|a[8]| |b[9]| |c[9]| |d[8]| Erster Abschnitt.
Ueber den Begrif der Seligkeit.

§. 1.

So wenig deutliche Sacherklärungen man von dem Begrifd1 der Seligkeit /ain theologischen Vorträgena\ antrift, so leicht lassen sich doch aus den ohngefehren Beschreibungen und mancherley uneigentlichen Ausdrücken, welche in /aPredigtena\a2 und /achristlichen Lehrbücherna\a3 häufig zur Bezeichnung derselben gebraucht werden, die Vorstellungen samlen, welche die mehresten sich von der Seligkeit bilden. Der allergemeinste Begrif ist wol dieser:a4 daß die Seligkeit ein Zustand einer süssend5 Ruhe nach dem Tode sey, wo wir frey von allen physischen Uebeln im Zusammenflußd6 mannigfaltiger äussernad7, jetzt noch ungedenkbaren Annehmlichkeiten, Gott Ewigkeiten hindurch preisen würden. Uebrigens stellet man sich unter dem Namen des Himmels einen besondern Ort vor, wo diese Annehmlichkeiten uns vorbereitet sind, und schränktd8 die hier genießbare Seligkeit blos auf das Tröstliche, welches die Hofnung zur Seligkeit nach |a9| dem Tode darbietet, ein. Wer sich die |b10| |c10| Seligkeit auf diese Art denket, findet keine Schwierigkeit, ferner anzunehmen, daß Gott den Menschen allerley willkührliche Bedingungen, unter welchen er ihnen die Seligkeit schenken /aoder sie in den Himmel aufnehmena\ wolle, vorschreiben könne;a9 und überredet sich leicht, daß in der Lehre Christi wirklich dergleichen angetroffen werden. Wie ausgebreitet aber der Einfluß dieser unrichtigen Begriffe auf die gesamte Anweisung zur Glückseligkeit sey,a10 und wie weit der menschliche |d9| Witz, wenn er einmal etwas willkührliches in der Religion voraussetztad11, in abergläubische Erfindungend13 sich Gott,d14 so gar durch Selbstquälung, angenehmer zu machen, verfallen kannd15; verdienet in der Geschichte des Christenthums und der Kirche wohl bemerket, und zur Warnung beherziget zu werden.
Eine förmliche Widerlegung und Berichtigung des Irrigen in der angeführten herrschenden Vorstellung von der Seligkeit ist hier nicht möglich und auch nicht nöthig, da die folgende genauere Entwickelung des wahren Begrifs, Berichtigung und Widerlegung desselben zugleich ist. Allein disd16 bitte ich, theureste Amtsbrüder, lassen Sie uns die üblen Folgen der falschen Vorstellungen von der Seligkeit nicht in dem Lehrbegrifd17 fremder Kirchen allein, sondern ein jeder von uns in seinem /deignen Glaubenssystemd\d18 sorgfältig aufsuchen: diese Folgen sind ausgebreiteter und erheblicher, als man es der ersten Hinsicht nach glaubt.
d1: Begriffa2: den Kirchena3: theologischen Schriftena4: dieser,d5: süßend6: Zusammenflussead7: äußernd8: schränketa9: könne,a10: sey;ad11: voraus setzt (a) ; voraus setzt (d)ad12: voraussetzetd13: Erfindungen,d14: Gottd15: könned16: diesesd17: Lehrbegriffed18: eigenen Glaubenssysteme

§. 2.

Die Seligkeit ist kein äussererad1, sondern ein innrerd2 Zustand der Seele. Sie ist der Zustand einer fortdaurenden Zufriedenheit und des herrschenden Vergnügtseyns unsres Gemüths. Bedarf es noch eines /aBeweises, daßa\a3 diese /aErklärung den Begrif der Seligkeit erschöpfe? Kana\a4 man wol selig seyn, wenn man unzufrieden und mißvergnügt ist? oder kana5 dem noch etwas zu seiner Seligkeit fehlen, in dessen Seele Heiter|a10|keit, Zufrieden|b11||c11|heit und Vergnügen wohnet? Wird nicht alles, wornach wir uns bestreben, nur darum begehrt, weil wir durch Erlangung desselben zufriedner und vergnügter zu werden hoffen? Ich besorge demnach keine Einwendung gegen diese Erklärung, /asie wird auch bereits von den mehresten zugestanden;a\ und es komta6 also nur /avornemlicha\ darauf an, weiter zu erforschen, wie Zufriedenheit und Vergnügen in menschlichen Seelen erzeuget, genährt und fortdaurend unterhalten werden könnena7.
ad1: äußererd2: innerera3: Beweises füra4: Erklärung? Kanna5: kanna6: kommta7: kann

§. 3.

Die Zufriedenheit erwächset aus dem Bewußtseyn des Uebergewichts cd1 der Vollkommenheiten |d10| unsres gesamten Zustandes über die d2 Unvollkommenheiten desselben, besonders in Beziehung auf die Zukunft. Diese Erklärung ist ausnehmend fruchtbar, und verdientd3 die sorgfältigste Aufmerksamkeita4 und weiterea5 Entwickelung. Zuvörderst stimmet sie mit dem allgemeinen Sprachgebrauchd6 überein. Man frage einen Mann, der ein Amt bekleideta7, ob er mit seiner Lage zufrieden sey? Er wird sogleich die Annehmlichkeiten und die Unannehmlichkeiten seiner Verhältnissea8 zu berechnen anfangen, und z. B. uns sagen:a9 ich habe zwar viele Arbeit, sie wird mir aber sehr reichlich belohnt; oderd10 ich habe zwar viele Mühe und Verdruß, auch nur geringe Einnahmen bey meinem jetzigen Amtd11, dabey aber die sichred12 Erwartung, durch meinen Fleiß in demselbena13 eine der ansehnlichsten Versorgungen in kurzem zu verdienen, und disd14 veranlasset mich, mit meiner Lage zufrieden zu seyn. /aHieraus erhellet, daß zum Zufriedenseyn nicht der Inbegrif alles einem Geiste möglichen Guten, sondern nur die Vorstellung /ddes Uebergewichtsd\d15 des vorhandnend16 Guten über die bösen Bestimmungen unsres Zustandes gehöre.a\ Unzufriedenheit entstehet dagegen, wenn wir mehr auf die Unvollkommenheiten unsres Zustandes sehen, und insonderheit, wenn wir schlechte Hofnungen für die Zukunft |b12| |c12| darinnen wahrnehmen. Hieraus folget nun zunächst, daß es eine /awahre, gegründetea\a17 und eine eitle,a18 vorübergehende Zufriedenheit geben müsse. Unserea19 Zufriedenheit ist gegründet, wenn in unserm Zustande das des Guten über das Böse wirklich so und in dem Grade vor|a11|handen ist, wie wir uns solches vorstellen;a20 und sie ist dagegen /cdvorübergehendcd\cd21, wenn wir uns übertriebenea22 Begriffe von dem Uebergewichtd23 der Vollkommenheiten unsres Zustandes bilden, und uns mit eitelnd24 Erwartungen in Absicht der Zukunft schmeicheln. Ferner fliessetd25 hieraus, daß je mehr /cddie Vollkommenheitencd\cd26 unsres Zustandes die Unvollkommenheiten desselben überwiegencd27, desto grössered28 und reinere Zufriedenheit des Gemüths auf eine gegründete Art /astatt finden könne;a\a29 daß sie aber erst alsdennd30 /awirklich in uns empfunden werdea\a31, |d11| wenn das Uebergewicht des vorhandenen Guten von uns gehörig bemerktd32 und anschauend vorgestellet wird. Daher kommt es, daß viele Menschen in den vortheilhaftesten Umständen, in welche sich tausend anderea33 versetzt zu sehen wünschen, in fortdaurender Unzufriedenheit leben, weil sie entweder das Gute darin zu wenig beahnden und schätzen, oder die kleinern Uebel und Unbequemlichkeiten derselben sich durch Einbildung vergrössernacd34, und dadurch ihre Aussichten in die Zukunft verdunkeln.
Noch weiter in der Zergliederung zu gehen, und zu entwickeln, was an sich und in Beziehung auf den Menschen gut oder böse in den Bestimmungen seines Zustandes sey, erlaubt und erfordert mein Zweck für jetzt nicht; doch rathe ich jungen Gottesgelehrten diese Untersuchung mit Hülfe der metaphysischen Lehrbücher bis zur Erlangung einer vollständigen Deutlichkeit über die verschiedenen Gattungen des Guten und Bösen fortzusetzen. /aIm folgenden Abschnittd35 werden jedoch die Hauptgattungen der menschlichen Güter und Uebel angeführtd36 werden.a\
cd1: des Guten oderd2: Uebel undd3: verdieneta4: Aufmerksamkeit,a5: weitred6: Sprachgebrauchea7: begleiteta8: Verhältnißea9: sagen,d10: oder,d11: Amted12: sicherea13: denselbend14: diesesd15: von dem Uebergewichtd16: vorhandenena17: wahre gegründete,a18: eitlea19: Unsrea20: vorstellen,cd21: bloß träumerischa22: übertriebned23: Uebergewichted24: eitlend25: fließetcd26: das Gutecd27: überwiegetd28: größerea29: statt finden könne,d30: alsdanna31: wirklich ins uns empfunden werded32: bemerketa33: andreacd34: vergrößernd35: Abschnitted36: angeführet

|b13| |c13| §. 4.

Aus diesen Betrachtungen folget nun auch, daß man auf eine dreyfache Art Zufriedenheit bey Menschen hervorbringen, unterhalten und verstärken könne.
Erstlich,a1 wenn man thätig das Uebergewicht /cdder Vollkommenheiten ihres Zustandescd\cd2 zu vermehren und zu erhalten, die Mängel und Uebel desselben aber zu verringern |a12| sucht, z. B. in Absicht des äusserna3 Zustandes, wenn man /ajemand seinen täglichen Unterhalt reicht, oder ihm freye Wohnung giebta\a4, so befördert man offenbar desselbena5 Zufriedenheit.
Zweitens,a6 wenn wir Menschen belehren, wie sie ihren innern und äussernad7 Zustand verbessern können, ihnen dazu Gelegenheit und Veranlassung geben, und sie zur Benutzung derselben aufmuntern. So kana8 man z. B. einencd9 Menschen, der sich in Verlegenheit befindet, seine verlorne Zufriedenheit durch blossed10 Rathgebung, wie er sich aus derselben helfen könne, wieder verschaffen.
Drittens,a11 wenn man /aUnachtsame oder Unzufriedene und Bekümmertea\a12 auf das in ihrem Zustande schon vorhandned13 Gute aufmerksam macht, den wahren Werth desselben ins Licht setztd14, ihre Aussichten in die Zukunft daraus erheitert, und ihnen den Ungrund ihres Kummers und ihrer Besorgnisse darthut. Dieses ist für Lehrer das fruchtbarste Mitteld15 Zufriedenheit /abey ihrer Gemeinea\ zu befördern.
Die ganze Ausdehnung des Gebrauchsd16 dieser Mittel werden wir nur alsdennd17 erst zu übersehen im Stande seyn, wenn wir die Empfänglichkeit und Anlagen des Menschen zur Seligkeit im folgenden Abschnitt entwickelt haben werden.
a1: Erstlich;cd2: des Guten in ihrem Zustandea3: äußerna4: Kranke heilet, dürftigen Brodt verschafta5: ihrea6: Zweitens;ad7: äußerna8: kanncd9: einemd10: bloßea11: Drittens;a12: seine Zuhörerd13: vorhan|d12|dened14: setzetd15: Mittel,d16: Gebrauchesd17: alsdann

§. 5.

Das Vergnügen ist nicht so wold1 der Gattung als dem Grade nach von der Zufriedenheit unterschieden. Beides sind angenehme Empfindungen der Seele; das Ver|b14|gnügen aber ist lebhafter und mit merklichern Bewe|c14|gungen der Lebensgeister im Körper begleitet. Es entstehet aus der anschauenden Vorstellung des Anwachses /cdunsrer Vollkommenheitencd\cd2. So sind selbst die Vergnügungen, welche wir durch sinnliche Empfindungen erhalten, nichts anders als klare Vorstellungen von angenehmen Veränderungen des Zustandes unsresa3 Körpers z. B. wenn wir den Hunger stillen, den Durst löschen, unser Ohr durch die Har|a13|monie der Töne angenehm gerührtd4 wird. Eben so verhält es sich mit dem geistigen Vergnügen. Nur die Neuheit der Gegenstände unsrer Vorstellungen bringt die Lebhaftigkeit des angenehmen Zustandes unsres Gemüths hervor, den wir Vergnügen nennen. Ein neuer Anwachs von Erkentnissend5; eine eben verrichtete gute Handlung, died6 den Keim neuer Hofnungen /dvon guten Folgend\ enthält; eine neue Entdeckung von der Achtung oder Liebe, died7 andre für uns haben;d8 macht uns in hohem Grade vergnügt. Man gebe nur auf sich selbst acht, wenn man cd9 vergnügt wird, ob es nicht allemal aus der Bemerkung irgendscd10 einer vortheilhaften Veränderung unsres Zustandes und also des Anwachses der Vollkommenheit desselben entspringt:a11 und ob nicht gegenseitig in allen Fällen, wo wir merkliches Mißvergnügen oder Ver|d13|druß empfinden, die Entdeckung einer schon vorgegangenen oder noch bevorstehenden Verschlimmerung unsres Zustandes die Quelle davon ist. Es kana12 daher kein Vergnügen bey dem Menschen in einerley Grade der Lebhaftigkeit fortdauren, und was uns anfänglich die gröstec13 Freude verursachet hat, rühret uns in einiger Zeit nur wenig, obgleich der fernere Besitz desselben zu unsrer Zufriedenheit mitwirken wird.
Man prüfe diesen Begrif vom positiven Vergnügen und Mißvergnügen, aus welchem wir nachher sehr praktische Folgerungen ziehen werden, durch Anwendung auf allerley Fälle. |b15| |c15| Es ist z. B. ein lebhaftd14 Vergnügen den Hunger zu stillen, so bald wir aber gesättiget sind, höret das Vergnügen auf, und verwandelt sich in blossed15 Zufriedenheit. Man freuet sich lebhaft, wenn man unerwartet ein ansehnliches Geschenk erhält, oder von einer schmerzhaften Krankheit genestd16, aber bald lässet die Lebhaftigkeita17 der angenehmen Gemüthsbewegungen nach, und wir besitzen nachher das geschenkte Gute, und die wieder erlangte Gesundheit Jahre lang, ohne ein merklichad18 Vergnügen /aoder Freudea\ darüber zu empfinden; bis wir eins oder das andere verlieren, da |a14| sogleich das Mißvergnügen sich unsrer bemächtiget durch die hervorgebrachte lebhafte Vorstellung, daß unser Zustand verschlimmert worden istd20.
d1: wohlcd2: des Guten oder aus der Empfindung vortheilhafter Veränderungen unsres Zustandesa3: unsersd4: gerühretd5: Erkenntnissend6: welched7: welched8: haben,cd9: sich freuet odercd10: irgenda11: entspringt,a12: kannc13: grössted14: lebhaftesd15: bloßed16: geneseta17: Intensionad18: positives (a) ; positives (d)ad19: merklichesd20: sey

§. 6.

Es giebt auch ein falschescd1 und ein wahrescd2 Vergnügen, so wie ein gegründetes undd3 ungegründetes Mißvergnügen, nachdem nemlich unsre Vorstellungen von den guten und übelnd4 Veränderungen unsres Zustandes mit der wahren Beschaffenheit derselbenc5 übereinkommen oder nicht. Hiernächst finden unzählige Grade der Grösse,ad6 so wol in Absicht der Lebhaftigkeit, als der Dauer des Vergnügens und Mißvergnügenscd8 statt. Die körperlichen oder sinnlichen sind von der kürzesten Dauer, können aber ausnehmend lebhaft werden, so daß sie die Selbstthätigkeit der Seele eine Zeitlang gänzlich einschränken. Die geistigen sind um so dauerhafter, je mehrd9 /aund je mannigfaltigere gute Erwartungena\a10 daraus entwickelt werden könnena11, und je länger daher die Seele mit Entwickelungd12 derselben sich beschäftigen, und |d14| neue Aussichten daraus eröfnen kan,acd13 und sie sind um so lebhafter, je anschauender die guten Folgen derselben und je mehrere auf einmal sich dem Gemüthea15 darbieten.
Da alle Schmerzen des Körpers zu dem positiven Mißvergnügen gehören, so bedarf es keines Beweises, daß sinnliche Veränderungen des Körpersa16 einen solchen Grad der Wirk|b16||c16|samkeit oder Lebhaftigkeit erhalten können, daß die Seele gezwungen wird, nur diese Veränderungen des Körpers allein zu denken. Es kana17, wie die Erfahrung lehret, ein Mensch durch heftige Schmerzen ganz verstandlos und ohnmächtig werden. Angenehme Veränderungen des Körpers sind zwar ihrer Natur nach gemässigterad18, doch benimta19 auch die Empfindung derselben zuweilen der Seele /aauf kurze Zeita\ das Bewußtseyn aller übrigen Bestimmungen ihres Zustandes.
cd1: wahrescd2: falschesd3: oderd4: üblenc5: desselbenad6: Größe (a) ; Größe (d)ad7: Größe,cd8: Misvergnügensd9: mehrerea10: Mannigfaltigkeit guter Erwartunga11: kannd12: Entwickelungenacd13: kann; (a) ; kann; (c d)acd14: kan;a15: Gemütha16: Körpers,a17: kannad18: gemäßigtera19: benimmt

|a15| §. 7.

Vergnügen kana1 nun ebenfalsd2, wie die Zufriedenheit, auf eine dreyfache Art in einem Menschen erwecket werden:
Erstlich, durch jede thätige Mittheilung eines neuen Guten oder d3 merkliche Verbesserung des innern oder äussernad4 Zustandes eines Menschen, insonderheit, wenn sie ihm unerwartet ist;a5 desgleichen durch Versprechungen, died6 ganz neue Aussichten in eine angenehme Zukunft eröfnen.
Zweitens,d7 durch Anweisung und guten Rath, wie jemand sich einen neuen Zuwachs der Vollkommenheit verschaffen könne. a8 Man entdecke /az. B.a\ einem arbeitsamen Manne, derd9 mit vieler Mühe wenig erwirbt, wie er mit weniger Mühe viel erwerben könne; wie vergnügt wird er darüber seyn, und wie oft wird disd10 Vergnügen sich bey jedem merklichernd11 Anwachs seines Wohlstandes erneuern!
Drittens, durch Erweckung der Aufmerksamkeit auf den von jemand nicht beahndeten Anwachs des Guten in seinem Zustande, und durch Aufklärung der guten Folgen, died12 er davon zu erwarten berechtiget ist. Es hat z. B. jemand eine edle und großmüthige Handlung verrichtet; ich eröfne ihm, wie sehr er sich dadurch die Achtung und Liebe derer, von welchen sein |b17| |c17| Glück abhängt, erworben habe, oder wie vortheilhaft überall davon geurtheiletd13 worden sey; so |d15| wird ohnfehlbar ein inniges Vergnügen ihn beleben, und /asein Gemüth wird durcha\ eine Menge /dangenehmerd\ neuer Hofnungen a14 auf das angenehmste mehrere Tage hindurch /abeschäftiget werdena\a15.
Die Zufriedenheit beruhet mehr auf der Vorstellung von den cd16 fortdauernden guten Bestimmungen unsresad17 Zustandes, in so fern wir sie als Gründe guter Folgen betrachten; das Vergnügen entspringtd19 dagegen aus der Vorstellung eines neuen Guten oder eines Anwachses der Vollkommenheit, folglich aus den Veränderungena20 des Zustandes. Hieraus |a16| erhellet nun, wie die Mittel Zufriedenheit zu befördern,a21 und die Mittel Vergnügen zu erwecken, theils mit einander übereinkommen, theils von einander verschieden sind. Jedes neue Gute, was dem Menschen zu Theil wird, erweckt bey der ersten Wahrnehmung Vergnügen. Ist nun disd22 Gute etwas fortdaurendes, wie z. B. wenn jemand ein Amt bekomt, davon er mit Bequemlichkeit leben kana23; so wird disd24 auch nachher, wenn die erste lebhafte Freude über die Erlangung desselben vorüber ist, ein Grund der Zufriedenheit bleiben, weil es das Uebergewicht der bleibenden Vollkommenheiten seines Zustandes vermehrt; ist aber das Gute blos vorübergehend, so daß es im ersten Genußd25 selbst verschwindet, so trägt es nichts zur fortdaurenden Zufriedenheit bey. Z. B. wenna26 ein Armer nicht mehr empfängtad27, als sich nur einmal zu sättigen /ahinlänglich ista\, so verliertd29 sich das Vergnügen mit dem Genußd30, und das wiederkehrende Bedürfniß verstattet keine lange Fortdauer der Zufriedenheit.
a1: kannd2: ebenfallsd3: durchad4: äußerna5: ist,d6: welched7: Zweitensa8: Z. B.d9: welcherd10: diesesd11: merklichend12: welched13: geurtheilta14: werden sein Gemütha15: beschäftigencd16: schon vorhandenenad17: unsers (a) ; unsers (d)ad18: unseresd19: entspringeta20: Veränderungena21: befördernd22: diesesa23: kannd24: diesesd25: Genussea26: Wennad27: erhält (a) ; erhält (d)ad28: empfängetd29: verlieretd30: Genusse

§. 8.

Nachdem wir aus einander gesetztd1 haben, worin eigentlich die Zufriedenheit und das Vergnügen im Menschen bestehe, wie sich solche erzeugen, und wie viele |b18| |c18| Grade bey denselben statt finden können, so wird sich nun /ader Begrif der Seligkeita\a2 selbst mit wenigen d3 deutlicher und bestimter angeben lassen. Niemand wird denjenigen für selig erklären, in dessen Gemüthd4 Zufriedenheit und Vergnügen seltener, oder nur eben so oft als Unmuth und Mißvergnügen angetroffen werden. Woltena5 wir aber die Seligkeit blos nach dem höchsten Grade derselben erklären, und darauf einschränken, daß nur blos derjenige selig zu nennen sey, in dessen Seele eine ganz unvermischte reine Zufriedenheit und eine ununterbrochne Reihe derd6 man|d16|nigfaltigsten Vergnügenad7 ohne die geringsten Anwandlungen des Unmuths fortwalteten, so würde die Seligkeit über|a17|all kein Loos der Sterblichen seyn. Da aber die heiligen Schriften versichern, daß wahre Christen schon hier selig sind, ob sie gleich eine noch grösseread9 Seligkeit erwarten, so müssen wir unsre Erklärung ihrem /dSprachgebrauch gemässera10d\d11 einzurichten versuchen. Es giebt, wie wir schon gezeigtd12 haben, ungemein viele Grade der Zufriedenheit und des Vergnügtseyns, so wol der innern Empfindung als der Fortdauer nach, und daher wird es schwer, genau zu bestimmen, bey welchem Grade man anfangen solld13, die niedrigste Staffel der Seligkeit anzusetzen. Wir können aber nun schon so viel sicher behaupten, daß ein Mensch um so seliger sey, je mehra14 oder je fortdaurender und lebhafter er sich des wachsenden Uebergewichts der Vollkommenheiten seines gesamten Zustandes über die Unvollkommenheiten desselben bewußt ist.
Je mehr der Mensch sich des Uebergewichts des Guten seines Zustandes bewußt ist, desto zufriedner, und je mehr des Anwachses desselben er sich bewußt ist, desto vergnügter ist er.
d1: gesetzeta2: der Begrif der Seligkeitd3: Wortend4: Gemüthea5: Wolltend6: desad7: Vergnügungen (a) ; Vergnügungen (d)ad8: Vergnügensad9: größerea10: gemäßerd11: Sprachgebrauche gemäßerd12: gezeigetd13: sollea14: mehr,

|b19| |c19| §. 9.

Diese Erklärung von der Seligkeit ist auf alle endliche Geister, von deren Existenz eine unaufhörliche Folge von Veränderungen des innern und äussernad1 Zustandes nicht abgesondert werden kana2, in jeder gedenkbaren Scene ihres Daseyns ohne Ausnahme anzuwenden. Wir lehren nemlich hierdurch vollständig:
  • 1. Daß keine gegründetea3 Seligkeit in einem endlichen Geiste /astatt findena\a4 könne, in dessen gesamtemad5 Zustande nicht wirklich
    • a) ein Uebergewicht des Guten über das Böse,
    • b) insonderheit mehr Gründe zu guten als übelnd6 bevorstehenden Veränderungen,
    • c) ein Wachsthum der Vollkommenheiten, wodurch die Gründe zu neuen guten Erwartungen zugleich vermehret werden, vorhanden sind. |a18| |d17|
  • 2. Daß aber diea7 Seligkeit nur alsdennd8 erst wirklich entstehe, wenn wir uns dieser vortheilhaften Beschaffenheit unsres Zustandes bewußt werden: folglich wenn wir
    • a) das Uebergewicht der guten Bestimmungena9 unsres Zustandes anschauend erkennen,
    • b) aus den vorhandnend10 Gründen erfreuliche Hofnungen wirklich herleiten, und klar uns vorstellen,
    • c) den Wachsthum unsrer Vollkommenheiten, und die sich uns /deröfnende neued\d11 Aussichten in eine noch bessere Zukunft wirklich bemerken.
  • 3. Daß demnach die Grade der Seligkeit bestimt werden
    • a) /aden Gründen nacha\a12 oder /aobjectiue, theilsa\a13 durch die /aGrössed14a\a15 des Uebergewichts der fortdaurenden Vollkommenheiten unsres Zustandes über die |b20| |c20| Unvollkommenheiten desselben, theils /adurch die Mengea\a16 neuer /anach und nach hinzukommendera\ Vollkommenheiten oder /aangenehmer und vortheilhaftera\a17 Veränderungen.
    • b) /ader Empfindung nacha\a18 oder subjectiue,a19 theils durch den Grad der Lebhaftigkeit, womit wir uns das Gute unsres Zustandes vorstellen; theils durch die Fortdauer unsres Bewußtseyns von dem Uebergewichtd20 und Anwachsd21 unsrer Vollkommenheiten:d22 indem unsre Seligkeit jedesmal unterbrochen wird, so oft wir unsre Aufmerksamkeit mehr auf die Schranken und Mängel oder kleinered23 Verschlimmerungen unsrer Lage, als auf das überwiegende Gute unsres Zustandes und unsrer Hofnungen richten.
ad1: äußerna2: kanna3: wahrea4: angetroffen werdenad5: gesamtend6: üblena7: wahred8: alsdanna9: Bestimmungd10: vorhandenend11: eröfnenden neuena12: materialitera13: objectiued14: Größea15: Größe, theilsa16: des öftern wirklichen Zuwachsesa17: des angenehmen und vortheilhaften in unserna18: formalitera19: subjectiued20: Uebergewichted21: Anwachsed22: Vollkommenheiten;d23: kleineren

§. 10.

Um sich von der Wahrheita1 und allgemeinen Anwendbarkeit dieser Erklärung: daß die Seligkeit oder Glück|a19|seligkeit endlicher Geister in dem Bewußtseyn des a2 Uebergewichtsd3 der Vollkommenheiten ihres Zustandes über die /aUnvollkommenheiten, mit wahrscheinlicher Hofnung der Fort|d18|dauer und des fernern Anwachses desselbena\a4 bestehe, noch mehr zu überzeugen,a5 darf man sich nur zuvörderst deutlich machen, daß kein endlicher Geist jemals in einen Zustand, darind6 gar keine Uebel oder Mängel statt fänden, versetzt werden kana7. So wol jede einzelne Vollkommenheit eines endlichen Dinges, als auch die Summe des mannigfaltigen Guten, welche es zugleich besitzen kana8, ist nothwendig eingeschränkt und endlich. Diese Schranken und Mängel eines höhernd9 Grades der Vollkommenheit sind aber wahre Uebel; und die meisten Uebel, worüber sich Menschen beklagen, sind nichts anders als Mängel höherer Grade des Guten, wovon sie zu wenig zu besitzen glauben. Hieraus |b21| |c21| erhellet die Wahrheit des ersten Theils unsrer Erklärung, daß zur Seligkeit nicht die Vorstellung von lauter Vollkommenheiten, sondern nur vom Uebergewichtd10 derselben über die Unvollkommenheiten erfordert werde, und daß mand11 um zufrieden zu seyn, sich nur das Gute seines Zustandes klärer und lebhafter als die Mängel und Uebel desselben vorstellen müsse. Hiernächst versuche man selbsta12 den allerglückseligsten Zustand, in welchen man sich versetzt zu sehen wünschet, völlig auszumalen, und man wird bemerken, daß so bald man denselben als unveränderlich fortdaurend denket, oder auch nur eine gewisse Gleichförmigkeit und Einerleyheit in irgends einer Beziehung annimta13, aller Reiza14 sich verliertd15. Wir müssen Gelegenheit haben,a16 uns und unsern Zustand vollkomnera17 zu machen, wenn wir vergnügt seyn sollen. Discd18 erfordert der Grundtrieb aller selbstthätigen Geschöpfe, deren Existenz durch eine Reihe auf einander folgender Abänderungen ihres innern und äusserna19 Zustandes bestimtac20 wird. Denn selbstthätig leben heißtd21 nichts anders, als zur Verbesserung seines Zustandes wirken. Hierdurch wird die Wahrheit des zweiten Theils unsrer Erklärung, |a20| daß ein Bewußtseyn des Anwachses unsrer Vollkommenheiten zur Seligkeit nöthig sey, bestätigt:ad22 und daraus folgtd24 zugleich, daß es auch in dema25 allerglückseligsten Zustande eines endlichen Geistes noch immer Bedürfnisse geben müsse, |d19| die unsre Wirksamkeit unterhalten, und dem Grundtriebe aller Selbstthätigkeit, sich vollkomnera26 zu machen, immerfort Nahrung und süssed27 Befriedigung verschaffen. Es ist nun zu zeigen, theils in wie weit überhaupt der Mensch Empfänglichkeit und Anlagen Seligkeit zu erhalten habe, theils in welchem Grade dieselbe im gegenwärtigen Zustande bey uns statt finden könnencd28.
|b22| |c22| Auch Hindernisse unsrer Bestrebungen nach Vollkommenheit sind dem Wachsthumd29 der Kräfte förderlich, weil ohne solche der volle Gebrauch und die Anstrengung der Kräfte, wodurch sie sich verstärken müssen, nicht gedacht werden kana30. In dem glückseligsten Zustande jedes endlichen Geistes sind daher innred31 und äußred32 Hindernisse und Widrigkeiten, der Seligkeit unbeschadet, und selbst zur Beförderung derselben anzunehmen: wie solche denn auch aus den physischen Einschränkungen endlicher Geister in jedem Zustande nothwendig folgen. Wenn nur die Aussicht und Hofnung vorhanden ist, sie nach und nach zu besiegen, so schwächen sie die Zufriedenheit nicht, und jeder Triumph über dieselbe bringtd33 das lebhafteste Vergnügen hervor.
a1: Richtigkeita2: wachsendend3: Uebergewichtesa4: Unvollkommenheitena5: überzeugen;d6: in welchema7: kanna8: kannd9: höherend10: Uebergewichted11: man,a12: selbst,a13: annimmta14: Reitzd15: verliereta16: habena17: vollkommnercd18: Diesa19: äußernac20: bestimmtd21: heißetad22: bestätigt, (a) ; bestätigt, (d)ad23: bestätiget:d24: folgeta25: dena26: vollkommnerd27: süßecd28: könned29: Wachsthumea30: kannd31: innered32: äußered33: bringet