|a64| |b70| |c70| |d62| Vierter Abschnitt.
Vom Verhältnissea1 des Christenthums zur Glückseligkeit.

§. 30.

Nachdem bisher gezeigetc1 worden, was für Hindernisse einer allgemeinernd2 Verbreitung höherer Glückseligkeit auch noch unter /aaufgeklärten und gesittetena\a3 Nationen angetroffen werden, so lässet sich nun hieraus weiter herleiten, wie eine Weisheitslehre und deren Vortrag beschaffen seyn müsse, wodurch einem ganzen Volkea4 die moralische Hülfe, deren es bey seinen Bestrebungen nach Wohlfart und Seligkeit bedarf, in einem hinlänglichen Maassead5 zugetheilet werden soll. Es gehörtacd6 nemlich hierzu
  • /a1. Daß die unter dem Volkd7 nach §. 29. sich natürlich /derzeugende fürchterliched\d8 Begriffe von dem höchsten Regierer der Welt und einer willkührlichen Denkartd9 desselben vor allen Dingen verbessert werden müssen: und wenn dieselben auf vorgegebenen ehemaligen Offenbarungen des Himmels beruhen, dieser Aberglaube durch die Autorität höherer durch Wunder beglaubigter Gesandten der Gottheit entkräftet werde. Denn sonst wird die Vernunft und das natürliche Gewissen mit unvermeidlichen Beängstigungen geplagt und in ihrer Wirksamkeit zu höherer Wolfartd10 irre gemacht und verhindert.
  • 2. Daß die Vernunft der Menschen auf die im Pland11 Gottes gegründeted12 allgemeinen Vorschriften des rechtmäßigen Verhaltens aufmerksam gemacht, und diese in ein solches Licht gesetztd13 werden, daß jedermann seine Handlungen darnach zu beurtheilen und in allen Fällen einzurichten vermögend werde. §. 23. |b71| |c71| |d63|
  • 3. Daß alle d14 Vorschriften der Morald15 zugleich als geoffenbarte göttliche Gesetze vorgestellet und ihnen hierdurch eine höhere Autorität verschaffet werde, um eigenmächtige Ausnahmen davon zu verringern.cd16 §. 25. 28[.] cd17
  • 4. Daß die natürlichen Beweggründe zur Tugend noch durch die Aussicht in grössered18 Folgen und höhere Belohnungen verstärket werden. §. 25. 27.
  • 5. Daß die Menge des Guten und dessen Uebergewicht über das Böse in den jetzigen Bestimmungen unsres Zustandes anschauend gemacht werde. §. 26.
  • 6. Daß Hofnungen und erfreuliche Aussichten noch über das Grab hinüber veranlasset werden müssen. §. 13. Nr. 4.
  • 7. Daß Hülfsmittel sich des Uebergewichts des Guten und der erfreulichen Aussichten immer lebhaft bewußt zu bleibend19 dargeboten werden. §. 26.
  • 8. Daß alle Lehren und Vorschriften zur Fassung des Volksd20 herabgestimt, und daher möglichst durch Geschichtwahrheitend21 unterstützt werden und darin eingekleidet erscheinen müssen.a\
  • a Daß eine reine mit dem Plan Gottes in der Natur übereinstimmende Moral, im Gegensatz der unter einer Nation herrschenden fehlerhaften Maximen und abergläubischen Begriffe von willkührlichen Anforderungen der Gottheit an die Menschen gelehret, die Vorschriften derselben in ein solches Licht gesetzet, und mit solchen Beweggründen versehen würden, daß dadurch ein habituelles Erkentniß, und eine promte Anwendung derselben auf alle Fälle jedermans Gewissen möglich und leicht würde.
  • Daß zwar die Vernunft, als die einzige Seelenkraft, wodurch wir moralische allgemeine Vorschriften, und deren Verbindlichkeit zu erkennen und gehörig zu appliciren fähig sind, möglichst bey allen Menschen ohne Unterschied erweckt werde, die allgemeine Gültigkeit der moralischen Vorschriften und die Nothwendigkeit ihrer Beobachtung in allen Fällen, ohne Ausnahme selbst einzusehen: daß aber auch in Beziehung auf die allgemeine |a65| Geneigtheit des großen Haufens, mehr auf Autorität als auf eignes Nachdenken sich zu verlassen, möglichst für eine Vergewisserung der Lehrvorträge durch eine von der Nation anerkannte Autorität gesorget werde. Dis ist um so nöthiger, weil das Volk, wenn es seinem raisonnement überlassen wird die Güte der Gesetze, es mögen natürliche oder obrigkeitliche seyn, zu beurtheilen, und solche nach seiner Einsicht in die wahrscheinlichen Folgen der Handlungen auszuüben; gewiß in deren Beobachtung unzählig viele Ausnahmen zu machen sich erlauben wird.
  • Daß eine allgemeine Aufmerksamkeit auf das große Uebergewicht des Guten, desselben Mannigfaltigkeit und möglichen Genuß, so wol in dem Zustande der Menschen in diesem Leben überhaupt, als in den besondern Verhältnissen einzelner Classen, und Personen insonderheit befördert; und eine Aussicht in einen ins unendliche fortgehenden Wachsthum der Vollkommenheiten eröfnet; auch Hülfsmittel sich dieses Uebergewichts, und fortgesetzten Wachsthums des Guten bewußt zu bleiben, an die Hand gegeben werden.a
c1: gezeigtd2: allgemeinerena3: cultivirtena4: Volkad5: Maaßeacd6: gehöretd7: Volked8: erzeugenden fürchterlichend9: Denkungsartd10: Wohlfartd11: Planed12: gegründetend13: gesetzetd14: sittliched15: Vernunftcd16: verringerncd17: 28. d18: größered19: bleiben,d20: Volkesd21: Geschichtswahrheitenad22: Lehre,a23: Glückseligkeitad24: äußered25: ferned26: gebildetena27: a priori gebildetend28: Mustera29: vollkommnena30: übereinkommt

§. 31.

Zuvörderst hat Christus die unter dem jüdischen Volkd1 zur Zeit seines Lehramtsd2 /aallgemein /dherrschende praktisched\d3 Vorurtheile von willkührlichen Anforderungen Gottes an die Menschena\a4, wodurch die weitere Aufklärung ihrer moralischen Einsichten, und |b72| |c72| die richtige Anweisun|a66|gen des natürlichen Gewissens bey ihnen verhindert wurden, gänzlich zu vertilgen gesucht. |d64| Mose wird daher vomcd5 Paulus als ein Kinderlehrer vorgestelltd6, welcher die jüdische Nation in dem Alter der Minderjährigkeit, da sie nur blos sinnlicher Begriffe fähig gewesen, durch sinnliche Gesetze und willkührliche Strafen vorcd7 Ausschweifungen hätte zurückhalten müssen; /adagegen nun, nachdema\a8 die Zeit erfüllet sey, oder die Nation ihre Volljährigkeit erreichtd9 hätte, das sinnliche und willkührliche unbrauchbar für sie geworden sey, und sie daher durch Christum für majorenn erklärtd10, der Kinderzucht entlassen, in völlige Freyheit gesetzt, und nach den eignend11 Einsichten ihrer Vernunft zu handeln berechtiget würden. Gal. 3, 24. cd12 4, 1–5.cd13 Auf ähnliche Art leitet Paulus die Nothwendigkeit und Wohlthätigkeit des Christenthums für andre Nationen aus der allgemeinen Verdorbenheit der damals auch unter den Griechen und Römern herrschenden Morald14 und ihren abergläubischen Meinungen,d15 von willkührlichen Gottesdiensten her. /aRöm. 1, 16. 21 f. Eph. 2, /cd7. 12.cd\cd16 5, 8.d17 f.a\ Diese besonders im Briefe an die Römer vorkommended18 /aSchilderungen von dema\a19 hieraus sich verbreiteten sittlichen Verderbenad20 werden acd22 aus Mißverstand von einem allgemeinen Verderben der menschlichen Natur;d24 /aso wiea\a25 die vom Apostel behauptete Unmöglichkeit, daß die Nationenad26 ohne die durch Christum veranstaltete äussreacd28 Hülfsmittel der Erleuchtunga31 sich d32 vom Aberglauben und falschen moralischen /dMaximen selbst hätteac33d\d34 befreyen können, a35 für eine Versicherung des natürlichen Unvermögens des menschlichen Verstandes, Wahrheiten der Religion, auch wenn sie ihm vorgetragen wordena36, zu begreifen, ganz wider den Zusammenhang und Zweck des Apostels /acdvon vielenacd\ erkläret. Es ist also zuvörderst durch das Christenthum die Macht des Aberglaubens und der geheiligten Vorurtheile geschwächtd37 worden, welche ver|b73||c73|hinderten, daß unter den damaligen Nationend38 die /dMoralität,c39d\d40 und die daraus entstehende Glückseligkeit sich nicht mit der vermehr|a67|ten Ausbildunga41 ihrer Vernunft verhältnißmäßig hatte bessern können.
|d65| 1) Daß Christus der falschen Moral der Rechtslehrer seines Volkes, besonders in der sogenantena42 Bergpredigt, gerade entgegen lehre, wird bereits allgemein zugestanden; weniger aber wird bemerktd43, daß er zum öftern die gesunde Vernunft, welche von dem Aberglauben in ihren Wirkungen gehemt wurde, erwecktd44, und sie zur Richterin in der Moral /dmachtc45.d\d46 2) Die gute Moral einzelner Weisen unter den Griechen und Römern war auf zu /atiefsinnige Vernunftgründea\a47 gebauet, als daß sie unter /dihren Nationen hättenac48d\d49 gemein werden können.
d1: Volked2: Lehramtesd3: herrschenden praktischena4: allgemein herrschende praktische Vorurtheile von willkührlichen Anforderungen Gottes an die Menschencd5: vond6: vorgestelletcd7: vona8: nun aber, dad9: erreichetd10: erkläretd11: eigenencd12: 25. Kap.cd13: 1. ff.d14: Sittenlehred15: Meinungencd16: 1 ff. K. 4, 17 f. K.d17: 8d18: vorkommendena19: Schilderungen, desad20: Verderbens (a) ; Verderbens (d)ad21: Verderben,acd22: oft (a) ; oft (c d)acd23: von vielend24: Natur,a25: undad26: Nationen, (a) ; Nationen, (d)ad27: Völkeracd28: äußre (a) ; äußre (c) ; äußre (d)acd29: äusre (c) ; äusre (d)acd30: äußerea31: Erleuchtung,d32: selbstac33: hättend34: Grundsätzen hättena35: wird bisweilena36: werdend37: geschwächetd38: Völkerncd39: Moralität (c) ; Moralität (d)cd40: sittliche Bildunga41: Cultura42: so genanntend43: bemerketd44: erwecketc45: gemachtd46: gemacht hat. Marc. 2, 27. a47: abstracte raisonnementsac48: hätted49: dem Volk hätte

§. 32.

Daß nun aber das Christenthum nicht etwa blos den damals herrschenden falschen, sondern überhaupt allen Begriffen von willkührlichen Gesinnungen und Forderungen Gottes geradezua1 widerspreche, verdientad2 ausführlicher dargethan zu werden. Hierher gehörtd3:
  • daß Gotta4 nach der Lehre Jesu durchaus als ein liebreicher Vater gedacht werden soll;c5
    cddarum sollen Christen nicht auf den Namen des Weltbeherrschers, sondern auf den Namen des Allvaters getauftd6 werden. Matth. 28, 19;cd
    daß der Geist des Christenthums ein Geist der Sohnschaft und /aFreiheit genant,a\a7 und daß ausdrücklich eine von aller Furcht völligea8 freye zuversichtliche Liebe gegen Gott zum wahren Charaktera9 eines Christena10 erfordert wird. /aRöm. 8, 16.a\ 1 Joh. 4, 16 f. Nun verlangtd11 nicht einmal ein menschlicher Vater, wenn ihn seine eigne Bedürfnisse nicht etwa dazu zwingen, Dienste von seinen Kindern;d12 sondern hält sie nur zu solchen Uebungen an, wodurch sie sich selbst vollkomnera13 und glücklicher machen können. Gott, der selbst jedermanna14 Leben, Othem und alles giebt, kana15 also noch weniger einigen Dienst |c74| von seinen Kindern erheischen. Apostelg. 17, 24 f. Es wäre daher gut, wenn die aus Mosis Theokratie |b74| entlehnte Worte |a68| Gottesdienst, Gottesfurcht und andre ähnliche ganz aus christlichen Lehrvorträgen wegblieben, weil solched16, wenn wir sie auch noch so richtig erklären, und ihren bestimtena17 Sinn begrenzena18, doch in der Sprache des gemeinen Lebens wi|d66|drige /dadhärented\ Begriffe habend19, die dem gemeinen Mannd20 allzu habituell sind, als daß er sie absondern köntea21. Durch dergleichen Ausdrücke wird das erfreuliche Licht, worind22 uns die christliche Religion die Liebenswürdigkeit Gottes erscheinen läßtd23, immer in etwas umwölkt. Gal. 4, 7.
  • Daß Christus ausdrücklich erkläret hat, alle Anforderungen der Gottheit, und alle wahre Offenbarungen wären in den Worten: Liebe Gott über alles, und deinen Nächsten als dich selbst, enthalten: folglich muß jede Vorschrift, died24 hieraus nicht natürlich gefolgert werden kana25, auch nicht göttlich, sondern menschliche Träumerey seyn. Da ferner diese Grundgebote, welche nach Christi /deignenc26 Ausspruchd\d27 die ganze praktische geoffenbarte Religion enthalten, in der Natur der Menschena28 und d29 ihren natürlichen Verhältnissen gegen Gott und gegen die Gesellschaft, darin sie ihre höhere Wohlfart suchen müssen, gegründet sind;a30 so ist unläugbar, daß alle positive und willkührliche Anforderungen der Gottheit von Christo völlig ausgeschlossena31, und für falschead32 zur wahren Religion nicht gehörige Satzungen erkläret worden sind. Matth. 22, 36–40. Gal. 4, 9 f. Daher nentad33 Jesus auch das Gebot der Liebe, das neue /cdallgemeine Gebotcd\cd34 seiner Lehre, an dessen Befolgung man seine Schüler allein unterscheiden kanacd35. Joh. 13, 34. 35. und nach welchem allein die Glückseligkeit in dieser und jeder andernd37 Scene des Lebens unsrer geselli|c75|gen Natur bestimta38 werden wird. Matth. 25, 31 f. Eben disd39 wiederholen zum öftern die Apostel.a40 Röm. |b75| 13, 8. 10. 1 Cor. 13. Gal. 5, 14. besonders Johannes 1 Brief 4, 16. und an andern Orten. |a69|
  • Daß das Christenthum durchaus alle Einschränkungen des vernünftigen Genusses dieses Lebens aufgehoben, und alle Arten der sinnlichen Vergnügungen für /drechtmässiga41 erklärtd\d42 hat;a43 Röm. 13, 14. Kap. 14, 1–6[.]acd44 Kap. 8, 8. Kap. 10, 23 f. Col. 2, 16. 1 Tim. 4, 1–5. wie denn auch Christus selbst, ohnerachtet der Armseligkeit |d67| seiner äusserlichenad45 Lage, von Jugend auf von allen sich ihm darbietenden sinnlichen Annehmlichkeiten Gebrauch gemachtd46 hat; bey /cdallencd\ Gastmahlena47, zu welchen er eingeladen wurde, erschienen ist;acd48 Matth. 11, 19.a49 ja selbst die kostbarena50 künstlichen Vergnügungen der Sinne nicht getadelt, sondern selbst genossen, und die /aspitzfindige Kasuistika\a51 seiner Begleiter, died52 solches für übel angebrachte Verschwendung hielten, gemißbilliget hat. Marc. 14, 3 f.
  • Daß Christus und seine Apostel überall die Reizungena53 und Beweggründe zum Guten aus den natürlichen Trieben des Menschen und den natürlichen Folgen der Handlungen herleiten, und die Vernunft des Menschen zum eignend54 Nachdenken hierüber auffordern. /dDis geschiehtd\d55 zuvörderst in d56 Absicht des Grundgebotsd57 der Religion, der Liebe zu Gotta58, 1 Joh. 4, 19. und es wird also keine uns natürlich unmögliche, so genantea59 reine Liebe gegen Gott, ohne Rücksicht auf unsernd60 Vortheil gefordert. Unter a61 tausend Stellen, welche die Vernunft des Menschen /aerwecken,a\a62 das Gute und Böse, das rechtmässigead63 und unrechtmässigead64, das anständige und unanständige, das nützlichere vom mindera65 nützlichen zu unterscheiden, und darnach ihr Verhalten zu bestimmen, lese man nur folgende Stellen, died66 keinen Zweifeln der Auslegung |c76| unterworfen sind,a67 Phil. 4, 8. 1 Thess. 5, 21. Luc. 14, 10. Röm. 12, 20. 1 Petr. 3, 10 etc. wie denn auch |b76| alle Stellen, worinnen im Gegensatzd68 des Fleisches oder der Sinnlichkeit nach dem Geistd69 zu handeln befoh|a70|len wird, uns verpflichten, den möglichsten Gebrauch von unsrer Vernunft zu machen.
Hieraus erhellet nun, daß das Christenthum ganz eigentlich darauf abzwecke, alle abergläubische Träumereyen von willkührlichen von Gott geoffenbarten Vorschriften, welche die Verbesserung der Moralität, und die Thätigkeit des natürlichen Gewissens hindern, zu vertreiben, und die Vernunft zur eignen Einsicht in das rechtmässigead70 Verhalten zu erwecken:acd71 auch daß es unter allen Nationen, wo es |d68| als eine göttliche Lehre angenommen wird, /cddiesen Effekta72cd\cd73 nach dem Maaßacd74 der Aufklärunga75 derselben beweisen könne und werde, obgleich ganz rohe sinnliche Menschen wenig Empfänglichkeit dazu haben.a76 1 Cor. 2, 14. Nun lehret die Geschichte, daß diese wohlthätige Wirkungena77 desselben durch die allmähliga78 entstandned79 Verfinsterung der ehemals schon aufgeklärt gewesenen Gegendena80 immer mehr geschwächtcd81 worden, ja daßa82 garcd83 die gesamte Lehre Jesu unter den rohen abendländischen /dNationend\d84, unter welchen sie in den mittlernd85 Jahrhunderten äusserlichad86 eingeführet worden, in /dein Chaos willkührlicher Gebräuched\d87 verwandelt worden sey. Allein eben dieses muß den jetzt lebenden Lehrern des Christenthums zu desto grössererad88 Ermunterung dienen, alle aus diesen Zeiten übrig gebliebenea89 menschliche Beymischung abzusondern, die Aufmerksamkeit des Volksd90 von dem blos sinnlichen der Geschichte Jesu, und von den Anspielungen der apostolischen Vorträge auf die Gebräuche des /dKindheits Gottesdienstesd\d91 der Juden immer mehr zu entwöhnen, und sie dagegen mit dem Geistd92 der Religion Jesu bekantera93 zu machen. Nur hierdurch würde die Reformationd94 vollendet werden. Denn es ist |c77| ungezweifelt, daß unsre Nation auch seit den Zeiten der angefangenen Kirchenverbesserung abermals in jeder |b77| andernd95 Beziehung /asehr aufgeklärtd96 wordena\a97 /cdist.a98cd\
cdist, und die in /dunsern Tagend\d99 sich bis auf den gemeinsten Dienstboten verbreitende Lesesucht, erwecktd100 einen so allgemeinen Raisonnirgeistd101, daß alles, was wider oder auch über den gemeinen Menschenverstand in Predigten vorkomt, der Kritickd102 der Sprecher in den Tabagiend103 unterworfen wird.cd
Man verhindert daher den Zweck des Christenthums, und den |a71| mehrernad104 Anwachs moralischer Glückseligkeit, wenn man noch jetzt die durch das Christenthum so hoch geehrte Vernunft und Moral verschreyet;ad105 widersinnische spekulativea107 Lehrformeln für göttliche Offenbarungen, und doch zugleich für Geheimnisse ausgiebt;a108 und die Besserung der Menschen von etwas andermd109, als den eignend110 Bestrebungen im treuen Gebrauchd111 ihrer Vernunft und ihres Ge|d69|wissens erwartet. Kein Wunder, wenn bey dieser von /amanchena\ Theologen selbst unterhaltenen Finsterniß die besten und aufgeklärtesten Menschen unsre Kirchen verlassen.
Alle kirchliche Streitigkeiten und Schulgezänke, ja selbst alle wichtige Disputationen mit den vernünftigen und Wahrheit suchenden Naturalisten hören auf, /dso baldd\d112 man anerkennet, daß die Lehre Jesu durchaus vernünftig ist, und den Plan Gottes in der Natur nicht abändert, sondern uns nur ins Licht /dsetzt, unsermd\d113 Verstande gleichsam näher vor Augen bringtd114, ihn nach allen Theilen /dauseinandera115 legtd\d116, und die Uebersehung des ganzen Zusammenhanges möglich macht und erleichtert. In dem gesamten Plan Gottes in der Welt ist so, wie in Gott selbst, alles Harmonie und Uebereinstimmung. Der Hang zud117 sinnlichen Vergnügen und /azur Bequemlichkeit;a\a118 der Trieb das Eigenthum zu vergrössern;ad119 die gesellige Neigungen zu lieben und geliebt zu werden;a121 die Begierde nach Ehre und Ruhm;a122 und was sonst noch für natürliche Wünsched123 der Menschheit eigen seyn mögen, führen alle zu Gott, |c78| werden durch Religion geheiliget und durch Beobachtung ihrer Vorschriften am sichersten, völligsten und /afortdaurendsten harmonischa\a124 befriediget. Es ist daher Mißverstand des göttlichen Plansd125, wenn man Beweggründe, gut gesinnet zu seyn, welche aus einem dieser Naturtriebe entlehntd126 werden, für schlecht oder gar d127 heidnisch hält. Der Mensch kanad128 einmal nicht anders,a129 als durch die in seiner Natur selbst liegended130 |b78| Triebfedern in Bewegung gesetztd131 werden;a132 man benutze diese zur Absicht Gottes, so wird Gott in der Schrift und in |a72| der Natur uns überall ohne künstliche Hermenevtikad133 verständlich werden,a134 und /cdsichcd\ /abeyde göttliche Offenbarungen cd135 einander auslegen und bestätigena\a136.
a1: gerade zuad2: verdienetd3: gehöreta4: GOttc5: soll,d6: getaufeta7: Freyheit genannt;a8: völliga9: Charactera10: Christensd11: verlangetd12: Kindern,a13: vollkommnera14: jedermana15: kannd16: solchena17: bestimmtena18: begränzend19: anklebend20: Mannea21: könnted22: worinnend23: lässetd24: welchea25: kannc26: eignemd27: eigenem Ausspruche,a28: Menschen,d29: ina30: sind:a31: präcludirtad32: falsche,ad33: nenntcd34: Gesetzacd35: kann (a) ; kann (c d)acd36: solled37: anderena38: bestimmtd39: diesesa40: Apostela41: rechtmäßigd42: rechtmäßig erkläreta43: hat.acd44: 1–6.ad45: äußerlichend46: gemacheta47: Gastmalenacd48: ista49: 19;a50: raffinirterna51: spitzfündige Casuistikd52: welchea53: Reitzungend54: eigenend55: Dieses geschiehetd56: derd57: Grundgebotesa58: GOtta59: genannted60: unserena61: zehna62: auffordern, selbstad63: rechtmäßigead64: unrechtmäßigea65: mindernd66: welchea67: sind.d68: Gegensatzed69: Geistead70: rechtmäßigeacd71: erwecken;a72: Effectcd73: diese Wirkungacd74: Maaßea75: Cultura76: habena77: Wirkunga78: allmäligd79: entstandenea80: Gegenden,cd81: geschwächeta82: socd83: endlichd84: und nördlichen Völkernd85: mittlerenad86: äußerlichd87: einen Wirrwarr von willkührlichen Gebräuchenad88: größerera89: gebliebned90: Volkesd91: Kindheits-Gottesdienstesd92: Geistea93: bekannterd94: Kirchenverbesserungd95: anderend96: aufgekläreta97: ausnehmende Progressen in der Cultur der Seelenkräfte gemachta98: hat.d99: unseren Tagen,d100: erwecketd101: Beurtheilungsgeistd102: Kritikd103: Wirthshäusernad104: mehrerenad105: verschreyet, (a) ; verschreyet, (d)ad106: verschreiet;a107: speculativea108: ausgiebt,d109: andremd110: eigenend111: Gebrauched112: sobaldd113: setzet, unsremd114: bringeta115: aus einanderd116: aus einander legetd117: zuma118: Bequemlichkeit,ad119: vergrößern, (a) ; vergrößern, (d)ad120: vergrößern;a121: werden,a122: Ruhm,d123: Wünscha124: fortdaurendsten, und überdis auf die harmonische Artd125: Planesd126: entlehnetd127: fürad128: kanna129: andersd130: liegendend131: gesetzeta132: werden,ad133: Hermeneutika134: werdencd135: werdena136: nie widersprechen

§. 33.

Das Christenthum erwecktd1 aber nicht blos die Vernunft zum Nachsinnen über das rechtmässigead2 Verhalten zur Glückseligkeit, sondern trägtd3 auch selbst /aeine vortrefliche und vollständige Moral auf eine jedermann faßliche Art vora\a4. Indem es sich wenig auf Vorschriften über einzelne Handlungen und besondere Fälle einläßtd5, sondern nur überhaupt auf gute Gesinnungen der Rechtschaffenheit, und der Menschenliebe dringtd6, und diese hervorzubringen sucht, so giebt es auf einmal der gesamten Denckungsartad7 des Menschena8 die allgemeine Richtung zu allen wahren Tugenden. /aEbr. 10, 16. Röm. 13, |d70| 8 f.a\ Auch bedarf man /dbey Kollisionena9d\d10 der Pflichten keiner tief /ahergeholten Kasuistikd11a\a12. Das Gebot der Menschenliebe wird ein für allemal für das Grundgebot erkläret, und hiemita13 sind die Grenzena14 aller Pflichten bestimta15. Ist zum Beyspiel die Frage: soll man in allen Fällen die Wahrheit reden,cd16 und alles so sagen, wie man es weiß? so ist die Antwort dem christlichen Gewissen leicht:d17 Man muß die Wahrheit reden, so oft und so weit es die Liebe erfordert; wird diese dadurch verletztd18, so müssen wir dem /dgrösserna19 Gebotd\d20 der Liebe gehorchen. Ausserad21 diesen grossenad22 Vortheilen, |c79| daß eine vollständige Erkentniß der Moral und eine richtige Anwendung einzelner Vorschriften auf alle Fälle, durchs Christenthum jedermanna23, der auch im Nachdenken wenig geübt ist, ungemein erleichtert wird, hat auch die Lehre desselben, so bald sie als göttlich geglaubt wird, noch einen doppelten wichtigena24 Vorzug, dadurchd25 ihre Wirksamkeit in jeder Nation weit allgemeiner und grös|b79|serad26 wird, als menschliche Weisheitslehren jemalsac27 haben können. Dieser doppelte Vorzug bestehtd29 darin, daß durch sie nur alleina30 theils die Ueberzeugung von der Nothwendigkeit, in je|a73|dem einzelnen Falld31 ohne Ausnahme gewissenhaft zu handeln, bey jedermanna32 /dhervor gebrachtd\d33 werden kan;a34 theils die natürlichen Beweggründe zur Tugend verstärkt, und durch neue vermehret werden. Jedes verdientcd35 eine besondre Betrachtung.
Wie es möglich gewesen sey, daß die Christen,a36 und insonderheit die Theologen,a37 die so oft wiederholten Versicherungen Christi und seiner Apostel;acd38 daß die rechtschafned40 Menschenliebe allein die Erfüllung des gesamten geoffenbartena41 Willens Gottes sey;ad42 ganz aus der Acht haben lassen können, würde unbegreiflich seyn, wenn nicht die Kirchengeschichte uns lehrted43, daß man in den ersten Jahrhunderten heidnische Rhetoren und Philosophen bald nach ihrer Taufe zu Bischöfen /dgemacht hätted\d44, um den Gemeinen dadurch mehreres Ansehen und Schutz zu verschaffen. Diese Leute machten nachher ihr ehemaliges philosophischesa45 System zur Hauptsache und bekünsteltena46 das Christenthum /ddarnachd\d47.
d1: erwecketad2: rechtmäßiged3: trägeta4: eine vortrefliche und vollständige Moral auf eine jederman faßliche Art vord5: einlässetd6: dringetad7: Denkungsarta8: Menschen,a9: Collisionend10: beym anscheinenden Widerspruched11: Grübelkunsta12: her geholten Casuistika13: hiermita14: Gränzena15: bestimmtcd16: redend17: leicht;d18: verletzeta19: größernd20: größern Gebotead21: Außerad22: großena23: jedermana24: großend25: wodurchad26: größerac27: niemals (a) ; niemals (c)ac28: jemahlsd29: besteheta30: allein,d31: Fallea32: jedermand33: hervorgebrachta34: kann,cd35: verdieneta36: Christena37: Theologenacd38: Apostel, (a) ; Apostel, (c d)acd39: Apostel:d40: rechtschaffenea41: offenbartenad42: sey,d43: lehreted44: erhoben habea45: philosophischa46: accommodirtend47: nach demselben

|d71| §. 34.

So viel man auch öfters in den Schulen der Vernunftweisen gegen die Vorurtheile ohne Einschränkung eifert, so werden wir doch immer, so lange wir Vernunft haben, die nützliche Geneigtheit beybehalten, in allen praktischen Angelegenheiten uns nach Autoritäten zu bestimmen. Diese Geneigtheit ist kein blinder Na|c80|turtrieb, sondern entstehtd1 erst mit der Entwickelung der Vernunft, und wird mit grosserad2 Mühe durch die Erziehung in uns d3 gebracht und verstärktd4. Kinder sind zwar geneigt nachzuäffen, nicht aber durch Rathgebungen sich bestimmen zu lassen, sondern vielmehr alles selbst zu versuchen. Nur nach und nach lernen sie aus der Menge einzelner Fälle einsehen, daß sie sicherer gehen, wenn |b80| sie der Warnung älterer Personen Gehör geben. Hieraus erzeugtd5 sich die Geneigtheit auf Autorität zu trauen. Diese macht uns nun des Unterrichts empfänglich, und hiermit zu Erben |a74| aller Schätze der Weisheit, welche die Vernunft aller unserer Vorälternd6 aus den Erfahrungen der verfloßnend7 Jahrhunderte aufgesamlet hat. Es giebt nur 3 Fälle,a8 in welchen man sichc9 bestimtad10 findet, von der Autorität bey praktischen Entschliessungend11 von einiger Erheblichkeit abzugehen. Erstlich, wenn mehrere eigned12 Erfahrungen derselben widersprechen; zweitensad13, wenn leidenschaftliche Begierden das Gewicht derselben in unsrer Vorstellung sehr vermindern; drittens, wenn wir deutlich /aaus Vernunftgründena\a14 einzusehen glauben, daß eine sonst auf Ansehen beruhende Regel fehlerhaft seyn müsse. Im /dletzternc15 Falld\d16 befindet sich seltena17 der gemeine Mann. Nun können wir deutlich einsehen, wie sehr der Glaube, daß eine Sittenlehre von Gott selbst bekanta18 gemacht worden sey, die Geneigtheit sie ohne Ausnahme zu befolgen verstärken müsse. Die gesamte praktische Erkentniß der meisten Menschen beruhet auf der Autorität ihrer Aeltern, Lehrer, Freunde, oder auf dem /dBeyspiel andrerd\d19 angesehenena20 Personen. Hieraus erlernet jeder sehr viele richtige Regeln des Verhaltens aber auch manche fehlerhafte. Bisweilen widersprechen sich |d72| auch die Autoritäten, und alsdennd21 folgt jeder gar leicht derjenigen, welche /avon seinera\a22 Temperamentsneigungencd23 begünstiget und a24 gegen seine Vernunft und Gewissen in Schutz /agenommen wirda\a25. Die hieraus /dentste|c81|hende praktische,ac26d\d27 auf Ansehena28 gegründeted29 Irrthümer beym grossenad30 Haufen zu widerlegen, wird man meist vergeblich Vernunftschlüsse anwenden; weit leichter geschieheta31 es durch höhere Autorität. Da nun keine grösseread32 Autorität, als das Ansehen einer göttlichen Offenbarung gedacht werden kana33, so erhellet, daß der Glaube an dieselbe das einzige oder doch d34 kräftigste Mittel sey, |b81| die praktischen Erkentnisse einer Nation zu verbessern. Komtad35 hierzu der Glaube an eine genaue Aufsicht Gottes auf alle auch die verborgensten Handlungen der Menschen, und an eine künftige vollständige Vergeltung auch der /dblossen innernd\d36 Ge|a75|sinnungen des Herzens; so ist offenbar, daß nach dem Maaßd37, nach welchem dieser Glaube stärker wird, auch die Gewissenhaftigkeit in Beobachtung der göttlich geoffenbarten Morald38 immer allgemeiner und wirksamer werden müsse. Die Sittenlehre, welche auf /ablossend39 Vernunftgründena\a40 beruhet, wird niemals bey einem Volkd41 einen solchen Grad der Gewissenhaftigkeit hervorbringen können, weil die Autorität des Lehrersa42 und seiner Vernunftschlüsse durch die öftere Erfahrung, daß die guten und übelnad43 Folgen der Handlungen in diesem Leben oft ausbleiben, und durch die Autorität angesehenera44 Personen sehr geschwächtd45 wird. Das Christenthum muß demnach die Moralitätd46 und Glückseligkeit /deiner Nationd\d47 schon dadurch, daß es die moralische Vorschriften als göttliche Anweisungd48 zu /aunsrem Wohl, deren Belohnungen unausbleiblich sind,a\a49 vorstellet, ungleich fruchtbarer, als wenn solche aus /ablosserd50 Ueberlegunga\a51 der menschlichen Rathgebungen erkanta52 werden, befördern.
Wenn auch hierdurch die Ausnahmen, welche die Menschen sich von moralischen Gesetzen zu machen erlauben, nur um einen Theil verringert würden, so gewönne so wol die äusseread53 Wohlfart als die moralische Glückseligkeit eines Volksd54 schon a55 ungemein viel.
|c82| |d73| Das Christenthum verhindert täglich eine Menge Thorheiten, und befördert täglich viele gute Handlungen, died56 sonst unterbleiben würden, auch bey denen, welche man in der Sprache der Kirche Unwiedergeborne oder Unbekehrte nentacd57. Denn wenn diese gleich ihren Temperamentsneigungen mehr als ihrem Gewissen folgen, so suchen sie doch in allen andernd59 Handlungen, wo ihre Hauptleidenschaften nicht mit ins Spiel kom|b82|men, sich desto genauer nach den Vorschriften des Christenthums zu richten. Die Verpflichtung Gott gehorsam zu seyn, wird als die erste /cdundcd\ allgemeine Wirkung des Christenthums von allen, zu welcher Kirchenparthey sie auch gehören, empfunden, und |a76| /ddis verstärktc60d\d61 nothwendig die Stimme des natürlichen Gewissens, und hindert die völlige Gewissenlosigkeit[.]acd62
d1: entstehetad2: großerd3: hineind4: verstärketd5: erzeugetd6: Vorelternd7: verfloßenena8: Fällec9: siead10: bestimmtd11: Entschließungend12: eigenead13: zweytensa14: a prioric15: lezternd16: leztern Fallea17: niea18: bekanntd19: Beyspiele anderera20: angesehnend21: alsdanna22: seinecd23: Temperamentsneigunga24: solchea25: nimmtac26: praktisched27: entstehenden praktischena28: Ansehnd29: gegründetenad30: großena31: geschiehtad32: größerea33: kannd34: dasad35: Kommtd36: bloßen innerend37: Maaßed38: Sittenlehred39: bloßena40: blossem raisonnementd41: Volkea42: Lehrers,ad43: üblena44: angesehnerd45: geschwächetd46: Sittlichkeitd47: eines Volkesd48: Anweisungena49: unserm Wohld50: bloßera51: blossem raisonnementa52: erkanntad53: äußered54: Volkesa55: dadurchd56: welcheacd57: nennt (a) ; nennt (c d)acd58: nennetd59: anderenc60: verstärketd61: dieses verstärketacd62: Gewissenlosigkeit.

§. 35.

Das Christenthum verstärketa1 /daber auchd\d2 /adie natürlichen Beweggründe des natürlichen Wohlverhaltens und vermehretd3 dieselbe mit neuena\a4, welche von dem Volkd5 sonst nicht erkanta6 werden würden. Dahin gehörtd7:
  • 1) Ueberhaupta8 versichert es eine genaue Aufsicht und eine höchst weise und gerechte moralische Regierung Gottes, vermöge welcher daher alle natürlichd9 gute Folgen gewissenhafter Gesinnungen und Handlungen unausbleiblich in d10 Zukunft erfolgenad11 und uns zu statten kommen, wenn auch solche eine Zeitlang auszubleiben scheinen. Disd13 giebt also in allen Fällen, wo es uns nicht sichtbar wird, wie das Gute, sod14 wir zu thun Gelegenheit haben, uns belohnet werden möchte, eine lebhaftere Entschlossenheit im Vertrauen auf Gottes moralische Regierung so gut als möglich, auch wo wir von Menschen nicht beobachtet werden, zu handeln.
  • 2) Das Christenthum erklärt überdisd15, daß alle Handlungen der Rechtschaffenheit, besonders die edlernd16, uneigennützig wohlthätigen, als Gott selbst erwiesene Gefälligkeiten, weit über ihren Werth belohntd17 wer|c83|den sollen,a18 so wol in diesem Leben, als in der Fortdauer nach dem Tode. Disd19 muß den Muthd20 auch bey allem Undankd21 der Menschen und unter allen Umständend22 groß |d74| und edel zu handeln, ungemein beleben. 1 Tim. 4, 8. Luc. 14, 13. Matth. 6, 1 f. Hierdurch wird aber nicht nur die moralische Glückseligkeit derer, welche der Geist des Christenthums zu Handlungen der Men|b83|schenliebe beseelt, unmittelbar erhöhet, sondern auch über viele andred23, welche die Gegenstände der christlichen Wohlthätigkeit sind, äusseread24 Wohlfart verbreitet. |a77|
  • 3) Das Christenthum erweckt die uns so sehr über uns selbst erhebende Vorstellung, daß wir durch gutes thun unsrema25 göttlichen Vater ähnlich zu werden bestimtad26 sind. Diese Vorstellung verfeinert und erhöhet das moralische Vergnügen, welches wir im Bewußtseyn unsrer guten Gesinnungen empfinden, /d/aausserordentlich; vergrössertc27a\a28 unsernd\d29 eignen Werth in /aunsren Augen;a\a30 und verschaftd31 uns die wonnevolle Aussicht in einen unendlichen Wachsthum höherer Vollkommenheiten,a32 welcher blos von unsrena33 eignend34 Bestrebungen, immer tugendhafter zu werden, abhängtd35. Je mehr jemand diese Vorstellung in sich habituell machtd36, desto mehr innred37 Kraft wird er besitzen, Versuchungen zu erniedrigenden Handlungen zu widerstehen, und je weniger werden äusseread38 die innred40 fortdaurende Zufriedenheit seines Gemüthsd41 unterbrechen.
a1: verstärketd2: aber auchd3: vermehrta4: die natürlichen Beweggründe des moralischen Wohlverhaltens und vermehret dieselbe mit neuend5: Volkea6: erkanntd7: gehöreta8: überhauptd9: natürliched10: derad11: erfolgen, (a) ; erfolgen, (d)ad12: sich äußernd13: Diesesd14: welchesd15: überdiesd16: edlerend17: belohneta18: sollen;d19: Diesesd20: Muth,d21: Undanked22: Umständen,d23: anderead24: äußerea25: unsermad26: bestimmtc27: vergrößerta28: ausserordentlich, vergrößertd29: außerordentlich; vergrößert unsrena30: unsern Augen,d31: verschaffeta32: Vollkommenheiten;a33: unsernd34: eigenend35: abhängetd36: machetd37: inneread38: äußre (a) ; äußre (d)ad39: äußered40: innered41: Gemüthes

§. 36.

Ausserad1 dem vortheilhaften Einflusse, welchen die Lehre des Christenthums durch Beförderung guter moralischer Einsichten und Fertigkeiten auf die Glückseligkeit hat, vermehret es dieselbe auch noch von einer andern Seite, indem es die Gründe der Unzufriedenheit und der Befürchtungen verringert und unsre Hofnungen ins unendliche erweitert. Die Lehre von einer besondern, auf jeden ein|c84|zelnen Menschen und alle /cddessen,cd\ auch kleinste Veränderungen cd2 sich erstreckendend3 göttlichen Fürsorge, ist zwar der menschlichen Vernunft an sich, auch ohne Offenbarung zu erkennen möglich; die Erfahrung aber lehret, daß selbst grossead4 Philosophen solche noch bezweifeln, und also noch mehr der sinnlich den|d75|kende Theil des Volksd5 unfähig sey, durch /aVernunftbeweisea\a6 davon eine Ueberzeu|b84|gung zu erhalten. Dennoch ist diese Lehre ganz allein die Quelle, woraus wahrer Trost für Menschen bey den vie|a78|len von uns nicht abhängenden Veränderungen des Lebens geschöpftcd7 werden kana8. Der Gedanke, man muß sich einem Uebel, was man nicht abändern kana9, geduldig unterwerfen, ist zwar vernünftig und dazu nützlich, daß man dadurch abgehalten wird, seinen Zustand nicht durch unbesonnenes Tumultuiren noch mehr zu verschlimmern. Allein dieser Gedanke gewährtd10 keinen eigentlichen Trost. Ich werde nur denncd11 getröstet, wenn die Vorstellung von der erlittenen Verschlimmerung meines Zustandes und deren üblen Folgen, welche mich nothwendig mißvergnügt machen muß, weggeschaft oder doch verdunkelt wird. Disd12 kana13 aber nur geschehen, wenn man mich überzeugt, daß das, was ich mir als ein Uebel vorstelle, wirklich kein Uebel ist,d14 oder daß es im Zusammenhange ein /dgrösseresa15 Guted\d16 veranlassen werde, und d17 also der Verlust nur scheinbar sey. Diese Tröstungen genießtd18 der Christ in allen möglichen Fällen, wenn er nach der Lehre Jesu einmal fest überzeugtd19 ist, daß kein Haar von seinem Haupte falle, ohne den Willen seines göttlichen Vaters, und daß alle Dinge denen, died20 Gott lieben, zum besten dienen müssen. Der gemeinste Christ kana21 demnach, auch ohne ein /dgrossera22d\ Philosoph zu seyn, einer durch keinen Vorfall des Lebens völlig zu unterdrückenden Zufriedenheit wegen des Bewußtseyns des fortwachsenden Uebergewichtsd23 des Guten in seinem Zustande geniessend24.
ad1: Außercd2: desselbend3: erstrekkendenad4: großed5: Volkesa6: Beweise a prioricd7: geschöpfeta8: kanna9: kannd10: gewähretcd11: dannd12: Diesesa13: kannd14: ist;a15: größeresd16: größeres Gutesd17: daßd18: genießetd19: überzeugetd20: welchea21: kanna22: großerd23: Uebergewichtesd24: genießen

|c85| §. 37.

Unmöglich kana1 bey dem Gedanken, daß durch den natürlichen Tod unser Bewußtseyn auf immer verschwindet, eine wahre Werthschätzung unsrer selbst bestehen. Wie klein und unbedeutend werde ich mir in meinen eignend2 Augen, wenn ich disd3 Leben als meine ganze Dauer, als einena4 Traum weniger Jahre gedenke. Höhere Glück|b85|seligkeit kana5 damit nicht bestehen;acd6 denn diese beruhet auf |a79| der Vor|d76|stellung eines immer fortdaurenden Wachsthumsd8 meiner Vollkommenheiten. Nun sind die Gründe /ader Vernunfta\a9 für die Unsterblichkeit des menschlichen Geistes nur für eine kleine Anzahl im tiefen und scharfsinnigen Nachdenken geübter Männer einleuchtend, und da der übrige grossead10 Haufenc11 der Menschen seine Hofnungen hierüber auf Autorität bauen muß, so erhellet, was abermals das Christenthum bey denen, welche es als eine göttliche Offenbarung verehren, für einen ausnehmend beruhigenden Einfluß haben mußd12. Es lehret ein weit besseres Leben nach dem Tode, und in demselben den vollen Genuß der Früchte aller hier verrichteten guten Handlungen, und es vergewissert hiervon stärker als alle Vernunftschlüsse. Der Tod verliertd13 das furchtbare und erscheintd14 als eine Hinübergeburt in seligere Scenen.
Der Sieg über die Gegner des Christenthums würde uns sehr leicht werden, wenn wir das reined15 durchaus vernunftmäßige Christenthum nur allein vertheidigen woltena16. Ja mir ist es deutlich, daß es dann gar keine Gegner unter denkenden und gutgesinnten Menschen geben würde. Wenigstens könte sich denncd17 keiner enthalten zu gestehen: selig ist, wer es glaubet; keiner sich enthalten zu wünschen, daß er sich von dem göttlichen Ursprungcd18 des Christenthums überzeugen köntea19. Aber so lange /anoch viele Kirchenlehrera\a20 die a21 nur /dhalbverstandne philosophisched\d22 Hypothesen der Kirchenväter als die wichtigsten Hauptwahrheiten und als die wesentlichsted23 Lehren des Christenthums verfechten, werden siea24 nach und nach |c86| /aimmera\ /dmehra25 kordatea26 undd\d27 denkende Leute zu Ungläubigen machen, und alle Autorität des Lehramts vernichten. Wir soltena28 als Gelehrte a29 und noch mehr als Lehrer der Nation immer ein Mannsalter in der Kultura30 des Verstandes voraus haben; es giebt aber Lehrer, died31 ein halbes, ein ganzes, auch wol zwey volle Jahrhunderte noch zurück geblieben sind. Ich glaubea32 indesd33, daß derena34 jetzt nicht mehr viele sind, /aoder |b86| daß sie wenigstens nicht die herrschende Parthey unter den angesehenen Theologen ausmachen,a\ sonst hätte ich diese Schrift noch nicht drucken lassen.
a1: kannd2: eigenend3: diesesa4: einema5: kannacd6: bestehn; (a) ; bestehn; (c d)acd7: bestehen:d8: Wachsthumesa9: a prioriad10: großec11: Hauffend12: müssed13: verlieretd14: erscheinetd15: reine,a16: wolltencd17: danncd18: Ursprungea19: könntea20: wira21: noch überdisd22: halbverstandenen philosophischend23: wesentlichstena24: wira25: allea26: cordated27: mehrerea28: solltena29: ex professoa30: Culturd31: welchea32: hoffed33: indeßa34: derer

|a80| §. 38.

Endlich befördert auch das Christenthum auf eine vorzügliche Art /adas öftere Bewußtwerden des grossend1 Uebergewichts des Gutena\a2 in unsern Bestimmungen, indem es seinen Bekennern angelegentlich empfieltd3, Gott täglich für alles Gute zu danken. Die mehresten sehen das Dankgebet blos als eine Pflicht gegen Gott an, und manche, died4 sich besonders grossead5 Einsichten zutrauen, haben sich bisweilen geäussertad6, als ob es unanständig wäre,a7 von Gott zu denken, daß er durch unsre Danksagungen bekomplimentirtd8 werden woltea9. Allein das Gebet überhaupt ist,a10 wie alle Pflichten der /achristlichena\ Gottesdienstlichkeit ohne Ausnahme, ein /anatürlichesa\ Beförderungsmittel der Weisheit, Moralitätad11 und Glückseligkeit. Indem ich bete, denke ich mich in dem unmittelbaren Verhältnißd13 gegen den Vater der Welt. Mein Geist nimta14 den höchsten Schwung, den seine Kräfte verstatten;cd15 ich strenge mich an, mir die erhabensten moralischen Vortreflichkeiten des Unendlichen anschauend zu machen, und hierdurch schon veredeln sich meine Gesinnungen. Wenn ich aber durchdacht habe, wie Millionen Welten in jedem Augenblickd16 aus dieser Urquelle /ader Vollkommenheiten alles Gute, wasa\a17 sie besitzen, erhalten; denncd18 denke auch ich mich in dieser unzählbaren glücklichen Menge, voll Demuth gegen die Gottheit, aber |c87| selbst in meiner Abhängigkeit von ihr groß; noch grösserad19 im Gefühld20 meiner Bestimmung, daß ich ihr ähnlich zu werden geschaffen bin. Alle niedrige und menschenfeindliche Neigungen entweichen,d21 ich fasse die edelsten Vorsätze, und fühle mich voll Kraft sie auszuführen. Meine Sorgen, mein kindischer Kummer wegen trüber Aussichten in die Zukunft verschwindet;a22 und hierdurch aufge|b87|heitert, findet nun mein dankbares Gemüth sich aufgelegt, alles Guted23 was ich von der göttlichen Liebe bereits besitze,a24 mir vor Augen zu samlen; und da finde ich mich dennd25 ungleich reicher, als ich gedacht habe; und unendlich reich,d26 in der verstärk|a81|ten Ueberzeugung, daß mein Vater, der Herr der Welt, a27 an keinem wahrhaftig Guten /amir /djed\ esa\a28 d29 fehlen lassen /akana\. Mit Freuden geniessed30 ich nun das mich umgebende Gute, und voll göttlichen Antriebes verbreite ich auch um mich her, Wohlfart und Glückseligkeit. So ist es |d78| demnach offenbar, daß die durchs Christenthum so angelegentlich empfohlne Pflicht, fleißig zu beten, wenn sie auch nur beym Anfange und Beschlußd31 /aeinesa\ jeden Tages feyerlich ausgeübtcd32 wird, das /daller wirksamsted\d33 Hülfsmittel der Fortdauer und des Wachsthums der Glückseligkeit in jeder Beziehung seyn müsse. Denn
  • So oft ich bete, werde ich zum stillen Nachdenken über mich selbst,a34 und zu einer umständlich klaren Vorstellung meines gesamten innernd35 und äussernad36 Zustandes veranlaßt;acd38 und demnach wird durch ein öfteres Gebet das deutliche Bewußtseyn des Uebergewichts des Guten in meinerd40 gesamten Bestimmungd41, und hiermit eine fortdaurende Zufriedenheit beständig unterhalten.
  • In jedem Gebetd42 betrachte ich mich im Verhältnißd43 gegen Gott, und hiermit zugleich im Verhältnißd44 gegen das Ganze, oder den gesamten Plan Gottes;a45 wodurch die allgemeinen Regeln des Wohlverhaltens |c88| und insonderheit die gesellschaftlichen Pflichten mir weit wichtiger und eindrücklicher werden.
  • Wenn ich am Morgen die Gelegenheiten, died46 sich den bevorstehenden Tag hindurch mir darbieten werden, Gutes zu thun; und die Veranlassungen, welche ich erhalten köntea47, Thorheiten zu begehen,a48 mir bey meinem Gebetd49 deutlich mache, und dann auf eine |b88| feierlicheacd50 Art gleichsam Gott angelobe, ihm wohlgefällig zu handeln;a51 so wird meine Vernunft hierdurch ausnehmend gestärkt,a52 den Anwandlungen sinnlicher Begierden zu Ausschweifungen zu widerstehen, und das Gewissen zu einer solchen Wachsamkeit erweckt, daß ich nicht leicht von Thorheiten überrascht werden kanac53. |a82|
  • Wenn ich am Abend gleichsam im Angesichtcd54 Gottes mich prüfe, in wie fern ich moralisch besser geworden bin, und meine guten Vorsätze erfüllet habe, so erhöhet sich dadurch ungemein das moralische Vergnügen und die Selbstzufriedenheit, wenn ich die guten Handlungen überzähle, und denke, daß ich Gott dadurch wohlgefälliger |d79| geworden bin: und wenn ich Fehltritte bemerke, so untersuche ich, wie ich dazu veranlaßtcd55 worden bin, und ermuntre mich zu grössererad56 Vorsicht.
  • Indem ich Gott täglich um Abwendung der etwa besorglichen Uebel, oder d57 Zutheilung des mir fehlenden Guten bitte, gewöhntcd58 sich mein Gemüth, die von mir nicht abhängenden Veränderungen meines Zustandes als Fügungen einer höhern Weisheit anzusehen; es wirft mich daher kein Unglück nieder, und kein plötzliches Glück kana59 in mir Stolz oder Schwindel erzeugen.
  • Eben so verstärktd60 die Fürbitte für Obrigkeiten, Feinde und alle Menschen die Gewissenhaftigkeit, in Beobachtung der gesellschaftlichen und der besondern Beziehungspflichten, und erhöhet meine Gesinnungen zur |c89| gemeinnützigsten Großmuth. Auch der Dank für das Gute, was mir durch die bürgerliche Gesellschaft von Gott zugetheilet wird, erleichtert die Mittragung der gemeinen Lasten, und macht mich willigerd61 jedem Landesgesetze /dgewissenhaftd\ gehorsam zu seyn.
Leider wird von den meisten Christen das Gebet für einen Frohndienst gehalten, und ist es auch gewöhnlich bey Her|b89|betung oder Lesung ohne Geist entworfnerd62 battologischer Formulare, es geschehe mit oder ohne Rosenkranz. Gute Gebetbücher, wodurch der gemeine Mann zu Selbstprüfungen und grössererad63 Dankbarkeit gegen Gott erweckt würde, sind noch sehr selten; es fehlet ihnen a64 an Popularität oder an der Kraft zu begeistern.
d1: gro|d77|ßena2: das öftere Bewußtwerden des großen Uebergewichts des Gutend3: empfiehltd4: welchead5: großead6: geäußerta7: wäred8: bekomplimentireta9: wolltea10: istad11: Moralität, (a) ; Moralität, (d)ad12: Gewissenhaftigkeitd13: Verhältnissea14: nimmtcd15: verstatten:d16: Augenblickea17: des Guten alle Realitäten, diecd18: dannad19: größerd20: Gefühled21: entweichen;a22: verschwindet,d23: Gute,a24: besitzed25: dannd26: reicha27: es mira28: d29: jemalsd30: genießed31: Beschlussecd32: ausgeübetd33: allerwirksamstea34: selbstd35: innerenad36: äußern (a) ; äußern (d)ad37: äußerenacd38: veranlaßt, (a) ; veranlaßt, (c d)acd39: veranlasset;d40: meinend41: Bestimmungend42: Gebeted43: Verhältnissed44: Verhältnissea45: Gottes,d46: welchea47: könntea48: begehen;d49: Gebeteacd50: feyerlichea51: handeln,a52: gestärktac53: kanncd54: Angesichtecd55: veranlassetad56: größererd57: umcd58: gewöhneta59: kannd60: verstärketd61: williger,d62: entworfenerad63: größerera64: entweder

|a83| §. 39.

Es ist wenigen Menschen, died1 nicht durch lange Uebungen dazu gewöhntcd2 worden sind, sich geistige Gegenstände blos im Verstande zu denken, möglich, scharfsinnige Beweise, dergleichen das wissenschaftliche Erkentniß der natürlichen Religion erfordert, einzusehen. Das Christenthum komta3 auch in dieser Beziehung dem Einfältigsten zu Hülfe, indem es die d4 Wahrheiten in sinnlicher und historischer Einkleidung darbietet. Dahin gehören vorzüglich nachfolgende Vorstellungen: |d80|
  • Gott ist in Christo gewesen, und hat sich uns nach seiner ganzen Denkartd5 gegen die Menschen sichtbar gemacht, Joh. 14, 6.a6 folg. K.cd7 12, 45. 2 Cor. 5, 19. /aDas Worta\a8 Gottes /a(ὁ λογος)a\, eben die Stimme, welche nach Mosis Erzählungen ehemals das Licht hervorgerufen, und überall Leben hervorgebracht hat, ist in menschlicher Gestalt gesehen, gehörtd9 und empfunden worden, Joh. 1, 1a10 f. /aK.d11 17, 8.a\ 1 Joh. 1, 1. Nun darf nur dem einfältigen Christen die Lebensgeschichte Jesu vorgelesen und erkläret werden, so leuchtet ihm sogleich die väterliche, nachsichtsvolle |c90| wohlthätige Menschenliebe Gottes in jeder Beziehung in die Augen.
  • Der geliebteste Sohn Gottes hat in sehr dürftigen Umständen, und unter beständigen Verfolgungen der Scheinheiligen, sein wohlthätiges und verdienstvolles Leben /cdhöchst mühseligcd\cd12 zugebracht, und ist von der gesunden Vernunft der Heiden zwar für unschuldig |b90| und tugendhaft cd13, von /ddem Konciliuma14d\d15 der Geistlichkeit aber als ein Gotteslästerer und Ketzer zu einem gewaltsamen schmerzhaften Tode verdamtad16 worden, und unter dem Spottd18 seiner Feinde gestorben: er ist aber nachher von Gott desto mehr erhöhet und belohnet worden. cd19 Hieraus wird auch dem schwächsten Verstande einleuchtend, |a84| der arme, geringe und unterdrückte Wahrheitsfreund nicht weniger von Gott geliebet werde, als der Reiche, Vornehme und Kirchengewaltige, und daß der Lohn der Tugend und Freimüthigkeita20 desto grösserad21 seyn werde, je mehr man darüber gelitten hat.
  • Christus hat sich selbst für die Menschen aufgeopfert, und Gott hat die Welt durch ihn mit sich ausgesöhntd22: folglich hat niemand mehr willkührliche Strafen wegen seiner Sünded23 zu besorgen;cd24 es bedarf keiner Opfer mehr, keiner Kasteyungen, keiner eignend25 Satisfaktionena26, sondern so bald der Mensch sich bessert, treffen ihn weiter keine Uebel, als die natürlichen übelnad27 Folgen seiner Vergehungen, die Gott nied28 aufhebt, sondern welche |d81| nur durch eignend29 Fleiß des Menschen nach und nach verringert werden können.
  • Christus ist am dritten Tage nach seinem Absterben wieder lebendig geworden, und mit seinen Schülern mehrere Tage hindurch umgegangen, und diese haben auf die Wahrheit dieser Begebenheit mit Freuden ihr Leben dahin gegeben. Es ist ungezweifelt, daß der Glaube an diese Begebenheit dem gemeinen Chri|c91|sten eine grösseread30 Gewißheit seiner künftigen Wiederauflebung giebt, als noch kein Philosoph sich durch die tiefsinnigste Demonstration hat verschaffen können.
Discd31 ist zur blossend32 Probe, wie überaus wohlthätig die Einkleidung der höheren Religionswahrheiten in Geschichtea33, besonders für den grossenad34 Haufen sey, um solche jedermanc35 leichter verständlich, anschauend und zuver|b91|lässigad36 zu machen/a, hinlänglicha\. Es ist fast kein theoretischer noch praktischer Satz von einigem erheblichen Einflußd37 auf die Beruhigung und Besserung des Gemüths, welcher nicht aus der Geschichte der heiligen Schriften der Christen ein besonderesa38, auch für die blödesten Augen schickliches Licht erhalten solte;acd39 so wie das ganze Leben Jesu dem Nach|a85|ahmungstriebe das höchste Muster der Vollkommenheit darbietet.
Unserea41 Kirche hat gegen die Römische eine solche Deutlichkeit der heiligen Schrift behauptet, daß jedermancd42 sie leicht zu verstehen vermögend sey. Man hat sich indes bald gezwungen gesehen, disd43 dahin einzuschränken, daß nicht perspicuitas sacrae /aa\a44 sed ordinata ad receptivitatem lectorum restricta verstanden werde, und diesd45 ist nun in thesi ganz richtig, aber in hypothesi nimta46 man die receptivitaet der gemeinen Christen gewöhnlich zu groß an. Ich will daher anrathen,a47 zur Verhütung der Schwärmerey, Ungelehrten selbst die Lebensgeschichte Jesu und noch mehr die apostolischen Briefe nicht ohne einige in ihren rechten Verstand zum lesen und durchdenken zu empfehlen.
d1: welchecd2: gewöhneta3: kommtd4: übersinnlichend5: Denkungsarta6: 9.cd7: Kap.a8: Der λογοςd9: gehöreta10: 1.d11: Kap.cd12: höchstmühseligcd13: erkläreta14: Conciliumd15: der Versammlungad16: verdammt (a) ; verdammt (d)ad17: verdammetd18: Spottecd19: Ph. 2, 5 f.a20: Freymüthigkeitad21: größerd22: ausgesöhnetd23: Sündencd24: besorgen:d25: eigenena26: Satisfactionenad27: üblend28: niemalsd29: eigenenad30: größerecd31: Diesesd32: bloßena33: Geschichtenad34: großenc35: jedermannad36: zuverläßigd37: Einflussea38: besondersacd39: sollte; (a) ; sollte; (c d)acd40: solte:a41: Unsrecd42: jedermannd43: diesesa44: scripturae absolutad45: diesesa46: nimmta47: anrathen

§. 40.

Um nun den gesamten /adausserordentlich grossen Effektad\ad1, welchen das Christenthum auf die Beförderung höherer |d82| Glückseligkeit unter einem Volke haben muß, so bald es für göttlich gehalten wird, auf einmal zu übersehen; dürfen wir nur die bisher erwiesenen einzelnen Wirkungen desselben zusammen nehmen. Es waren folgende: |c92|
  • Das Christenthum hebt durch /dseine höhere Autoritätd\d3 alle abergläubische Begriffe von willkührlichen Gesinnungena4 und Anforderungen der Gottheit, welche die richtige Wirkungen der Vernunft hindern, und das natürliche Gewissen verwirren, völlig auf, und erwecktd5 das eigeneac6 Nachdenken der Menschen zu Einsichten in ihr wahres gemeinschaftliches Wohl. /a§. 31. 32. a\ |b92|
  • Es trägt auf eine jedermand7 faßliche Art die vortreflichste und vollständigste Morald8 dergestalt vor, daß auch ein gemeiner Verstand sich in allen Fällen darnach richten /akan. §. 33. a\a9 |a86|
  • Es giebt den natürlichen Anweisungen der Vernunft zum moralischend10 Wohlverhalten eine höhere Autorität, indem es solche als göttlich geoffenbarte Gesetze vorträgt, von welchen in keinem Falld11 eine Ausnahme zu machen erlaubt ist, und verringert also die sonst so gewöhnlichen Ausnahmen von denselben. /a§. 34. a\
  • Es verstärktd12 alle natürliche Beweggründe derd13 Tugend ausnehmend, indem es eine genaue Aufsicht Gottes auf die Gesinnungen der Menschen lehrtd14, und vermehret solche durch a15 Beweggründe und Erweckung der Hofnungen zu ewigen übergrossenad16 Belohnungen. /a§. 35. a\
  • Es befördert die Einsicht in das Uebergewicht der guten Bestimmungen unsres Zustandes, indem es eine moralische väterliche Regierung versichert, durch welche alle scheinbare Uebel Mittel zur Vermehrung der Wohlfart der Tugendhaften werden. /a§. 36. a\
  • Es eröfnet die erfreulichsten Aussichten in einen unbegränzten immer fortgehenden Wachsthum der Vollkommenheiten, und vermindert dadurch das fürchterliche des natürlichen Todes und die daraus entstehende Kleinmüthigkeit. /a§. 37. a\ |d83|
  • Es befördert durch Empfehlung der Pflicht des Gebets das fortdaurende Bewußtseyn von dem wach|c93|senden Uebergewichtd17 unsrer guten Bestimmungen, erhöhet dadurch die /dmoralische Freuded\d18, und verstärktd19 jede tugendhafte Fertigkeit. /a§. 38. a\
  • Die /dhistorisched\ Einkleidung der allgemeinsten Vernunftcd20 und Religionswahrheiten d21, ist das vortreflichste Vehiculumd22 jedem zu abstrakten Nachdenken nicht aufgelegten Menschen Einsichten und Gewißheit von |b93| allen zur Weisheit und Glückseligkeit nöthigen Wahrheiten beyzubringen. /a§. 39. a\
|a87| Hieraus folgtd23 demnach, daß für die im Denken geübted24 Menschen die christliche Philosophie das vollständigste System der Anweisungen zur Glückseligkeit enthalte, zu welchen binnen 18 Jahrhunderten von der menschlichen Vernunft, so sehr sie seitdem kultivirtad25 wordend27, doch noch nichts neues oder besseres hat hinzugedacht, oder erfunden werden können; und daß die Einkleidung eben dieser Anweisungen in Geschichte für den grössernad28 Haufen der Menschen, der einzige und sicherste Weg sey, denselben höherea29 Weisheitslehren verständlich und gewiß zu machen.
Der Unterschied zwischen der Philosophie des Christenthums oder den eigentlichen Anweisungen desselben zur Glückseligkeit und zwischen dem in Geschichte eingekleideten Christenthumd30 ist überaus wichtig, und empfehle ich jungen Gottesgelehrten darüber nachzudenken[.]acd31 Es ist hier nicht der Ort, und vielleicht noch nicht die rechte Zeit solches /avölliga\ auszuführen. Wer nach dieser Erweckung zur Aufmerksamkeit darauf, es nicht selbst findet, für den würde ich auch vergeblich etwas mehreres darüber sagen.
ad1: außerordentlich großen Effect (a) ; außerordentlich großen Effect (d)ad2: außerordentlich großen Einflußd3: sein höheres Ansehena4: Gesinnungen,d5: erwecketac6: eigned7: jedermannd8: Sittenlehrea9: kann.d10: sittlichend11: Falled12: verstärketd13: zurd14: lehreta15: höheread16: übergroßend17: Uebergewichted18: moralischen Freudend19: verstärketcd20: Vernunft-d21: in Geschichted22: Hülfsmitteld23: folgetd24: geübtenad25: cultivirt (a) ; cultivirt (d)ad26: kultiviretd27: istad28: größerna29: höhernd30: Christenthumeacd31: nachzudenken.