vortheil, den man aus ihr schöpfen kanc17, scheint der allerbeträchtlichste zu seyn, so wie schon oben gesagt ist, daß die Hauptsache beyc18 dem Studieren darin bestehe, nicht sowohl immer mehr Kenntnisse zu erlangen, als vielmehr guten Lehrern und Schriftstellern die rechte Art abzulernen, wie man sie behandeln soll. Denn alle uns je vorkommende streitige Fragen in der Religion, und alle Einwürfe dagegen, können doch nicht darin abgehandelt werden, da die Möglichkeit der Entdeckungen ins Unendliche geht; also wird keine Polemik je für alle Zweifel zureichen,c19 aber wenn sie unsern Verstand bildet, macht sie uns zu allen Religionsuntersuchungen geschickt.
/cAnm.a20 2.c\c21 Schon um dieses angegebnenc22 Nutzens willenc23 sollte sie für einen Studierenden unschätzbar seyn,c24 und in der Versäumung dieser Uebungen scheint eine Hauptursachc25 zu liegen, warum seichte Kenntnisse, dreustec26 und oberflächige Urtheile über streitige Wahrheiten so gewöhnlich sind, Festigkeit der |c251| Ueberzeugung hingegen so selten ist, und die Seele sich von jedem scheinbaren Geschwätz so leicht |b293| hinreissenc27 läßt. – Auch wird man finden, daß viele Untersuchungen und Bestimmungen in der Dogmatik eher nicht recht verstanden, noch weniger geschätzt werden, bis man erst in der Po|a557|lemik sieht, warum etwas behauptet oder so bestimmt /awurdea\a28. – Da es auch viel leichter ist, /cAndrer vorgefundnec\c29 Gedanken zu beurtheilen, als selbst zu erfinden, so wie Fehler zu entdecken leichter, als es selbst besser zu machen: so würde /cbey eignenc\c30 Uebungen viel rathsamer seyn, wenn wir nur erst die nothwendigsten Kenntnisse von einer Sache erlangt haben, und ein Geschickterer uns die Streitfrage recht bestimmt vorlegte, sich in Prüfung der Einwürfe dagegen zu üben, als selbst dogmatische Ausarbeitungen vorzunehmen.
a1: 482 ac2: grössesten (a); größten (c) c4: kann c5: bei c6: kann a7: Blössen ac8: veranlassen c9: verworfenen c10: kann c11: verworfene c12: zugelassenen c13: gebrauchen c14: wobei a15: Anm. c16: Anm. 1) c17: kann c18: bei c19: zureichen; a20: Anm. c21: 2) c22: angegebenen c23: willen, c24: seyn; c25: Hauptursache c26: dreiste c27: hinreißen a28: wurde, und warum das nöthig war c29: Anderer vorgefundene c30: es bei eigenen

196a1.

Beyc2 so großena3 Vortheilen, die dieses Studium gewährt, müßtec4 es beynahec5 unbegreiflich seync6, wie Viele so verächtlich davon urtheilen oder es widerrathen könnten. Daß seichte und flüchtige Köpfe, welchea7 Anstrengung, Mühe und bedächtige /cUntersuchungen scheuen,c\c8 daß Leute, die gegen Wahrheit sehr gleichgültig sind, oder mehr überreden als überzeugen wollen, oder beyc9 Ueberraschung Andrerc10 mit scheinbaren Gedanken ihre Rechnung finden,c11 daß diese also dagegen eingenommen sind, ist nicht zu verwundern. Aber beyc12 Verständigern und Gewissenhaftern rührten diese verächtlichen Urtheile ohne Zweifel von der Wahrnehmung her, daß gewöhnlich die Polemik voll |b294| unnützer und über die Gebühr wichtig gemachter Untersuchungen, und daß sie von jeher ein Schauplatz der /cbösartigsten Zänkereyenc\c13 und Leidenschaften gewesen seyc14. Je lebhafter man |a558| sich die Verletzung der Billigkeit /cundc\ des Friedens, den Verfolgungsgeist, die Verabsäumung des praktischen Christenthums und andrec15 Uebel denkt; je mehr Aufklärung sich ausbreitet, dadurch Mißverstand gehoben, und |c252| der Werth eines Lehrsatzes richtiger gewürdigt; je mehr das äusserlichec16 Interesse verändert wird, welches gewissen Untersuchungen eine Wichtigkeit gab, die sie ihrer Natur nach nicht hatten; je gemeiner Liebe zur Duldung der anders Denkenden, zum Theil auch Gleichgültigkeit gegen das nicht unmittelbar Nützliche,c17 wird: je natürlicher ist diese Abneigung. Jec18 mehr ist hinwieder auch zu besorgen, daß man sich durch den Geschmack seiner Zeit, und durch das zu lebhafte Gefühl gewisser Uebel, zu sehr in seinem Urtheil leiten laßeac19, und nicht genug auf seiner Hut seyc20 gegen die Versuchung, ungerecht zu werden.

a1: 483 c2: Bei a3: grossen c4: könnte c5: beinahe c6: scheinen a7: die c8: Untersuchung scheuen; c9: bei c10: Anderer c11: finden; c12: bei c13: bösartigen Zänkereien c14: sei c15: andere c16: äußerliche c17: Nützliche c18: Desto ac19: lasse c20: sei

197a1.

Denn alle diese Uebel beweisen doch nur, daß die Polemik, gleich der verdorbnenc2 Justizpflege, müsse gebessert, nicht daß sie müsse ganz weggeworfen werden. Untersuchungen müssen doch seyn, und dazu gehört, daß man eine Parteyac3 wie die andrec5 höre, und mit aller Weisheit, Vorsichtigkeit und Billigkeit richte. Wenn dieses Verhör auf die Art geschieht, wie §. /a191,c6 159a\a7 f. und |b295| 169ac8 Anm. angegeben wurde, und wenn man in der Polemik wie in der Dogmatik untersucht, um Wahrheit, nicht um Nahrung der Leidenschaft, zu finden: so |a559| fallen alle jene Uebel weg, welche die Polemik mit Recht in einen üblen Ruf brachten,c10 und sie wird alsdanna11 ein sehr heilsames Mittel, wahren Frieden,c12 ohne Nachtheil der Wahrheit,c13 zu befördern.

a1: 484 c2: verdorbenen ac3: Parthey (a); Partei (c) c5: andere c6: 191. a7: 478, 446 ac8: 456 (a); 169. (c) c10: brachten; a11: alsdenn c12: Frieden c13: Wahrheit

198a1.

Wenn man das zusammennimmt, was bisher von der rechten Einrichtung dieser Art der Theologie, von dem Nutzen derselben, von den gewöhnlichen Fehlern beyc2 Führung theologischer Streitigkeiten, und beyc3 dem Vortrag derselben in einer besondern Wissenschaft, gesagt worden ist: so kanc4 man |c253| von selbst leicht erkennen, wie sie müsse studieretc5, und worauf eigentlich Acht gegeben werden, um den versprochnenc6 Nutzen daraus /czu ziehn. –c\c7 Uebrigens ist die Methode, die Polemik nach der Ordnung der Lehren vorzutragen, überhaupt weit nützlicher, als die Ordnung nach /cverschiednen Religionsparteyena8c\c9. Der Hauptzweck müßtec10 doch beyc11 polemischen Untersuchungen 1) immer seyn, Wahrheit und Irrthum oder Schein unterscheiden, und sich überzeugen zu lernen, was für und wider jeden verschiednenc12 Lehrsatz oder Vorstellung einer Lehre gesagt werden könne, und mit welchem Grunde. /cDies kanc\c13 aber am besten geschehen, wenn wir beyc14 Untersuchung der Lehren in der Dogmatik gleich |b296| auch das Gegentheil mit, wenigstens gleich in der Polemik dasselbe in Beziehung auf jene Lehren untersuchen. 2) Man lernt auch nach die|a560|ser Methode beyc15 jeder Lehre sogleich die verschiednenc16 Meinungen darüber mit /aEinem Mahlec17a\a18, und braucht sie nicht erst zerstreut unter den /cverschiednen Parteyena19 c\c20 aufzusuchen; und eben dadurch wird 3) verhütet, daß man nicht die nehmlichenc21 Gründe, und meistens eben dieselben Antworten, beyc22 Prüfung einer Parteyac23 zu wiederholen braucht, wenn man sie schon beyc25 einera26 andern erwogen hat, welches unnöthige Weitläuftigkeitena27 erspart. Auch werden 4) beyc28 Untersuchung der Meinungen einer Parteyac29 nur solche Punctec31 erörtert, die zwischen Parteyenac32 streitig sind,c34 und diese sind nicht gerade der Sache nach die wichtigsten, als welche letztrec35 oft gar nicht einmal Unterscheidungslehren ganzer Parteyenac36 ausmachen; sehr oft enthalten gewisse Privatmeinungen viel wichtigere Aufschlüsse, und Gründe einzelnera38 gelehrten Theologen sind oft viel ausgesuchter und geschärfter, als die, so in öffentlichen Bekenntnißbüchern gebraucht sind. So nähretc39 auch 5) die Abhandlung der Streitigkeiten nach Parteyenac40 mehr den Sectenhaßc42, erschwert die |c254| unparteyischereac43 Untersuchung, und nöthigt den Untersucher 6) viele ganz unnütze Untersuchungen beyzubehaltenc45, an deren Statt viel erheblichere, und unsern Zeitbedürfnissen gemäßerea46, könnten aufgenommen werden.

/cAnm.a47 1.c\c48 Zwar fällt beyc49 der Abhandlung nach den Parteyenac50 der Zusammenhang eines Irrthums mit |b297| dem andern besser in die Augen; aber dieser kleine Vortheil ist für den Verlust der in dem §. angeführten Vortheile der andern Me|a561|thode ein zu geringer Ersatz; und den Abgang dieses Vortheils kanc52 eine a53 Geschichte der Religionsparteyenac54 hinlänglich ersetzen, wenn darin der innrec56 Zusammenhang der Lehrsätze dieser Parteyac57 wohl vorgelegt wird.
/cAnm.a59 2.c\c60 Es kanc61 seinen guten Nutzen haben, wenn man auch die Lehrsätze einer besondern Parteyac62 besonders untersucht, in dem Fall, wenn äusserlichec64 Verhältnisse, z. B. mit der römischen Kirche, oder die Zeitumstände, wo gewisse Arten von Irrthümern vornehmlich im Gangc65 sind, dergleichen besondrec66 Untersuchung nöthig machen, z. B. die Streitigkeiten mit den Deisten. – Vorzüglich nützlich würde es seyn, gerade diejenigen Streitigkeiten recht gründlich zu untersuchen, die unsrerc67 Zeit eigen sind, weil dieses /aunsrec69 a\a68 Bedürfnisse /aam meistena\ erfordern. Ein, wiewohl in vielerleyac70 Absicht sehr unvollkommner,c72 Versuch davon, ist das /aLehrbuch für die neueste Polemika\a73, Halle /c1782 inc\c74 gr. 8. c75
a1: 485 c2: bei c3: bei c4: kann c5: studiert c6: versprochenen c7: ziehen. a8: Religionspartheyen c9: verschiedenen Religionsparteien c10: soll c11: bei c12: verschiedenen c13: Dieß kann c14: bei c15: bei c16: verschiedenen c17: Male a18: einemmal a19: Partheyen c20: verschiedenen Parteien c21: nämlichen c22: bei ac23: Parthey (a); Partei (c) c25: bei a26: der a27: Weitläufigkeiten c28: bei ac29: Parthey (a); Partei (c) c31: Punkte ac32: Partheyen (a); Parteien (c) c34: sind; c35: letztere ac36: Partheyen (a); Parteien (c) a38: einzler c39: nährt ac40: Partheyen (a); Parteien (c) c42: Sektenhaß ac43: unpartheyischere (a); unparteiischere (c) c45: beizubehalten a46: gemässere a47: Anm. c48: Anm. 1) c49: bei ac50: Partheyen (a); Parteien (c) c52: kann a53: gute ac54: Religionspartheyen (a); Religionsparteien (c) c56: innere ac57: Parthey (a); Partei (c) a59: Anm. c60: 2) c61: kann ac62: Parthey (a); Partei (c) c64: äußerliche c65: Gange c66: besondere c67: unserer ac68: gerade unsre (a); unsere (c) ac70: mancherley (a); vielerlei (c) c72: unvollkommener a73: Lehrbuch für die neueste Polemik c74: 1782. c75: Dagegen behauptet die Baumgartensche Geschichte der Religionsparteien noch immer ihren Werth.

199a1.

Die christl.c2 Moral, oder der zusammenhängende Unterricht, den uns das Christenthum über die Einrichtung unsers freyenc3 Verhaltens nach Gottes Willen, giebt, kanc4 nicht bloß auf dasjenige eingeschränkt werden, was die heil.c5 Schrift davon enthält, sondern muß auch allesc6 mit in sich fassen, was uns die Betrachtung der Natur darüber lehrt, zumal da die heil.c7 Schrift diesen Theil |b298| des |c255| Christenthums nicht so ausführlich vorgetragen hat, als theoretische Lehrenc8 (S. §. 185a9 und 156.ac10) Ihr Unterschied von der /cphilosophischen Moralc\c12 besteht daher nicht darin, daß diese, na|a562|türlich bekannte, und die christliche, geoffenbarte Pflichten enthält – denn der letztern sind nur sehr wenige, die nemlichc13, welche aus den dem Christenthum eingethümlichen Lehren fließena14 – sondern darin, daß die christliche auch noch solche Gesinnungen und Pflichten empfiehlt, die nicht aus der bloßena15 Natur erkennbar sind, und die natürlichen Pflichten durch neue, aus den eigentlichsten Christenthum hergenommnec16, Bewegungsgründe unterstützt. Da es aber beyc17 der wahren Gottseligkeit, welche die christliche Moral lehren und empfehlen soll, nicht sowohl auf Handlungen als auf Gesinnungen ankommt, die sich nur durch gute Handlungen äussernc18, und das Christenthum, als eine Religion betrachtet, allesc19 auf unser Verhältniß gegen Gott zurückführt: so muß die christliche Moral theils sowohl und vorzüglich auf Beförderunga20 einer guten Gesinnung, als der Ausübung einzelnera21 Pflichten arbeiten, theils beydesc22 beständig/a, wenigstens mita\ auf Gottc23 zurückführen.

/cHienachc\c24 schließt der Name einer Sittenlehre der heil.c25 Schrift weniger in sich, als der Name der christlichen Sittenlehre. – Den Theil der Letzternac26, der sich mit dem Unterricht zur Hervorbringung guter Gesinnungen beschäftigt, nennen einige die Ethicam, und den, der einzelnea27 Pflichten vorträgt, die Jurisprudentiam divinam. – Da das Christen|b299|thum die Natur des Menschen nicht aufhebt, sondern nur verbessert, so dürfen die ihm eigenthümlichen Gesinnungen und Pflichten nie von den natürlichen getrennt werden; welche Trennung Gelegenheit gegeben hat, gemeinnützige Tugenden und Pflichten über Handlungen der bloßena28 Andacht zu ver|a563|ges|c256|sen, oder jene für unwichtiger,a29 als diese anzusehen, oder die wahre Frömmigkeit in Schwärmereyc30 zu verwandeln, wie unter andern das Beyspielc31 der Mönchs-Moralc32 beweiset.
a1: 486 c2: christliche c3: freien c4: kann c5: heilige c6: Alles c7: heilige c8: Lehren. a9: 472 ac10: 443. (a); 186. (c) c12: philosophischen Moral c13: nämlich a14: fliessen a15: blossen c16: hergenommene c17: bei c18: äußern c19: Alles a20: Beföderung a21: einzler c22: Beides c23: Gott, c24: Anm. Hiernach c25: heiligen ac26: letztern a27: einzle a28: blossen a29: unwichtiger c30: Schwärmerei c31: Beispiel c32: Mönchs-Moral

200a1.

Wenn die christliche Sittenlehre ihre Absicht erfüllen soll:c2 so muß sie dreyerleyc3 leisten. Sie muß 1) allesc4, was zur wahren Gottseligkeit gehört, und den ganzen Umfang der Pflichten eines Christen vorstellen; sie muß wenigstens – da ihr Umfang ins Unendliche geht, und jede neu erlangte Kenntniß, jede neue Art von Umständen, in die wir kommen, uns neue Pflichten auflegt – so allgemeine und in vorkommenden Fällen anwendbare Grundsätze vorlegen, daß wir daraus, indem wir sie mit unsern Umständen vergleichen, unser rechtmäßiges Verhalten in einzelnena5 Fällen bestimmen können. Um diese Pflicht in ihrem ganzen Umfangc6 vorzustellen, müssen nicht nur /cc\ die gesammten Pflichten selbst /cangegeben –c\c7 es muß auch bestimmt werden, wie weit sie reichen, um sie nicht zu weit auszudehnen, und Pflichten zu fordern, die dergleichen nicht sind, oder sie zu sehr einzuschränken, und |b300| Pflichten auszuschließenc8, die darin mit begriffen seyn sollten; – es muß selbst die Collision der Pflichtena9 nicht übersehen, und, durch Zusammenhaltung derselben, gezeigt werden, wie weit eine durch die andrec10 eingeschränkt werde, oder die eine in vorkommenden Fällen der andern weichen |a564| müsse. Man sieht leicht ein, wie nöthig hier deutliche und bestimmte Begriffe sind, und wie wenig es zureiche, nur überhaupt zu wissen, was man zu thun oder zu laßenac11 habe.

/cDiec\c12 Lehre von der Demuth und Bescheidenheit, welche gleich weit von Niederträchtigkeit und Stolz entfernt bleiben soll; von dem Vertrauen |c257| auf Gott, das nicht in Unthätigkeit oder Versuchung Gottes ausarten muß; vom Diebstahl, der auch das Verfertigen schlechter Arbeit, den Andern zugefügten aber verschwiegnenc13 Schaden, unüberlegtes Schuldenmachen und unterlaßnec14 Bezahlung derselben, und noch viele andrec15 wenig erkannte Sünden,c16 in sich schließt; die Lehre von der Aufrichtigkeit und Verschweigung seiner Kenntnisse, Ueberzeugungen und Gesinnungen; die Pflicht, besserea17 Einsicht in der Religion auszubreiten, oder vorc18 sich zu behalten, und die dabeyc19 nöthige, selbst auf Menschenliebe gegründete /cWeisheit, u. a. können hier zum Beyspiel dienen.c\c20
a1: 487 c2: soll, c3: dreierlei c4: Alles a5: einzeln c6: Umfange c7: angegeben, c8: auszusschliessen a9: Pflicht c10: andere ac11: lassen c12: Anm. Beispiele hiervon geben: die c13: verschwiegenen c14: unterlassene c15: andere c16: Sünden a17: beßre c18: für c19: dabei c20: Weisheit u. a. m.

201a1.

Nächstdem /cmüßtec\c2 die christliche Moral 2) überall /cdazu eingerichtet seyn, uns würklich gottselig zu machen, d. i. es müßte uns allesc\c3 so |b301| einleuchtend, so dringend, so überwiegend angenehm /cgemacht werdenc\c4, daß /cbey uns –c\c5 wahrhafte Ueberzeugung:a6 /cso müssenc\c7 wir c8 seyn und handeln c9, wenn es uns wohl gehen /csoll –c\c10 wahrhafte Neigung, so zu werden und zu /cverfahren –c\c11 und zwar überwiegende Neigung dazu, entstehen /ckönnte, diec\c12 in wirkliche That /cübergingec\c13. Dieses kanc14 geschehen durch deutliche und lebhafte Dar|a565|stellung – zuerst der wahren Tugend oder Gottseligkeit, theils als einer Sache, ohne die man unmöglich glücklich seyn, beyc15 der man hingegen auf die seligsten Folgen rechnen könne, theils als eines Ganzen, d. i. als einer durchgängigen Lust an allemc16, was Gottes Willen gemäß ist, und eines durchgängigen Mißfallens am Gegentheil, verbunden mit einem beständigen, immer wieder erneuerten, Bestreben, durchaus nach Gottes Willen zu handeln; hernachc17 – aller einzelnena18 Pflichten im Zusammenhang, d. i. als solcher, die Gott ohnfehlbarc19 von uns fordert, und die sowohl nothwendige Folgen von den anerkannten Pflichten, als neue |c258| Quellen der seligsten Folgen sind, die aus ihrer Ausübung entspringen. Die Vorlegung der wohlthätigen Absichten, die Gott beyc20 allen seinen Gesetzen und Anstalten hat, können uns nicht nur willig machen zu Gesinnungen und Handlungen, die seinen Absichten entsprechen; sie können uns auch Aufschlüsse geben über die Verbindung einer Pflicht mit der andern, und über unsre rechte Wahl, wenn diese Pflichten mit einander in Collision kommen sollten.

|b302| c21 Hieraus erhellet, wie höchst nützlich es seyc22, das, was zur christlichen Moral gehört, ja im Zusammenhange zu studieren/a, und sich nicht mit guten Maximen und Sentenzen zu behelfena\.
a1: 488 c2: muß billig c3: so abgehandelt werden, daß durch sie wirkliche Gottseligkeit befördert werde, d. i., sie muß Alles c4: machen c5: bei uns eine a6: Ueberzeugung, c7: daß c8: so c9: müssen c10: soll, c11: verfahren, c12: und c13: übergehen könne c14: kann c15: bei c16: Allem c17: sodann a18: einzeln c19: unfehlbar c20: bei c21: Anm. c22: sei

202a1.

Weil aber /cUeberzeugung von einer Pflicht,c\c2 Ueberzeugung von ihrer Möglichkeitc3 voraussetzt, |a566| und weder Willigkeit, etwas zu werden oder zu thun, noch viel weniger That entstehen kanc4, wenn man nicht einsieht, wie man es anzugreifen habe, um so zu werden oder zu handeln: so muß sich die christliche Moral nicht bloß auf Vorlegung und Einschärfung guter Gesinnungen und Pflichten einschränken, sondern auch 3) die Artc5 zeigen, wie wir jene erlangen, erhalten und verstärken, und diese ausüben, wodurch wir uns dieses erleichtern, und die Hindernisse desselben aus /cden Wegc\c6 räumen, oder doch vermindern können.

a1: 489 c2: die Ueberzeugung, daß etwas Pflicht sei, die c3: Möglichkeit c4: kann c5: Art c6: dem Wege

203a1.

Ob /cdiesesc\c2 Studium der christlichen Moral nützlich /csey? – diesc\c3 sollte beyc4 vernünftigen Menschen und Christen eigentlich gar /cnicht einmal bezweifelt werdenc\c5, weil es eben so viel ist, als wenn jemand noch fragen wollte: ob der Mensch /aseine Pflicht thun, und immer recht handeln müsse, oder nicht? ob era\ nach Glückseligkeit streben müsse, oder nicht? |c259| ob er glücklich werden könne ohne die Mittel, die er dazu in Händen hat, und /aohnea\ seine Kräfte zu gebrauchen? ob die deutliche und leben|b303|dige Kenntniß und Ueberzeugung von seinen Pflichten und ihrer Quelle, einer guten Gesinnung, von den seligen Folgen derselben, und von der besten Art,a6 sie zu erlangen oder auszuüben, diesen fleißigen Gebrauch jener Mittel befördrec7, oder hindrec8? Und doch haben viele, auch sehr verständige redliche Christen, wirklich dieses Studium nicht nur für entbehrlich, sondern selbst für schädlich /cgehalten, undc\c9 sind c10 in ihren Vorurtheilen dagegen |a567| durch übertriebnec11 Lobsprüche auf diese Wissenschaft verstärkt worden. Beyderleyc12 ausschweifende Vorurtheile rühren von unrichtigen, unvollständigen oder überspannten Begriffen her, die man sich von dem Umfang und von dem Zweck der Moral, von ihrem mehrernc13 oder mindernc14 Einfluß auf denselben, und von dem Werth andrerc15 Mittel zur Glückseligkeit der Menschen macht,c16 und diese Vorurtheile fallen weg, wenn man alle diese Begriffe berichtigt. Schon die ganze Absicht und Natur dieser Wissenschaft zeigt, daß es, nächst der christlichen Glaubenslehre, keine /cWissenschaftc\ gebe, deren Werth und unmittelbarer Einfluß in die Glückseligkeit des Menschen mit /cihremc\c17 verglichen werden könne.

c18 Durch meinen Versuch: Ueber den Werth der Moral, der Tugend und der späten Besserung, zweytec19 Ausgabe, Halle /c1782a20 in Octavc\c21, hoffe ich mir den weitern Commentar über diese Sache, wie über die nächst vorhergehenden §§. erspart zu haben. c22
a1: 490 c2: ein solches c3: sei, darüber c4: bei c5: kein Zweifel entstehen a6: Art c7: befördere c8: hindere c9: gehalten. Oft c10: sie auch c11: übertriebene c12: Beiderlei c13: größeren c14: geringeren c15: anderer c16: macht; c17: dem ihrigen c18: Anm. c19: zweite a20: 1782, c21: 1782. 8. c22: M. s. A. C. Bartels' über den Werth der christlichen Sittenlehre, Hamburg 1788.

|b304| 204a1.

Wie diese edle Wissenschaft mit wahrenc2 Nutzen studieretc3 werden könne, läßt sich aus dem leicht folgern, was bis|c260|her §. 200–202ac4 über die Erfordernisse /cbey dieser Wissenschaftc\c6, ausführlicher im gedachten Buche, auch oben §. 188ac7 gesagt worden ist. Aber nirgends ist auch das für Annehmung alles Guten offnec9 und willige Herz so unentbehrlich als hier. – Um die rechte Behandlung der christlichen Moral nach der |a568| heil. Schrift und der Vernunft zu lernen, möchten die obigen Anmerkungen §. 145a10 f. und 156a11 f. sehr dienlich seyn.

c12 Die besten allgemeinern Schriften, welche die christliche Moral enthalten, sind in der Anweisung zur theologischen Bücherkenntniß §. 272 f. angezeigt. Seitdem man angefangen hat, mehr die Natur der menschlichen Seele zu studieren, und darauf sowohl, als auf die genauer untersuchte Natur der Sittlichkeit überhaupt, die Moral zu gründen, haben wir sehr schätzbare Versuche über die Moral überhaupt erhalten, die keinem, werc13 die christliche Moral recht studieren will, gleichgültig seyn /cmüssen, unter welchen die philosophischen Bemerkungen und Abhandlungen zu Cicero's Büchera14 von den Pflichten, von C. Garve, Breslau 1783, in drey Bänden groß Octav, vorzüglich bemerkt zu werden verdienenc\c15.
a1: 491 c2: wahrem c3: studiert ac4: 487–89 (a); 200–202. (c) c6: bei derselben ac7: 475 (a); 188. (c) c9: offene a10: 432 a11: 443 c12: Anm. c13: der a14: Büchern c15: dürfen

cZusatz des Herausgebers.

Die älteren wissenschaftlichen Lehrbücher der christlichen Moral, folgen doch fast sämmtlich dem Ideengange irgend eines philosophischen Systems, und zeichnen sich auch durch philosophischen Geist vor vielen Lehrbüchern der ältern Dogmatik aus. Dieß ist der Fall in den Systemen von Buddeus, Baumgarten, Canz, Crusius. Mosheim ging einen freiern Gang, ward aber auch eben daher oft mehr wortreich als gründlich.

Die Erscheinung der kritischen Philosophie hat auf die Wissenschaft einen sehr bedeutenden Einfluß gehabt. Ihr Stifter Kant hatte selbst behauptet, sein Moralsystem sei in seinen Hauptideen vollkommen mit den Grundsätzen des christlichen übereinstimmend. Sein Prinzip sei kein anderes, als was Christus seiner Lehre zum Grunde gelegt habe.

|c261| Die große Sensation, welche diese Philosophie machte, der hohe und reine Geist, welcher sich besonders in dem praktischen oder moralischen Theil aussprach, das Anschließen desselben an die Aussprüche des neuen Testaments, bewog viele Theologen, nunmehr ihre theologischen Lehrbücher ganz nach den Kantischen Ideen zu bilden, dieselben Terminologieen zu gebrauchen, und allerdings wohl vieles in das neue Testament hineinzutragen, was in einer so populären Behandlung moralischer Wahrheiten kaum zu erwarten war. Die Compendien von F. W. Schmid, Ammon, Snell, mit einigen Modificationen aber von Vogel, Stäudlin und Andern, liefern die Beweise. Andere, wie Reinhard, sträubten sich zwar Anfangs dagegen, nahmen aber doch unvermerkt immer mehr von den Kantischen Ideen auf, da sie sich von so vielen Seiten durch Würde und Consequenz empfahlen, wie dieß Garve in seiner Schrift über die Moralprincipien alter und neuer Schulen, mit großer Unparteilichkeit ins Licht gesetzt hat. Das Moralsystem Reinhard's, wovon er den letzten Theil nicht vollenden konnte, bleibt übrigens ein Hauptbuch, mehr durch seine Anordnung, die Wiederholungen unvermeidlich machte, als durch den Schatz von Kenntniß, Gründlichkeit der Exposition vieler Materien, und die reiche und gewählte Literatur.

Fast könnte man übrigens fürchten, daß die beinahe ganz philosophische Gestalt, welche die christliche Sittenlehre erhalten, ihren eigenthümlichen Charakter zu sehr in Schatten gestellt, und daß sie wohl eigentlich, um sich von der philosophischen zu unterscheiden, mehr unmittelbar aus ihrer Urkunde hergeleitet werden müßte. Eine solche Bearbeitung liegt, wenn Gott mein Leben fristet, in meinen Plänen für die Zukunft. D. H.c

|c262| 205a1.

Noch könnte man als Theile der christlichen Moral das ansehen, was manchec2 unter dem Na|b305|men der Casuistik, Ascetik und Mystik begreifen. – Unter dem Namen der Casuistik,a3 oder casuistischen Theologie, könntec4 man /csichc\ eine /cAnweisung denken, wiec\c5 die göttlichen Gesetze auf vorkommende einzelnea6 Fälle mit /cVorsichtigkeit müßten angewendet werdenc\c7. Weil aber diese weise Anwendung stets in Rücksicht auf die ins Unendliche verschiednec8 Umstände beyc9 einzelnena10 Fällen geschehen muß, so sind der dahin gehörigen allgemeinen Regeln nur so wenige, und sie sind so allgemein, daß sie beyc11 der wirklichen Anwendung |a569| viel zu unzureichend sind. Und dieses wenigec12, z. B. über die Collision der Pflichten, kanc13 ja in der Moral eben sowohl mit vorgetragen werden, ohne daß man nöthig hat, eine besondere Wissenschaft daraus zu machen. Der beste Unterricht in einer solchen vorsichtigen Anwendungac14 liegt in recht deutlichen und bestimmten Begriffen von unsern Pflichten, in genauer Aufsuchung der Absichten Gottes beyc15 besondern Gesetzen c16, und in genau bestimmten Gründen, die uns /cwozuc\c17 verpflichten, wozu hernach eine reifliche Erwegungc18 der jedesmaligen Umstände kommen muß. Die fleißige Uebung in praktischer Beobachtung und Beurtheilung a19 nach gedachten Begriffen, Absichten und Gründen; das Studium der moralischen Natur des Menschen und der Geschichte, a20 und die sorgfältige Aufmerksamkeit auf (freylichc21 nicht häufige) Beyspielec22 von weisen Entscheidungen solcher einzelnena23 Fälle, helfen hier weit mehr, als das ängstliche Studium allgemeiner Regeln. Die meisten casuistischen Schriftsteller sprechen mehr |b306| nach Herkommen, menschlichem Ansehen und Gutdünken, als nach ge|c263|dachten richtigen Grundsätzen und Beobachtungen,c24 verlieren sich auch zum Theil so sehr in bloß abstraktena25 Speculationen, daß ihre Versuche, der Moral und brauchbaren Entscheidung einzelnera26 Fälle danach, mehr schädlich als nützlich wordenc27 sind.

a1: 492 c2: Manche a3: Casuistik c4: versteht c5: Anweisung, a6: einzle c7: Vorsicht anzuwenden c8: verschiedene c9: bei a10: einzeln c11: bei c12: Wenige c13: kann ac14: Anwendung, c15: bei c16: oder ihres Geistes im Gegensatz des bloßen Buchstabens c17: zu etwas c18: Erwägung a19: (§. 209) a20: (§. 222); c21: (freilich c22: Beispiele a23: einzeln c24: Beobachtungen; a25: abstracten a26: einzler c27: geworden

206a1.

Ascetik c2, als ein Theil der Moral genommen, wird 1) bisweilen in weiterm Verstande |a570| von der Anweisung verstanden, tugendhafta3 zu werden, und sich so zu beweisen. So fern die Moral überhaupt auch von den Mitteln zur Tugenda4 handelt, und beyc5 den einzelnena6 Pflichten die beste Art zeigt, wie sie ausgeübt werden müssen (§. 202ac7), macht sie eine besondrec9 Wissenschaft dieser Art entbehrlich. Es ist auch nicht rathsam, sie von der Moral zu trennen, weil gegründete und nicht willkürliche Regeln oder Rathschläge auf deutlichen und bestimmten Begriffen von der wahren Gottseligkeit und unsern Pflichten beruhen müssen. Gründet man sie darauf nicht – und das scheinen die zu thun, welche Ascetik noch von Moral unterscheiden: – so können ascetische Schriften viel Gutes enthalten, das aber nicht immer allgemein wahr und nützlich /aist; sie legen auch gemeiniglicha\a10 auf zufällige Dinge zu großena11 Werth a12, und /amischen soc13 a\a14 manches Willkürliche und Irrige mit eina15, daß man sich nicht sicher /aauf sie /cverlaßen kanc\c16a\a17, ja oft, beyc18 der besten Meinung, zu Ausschweifungen ver|b307|leitet wird. – Bisweilen aber unterscheidet man auch moralische und ascetische Schriften 2) nachdem sie mehr auf Erkenntniß der Tugenda19 und unsrerc20 Pflichten, oder mehr auf das Herz und zur Beförderung des Eindrucks jener Erkenntniß arbeiten. – Beydesc21 sollte nicht getrennt werden, obgleich das Eine zunächst mehr der Zweck des Un|c264|terrichts seyn könnte, als das Andrec22. – Manchmal nennt man auch /a3)a\ moralische Schriften,c23 die, welche mehr durch deutliche Begriffe und Bewegungsgründe, und ascetische, die mehr durch sinnliche Vorstellungen die |a571| Gottseligkeit lehren und empfehlen sollen. Beyderleyc24 Vortrag kanc25 nach Beschaffenheit der Umstände nützlich seyn (§. 175–177ac26), und müßte billig, so weit es möglich ist, verbunden werden; nur müßte man auch beyc28 jedem das nicht aus der Acht laßenac29, was oben (§. 174ac30) gesagt worden ist. – Wollte man /caberc\c32 4) Ascetik eine Anweisung zu einenc33 Vortrag von der letztern Art nennen:c34 so würde Ascetik von der /cAnweisung zum populären Vortragc\c35 nicht verschieden seyn.

a1: 493 c2: (Uebungslehre) a3: gottselig a4: Gottseligkeit c5: bei a6: einzeln ac7: 489 (a); 202. (c) c9: besondere a10: ist, a11: grossen a12: legt c13: so a14: so a15: einmischt c16: verlassen kann a17: darauf verlassen kan c18: bei a19: Gottseligkeit c20: unserer c21: Beides c22: Andere c23: Schriften c24: Beiderlei c25: kann ac26: 462–64 (a); 175–177. (c) c28: bei ac29: lassen ac30: 461 (a); 174. (c) c32: aber, wie Einige gethan haben, c33: einem c34: nennen, c35: Anweisung zum populären Vortrag

207a1.

Beyc2 den schwankenden Begriffen, die man mit dem Wort Mystik oder mystische Theologie verknüpft, scheint es doch, wenn man auf den Gebrauch Acht giebt, den man von diesem Namen macht, und nach diesem einen bestimmten Begriffc3 sucht, daß sich diese verschiednec4 Begriffe auf dreyc5 zurückführen laßen.ac6 1) Eine /cAnwei|b308|sung, Gott ähnlich zu werdenc\c8. Alsdanna9 ist sie, wenn es nur von einer sittlichen, nicht physischen, Aehnlichkeit verstanden wird, von der Moral eigentlich nicht verschieden, ausserc10 daß man in dieser letztern auch vieles, was recht ist, ohne Beziehung auf Gott betrachten kanc11, und daß gewisse Pflichten, z. B. Erhaltung unsers Lebens durch gesunde Nahrungsmittel und gute Lebensordnung, zwar immer Gottes Willen gemäß seyn müssen, aber in Gott nichts Aehnliches haben. c12 2) Anweisung zu Uebungen überhaupt, wo|c265|durch man zu dieser Aehnlichkeit mit Gott gelangen /ckan. Alsdennc\c13 wäre sie mit der Ascetik |a572| im ersten Verstande (§. /c206a14) einerleyc\c15, und ein Theil der Moral. 3) Im eigentlichsten und engsten Verstande aber, eine Anweisung zu solchen Uebungen, wodurch man, vermittelst des unmittelbaren Einflusses Gottes, dem man sich ganz überläßt, ohne ihn durch den Gebrauch eignerc16 Kräfte oder äusserlicherc17 Hülfsmittel zu stören, zur höchst möglichsten Aehnlichkeit mit Gott, in Gesinnungen und in Seligkeit, gelangt. Hiebeyc18 würde danna19 unser Betragen zu diesem Zweck, nicht auf dem Gebrauch und Befolgung weder der Vernunft, noch der heil. Schrift beruhen,c20 wenigstens würde, was diese beydec21 uns von Gottes Willen lehren, erst dem Ausspruch unsrerc22 innern Empfindungen unterworfen /cwerden; welchesc\c23 der nächste Weg zur /cSchwärmerey istc\c24. Da nun die Verwechselung unsrer Phantasienc25 mit unsern Empfindungen so leicht ist, und wir ausserc26 dem Gebrauch der Vernunft und der heil. Schrift schlechterdings kein Mittel haben, |b309| Wahres vom Falschen, göttliche Weisheit von menschlicher Thorheit, zu unterscheiden: so mag immerhin die Mystik, oder was man durch ihre Anweisung lernt, viel Schätzbares enthalten, welches, nach der Vernunft und Schrift geprüft, und danach geläutert, uns wenigstens manches Gute eindrücklicher machen kan,c27 aber trüglich bleibt sie vorc28 sich immer, und verdient ohnehin, da sie nicht auf deutlichen Begriffen beruht, c29 den Namen einer Wissenschaft /cnichtc\.

c30 S. noch die Anweisung zur Kenntniß der theologischen Bücherc31 §. 280 f.
c⌇⌇c {Mehr über diesen Gegenstand, namentlich die Mystik unserer Zeit, im 3ten Theil bei der praktischen Theologie. D. H.}c
a1: 494 c2: Bei c3: Begriffe c4: verschiedenen c5: drei ac6: lassen. (a); lassen: (c) c8: Anweisung, Gott ähnlich zu werden a9: Alsdenn c10: außer c11: kann c12: In einem andern Sinn versteht man darunter c13: kann. Alsdann a14: 493 c15: 206.) einerlei c16: eigener c17: äußerlicher c18: Hierbei a19: denn c20: beruhen; c21: beide c22: unserer c23: werden müssen. Dieß ist c24: Schwärmerei c25: Phantasieen c26: außer c27: kann; c28: für c29: auf keine Weise c30: Anm. c31: Bücher,

|a573| |c266| 208a1.

Ehe man zur systematischen Theologie schreitet, ist es zur deutlichen Ueberzeugung nothwendig, vorher eine feste Ueberzeugung von den Sätzen zu haben, worauf das göttliche Ansehnc2 der heiligen Schrift und der darin enthaltnenc3 Lehre sowohl, als der Glaubwürdigkeit ihrer Geschichte beruht, ohne welche Ueberzeugung die aus der heil. Schrift gezognec4 Sätze nicht /ckönnenc\ als sicher angenommen und aufgeklärt werden c5. Diese vorläufig nothwendigen Sätze müssen also nicht erst aus der heil. Schrift, sondern schon /aanderwärtshera\a6 bekannt und erweislich seyn;c7 und dahin gehört 1) allesc8, was uns von Gott, seinen Eigenschaften, und dem daraus fließendena9 Verhältniß zwischen ihm und /auns aus der Natura\a10 bekannt seyn kan.c11 2) Allesc12 was die Geschichte der Bibel selbst, und der darin vorgetragnenc13 Lehre angeht, deren gött|b310|liches Ansehnc14 mit deutlicher Ueberzeugung erkannt werden soll; folglich sowohl die Geschichte der biblischen Bücher, wenigstens der ganzen Sammlung, die wir unter dem Namen der heil. Schrift für eine Quelle der göttlichen Wahrheit ansehnc15, als auch die Geschichte der darin stufenweise bekannt gemachten göttlichen Offenbarungen. Und da diese letztrec16 meistens und allein recht zuverläßigc17 aus der Bibel selbst geschöpft, das göttliche Ansehnc18 dieser Nachrichten aber nicht schon vorausgesetzt werden kanc19: so ist nicht nur eine Kenntniß der Regeln nöthig, wonach die Glaubwürdigkeit dieser Nachrichten kanc20 erwiesen werden, sondern wir bedürfen auch historischer Kenntnisse, /cwonach sichc\c21 darthun /claßea22c\c23, daß die in den biblischen Büchern vorkommendec24 Nachrichten von den göttlichen Lehren und ihrer Geschichte, alle Kennzeichen der Glaubwürdigkeit haben.

a1: 495 c2: Ansehen c3: erhaltenen c4: gezogenen c5: können a6: aus Betrachtung der Natur c7: seyn: c8: Alles a9: fliessenden a10: uns, natürlich c11: kann; c12: Alles, c13: vorgetragenen c14: Ansehen c15: ansehen c16: letztere c17: zuverlässig c18: Ansehen c19: kann c20: kann c21: um ac22: lasse (a); zu können (c) c24: vorkommenden

|a574| |c267| 209a1.

Jene natürlichen Kenntnisse von Gott sind zwar in der natürlichen Theologie a2 enthalten, und die andern vorläufigen historischen Kenntnisse von der Bibel und von ihrer Geschichtec3 findet man in den Büchern, welche die Kritik der heiligen Schrift, oder eine Einleitung in das alte und neue Testament liefern (§. /a25. 34c4 a\a5 und 51ac6); auch pflegt man die nothwendigsten hieherc8 gehörigen Kenntnisse vorläufig beyc9 Abhandlung der dogmatischen Theologie vorzutragen. /aa\ Allein in der natürlichen Theologie nimmt man nicht immer Rücksicht |b311| auf die Möglichkeit und die Kennzeichen einer nähern göttlichen Offenbarung; es laßenac10 sich auch von vorne her zwar wohl Merkmale angeben, woran eine fälschlich vorgegebnec11 Offenbarung erkannt werden kanc12, aber keine unleugbarec13 Kennzeichen, woran eine wirklich wahre Offenbarung zu erkennen wärea14. /cUeberdies kanc\c15 man diese, jedema16 Menschen nothwendigec17, Kenntnisse von Gottc18 nicht gemeinnützig und anschaulich genug machen, um lebhafte Eindrücke davon zu befördern,c19 und daher sind Betrachtungen über die sichtbare Natur, und die in ihr unleugbarc20 herrschende Ordnung und Absichten sehr nöthig a21, die unmöglich so in der Kürze vorgelegt werden können, sondern vielmehr ein besondresc22 Studium erfordern. /aa\ In den sogenannten Einleitungen in die heil. Schrifta23 oder zur biblischen Kritik, sind entweder, nach ihrer eingeschränkten Absicht, nur die historischen Kenntnisse vorgetragen, ohne eine nähere Anwendung auf das göttliche Ansehen, oder auch nur |a575| auf die Glaubwürdigkeit der biblischen Bücher zu machen, oder daraus den Beweis für dieselbe deutlich zu führen; oder dieser Beweis ist mit so weniger Genauigkeit und Discretion geführt, daß man darauf keine sicherea24 Ueberzeugung gründen kanc25. /aa\ Endlich, wenn man |c268| auch den Beweis des göttlichen Ansehens dieser Bücher wohl entbehren könnte:c26 so ist es doch sehr nöthig, die Vorurtheile wegzuräumen, und die allgemeinen Zweifel zu heben, die man mit großema27 Schein gegen die biblischen Bücher oder deren Inhalt machen kanc28, als welche weit mehr die wahre Ueber|b312|zeugung von ihrem großena29 Werth hindern, als der Mangel eines Beweises von ihrem göttlichen Ursprung. Denn jene hindern selbst die Aufmerksamkeit auf diese Bücher und deren Gebrauch; ist man aber erst so weit gebracht, daß man sie nur mit unbefangnemc30 Gemüth lieset, betrachtet, und die Probe davon macht, was für selige Folgen aus der Beobachtung ihrer Lehren entstehnc31: so rechtfertigt sich nachhera32 ihr göttlicher Werth von selbst. /cc\ Aus allen diesen Ursachen sind besonderea33 Vorlesungen über die Wahrheit und den Werth der Religion und des Christenthums überhaupt, oder das Studium dahin abzielender Bücher sehr zu /cempfehlen; zumahlc\c34 wenn die Umstände der Zeit dergleichen Untersuchungen noch weit nothwendiger machen als andrec35 über besondrec36 angebliche Lehren des Christenthums.

c37 Die vornehmsten sind in der Anweisung etc. §. 178 bis 197c38 angeführt.
a1: 496 a2: (§. 195) c3: Geschichte, c4: 34. a5: 312. 321 ac6: 338 (a); 51. (c) c8: hierher c9: bei ac10: lassen c11: vorgegebene c12: kann c13: unläugbaren a14: ist c15: Ueberdieß kann a16: jeden c17: nothwendigen c18: Gott, c19: befördern: c20: unläugbar a21: (§. 197) c22: besonderes a23: Schrift, a24: sichre c25: kann c26: könnte, a27: grossem c28: kann a29: grossen c30: unbefangenem c31: entstehen a32: nachwärts a33: besondre c34: empfehlen, zumal c35: andere c36: besondere c37: Anm. c38: 197.