|a192| |b207| |c207| |d187| |z1| Sechster Abschnitt.
System der Glückseligkeitslehre des Christenthums.

§. 80.

/aDurch die bisheriged1 Betrachtungen haben wir uns vorbereitet, die gesamte Glückseligkeitslehre des Christenthums im Zusammenhange zu übersehen. Im ersten Abschnittd2 bestimtenc3 wir den Begrifc4 von der menschlichen Glückseligkeit. Im zweitencd5 setzten wir die vortreflichen Anlagen, die in unsrencd6 natürlichen, innern und äussernd7 Bestimmungen zu höherer Glückseligkeit angetroffen werden, ins Licht. Im dritten suchten wir die Hindernisse zu entdecken, welche den Menschen bey ihrencd8 selbstthätigen Bestreben nach grössererd9 Wohlfart im Wege sind, und um welcher willen sie einer äussernd10 Hülfe bedürfen. Im vierten betrachteten wir die Lehre Christi in Beziehung auf die Bedürfnisse der Menschend11 und fanden, daß sie gerade diejenige Hülfe gewähre, welche zur Wegräumung der Hindernisse von aussend12 erforderlich ist. Im fünften Abschnittd13 untersuchten wir einige Lehren des gemeinen Kirchenvortrages, welche denkenden Leuten in unsernd14 Tagen /danstössig sind,c15d\d16 und sie abhalten die Hülfe, welche auch ihnen das reine Christenthum darbietet, zu benutzencd17 und cd18 fanden, daß siecd19 menschliche Zusätze sind, died20 auf mißverstandnencd21 Schriftstellen beruhen, und also von der christlichen Glückseligkeitslehre abgesondert werden können. Nun sind wir im Standedz22 die Anweisungen Christi zur Glückseligkeit, ohne Beymischung menschlicher Lehrmeinungen, in einem Grundrißd23 vorzulegen, woraus ihre genaue Zusammen|c208|stimmung |b208| |z2| unter einander und zu dem Zweckd24, uns seliger zu machen, deutlich ersehen werden kan. Dieser Grundriß ist blos für denkende Personen ein kleines vollständiges System, darin die |d188| Hauptwahrheiten ohne alle sinnliche Einkleidung dem Verstande vorgelegtcd25 werden: dagegen für den grossend26 Haufen, derd27 mehr mit der Einbildungskraft denktd28, freilich noch manches hinzukommen muß, um diesen geistigen Begriffen einige Haltung und sinnliche Unterstützung zu geben.
Ich will nun in diesem Abschnittd29 eigentlich zweierley zu liefern suchen:
1. Das kurze System der christlichen Philosophie oder Glückseligkeitslehre selbst, wie es unabhängig von Geschichte und ohne sinnliche Einkleidung erkant werden kan. Da es einen doppelten Weg giebt, sich von der Wahrheit und Göttlichkeit des Christenthums zu überzeugen; entweder, daß man bey der Geschichte anfängt und schließtcd30: wer ein grosserd31 Wunderthäter gewesen ist, dessen Vorträge müssen von Gott und also durchaus wahr und zuverlässig seyn; oder daß man von dem Lehrinhaltd32 ausgehet und folgert: wer den wahren Plan Gottes in der Natur und in seiner moralischen Regierung uns entdecktdz33, dessen Lehre ist von Gott, und dessen Lebensgeschichte verdientcd35 daher auch unsrez36 besondrecd37 Aufmerksamkeit: so will ich hier meinen denkenden Zeitverwandten, welche den ersten gemeinen Wegd38 aus eincd39 oder der andern Ursached40 nicht betreten können, den zweiten eröfnen und bahnen, nach Pauli Beyspiel 1 Cor. 9, 20–23.
2. Den Situationsplan der verschiedenen Denkarten und Vorerkentnisse der Juden und anderer Völker zu den Zeiten Christi und der Apostel in Absicht der Religion. So bald man hierüber deutliche Einsichten erlangtcd41, wird das ganze neue Testament durchaus verständlicherd42 und alle Zweifel, welche |b209| |c209| |z3| durch die endlosen Streitigkeiten der Theologen über so viele Lehrartikel des Christenthums veranlasset worden sind, verschwinden auf einmal. Man stelle sich nur vor, daß in eine glückliche Provinz Leute aus allerley Gegenden von Osten, Westen, Süden und Norden her geführtcd43 werden solten: ist es da wol möglichd44 Einen gemeinschaftlichen Weg für |d189| alle auszumitteln? Werden nicht mehrere Hauptstrassend45 und eine noch grössered46 Anzahl kleinere Wege und Fußsteige, died47 in die Hauptwege einleiten, angewiesen werden müssen, wenn jeder Kolonist, von seinem Wohnortd48 aus, nach dem Lande des Wohlergehens hingeführet werden soll.cdz49 Nun waren die Apostel solche Wegweiser, died50 unter allerley Völker ausgeschicktcd51 wurden, jedermann zu höherer Glückseligkeit in die christliche Kirche einzuführen. Sie mußtend52 also die Leute gleichsam in ihrer Heimat aufsuchenz53 oder mit ihren Anweisungen da anfangen, wo sich ihre Zuhörer und Leser nach ihrer verschiedenen Gemüthslage und Vorerkentnissen befanden; und wie Paulus sich ausdrückt, allen allerley werden, den Juden als Juden, den Griechen als Griechen erscheinen, um viele zu gewinnen. Denn überhaupt ist es doch nicht möglich, auf /cdandrecd\cd54 Art Verbesserung der Einsichten durch Unterricht zu veranlassen;cd55 als daß man die neuen Erkentnisse, died56 man erwecken und vergewissern will, aus Theilen des schon vorhandnencd57 Erkentnisses der Zuhörer zusammensetztd58 und mit Gründen, die von ihnen für ausgemacht wahr gehalten werden, beweiset. Wenn man nun die verschiedenen Principien und Theorien der gelehrten und ungelehrten Juden, Hellenisten und Griechen zu den Zeiten Christi unterscheidet, und sodannc59 darauf acht hat, für welche Klasse derselben jedes Evangelium und jeder Brief zunächst aufgesetztcd60 und bestimt worden, so lernet man aufs überzeugendste einsehen, daß im neuen Testamentd61, nicht, wie in der Kirche gewöhnlich angenommen worden, nur Ein Weg, sondern |c210| mehrere, ja |b210| |z4| eben so viele einzelne Wege, als es verschiednecd62 Gemüthslagen der damaligen ersten Leser gegeben hat, gebähnetcd63 worden sind, um allerley Leute von ihren Vorerkentnissen aus, zu höheren Religionseinsichten und einer glückseligern Gemüthsfassung zu bringen. Dieses ist nun der wahre Schlüssel zum richtigen Verstande cd64 des neuen Testaments: dagegen bey dem gemeinen Auslegungsgrundsatz der Glaubensähnlichkeit (analogiacd65 fidei), nach welcher alle Aussprüche der heiligen Schrift in allen Begriffen und |d190| Sätzen übereinstimmig erklärtcd66 werden sollen, gar vielen Stellen des neuen Testamentscd67 nothwendig Gewalt angethan werden muß, und die Streitigkeiten der Theologen darüber niemals geendigtcd68 werden können. Zwey Wege, died69 von verschiedenen Gegenden, von Osten und Westen her, auslaufen, können und müssen eine ganz entgegengesetzte Richtung haben, wenn sie beide richtige Wege seyn und am Ende in einem Mittelpunktd70 zusammentreffen sollen: eben so kan und muß ein und derselbe Satz in der einen Reihe von Vorstellungen bejahet und in einer andern Reihe verneinet werden, wenn am Ende aus beyden Reihen der Gedanken eben dasselbe Resultat der mehrern Gemüthsruhe und besserer Entschliessungend71 hervorgehen soll. Dieses alles wird meinen Lesern völlig verständlich und anschauend werden, wenn ich den Situationsplan der Denkartencd72 und Vorerkentnisse der Menschen zu Christi und der Apostel Zeiten, und die dadurch bestimte mannigfaltige Lehrarten der heiligen Schriftsteller ins Licht geseztzcd73 haben werde.a\
aNachdem in den vorhergehenden Abschnitten bereits ins Licht gesetzet worden ist, was eigentlich menschliche Glückseligkeit sey; was für Anlagen in unsrer Natur und Verhältnissen zu derselben angetroffen werden; durch welche Einschränkungen und Hindernisse eine äußere Hülfe unserm selbstthätigen Bestreben nach höhern Graden derselben nothwendig gemacht wird; und wie die Anweisungen der christlichen Lehre diese einzelnen Menschen und ganzen Nationen auf das vollkommenste darbieten; und nachdem nun auch im letztern Abschnitt die dem Christenthum beygemischten Hypothesen älterer und neuerer Gelehrten davon abgesondert und die daraus entstehenden Mißverständnisse gehoben worden sind: so läßet sich nun der Grundriß zu einem vollständigen System der Glückseligkeitslehre Jesu, wie solche in den Schriften der unmittelbaren Schüler desselben vorgetragen ist, ohne Schwierigkeit entwerfen. Ich verstehe unter einem System der christlichen Glückseligkeitslehre weiter nichts als einen solchen deutlichen, bestimmten und bündigen Vortrag, der dazu gehörigen Hauptwarheiten, durch welchen jederman in den Stand gesetzt wird, die Zusammenstimmung derselben unter einander und zu einem gemeinschaftlichen Zweck klar zu übersehen, und sich vermittelst dieser Uebereinstimmung, als dem Hauptmerkmal der Wahrheit, durch seinen eignen Verstand eine zur Annehmung und Befolgung derselben hinlängliche Ueberzeugung davon |a193| zu verschaffen. Ein solches System muß nach den verschiednen Bedürfnissen der Menschen auf eine doppelte Art entworfen werden, wenn man einer ganzen Nation im Fortgang zu höherer Wohlfart dadurch förderlich seyn will. Denn es hat nicht nur zu den Zeiten der Apostel eine zwiefache Gattung der Menschen gegeben, sondern giebt dergleichen auch in unsern Tagen; nemlich einige fragen nach Weisheit, andre wollen Zeichen und Wunder sehen, wenn sie glauben sollen.
  • 1. Unter denen, die nach Weisheit fragen, verstehe ich diejenigen, welche ihre Geisteskräfte so geübt haben, daß sie das wahre und falsche aus innern Merkmalen, und aus der Uebereinstimmung mit allgemeinen Begriffen zu beurtheilen die Fertigkeit haben, und welche daher bey dem Erkentniß der Religion aus innern von Autorität unabhänglichen Gründen überzeugt seyn wollen. Für diese ist es nöthig, ein System der christlichen Philosophie zu entwerfen, welches keine Geschichtswahrheiten voraussetzt, sondern durchaus in sich selbst, und auf allgemeine Vernunftwahrheiten gegründet ist.
  • 2. Unter die Classe derer, welche Zeichen und Wunder sehen müssen, wenn sie glauben sollen, gehört der große Haufe der Menschen, ja selbst viele von denen, die sich Gelehrte nennen; welche überhaupt wenig abstrakt, sondern größtentheils nur konkret, wenig deutlich sondern sinnlich, mehr durch die Einbildungskraft, als durch den Verstand vorzustellen und zu denken aufgelegt sind: welche nicht aus dem Zusammenhange allgemeiner Begriffe, sondern auf Autorität ihre Ueberredungen und Meinungen gründen, und durch Vorstellung einzelner Fälle und durch Erzählungen leichter als durch allgemeine Lehren zu klaren Sachbegriffen gelangen; wenn sie gleich sonst viel tiefsinnig scheinende Wörtererkentnisse bisweilen memorirt haben. Für |a194| diese ist zum Erkentniß und zur Ueberzeugung von den höhern Verstandeswahrheiten der Religion eine Einkleidung derselben in Geschichte nothwendig, theils weil ihnen hierdurch die Vorstellung derselben konkreter dargeboten werden, und die Einbildungskraft etwas hat, woran sie sich halten kann: theils weil bey Leuten die auf Autorität mehr als auf eigne Vernunftschlüsse bauen, und also nur durch Glauben im logischen Verstande, ihre Einsichten aufsamlen; die Geschichte der natürlichste Gegenstand des Glaubens ist, als wobey alles auf der Autorität der Zeugnisse beruhet. Für diesen ungleich größern und daher respectabelen Theil jeder Nation muß daher die Glückseligkeitslehre des Christenthums in Geschichte eingekleidet und eine Art des historischen Systems davon aufgeführet werden.a
z(NB. §. 81 bis 86. bleiben nach der ersten Ausgabe unverändert.)z
d1: bisherigend2: Abschnittec3: bestimmtenc4: Begriffcd5: zweytencd6: unsernd7: äußerncd8: ihremd9: größererd10: äußernd11: Menschen,d12: außend13: Abschnitted14: unsrenc15: sindd16: anstößig sindcd17: benutzen;cd18: wircd19: esd20: welchecd21: mißverstandenendz22: Stande,d23: Grundrissed24: Zweckecd25: vorgelegetd26: großend27: welcherd28: denketd29: Abschnittecd30: schließetd31: großerd32: Lehrinhaltedz33: entdecket (d) ; entdecket (z)dz34: entdektcd35: verdienetz36: unserecd37: besondered38: Weg,cd39: einerd40: Ursache,cd41: erlangetd42: verständlicher,cd43: geführetd44: möglich,d45: Hauptstraßend46: größered47: welched48: Wohnortecdz49: soll?d50: welchecd51: ausgeschicketd52: musstenz53: aufsuchen,cd54: eine anderecd55: veranlassen,d56: welchecd57: vorhandenend58: zusammensetzetc59: so danncd60: aufgesetzetd61: Testamentecd62: verschiedenecd63: gebahnetcd64: der Schriftencd65: analogiaecd66: erkläretcd67: Testamentescd68: geendigetd69: welched70: Mittelpunkted71: Entschließungencd72: Denkungsartenzcd73: gesetzt (z) ; gesetzt (c d)zcd74: gesetzet

§. 81.

Als ein Grundriß zu einem vollständigen Systemd1 über die Philosophie des Christenthums kana2 folgender kurzer Vortrag der Hauptwahrheiten der Lehre Jesu angesehen werden:
  • 1. Gott, der Urheber dieser ganzen vorhandnencd3 Welt und aller darin befindlichen Dingecd4 ist ein Geist von |b211| |c211| dem allerhöchsten und vollkommensten Verstande. In ihm wechseln nicht wie bey uns klare und dunkle Vorstellungen ab, sondern alles ist vor ihm beständig helle, das Gegenwärtige, das Vergangnecd5 und das Zukünftige,a6 nach allen seinen Theilen und Beziehungen derselben gegen einander. Sein Charaktera7 ist die großmüthigste und uneigennützigste Güte; denn da er selbst die Quelle alles Guten ist und nichts bedarf, so findet er blos sein Vergnügen darin, ausserad8 sich empfindsame Wesen hervorzubringen und ihnen wohlzuthuna9. Da cd10 Gottes Güte durch den vollkommensten Verstand |a195| in ihren Er|d191|weisungen geleitet und durch eine allgewaltige Kraft, der nichts widerstehen kana11, /dunterstütztc12 wird;d\d13 so ist sie die heiligste gerechteste Güte, deren Wirkungena14 durchaus die besten und vollkommensten, so wol für das Ganzea15 als für jeden Theil desselben,a16 sind. Die scheinbaren Uebel in der Welt entstehen aus den nothwendigen Schranken alles endlichen, welches an sich keiner unendlichen Vollkommenheit empfänglich ist. Und wie in einem grossenad17 Hause nicht alle Gefässead18 zu einem gleich edlen /dGebrauch bestimtac19d\d21, oder am menschlichen Körper nicht alle Glieder Augen seyn können; aus dieser Mannigfaltigkeit der Theile aber die Vollkommenheit des Ganzen erwächstd22: so entstehtcd23 auch aus den verschiednencd24 Arten und Graden der Gabena25, welche Gott einzelnen Naturen zugetheiltcd26 hat, eine weit grösseread27 Vollkommenheit und Glückseligkeit durch die allgemeine Zusammenstimmung der verschiedenen Wirkungen aller einzelnen kleinend28 und grössernad29 Kräfte der endlichen Dinge. Aber wir stehen nicht auf einem so erhabenen Standpunkteacd30 aus welchem wir die ganze Stadt Gottesa32 übersehen und die Folgen aller Veränderungen Jahrtausende hindurch in ihrem Zusammenhange durchschauen köntena33. Jedes Kind findet an den weisesten und wohlthätigsten Maaßregelncd34 seines |b212| Vaters |c212| vieles zu tadeln, es verehret sie aber dankbar, so bald es ein Mann wird;a35 wir sind jetzt im Alter der Kindheit,acd36 Apostg. 17, 24 f. Joh. 4, 24. Jak. 1, 17. 1 Tim. 6, 15 f. 1 Cor. 12, /d14 folgg.d\d37 K. 13, 9 undd38 12.
  • 2.
    Da Gott alle Naturen der Dinge eingerichtet, die Grade ihrer Kräfte bestimta39, die Gesetze ihrer Thätigkeit festgestelltcd40, und sie in diejenigena41 Verhältnisse gegen einander gesetztcd42 hat, nach welchen sie auf einander wirken, und die ganze Folge dieser gegenseitigen Wirkungen regelmässigacd43 ununterbrochen fortgehet: so kana44 er mit ohnfehlbarer Gewißheit alle Veränderungen der Geisterd45 |a196| und Körperwelt voraus übersehen,a46 und daher geschieheta47 nichts in der Welt ohne sein Vorherwissen und cd48 Genehmigung. Es giebt demnach eine göttliche Vorsehung, |d192| vermöge welcher nicht nur für alle Gattungen der Wesen, sondern /aaucha\ für jedes einzelne Geschöpf und alle desselben kleinste Bestimmungen und Veränderungen dergestalt im voraus gesorgtcd49 ist, daß alles zu desselben möglichstencd50 Besten in Absicht der ganzen Zeit seiner Dauer a51, und mitwirkt. Ueberall läßtcd52 sich auch keine Erhaltung, Ordnungc54 und Regierung eines aus vielen einzelnen Theilen zusammengesetzten Ganzen ohne Aufsicht und Fürsorge für alle einzelne Theile, woraus das Ganze bestehet,a55 denken; /dindemc56 werd\d57 zum Beyspielcd58 für die Gebäude einer Stadt sorgen soll, unmöglich anders die Erhaltung der Stadt überhaupt bewirken kana60, als in so fernd61 einzelne Haus und dessen einzelne Theile das nöthige veranstaltet. Die allgemeine Fürsorge eines Königes für eine Armee würde ohne allen Erfolg seyn, wenn nicht durch die Menge der untergeordneten Befehlshaber für jeden einzelnen Soldaten Sorge getragen würde, daß jedercd62 seine Nahrung, Kleidung, Quartier und /cdseinen täglich angewiesenencd\cd63 Posten /cderhielte,a65cd\cd66 Matth. 6, 25a67 f. K. 10, 29 f.
    |b213| |c213| (Ob Gott bey Versorgung und Regierung der Welten sich erhabner Geister zu Geschäftsträgern bediene, so wie er zur Beförderung der äussernad68 Wohlfart der Völkercd69 Fürsten, Unterobrigkeiten und Väter geordnet hat, läßtcd70 sich aus dem Unterrichtcd71 Christi, der sich nach den Vorstellungen seiner Zuhörer zum öftern gerichtet hat, nicht mit Gewißheit entscheiden,cd72 indem die Juden bereits Schutzgeister glaubten, Matth. 18, 10. wenigstens wird /cdescd\ nirgends /cdzu einem Lehrpunktecd\cd73 der christlichen Religion gemacht. Gewiß cd74 ist, daß Gott nicht aus Bedürfniß untergeordnete Mittelspersonen anzustellen nöthig hat, cd75 und es /cdalsocd\ aucha77 kei|a197|ner Obrigkeita78 bedürfte, wenn Gott unmittelbar unscd79 regieren wolteac80. Es hat ihm aber, wie die Erfahrung lehret, gefallen, daß Menschen von Menschen versorgt, unterrichtet und regieret werden sollen; und also ist es analogisch gedenkbar, daß er auch Unterregenten ganzer Weltkörper und Sonnensysteme angestellet /ahaben könne. Man muss gestehena\a81, daß sich kein erhabneres und seligeres Geschäftea82 und keine fruchtbarern Gelegenheiten,a83 Geisteskräfte und göttliche Tugenden zu üben,a84 für Geister höherer Ordnungen gedenken lassen, als wenn a85 ihnen /aGott vergönnete,a\a86 Werk|d193|zeuge seiner Regierung über ganze Menschengeschlechter und Geisterfamilien zu seyn. Hierdurch würde zugleich ein allgemeinerercd87 Zusammenhang des Geisterreichs nach dem wahrscheinlichen Stufengefolge der vernünfgenacd88 Wesen ersichtlich;acd89 und für thätige zur Aehnlichkeit mit Gott hinanstrebende Menschenfreunde,a90 eine Aussicht zu dereinstigen sich immer erweiternden Umkreisen ihrer Wirksamkeit und Wohlthätigkeit eröfnet. Allein diese Hypothese ist nicht für Seelenmenschen, die allzu leicht auf abergläubische Einbildungen von Erscheinungen und Eingebungen der Schutzgeister |c214| und cd91 allerley Schwärmereya92 verfallen würden, und daher soll |b214| discd93 nur hier für die Studierstube der Gelehrten hingeschrieben seyn.)
  • 3. Damit der Mensch alles von Gott ihm vorbereitete Gute im vollesten Maaßeac94 geniessed96, und seines Lebens möglichst froh werde, ist nun nichts weiter nöthig, als daß er durch die Ueberzeugung, daß alle Verfügungen Gottes überhaupt, und in Absicht unsrer eignen Person insonderheit unverbesserlich gut sind, sich zuvörderst zu einer gänzlichen Zufriedenheit mit seinem gegenwärtigen Zustande und zum getrosten Muthd97 in Absicht der Zukunft erwecke, und alle von ihm selbst nicht abhängende Veränderungen seiner Tage der Einrichtung einer höhernd98 Weisheit mit völliger Beruhigung |a198| in ihren vortheilhaften Ausgang überlasse: hiernächst aber auch den Plan Gottes und alle Regeln der Ordnung desselben genehmige, und geneigt werde, dieselben ohne Ausnahme zu befolgen. Da nun der allgemeine Vater allen Menschen gleich wohlwilla99, und es sein Plan ist, daß keiner sich selbst eine merkliche Wohlfart ohne Beyhülfe andrerd100 Menschen verschaffen kana101; so ist der wahre Wegd102 a103 dankbare Liebe gegen Gott an den Tag zu legen, und zugleich sich die größte gesellschaftliche Wohlfart zu verschaffen, daß man allen Menschen aufrichtig wohlwolle, mit ihren Fehlern Nachsicht habe, ihnen mit Achtung, Dienstbeflissenheit und Freundschaftsbezeugungend104 zuvorkomme, und also mit Gott zu einem Zweckd105 wirke. Hiervon ist nun der nächste Erfolg, daß man in sich selbst von aller Unruhe und Erniedrigung, welche aus Falschheit, Ver|d194|stellung, Neid und andern ungeselligen menschenfeindlichen Neigungen entstehet, frey bleibt;acd106 sich in sich selbst bey edlen wohlthätigen Gesinnungen groß und achtungswerth fühlt;a108 und bey diesem heitern mit sich selbst zufriednencd109 Herzen zu allen Freuden des Lebens weit auf|c215|gelegter, und selbst gegen sinnliche Eindrücke des ange|b215|nehmend110 und schönend111 /aina\ der Natur ungleich empfindsamer istd112. Eben so belohnend sind die weitern natürlichen Folgen dieser göttlichen Denkartcd113, indem alle mit uns in Verbindung stehende Menschen, vermöge der allgemeinen Begehrungsgesetze, denjenigen, welcher ihnen wohlwill und mit Achtung und /aLiebeserweisungen zuvorkomtd114a\a115, gegenseitig wohlwollencd116 und schätzen; dem, welcher ihre Fehler entschuldiget, gern wieder Schwachheiten übersehen, /cdund ihn vertheidigen,a117cd\ und Diensterweisungen mit Gegendiensten erwiedern. So bald aber /cdein Menschcd\cd118 durch edle Menschenliebe a119 Feinde, Neider und Spötter entwafnet, und sich eine allgemeine Achtung und Zutrauen durch Rechtschaffenheita120 und warme Theilnehmung an dem /dWohl andrerd\d121 verdienetac122 hat, so ist er in derjenigen Lage, darind123 ihm die größte Summe des ihm nach seinem Standpunktea124 nur möglichen Guten in dem reichlichsten Maaßeac125 von allen Seiten zu theil wird. So entsteheta127 aus religiösen Gesinnungen wahred128 allgemeine und feste Tugend, und aus dieser immer wachsende Wohlfart und Seligkeit,acd129 Matth. 22, 37 f. K. 6, 12. K. 5, 44 f. Röm. 12, 10. 1 Joh. 4, 16. 20. 21. Matth. 5, 5 f.
  • 4. Wenn der Mensch stirbt, so wird blos das Werkzeug seiner bisherigen äussernad131 Empfindungen und seiner Wirksamkeit auf die Körperwelt abgeändert. Die gröbern fremden Theile, welche unsernd133 ursprünglichen /cdSchematismuscd\cd134 angeschwängert und ausgedehnet haben, werden aufgelöstc135 und wieder abgesondert, um in das Pflanzend136 und Thierreich zurück zu kehren, aus welchem wir sie zu unsrer Nahrung entlehntcd137 hatten. So wie ein Samenkorn erstirbta138 und verweset, und doch der darin enthaltene Keim eben hierdurch zu seiner neuen Ent|d195|wickelung geschickt gemacht wird;a139 so soll auch nach der /dZerstörungc140 unsersd\d141 groben Körpers, der |c216| darin schon liegende Grundstof zu einem neuen Em|b216|pfindungswerkzeuge eine weitere Ausbildung erhalten. Wie nun die Anschwängerung des Grundkeims zu dem gegenwärtigen Körper,a142 durch die Erzeugung von unsernd143 Aeltern, denselben zu einem geschickten Werkzeuge cd144 gemacht hat, viele Erkentnissea145 von /aaussend146 einzusamlen,a\a147 und auf die uns umgebende gröbern Körper zu wirken; so wird die abermalige neue Entwickelung und Anschwängerung desselben uns in den Stand setzen,a148 auf eine leichtere und ausgebreitetere Art Erkentnisse einzusamlen und mit mehrerer Schnellkraft c149 /däusserlicha150d\d151 thätig zu seyn. Die Beschaffenheit unsrer Empfindungen in einer andern Art des Körpers, läßtcd152 sich von uns schlechterdings noch nicht vor|a200|stellig machen. Ein Blindgeborner kana153, wenn man ihm auch noch so vielea154 Beschreibungen vom Lichtd155 und von der Empfindung des Sehens vortrüge, doch niemals einen Begrif von dieser Sinnesart bekommen: und es kana156 daher noch unzählichad157 viele Sinnesarten geben, davon sich keine Idee /dformiren läßtd\d158, so lange man noch nichts a159 ähnliches selbst empfunden hat. Wir müssen uns daher an das allgemeine halten, welches darin bestehtcd160, daß die unleugbared161 /aausserordentlich cd162a\a164 Anlagen des Menschen zu einer mannigfaltigen Vollkommenheit, die sich im gegenwärtigen Zustande nur sehr wenig,a165 und cd166 bey den vorzüglichsten Menschen oft nur von einer Seite merklich ausgebildet haben, vermittelst der nächstkünftigen Organe sich schneller und ausgebreiteter entwickeln werden. Hieraus fliessetad167 nun, daß /cdunser künftiger Schematismuscd\cd169 theils unsre geistige Selbstthätigkeit weniger einschränken, sondern mehr unterstützen, a170 theils /aaucha\ zu einer grössernd171 Mannigfaltigkeit und höhern Intension der angenehmen Empfindungen /cdaufgelegtcd\cd172 seyn wird,acd173 1 Cor. 15, 35 f. 2 Cor. 5, 1 f.
    |c217| |d196| Ich lese 2 Cor. 5, 3. mit dem Mill, welcher die Richtigkeit dieser Lesart erweiset, εκδυσαμενοι, anstatt in unsern ge|b217|wöhnlichen Ausgaben ενδυσαμενοι gelesen wird, und übersetze diese Stelle: /ddennc175 auchd\d176 wenn wir von diesem groben Körper entkleidet sind, werden wir nicht ganz nackend erscheinen; so daß mir der Verstand zu seyn scheinet: unser Geist wird nicht ganz von allem körperlichen entblößtcd177, wenn wir sterben, sondern bleibtcd178 noch von /cdeinemcd\ feinen /cdorganischen Schematismuscd\cd179 umgeben, welchercd180 nachher eine weitere Ausbildung überkomtacd181.
  • 5. Die nächstkünftige Scene unsrercd183 Thätigkeit ist eine ganz eigentliche Fortsetzung des gegenwärtigen Lebens. Wir behalten unsre Persönlichkeit und bleiben uns deutlich bewußt, was wir hier empfunden, gedacht und |a201| gethan haben. Es werden daher durch den Tod nur diejenigen Folgen unsrer Handlungen unterbrochen, died184 sich /dblosd\ auf den groben Körper und dessen Lage gegen die äussernacd185 Dinge beziehen. Krankheiten, Kerker und Bande, äusseresad188 Geld und Gut nimta189 keiner in jenen Zustand mit sich hinüber. Aber die den innern Menschen selbst betreffended190 Bestimmungen der Denkartcd191 und der moralischen Fertigkeitacd192 ändert das Sterben nicht ab. Wer hier sinnlichen Eindrücken nachgehangen und sich nicht mit Ueberlegung und nach allgemeinen Regeln der Ordnung zu handeln gewöhntcd193 hat, der nimta194 diese Schwäche des Geistes mit sich hinüber, und wird auch in jedem andern Körper zunächst von der Sinnlichkeit beherrschtc195 werden. Wer mit habitueller Unzufriedenheit über die allgemeine Ordnung der Dinge, mit fürchterlichen Begriffen von Gott, mit neidischen, stolzen, unverträglichena196 und überhaupt /amita\ menschenfeindlichen Gesinnungen dieses Leben /averläßt;cd197 kana\a199 unmöglich blos durch den natürlichen Tod zu einer bessern Denkartcd200 umgeschaffen werden, und wird in jedem andern Körper und Zustande in sich selbst unruhig und zu gesellschaftlicher Glückseligkeit ungeschickt seyn. |c218| Denket man sich nun ferner, daß im nächstkünftigen Zu|b218|stande alle Menschen, nicht nur die mit uns zu gleicher Zeit gelebtcd201 haben, sondern auch die vor uns verstorben sind und nach uns folgen /cdwerdencd\, |d197| sich mit uns wieder in einer allgemeinen gesellschaftlichen Verbindung befinden werden, in welcherd202 nach der Analogie der gegenwärtigen Verbindung, ein gegenseitiger Einflußa203 der Gesinnungen und d204 Dienstbeflissenheit, wahrscheinlich auch eine mannigfaltige Subordination oder Verschiedenheit der Standpunkte und Beziehungen,a205 statt finden werden;acd206 so lässet sich aufs deutlichste einsehen, wie alle hier unterbrochenea208 Folgen guter und böserc209 Handlungen, oder alle natürliche Be|a202|lohnungen und Strafen der Tugend und des Lasters sich völlig äussernad210 werden. Dort wird es sich aufklären, wer hier ein verkappter Bösewicht oder ein rechtschaffener Mann gewesen ist; dort werden so vielea211 Geheimnisse der Bosheit entdeckt werden, die hier verborgen geblieben sind; dort wird so manche stille That der Rechtschaffenheit kund werden, died212 hier unbemerkt und unbelohntcd213 geblieben ist; und eben die Folgen, welche mit dergleichen Entdeckungen hier verknüpft sind, müssen es der Natur der Dinge nach auch dort auf eine noch ausgebreitetere Art seyn. Gedemüthiget, tief erniedrigeta214 wird der stolze entlarvte Heuchler dort sich vor der heitern in sich erhabenen Unschuld derer, died215 er hier verketzerte und unterdrückte, verkriechen: aber dankbare Hochachtung, Vertrauen, Lob und Dienstbeflissenheit aller vollendeten Edlen werden die /ahier unerkant gebliebenena\a216 Verdienste der stillen und wohlthätigen Redlichkeit in dem vollesten Maaßcd217 belohnen. Und hiermit löseta218 sich denna219 das sonst unerklärbare Räthsel auf, wie der Urheber der Natur, derd220 durch alle übrige in uns gelegte Triebe sichtbarlich unser eignes Wohl befördert, in die besten und thätigsten Seelen |c219| den sonst betrüglich scheinenden Trieb zum Nachruhmd221, |b219| ohne Verletzung der väterlichen und heiligsten Güte gepflanztcd222 haben könne. Ist kein andres Leben,a223 und ist dasselbe nicht eine Fortsetzung des gegenwärtigen, so ist der Trieb zum Nachruhmd224 ein betrügerisches Gift, welches der Welt die edelsten nützlichsten Menschen frühzeitig entzieht,a225 und diesen Rechtschafnend226 selbst ihr verdienstvolles Leben ohne |d198| Ersatz und Belohnung verkürzt,ad227 1 Cor. 15, 19. 30 f. Stehet uns aber ein weiteres Leben bevor, das sich zu dem gegenwärtigen, wie das männliche Leben zum Leben der Kindheit,a229 wie die Erndte zur Saat verhält; so löset sich alles in Harmonie zum Preisseacd230 der Gottheit auf. Gesetzt, wir würden jetzt in die Versamlung |a203| der vor uns Verstorbenena232 versetzt, nach wem würden wir zuerst fragen? Gewiß nach denen, die uns hier Wohlthaten erwiesen haben, und unter unsern Bekantena233 die Verdienstvollsten /cdgewesen;a234cd\cd235 und sodanna236 nach denen, welche uns aus der Geschichte als vorzügliche Männer und Wohlthäter des ganzen menschlichen Geschlechts oder des Vaterlandes angerühmtd237 worden sind. Schon vorbereitet,a238 sie hochzuachten,a239 würden wir mit dankbarer Verehrung ihnen unsre ganze Freundschaft, ganze Dienstbeflissenheit entgegen tragen. Welche Glückseligkeit, die Folgen unsrer wohlthätigend240 verdienstvollen Handlungen sich Jahrhunderte hindurch nach unsermd241 Tode über viele tausende zum Segen verbreitet zu wissen,cd242 und von allen Nachkommen Bewunderung, Dank und Ergebenheit einzuerndtenc243! Welche Aufmunterung zur Rechtschaffenheit, zur uneigennützigen , zum Fleißd244 in unserm /cdBeruf, bietet einecd\cd245 solche Aussichtcd246 dar! Endlich lässet sich schon nach der Analogie erwarten, daßcd247 so wie hier ein jeder, der in einem niedrigen Posten Fleiß und Treue beweiset, in jedem wohleingerichteten Staatcd248 zu höhernd249 Bedienungen er|c220|hoben wird; eben so in der künftigen Gesellschaft ein |b220| jeder,a250 nach dem Maassead251 seiner hier durch Uebung erlangten Fertigkeiten im Guten, Vorzüge vor andern und einen /agrössernd253 Umkreisa\a254 seiner Thätigkeit erhalten müsse. Diesesa255 alles hat Christus und Paulus schon ganz eigentlich gelehret,a256 Matth. 25, 21. 31 f. K. 5.ad257 11. Röm. 1, 6.ad258 f. 1 Cor. 4, 5.
d1: Systemea2: kanncd3: vorhandenencd4: Dinge,cd5: Vergangenea6: Zukünftigea7: Characterad8: außera9: wohl zuthuncd10: fernera11: kannc12: unterstützetd13: unterstützet wird,a14: Wirkunga15: Ganze,a16: desselbenad17: großenad18: Gefäßeac19: bestimmt (a) ; bestimmt (c)ac20: bestimmetd21: Gebrauche bestimmetd22: erwächsetcd23: entstehetcd24: verschiedenena25: Realitätencd26: zugetheiletad27: größered28: kleinernad29: größernacd30: Standpunkt, (a) ; Standpunkt, (c d)acd31: Standpunkte,a32: GOttesa33: könntencd34: Maasregelna35: wird,acd36: Kindheit.d37: 14. folg.d38: u.a39: bestimmtcd40: festgestelleta41: diejenigecd42: gesetzetacd43: regelmäßiga44: kannd45: Geister-a46: übersehena47: geschiehtcd48: ohne seinecd49: gesorgetcd50: möglichstema51: abzieltcd52: läßet (c) ; läßet (d)cd53: lässetc54: Ordnung,a55: bestehetc56: indem,d57: indem, wer,cd58: Beyspiele (c) ; Beyspiele (d)cd59: Beyspiele,a60: kannd61: fernecd62: jedemcd63: sein eigener tägliche (c) ; sein eigener tägliche (d)cd64: sein eigener täglicheracd65: erhielte. (a) ; erhielte. (c d)acd66: besonders angewiesen würde.a67: 25.ad68: äußerncd69: Völker,cd70: lässetcd71: Unterrichtecd72: entscheiden;cd73: daraus ein Lehrpunktcd74: abercd75: um für alle Geschöpfe, und für jedes insonderheit zu sorgen (c) ; um für alle Geschöpfe, und für jedes insonderheit zu sorgen (d)cd76: um für alle Geschöpfe, und für jedes insonderheit zu sorgen,a77: an sicha78: Obrigkeitencd79: die Menschenac80: wolltea81: hat. Gewiß ista82: Geschäfta83: Gelegenheitena84: übena85: Gotta86: vergönntecd87: allgemeineracd88: vernünftigenacd89: ersichtlich,a90: Menschenfreundecd91: aufa92: Schwärmereyencd93: diesesac94: Maaß (a) ; Maaß (c)ac95: Maassed96: genießed97: Muthed98: höherena99: wohl willd100: anderera101: kannd102: Weg,a103: seined104: Freundschaftsbezeigungend105: Zweckeacd106: bleibt, (a) ; bleibt, (c d)acd107: bleibet;a108: fühlt,cd109: zufriedenend110: Angenehmend111: Schönend112: wirdcd113: Gemüthsartd114: zuvorkommta115: Liebeserweisung zuvorkommtcd116: begünstigena117: vertheidigen;cd118: der Christa119: allea120: Rechtschaffen|a199|heit,d121: Wohle andererac122: verdientd123: in welchera124: Standpunktac125: Maaß (a) ; Maaß (c)ac126: Maassea127: entstehtd128: wahre,acd129: Seligkeit (a) ; Seligkeit (c d)acd130: Seligkeit.ad131: äußern (a) ; äußern (d)ad132: äußerend133: unsrencd134: feinen Grundkörperc135: aufgelößtd136: Pflanzen-cd137: entlehneta138: erstirbt,a139: wird,c140: Zerstöhrungd141: Zerstöhrung unsresa142: Körperd143: unsrencd144: für uns, als Erdenbewohnera145: Erkentnisse,d146: außena147: außen einzusamlena148: setzenc149: in künftigen Scenen des Daseynsa150: äußerlichd151: in künftigen Scenen des äußerlichcd152: lässeta153: kanna154: vield155: Lichtea156: kannad157: unzähligd158: bilden lässeta159: demcd160: bestehetd161: unleugbarencd162: grossen (c) ; grossen (d)cd163: großena164: außerordentlich grossea165: wenigcd166: selbstad167: fließt (a) ; fließt (d)ad168: fließetcd169: unsre künftige Sinneswerkzeugea170: undd171: größerncd172: fähig und geschicktacd173: wird. (a) ; wird. (c d)acd174: werden.c175: dannd176: dann auch,cd177: entblößetcd178: er bleibetcd179: Organencd180: welcheacd181: überkommt (a) ; überkommt (c d)acd182: überkommencd183: unsererd184: welcheacd185: äußern (a) ; äußern (c) ; äußern (d)acd186: äusseren (c) ; äusseren (d)acd187: äußerenad188: äußeresa189: nimmtd190: betreffendencd191: Denkungsartacd192: Fertigkeitencd193: gewöhneta194: nimmtc195: beherrscheta196: unverträglichen,cd197: verläßt, (c) ; verläßt, (d)cd198: verlässt,a199: verläßt, kanncd200: Gemüthsartcd201: gelebetd202: welcher,a203: Einfluß,d204: dera205: Beziehungenacd206: werden, (a) ; werden, (c d)acd207: wird;a208: unterbrochnec209: bösserad210: äußerna211: vield212: welchecd213: unbelohneta214: erniedriget,d215: welchea216: unerkanntencd217: Maaßea218: lösta219: dannd220: welcherd221: Nachruhmecd222: gepflanzeta223: Lebend224: Nachruhmea225: entziehtd226: Rechtschaffenenad227: verkürzt. (a) ; verkürzt. (d)ad228: verkürzet,a229: Kindheit;acd230: Preiße (a) ; Preiße (c d)acd231: Preisea232: verstorbenena233: Bekanntenacd234: gewesen, (a) ; gewesen, (c d)acd235: gewesen sind:a236: alsdannd237: angerühmeta238: vorbereiteta239: hochzuachtend240: wohlthätigen,d241: unsremcd242: wissenc243: einzuärndtend244: Fleißecd245: Berufe, bietencd246: Aussichtencd247: daß,cd248: Staated249: höherena250: jederad251: Maaß (a) ; Maaß (d)ad252: Maaßed253: größerna254: größern Umkreißa255: Diesa256: gelehret.ad257: 5,ad258: 6

§. 82.

Der vorhergehende Paragraph enthielta1 eine ausführlichea2 Vorstellung des Ausspruchscd3 Christi: Gott über alles |d199| und seinen Nächsten als sich selbst zu lieben, macht Menschen hier und in alle Ewigkeit vollkommeneracd4, glücklicher, seliger: und disd6 ist der ganze /awesentlichea\ Inhalt aller göttlichen Offenbarungen oder Anweisungen zur Glückseligkeit; |a204| die ganze praktische Philosophie des Christenthums,acd7 Matth. 22, 37–40. Luc. 12, 25 f. Nun ist noch /adie Philosophie der heiligen Schrift über die Hülfsmittel,a\a9 durch deren Gebrauch der Mensch zu dieser beseligenden Gemüthsfassunga10 und Denkartcd11 gelangen, und solche in sich unterhalten und befestigen kana12, kürzlich vorzutragen. Hieher gehörtd13:
  • 1. Der Mensch komta14 ohne Erkentnisse zur Welt und samlet seine Begriffe durch die Sinne ein: er würde daher ganz sinnlich zu denken und zu handeln fortfahren, wenn er nicht durch Unterricht zu geistigeren und allgemeinen Einsichten, und dadurch zu höheren moralischen Gesinnungen erwecktd15 /awürde, Joh. 3, 6.a\a16 Die göttliche Vorsehung hat in Absicht einzelner Menschen durch die Erzeugung derselben von Aeltern, died17 schon im Gebrauchcd18 der Vernunft stehen, für die ersten Erweckungen der Verstandskräftecd19 und cd20 Moralität gesorgtcd21, und in Absicht ganzer Nationen veranstaltet, daß von Zeit zu Zeit Männer von vorzüglichen Talenten, von einem edlen Enthusiasmus, von einem göttlichen Geistcd22 angetrieben werden, ihre Zeitverwandtencd24 nach Maaß|b221||c221|gabe der schon durch die Geschäfte des Lebens vergrössertenad25 Empfänglichkeit mit hellern Einsichten und edlern Gesinnungen zu beglücken. Damit aber dergleichen höhere Erleuchtungen nicht wieder verschwinden, sondern eine fortdaurende und allgemeinerea26 wohlthätige Aufklärung einer Nation dadurch befördert werde, ist nöthig, theils daß einige Personen dazu ausgesondert und bestellet werden, welche die Lehren der Weisheit aufbewahrencd27 und sich üben,a28 dieselbe jedermanna29 verständlich und überzeugend vorzutragen; theils daß schickliche Oerter und Zeitena30 zu allgemeinen Versamlungen festgesetztc31 werden, damit das Volk unterrichtet und zur Besserung der Gesinnungen und je|d200|der Tugend ermuntert werden könne,a32 Apostelg. 17, 26 f. |a205| Ebr. 1, 1. (Tit. 1, 12.) Col. 3, 16. 2 Cor. 5, 18. 20. Ebr. 10, 23. 25.
  • 2. Da unser Körper einen immerwährenden Einfluß auf die Vorstellungen unserer Seele hat,a33 und dieselbe theils schwächet theils verstärket, nachdem die sinlichenacd34 Bewegungen in demselben mit dem, was wir denken,a35 harmoniren oder disharmoniren: so sind bezeichnende Handlungen, welche die Sinne beschäftigen, ungemein wirksame Hülfsmittel,a36 der Zerstreuung vorzubeugen und in ernsthafte höhere Betrachtungen des Verstandes eine grösseread37 Intension und Leben zu bringen. Es ist daher sehr nützlichd38 in Versamlungen des Volks feierliche Handlungen und Gebräuche zu veranstalten, welche zu eben dem Zweckea39 durch die Sinne zu wirken geschickt sind, zu welchem der Unterricht selbst abzieleta40. So ist es zum Beyspield41 eine ungemein schickliche und wirksame Feierlichkeit, wenn ein erwachsener Mensch bey der Aufnahme in die Gemeine der Christen ganz unter das Wasser getaucht und nachher mit neuen Kleidern angethan ward, um es ihm und den Zuschauern eindrücklich zu machen, daßd42 um ein wah|b222||c222|rer Christ zu werden, ein Mensch allen vorigen abergläubischen und lasterhaften Grundsätzen absterben, und zu einem neuen Leben, welches sich durch Reinigkeit der Gesinnungen und des Wandels vom vorigen unterschiede, hervorgehen müsse. Die blossed43 Benetzung des Hauptesa44 mit Wasser, welche in den kältern Abendländern jetzt üblich ist, soll ebenfals die Reinigkeit und Rechtschaffenheit, zu welcher der Christ berufen wird, /asinnlich bezeichnena\a45. Eben so ist der gemeinschaftliche Genuß von einem in der Gemeine ausgetheilten Brodt eine sehr zweckmässigead46 Feierlichkeit, um die Gemeinschaft der Christen unter einander /cdzu bezeichnencd\cd47, vermöge deren sich jeder als ein Glied eines ganzenad48 durch einen cd50 Geist/cd, (den christlichen Geistcd\ der Recht|a206|schaffenheit und Liebe)cd51 beseelten Körpersd52 betrachten, und sich zu der aufrichtigsten Theilnehmungc53 an seiner Mitglieder Wohl, zur thätigsten Beförderung des |d201| gemeinsamen Besten, erweckt finden soll. Auf gleiche Art war das Herumgeben eines mit Wein angefülltend54 Bechers in den Versamlungen der Christen,cd55 den Gebräuchen der Juden und Heiden bey ihren Gedächtniß- und Opfermahlzeiten entgegen gesetzt. Wer aus diesem Becher trank, bekantea56 dadurch feierlicha57 seine Ueberzeugung, daß kein /dBlutvergiessen und eigne Büssung,a58d\d59 um Gott zu versöhnen, nöthig sey, sondern daß jedem sich aufrichtig bessernden Sünder alle Strafen ohne Genungthuunga60 erlassen würden; und die feierlichea61 Handlung geschahe zugleich zum dankbaren Andenken an den Stifter dieser erfreulichen Lehre und an /adessen freiwilligencd62a\a63 blutigen Tod, womit er a64 seine eigene Ueberzeugung davon, unda65 die Hofnunga66 eines künftigen glückseligen Lebens versiegelt hatte,a67 Röm. 6, 3 f. Gal. 3, 27. 1 Cor. 12, 12a68 f. K. 10, 15–21.
  • 3. Eine feierlichea69 Ueberdenkung unsresa70 gesamten Zustandes in Beziehung auf Gott und cd71 das Ganze ist über|b223||c223|haupt das unter dem Namen des Gebets so oft in der Schrift empfohlne natürliche Mittel, uns weise, ruhig und getrost zu machen. Das Dankgebet ist die umständliche und lebhafte Vorstellung des mannigfaltigen Guten in unsrenac72 Bestimmungen, Verhältnissen und Erwartungen, wodurch Zufriedenheit mit unsrer Lage und Genehmigung des ganzen Plansd73 der Vorsicht, und standhafter Muth für die Zukunft natürlich hervorgebracht wird. Das Gebet in engerer Bedeutung begreift die Selbstprüfung unsrer Gesinnungen nach den allgemeinen Regeln der Ordnung,a74 und die Fassung edler Vorsätzed75 dem Vater der Welt wohlgefällig und ähnlich zu denken und zu /cdhandeln.cd\cd76 Die Bitte ist das |a207| aus Erkentniß der gegenwärtigen und bevorstehenden Bedürfnisse entstehende Verlangen nach allerley Guten vom Vater der Welt, wodurch der Gedanke, alles,a78 was mir begegnet, ist Schickung höherer väterlicher Weisheit, habituell gemacht und hierdurch das Gemüth zur weisen Benutzung der angenehmen Tage, und zu geduldiger und standhaf|d202|ter Ertragung unvermeidlicher Uebel geneigt gemacht und dazu gestärket wird. Die Fürbitte für alle Menschen, besonders für Obrigkeitena79 und für Feinde ist das natürliche Mittel sich durch Beweggründe zur willigen Erfüllung aller Pflichten des gesellschaftlichen Lebens aufzumuntern. Gute Andachtsbücher sind cd80 nützlich, wenncd81 sie als Vorbereitungen zu Selbstbetrachtungen /cdin Absicht auf Gott odercd\cd82 zum /cdeigentlichen Gebet,cd\cd83 mit Nachdenken gelesen werden. Formulare sind bey gemeinschaftlichen Gebeten nöthig um eine Uebereinstimmung der Anbetenden in ihren Gesinnungen und Ausdrücken zu veranlassen,a85 Ph. 4, 6. 1 Thess. 5, 17. 18. Matth. 6, 5a86 f. Matth. 7, 7a87 f. 1 Tim. 2, 1 f.
a1: enthälta2: ausführlicherecd3: Ausspruchesacd4: vollkommen (a) ; vollkommen (c d)acd5: vollkomnerd6: diesesacd7: Christenthums (a) ; Christenthums (c d)acd8: Christenthums.a9: die Philosophie der heiligen Schrift über die Hülfsmittela10: Gemüthfassungcd11: Denkungsarta12: kannd13: gehöreta14: kommtd15: erwecketa16: würde.d17: welchecd18: Gebrauchecd19: Verstandeskräftecd20: dercd21: gesorgetcd22: Geiste (c) ; Geiste (d)cd23: Geiste,cd24: Zeitverwandtead25: vergrößertena26: allgemeinecd27: aufbewahren,a28: übena29: jedermana30: Zeiten,c31: festgesetzeta32: könne.a33: hatacd34: sinnlichena35: denkena36: Hülfsmittelad37: größered38: nützlich,a39: Zwecka40: abzieltd41: Beyspieled42: daß,d43: bloßea44: Hauptsa45: characterisirenad46: zweckmäßigecd47: anzudeutenad48: Ganzen (a) ; Ganzen (d)ad49: ganzen,cd50: gemeinschaftlichencd51: Liebed52: Körpers,c53: Theilnemungd54: angefülletencd55: Christena56: bekanntea57: feyerlicha58: Büssungd59: Blutvergießen noch eigene Büßung,a60: Genugthuunga61: feyerlichecd62: freywilligena63: den freywilligena64: dieselbe unda65: so wiea66: Hoffnunga67: hatte:a68: 12.a69: feyerlichea70: unserscd71: aufac72: unsernd73: Planesa74: Ordnungd75: Vorsätze,cd76: handeln in sich. (c) ; handeln in sich. (d)cd77: handeln, in sich.a78: allesa79: Obrigkeiten,cd80: nurcd81: insoferncd82: undcd83: eignen Gebet (c) ; eignen Gebet (d)cd84: eignen Gebetea85: veranlassen.a86: 5.a87: 7.

|b224| |c224| §. 83.

Die mehresten erwachsenen Menschen benutzen ihr Leben nur immer als Mittel, niemals als Zweck. Sie arbeiten fortgesetzt für die Zukunft um dereinst sich glücklich zu wissen, aber niemals komta1 der Zeitpunkt, darincd2 sie nun recht mit Bewußtseyn die Früchte ihres /aFleissesd3 genössena\a4 und sich glücklich fühlten. Das Leben wird meistens in Hofnungena5 verträumetcd6. Es ist daher eine sehr wohlthätige Veranstaltung für ein Volk, wenn zwischen mehreren Arbeitstagen ein Feiertaga7 angeordnet ist, welcher den gewöhnlichen Kreislaufa8 der mühsamen Geschäfte hemta9, und die arbeitsamen Menschen zur Erholung und /dGenußd\d10 der Früchte ihres Fleissesad11 einladet. Gott einen Tag heiligen heißt,acd12 aus mehreren Tagen, an |a208| welchen man cd13 die /cdMittel, den Bedürfnissen diesescd\cd14 Lebens /cdabzuhelfen, herbeyzuschaffen /asuchta\a15cd\cd16, einen aussondern und dazu widmen, sich deutlich, umständlich und anschauend des ganzen /cdWerthscd\cd17 seines Daseyns, des ganzen Umfangesa18 der Wohlthätigkeit Gottes bewußt zu werden. Die Ruhe von /cdbeschwerlicher Arbeitcd\cd19, der Genuß besserer Speisen und Getränked20 und der mehrere Kleiderputz reizen zur Geselligkeit und Fröhligkeitacd21; und schon hierdurch wird bey Leuten, welche ihre tägliche grobe Arbeiten ganz unempfindsam machen würden, die Menschlichkeit unterhalten, und ein |d203| stärkerd22 Gefühl für Sitten erweckt,acd23 Marc. 2, 27. Zur höherncd24 Feiera25 eines Tages, an welchem es uns erlaubt ist,a26 mehr uns selbst als andern zu leben, gehörtd27 nun vornemlich die ruhige Ueberdenkung unsresa28 gesamten Zustandes. Bey den täglich fortgehenden Geschäften kommen wir selten völlig zu uns selbst;cd29 selten werden wir veranlaßtd30, den ganzen Umfang des Guten,a31 was wir besitzen, schon erarbeiteta32 haben und noch cd33 hoffen, uns ausführlich klar zu machen, und daher sind wir auch so selten recht zufrieden, weil blos die äussernad34 kleinen Veränderungen unsre Aufmerksamkeit be|b225||c225|schäftigen,a35 und das immer vorhandnecd36 Gute /cdgar nicht beahndetcd\cd37 wird. Indes sind auch wenigea38 Menschen dazu aufgelegt, dergleichen Betrachtungen von selbst in sich zu veranlassen, und gehörig fortzusetzen. Wenn aber an solchen Tagen zugleich öffentliche Vorträge gehalten werden, welche uns auf den Werth dieses Lebens aufmerksam machen;a39 das viele sich uns darbietende mannigfaltige Gute ins Licht setzen;a40 Gründe zu den schönsten und erhabensten Hofnungena41 darbieten und vergewissern; alle gesellige edle Triebe und Gesinnungen beleben;a42 und uns neue Aussichten in eine fruchtbarere Benutzung unsresa43 Lebens eröfnen:a44 ja denncd45 werden diese Tage wahre Feste für uns, an welchen wir uns zu höheren Staffeln |a209| der Glückseligkeit empor gehoben fühlen. Personen von tiefen und ausgebreiteten Einsichten können /dfreilicha46 vonc47d\d48 den meisten /cdöffentlichen Lehrern wenigcd\cd49 neue Aufschlüsse /d/coderc\c50 grösseresa51d\d52 Licht,ac53 als sie selbst schon besitzen,a54 erwarten: allein da die Erfahrung lehret, daß viele gute Erkentnisse /cdbey unscd\cd55 lange Zeit hindurch in der Seele gleichsam schlafen, so dienet /cddochcd\ sicherlich jeder öffentliche Religionsvortrag dazu, uns an allgemeine praktische Wahrheiten zu erinnern und cd56 Betrachtungen, auf die wir sonst,a57 wenigstens vorietzt,ad58 nicht gekommen seyn würden, in uns zu veranlassen. Redet der Lehrer des Volks cd60 aus warmen Herzen, so trägeta61 /cddis a62 vielcd\cd63 zur Belebunga64 edler Gesinnungen cd65 bey. Hiernächst aber ist die Beywohnung einer öffentlichen Versamlung cd66 mit dem unausbleiblichen Vortheilcd68 ver|d204|knüpft, daß es uns bey der gemeinschaftlichena69 Anbetung der Gottheit sinnlich klärer und eindrücklicher wird, wie alle Menschen bey aller Verschiedenheit der Talente, der Neigungend70, der Stände, der Geschäfte des Lebensa71 und /cdandrer /aäusserera\cd\cd72 Verhältnissea74 doch sämtlich als Kinder Gottes von /agleicher innern Würdea\a75 und /agleich erhabener Bestimmunga\a76 sind; und wie die Mannigfaltig|c226|keit ihres /cdäusserna77 Berufscd\cd78 sie sämtlich zu |b226| nutzbaren Gliedern eines grossenad79 Körpers /cdmacht, welchecd\cd80 daher auchcd81 als unsre Mitglieder /cdunser ganzes Wohlwollencd\cd82 und /cdalle thätige Hülfsleistungen von unscd\cd84 verdienen. Wie viele Beförderung wahrer Glückseligkeit köntena86 unsre öffentliche Religionsübungen bewirken, wenn alles bey denselben zweckmässigad87 nach Maaßgabec88 der Kultura89 der Einwohner jeglichen Ortscd90 eingerichtet würde! Ebr. 10, 25. 1 Cor. 14 besonders v. 26. K. 12, 4 f.
a1: kommtcd2: darinnend3: Fleißesa4: Fleißes genößena5: Hoffnungencd6: verträumta7: Feyertaga8: Kreißlaufa9: hemmtd10: zum Genussead11: Fleißesacd12: heißtcd13: fürcd14: Bedürfnisse desa15: bemühet istcd16: sorget und arbeitetcd17: Werthesa18: Umfangscd19: beschwerlichen Geschäftend20: Getränke,acd21: Fröhlichkeitd22: stärkeresacd23: erweckt.cd24: höherena25: Feyera26: istd27: gehöreta28: unserscd29: selbst,d30: veranlasseta31: Gutena32: verarbeitetcd33: zu erlangenad34: äußerna35: beschäftigencd36: vorhandenecd37: zu wenig überdacht und nach Würden geschätzeta38: weniga39: machen,a40: setzen,a41: Hoffnungena42: beleben,a43: unsersa44: eröfnen,cd45: danna46: freylichc47: ausd48: freylich auscd49: Predigten wederc50: noch eina51: größeresd52: noch ein größeresac53: Lichta54: besitzencd55: oftcd56: wichtigea57: sonstad58: vorjezt (a) ; vorjezt (d)ad59: vorjetzt,cd60: hierbeya61: trägta62: oftcd63: dieses aucha64: Belebungcd65: nicht wenigcd66: iedesmal (c) ; iedesmal (d)cd67: jedesmalcd68: Vortheilea69: gemeinschaftlichend70: Neigunga71: Lebens,cd72: der übrigen äussern (c) ; der übrigen äussern (d)cd73: der übrigen äußerna74: Bestimmungen,a75: gleicher innern Würdea76: gleich erhabener Bestimmunga77: äußerncd78: ihres Berufesad79: großencd80: mache,cd81: siecd82: durchgängig geschätzet und zu unserm eignen Besten geliebt (c) ; durchgängig geschätzet und zu unserm eignen Besten geliebt (d)cd83: durchgängig geschätzet und zu unsrem eignen Besten geliebtcd84: unterstützt zu werden (c) ; unterstützt zu werden (d)cd85: unterstützet zu werdena86: könntenad87: zweckmäßigc88: Maßgabea89: Culturcd90: Ortes

§. 84.

Aus diesem mit wenigena1 Grundstrichen entworfenen Plancd2 der christlichen Philosophie ist nun die Wahrheit und Göttlichkeit der Lehre Jesu auch unabhängig von der |a210| Geschichte seines Lebens ersichtlich. Das eigentliche innred3 Merkmal der Wahrheit für denkende Leute ist die Uebereinstimmung einer Lehre in allen ihren Theilen untereinander, mit allen ohnstreitigen Vernunftwahrheitencd4 und mit den unverwerflichsten Erfahrungen. Diese allgemeine Zusammenstimmung findet bey dem Systemcd5 der christlichen Glückseligkeitslehre so augenscheinlich statt, daß jeder aufgeklärte Menschenverstand ohne Hülfe einiger Schulgelehrsamkeit dieselbe deutlich ersehen kana6.
1. Es ist nichts unnatürliches, nichts überspanntes, nichts,a7 was mich nöthigte mir unnatürlichen Zwang anzuthun oder meine Selbstliebe zu verleugnen, in der christlichen Weisheitslehre. Ich soll Gott erkennen, verehren, lieben,a8 nicht um seinetwillen, sondern damit ich selbst ruhiger, zufriedner, getroster werde und in mir die Geneigtheit alle Regeln der Ordnung gern zu beobachten aus der Ueber|d205|zeugunga9 entstehe, daß diese Ordnung auch in Absicht auf mich unverbesserlich gut und die vortheilhafteste sey. Ich soll alle Menschen wie mich selbst lieben, auch Feinden Gutesa10 thun; auch da großmüthige Wohlthätigkeit zeigen, wo ich nicht absehen kana11, daß es mir von Menschen vergolten werden möchte; ja selbst mein Leben |b227| |c227| soll ich für Brüder und Mitbürger lassen, wenn dadurch die allgemeine Wohlfart befördert werden kana12: aber nicht mit Kränkung meiner Selbstliebe; nicht aus Schwärmerey;a13 sondern mit voller Vernunft und deutlicher Einsicht, daß ich dabey nichts verliere, mich nicht um andrer Willen gänzlich auf immer aufopfere, sondern daß disd14 mich unausbleiblich höherer Glückseligkeit empfänglich macht; aus Ueberzeugung von dem heiligsten und vollkommensten Plancd15 der moralischen Regierung Gottes, nach welchem ich von den uneigennützigsten Handlungen den allergrößten und dauerhaftesten Nutzen sicherlich erwarten kana16. Wie sehr /derhebtc17 disd\d18 die christliche Philosophie über die stoische, wie /dviel mehrd\d19 Vernunft ist |a211| hierin, d20 wie viel sichtbarer stimta21 dieses mit den Grundtrieben unsrer Natur überein! Ich soll nach Preisa22 und Ehre und unsterblichem Ruhmea23 trachten, nicht als nach einem leeren,a24 nach meinem Tode mich schlechthin nicht mehr beglückenden Schalld25 meines Namens bey der Nachwelt, sondern aus der Ueberzeugung, daß in einem noch bevorstehenden vollkomnernad26 gesellschaftlichen Leben alle natürliche Folgen der grössernad28 Hochachtung, Dankbarkeit und Dienstbeflissenheit meiner gewesenen Zeitverwandten und der Nachwelt mich reela29 beglücken werden. Daher soll ich nicht nach eitler Ehre geizena30, nicht blos scheinen wollen,ac31 gut zu seyn und zu handeln, sondern zuvörderst nach der Ehre bey Gott streben; das ist, ich soll in meinen innern Gesinnungen, in meinen geheimsten Gedanken, die nur der Allwissende siehet, rechtschaffen,a32 edel, wohlthätig und a33 wahrhaftig ehrwürdig zu seyn trachten, weil ich nur dadurch allein überall so handeln werde, daß ewige Ehre mein Lohn seyn kan;a34 dagegen alle Gleisnerey bey den weitern Aufklärungen a35 in jenem andern Leben Schimpf und Verachtung erzeugen wird. |d206| Ich soll hier von den Gütern dieser Erde, die ich besitze, den Dürftigen reichlich mittheilen;a36 nicht um es mir zu entziehen,a37 sondern |b228| |c228| weil dieses das einzige Mittel ist, diese Güter, die im Tode zurückbleiben, in ein besseres Leben hinüber zu retten: indem ich nicht nur acd38 die Verehrung und Liebe derer, welchen ich wohlthue, geniessed40, sondern /aaucha\ in ihren dankbaren Gesinnungen einen Schatz in jener neuen Verbindung der Menschen wieder finde, wo sie mir sehr reichlich durch Gegendienste und Freundschaftsbezeugungen alles zu vergelten im Stande seyn werden, was ich hier zu ihrem Besten gethan /ahabe,cd41 Luc. 16, 9. 1 Tim. 6, 18. 19. Matth. 25, 34–40.a\a42
Wer von meinen Lesern fühlet nicht, wie sehr diese Vorstellungen und Motiven das menschliche Herz zu jeder edlena43 und liebreichen Gesinnung beleben können? Wera44 siehet nicht, wie Christen bey Befolgungd45 solcher Grundsätze |a212| nothwendig /asicha\ überall a46 einen Himmel bereiten werden, wo sie sich in einer Gesellschaft vereint befinden?a47 und wer kana48 noch zweifeln, daß jedem Staatcd49 daran gelegen seyn müsse, die christliche Philosophie und Denkartcd50 durch alle Stände und Familien /cdzucd\cd51 verbreitencd52?
2. Die wahre Vorbereitung zum künftigen Leben nach dem Tode bestehet in der weisesten und fruchtbarsten Benutzung des gegenwärtigen. Der Christ darf hier nichts um Gottes oder der Ewigkeit willen thun, nichts aufopfern oder sich entziehen, was er nicht schon nach gesunder Vernunft,a53 zu seiner gegenwärtigen gesellschaftlichen Wohlfart zu thun,a54 für nützlich /aerkennen mußa\a55. Er unterscheidet sich demnach voncd56 Unchristen blos durch die grösseread57 Allgemeinheit und Erhabenheit der Beweggründe und die erfreulicherna58 Aussichten in vortheilhafte Folgen seiner Verdienste ins Unendlichea59. Hier ist also abermals der vollkommenste Zusammenhangd60 und /adie genauestea\ Zusammenstimmung, das /aächtea\ Merkmal der Göttlichkeit des Plans: die Aussichten in jenes Leben ermuntern zur bessern Benutzung des gegenwärtigen, und der |c229| vollstecd61 Genuß dieses Lebens vergrössertad62 unsre Empfäng|b229|lich|d207|keit zu höherncd63 Graden der Glückseligkeit imacd64 künftigencd66. So erhellet demnach, daß christliche Tugend nichts anders als die Fertigkeit sey, seines Daseyns in allen Lagen, darin man sich immer befinden mag, möglichst froh zu werden; denn sie erwächstcd67 aus deutlicher Einsicht in den gesamten Plan der moralischen Regierung des allervollkommensten Wesens.
3. Da die menschliche Glückseligkeit, wie im ersten Abschnittd68 erwiesen worden, im herrschenden Bewußtseyn des wachsenden Uebergewichtscd69 der Vollkommenheiten unsresa70 gesamten Zustandes über die Unvollkommenheiten desselben bestehet, so ist nun zugleich offenbar, wie das System der christlichen Philosophie die vollkommenste Glückseligkeitslehre sey: denn |a213|
  • a) da alle von uns nicht abhängende Bestimmungen unsres Zustandes von der vollkommensten Güte und Weisheit eingerichtet werden, so sind sie,a71 im Zusammenhangea72 und in Beziehung auf unsre ganze Dauer,a73 unfehlbare Mittel unsre höhere Wohlfart zu befördern. Dem Verstande /ades Christena\ erscheintcd74 daher keine /aäussered75 Bestimmung,a\a76 bey Ueberdenkung seinesa77 gesamten Zustandes,a78 als wahres bleibendes Uebel;a79 und die bald /dvorübergehende unangenehmed\d80 Empfindungen /ades Körpersa\a81 sind uns allemal erträglich und werden freiwilligad82 übernommen, so bald unsre Vernunft sie als Mittel cd83 einera84 dauerhafterncd85 Verbesserung unsres Zustandes erkennet. Folglich ist eine herrschende Vorstellung von dem /dgrossena86 Uebergewichtc87d\d88 des Guten in unsrema89 Zustande über das Böse dem Christen möglich und leicht, und er kana90 daher eine beständige Zufriedenheit geniessend91.
  • b) Da uns eine ganz unbegrenztea92 Aussicht in einen fortgehenden Wachsthum von Wohlfart und höherer Glückseligkeit eröfnet wird, so fälltcd93 alles,a94 was bey Ueberdenkung unsrer ganzen Bestimmung in Absicht der |c230| Zukunft uns nothwendig kleinmüthig und niederge|b230|schlagen machen muß, gänzlich hinweg;a95 und der König der Schrecken, |d208| der so furchtbare Tod, ist für uns ein göttlicher Bote, der uns in seligere Scenen hinüberführt. Der Christ kana96 also bey Ueberdenkung der ganzen Zukunft seine Zufriedenheit behalten; ja sie wird eben durch dieselbe aufscd97 stärkste erhöhetcd98.
  • c) Da der Christ eine ganz vollkomnea99 moralische Regierung Gottes erkennet, vermöge welcher jede gute Handlung ihn nicht nur innerlich vollkomnera100 macht, sondern auch dereinst äusseread101 vortheilhafte Folgen für ihn haben muß, wenn solche gleich zunächst in diesem Leben gehemmeta102 und unterbrochen würdena103; so hängtc104 ein beständiger Wachsthum seiner Vollkommenheiten von ihm selbst ab. Da nun überdisd105 gute Hand|a214|lungen auch schon hier in den meisten Fällen den äussernad106 Zustand verbessern, so erhellet,a107 wie bey einer wahrhaftig christlichen Denkungsart ein /cdimmer fortgehendercd\cd108 täglicher Wachsthum des Uebergewichtscd109 des Gutena110 in unsern gesamten Bestimmungen,a111 folglich immer höhere moralische Glückseligkeit erfolgen müsse.
  • d) Das System des Christenthums ist so vollkommen, daß alle einzelne Theile sich in ihrer Wirksamkeit zum Zweckcd112 durchaus unterstützen. Je mehr sich dem Menschen die Vollkommenheitena113 der göttlichen Güte und Weisheit aufklärena114, desto ruhiger wird er unmittelbar,a115 und desto geneigter sich in den Plan Gottes zu schicken; bey der hieraus entstehenden Heiterkeit des Gemüths ist er aufgelegter,a116 das viele Gute in seinem Zustande zu bemerkena117 und es frölich zu geniessend118. Dieser vollere Genuß des Guten verstärket rückwärts die lebhaftere Vorstellung der wohlthätigen Gesinnungen Gottes gegen uns,a119 und diese belebtcd120 aufs neue die dankbare Liebe und Betriebsamkeit,a121 ihm wohlgefällig zu denken und zu handeln. Durch das Bewußtseyn |b231| |c231| solcher Gesinnungen und durch jede Handlung der Rechtschaffenheit wird in unsa122 das Vertrauen zu Gott und der getroste Muth vermehret: und indem die meisten Handlungen der aufrichtigen Menschenliebe auch den |d209| äussernad123 Zustand verbessern, so vermehren diese Erfahrungen /atäglicha\ die Geneigtheit unser Glück a124 durch /ddie Bemühungend\d125 Gott in allema126 ähnlich zu denken und zu handeln, das ist,a127 durch die thätigste rechtschaffenste Menschenliebe und /adiea\ Beobachtung aller Regeln der Ordnung zu bauen. So multipliciren sich alle religiöse Bestrebungen des Christen in sich selbst zu einem immerfort wachsenden Resultat höherer Glückseligkeit.
Und nun will ich diese Entwickelungcd128 des wesentlichen in der Philosophie des Christenthums noch durch eine sehr wichtige Bemerkung beschliessen. Es sind unleugbar nun |a215| schon beynahe volle 18 Jahrhunderte verflossen, seitdem Christus zuerst diese Glückseligkeitslehre, im Gegensatzd129 der abergläubischen, unmoralischen und ängstlichen Gottesdienstlichkeita130 der Juden und Heiden, und auch im Gegensatzcd131 der überspannten und doch sehr unvollständigen Tugendlehren der alten Philosophen vorgetragen hat. In dieser geraumen Zeit ist bis auf den heutigen Tag,acd132 aller mehreren Kultura133 der menschlichen Vernunft und alles tiefsinnigen Nachdenkens so vieler Gelehrten ohnerachtet, doch noch nicht ein einziger Satz gefunden worden, welcher uns mehr Zufriedenheit, mehr Geneigtheit zur Tugend, mehr Muth und /aHofnungen einflössend134 köntea\a135, als die Wahrheiten, died136 Christus schon versichert hat. Alle so hoch berühmte Entdeckungen in der Metaphysik und natürlichen Religion sind doch genau betrachtet nichts anders,a137 als endlich nach /alangem Suchena\a138 in der Natur der Dinge entdeckte Gründe und Prämissen zu den Wahrheiten, welche Christus so viele Jahrhunderte vorher schon deutlich ohne alle Schulgelehrsamkeit |b232| mit der erhabensten Simplicität vorgetragen hat. Sol|c232|tea139 diese unleugbare Geschichtswahrheit nicht die Aufmerksamkeit aller denkenden Männer verdienen? Soltea140 sie nicht jedem das Geständniß abnöthigen, daß der Unterricht Christi,cd141 und die Ausbreitung seiner Lehre in der Welt nicht nur unter die größten, sondern auch unter die ausserordentlichstenad142 Wohlthaten gehöre, womit Gott je das menschliche Geschlecht gesegnet hat?a143
a1: wenigcd2: Planed3: innerecd4: Vernunftwahrheiten,cd5: Systemea6: kanna7: nichtsa8: liebena9: Ueberlegunga10: gutesa11: kanna12: kanna13: Schwärmerey,d14: diesescd15: Planea16: kannc17: erhebetd18: erhebet diesesd19: vielmehrd20: unda21: stimmta22: Preißa23: Ruhma24: leerend25: Schallead26: vollkommnern (a) ; vollkommnern (d)ad27: vollkomnerenad28: größerna29: reella30: geitzenac31: wollena32: rechtschaffena33: alsoa34: kann,a35: dieses Lebens,a36: mittheilen,a37: entziehen;acd38: hier (a) ; hier (c d)acd39: hier sogleichd40: genießecd41: habe.a42: habe.a43: edelna44: werd45: Verfolgunga46: sicha47: befinden,a48: kanncd49: Staatecd50: Denkungsartcd51: zur Begründung der dauerhaftesten allgemeinen Wohlfartcd52: zu lassena53: Vernunfta54: thuna55: erkennetcd56: vomad57: größerea58: erfreulichena59: unendliched60: Zusammenhang,cd61: vollestead62: vergrößertcd63: höherenacd64: des (a) ; des (c d)acd65: in dercd66: Weltcd67: erwächsetd68: Abschnittecd69: Uebergewichtesa70: unsersa71: siea72: Zusammenhanga73: Dauercd74: erscheinetd75: äußerea76: äußere Bestimmunga77: desa78: Zustandesa79: Uebel,d80: vorübergehenden unangenehmena81: durch die Sinne,ad82: freywilligcd83: zua84: dercd85: dauerhafterena86: großenc87: Uebergewichted88: großen Uebergewichtea89: unserma90: kannd91: genießena92: unbegränztecd93: fälleta94: allesa95: hinweg,a96: kanncd97: auf dascd98: erhöhta99: vollkommnea100: vollkommnerad101: äußerea102: gehemmet,a103: werdenc104: hängetd105: überdiesad106: äußerna107: erhelletcd108: immerfortgehendercd109: Uebergewichtesa110: gutena111: Bestimmungencd112: Zweckea113: Vollkommenheita114: aufklärta115: unmittelbara116: aufgelegta117: bemerken,d118: genießena119: unscd120: belebeta121: Betriebsamkeita122: ihmad123: äußerna124: lediglichd125: das Bestreben,a126: allena127: istcd128: Entwickelungend129: Gegensatzea130: Gottesdienstlichkeitencd131: Gegensatzeacd132: Taga133: Culturd134: einflößena135: Hoffnungen einflößen könnted136: welchea137: andersa138: langen Suchen,a139: Solltea140: Solltecd141: Christiad142: außerordentlichstena143: hat!

|d210| §. 85.

Die Einkleidung der Glückseligkeitslehre in Geschichte ist das schicklichste Mittel,a1 dencd2 ungleich /dgrösserna3 Theild\d4 der Menschen, derd5 nur sinnlich zu denken gewohnt ist, von transcendentend6 Begriffen und allgemeinen Vernunftwahrheiten klare,a7 gewisse und praktische Erkentnisse beyzubringen.c8 Die ersten Schüler Jesu hatten zu ihren Le|a216|sern ein Volk,a9 zu dessen Denkartc10 sie sich herablassen mußten, wenn sie es bessern woltenac11; und es war nothwendig, daß sie alle schon habende Erkentnisse desselben möglichst benutzten, um eine grösseread12 Aufklärung nach und nach zu bewirken. Der gewöhnlichste Fehler, welchen die Gottesgelehrten bey den Auslegungen der apostolischen Schriften begehen, ist, daß sie solche als allgemeine Abhandlungen oder Traktatea13 betrachten, welche zum Unterrichtd14 des menschlichen Geschlechts überhaupt aufgesetztcd15 wären; da solche doch offenbar zunächst nur für besondre zum Theild17 namentlich bemerkte Oerter und einzelne Personend18 und in Beziehung auf Lokalumstände und herrschendea19 Sitten und Vorurtheile abgefaßtd20 worden sind. Alles wird verständlich und klar, so bald man die einzige allgemeine Regel der Auslegungskunst beobachtet, daß man sich ganz in die Situationd21 und Erkentnissed22 der ersten Leser hineindenken und alsdennd23 das, was diese bey den apostolischen Vorträgen natürlich haben denken können und sollen, als den einzigen hermeneutisch richtigen Sinn an|b233|nehmen muß. Um nun meine Leser in den Stand zu setzen, die /averschiedned24 Lehrartena\a25 der Neutestamentischen |c233| Schriften richtig zu beurtheilenc26 und zu unterscheiden, was aus der historischen Einkleidung nur für /adamalige Lesera\a27, und was davon noch für unser Volk nützlich istd28, will ich so viel von der Geschichte der Religion unter den Menschen und Israeliten vortragen, als zu solchema29 Zweckcd30 hinreichend seyn wird.
a1: Mittelcd2: dema3: größernd4: größeren Theiled5: welcherd6: übersinnlichena7: klarec8: beyzubringen[.]a9: Volkc10: Denkungsartac11: wolltenad12: größerea13: Tractated14: Unterrichtecd15: aufgesetzet (c) ; aufgesetzet (d)cd16: ausgesetzetd17: Theiled18: Personen,a19: herrschendend20: abgefassetd21: Gemüthslaged22: Vorerkentnissed23: alsdannd24: verschiedenena25: gesamte Lehrartc26: beurtheilen,a27: Judend28: seya29: solchencd30: Zwecke

§. 86.

Zuvörderst will ich meine Hypothese über den Ursprung der Religionsbegriffe und Gottesdienstlichkeiten unter den er|d211|sten Menschen oder d1 den rohen Nationen vorlegena2, welche ich indesad3 der weitern Prüfung der Gelehrten überlasse. Es ist mir höchst wahrscheinlich, daß die alten Völker zuerst durch die in der Atmosphäred5 sich |a217| zutragended6 Veränderungen zu der Vermuthung veranlasset worden sind, daß höhere über uns Gewalthabende Wesen die Oberwelt bewohnen. Sie mußten die wohlthätigen Einflüsse der Sonne und des Regens, a7 die von anhaltender Hitze und Wassergüssen entstehended8 Verheerungen ihrer Felder, die Gewalt der unsichtbar tobenden Sturmwinde, und die /derschütternde furchtbared\d9 Wirkungena10 der Donnerwetter nothwendig bemerken und anstaunen. Sie betrachteten also den Himmel, derd11 über ihre Häupter bald Segen,a12 bald Verderben schüttetea13, mit einer gewissen Ehrfurcht;a14 und da die Veränderungena15 desselben nach keinen /dan den Körpern auf der Erded\ in die Augen fallenden Gesetzen erfolgena16, so vermutheten sie ganz /dnatürlich, daßd\d17 über ihnen willkührlich handelnde Wesen oder Elohimscd18 wohnetena19. Nun sannen sie auf Mittel,a20 derselben Gunst zu gewinnen, und da Menschen durch Geschenke gewonnen werden können, so schlossen sie analogisch, daß man auch die Gunst der Elohimscd21 /asicha\ dadurch müssea22 erwerben können. Die Schwierigkeit war,a23 |b234| wie man die Geschenke in die Höhe hinaufbringen könne. Nun bemerkten sie, daß das Feuer die Körper auflösetd24, und der Dampf sich bis in die Wolken empor hebt;ad25 und |c234| so entstundd27 das Anzünden der Opfer den Elohimscd28 zum /dsüssen Geruch.d\d29 c30 Ob ein dargebrachtes Opfer angenehm gewesen sey oder nicht, schloß man blosd31 aus dem Erfolgea32. Brachten zwey zugleich ihre Opfer dar, der eine um Regen, der andre um Sonnenschein zu erbittena33, so kontea34 /dder erfolgende Regend\ in einem rohen Zeitalter d35 sehr leicht eine solche Eifersucht wegen der mehrerncd36 Begünstigung dessen, den die Götter erhöret hatten, bey dem andern erwecken, daß ein Bruder den andern erwürgte. Oft wurden Menge Opfer dargebracht ohne Erhörung zu bemerken;a37 und nun sann man auf allerley neue Versuche, ob man nicht irgends etwas ausfindiga38 machen köntea39, was die Götter /abewegen möchte,a\a40 die Ab|a218|änderung schädlicher |d212| Witterung zu beschliessend41. Vielleicht geschahe es nach einer langed42 anhaltenden Dürre, daß ein Gewitter herauf zog und einen Menschen erschlug;a43 und so gleich ward die Idee aufgefaßt, daß unter manchen Umständen die Elohimscd44 Menschen zum Opfer verlangten. Das erste Studium der Theologie bestundd45 also darin, /adaß mana\ Bemerkungen aus der Erfahrung samletea46, was für Arten der Opfer und Ceremonien unter diesen oder jenen Umständen am gewöhnlichsten durch einen guten Erfolg bestätiget worden wären. Hiernächst fieng man nunmehro auch an, den Himmel und dessen Veränderungen sorgfältig zu beobachten;a47 ja selbst was sich den Wolken zu nähern schien, der Flug der Vögel und deren Geschreyd48 wurden für andeutende Zeichen und Boten des Götterwillens gehalten. Die, welche diesen Beobachtungen mit /adbesondermc49 Fleissead\ad50 oblagen, hiessend52 Seher;a53 und da sie natürlich früher /aals anderea\a54 einige Vorbedeutungen /avon dena\a55 Witterungsveränderungen aus der Aehnlichkeit der Fälle entdeckten, so kontena56 sie manches |b235| vorher sagen, und erhielten hierdurch eine gewisse Autorität, unter dema57 Namen der Propheten, Wahrsager und Zeichendeuter. Diese Leute machten ihre Entdeckun|c235|gen als den ihnen geoffenbartena58 Willen der Götter bekant,a59 und wurden nach und nach als Heilige mit den Elohimscd60 in näherem Umgange stehende Minister der Gottheitd61 verehret, und bey allen wichtigen Angelegenheiten von Familien und Völkerschaften um Rath befragtd62. Bis dahin hatte nun die Religion noch nicht den mindesten Einfluß auf die Verbesserung der Moralität; denn die Witterung und /dVeränderungena63d\d64 der Atmosphäre stehen in keiner ersichtlichen Verbindung mit den Gesinnungen und freien Handlungen der Menschen. Weil indesd65 die erstgebornen Söhne in der alten Welt Priester und Häupter der Familien zugleich waren, so benutzten diese die vorhandnecd66 Ehrfurcht /cdvor den Götterncd\cd67, und ertheilten gute |a219| gesellschaftliche Vorschriften,a68 als ihnen vom Himmel geoffenbarte Gesetze. Diese Verbindunga69 der Moral mit der Gottesdienstlichkeit war demnach nur zufällig. ⌇⌇a
|d213| Es ist mir /afernera\ sehr wahrscheinlich, daß die Astronomie, welche doch mit den gemeinsten Bedürfnissen des Lebens einen weit geringern Zusammenhang hat, als viele später erfundene Künste, ihren frühzeitigen Anbau dem Religionsgeiste des ersten Zeitalters, welcher zu genauer Beobachtung alles dessen, was in der Höhe vorgieng, erweckte, zu danken habea70. Diejenigen, welche sich durch diese Kentnisse zuerst /cdhervor thatencd\cd71, erhielten bald ein grösseresad72 Ansehen, als alle übrige Wetterpropheten;a73 und da man sie aufsuchte und mit Geschenken überhäufte, um von ihnen über die Zukunft unterrichtet zu werden, so wurden sie hierdurch aufgemuntert, sich lediglich auf das Studium der Naturkunde zu legen. Um ihren Kindern ein gleich bequemes Leben zu verschaffen, machten sie aus ihren Entdeckungen Familiengeheimnisse und unterhielten aus Interesse den Aberglauben des |b236| Volks. Der Begrif von der Einheit Gottes, oder von einem höchsten Monarchen der Welt, ist wie ich glaube unter diesen Gelehrten zeitig gefunden worden. Die |c236| Naturkündiger mußten bald bemerken, wie alles mannigfaltige in der Körperwelt so harmonisch zusammen geordnet ist, /adaßa\a74 wenigstens der Plan dazu /anura\ von /aEinem höchsta\a75 verständigen Anordner herrühren kana76. Ueberdisd77 wird ein Gelehrter, der für die monarchische Regierungsform der Reiche, es sey aus Grundsätzen oder aus Gewohnheit,a78 eingenommen ist, sich analogischcd79 die Regierung der Welt monarchisch zu denken sehr geneigt seyn/a, obgleich dabey aus ähnlichen Gründen die Existenz vieler Unterregenten und Schutzgötter ihm wahrscheinlich bleiben wirda\. Wir haben sehr wenigd80 ächte Urkunden von der ältesten Philosophie und Theologie der Chaldäer, Egypter und andrerd81 zuerst kultivirtena82 Völker, aber alles, was sich davon erhalten hat, scheintd83 mir dazu übereinzustimmen, die vorgetragene Hypothese zu bestätigen.
cdAnmerkung: Ueber die Religionsbegriffe der ältesten Völker werden in den Philosophischen Unterhaltungen zur weitern Aufklärung der Glückseligkeitslehre einige ausführliche Abhandlungen geliefert werden.cd
d1: untera2: vortragenad3: jetzt (a) ; jetzt (d)ad4: indeßd5: Atmossphäred6: zutragendena7: so wied8: entstehendend9: erschütternden furchtbarena10: Wirkungd11: welchera12: Segena13: schütteta14: Ehrfurcht,a15: Veränderunga16: erfolgtend17: natürlich dascd18: Elohima19: wohntena20: Mittelcd21: Elohima22: sich müßtea23: ward24: auflösead25: hebt, (a) ; hebt, (d)ad26: hebe;d27: entstandcd28: Elohimd29: süßen Geruche. 1 Mos. 8, 21.c30: 1 Mos. 8, 21.d31: bloßa32: Erfolga33: erhaltena34: konnted35: der erfolgende Regencd36: mehrerena37: bemerken,a38: ausfündiga39: könntea40: bewegted41: beschließend42: langena43: erschlug,cd44: Elohimd45: bestanda46: zu samlena47: beobachten,d48: Geschrey,c49: besonderemad50: besondern Fleiß (a) ; besondern Fleiß (d)ad51: besonderem Fleißed52: hießena53: Seher,a54: den anderna55: odera56: konntena57: dena58: offenbartena59: bekanntcd60: Elohimd61: Gottheit,d62: befrageta63: Veränderungd64: die Veränderungd65: indeßcd66: vorhandenecd67: gegen die Göttera68: Vorschriftena69: Gleichheita70: habencd71: hervorthatenad72: größeresa73: Wetterpropheten,a74: und alsoa75: einem höchstena76: müssed77: Ueberdiesa78: Gewohnheitcd79: auchd80: weniged81: anderera82: cultivirtend83: scheinet

|a220| |d214| §. 87.

Unter die ältesten authentischen Urkunden der Gelehrsamkeit,cd1 und der Religionskentnisse der Vorwelt ge|z5|höret das Gesetzbuch der Ebräer, oder die Schriften d2 Mosis. a3 Mose war,a4 wie aus /dseiner eignenc5 Erzählungd\d6 bekanta7 ist, von einer Israelitin geboren,a8 in einem Kästchen ausgesetzt, und von einer egyptischen Prinzessinc9 gefunden worden. Diese ließc10 ihn zuvörderst von seiner eignencd11 Mutter säugen und pflegen, nachher aber in aller Weisheit und geheimen Gelehrsamkeit der Egypter unterrichten,a12 Apostelg. 7, 22. Nachdem er /abey Vertheidigung eines Israeliten gegen die Gewaltthätigkeit eines Egypters den letztern zu tödten das Unglück gehabt hatte, und deswegen aus dem Lande geflohen wara\a13, hielt er sich einige Jahre bey einem midianitischena14 Oberpriester |b237| |c237| und Fürstencd15 auf, der als ein sehr kluger Mann geschildert wird, 2 Mos. 18, 14–24. kehrte darauf nach Egypten zurück, ward das Oberhaupt der Ebräer, welche von den Egypterna16 damals sehr hart behandelt wurden, führtecd17 sie aus der /aSklaverey zura\a18 Eroberung eines andern Landes aus, und gab denselben nun ganz neue Gesetze. /aWill man von dem wahren Werthcd19 dieser Gesetzgebung richtige Einsichten erlangen, so muß man sie von einer doppelten Seite betrachten: erstlich, als die Grundlage einer Staatsverfassung, blos nach politischen Absichten:d20 zweitens:z21 als die Grundlage zu einer bessern Volksreligion, nach moralischen und höhern Absichten der Vorsehung.a\
/a1. Es sey mir also vergöntcd22, auf kurze Zeit zu vergessen, daß Mosis Gesetzbuch von der Kirche unter die göttlich geoffenbartend23 Lehrbücher über die Religion gezählet wird, um zuvörderst die grossed24 Staatskunst, died25 darin verborgen liegtd26, ohne Rücksicht auf Religion in ihrem eigenen Lichte darzustellen. Weder der Werth der mosaischen Schriften, noch das Christenthum, noch die Wahrheit überhaupt werden dabey verlieren, sondern, wie sich in der Folge zeigen wird, auf mehr denn eine Art gewinnen. Man stelle sich |d215| also zuvörderst ein |z6| rohes zahlreiches Volk vor, das aus zwölf gegen einander eifersüchtigen Stämmen oder Horden bestehet, und nun zu Einem Staatskörper, derd27 sich selbst zu erhalten und fortzuwachsen geschickt sey, vereint und geformt werden soll. Nothwendig muß hier vor allen Dingen ein Mittel ausfindig gemacht werden, alle zwölf Stämme durch ein fortdaurendes gemeinschaftliches Interesse auf immer fest zu verbinden; Gemeingeist in ihnen zu erwecken;d28 und allen innernd29 Trennungen, wobey sie ein Raub ihrer Feinde werden würden, vorzubeugen. Was thut Mose? Er verbindet sie durch das höchste Interesse einer gemeinschaftlichen, ihnen allein eignenz30 Religion |b238| |c238| und d31 Unicität des Gottesdienstes, der nur an Einem Ortd32 abgewartet werden kan: er erfüllet sie mit /dreligiösen Nationalstolzd\d33 und /dErwartung unmittelbarerd\d34 Mitwirkung der Allmacht bey ihren gemeinschaftlichen Volksunternehmungen;z35 und mit Religionshaß, Verachtung und Abscheu gegen alle andre benachbarte Nationen, d36 Was vermögen nicht, der Geschichte zufolge, diese Stücke schon einzeln in den Gemüthern der Menschen; und was würden sie d37 vereint /dnichtd\ ausgerichtet haben, wenn die Juden von dem Geistcd38 der mosaischen immer beseelt geblieben wären! – Doch lasset uns dieses weiter entwickeln. Jehova, der höchste über alle andred39 Götter erhabene Gott, der Schöpfer und Beherrscher des Weltalls, hat aus allen Völkern des Erdbodens sich nur allein das jüdische Volk ausgewählet, seinen Namen durch Beglückseligungd40 desselben zu verherrlichen. – Welch ein Gedanke! Mußte nicht dieser schon das Herz jedes Israeliten mit dem edelsten Stolzd41 anschwellen, und zu den allererhabensten Erwartungen berechtigen? Mußten nicht von dieser Höhe alle andre Nationen den Juden klein und verächtlich erscheinen? – Allein Jehova will nicht nur dann und wann bey ausserordentlichen Fällen sich ihrer unmittelbar annehmen; |z7| nein, er wird ihr gewöhnlicher Heerführer im Kriege, ihr Regent in der bürgerlichen Regierung, ihr Richter bey Streitsachen. Er läßtd42 sich ein Zelt und in den folgen|d216|den Zeiten einen Pallast unter ihnen bereiten, in welchem er residiret, und nimt einen der Stämme zu seiner Hofstaat und Leibwachtcd43 und eine Familie desselben zu c45 Staatsbedienten an. Diese werden von den öffentlichen Landesabgaben der Zehnten und Erstlingez46 und von den Strafgefällen und ausserordentlichen Geschenken bey Sünd- und Dankopfercd47 besoldet. Niemand ausser dem hohen Adel, den Priestern, darf /cdsichcd\ in das Innere seines Pallastes nahencd48, und nur allein der erste Minister |b239| |c239| hat jährlich einmal Zutritt ins Kabinetd49, wo des Jehova Herrlichkeit thront: dem übrigen Volkcd50 wird aller nähere Zugang von den Leviten verwehrt. Im Lager und besonders bey Märschen stieg von der Hütte des Stifts eine Dampfsäule bis zu den Wolkenz51 und bey Nacht ein /dhoch /chinauf loderndesc\c52d\d53 Feuer empor;cd54 gewiß die schicklichsten Mittel, den weitd55 verbreiteten Horden den Ort des Hauptquartiers in grosserd56 Entfernung noch merkbarcd57 zu machen, um sich auf dem Fortzuge darnach richten und im Fallcd58 des Bedürfnisses hin finden zu können. – Aber alle Anliegen mußten vermittelst der Priester oder Staatsbedienten vor den Jehova gebracht werden, und in zweifelhaften und wichtigen Fällen ward durch den ersten Minister oder Hohenpriester die Antwort ertheilt. – Sehet da, einen vortreflich angelegten Plan, die Stämme zusammenzuhalten, und allen Trennungen vorzubeugen! Das Volk hatte einen unsterblichen König; und hiermit war den Spaltungen und innerlichen Kriegen, welche durch Thronerledigungen veranlasset werden, gänzlich vorgebeugtcd59. – Nur an /dEinemc60 Ortd\d61 konte Jehova nach Darbringung eines Opfers vor seinem Pallastcd62 mit /dErfolgc64 gefragtd\d65 und angebetet werden. Kein Bildniß von ihm war zu machen erlaubt, weil dieses zur Ver|z8|vielfältigung der gottesdienstlichen Oerter und hiermit zu Trennungen der Stämme Anlaß gegeben hätte. Die Einheit des Ortscd66 der Anbetung war eine Mauer ums Volk herum, und die Zusammenkunft aller Mannspersonen bey den hohen Festen zur Stiftshütte oder Tempel unterhielt Bekantschaft und Verknüpfung der Stämme. – Auch waren die Leviten und |d217| Priester unter alle übriged67 Stämme vertheilt; sie waren Geistliche, Gesetzerklärer, Richter, Aerzte und Jugendlehrer zugleich: und hatten also die wirksamsten Mittel aller Artcd68 in /cddencd\ Händen, ihre Autorität im Volkd69 ausnehmend zu vergrössernd70, und ihr gemeinschaftliches Interesse erforderte, die got|b240||c240|tesdienstliche Staatsverfassung, wovon ihr ganzes Wohl beym Mangel eignerd71 Ländereien abhieng, möglichst aufrecht zu erhalten. – Was hätte die Israelitischez72 Theokratie den Anlagen nach für ein festes und mächtiges Reich werden müssen, wenn Priester und Leviten mehr Klugheit und Thätigkeit gezeigtcd73 hätten! – Doch lasset uns Mosis Staatsklugheit in der Gesetzgebung noch in andern Punkten betrachten. Jehova wird als ein heftig eifersüchtiger Gott vorgestelletc74, der Abgötterey bis ins dritte und vierte Glied strafetcd75. Die Heiden umher sind vor ihm ein Greuel; sie sind längst schon in ihren /dStamvätern verfluchtc76d\d77 worden; er will sie vertrieben und mit der Schärfe des Schwerdts verbannet wissen: alled78 auch die überwundenen und wehrlosen /dsoltenc79 getödtetd\d80 werden. Warum dieses harte Gesetz? Einmal aus eben dem Grunde, weswegen das Haus Preussen dem Sächsischen niemals in seinen Kriegen mit Oesterreich die Neutralität zugestehen kan; weil das brandenburgische Land gegen Sachsen hin überall offen ist, und die Vertheidigung der Grenzen leichter durch Besetzung enger Pässe in Gebürgen, oder gegen einen Seehafen zu, als auf freien und ebenen Gefilden geschehen kan: und zweytensd81 weil die gesittetern und wohlhabendern Cana|z9|niter die benachbarten Stämme der Juden leicht zu einer Verbindung mit sichz82 und zur Trennung von /ddend\ übrigen Stämmen vermocht haben würden;d83 da überdisd84 ihre Gottesdienstlichkeiten sinnlich angenehmer, in der Nähe, und mit weniger Kosten verknüpft waren. Der Erfolg hat Mosen gerechtfertiget, daß er politisch richtig verordnet gehabt; denn die verschont gebliebenen Cananiter verleiteten bald die ihnen benachbarten Juden zum Abfalld85 vom mosaischen Gesetzcd86, und unterjochten nachher bald diesen, bald jenen einzelnen Stamm. –
|d218| Durch die bisher betrachteten Gesetze erhielt der jüdische Staat blos innred88 Festigkeit und äussere Sicher|b241||c241|heit. Die übrigen Verordnungen zielten auf Gesundheit, Ordnung, Gerichtspflege, Vermehrung der Volksmenge, Verfeinerung der Sittlichkeit und cd89 bürgerlichen Wohlstand überhaupt ab. Was nach damaligen medicinischen Kentnissen den im Volkd91 eingerissenen Skorbutcd92 befördern, oder die Zeugungskräfte schwächen und die Fruchtbarkeit verhindern konte, ward zu geniessen und zu brauchend93 verboten, und die äusserste Reinlichkeit nebst öftermcd94 Baden nachdrücklich eingeschärft. Vielcd95 Kinder zu haben war eine vorzügliche Ehre, und Unfruchtbarkeit Schande. Die Ruhe am Sabbathe soltecd96 die rohen Juden menschlicher und geselliger machen, und mehr Gefühl für Sitten erwecken. – Auf ähnliche Art zielen die übrigen Gesetze auf Vermehrung der äussern Wohlfart des gemeinen Wesens ab:cd97 und erscheinen in der mosaischen Gesetzgebung insgesamt als unmittelbare Verordnungen des Jehova, als des Landesherrn, der die Uebertreter ausrotten, und die gehorsamen Unterthanen mit Reichthum, zahlreicher Nachkommenschaft und allem,c98 was ihr Herz wünschet, beglücken wirdcd99. Dem ganzen /dGesetzbuchc100 setzted\d101 Mose d102 noch die Geschichte der Stammväter der Israeliten vord103, um seinen Gesetzen eine neue Unterstützung zu geben. Denn alle Erzählungen |z10| sind mit ungemeiner Klugheit in Hinsicht auf das Gesetzbuch gewählt. So ist z. B. gleich in der Schöpfungsgeschichte der Sabbath; in der Erzählung vom Fallcd104, der Unterschied und das Verbot gewisser Speisen; in den Segnungen und Verfluchungen der Erzväter, die Rangordnung der israelitischen Stämme, und die Verbannung der Cananiter u. s. w. autorisirt. Das Interesse der übrigen Erzählungen, in Absicht auf einzelne Gesetze, kan hier nicht ausgeführet werden; es ist zu meinem Zweckcd105 hinlänglich, Aufmerksamkeit darauf erwecktcd106 zu haben.
|b242| Und nun beschliesse ich diese Betrachtungen über die Staatskunst, womit das mosaische Gesetzbuch entworfen |c242| worden, mit der Bitte an meine Leser, bey sich selbst etwas |d219| ausführlicher darüber zu reflektiren, was für ein fester, furchtbarer und übermächtiger Staat die Theokratie der Juden, denc107 Anlagen nach, würde geworden seyn, wenn diese Nation von dem Geistcd108 der mosaischen Gesetzgebung zu allen Zeiten enthusiasmirtcd109 gewesen wäre. Man weiß, was der kleine, in so viele Partheien zersplitterte,z111 Ueberrest von zwey Stämmen den kriegerischen Römern bey Jerusalems Zerstörung zu schaffen gemacht hat, und mit welcher Wuth und Tollkühnheit sie den Tempel bis zu seiner Einäscherung vertheidiget haben. Was hätte also nicht die ganze Nation auszurichten vermocht, wenn sie nach Mosis Plan /cdzusammen gehaltencd\cd112, sich der möglichsten Vermehrung beflissen, eine kleine Völkerschaft nach der andern aus ihrer Nachbarschaft vertrieben, und sich durch Erwartung eines ausserordentlichen Beystandes Gottes, der nur sie allein segnen, und die Gräuel der Heiden durch sie vertilgen lassen wolte, zu allen Unternehmungen stark genung gehalten hätte.
2. Nun lasset uns auch Mosis Gesetz nach seiner moralischen Seite in Beziehung auf die Religion betrachten. Hier hoffe ich augenscheinlich darzuthun, daß es |z11| von dem göttlichen Erziehungsplancd113 des menschlichen Geschlechtscd114 zu höherer religiöser Denkungsart einen sehr wichtigen Theil ausmacht, und allerdings unter die vorzüglichsten Offenbarungen und Erleuchtungen, die Völkern jemals wiederfahren sind, /cdgehöretcd\cd115.
  • 1. Mose war der erste, der einem ganzen Volkcd117 die Lehre von der Einheit Gottes bekant /cdmachte: abercd\cd118 dieser Grundbegrif aller wahren Religion hätte sich nicht erhalten können, wenn er nicht durch Verwebung mit der Staatseinrichtung eine feste Begründung bekommen hätte. Es war die erste Bürgerpflicht in der |b243| Theokratie, die Einheit Gottes |c243| zu behaupten: mehrd120 Götter anzubeten war ein Verbrechen der beleidigten Majestät gegen den Landesherrn. Die Richter und Staatsbediente waren zugleich die Religionslehrer, und ihr |d220| Interesse erforderte es, auf das Bekentnißc121 der Einheit des höchsten Gottes zu halten.
  • 2. Mose war der erste, der /ddem Volked\ Bilder von Gott zu verfertigen untersagte; und hiermit war ein grosserd122 Vorschritt zu einer geistigernd123 Vorstellung vom höchsten Wesen gethan: obgleich bey der äussernd124 Verehrung desselben viele Sinnlichkeit annoch gestattet werden mußte, besonders in so fern Gott als Landesherr gedacht und bedientd125 werden solte.
  • 3. Mose war der erste, welcher unter seiner Nation edlere Begriffe von der Hoheit, Macht, Güte, Weisheit, Wahrhaftigkeit und andern moralischen Eigenschaften Gottes verbreitete, als noch nirgends unter dem gemeinen Volkd126 eines Landes herrschten, und der die wichtige Lehre von der allgemeinen Vorsehung und Regierung Gottes über die ganze Welt, und von seiner Aufsicht auf einzelne Menschen und ihre Handlungencd127 bey seiner Gesetzgebung zum Grunde legte.
  • 4. Mose war der erste, der es zur Bürger- und Religionspflicht zugleich machte, nicht nur gerecht, sondern |z12| auch mit Nachsicht, Liebe und Wohlthätigkeit gegen den Nächsten zu handeln; obgleich unter dend128 Nächsten nur Bürger und Religionsverwandte /dund höchstens einzelne durchreisende Fremded\ begriffen wurden.
  • 5. Mose machte dem Volkcd129 das Sündigen schwer, indem escd130 für jede bemerkte Uebertretung der Gesetze Opfer bringen mußte; und da die Priester und Leviten ihren Antheil von diesen Strafgelderncd131 erhielten, so wurden sie dadurch gereiztc132, auf die strenge Befolgung der Gesetze genaue Aufsicht zu haben: und auch hierdurch ward der Geist der Nation /cdkultivirtcd\cd133, den Ausschwei|b244|fungen sinnlicher Begierden immer mehr wi|c244|derstehen und nach allgemeinen Vorschriften sich bestimmen zu lernen. Für nicht entdeckte Vergehungen geschah d134 ein allgemeines /djährlichesd\ Sühnopfer fürs Volk. Nimt man nun dieses zusammen, so erhellet deutlich, daß Mosis Gesetzbuch die Hauptprincipien und Grundbegriffe der wahren Religion und Sittlichkeit in seiner Nation aus|d221|gebreitet und befestiget hat, so weit als es nur irgends ihre damaliged135 Gemüthsfähigkeiten zuliessen, und daß von den Priestern in den Propheten oder Gelehrten-Schulend136, darin man schreiben und rechnencd137 die Geschichte und Gesetze verstehen, denken, dichten und musiciren lernte, nach Maaßgabe der weiteren Kultur der Nation, immer höhere Erkentnisse daraus hergeleitet werden kontenc138; wie auch nach den Schriften der Propheten die Begriffe der Religion und Moralität nachmals würklich immer mehr verbessert worden sind. d139 Hieraus folget nun,c140 daß Mosis Gesetzbuch mit Recht eine der ersten Stellen in der Samlung heiliger Urkunden von den ehemaligen von Gott veranstalteten Aufklärungen und über die Religion zu haben verdientcd141; wie denn auch ohne dasselbe der Unterricht Christi und seiner Apostel, nebst |z13| ihrer ganzen Lebensgeschichte, wenig oder gar nicht verstanden werden kan.
Die bisher vorgetragene Theorie über Mosis Schriften, daß solche das Gesetzbuch der theokratischen Staatsverfassung der Juden seyn soltenc142, und auch die vorangesetzte und eingeschaltete Erzählungen darauf abzielen, den Gesetzen mehr Autorität zu verschaffen, verbreitet nun ein allgemeines Licht über diese Schriften und über die sämtlichen Bücher des alten Testaments. Alle Einwürfe gegen die Würde, moralische Güte und Weisheit ihres Urhebers, welche auf keine befriedigende Art beantwortet werden können, wenn man die Einführung |b245| einer bessern Religion zumcd143 einzigen Hauptzweck machtcd144, und die Hofhaltung des Jehova, als palästinischen Landesherrnd145, für eigentlichen Gottesdienst und vorbildliche Ceremonien erklärtcd146, lösen sich nun von selbst auf und verschwinden. Aber noch weit grösserd147 ist der Nutzen dieser Theorie für uns,cd148 bey Auslegung des neuen Testaments, indem sich das ganze Verhalten Christi und seiner Apostel in Beziehung auf die mosaischen Gesetze daraus aufkläret, und manche neuerlich erregte Zweifel über den eigentlichen Zweck Jesu und seiner Jünger ihre völlige Auflösung daraus erhalten: woraus auch gegenseitig rück|d222|wärts die Theorie selbst eine authentische Bestätigung überkomt.a\
aDiese Gesetze sind ein Meisterstück der Staatskunst, wenn man sich die rohen Horden der Ebräer, welche menschlicher gemacht werden solten, als den persönlichen Gegenstand derselben denkt. Der über alle andre Götter erhabne höchste Gott hat durch Mosen die Israeliten aus der Knechtschaft befreyet, um sie unter allen Völkern zu seinem eigenthümlichen Volk zu machen, das ihm allein dienen soll. Er will selbst unter dem Namen Jehova ihr Landsherr und Monarch seyn, und sie durch seine Ministers die Priester regieren lassen. Dieses ist die Grundlage der Staatsverfassung und Gesetzgebung. Die jüdische Regierungsform war also theokratisch; Abgötterey war Rebellion und Hochverrath, wodurch auch die Nachkommen bis ins vierte Glied aller bürgerlichen Vorrechte verlustig wurden. Die Stiftshütte und nachmals der Tempel war das Hoflager des Jehova als Lan|a221|desherrn; der Hohepriester der erste Minister der allein unmittelbaren Zutritt ins Cabinet des Monarchen hatte, die Priester und Leviten machten die Hofstaat und die Schloßwache aus. Die Entrichtung des Zehenten, der Erstlinge und vielen Opfer waren Landesabgaben, Schutz und Strafgelder zur Unterhaltung des Hoflagers bestimmt. Alle zur Gesundheit eines höchst unreinlichen Volks nöthige öftere Waschungen, alle Verbote der nach damaliger medicinischen Kentnisse dieser Nation Speisen, alle zur bürgerlichen Wohlfart in Kriegs und Friedenszeiten abzielende Gesetze, erscheinen daher in dem mosaischen Gesetzbuche gleich durch als Religionsvorschriften, weil ihr Landesherr Gott war. Die strenge Feyer von aller Arbeit am Sabath war zur Hervorbringung einiger Menschlichkeit und Sitten unter diesem rohen Volke anfänglich höchst nothwendig, und daher stehet dieses Gesetz unter den Criminalverordnungen der so genannten zehn Gebote. – Mosis Gesetze waren vollkommen in ihrer Art zweckmäßig zu ihrer Bestimmung, aber aller Gehorsam ward durch Furcht erzwungen, und der Geist derselben konnte keine höhere moralische Edelmüthigkeit und Glückseligkeit hervorbringen. Nachdem aber die Juden etwas cultivirt worden waren, und die Priester und deren Familien sie allzu sehr drückten, zwangen sie einen der vornehmsten derselben, ihn aus einen andern Stamm einen bürgerlichen König zu wählen, der sie vor den Ausschweifungen der Diener des Jehova schützen könnte. Die Könige traten mit den Höfen schon gesitteter Staaten in nähere Verbindungen, heuratheten deren Töchter, schlossen Handlungstractaten und Vertheidigungsbündnisse und führten mit großen Mächten Krieg. Dis alles trug das seinige zur mehreren Aufklärung der jüdischen Nation bey. Nun traten schon einsichtsvollere rechtschaffene Männer auf, welche die Nation von dem ganz sinnlichen Gottesdienst auf höhere vernünftigere |a222| Begriffe der Religion und Moralität führten, wie zum Beyspiel Jesaias, ein Mann vom königlichen Geblüte. Diese Propheten äußern in ihren Schriften an vielen Orten die sichere Erwartung, welche sie hatten, daß eine Zeit der allgemeinen Erleuchtung und Befreyung des Volks von ihren ängstlichen unmoralischen Frohendiensten, die sie dem Jehova leisteten bevorstehe, und Gott einen Mann der diese Erlösung ausführen könnte erwecken würde. Jes. 1, 10 folgg. K. 2.a
cd1: Gelehrsamkeitd2: desa3: Diesera4: warc5: eigenend6: seinen Schriftena7: bekannta8: geborenc9: Prinzeßinc10: liescd11: eigenena12: unterrichten.a13: eines Mords wegen Landflüchtig werden müssena14: Midianitischencd15: Emira16: Egyptierncd17: führetea18: Sclaverey zucd19: Werthed20: Absichten;z21: Zweitens,cd22: vergönnetd23: inspirirtend24: großed25: welched26: liegetd27: welcherd28: erwecken:d29: innerenz30: eignen,d31: durchd32: Orted33: religiösem Nationalstolzed34: mit Erwartungen einer unmittelbarenz35: Volksunternehmungen,d36: 15.d37: nichtcd38: Geisted39: andered40: Beglückungd41: Stolzed42: lässetcd43: Leibwache (c) ; Leibwache (d)cd44: Leibwache,c45: seinenz46: Erstlinge,cd47: Dankopferncd48: tretend49: Kabinettcd50: Volkez51: Wolken,c52: hinaufloderndesd53: hochhinaufloderndescd54: empor:d55: weiterd56: großercd57: bemerkbarcd58: Fallecd59: vorgebeugetc60: einemd61: einem Ortecd62: Palaste (c) ; Palaste (d)cd63: Pallastec64: Erfolged65: Erfolge befragetcd66: Ortesd67: übrigencd68: Artend69: Volked70: vergrößernd71: eigenerz72: israelitischecd73: gezeigetc74: vorgestelltcd75: bestraftc76: verfluchetd77: Stammvätern verfluchetd78: alle,c79: sollend80: sollen getödetd81: zweytens,z82: sich,d83: würden,d84: überdießd85: Abfallecd86: Gesez (c) ; Gesez (d)cd87: Gesetzed88: innerecd89: den (c) ; den (d)cd90: aufd91: Volkecd92: Scorbutd93: gebrauchencd94: öfteremcd95: Vielecd96: solltecd97: ab, –c98: allemcd99: willc100: Gesetzbuched101: Gesetzbuche legted102: oder ein anderer Volksführerd103: beycd104: Fallecd105: Zweckecd106: erwecketc107: dercd108: Geistecd109: enthusiasmiret (c) ; enthusiasmiret (d)cd110: belebtz111: zersplittertecd112: zusammengehaltencd113: Erziehungsplanecd114: Geschlechtescd115: gerechnet zu werden verdienet (c) ; gerechnet zu werden verdienet (d)cd116: gerechnet zu werden verdienecd117: Volkecd118: machte, die bisher nur von wenigen Weisen erkannt aber geheim gehalten worden war: allein (c) ; machte, die bisher nur von wenigen Weisen erkannt aber geheim gehalten worden war: allein (d)cd119: machte, welche bisher nur von wenigen Weisen erkant, aber geheim gehalten worden war: alleind120: mehrerec121: Bekenntnißd122: großerd123: geistigend124: äußernd125: bedienetd126: Volkecd127: Handlungen,d128: demcd129: Volkecd130: der Israelitcd131: Strafgefällenc132: gereitztcd133: kultiviret und geübtd134: jährlichd135: damaligend136: Gelehrten Schulencd137: rechnen,c138: konntend139: Jes. 1, 15 f.c140: nuncd141: verdienetc142: solltencd143: als dencd144: ansie|c245|hetd145: Landesherrencd146: erkläretd147: größercd148: uns

§. 88.

/aZu den Zeiten,c1 da Christus auftrat, hatte Mosis Gesetz noch bey der ganzen jüdischen Nation ein göttliches Ansehen; allein ihr Staat befand sich äusserlich in ganz andern Umständen,c2 als zur Zeit der Gesetzgebung. Die Geschichtbücher des alten Testaments erzählen uns, wie die Juden sehr bald von den übrig gelassenen Cananitern zur Abgötterey, und hiermit zur Vernachlässigung ihres gemeinschaftlichen Interesse verleitet worden sind: |z14| wie sie nachher weltliche Könige gewählet; sich in zwey Reiche getheilt; bürgerliche Kriege geführtcd3; von andern Nationen überwältiget; gröstentheilscd4 aus Palästina weggeführtd5, und in die ganze Welt zerstreuet worden sind, so daß geraume Zeit hindurch ihre eigene Staatsverfassung und solenner Gottesdienst /dgänzlich zu seynd\ aufgehöret hatd6. Als sie nachmals die Erlaubniß von ihren Beherrschern erlangtcd7 hatten, sich wieder nach Palästina zu samlen, und ein besondres gemeines Wesen nach dem Gesetzbuchd8 ihrer Vorältern zu errichten, kehrte nur ein geringer Theil des Volksd9 aus einigen Stämmen zurück, und diese waren zu schwachd10 ohne Schutz eines der mäch|b246|tigern Reiche sich zu erhalten, zumal ein grosserd11 Theil ihres ehemaligen Landes von den Samaritern, einer Mi|c246|schung der im Lande gebliebenen gemeinen Juden und der hinzu gekommenen heidnischen Kolonisten, mit welchen sie in Religionshaßcd12 lebten, besetztcd13 war. Der neue jüdische Staat behielt also eine gewisse Abhängigkeit bald von dem einen,c14 bald von dem andern /cdgrössern Volkcd\cd15, und endlich wurden ihre letzte Schutzherren,z17 die Römer. Man muß es den Juden nachrühmen, daß sie nach der Rückkehr aus den babylonischencd18 und persischen Provinzen, worin sie merklich kultivirtcd19 worden waren, keine Spur von einiger Neigung zur Abgötterey weiter geäussertd20, und mit weit grössermcd21 Eifer ihr durch das hohe Alterthum ehrwürdiger gewordenes Gesetzbuch respektiret und befolget haben.c23 Die darin verordnete Unicität des Gottesdienstes verband nun, |d223| nach wieder erbauetem Tempel, auch alle entferntere und in allen Weltgegenden zerstreuet lebende Juden wieder mit dem palästinischen Staatd24: alle schickten Geschenke dahin, und suchtendz25 so oft es ihnen der Entfernung wegen möglich war, von Zeit zu Zeit ein hohes Fest in Jerusalem mit ihren Familien zu feiern. /dIndes fühltenc26d\d27 die Juden doch insgesamt die Verachtung, welche die jetzige Schwäche und Abhängigkeit ihres |z15| Staats /dihnend\ von mächtigern Nationen d28 zuzog, und daß die grossend29 Erwartungen, wozu ihr Gesetzbuch und ihre Propheten sie berechtiget hatten, nicht erfüllet werden könten, wenn nicht ein solcher ausserordentlicherd30 Heiland, wie Mose für sie gewesen war, wieder erwecktcd31 würde. Auf einen solchen hofte nun das ganze Volkd32 als Jesus auftrat und die Aufmerksamkeit der palästinischen Juden auf sich zog. Hier entstehtcd33 nun zuvörderst die wichtige Frage: was der Zweck Jesu in Absicht des mosaischen Gesetzes gewesen sey? Nach vielen deutlichen Stellen in den Evangelien scheinet die Absicht Christi dahin zu gehen, das Gesetz Mosis zu bestätigen und |b247| ihm eine immerwährende Gültigkeit /cdzu zueignencd\cd34. Er verweiset Matth. 23, 2. 3. das Volk und seine Jünger an |c247| die Schriftgelehrten und Pharisäer, als die auf Mosis Stuhl säßen, oder bevollmächtigte Erklärer des Gesetzes wären, und sagtcd35 ausdrücklich: allesd37 was sie euch sagen, das ihr halten sollet, das haltet und thut: und Kap. 5, 17–19d38 erkläret Jesus: er sey nicht gekommen, das Gesetz aufzulösen, sondern zu erfüllen: es solle kein Pünktchen vom Gesetzcd39 wegfallen, sondern alles genau beobachtet werden, bis Himmel und Erde vergangen seyn würden: und jeder, der ein Mitbürger seines Reichscd40 seyn wolle, solle discd41 Gesetz lehren und beobachten. Vergleichtcd42 man hiermit das in der Apostelgeschichte erzählte Verhalten der Jünger in Palästina, so scheinen diese darüber zweifelhaft gewesen zu seyn, in wie fern alle Christen sich nach dem Gesetzcd43 zu richten hätten, Apostg. 15, 4–21. undcd44, nach langen Debatten über diese Frage, beschliessen sie, nur gewisse mosaische Einschränkungen den Heiden zur Bedingung der in die neue Kirche vorzuschreiben. Lesen wir dagegen Pauli Briefe, besonders den an die Galater, so finden wir überall Mosen und Christum, Gesetz und Evangelium oder Glaube einander entgegen gesetztcd45; ja Paulus /cderklärt gradecd\cd46 zu Gal. |z16| 5, 1. 2. es sey dem, der sich beschneiden lasse, Christus nichts nütze; denn Christus habe alle von dem sklavischen Jochd47 der mosaischen Gesetze befreien wollen. – Sehet hier, meine Leser, sehr scheinbare Widersprüche, welche man auf vielerley künstliche Art aufzulösen gesuchtcd48 hat, ohne die Zweifelcd49 hinlänglich befriedigen zu können. Ich hoffe nun, durch Anwendung der vorher entwickelten Theorie über das Gesetzbuch Mosis und desselben doppelte Hauptabsicht, eine ganz natürliche und leichte Auflösung darüber zu geben. – Hier ist sie. –
Das Gesetzbuch Mosis soll nach Christi Zweckd50 in so weit es die Landesd51 und Policeygesetze für sämtliche |b248| Mitglieder des gemeinen Wesens in Palästina enthält, von allen Juden, die sich zur Lehre Jesu bekennen wol|c248|len, nach wie vor aufs genauestec52 beobachtet werden, bis Himmel und Erde vergehen, das istd53 (nach einer bekanten jüdischen Art sich auszudrücken) so lange als die gottesdienstliche und politische Verfassung der Juden noch dauren, oder sie noch einen Tempel und eignes Land haben würden. Die Jünger Jesu solten sich selbst,d54 in pünktlicher Erfüllung desselben,d55 nach den strengsten Erklärungen der Pharisäer richten;cd56 und dazu auch die palästinischen Christen fernerhin anhalten, damit sie sich als gute Bürger zeigten, und sich des Schutzes der Obrigkeit würdig machten:cd58 so wie daher Christus selbst /cddurch die genauestecd\cd59 Beobachtung desselben sich ihnen zum Muster darstellen konte. Aber für etwas mehr als Staatsgesetze solten Mosis Verordnungen nicht weiter gelten, und durchaus nicht für Bedingungen der höhern Seligkeit. Paulus konte demnach ausserhalbcd60 Palästina, wo Mosis Schriften nicht die Grundlage der bürgerlichen /dEinrichtung waren,c62d\d63 und keine obrigkeitliche Autorität hatten, auch früher, dem Zweckcd64 Jesu ganz gemäß, die fernere Beobachtung derselben für überflüssigd65 und der höherncd66 geistigen Re|d225|ligion des Christenthums cd67 schädlich er|z17|klären: dagegen die palästinischen Apostel die Erlösung erst abwarten mußten, welche nach Christi Vorherverkündigung, mit dem Untergang des jüdischen Tempels und Staats, binnen einem Mannsalter ihnen widerfahren würde, Matth. 5, 17–19. vergl. mit K. 24, 39. 44. Luc. 21, 25–33.
Diesem ganz einförmigen Plancd68 Christi und seiner sämtlichen Jünger zu folge, erhielten nun die Apostel die Neubekehrten in Palästina in ihrem Eifer für das Gesetz der Väter, und autorisirten doch auch zugleich Paulum, die Heiden ohne Beschneidung zu Christen aufzunehmen; nur solten diese, der Schwäche der Juden wegen, |b249| sich von den Dingen äusserlichd69 enthalten, wogegen den Juden von Kindheit an Abscheu und Ekel beygebracht |c249| worden war, damit der freundschaftliche Umgang zwischen beiderley Nationsverwandten nicht litte. – cd70 Hiernach lässet sich nun auch eine sehr schwierige Stelle im Briefe an die Galater befriedigend erklären, da Paulus Kap. 2, 11–14. erzählt, wie er sehr hart mit Petro /dzusammen gekommen wäred\d72 und zwar darüber, daß Petrus bey seiner Ankunft nach Antiochien mit den bekehrten Heiden umgegangen sey, sich aber nachher denselben entzogen habe, so bald einige palästinische Judenchristen aus Jerusalem auch daselbst angelanget wären. – Der hierüber zwischen zwey Aposteln entstandnecd73 heftige Streit höret auf, etwas Anstössigescd74 zu enthalten, und zeigtcd75 die Rechtschaffenheit beider Männer in einem sehr vortheilhaften Lichte, wenn man sich ihre Situation deutlich macht. Paulus war der Heiden Apostel. Er arbeitete Tag und Nacht daran, die Scheidewand zwischen Juden und Heiden niederzureissend76, und eine Uebereinstimmung in christlichen Gesinnungen hervorzubringen. Es war ihm darin so weit geglückt, daß die Judenchristen zu Antiochien ihren Nationalstolz und Vorurtheile besieget, und sich mit den Heiden zum gemeinschaftlichen |z18| Brodbrechen vereintcd77 hatten. Petrus komt an; er ist mit Paulo eines Sinnesd78 und macht keinen Unterschied zwischen bekehrten Juden und Heiden. Paulus benutztcd79 |d226| diesen Umstand wahrscheinlich dazu, die Juden durch die Autorität, welche Petrus als ein unmittelbarer Begleiter Christi in ihren Augen voraus hatte, noch mehr in ihren guten Gesinnungen gegen die Heiden zu befestigen, und discd80 macht auch den gewünschten Eindruck. Nun aber treffen palästinische Juden aus Jerusalem /cdselbstcd\ zu Antiochien ein; Leute, bey welchen,cd81 nach der Verabredung zwischen Jakobo und Petro,cd82 der Eifer fürs mosaische Gesetz noch erhalten werden solte, damit sie |b250| gute Bürger blieben, und den Tempeldienst unter den Augen der Obersten des /dVolks fleissigc83d\d84 und an|c250|dächtig abwarteten. Was solte hier Petrus thun? Er, der mit diesen Leuten nach Jerusalem zurückkehren mußte, und wenn er mit Heiden /dumging, ihrd\d85 Zutrauen verlor, und seiner ganzen Gemeine in Palästina verdächtig ward; oder aber Gefahr lief, dascdz86 die jerusalemschecd87 Bürger durch sein Beyspiel sich berechtigtd88 halten möchten, auch /cdzu Hausecd\cd89 Mosis Gesetz zu verachten, welches der jüdischen Obrigkeit neue Anreizungen geben würde, die Christen zu verfolgen. – Mit Recht entschloß er sich also, sich nach den Schwachen zu richten und ein Aergerniß bey Leuten seiner Gemeine zu verhüten, was ihn cd90 die palästinische Kirche unbrauchbar machen, oder noch ausgebreitetere Folgen haben konte. Allein Paulus ward dadurch allarmirtd91. Auch Er wolte bey seiner Gemeine gern das Aergerniß verhüten, was Juden und Heiden an diesem schnell abgeänderten Betragen Petri nehmen konten. Er setztd92 daher Petrum mit /dvielenc93 Affektd\d94 zur Rede. – Aber gewiß wußte der gute Paulus damals nicht, oder cd95 konte es sich nicht vorstellen, wie heftig der Enthusiasmus der christlichen Juden für das mosaische Gesetz noch in Jeru|z19|salem war. – Er erfuhr es aber wenige Jahre nachher, als er selbst nach Jerusalem kam. – Jakobus und die Aeltesten der dortigen Gemeine eröfneten ihm gleich bey seiner Ankunft, daß die vieled96 tausend Juden, welche in Palästina gläubig geworden wären, alle für das Gesetz eiferten, daher sie ihm anriethen, sich nebst einigen andern Männern, die Gelübde gethan hätten, in den Tempel zu bege|d227|ben und sich mit ihnen nach allen gesetzlichen Ceremonien reinigen zu lassen, um seine Hochschätzung gegen die Landesgesetze in Palästina zu zeigen, und den Verdacht zu verhindern, als ob er zu Jerusalem eben so, alscd97 in andern Ländern Gleichgültigkeit |b251| und Verachtung dagegen lehren wolted98. Er befolgte diese Rathgebung. Allein so bald man ihn |c251| im Tempel erkante, erregten asiatische Juden einen Tumult gegen ihn, als einen Abtrünnigen, derd99 auswärtige Juden das Gesetz der Väter verachten /cdlehrte;cd\cd100 selbst in Jerusalem in Gesellschaft voncd101 Heiden /cdsichcd\ sehen liesse, und den Tempel durch seinen Anhang /cdentweihtecd\cd102. Die ganze Stadt, ungläubige und gläubige Juden stürmten auf ihn, daß er kaum durch die römische Garnison dem gewissen Tode aus ihren Händen entrissen werden konte, Apg.d103 21, 22 ff. Selbst der römische Stadthaltercd104 würde ihn /cdnachcd\ dem Religionseifer der Jüdencd105 aufgeopfert haben, hätte sich Paulus nicht auf sein römisches Bürgerrecht und auf den Kaiser berufen, Apg.cd106 25, 9. 10.c107 vergl. mit Kap. 22, 25–29.
Aus dieser Geschichte, und den vorgehendencd108 Bemerkungen, ergeben sich nun augenscheinlich zwey höchstwichtige Folgerungen:
  • 1.
    Christus und seine Apostel haben einstimmig Mosis Gesetze blos für palästinische Landesgesetze erkläret, die ein unzertrennliches Ganze ausmachen;d109 darin sie kein Pünktchen abändern wolten, und welche von allen Christen, die Mitbürger des jüdischen Staatsd110 waren, |z20| als obrigkeitliche Policeygesetze, nach der strengsten Auslegung der Pharisäer, bis zur Zerstörung des Tempels und des gemeinen Wesens der Juden beobachtet werden solten. Dagegen haben sie ihnen nuncd111 auch alle Autorität und Brauchbarkeit in der neuern göttlichen Oekonomie, die Menschen zu höherer Glückseligkeit anzuleiten, abgesprochen. In dieser Beziehung wird Mose und Christus; das Gesetz und der Glaube; der Buchstabe und der Geist; der alte und der neue Bund; die Gerechtigkeit aus dem Gesetzd112 und die Gerechtigkeit vor Gott; die Knechtschaft |d228| und die Kindschaft; u. s. w. einander überall als unvereinbar und wider|b252|sprechend entgegengesetztcd113, und Christus der Erlöser vom Fluchcd114 des Gesetzes und das Ende des Gesetzes |c252| genant, Joh. 1, 17. d115 Gal. 5, 1 f. Kap. 2, 16. K.d116 3, 23 f. 2 Cor. 3, 6 f. Ebr. 8, 6–13. Röm. 10, 3 f. Ebr. 9, 14c117 f. 1 Petr. 1, 18. Röm. 8, 15. Gal. 4, 4–7. Kap. 3, 10–14. Wenn daher gleich Christus und seine Apostel in ihren Unterredungen mit palästinischen Juden Mosis und der Propheten öfters mit Achtung gedenken, so verweisen sie doch niemals /ddarauf,c118d\d119 als auf einen Unterricht zu höherer Glückseligkeit, sondern leiten nur aus /cddenselbencd\cd120 die Nothwendigkeit einer vollkomnernd121 Anweisung her, welche die Propheten als künftig bevorstehend bereits verkündiget und verheissend122 hätten. Forschet in der Schrift, sagt Christus Joh. 5, 30. 40. 46;czd123 denn ihr stehtd125 in der Meinung, als enthielte sie eine Anweisung zur Glückseligkeit, ihr werdet aber finden, daß sie selbst auf einen bessern Unterricht, den ich euch nun ertheile, verweiset. Eben so erklären sich alle Apostel, /dd\d126 Ebr. 9, 18. 19. K.cd127 10, 1. Hieraus folgtcd128, daß es ganz wider den Sinn Christi und der Apostel gehandelt ist, wenn man die Christen in unsern Tagen aufscd129 alte Testament verweisetcd130, welches nur eine Vor|z21|dämmerung zu dem hellern Lichtcd131 des Christenthums seyn /cdsollen; von welchen diecd\cd132 Apostel /cddie Juden möglichstcd\cd134 abzuführen gesucht /cdhabencd\, weil /cdescd\ Gott cd135 zu sinnlich, menschlichd136 und leidenschaftlich vorstelletcd137, und cd138 mehr knechtische Furcht als Liebe und Vertrauen /cdeinhauchtcd\cd139. Für uns ist das alte Testament nur blos eine ehrwürdige historische Urkunde von den Religionsbegriffen und deren allmähligen Verbesserung unter den Juden bis zu den Zeiten Christi; aus deren Vergleichung mit den /dneutestamentischen Schriften,c141d\d142 wir die überaus grossend143 Vorzüge des Christenthums vor jenen groben und ängstlichen |d229| Religionserkentnissend144 zu er|c253|kennen haben. |b253| Gewöhnlich tragen indesd145 unsre Theologen aus dem Christenthumcd146 viel mehrd147 Licht und Richtigkeit ins alte Testament hinein, als niemalsd148 darin statt gefunden hat;d149 und bringen es nachher durch willkührliche Auslegungen wieder heraus, als ob es vor Christo schon darincd150 zu finden gewesen wäre. Ganz unphilosophisch ist auch die Hypothese, als ob noch einige Gesetze aus dem Mose für uns verbindlich wären, so wie die ganze Abtheilung derselben in /dceremonial, civild\d151 und moralische Gesetze willkührlich und unrichtig ist. Denn wenn gleich allgemeine Naturgesetze von ewiger Verbindlichkeit auch unter Mosis Gesetzen vorkommen, so entstehtcd152 doch keine Verbindlichkeit zu ihrer Beobachtung aus dem Mosesd153 für uns, indem kein Gesetzbuch irgends eines Volkes in der Welt ist, darin nicht allgemeine Naturgesetze z. B. du solst nicht tödten, du solst nicht stehlen u. s. w. aufgenommen seyn solten. Kein Mensch aber wird daher folgerncd154 daß wir an einige Gesetze der Chineser oder der Indianer gebunden wären, weil nemlich unsere Verpflichtung cd155 nicht aus ihren Gesetzbüchern herrühren kan.
    Doch dieses alles, was ich von der Unbrauchbarkeit der alttestamentischecd156 Schriften zu einer reinen der Religion für uns angemerkt habe, wird noch mehrd157 Licht und Bekräftigung erhalten, wenn ich die wichtiged158 Verbesserungen aller Religionsbegriffe des alten Bundes, died159 wir Christo zu danken haben, im folgenden Paragraphen deutlicher auseinandersetzen werde.
  • 2.
    Christus und seine Apostel beobachtend160 in Palästina das ganze mosaische Gesetz auf das pünktlichste, da sie doch von der Untauglichkeit und Zwecklosigkeit des ehemals nützlich gewesenen Tempeldienstes in ihren Tagen, und von dem schädlichen Aberglauben, derd161 dadurch unterhalten ward, deutliche Einsichten hatten, und selbst dahin arbeiteten, die Juden allmählig davon |b254| |c254| abzuziehen, und zu edlernd162 und reinern Erkentnissen von Gott zu bringen. Hieraus fließtcd163 die wichtige Regel für alle |d230| christliche Lehrer, daß sie,cd165 diesen erhabenen Beyspielen gemäß, sich ebenfalls nach allen obrigkeitlichen Landesverordnungen richten müssen, und wenn sie auch in den herrschenden Lehrformen und Kirchengebräuchen, died166 durch öffentliche Symbolen und Gesetze autorisirtcd167 sind, mancherley Aberglauben und veraltete zwecklosgewordene Ceremonien vorfinden, sich doch nach den kirchlichen Policeygesetzen ihrer Gegend, als gehorsame Unterthanen und recht christlich kluge Lehrer, zu bequemen haben; welches der Redlichkeit gar nicht entgegen ist, Matth. 10, 16. Will ein Lehrer nützlich werden, so muß er zuvörderst das Vertrauen seiner Landsleutecd168 zu gewinnen suchen. Dieses kan aber auf keine andre Weise geschehen, als indem man sich zu ihren Meinungen herabläßtd169, und sich ihnen gerade so zeigtcd170, wie sie sich ihr Ideal von einem rechtgläubigen, einsichtsvollen und treuen Lehrer gebildet haben. So gingcd171 selbst Christus in seiner Herablassung zu den Vorurtheilen und der Schwachheit der Juden so weit, daß er nach Matth. 15, 22 f. so gar den gemeinen Ton des jüdischen Nationalstol|z23|zes gegen eine Cananiterin annahm, und anfänglich sie gar nicht anhören wolted172, nachher aber durch die äusserstd173 harte Vergleichung: daß es unschicklich sey, den Kindern das Brodtc174 zu nehmen und es den Hunden zu geben; d175 tief unter die Juden erniedrigte. Allein discd176 Betragen war nothwendig, wenn er seine Begleiter nicht von sich entfernen, sondern sie allmählig zu dem vorbereiten wolte, was sie im Anfange seines Lehramtes zu ertragen noch allzuschwach waren. Man siehet bey dieser und mehrerncd177 ähnlichen Geschichten, mit welcher Weisheit Jesus durch die scheinbare Genehmigung der Nationalprincipien seine Landesleute zu |b255| |c255| besserer Beurtheilung andrer Völker angeleitet hat. Er läßtd178 seine Begleiter erst Thatsachen sehen, und dann folgert er daraus, so einleuchtend, daß sie die Wahrheit nicht weiter verkennen konten. So mußte die mütterliche Treue der Cananiterin, mit welcher aller Verachtung und Erniedrigung gelassen |d231| unterwarf, um nur Hülfe für ihre kranke Tochter zu finden, für die anwesended179 Juden ein auffallender Beweisd180 von der Gutherzigkeit, died181 unter den Heiden anzutreffen war, seyn; und so führet Christus gewöhnlich zu Beyspielen der Rechtschaffenheit, Dankbarkeit und Menschenliebe Heiden oder Samariter, aber nur stets in Erzählungen auf, Matth. 8, 5c182 f. Luc. 10, 33c183 f. K. 17, 15. 16. da er noch nicht gerade cdz184 die Wahrheit von der allgemeinen Gleichheit aller Menschen vor Gott, vortragen durfte.
    Hat man erst Zutrauen gewonnen, so kan man allmählig Aufklärung und Verbesserung der Einsichten nach Maaßgabe der Emfänglichkeitcd185 der verschiedenen Klassen der Zuhörer befördern. Gesetzt, daß man bey dieser Behutsamkeit auch nicht so geschwind weiter komt, als man zu gelangen wünschtcd186, so muß man sich mit Christi Beyspielcd187 trösten, der auch bey |z24| seinen Lebzeiten es nicht sehr weit bringen konte; und demohngeachtet seine Apostel zu einem ähnlichen Verhalten anwies; sie aber zugleich mit der bevorstehenden Erlösung von den äussernd188 Einschränkungen tröstete, died189 nicht durch sie, sondern durch Gottes Vorsehung mit Aufhebung der jüdischen Gerichtsbarkeit über die Christen veranstaltet werden würde.
    Ueberhaupt sind wir nicht verbunden, eine Pflicht in höhermcd190 Grade auszuüben, als Gelegenheit dazu vorhanden ist, und diese Gelegenheiten hängen nicht von uns, sondern von den äussernd191 Verhältnissen ab, in welche Gott uns zu setzen für gut findet: folglich |b256| |c256| wird auch von keinem christlichen Lehrer mehr gefordert werden, als so viel ihm bey einer treuen und klugen Benutzung der ihm dargebotenen Gelegenheiten, nach den Kirchend192 und Policeygesetzen seines Orts,cd193 zu leisten möglich gewesen ist. Einsichtsvolle Geistliche der katholischen Kirche befinden sich gewissermassend195 ganz eigentlich in den Umständen, darunter Christus und die Apostel in Palästina lehreten: und ich kenne mehrere sehr rechtschafne Männer |d232| unter ihnen, died196 in der Stille grossed197 Aufklärungen verbreiten. Sie würden unbrauchbar werden, wenn sie weniger behutsam verführen, oder sich gegen die hierarchischen Gesetze ihrer Kirche gerade zu erklären wolten. Aber auch unter den Protestanten lebtcd198 man an vielen Orten noch auf mosaisch-jüdischen Fuß: und tausend heller sehende Prediger dürfen nicht sagen oder schreiben, was sie denken. Sie handeln aber auch christlich weise, wenn sie sich nach den Schwachen richten, und die Policeygesetze der Kirche ihrer Gegend befolgen. Christus und seine Apostel decken sie durch ihr Beyspiel gegen den schwärmerischen Vorwurf der Unredlichkeit und Heucheley. – Allein diejenigen Lehrer, welche mit Paulo ausserhalbd199 Palästina leben, oder |z25| wie Luther von ihrem Landesherrn von dem Zwange der Policeygesetze befreiet sind, haben nicht nur das Recht, sondern auch die Verpflichtung auf sich, gerade heraus zu gehen, und so laut gegen Aberglauben und Mißbräuche zu eifern, wie Paulus und Luther gethan haben. Von solchen wäre es Kleinmuth und Verrätherey an der Wahrheit, wenn sie vor den falschen Brüdern und jüdischgesinnten Schwärmern sich fürchten, und nicht die kleine Unbequemlichkeit, von dergleichen Leuten beseufztd200 oder beschimpftcd201 zu werden, um des Evangeliums willen übernehmen wolten. Nur muß jeder Lehrer, derd202 über die gemeined203 und öffentlich |b257| |c257| bestimted204 Schranken der kirchlichen Symbolen und Policeygesetze hinausgehen will, bey jedem Vorschrittd205 Rückfrage an seine Obrigkeit thun, um nicht die öffentliche Ruhe zu stören, oder ihres Schutzes verlustig zu gehen. Dieses hat selbst Luther bey aller seiner anscheinenden Unbiegsamkeit und Enthusiasmus gethan; und es ist jetzt bekant genung, daß die erste Trennung von den Schweizern mehr aus einer politischen Spekulation des Churfürsten, als aus Luthers Streitsucht ursprünglich hergerühret hat: nur Luthers Nachfolgern, besonders auf /cdder Akademiecd\cd206, fehlte es völlig an christlicher und weltlicher Klugheit.
    |d233| Lasset uns, meine theologische Mitbrüder, künftig so apostolisch von einander denken, wie Jakobus, Petrus und Paulus, bey aller Verschiedenheit ihres Verhaltens in Lehre und Wandel, von einander geurtheilet haben. Ich stossed207 mich nicht daran, wenn ich einem helldenkenden Prälaten das hohe Amt mit allem Pompd208 abwarten sehe: ich denke mir dabey Paulum im Tempel, wie er mit den vier Männern sich wegen eines nicht gethanen Gelübdes förmlich reinigen läßtcd209. Ich verdenke es auch euch nicht, meine protestantische Brüder, wenn ihr nach den Kirchengesetzen |z26| eures Orts den kleinen und grossend210 Exorcismus brauchtd211, an Gottes Statt Sündenvergebung ertheilt, und euch vieler Lehrformeln bedientcd212, deren Untauglichkeit ihr unter uns eingesteht;d213 ihr habt Christi und seiner Jünger Verhalten zu eurer Rechtfertigung für euch:z214 da ihr im christlichen Palästina lebt. Käme ich unter euch, warlichd215 ich würde nicht laut sagen, nicht unter meinem Namen drucken lassen, was ihr hier leset. – Aber nun beurtheilet auch Ihr mich nicht ferner nach den Einschränkungsgesetzen der Kirchenpolicey eures Distrikts. Ich lebe und lehre ausserhalb der Gerichtsbarkeit der Priester und Schriftgelehrten,cd216 in |b258| den Umständen, worunter Paulus |c258| und Luther mir das Vorbild der Freimüthigkeit hinterlassen haben. Ich hänge von keiner Volksgemeine, auch cd217 keinen Fakultätsstatuten ab. Ich schreibe mit Genehmigung meiner höheren Obrigkeit; und da es ungewiß ist, wie lange die hellen Zeiten uns gegöntcd218 seyn werden, so halte ich mich verpflichtet zu wirken, weil es Tag ist. Ich verlange keinen lauten Beyfall von euch, die ihr mit mir gleich denket; so bald euch Leute aus Jerusalem beobachten, handelt wie Petrus! Ich will durch Pauli nachmalige Erfahrung erinnertd219 mich nicht übereilen, euch Vorwürfe zu machen. Verwerfet und tadelt daher auch immerhin dreist diese Schrift gegen alle, welche die Empfänglichkeit nicht haben, den Inhalt zu ertragen, wenn sie durch Lesung derselben schon beunruhiget worden wären; |d234| nur predige keiner öffentlich dagegen; sonst kauft sie, wie die Erfahrung gelehrtd220 hat, der /cdBauer undcd\ Küstercd221, für die ich /dsied\ nicht schrieb, und die sonst nicht gewußt hätten, daß eine solche Schrift vorhanden wäre, wenn sie die Predigt dawider nicht neugierig gemacht hätte. Möchten doch alle christliche Theologen, die den Logos (die Vernunft) Gottes als ihr Haupt verehren, und Christi Lehre für |z27| den Geist Gottes erkennen, immer mehr λογικοι und πνευματικοι (vernünftig und geistigercd222 denkende Leute) werden, und endlich einmal aufhören, an dem sinnlichen und buchstäblichen der heiligen Schriften zu kränkeln, und den Zehnten von Münz, Till und Kümmel zu berechnen! Möchten cd223 doch dafür alle ihre Kräfte und cd224 Eifer dahin vereinigen, die grossend225 Gebote der Gerechtigkeit, der Barmherzigkeit und der Treue und Redlichkeit immer mehr an allen Orten aufzurichten! Amen.a\
aZu den Zeiten da Christus auftrat waren zwar noch die Juden, bey den gesitteten Völkern in dem Ruf der Dummheit, und des gröbsten Aberglaubens, indes fehlte es den vornehmern und besonders den Oberpriestern nicht an politischen Einsichten. Diese machten die klügere Parthey der Sadducäer aus, welche sich von der größern schwärmerischen Secte der Pharisäer dadurch unterschied, daß sie theils nur dem mosaischen Gesetzbuch eine höhere Autorität beylegten, den übrigen Schriften, deren Samlung wir das alte Testament nennen, dargegen nur einen solchen Werth zugestunden, als den Postillen, Gesangbüchern und Legenden der Heiligen in der Christenheit beygelegt wird, theils die Begriffe vom Teufel, vom Todesengel, von der Auferstehung sämtlicher Juden zur Eroberung aller Länder des Erdbodens, von einem tausendjährigen Reich des Meßias u. s. w. welche die Pharisäer dem gemeinen Volk beygebracht verwarfen. Die Secte der Pharisäer unterschied sich außer der schon erwähnten Lehrmeinung, durch eine mikrologische Auslegung des Gesetzes, und derselben gemäße strenge Beobachtung der äußern Gottesdienstlichkeit, wodurch sie beym Volk das Ansehn der Frömmigkeit erhielten: sonst aber ließ ihre Moral die Gesinnungen des Herzens völlig ungebessert. Gegen die prophetischen |a223| Schriften hatten sie mehr Ehrerbietung als die Sadducäer, auch legten sie denselben einen höhern Grad der Göttlichkeit zu, als den historischen Schriften, jedoch eine geringere als dem Gesetzbuch. Ueberhaupt haben diese jüdische Schriften unter den Juden selbst niemals das große Ansehn gehabt, was ihnen nachher von vielen christlichen Theologen beygelegt worden ist, welche die Begriffe von einer unmittelbaren göttlichen Eingebung aus Mißverstand orientalischer Redensarten übertrieben haben. Christus erkläret uns ausdrücklich Math. 15, 24. daß er sich für seine Person blos mit den Verbesserungen der Denkart seiner Landsleute der Israeliten beschäftigen, und auf diese die Absicht seines Lehramts einschränken wolle. Nun hatte er ein Volk vor sich, welches die Göttlichkeit seiner bisherigen Religion auf die Geschichte vieler Wunder gründete, die nach ihren historischen Schriften zur Bestätigung des mosaischen Gesetzes geschehen waren, und womit alle ältere Gesandten des Jehova ihre Bevollmächtigung erwiesen hatten. Wollte Christus dieses Volk von der Anhängigkeit an den unfruchtbaren Gottesdienst ihrer Väter befreyen, so mußte er sich nach ihrer Denkungsart bequemen, und sich als einen höheren Gesandten Gottes denn Moses und die Propheten gewesen waren durch Zeichen und Wunder legitimiren Joh. 4, 48. K. 2, 2. Die Lehrer des alten Bundes waren als Diener und Knechte des Jehova an das Volk geschicket worden, und hatten selbst knechtische Gesinnungen gehabt, und solche in der Nation unterhalten, Christus wollte eine kindliche Denkart gegen Gott erwecken, erschien daher als der Sohn Gottes, und als der Meßias von welchen schon im voraus Mose und alle Propheten geweissaget hatten. Diese Bemerkungen werden für selbstdenkende Leser der apostolischen Schriften hinlänglich seyn, die ganze Einkleidung der Glückseligkeitslehre, und solche Juden an|a224|nehmlich und faßlich zumachen, aus dem rechten Gesichtspunkte zu beurtheilen. Denn für Juden sind zunächst die Schriften, welche wir von den Schülern Jesu haben, aufgesetzt worden, daher wird die Lebensgeschichte desselben darin so erzählet, daß diese Nation dadurch bestimmt werden könnte, ihm die größte Autorität unter den Gesandten der Gottheit zu zugestehen, und ihn für den Herrn und Christ zu erkennen, in welchen Gott stets gewohnet habe, anstatt andre Boten des Jehova nur dann und wann begeistert worden sind; und welcher als das Leben und Licht hervorbringende Wort des Weltschöpfers als die in menschlicher Gestalt herumgehende Stimme angesehen werden könnte, und in dessen Person und Lehre sie alles in höheren Maaß vereiniget finden, was in der mosaischen Religion ihnen ehrwürdig und tröstlich gewesen sey. In so fern nun der weit größere Theil der Menschen unfähig ist, höhere Religionswahrheiten aus innern Gründen zu erkennen, und die Untersuchung darüber bis zu den ersten Quellen richtiger Erkentniß fortzusetzen, selbst die meisten Gottesgelehrten sich lieber auf Autoritäten verlassen, als selbst prüfen, so bleibt die historische Einkleidung das vortreflichste Hülfsmittel die Glückseligkeitslehren praktisch klar zu machen, und durch höhere Autorität sie zu vergewissern. Ich will daher das Christenthum mit Absonderung des, was blos für Juden war, in der historischen Gestalt noch vortragen, wie es in der evangelischen Geschichte erscheint, und noch in den öffentlichen Unterricht an das Volk vorgestellet werden muß.
Um den morgenländischen Sprachgebrauch von den Redensarten, der Geist Gottes kam über jemand oder war in einem Menschen, Gott hauchte jemanden an, oder inspirirte ihn, nach seiner ganzen Ausdehnung zu übersehen, vergleiche man nur folgende Stelle 1 Mos. 41, 38. 2 Mos. |a225| 31, 2. 1 Sam. 16, 23. und insonderheit Hiob 32, 8. in der griechischen Uebersetzung mit 2 Tim. 3, 16.a
c1: Zeitenc2: Umständen:cd3: geführetcd4: größtentheilsd5: weggeführetd6: habencd7: erlangetd8: Gesetzbuched9: Volkesd10: schwach,d11: großercd12: Religionsfeindschaftcd13: besetzetc14: einencd15: grösseren Volke (c) ; grösseren Volke (d)cd16: größeren Volkez17: Schutzherrencd18: babilonischencd19: kultiviretd20: geäußertcd21: grösserem (c) ; grösserem (d)cd22: größeremc23: haben[.]d24: Staatedz25: suchten,c26: fühletend27: Indeß fühletend28: ihnend29: großend30: außerordentlichercd31: erwecketd32: Volk,cd33: entstehetcd34: zuzueignencd35: befiehlt (c) ; befiehlt (d)cd36: befiehletd37: alles,d38: 17–19.cd39: Gesetzecd40: Reichescd41: diesescd42: Vergleichetcd43: Gesetze Mosiscd44: Undcd45: gestelletcd46: erkläret geraded47: Jochecd48: gesuchetcd49: Zweiflerd50: Zweck,d51: Landes-c52: genausted53: ist,d54: selbstd55: desselbencd56: richten (c) ; richten (d)cd57: richten,cd58: machten;cd59: in der genauestencd60: auserhalb (c) ; auserhalb (d)cd61: außerhalbc62: warend63: Verfassung warencd64: Zwecked65: überflüßigcd66: höherencd67: fürcd68: Planed69: äußerlichcd70: Apg. 15, 28. 29. (c) ; Apg. 15, 28. 29. (d)cd71: Apostg. 15, 28. 29.d72: zusammengekommen wäre,cd73: entstandenecd74: Anstößigescd75: zeigetd76: niederzureißencd77: vereinigetd78: Sinnes,cd79: benutzetcd80: diesescd81: welchencd82: Petroc83: fleißigd84: Volkes fleißigd85: umgieng, jenercdz86: daßcd87: Jerusalemschend88: berechtigetcd89: in Palästinacd90: fürd91: alarmirtd92: setztec93: vielemd94: vielem Affektecd95: erd96: vielencd97: wied98: wolled99: welchercd100: lehrte, sichcd101: mitcd102: entweihet hätted103: Apostg.cd104: Statthaltercd105: Judencd106: Apostg.c107: 10,cd108: vorhergehendend109: ausmachen,d110: Staatescd111: aberd112: Gesetzecd113: entgegengesetzetcd114: Fluched115: Kap. 4, 20–24.d116: Kap.c117: 14.cd118: darauf (c) ; darauf (d)cd119: auf ihre Lehrencd120: den Schriften derselbend121: vollkomnerend122: verheißenczd123: 46. (c z) ; 46. (d)czd124: 46d125: stehetd126: Apostg. 10, 43.cd127: Kap.cd128: folgetcd129: auf dascd130: zurück weisetcd131: Lichtecd132: sollte. 2 Petr. 1, 19. Die (c) ; sollte. 2 Petr. 1, 19. Die (d)cd133: sollen. 2 Petr. 1, 19. Diecd134: haben daher ihre jüdische Zeitverwandten auf alle mögliche Art von den Schriften des alten Bundescd135: darind136: menschlich,cd137: vorgestelletcd138: den Leserncd139: gegen denselben eingehaucht wird (c) ; gegen denselben eingehaucht wird (d)cd140: gegen denselben eingehauchet wirdc141: Schriftend142: neutestamentlichen Schriftend143: großend144: Religionsbegriffend145: indeßcd146: Christenthumed147: mehreresd148: jemalsd149: hat,cd150: in demselbend151: ceremoniale, bürgerlichecd152: entstehetd153: Mosecd154: folgern,cd155: dazucd156: alttestamentischend157: mehreresd158: wichtigend159: welched160: beobachtetend161: welcherd162: edlerencd163: fliesset (c) ; fliesset (d)cd164: fließetcd165: sied166: welchecd167: autorisiretcd168: Landesleuted169: herablässetcd170: zeigetcd171: giengd172: wollted173: äußerstc174: Brodd175: siecd176: ein solchescd177: mehrerend178: lässetd179: anwesendend180: Beweißd181: welchec182: 5.c183: 33.cdz184: zucd185: Empfänglichkeitcd186: wünschetcd187: Beyspieled188: äußernd189: welchecd190: höheremd191: äußernd192: Kirchen-cd193: Orts (c) ; Orts (d)cd194: Ortesd195: gewissermaßend196: welched197: großecd198: lebetd199: außerhalbd200: beseufzetcd201: beschimpfetd202: welcherd203: gemeinend204: bestimtend205: Vorschrittecd206: den Universitätend207: stoßed208: Pompecd209: lässetd210: großend211: brauchetcd212: bedienetd213: eingestehet:z214: euch,d215: warlich,cd216: Schriftgelehrtencd217: voncd218: gegönnetd219: erinnert,d220: gelehretcd221: und Handwerksmanncd222: geistigcd223: siecd224: ihrend225: großen

§. 89.

/aWir haben bisher gesehen, wie Christus und seine Apostel sich gegen Mosis Schriften, in sofern sie die palästini|b259||c259|sche Landesgesetze enthielten, betragen haben; wie sie darin kein Jota verändert, sondern sich selbst aufs pünktlichste darnach gerichtet, und alles vermieden haben, was bey gemeinen Judenchristen die Achtung gegen das Gesetzbuch und den Eifer in dessen Befolgung hätte schwächen können. Lasset uns nun bemerken, wie ganz anders sie über eben diese mosaische Schriften urtheilen, in sofern die Juden ihren Inhalt als einen Religionsunterricht betrachteten, der zu höherer Glückseligkeit anzuleiten geschickt sey. Hier wird sich finden, daß keind1 Jota aus dem Mose unverändert geblieben, sondern ein durchaus neuer Lehrbegrif von Christo im Gegensatzcd2 des mosaischen geoffenbaret und eingeführet worden ist. Daher sagt Johannes Kap. 1, 17. Das Gesetz, (worauf euer bürgerliches gemeines Wesen beruhet,)c3 ist durch Mosen gegeben, die Gnade und Wahrheit aber, das ist, die gnädigen Gesinnungen Gottes gegen die Menschen, und die wahre beseligende Religion, |d235| sind durch Jesum Christum allererst geoffenbaret worden. Dieses verdientcd4 nun um so mehr deutlichercd5 auseinander gesetztd6 zu werden, da hauptsächlich auf einer richtigen Einsicht hiervon sowol der grossed7 Vorzug des Christenthums vor dem Judenthumd8, als auch das rechte Erkentniß von dem /cdzweck|z28|mässigen Gebrauchcd\cd9 des alten Testaments unter den Christen beruhet.
  • 1. Begriffe von Gott. Mose stellet Gottz10 nach den kindischen Fähigkeiten der Juden seiner Zeit, als ein Wesen von menschlicher Denkungsart und heftigen Leidenschaften vor. Ercd11 ist cd12 der höchste und stärkste der Götter, der eifersüchtig auf seine Ehre ist, der sich auf das Volk Israel nach den Kriegesgesetzen ein eigenthümliches Recht,cd13 durch /cdihrecd\ Eroberung und Erlösung cd14 aus Egyptens Sklaverey,cd15 erworben hat, und cd16 daher als der einzige Schutzgott des Landes, dasd17 er /cdihnen zur Benutzung eingiebtcd\cd18 und erobern hilft, an|b260||c260|gesehen und verehrtcd19 werden will. Man soll ihm,cd20 als einen Grundzins und Schutzgeld, die Erstlinge und den Zehnten von allem geben; niemals ohne Geschenke vor ihm erscheinen; nirgends als vor seinem Pallastd21 opfern, weil es sonst die Feldteufel geniessend22, 3 Mos. 17, 7. Der Jehova hasset und verabscheuet die übrigen Völker, besonders die Cananiter, theils wegen cd23 Vergehungen ihrer Stamväter, theils weil sie andere Götter und die Feldteufel verehren, darum sollen auch die Juden sie hassen, verabscheuen und ausrotten.d24 Wer sich gegen des Jehova Gesetze vergehtd25, kan keine Vergebung hoffen, bevor nicht Blut vergossen worden; und Abgötterey soll als Hochverrath unverzeihlich noch an den Nachkommen bis ins vierte Glied bestrafet werden. – Sehet da die mosaisched26 Begriffe von Gott! Können diese wold27 Gemüthsruhe und Edelmuth erzeugenc28? Kan Gott, auf diese Art gedacht, der Gegenstand einer freudigen Anbetung und das vollkommenste moralische Muster unsrer Nachahmung seyn? – Christus machtcd29 es dagegen zum ersten Begrifd30 von Gott, daß er der Vater |d236| aller Menschen sey; auf diesemcd31 Grundsatz sollen alle Völker, died32 seine Lehre annehmen, getauftcd33 wer|z29|den. Der Geist der kindlichen Liebe soll das Vorrecht der Christen vor den Juden seyn, die durch einen Geist der Furcht und der Knechtschaft beherrschtd34 worden waren, und den Weg des Friedens nicht gewußtd35 hatten; denn ihr Gesetz hatte nur Zorn und widrige Leidenschaften erregtcd36, Röm. 8, 15. K. 4, 15. Luc. 1, 74. Die Feindschaft, welche durch dasselbe zwischen ihnen und andern Völkern gestiftet und unterhalten worden war, ist durch Christum aufgehoben, und die Verfluchungen des Gesetzes sind für unbedeutend erkläret, /cc\c37 Gal. 3, 13. Nun wird Gott, der über Böse und Gute seine Sonne |b261| |c261| scheinen lässet, mit seinem Regen die Felder der Gerechten und Ungerechten befruchtet, und auch gegen Undankbare und Boshafte gütig ist, das erhabenste Muster der moralischen Vollkommenheit für uns,cd38 Matth. 5, 45. 48. Luc. 6, 35. Von ihm können keine andred39 als gute und vollkomned40 Gaben herkommen, denn er hat keine Leidenschaften, und ohne auf äussered41 Unterschiede der Nationen und ihre Herkunft zu sehen, ist nun in allerley Volk ein jeder, wer ihn hochschätztcd42 und recht handelt, ihm angenehm, Apostg. 10, 34. Röm. 2, 6–16. Denn alle sind seine Kinder, alle will er durch Verbesserung ihrer Einsichten und Gesinnungen selig gemacht wissen, Röm. 3, 29. 1 Tim. 2, 4. 5. – Mit Recht sagtcd43 daher Johannes Evang. 1, 18. noch habe niemand, weder Moses noch andre Propheten, Gott gekant, sondern Christus sey der erste gewesen, /dderd\d44 den Vater /dunsd\ nach seinem wahren Charakter geoffenbaret habe. (Ebr. 8, 6–13. Röm. 10, 12. K. 11, 32. K. 3, 22.cd45 f.)
  • 2. Begriffe von der Vorsehung und moralischen Regierung Gottes. Nach Mose komt es darauf an, ob man das Glück gehabt hat, von jüdischen Aeltern geboren zu werden, um an der nähernd46 Aufsicht |z30| und Wohlthätigkeit Gottes Theil zu nehmen, und ob die |d237| nächsten Ahnen das Gesetz beobachtet haben, oder ob man noch für sie büssend47 muß. Die Belohnungen für genaue Erfüllung der Gesetze sind nach dem Mose der Mitbesitz /cdan demcd\cd48 gelobten Lande,cd49 Reichthum, viele Kinder, Gedeihen der Feldfrüchte, Ehre und /dandre äussred\d51 Vorzüge, 2 Mos.c52 13, 25. f. 5 Mos. 7,c53 12–16. Wem diese Merkmale des Segens vom Jehova fehlen; wer in Armuth, Verachtung, Krankheit und /cdäusserm Elendcd\cd54 lebt, der ist kein Gesegneter des Herrn, und hat entweder selbst oder in seinen Aelternd56 gesündiget, 5 Mos. 28, 15 f. – Glücks und |b262| |c262| Unglücksfälle sind Zeichen der Gnade oder des Zorns Gottes. – Hören wir Christum dagegen, so erstrecket sich die göttliche Vorsehung auf jede Blume des Grases, auf jeden Vogel, und demnach auf alled57 die mehr sind, als Blumen und Thiere, auf alle Menschen, ohne Unterschied der Herkunft, Matth. 6, 25–30. Krankheiten und äussered58 zufällige Uebel sind keine Anzeigen des Zornsd59 Gottes, noch auch angeerbter oder selbst begangnerd60 Verschuldungen, Joh. 9, 2. 3. d61 sondern werden durch die väterliche Regierung unsrer Schicksale, Mitteld62 unsre grössred63 Wohlfart zu befördern. Auch die Armen, Verfolgten, Verachteten können schon hier selig seyn, wenn sie Gott ähnliche Gesinnungen haben: ja es ist denen, welche durch äusserliched64 Glücksgüter weniger zerstreuet werden, leichter als den Vornehmen und Reichen, gottselig zu leben, und ihr Gewissen rein zu bewahren, Matth. 5, 3.cd65 f. Luc. 6, 20–26. Alle Menschen haben in Gottes Augen einerley Werth, in was für äusserncd66 Verhältnissen sie sich auch befinden; nur nach dem innern Gemüthscharakter und d68 den Werken unterscheidet er sie,cd69 und giebtd70 jedem täglich, was ihm das zuträglichste ist, 1 Petr. 1, 17. Matth. 5, 31. |z31|
  • 3. Begriffe von der Anbetung Gottes. Nach Mosis Gesetzd71 kan Gott nur an einem Ortcd72 ihm wohlgefällig angebetet werden, 5 Mos. 12, 5. Man darf aber nicht mit leerer Hand vor ihm erscheinen, 5 Mos. |d238| 16, 16. auch sich nicht unmittelbar an ihn wenden; sondern die Priester sind die geweiheten Mittelspersonen, died73 der Menschen Anliegen vor Gott bringend74. Es sind auch nicht alle Tage gleich. /dSabbat, Neumonden,cz75d\d77 und Gedächtnißfeste sind heiligere Zeiten, died78 Gott zu /dehren gefeiertc79d\d80 werden müssencd81. Man muß sich von allerley Speisen enthalten, und selbst die Zubereitung der Kleider ist nicht |b263| |c263| gleichgültig, wenn man vor Gott rein bleiben will, 5 Mos. 22, 10. 11. – Dagegen erklärtcd82 Christus, daß Gott als ein Geist nur in Gedanken und Gesinnungen des Herzens gehörig angebetet werden könne, ohne daß der Ort dazu etwas beytrage; und die Apostel lehren nochmalscd83, daß Gott nicht in Tempeln wohne, died84 von Menschen Händen gemacht sind, auch nicht von Menschen gepflegtcd85 und beschenktcd86 werden dürfe;d87 daß jeder einen ofnend88 freien Zutritt ohne vermittelnde Priester zu ihm habe; daß niemand sich ein Gewissen machen solle, über Speise oder Trankz89 oder bestimten Sabbatern, Neumonden oder Festtagen; daß alle Tage gleich sind, und alle Gabe Gottes, died90 mit dankbarem Andenken an ihn genossen werde, uns rein sey; und in der Kleidung jeder die Sitten des Landes beobachten könne, Col. 2, 16. Röm. 14, 5. 14. 17. Phil. 4, 8.
  • 4. Principium des Gehorsams gegen Gott. Nach dem Mose beruhend91 die Pflichten gegen Gott auf der Errettung der Juden aus der Sklaverey Egyptens und d92 der Schenkung eines eignend93 Landes, daher sie Gott dienstbar seyn soltencd94. Den Gehorsamen war äusseresd96 Wohlergehn, den Ungehorsamen aber |z32| Verderben gedrohet. Das Gesetz war unter Donner und Blitz bekant gemacht, und Furcht und Zittern vor dem Eifer des solten die Uebertretungen verhindern; daher die schrecklichen Verfluchungen, die man 5 Mos. 28. nicht ohne Grausen lesen kan. Ob nun gleich Mose auch das Gebot hat: Man solle Gott von ganzem Herzen lieben, so vermochte doch sein Gesetz nicht, diese Liebe her|d239|vorzubringen. Nach Christi Lehre sollen die wohlthätigen Gesinnungen Gottes uns überzeugen, daß alle seine Vorschriften väterliche Rathgebungen zu unsermz97 Besten sind. Liebe soll die Quelle aller religiösen Ge|b264||c264|sinnungen gegen ihn seyn;cd98 und sich in der Begierde, ihm gefällig und ähnlich zu werden, bey allen Handlungen äussern;cd99 weil damitd101 unmittelbare Gemüthsruhe und freudiger Muth in Absicht der Zukunft entsteht. Daher bedarf es keines geschriebenen Gesetzes mehr;d102 alles positive ist aufgehoben, da ein dankbares liebevolles Herz gegen Gott von selbst dascd103 thut, was /cdihmcd\ recht und cd104 angenehm ist, Röm. 7, 6. K. 8, 2. 1 Joh. 4, 16. 19. Ebr. 8, 10. 11. Röm. 12, 1. 2.d105 f.
  • 5. Principium der gesellschaftlichen Pflichten. Nach dem Mose solte der Jude zwar auch schon seinen Nächsten lieben als sich selbst, 3 Mos. 19, 18. aber der Nächste war nach eben dieser Stelle nicht jeder Mensch, sondern nur der Mitjude, der Religionsverwandte und Mitbürger; alle andred106 Völker war der Israelit zu hassen nicht nur berechtigtcd107, sondern auch verpflichtet. Daher sagtcd108 Christus: es ist zwar zu den Alten gesagt: du solst deinen Freund lieben und deinen Feind hassen; ich aber sage euch, liebet auch eure Feinde, segnet, die euch fluchen, thut wohl denen, die euch beleidigen und verfolgen, damit ihr Kinder seyd des allgemeinen Vaters, der allen seine Sonne scheinen läßtd109. Und darum zeigtcd110 Chri|z33|stus in der Erzählung von dem barmherzigen Samariter dem Juden, der ihn frug: wer denn sein Nächster sey? daß auch Menschen aus feindseligen Nationen, und die für Ketzer gehalten würden, darunter gehörtencd111. Mit Recht wird daher auch, so wol wegen dieser Ausdehnung der Pflicht des Wohlwollens auf alle Mitmenschen, als wegen der weit innigern und thätigern Art der Liebe, welche das Christenthum empfieltcd112, diese Vorschrift, den Nächsten zu lieben, für ein neues Gesetz erklärtcd113, was Christus zuerst bekant gemacht hat, und welches zugleich statt aller übrigen buchstäblichen |d240| Verordnungen das |b265| |c265| einige Gebot der Christen seyn soll, Joh. 13, 34. Röm. 13, 8–10.
  • 6. Begriffe vom Zustande nach dem Tode. Im Mose findet sich gar keine Aussicht in ein besseres Leben eröfnet; alle Belohnungen und Strafen, die als Beweggründe zur Beobachtung seiner Gesetze angeführtcd114 werden, beziehen sich auf Palästina, undcd115 das äussered116 Glück dieses Lebens und auf die Nachkommenschaft. Durch Christum ist allererst Leben und Unsterblichkeit durchs Evangelium ans Licht gebrachtcd117. Denn was die Pharisäer/cd, nach einer spätern Muthmassung,cd\ von einer bevorstehenden Auferstehung glaubten, /cdwar einecd\cd118 Wiederauflebung der Juden zu einem tausendjährigen Reichd119 unter dem Messias, und cd120 keine Religionslehre, died121 das Herz zu göttlichern Gesinnungen und zu unendlichen Hofnungen hätte erweitern können, 2 Tim. 1, 10. 1 Petr. 1, 3. Ph. 3, 20. 21. cd122
Nimt man alles dieses zusammen, so ist unleugbar, daß alle Religionsbegriffe, died124 Mose im Kindheitsalter des israelitischen Volkes in Beziehung auf seine politische Gesetzgebung bekant gemacht hatte, durchaus durch Christum abgeändert worden sind. Ob nun gleich die Propheten nach und nach schon manches darin zu bes|z34|sern versuchtcd125 hatten, so konte es doch nicht fehlen, daß nicht auch bey ihnen der Geist der Furcht, der Knechtschaft, des Nationalstolzes und des Religionshasses gegen andred126 Völker, nebst dem Hange zum Sinnlichen in der Religion, vermöge des Geistes der mosaischen Gesetzgebung, noch herrschend blieben; daher diese auch jetzt noch den Lesern der alttestamentischen Schriften eingehauchtd127 werden. Wie kan der gemeine Christ, wenn er an diese Bücher als einen für ihn bestimten göttlichen Unterricht gewiesen wird, mit seinemc128 ungeübten Scharfsinnd129 das absondern, was seine erfreulichere und edlere christliche Vorstellungen verschlechtert:cd130 Paulus warnet |b266| |c266| Gal. 5. aufs angelegentlichste vor aller Einmischung mosaischer Begriffe ins Christenthum, und sagtcd131 ausdrücklich in dieser Beziehung: ein wenig Sauerteig |d241| könted132 den ganzen Teig verderben; und warlichd133 nicht nur gemeine Christen, sondern auch viele Theologen haben durch den zweckwidrigen Gebrauch des alten Testaments ihren Lehrbegrif vom Christenthumd134 in vielen Artikeln sehr durchsäuren lassen. Dieses wird sich in der Folge noch deutlicher zeigen, und ich glaube schon jetzt meine Behauptung vom alten Testamentcd135 dahin gerechtfertigtcd136 zu haben, daß es blos als eine historische Urkunde von der grossend137 Unvollkommenheit der Religionsbegriffe vor Christo, und von der allmähligencd138 zunehmenden Dämmerung bis zum Anbruchd139 des Tages bey Erscheinung Christi anzusehen und zu brauchencd140 sey, 2 Petr. 1, 19.a\
a1. Gott hat sein unsichtbares Wesen und seine preißwürdige Vollkommenheiten in seinen Werken den Augen der Vernunft allen Menschen geoffenbaret; und durch so viele Wohlthaten in der Natur, die sich von allen Seiten ihnen darbieten seine Güte allen ihren Samen empfindbar gemacht: auch hat er den Menschen das Vermögen mitgetheilt, gutes und böses, recht und unrecht, das anständige und unanständige zu unterscheiden, ja die äußere Verbindung darin Gott die Menschen gesetzt hat veranlasset diese Erkentnisse so gleich in ihnen, wenn sie zum Gebrauch der Vernunft kommen, weil ihr Selbstgefühl ihnen in jedem Fall sagt, was für eine Begegnung sie von andern zu erhalten wünschen: diese von selbst entstehende richtige Empfindungen von Sittlichkeit sind das natürliche Gewissen, was bey allen Völkern nach dem Maaß des Anbaues ihres Verstandes angetroffen wird. In so fern wäre es daher allen Menschen möglich gewesen, die liebreichen Gesinnungen Gottes gegen uns zu erkennen und aus Dankbarkeit dagegen allen Regeln der Ordnung und Gerechtigkeit nachzuleben. Röm. 1, 20. Apg. 14, 17. K. 17, 26 f. Röm. 2, 14.
2. Allein die Menschen hatten wenig Aufmerksamkeit auf die Erweisung der göttlichen Wohlthätigkeit bewiesen, und waren auf allerley fürchterliche Begriffe von der Gottheit gerathen: auch hatten sie verabsäumet den Vorschriften ihres natürlichen Gewissens zu folgen, und daher hatte sich unter allen Völkern ängstlicher Aberglaube und Lasterhaftigkeit ausgebreitet, so daß keine Nation den wahren Weg zur Gemüthsruhe und Glückseligkeit zu gelangen erkannte. Röm. 1, 21. f. K. 3, 9–19.
3. Gott hatte nun zwar unter allen Nationen besonders unter den Juden von Zeit zu Zeit rechtschafne Männer begeistert, die sich dem überhandnehmenden |a226| Verderben der Sitten widersetzten, allein alle diese Männer hatten mehr durch Androhungen göttlicher Strafen, als durch Vorstellungen der gütigen Gesinnungen Gottes gegen die Menschen, eine Verbesserung der Denkart hervorzubringen gesucht, und daher waren überall nur knechtische Befürchtungen, hiermit mehr feindselige und widrige Gesinnungen, als kindliches Vertrauen und Folgsamkeit gegen Gott in den Menschen erweckt und unterhalten worden. Die Menschen quälten sich daher durch allerley Demüthigungen, durch Enthaltung von vielen Vergnügen des Lebens, durch Geschenke und Opfer und andre Büßungen die Gottheit zu besänftigen, und zitterten bey dem Gedanken, an den bevorstehenden Tod, weil sie sich einbildeten, daß Gott sie alsdenn einem grausamen Geist zur Marter übergeben werde. Ebr. 1, 1. Röm. 4, 15. Luc. 1, 79. Ebr. 2, 15.
4. Um die Nationen aus diesem allgemeinen Verderben der Moralität und des Aberglaubens zu erlösen und sie mit sich auszusöhnen, veranstaltete Gott unter dem jüdischen Volk zuerst die Geburt eines ganz vorzüglichen Mannes, welchen er mit allen Talenten des Geistes ausrüstete, und mit welchem er so vereint war, daß man an diesem Jesu sehen konnte, wie Gott gegen die Menschen handeln würde, wenn er als Mensch uns erschiene. Er war das Ebenbild und die unter den Menschen wandelnde Stimme Gottes; seine Worte waren Licht und Leben ertheilende Gottesworte, seine Handlungen göttlich wohlthätige Thaten. Er zeigte blos kindliche Gesinnungen gegen Gott und theilte als Sohn Gottes, denen die ihn hörten ähnliche Gesinnungen und die Berichtigung mit, sich als Kinder Gottes zu betrachten. Aus allem was er redte und that leuchtete der göttliche Character seiner Sendung hervor und an ihm konnte man sehen, wie göttliche Tugenden in der Menschheit geübt, und wie Menschen göttlicher Natur theilhaftig werden können. Apostelg. 10, 38. Joh. 1, 1–8. vergli|a227|chen mit 1 Joh. 1, 1. und Joh. 6, 63. Joh. 17, 7–11. K. 10, 34–38. 2 Petr. 1, 3. 4. f.
5. Er ward von der jüdischen Geistlichkeit verfolgt. Die Sadducäer und vornehmen Priester besorgten eine Zerrüttung des Staats und den Verlust ihrer Einkünfte beym Tempel, wenn das Volk über die Religion weiter aufgekläret würde. Die Pharisäer aber waren theils als Heuchler, theils als Schwärmer gegen eine Lehre aufgebracht, die ihre bisherige äußere Heiligkeit und Eifer fürs Gesetz der Väter erniedrigte. Man beschloß also Jesum zu tödten. Er wußte dieses voraus, aber er entfernte sich nicht, weil sonst der ganze Nutzen seines mehrjährigen Amts vereitelt worden seyn würde. Er kündigte seinen Schülern und beständigen Begleitern den Abend vor seiner Gefangennehmung seine bevorstehende Hinrichtung im voraus an, und stiftete eine Feyerlichkeit zum Andenken dieser freywilligen Aufopferung zum Besten der Menschen. Durch ein Concilium der Geistlichen verdammt besiegelte er durch seinen Tod seine Lehren und stiftete dadurch so wol das stärkste Denkmal seiner Menschenliebe als seinen eignen Uebergang von den bevorstehenden belohnenden Leben nach dem Tode. Joh. 11, 47. f. K. 15, 13. 14. f. K. 10. 8–18. 1 Joh. 3, 16.
6. Gott erweckte ihn wieder. Am dritten Tage suchte er seine Schüler auf, unterrichtete sie einige Wochen hindurch vollständiger, und bevollmächtigte sie hierauf Boten des Friedens in der ganzen Welt zu seyn, daß nun Gott nur als Vater geliebet werden wolle, keine Opfer, keine Büßung, keine Dienste mehr von Menschen verlange, sondern blos rechtschaffene Menschenliebe und vernünftige Bestrebung nach Glückseligkeit, wodurch ein jeder zu höherer Wohlfart nach dem Tode sich hier geschickt machen könne. Hierauf begleiteten seine Jünger ihn auf einen Berg, wo er sich in einer Wolke ihren Augen entzog. Math[.] 28, 19. 20. Eph. 4, 1. bis K. 5, 17.
7. Wer sich nun zur Gemeine Christi bekennt ist ein Mit|a228|glied seines Körpers, wovon er das Haupt ist; wer aufrichtige Liebe gegen Gott und Menschen übt, hat den Geist Christi und kann daran bemerken, daß er mit Christo und Gott vereinigt ist, und hiermit kann er zugleich gewiß seyn, daß er nicht im Grabe bleiben, sondern sein Haupt ihn nach sich ziehen wird: denn diese Macht hat Gott Christo gegeben, dereinst alle die an ihn geglaubt haben zu höhern Freuden einzuführen. 21. 1 Cor. 12, 12–27.
Man siehet leicht, daß die Geschichte des Lebens Christi blos aus dem einigen Gesichtspunkte betrachtet, daß Christus uns sichtbar gemacht hat wie Gott denkt und handelt, und wie wir also gesinnet seyn und uns verhalten müssen, wenn wir mit Gott vereiniget werden, oder seinem Plan gemäß denken und handeln wollen, ungemeine reiche Materien zum praktischen Unterricht für jederman darbietet. Ich habe schon von einer andern Seite eben diese Geschichtseinkleidung §. 39. betrachtet und muß hier überhaupt mehr bloße Winke geben, wenn ich nicht sehr weitläuftig werden will. Diese historische Einkleidung wird nach Pauli Urtheil so lange Menschen hier leben nöthig bleiben, aber nach dem Tode werden alle ohne Glauben durch deutliches Erkennen gerade zu Gott geführet werden: so verstehe ich die Stelle 1 Cor. 15, 24–28. verglichen mit K. 13, 8–12.a
d1: keinecd2: Gegensatzec3: beruhet),cd4: verdienetcd5: deutlichd6: gesetzetd7: großed8: Judenthumecd9: zweckmäßigen Gebrauchez10: Gott,cd11: Nach ihmcd12: Jehovacd13: Rechtcd14: desselbencd15: Sklavereycd16: derd17: welchescd18: den Juden anweisetcd19: verehretcd20: ihmd21: Pallasted22: genießencd23: derd24: ausrotten:d25: vergehetd26: mosaischend27: wohlc28: erzeigencd29: machetd30: Begriffecd31: diesend32: welchecd33: getaufetd34: beherrschetd35: gekanntcd36: erregetc37: Ephes. 2, 13–18.cd38: unsd39: andered40: vollkommened41: äußerecd42: hochschätzetcd43: sagetd44: welcher unscd45: 22d46: näherend47: büßencd48: descd49: Landes (c) ; Landes (d)cd50: Landes,d51: andere äußerec52: Mose.c53: 7.cd54: äusserem Elende (c) ; äusserem Elende (d)cd55: äußerem Elended56: Elternd57: alle,d58: äußered59: Zornesd60: begangenerd61: Luc. 13, 1. 5.d62: Mittel,d63: größered64: äußerlichecd65: 3cd66: äusseren (c) ; äusseren (d)cd67: äußerend68: nachcd69: sie;d70: giebetd71: Gesetzecd72: Orted73: welched74: müssencz75: Neumond, (c) ; Neumond, (z)cz76: Neumondend77: Sabbate, Neumondend78: welchec79: gefeyertd80: Ehren gefeyertcd81: sollencd82: erkläretcd83: nachmalsd84: welchecd85: gepflegetcd86: beschenketd87: dürfe:d88: offenenz89: Trank,d90: welched91: beruhtend92: aufd93: eigenencd94: sollten (c) ; sollten (d)cd95: sollend96: äußeresz97: unsremcd98: seyn,cd99: äussern, (c) ; äussern, (d)cd100: äußern,d101: hierdurchd102: mehr:cd103: dasjenigecd104: ihmd105: 2d106: anderecd107: berechtigetcd108: sagetd109: lässetcd110: zeigetcd111: gehörencd112: empfieletcd113: erkläretcd114: angeführetcd115: aufd116: äußerecd117: wordencd118: betraf died119: Reichecd120: ward121: welchecd122: Matth. 22, 23 bis 30. (c) ; Matth. 22, 23 bis 30. (d)cd123: Matth. 22, 23–30.d124: welchecd125: versuchetd126: andered127: eingehauchetc128: seinend129: Scharfsinnecd130: verschlimmert?cd131: sagetd132: könned133: warlich,d134: Christenthumecd135: Testamentecd136: gerechtfertigetd137: großencd138: allmähligd139: Anbruchecd140: gebrauchen

§. 90.

/aDer Zweck Christi und seiner Apostel gingcd1 nach den deutlichsten Aussprüchen des neuen Testamentscd2 dahin, ohne Abänderung der Landesgesetze zuvörderst würdigere und geistigere Begriffe von Gott, als Mose und die Propheten von ihm noch nicht d3 ertheilen kontend4, zu erwecken, damit die Menschen von aller Furcht und Aengstlichkeit, womit |z35| sie /dihm äusserlichd\d5 zu dienen und seinen Zorn zu besänftigen gesuchtcd6 hatten, befreiet, Vertrauen zu ihm fassen, nichts als Gutes erwarten, bey allen Schicksalen ihres Lebens ruhig bleiben, und der Zukunft auch über das Grab hinaus getrost und hofnungsvoll entgegen sehen möchten, Luc. 1, 79. Dieses ist der Geist der Kindschaft, welchen die Juden nicht ohne Erlösung von Mosis Gesetz, in sofernd7 es als Religion von ihnen betrachtet ward, empfangen konten, Gal. 4, 4. 5. 1 Petr. 1, 18. 19. Röm. 8, 1. 16. K. 14, 17. 18. Joh. 8, 31. 32. 1 Joh. 4, 16–19. K. 3, 1c8 f. Hiernächst soltec9 ein allgemeiner Geist der Rechtschaffenheit und Liebe unter den Menschen, |b267| ohne Rücksicht auf Nationalherkunft und andre /cdäussere Unterschiedecd\cd10 der Stände, erwecktcd11 werden, damit die Menschen einander das Leben versüssend12, und Gottes Absicht, allen möglichst wohlzuthun, ihrerseits thätigst befördern möchten, Joh. 13, 34. 35. Matth. 5, 43. 48. Ephes. 4, 15. 1 Joh. |d242| 3, 11. 24. Col. 3, 15. Röm. 13, 8–10. 1 Cor. 13. Und so ist demnach das Wesen aller Religion und des ganzen Christenthums lediglich und allein in dem Geistcd13 der Liebe zu Gott und zu unsernz14 Mitmenschen zu setzen, Matth. 22, 36. 40. 1 Joh. 4, 16. Diese Gesinnungen sind die unmittelbare Quelle der innern Gemüthsruhe, der höhern moralischen Freuden und der erhabensten Hofnungen. Zu diesem Zweckcd15 hin sind alle Anweisungen des neuen Testamentsd16 unleugbar gerichtet. Hierüber ist man nun auch von je her in der christlichen Kirche einig gewesen, und diese Einigkeit des Glaubens und des Geistes ist das einzige ächte Symbolum der wahren allgemeinen christlichen Kirche. cd17 Alle andred18 Symbolen trennend19 das des Friedens und der Einigkeit, Ephes. 4, 3 f. und veranlassen, daß Christus getheilet wirdd20 und Partheien entstehen, die sich Paulisch, Kephisch, Athanasianisch, Papistisch, Lutherisch, Kalvinisch u. s. w. nennen, |z36| 1 Cor. 1, 10–13. – Da dergleichen Trennungen der Christen in Sekten schon zu der Apostel Zeiten, und nachher weit öfter und allgemeiner entstanden sind, und noch fortdauren, so lasset uns die natürliche Ursache derselben in ihrer Quelle aufsuchen, damit die möglichste Wiedervereinigung im Geistd21 zu einerley Glauben, zwischen allen denkenden Christen aus allen Kirchpartheien, befördert werde; wenn wir gleich, wie Christus und seine Aposteldz22 die kirchlichen Policeygesetze der Landesobrigkeiten, die uns äusserlichd23 trennen und einschränken, als gute Bürger genau beobachten, und es der Vorsehung überlassen müssen, ob und wenn sie auch von diesen eine Erlösung |b268| veranstalten wird. /dVon Mosis knechtischem Joch /cließc\c24 Gott die Christen durch die heidnischen Römer befreien, und wo ich anders die Zeichen unsrer Zeit richtig deuten kan, so wird Gott die zweitec25 Erlösung vom hierarchischen Joch abermals durch Ungläubige bewirken, die nicht das geistige Christenthum, sondern das kirchliche Lehrgebäude und dessen symbolische Bollwerke in ihren Schriften bestürmen.d\a\
aIch beschließe diese gesamte Untersuchungen mit der Bemerkung, daß es weit leichter ist nieder zu reißen als zu bauen; leichter Wahrheiten zweifelhaft zu machen, als zu erweisen: daß aber jeder Philosoph, wenn er ein wahrer Weiser, ein Patriot oder gemeinnütziger Menschenfreund seyn will, sichs zur ersten Pflicht machen müsse, keine ihm morsch scheinende Stütze der Tugend oder der Hoffnungen eines Volks wegzureißen, sondern nur darauf denken müsse, mehrere und sicherere Säulen derselben unter zu stellen; und daß man niemals seine Zweifel gegen trostvolle und gemeinnützige Wahrheiten in Gegenwart solcher Personen, die dergleichen nicht haben äußern müsse, weil man hierdurch unleugbar eine der größten Feindseligkeit gegen die Gemüthsruhe der Mitmenschen und die gemeinsame Wohlfart ausübt. a
cd1: giengcd2: Testamentesd3: hattend4: könnend5: Gott äußerlichcd6: gesuchetd7: sofernec8: 1.c9: solltecd10: Ver|c267|schiedenheitencd11: erwecketd12: versüßencd13: Geistez14: unsrencd15: Zwecked16: Bundescd17: 1 Cor. 12, 4. bis Kap. 13, 13. Phil. 2, 1 f.d18: andered19: zerreißend20: wird,d21: Geistedz22: Apostel,d23: äußerlichc24: und |c268| der Gewalt der jüdischen Priester liesc25: zweyte

/a§. 91.

Ich habe bereits §. 80. erwähnet, daß im neuen Testament nicht blos ein Weg, sondern mehrere verschiedene Wege zu höherer Glückseligkeit abgezeichnet sind, nemlich so vielerleycd1, als es zu den Zeiten Christi besondre Gemüthslagen oder Standorte nach Verschiedenheit der Vorerkent|d243|nisse gab, von wo aus jeder Zuhörer und Leser von den Aposteln zu dencd2 gemeinschaftlichen Zielcd3 der überwiegenden Liebe zu Gott und einer allgemeinen Rechtschaffenheit und Menschenliebe geführet werden mußte. Dieses will ich in der Absicht deutlicher /cdaus einandersetzencd\cd4, damit es augenscheinlicher werde, daß die abweichended5 Kirchensysteme in der Christenheit sämtlich einen biblischen Grund haben, und mehr nützlich als schädlich sind, sofern sie nur keinen Religionshaß erregen, und |z37| den göttlichen Geist der Liebe nicht in seinen Wirkungen stören.
Christus selbst konte während seines Lehramtes /ddas jüdische Volkd\d6 nur wenig aufklären, und mußte sie nur durch Gleichnißreden, died7 ihnen künftig verständlicher werden soltenc8, vorbereiten, einen weitern Unterricht anzunehmen; und selbst seine Jünger kontenc9 nur wenig mehr fassen, als das übrige Volk; daher er ausdrücklich sagted10: ich habe euch noch viel zu sagen, aber ihr könnet es jetzt nicht tragen, Joh. 16, 12c11 folg. Das meiste von Christi Unterrichtd12 ward den Aposteln erst bey /cdweitermcd\cd13 Nachdenken und aus der Erfahrung in ihrem Amte nach |b269| und nach verständlich, Apg.d14 10, 34. K. 11, 16–18. Hieraus erhellet nun schon unwidersprechlich, daß nicht |c269| allen Christen ein gleiches Maaß der Erkentniß nöthig und nützlich ist;cd15 daß es Wahrheiten giebt, died16 nicht alle fassen können, und daß demnach die christliche Lehre in jedem Zeitalter und in jeder Gegend, nach Maaßgabec17 der vorhandnend18 Grade der Fähigkeiten und Vorerkentnisse, eine ganz verschiedned19 Ausdehnung in Absicht der Zahl der Wahrheiten haben müsse, und bald mit mehr sinnlicher Einkleidung, bald ohne solche, reiner und deutlicher werde erkant werden können. Ein System der Glaubenswahrheiten, oder auch eine besondred20 Vortragsartcd21, kan zu einer gewissen Zeit in einer bestimten Gegend vorzüglich gut gewesen seyn, und zu einer andern Zeit oder in einer andern Gegend verwerflich werden: ja es muß nothwendig mit jeder mehrerncd22 Fertigkeit im Gebrauchcd23 der obern Geisteskräfte, auch der Lehrbegrifcd24 |d244| von der Religion einen höherncd25 Grad der Reinigkeit und Vollkommenheit erhalten. ⌇⌇c ⌇⌇d
⌇⌇c ⌇⌇d Diese waren in ihren Principien und bisherigen Religionsbegriffen sehr von einander verschieden, und |z38| die Apostel mußten daher nothwendig für jede Klasse derselben eine eigned27 Lehrart erwählen. Paulus versichert es selbst, daß er allen allerley geworden sey, den Juden als ein Jude, den Griechen als ein Grieche, um viele zu gewinnen, 1 Cor. 9, 19–22. Wir haben in der Samlung der heiligen Bücher keine Schrift, welche blos für Heiden aufgesetztd28 worden wäre; weil die Apostel an allen Orten zuerst die Juden zu gewinnen suchten, und diese daher überall den ersten Stamm der Gemeinen ausmachten, zu welchen sich cd29 nach und nach /cdauchcd\ Leute aus andernd30 Nationen geselleten. Evangelien und Briefe sind daher vornemlich für Juden geschrieben. Allein |b270| aus einem Auszugcd31 einer Rede Pauli an die heidnischen Athenienser, welcher uns Apg. 17, 22 f. aufbehalten |c270| worden ist, können wir uns doch von Pauli Lehrart unter den Griechen, und wie er ihnen selbst als ein Grieche zu erscheinen suchte, einen ziemlich vollständigen Begrif machen. Ich setzec32 voraus, was alle christliche Theologen zugestehen werden, daß Lukascd33 uns das Wesentlichste und Hauptsächlichste, was Paulus den Heiden als Christusreligion vorzutragen pflegted34 und die Methode, deren er sich gewöhnlich dabey bediente, vorlegen wollen. Nun erwähntcd35 der Apostel in dieser Rede weder Mosis noch der Propheten, sondern beruft sich gegen die Athenienser auf ihre Philosophen und Dichter; er nennet Christum weder Sohn Gottes, noch Herr, noch Hoherpriesterd36; er gedenktcd37 keiner von ihm zum Beweise der Göttlichkeit seiner Lehre verrichteten Wunder; keines Versöhnopfers für die Menschen, keiner Erlösung vom /dZorn, Fluchd\d38, Todesengel oder Teufel; denn disd39 alles waren blos jüdische Vorstellungsarten. Der ganze Inhalt seiner Christenthumspredigt ge|d245|het dahin: daß nur ein einiger Gott sey, der Weltschöpfer, der keines Wohnortscd40, keiner Verpflegung oder Beschenkung von den Menschen bedürftecd41, sondern der all|z39|gegenwärtige Mittheiler aller Kräfte und alles Guten sey, was wir besitzen: daß dieser gütige Gott alle Begebenheiten der Menschen regiere, und sie durch seine Wohlthaten zu erwecken gesucht habe, sich von ihm, als dem Geber des Guten würdige Begriffe zu machen: daß er indesd42 allen die grobe Unwissenheit, darin sie sich in Absicht auf ihn bisher befunden hatten, nebst den daraus hergeflossenen Folgen in ihrem Verhalten, übersehen wolle; nun aber verlange, daß alle bessere Begriffe von ihm fassen, und ihre moralische Gesinnungen verändern soltenc43: indem er beschlossen habe, die Schicksale der Menschen dereinst nach ihrer Aufführung in diesem |b271| Leben zu bestimmend44 und zwar (nicht durch den Minos /dund Radamanthusd\d45 sondern) durch einen Mann, den er |c271| vom Tode erweckt, und dadurch zugleich als einen glaubwürdigen Lehrer über die Zukunft legitimiret habe. – Sehet da den Weg, welchen Paulus die Heiden zur Gemüthsruhe, zur Rechtschaffenheitc46 und zu freudigen Hofnungen, als dem Zielcd47 aller Religion, geführet hat!
Ganz andred48 Wege wurden für die Juden nach ihrer Gemüthslage eröfnet. Diese mußten vor allen Dingen von der Anhängigkeitc49 an ihr väterliches Gesetz losgemacht werden; und daher mußten sie Christum als einen weit höheren Gesandten Gottes, als Mose und die übrigen Propheten gewesen waren, erkennen und verehren lernen. Nun erwarteten die Juden zur damaligen Zeit bereits einen noch grössernd50 Propheten, als Mose gewesen war, und erklärten viele Stellen des alten Testamentscd51 für Vorherverkündigungen der Glückseligkeit, died52 sich bey seiner Ankunft über die Nation verbreiten würde. Sie nanten diesen erwarteten Propheten, den Messias,d53 oder Christus, den Gesalbtend54 und in sofern er ihr König seyn, und sie an Gottes Statt regieren soltec55, den Sohn Gottes und ihren Herrn, Ps. 89, |z40| 7. Ps. 2, 7. Joh[.]cdz56 10, 34. 36. Ebr. 1. Als dieser erwartete grossed57 Prophet, Messias oder Christus, |d246| Gottes Sohn und Herr, ward nun Jesus den Juden vorgestellet, Luc. 1, 32. 33. 76. Kap. 2, 11. Ebr. 3, 1–6. Apg.d58 2, 36. K.d59 3, 22–26. Allein die Juden in und ausserhalbd60 Palästina hatten nicht einerley Begriffe von der Person des Messias, den sie erwarteten: und da die Apostel sich auch hierin nach ihren Vorerkentnissen richten mußten, so finden wir daher auch mehrere verschiedene Theorien hierüber in den Schriften des neuen Testaments. Insonderheit lassen sich deren drey sehr deutlich unterscheiden.
|b272| Die erste Theorie von Christi Person findet sich in den Schriften, died61 für ungelehrte Juden aus den gemeinen syrischen Schulen aufgesetztcd62 wordencd63, namentlich in den Evangelien /zdesz\ Matthäus, Markus, Lu|c272|kasd64, den Briefen Petri, Jakobi und Judä, und in den Reden an gemeine Juden, died65 in der Apostelgeschichte aufbehalten sind. In allen diesen Schriften ist keine Spur von einer Präexistenscd66 der Seele oder einer höherncd67 Natur Christi, oder einer Herabkunft desselben vom Himmel zu finden, sondern Jesus wird als ein /dwunderthätig empfangenerd\ Mensch, dend68 Gott mit Geist und Kraft zum Wunderthun ausgerüstet habe, beschrieben, 20. 23. K.d69 3, 16. Luc. 1, 30. 35. 76–80. K. 2, 40. 52. K.d70 3, 22. /zK.z\ 14, 61. 62. K. 22, 42. 43. 44. Apg.d71 2, 22–36. K. 3, 12–26. K. 4, 27. 31. K. 5, 30–32. K. 10, 38. K. 13, 23. 33. 1 Petr. 1, 19. 20.
/dDie zweitec72d\d73 Theorie ist nach dem Lehrsystemd74 der gelehrten Juden, welche die pythagorisch-platonischecd75 Philosophie mit der Lehre ihrer Propheten verknüpften, eingerichtet.c76 Man findet sie in den Schriften Johannis, derd77 viele Jahre /dsichd\ zu Ephesus aufgehalten hatte; auch etwas davon im Briefe an die Ebräer. Nach dem Systemd78 der platonisirenden Juden hatte Gott vor Schö|z41|pfung der Welt den Logos (das Wort) hervorgebracht. Wenn Mosesd79 erzählt, Gott sprach, so lehret er, daß der Logos aus Gott hervorgegangen, und durch diesen, der eine besondrez80 für sich bestehende Person geworden, istcd81 nachher alles gebildet und ausgeschmücktd82 worden. Ausser |d247| dem Logos sind nachher noch andre Ausgeburten aus Gott hervorgegangen, als die Wahrheit, das Licht, das Leben u. s. w. Nun glaubtenc83 diese philosophirende Juden, der Logos sey ihr Bundesengel, der schon ehedem dem Abraham und andern erschienen sey, und als ihr Messias sichtbar werden würde. Indesd84 waren ihre Theorien nicht übereinstimmig, und andere erwarteten den Monogenes oder Eingebornen. |b273| In Hinsicht auf diese Vorerkentnisse lehret nun Johannes, daß Jesus der Logos, der Eingeborne, das Licht, das Leben, die Wahrheit und alles das vereint gewesen sey, was man sich nach der Philosophie der d85 Platoniker grossesd86 und |c273| herrliches unter diesemcd87 Namen dachte: also derjenige, durch welchen alle höhere Segnungen Gottes den Menschen /cdzugetheilt würden. Dasselbecd\cd88 Wort, wodurch Gott ehemals alles erschaffen, habe Fleisch angenommen und seine Hütte unter uns aufgeschlagen, Joh. 1, 1–18. und sey von den Jüngern leibhaftig gesehen, gehört und gefühltcd89 worden, 1 Joh. 1, 1–3. Daher wird von Christo in Johannis Erzählungen wiederholentlich gesagt, er sey vom Himmel gekommen, Joh. 13, 13. 24. und ehe gewesenz90 denn Abraham, Joh. 8, 58;d91 er habe eine Herrlichkeit vor Schaffung der Welt gehabt, zu welcher er in den Himmel zurückkehre, Joh. 17, 5. er wirke von jeher mit seinem Vater, und der Vater wirke durch ihn, und zeige ihm immer mehrere Werke, Joh. 5, 19 f. u. s. w. Auf gleiche Weise /cdredet Paulus Ebr.cd\cd92 1, 2. 3. K. 2, 7–10. 14. 16. 17. K. 3, 6. K. 5, 8. K. 7, 26–28.
Die dritte Theorie trift man in Pauli Lehrart an, welcher die /cvorhandned93 verschiedenenc\c94 Begriffe durchs Allegorisiren einander näher zu bringen suchtcd95, und inson|z42|derheit in den Briefen an die Epheser und Colosser Christum zwar als den Erstgebornen unter allen Geschöpfen vorstellet, durch welchen alles erschaffen sey; aber dabey diese Schöpfung mehr aufs Moralische bey Errichtung einer neuen Kirche deutet, indem er lehrtcd96, daß aus Juden und Heiden eine neue dritte Gattung der Menschen erschaffen wor|d248|den sey, und jeder Christ als eine neue Kreatur angesehen werden müsse: daher sich Christen nicht mehr nach ihrer ersten Geburt als Juden und Heiden, Freigeborne und Sklaven u. s. w. unterscheiden solten, Eph. 1, 10–23.d97 K. 2, 5. 6. 10. 14. Col. 1, 15–22. K. 2, 9. 10. 2 Cor. 5, 17. Gal. 6, 15. In allen übri|b274|gen paulinischen Briefen findet sich keine nähere bestimte Erklärung über die Person Christi,c98 wenn man nicht Ph. 2, 5–11. dahin rechnen /cdwill,z99 undcd\cd100 1 Cor. 15, 23–28. /cdwirdcd\cd101 Christo ein Reich zugeeignetcd102, was mit Aufhebung der Sterblichkeit zugleich aufhören wirdcd103, weil dann keine historische vermittelnde Begriffe zu reinern Erkentnissen von Gott ferner nöthig seyn werden.
Ueberall wird indesd104, wo von Christo als einem uns vorgesetzten Herrn und Hauptd105 geredet wird, Gott als ein höherer von ihm unterschieden, von demd106 Christus alle Kräfte, Kentnisse, Hoheit und Gewalt bekommen hat,cd107 und welcher Christum,cd109 als eine Mittelsperson, seine Segnungen auszutheilen brauche. Hierin stimmen alle Apostel überein, 1 Cor. 8, 5. 6. cd110 1 Tim. 2, 5. Matth. 28, 18. Joh. 14, 28. K. 5, 18. 19. 20. 26. 27. K. 17, 3. Apg.d112 2, 32–36. Ph. 2, 5–11.
cd1: vielecd2: demcd3: Zielecd4: auseinandersetzend5: abweichendend6: die Judend7: welchec8: solltenc9: konntend10: sagtc11: 12.d12: Unterrichtecd13: ihrem eigenen weiternd14: Apostg.cd15: ist,d16: welchec17: Maßgabed18: vorhandenend19: verschiedened20: besonderecd21: derselbencd22: mehrerencd23: Gebrauchecd24: Lehrbegriffcd25: höherencd26: aufgesetzetd27: eigened28: aufgesetzetcd29: erstd30: andrencd31: Auszugec32: setztecd33: Lucasd34: pflegte,cd35: erwähnetd36: Hohenpriestercd37: gedenketd38: Zorne, Fluched39: diesescd40: Wortortescd41: bedürfed42: indeßc43: solltend44: bestimmen,d45: oder Radamanthus,c46: Rechtschaffenheit,cd47: Zieled48: anderec49: Abhängigkeitd50: größerncd51: Testamentesd52: welched53: Messiasd54: Gesalbten,c55: solltecdz56: Joh.d57: großed58: Apostg.d59: Kap.d60: außerhalbd61: welchecd62: aufgesetzetcd63: sindd64: Lucasd65: welchecd66: Präexistenzcd67: höherend68: welchend69: Kap.d70: Kap.d71: Apostg.c72: zweyted73: Die zweyted74: Lehrsystemecd75: pythagorisch platonischec76: eingerichtet[.]d77: welcher sichd78: Systemed79: Mosez80: besonderecd81: seid82: ausgeschmücketc83: glaubend84: Indeßd85: jüdischend86: großescd87: diesencd88: zugetheilet würden: dasselbecd89: gefühletz90: gewesen,d91: 58.cd92: wird im Briefe an die Ebräer geredet. K.d93: vorhandenenc94: vorhandene verschiedenecd95: suchetcd96: lehretd97: 10. 23.c98: Christiz99: will;cd100: will; doch zeichnet sich noch beson|c274|ders die Stellecd101: aus, worincd102: wirdcd103: solld104: indeßd105: Haupted106: welchemcd107: habe (c) ; habe (d)cd108: habe,cd109: Christumcd110: Kap. 11, 3. (c) ; Kap. 11, 3. (d)cd111: K. 11, 3.d112: Apostg.

§. 92.

Da über die Lehre von der Person Christi die ersten, mehresten und allgemeinsten Streitigkeiten in der Kirche entstanden sind,z1 und noch in unsernd2 Tagen fortwähren, so kan ich bey derselben am deutlichsten und vollständigsten zeigen, wie man sich aus dem Labyrinthcd3 der Zweifel, welche durch solche kirchliche Uneinigkeiten über den wah|z43|ren Unterricht der heiligen Schrift veranlasset wordencd4, herausfinden, und seinen Glauben, seine Gemüthsruhe und seine Hofnungen zugleich dabey aufs stärkste bevestigen könne. Zuvörderst muß man also das gemeine Vorurtheil fahren lassen, als ob in der heiligen Schrift eine gewisse Anzahl von Lehrwahrheiten überall auf einerley Art vorgetragen wären, und jeder cd5 alle diese Sätze mit einerley Bestim|d249|mungen, um selig zu werden, erkennen müsse. Wir haben bisher gesehen, wie vielerley verschiedene Vorstellungen von der Person Christi in den Lehrvorträgen der Apostel herrschen, und diese Verschiedenheit der Begriffe muß also zum Seligwerden unschädlich seyn. Chri|b275|stus preiset Matth. 5. bereits seine damalige Zuhörer, die doch äusserstd6 fehlerhafte und grobe Begriffe nicht nur von |c275| ihm, sondern auch selbst von Gott hatten, selig, wenn sie nur gutmüthig gesinnet wären, und Gott vertrautencd7. Es komt also gar nicht darauf an, was und wie viel jemand erkennet und glaubt, sondern nur darauf, ob das, was er glaubt, in Verbindung mit seinen übrigen Einsichten, dahin zusammen stimtd8, ihn christlichgesinntcd9 zu machen; das ist, ihn mit Liebe und Zuversicht zu Gott, und mit Wohlwollen gegen seine Mitmenschen zu erfüllen:cd10 denn alsdenncd11 hat er den Geist Christi, und ist in Gott und Gott ist in ihm, 1 Joh. 4, 6. 7. 8. 13. 16. 17. Es fragtcd12 sich demnach, was ist das Allgemeine und Wesentliche, was alle, die durch Christum zu Gott kommen oder durch ihn zu göttlichen Gesinnungen und daraus fliessender höherncd13 Seligkeit gelangen wollen, von Christi Person zu erkennen und zu glauben haben? Unleugbar nichts von dem, worin die apostolischen Lehrvorträge von einander abweichen, sondern nur das allein, worin sie sämtlich übereinstimmen;cd14 und wovon sie Heiden, palästinische Juden, Hellenisten, Gelehrte und Einfältige gleich durch zu überzeugen suchen; der Punkt, auf welchencd15 alle verschiedene Wege, died16 sie nach den verschiede|z44|nen Vorerkentnissen ihrer Leser gebähnet haben, zusammentreffen. Und welches ist dieser Punkt? Ohnstreitig blos der Satz: Jesus ist ein göttlicher Lehrer gewesen, dessen Unterricht, als Wahrheit von Gott, anzunehmen und zu befolgen ist, wenn man glückseliger werden will. Dieses ist offenbar hinlänglich, um durch ihn den Vater in seiner ganzen Liebenswürdigkeit anbeten zu lernen, die erfreulichsten Hofnungen zu fassen, und solche Gesinnungen anzunehmen, wie er gegen Gott und Menschen gezeiget hat.
|d250| Die weiterncd17 Fragen: wie ist Christus ein göttlicher Lehrer? Hat Gott ihn bey seiner Geburt oder bey sei|b276|ner Taufe mit ausserordentlichen Geistesgaben ausgerüstet? Oder hat Gott nach und nach immerfort in ihm jede |c276| Vorstellung gewirktd19? Oder ist seine Seele ein Geist einer höheren Ordnung gewesen? Ist dieser Geist der höchste nach Gott, und das erste seiner Geschöpfe? Oder ist er nur ein untergeordneter Geist, der etwa der Schutzgeist der Erde, oder gar nur der Schutzgeist und Bundesengel der jüdischen Nation /cdgewesencd\ ist? Oder ist er der einzige Geist seiner Art, der Eingeborne? Ist er aus Gott geboren oder erschaffen, und was ist dazwischen für ein Unterschied? In wiefern nimt er Theil am Wesen Gottes? Hat man in ihm mehrere Naturen zu unterscheiden, und heißtd20 er nur nach einer oder nach beiden der Sohn Gottes? Wie theilen sich diese Naturen ihre Eigenschaften mit? u. s. w. alle diese Fragen und tausend andred21 kan der Christ zur Seligkeit unbeantwortet lassen, und jeder Gelehrte ist durch die mannigfaltiged22 Vortragsarten der Apostel berechtiget, sich den Lehrbegrif nach Maaßgabe seiner sonstigen Erkentnisse so auszubilden, als es ihm zu seiner Beruhigung am erfreulichsten ist; und es werden sich ihm auch gewiß beym fleißigen Forschen der Schrift Aussprüche darbieten, die seine Theorie, wie sie auch immer ausfallen mag, begünstigen werden. Denn |z45| eben dadurch wird das Christenthum eine allgemeine Religion, daß es sich an alle Vorerkentnisse anschließtcd23, und von da zu höherer Seligkeit leitet.
Die Geschichte der Lehrmeinungen in der Kirche bestätiget nun auch, daß es seit der Apostel Zeiten eine überaus grossed24 Mannigfaltigkeit der Vorstellungsarten von der Person Christi in allen Zeiten gegeben habe; und d25 jede Parthey c26 ihre Lehre deutlich im neuen Testament anzutreffen geglaubt, und Beweisstellen, died27 von ihren Gegnern nicht völlig widerlegt werden konten, dafür angeführet /chabec\. Anfänglich, da man sich blos aus den mündlichen Vorträgen der ersten Christenthumslehrer etwas |b277| aufgezeichnet hatte, oder sich auf mündliche Ueberlieferungen von den Apo|d251|steln berief, gab es eine grossed28 Men|c277|ge Lebensbeschreibungen von Christo, und viele einzelne Lehrbegriffe von seinem Unterrichtd29. In jedem Lande, unter jeder besondern jüdischen und philosophischen Sekte, hatte man eigne Evangelien und Lehrbücher, die alle sehr von einander abwichen. Dieses konte nicht fehlen, da die Apostel sich überall nach den Vorerkentnissen ihrer Zuhörer richteten, und davon sovielcd30 beybehielten und benutzten, als zur Erweckung der größten Hochachtung und /cddes möglichstencd\cd31 Zutrauens gegen Christum nur irgends brauchbar zu seyn schien; um den Principien zu bessern Religionseinsichten einige Haltung zu verschaffen. Nachmals, da die eigned32 Schriften der Apostel und ihrer Begleiter, died33 an die Hauptgemeinen gerichtet worden waren, durch diese ein höheres und allgemeineres Ansehen erlangtcd34 hatten, hielt jede Gegend sich an diecd35 Evangelien und Briefe, died36 für ihre Denkartd37 eingerichtet, und ihr zunächst gewidmet worden waren. Die aus den Schulen der syrischen Juden hatten das Evangelium Matthäi, Marci, Lucä; die platonisirenden Christen das Evangelium Johannis. Die daraus nothwendig entstehende Verschiedenheit in ihren Lehren von der Person Christi |z46| /dveranlaßte indesd\d38 noch keine Spaltung oder sektirischen Haß. Justinus der Märtyrer, derd39 in der ersten Hälfte des zweiten Jahrhunderts, und also bald nach der Apostel Zeiten /cdgelebt hatcd\cd40, und die philosophischen Systeme mehrerer griechischen Schulen studirtcd41 hatte, nachher aber ein berühmter rechtgläubiger Lehrer und Vertheidiger des Christenthums geworden war, erklärtcd42 in seinem Gesprächcd43 mit dem Juden Tryphon ausdrücklich: „wenn ich auch nicht beweisen könte, daß Jesus schon zuvor der Sohn des Weltschöpfers gewesen sey, ehe er als ein Mensch von der Jungfrau Maria geboren worden ist, so würde doch dadurch nicht aufgehoben, daß er nicht Christus |b278| oder der Gesalbte Gottes sey. – Man kan annehmen, daß er als ein Mensch von Menschen geboren, und doch |c278| von Gott zum Christ gewählet oder bestimmet worden sey. Denn es giebt auch unter den Christen unsrer Nation (απο του |d252| ημετερου γενους) einige, died44 ihn für den Christ halten, und doch sagen, daß er ein Mensch von Menschen sey. Ich pflichte ihnen indesd45 nicht bey, wenn es gleich die gemeine Meinung seyn mag.“ Aus dieser Stelle siehet man deutlich, daß nicht nur Christen aus den Juden, sondern auch aus den Griechen, Jesum blos für einen Mann, der durch ausserordentliched46 Mittheilung höherer Gaben von Gott autorisiret worden, die Religion zu verbessern, gehalten haben; ja daß dieses die gemeinere Vorstellungartcd47 damals gewesen sey, ohne daß eine Parthey die andre deshalb für unchristlicher erkläret habe.
Insonderheit veranlaßted48 nun der Johannäische Vortrag, daß der Logos (das Wort) Gottes einen menschlichen Körper angenommen habe, Joh. 1, 1–14. vielerley besondre philosophische Theorien. Denn da das griechische Wort Logos zweierleycd49 bedeutet, nemlich /cdeinmal diecd\ Vernunft, cd50 und /cddann auch eincd\ Wort oder /cdeinecd\ Rede, so mußted51 die weitere Entwickelung dieser Begrif|z47|fe nothwendig verschiedene Lehrbegriffe erzeugen. Die unter Logos die Vernunft verstundencd52, rechneten den Logos zum Wesen Gottes, und gaben ihm eine gleiche Hoheit und Ewigkeit; weil Gott ohne Vernunft nie würklich gewesen seyn konted53.
cdDie, welche Logos durch Gedanke übersetzten, ließen denselben in Gott von Ewigkeit her erzeugen, da doch Gott immer gedacht haben mußd54: und dann war nach ihrer Vorstellung bey der Schöpfung die bisher in Gott verschlossene Gedankensumme hervorgegangen und außer ihm dargestellet worden.cd
Diejenigen aber, welche unter Logos ein ausgesprochnes Wort verstundend55, theilten sich in vielerley Partheien, und gaben dem Logos entweder eine besondere Subsistenz und abgesondertes Daseyn ausserd56 Gott; oder sie dachten sich ihn blos als eine |c279| Ausstrahlung oder aus Gott Kraft und Wirkung. Daher finden wir die Kirchenväter der ersten drey Jahrhunderte, died57 alle für rechtgläubig gehalten wor|b279|dencd58, so sehr verschieden in ihren Vergleichungen, wodurch sie uns deutlich machen wollen, wie der Logos zu Gott gehörtcd59, und doch eine andre Person istd61, als der Vater. |d253| Tertullian, ein afrikanischer Kirchenvater des zweiten Jahrhunderts, will es recht deutlichcd62 machen, wie der Sohn als Logos immer im Vater gewesen, und doch auch von ihm selbst als eine zweite Person gezeugtcd63 sey, und hält sich dabey an die doppeltecd64 Bedeutung des Ausdruckscd65 Logos. In seiner Schrift wider den Praxeas trägt er diese Lehre folgendergestalt vor, K.d66 5. folg. „Man darf nur acht geben, wie die Schrift vom Sohnd67 als vom Wort;cd68 oder besser als von der Vernunft (Gottes) spricht: Ehe etwas war, war Gott allein; da war er sich selbst Welt und Ort und alles. Allein war er, weil nichts aussercd70 ihm war: übrigens war er auch damals nicht allein, denn er hatte seine Vernunft bey und in sich, – den Logos, wie ihn die Griechen nennen, und die unsren durch Wort oder Rede übersetzen, da es doch natürlicher wäre, die Vernunft als das ältere anzunehmen. Denn Gott wird uns von Anfang nicht als sprechend, wol aber als vernünftig vorgestelltcd71. Wie wol es liegtd72 so viel nicht darand73 (wie man Logos übersetzt); denn was man denktd74, sind Worte, und dann ist |z48| das zweite, was sich bey uns äussert, die Rede, died75 den Gedanken herausbringtd76 oder offenbaret. – Wie viel mehr wird das so in Gott seyn, dessen Bild und Gleichniß wir sind. – Ich kan mit Grunde annehmen, daß Gott vor der Schöpfung der Welt nicht allein gewesen, da er in sich selbst die Vernunft, und mit der Vernunft auch das Wort gehabt, welches er, indem er mit sich selbst überlegte, als den zweiten nächst sich machte, K. 6. Eben das heißtcd77 sonst auch die Weis|c280|heit in der Schrift. Daher /cdheißt escd\cd78 auch, daß die Weisheit als die zweite Person geschaffen sey, Sprüchw. 8, 22. 31. vergl. mit V. 12. und eben in dieser Stelle |b280| wird sie, man bedenke das, als Gott beystehen und also als würklich von ihm abgesondert beschrieben. So bald nemlich Gott das, was er mit der Weisheit, Wortd79 und Vernunft (Logos) in sich selbst geordnet hatte, würklich ans Licht bringen wolte, hat er das Wort selbst zuerst hervorgebrachtd80 – K. 7. Da nahm |d254| /cdGottcd\ also das Wort, selbst seine Form und Gestalt, Schall und Tonfügung an, da Gott sprach: Es werde Licht. Dieses ist nun die völlige Ausgeburt des Wortsd81, indem es von Gott ausgeht.cd82 – Aber, wird man gegen mich einwenden, was ist denn das Sprechen;cd84 es ist ja nichts als ein hörbarer verständlicher Schall, übrigens aber etwas unkörperliches, was nicht für sich besteht.cd85 – Ja, antworte ich, was von Gott ausgehtcd87, kan nicht etwas leeres oder vorübergehendes seyn; sondern was von einer solchen Substanz herkomt, muß selbst /cdeincd\ Bestehen und Fortdauer haben. – Was nun auch der Logos für eine Substanz oder Bestehen bekommen haben mag, so nenne ich dieses eine Person und den Sohn Gottes, und behaupte, er sey der zweite nächst dem Vater, /du. s. w. –“d\d88 Den Geist Gottes aber erkläret Tertullian folgendergestalt: „Jede Rede hat einen Sinn |z49| oder Verstand, und dieser ist der Geist, welcher den Worten gleichsam das Bestehen giebt.“
Aus diesen Erklärungen der berühmtesten christlichen Lehrer, gleich nach den Zeiten der Apostel, erhellet nun aufs deutlichste, wie sich ein jeder nach seiner Philosophie die biblischen Begriffe weiter entwickelt und geformtcd89 hat, und daß es auch damals, so wenig als vor oder nachher, eine Uebereinstimmung in allen Begriffen gegeben habe. Dieses aber hinderte auf keinerley Weise den Zweck des Christenthums und den äussernd90 Frieden der Kirche. Al|c281|lein so bald die Kaiser das Christenthum begünstigten, und den Bischöfen eine obrigkeitliche Gewalt einräumten, fingen diese an, verbindliche Lehrvorschriften zu er|b281|theilen, wornach sich alle ihre untergeordnete Priester richten solten. Man hatte nun nach und nach die apostolischen Schriften, died91 sonst nur einzeln bey den Gemeinen vorhanden gewesen waren, gesamlet; und es traf sich nicht selten, daß an einer Kirche Lehrer aus syrischen, griechischen und egyptischen Schulen zugleich angestellet wurden. Ein jeder trug nun die Lehren des neuen Testamentsd92 nach denjenigen apostolischen Schriften, died93 ihm zuerst bekant worden waren, |d255| und in der Einkleidung seiner Landesphilosophie vor. Daraus /cdentstandencd\cd94 Mißverständnisse, und die Bischöfec95 setzten die Priester, welche sich nicht nach ihrer Vortragsart bequemen wolten, /cdvon ihren Aemterncd\ in ihrem Kirchsprengel cd96 ab. Fand nun ein solcher Priester bey andern Bischöfen seiner theologischen Schule Unterstützung, so brach über die Streitfrage ein öffentlicher Zank aus; und indem jeder Bischof seine Parthey durch die Mehrheit der Stimmen zu verstärken suchte, so ward der Streit in kurzem in allen Gegenden der Christenheit allgemein. Jeder Theil führte Schriftstellen für sich an, worin er seine Meinung mit klaren Worten zu finden glaubte, und es war nicht möglich, /cdsichcd\ aus der Bibel cd97 zu widerlegen. Die Kaiser sahen sich genö|z50|thiget, um den öffentlichen Unruhen, welche der Bischöfe Eifer gegen einander veranlaßted98, Einhalt zu thun, sich selbst ins Mittel zu schlagen. Sie versuchten zuerst den Weg eines Vergleichs, und versamleten die angesehensten Bischöfe und Gottesgelehrten aus allen christlichen Gegenden. Allein, wie konten sich diese vereinigen, da keiner nach der Schrift unrichtig lehretecd99, und nur alle darin irreten, worin die Theologen noch heut zu Tage irren, nemlich daß sie annahmen, es sey in den heiligen Schriften überall nur einerley Theorie und Vorstellungs|c282|art über jedend100 Artikel d101 anzutreffen. – Es mußted102 also natürlich der allgemeine Erfolg aller Kirchenversamlungen seyn, daß entweder die stärkere Parthey die schwä|b282|chere unterdrückte, oder daß man sich über etwas, wie zu Nicäa aus Gefälligkeit gegen den gegenwärtigen (noch ungetauften) Kaiser, vereinigte, was keiner recht verstand, und worüber bald nachher, wenn man es erklären wolte, neue Zwistigkeiten ausbrachen.
Es ist unmöglich, daß mehrere von verschiedenen Gemüthsfertigkeiten und Vorerkentnissen, wenn sie einerley Lehrvortrag hören oder lesen, sich völlig gleiche Vorstellungen von dem Inhalte bilden solten, zumal wenn es unsinnliche oder moralische Gegenstände betrift. Ein jeder faßtcd103 daraus nur graded105 so viel, als er sich vermittelst der vorrä|d256|thigen,c106 ihm schon klaren, Begriffe begreiflich machen, und mit seinen übrigen Erkentnissen zusammen reimen und damit verknüpfen kan. Nun kommencd107 auf den Koncilien Geistliche aus so sehr verschiedenen philosophischen Schulen, aus Egypten, Palästina, Griechenland und den Abendländern zusammen, die einander unmöglich ihre Philosophie beybringen konten, und deren ein jeder nur dieses oder jenes biblische Buch, was für sein Vaterland geschrieben worden war, für völlig klar und verständlich hielt. Gesetzt nun auch, daß man einräumen wolte, es wären auf den Koncilien solche Lehr|z51|bestimmungen und Vortragsarten beliebtcd108 worden, die damals nach der Fassung des größten Theils der Bischöfe und Priester die bequemsten gewesen wären,cd109 so konten sie es doch nicht lange bleiben, sondern mußtend110 verändert werden, so bald die übrigen Einsichten der Geistlichen und ihre Philosophie sich verbesserte. Denn mit jeder Kultur der Vernunft wird die Fähigkeit zu reinern Erkentnissen von Gott ohnstreitig vermehret. – Ein jeder kan nun leicht hieraus erklären, woher so vielerley Geheimnisse und Dunkelheiten in das gelehrte System des |c283| Christenthums hineingekommen sind. Wir haben nach und nach die jüdische, alexandrinische, pythagorisch-platonische, afrikanische und gröstentheilscd111 auch die aristote|b283|lische Philosophie so verlassen, daß sich kaum noch einige Theologen um historische Kentnisse davon bemühen, und haben /cddem ohnerachtetcd\cd112 die Lehrbestimmungen /dim Christenthumd\d113 beybehalten, welche aus diesen verschiedenen philosophischen Theorien nach und nach auf Kirchenversamlungen aufgenommen worden sind. So solte z. B. auf dem Nicäischen Koncilium eine bestimte Erklärung von der Person Christi, und dem Verhältnißd114 desselben zum Vater gegeben werden. Ist aber wol jetzt das damals geformte Symbolum eine würklichecd115 Erklärung der biblischen Lehre, oder ist es nicht geständlich jetzt allen ein Geheimniß, das ist, eine weit dunklere Lehre, als /dsied\ die Schrift selbst vorträgt? –
Ich unterschreibe ohne Bedenken das symbolum Athanasianumd116 in Beziehung auf die platonischen Sätze der Ar|d257|rianer vom Logos, denen die verneinende Sätze desselben entgegen gestellet sind: ich bin aber zu gleicher Zeit überzeugt, daß unter tausend Predigern kaum einer ist, derd117 den wahren Sinn desselben begreift, eben daher, weil sich überaus wenige mit der Geschichte der alten philosophischen Meinungen beschäftigen, woraus der wahre Verstand begreiflich wird. Die mehresten, die sich /cdin dem |z52| kirchlichen Sinncd\ darum für cd118 Rechtgläubige halten, weil sie die Worte der Koncilien und Symbolen beybehaltencd119, sind nichts weniger als rechtgläubig, weil sie unter den alten Formeln sich gar nicht mehr die Begriffe denken, die ehedem damit verknüpftd120 worden sind. Gleiche Bewandnißd121 hat es nun auch mit den Symbolen der Protestanten. Man kan zugestehen, daß darin die Christenthumslehre so gut vorgetragen sey, als es nach der /cdFassung dercd\ Philosophie, und den übrigen Erkentnissen der Geistlichen zur Zeit der Reformation geschehen könnend122. Sind wir |c284| denn aber seitdem nicht weiter gekommen? Solten nicht Gelehrte in unsren Tagen von vielen Religionssätzen schon weit reinere Vorstellungen haben, als damals |b284| möglich waren? Und solte nicht mancher Satz für uns anstössigd123 geworden seyn, derd124 es zu den Zeiten Luthers noch nicht war? Ohnstreitig hat jede Aufklärung des menschlichen Verstandes, in welcher besondernd125 Wissenschaft sie auch immer erfolgen mag, einigen Einfluß auf die Religion. Nicht blos die so sehr verbesserte philologische, kritische und historische Erkentnisse, died126 sich näher auf die Bibel beziehen, sondern auch die neuern Aufschlüsse in der Naturkunde und spekulativen Philosophie machen einen gereinigtern Religionsvortrag, als für Luthers Zeiten erforderlich war, /cdfür unser Jahrhundertcd\cd127 nothwendig. Ich kan hierüber jetzt nicht ausführlich werden; aber zur Erweckung des weiternd128 Nachdenkens wird ein einziges Beyspiel für Leser, wie ich mir wünsche, hinlänglich seyn. Es ist bekant, daß zu den Zeiten der Reformation, und noch lange nachher, diese Erde für den einzigen bewohnten Weltkörper, und die Menschen für die vornehmsten Geschöpfe Gottes gehalten worden sind. Ob man nun gleich dabey auch Engel glaubte, welche höhere |d258| Kräfte besässend129, so hielt man sie doch in Absicht der künftigen Bestimmung kaum den Menschen gleich, sondern beehrte sie mit dem Amte, hier die |z53| Menschen, besonders in der Kindheit zu beschützen, und ihnen dereinst an Abrahamstafel zu Tische zu dienen. Mir selbst hat man in meinen Kinderjahren dergleichen Vorstellungen noch beygebracht, wobey man sich auf Ebr. 1, 14. Luc. 16, 22. 1 Cor. 6, 3. berief. So lange man nun nach diesen Ideen das Menschengeschlecht für das vornehmste der göttlichen Werke ansahe, und /cddem Zweckcd\cd130 der Schöpfung des Weltalls auf ihrecd131 Seligmachung einschränkte, cd132 konte /cdmancd\ kein zu übergrossesd133 Mittel erdenkencd134, was nicht immer einer göttlichen Weis|c285|heit zu brauchend135 anständig gewesen wäre, um den Hauptzweck ihrer ganzen Weltschöpfung an den Menschen zu erreichen. – Allein da in unsrencd136 Tagen die Aussich|b285|ten in die Stadt Gottes dergestalt erweitert worden sind, daß wir unsre Erde nur als ein unbedeutendes Kämmerchen in derselben betrachten können, was man im Ganzen, wenn es völlig wegfiele, gar nicht vermissen würde; da man viele tausend Sonnen, und um jede derselben eine Menge grössererd137 Erdbälle, als der unsrige ist, kennetd138, und diese insgesamt wahrscheinlich nur ein unendlich kleinerercd139 Theil des ganzen Weltallsd140 sind; da kan man wol unmöglich alle Lehrsätze und alle Einkleidungen derselben, wie sie die alten Dogmatiker ausgebildet haben, so schlechthin beybehalten. Wenigstens müssen die, welche mit Maupertuis es für einen der stärksten Beweise eines höchst weisen Urhebers des Ganzen erkennen, daß überall zu keiner Wirkung in der Natur mehr Kraft angewandt wird, als graded141 dazu nothwendig ist, eine auffallende Disproportion zwischen Absichten und Mitteln in dem Kirchensystemd142 finden. Wer also nicht zugleich glauben kand143, daß es weise sey, die Mittel zu den Zwecken genau zu proportioniren, und auch daß die höchste Weisheit zu kleinen endlichen beschränkten Zwecken Mittel, died144 ungleich grösserd145 sind als die Zwecke selbst, gewähltcd146 habe: der wird im Kirchensystemd147 in vielen Artikeln reformiren müs|z54|sen. – Deutlicher will ich hier mit |d259| Vorsatzd148 nicht seyn; ein jeder mache die Anwendung, so gut er kanc149!
z1: sindd2: unsrencd3: Labyrinthecd4: werdencd5: Christd6: äußerstcd7: vertrauetend8: stimmecd9: christlichgesinnetcd10: erfüllen;cd11: sodanncd12: frägetcd13: höherercd14: übereinstimmen,cd15: welchemd16: welchecd17: weitere (c) ; weitere (d)cd18: weiterend19: gewirketd20: heißetd21: andered22: mannigfaltigencd23: anschließetd24: großed25: daßc26: hatd27: welched28: großed29: Unterrichtecd30: so vielcd31: eines völligend32: eigenend33: welchecd34: erlangetcd35: diejenigend36: welched37: Denkungsartd38: veranlasste indeßd39: welchercd40: lebtecd41: studiretcd42: erkläretcd43: Gespräched44: welched45: indeßd46: außerordentlichecd47: Vorstellungsartd48: veranlassetecd49: dreyerleycd50: Gedanked51: musstecd52: verstandend53: könned54: müssed55: verstandend56: außerd57: welchecd58: sindcd59: gehöret (c) ; gehöret (d)cd60: gehöred61: seycd62: begreiflichcd63: gezeugetcd64: dreyfachecd65: Ausdruckesd66: Kap.d67: Sohnecd68: Worte (c) ; Worte (d)cd69: Worte,cd70: außercd71: vorgestelletd72: liegetd73: daran,d74: denketd75: welched76: herausbringetcd77: heißetcd78: lesen wird79: Worted80: hervorgebracht.d81: Wortescd82: ausgehet (c) ; ausgehet (d)cd83: ausgehet.cd84: Sprechen?cd85: besteht? (c) ; besteht? (d)cd86: bestehet?cd87: ausgehetd88: u. s. w.“ –cd89: geformetd90: äußernd91: welched92: Testamentesd93: welchecd94: erzeugten sichc95: Bischöffecd96: von den Lehrämterncd97: einanderd98: veranlasstecd99: lehrted100: dend101: von Christod102: musstecd103: faßet (c) ; faßet (d)cd104: fassetd105: geradec106: vorräthigencd107: fanden sichcd108: beliebetcd109: wären;d110: musstencd111: größtentheilscd112: demohnerachtetd113: in dem Kirchensystemed114: Verhältnissecd115: wirkliched116: Nicänumd117: welchercd118: kirchlichcd119: nachsprechend120: verknüpfetd121: Bewandtnißd122: konted123: anstößigd124: welcherd125: besondrend126: welchecd127: in unserm Jahrhunderted128: weitrend129: besäßencd130: den Hauptzweckcd131: unsrecd132: sod133: übergroßescd134: erdacht werdend135: gebrauchencd136: unsernd137: größererd138: annimmtcd139: kleinerd140: Weltallesd141: geraded142: Kirchensystemed143: kannd144: welched145: größercd146: gewähletd147: Kirchensystemed148: Vorsatzec149: kann

§. 93.

Mit allen übrigen Lehrartikeln der apostolischen Schriften hat es nun eben die Bewandniß, wie mit der Lehre von der Person Christi. Man verstehet alles, wenn man sich vorher klar machtd1, wie die unmittelbaren Zuhörer und Leser der Apostel über jeden Lehrpunkt dachten, und alsdenncd2 nur das Ziel in Augen behält, wohin sie geführet werden solten, nemlich zur Furchtlosigkeit |c286| und freudigernd3 Vorstellungen von Gott, und d4 ihren künftigen Schicksalen bey moralischguten Gesinnungen. Um |b286| nur eine Probe zu geben, wie hieraus die Lehrart der Apostel ihr volles Licht erhält, wähle ich die Artikel von den Dämonen und von dem Versöhnopfer Christi.

    Dämonenlehre.

  • 1. Vorerkentnisse der ersten Leser. Ihr Juden glaubt, daß eine Menge Dämonen in der Luft sind, welche auf die Seele und den Körper dercd5 Menschen und auf die äussered6 Begebenheiten der Welt einen kräftigen Einfluß haben. Ihr glaubtcd7, daß die mächtigsten unter denselben mit ihrem Anhange in eignend8 Gebieten herrschen, und sie zu erweitern suchen. Ihr haltet diejenigen, welche euer Reich beschirmen, für gute Engel, die Schutzgeister der übrigen Nationen aber für eure Widersacher und Teufel, und /ddaherd\ auch für Feinde des Jehova, Jud. 9. Tob. 3, 8. K. 12, 14. 15. Offenb. 12, 3c9 f. Diesen bösen Geistern schreibtd10 ihr die meisten Unfälle und verschiedned11 Arten unheilbarer Krankheiten zu; ja ihr befürchtet, daß ihr im Sterben, wegen der Uebertretung eures Gesetzes, ihnen ausgeliefert und von ihnen gequälet werden möchtet. Nun will ich mich nicht auf den |z55| Grund oder den Ungrund eurer Meinungen einlassen, aber euch zu eurer Beruhigung nun eine erfreuliche Lehre verkündigen.
  • 2. Unterricht der Apostel: Christus ist ein Stärkerer als das Oberhaupt der widerwärtigen Geister. Er |d260| ist dazu gekommen, die Wirksamkeit derselben aufzuheben, und hat in seinem Tode dem Gewalthaber des Todes seine Macht über die Menschen benommen; und zum Beweise davon alle, die vom Teufel überwältiget waren, gesund und frey gemacht. Nun ist er über alle Dämonen und Geister, sie mögen über, aufcd12 oder unter der Erde seyn, erhöhet; alles ist unter sei|c287|ne Füssed13 gethan. Wer daher an Christum glaubtd14, |b287| und redlich seinen Vorschriften gemäß lebtcd15, an den hat Satan keine Gewalt, sondern er fliehet vor ihm. Aber durch Abfall vom Christenthumd16, und durch Betrug und Lieblosigkeit geräth man in der Teufel Gewalt und Verdamniß, Ebr. 2, 14. 15. 1 Joh. 3, 8. Eph. 6, 12. 16. 1 Tim. 4, 1. 1 Joh. 3, 10.

    Versöhnungstod Christi.

  • 1. Vorerkentnisse. Ihr Juden glaubtcd17 nach Mosis Gesetz, daß niemand als nur der Hohepriester einen nahen Zutritt zu Gott habe; daß man daher eines solchen zum Mittler und Fürsprecher bey Gott beständig bedürfe. Ihr glaubt, daß wer nicht alle Worte des Gesetzes erfülle, vom Herrnd18 verflucht sey; und daß keine Vergebung ohne Blutvergiessend19 erfolgen könne. Unter diesen Verhältnissen lebtetcd20 ihr in Angst und Todesfurcht; aber nun verkündigen wir euch /cdein Evangelium.cd\cd21
  • 2. Apostolischer Unterricht: Christus ist uns von Gott zu einem ewigen unsterblichen Hohenpriester verordnet, er ist ein für allemal mit seinem /deignen Blutd\d22, das mehr werth ist, als aller Böcke und Kälberblut |z56| und alles Lösegeld von Metall, in das Allerheiligste eingegangen, und hat dadurch eine ewige Erlösung und Befreiung von allen Strafen, died23 Mose den Uebertretern seines Gesetzes gedrohet hat, gestiftet. Nun ist der Vorhang im Tempel zerrissen, und jeder hat als ein Christ einen ofnend24 und freien Zugang zu Gott. Die Handschrift, died25 wider uns Juden war, ist /cdans Kreutzcd\cd26 geschlagen, und aller Fluch aufgehoben, da Christus durch sein Hängen am Holzd27 ihn auf sich genommen hat. Nun bedür|d261|fenc28 Christen auch keines Priesters zum Fürsprecher, sondern sie selbst können in seinem Geistcd29 ihn überall wohlgefällig als Vater anbeten. Aber nun muß auch jeder Christo leben, der für ihn |b288| |c288| gestorben ist, wenn er dereinst auch mit ihm in seiner Herrlichkeit leben will, Ebr. 2, 12. Luc. 23, 45.
Es erhellet ganz deutlich, daß diese Lehrart die Juden gerade zu dahin brachte, alle Furcht fahren zu lassen, und die zur Glückseligkeit nöthige Freudigkeit zu Gott, besonders in Absicht der Zukunft, zu fassen, und überhaupt geistiger und vernünftiger zu denken und zu handeln. Aber auch in diesen Lehren ist eine grossed30 Mannigfaltigkeit der besondern Einkleidung,d31 für die verschiedenen jüdischen Sekten und für die Heiden, in den heiligen Schriften anzutreffen. Nirgends wird denen, welche von den bösen Geistern nichts wußten, es zu einer Seligkeitsbedingung gemacht, dergleichen zu glauben; nirgends den Heiden gesagt, daßd32 sie ohne Söhnopfer keine Vergebung zu hoffen gehabt hätten. Hieraus folgtcd33 demnach die Regel der Amtsklugheit: man wähle bey jeder Klasse der Zuhörer den nächsten Weg, sie mit Vertrauen, Liebe und Freudigkeit zu Gott zu erfüllen. Haben sie keine ängstliche Vorstellungen von der Gewalt böserc34 Geister, so erwecke man sie ihnen nicht erst. Sind sie bereits von so hellen Einsichten, daß sie von Gottes väterlicher Güte Verzeihung, ohne vorgängiges Blutvergiessend35 oder andred36 |z57| Geschenke, hoffen, so bringe man sie nicht erst auf die /dfinstere jüdisched\d37 Begriffe zurück. Findet man dagegen unter den Christen Leute vor sich, died38 so weit in ihren Vorerkentnissen zurück sind, wie ehedem die Juden waren, nun dann führe man diese denselben Weg, dend39 die Apostel von da aus vorgezeichnet haben. Wer jenseit des Stromsd40 sich befindet, bedarf einer Brücked41 um herüber zu kommen, es wäre aber thöricht, wenn man Leute, die disseit des Wassers wohnen, darum erst auf einem gefährlichen Nachen über den Strom herübersendencd42 wolte, um auch sie über die Brücke in die Stadt herein zu bringen. Die Lehre vom Opfertode cd43 ist die Brücke für alle;cd44 welche |d262| da stehen, wo sich die Juden zur Zeit der |b289| |c289| Apostel befanden: unsre denkende Christen wohnen schon disseits.
Lieset man nun die Schriften der Kirchenväter aus den ersten Jahrhunderten, so findet man fast durchgängig den Tod Christi als das Erlösungsmittel von der Gewalt des Todesengels oder des Teufels vorgestellt,cd45 aber keine Spur von der spätern Lehre, daß Gott d47 besänftiget oder ihm eine Genungthuung geleistet werden sollen. Ein jeder christlicher Schriftsteller entwickelte sich, nach seiner eignend48 besondern Philosophie, die Gründe und die Art und Weise der Erlösung vom Teufel. Einige lehreten, der Körper Jesu sey dem Teufel als eine Lockspeise vorgehalten worden, damit Christus den Satan, wenn er glaubte, eine Menschenseele zu haschen, selbst fassen und gebunden ins Gefängniß führen können. Gregor von . Rede 39. Andrecd49 wie z. B. Augustincd50 sagten: Gott hätte zwar nach seiner Allmacht dem Teufel seine Gewalt über die Menschen nehmen können, aber disd51 hätte sich für Gott nicht geschickt, sondern der Teufel hätte durch Gerechtigkeit besiegtcd52, oder nach Urtheil und Recht seiner Herrschaft über die Menschen, died53 sich ihm freiwillig unterwürfig ge|z58|macht /chätten, beraubtd54c\c55 werden müssen. Gott hätte daher veranstaltet, daß der Teufel Gelegenheit gehabtcd56, sich an Christo als einem völlig Unschuldigen zu vergreifen und derselbencd57 zu tödten, und /cdeben dadurchcd\cd58 hätte er nun das bisher gehabte /cdAnrecht ancd\cd59 die /dMenschend\d60 verloren. Es ist daher auch diese Vorstellung in Luthers Erklärung des zweiten Artikels übergangen: erworben, gewonnen, von allen Sünden, vom Tode und von der Gewalt des Teufels.
Wer sich selbst ausführlich überzeugen will, wie mannigfaltig von der Apostel Zeiten her die besondred61 Vorstellungsarten einer jeden einzelnen Hauptwahrheit, und die Methoden sie mit einander zu verbinden, ge|b290||c290|wesen sind, und entweder die todten Sprachen nicht geläufig versteht, oder weitläuftige Werke sich nicht anschaffen kan, oder cd62 durchzustudiren nicht Zeit hat, der lese die deutsche Uebersetzungen und Auszüge aus den Schriftstellern der ersten |d263| Jahrhunderte, welche uns der Herr Professor Rößler /dzum Theild\ geliefert hat /dund noch liefern wirdd\. Denn ob gleich Herrd63 Rößler unter solchen Verhältnissen gegen kirchliche Policeygesetze schreibtd64, daß er das herrschende System möglichst schonen mußd65, und daher z. B. den wichtigen Unterschied zwischen Θεος (ein Gott) und ὁ Θεος (der höchste Gott) in seiner Uebersetzung nicht hervorstechen läßtd66, so ist doch für Gottesgelehrte durch die beygedruckted67 Originalstellen an vielen Orten gesorgtcd68; und die übrigen Leser, died69 auf feinere Lehrbestimmungen zu merken nicht nöthig haben, werden aus der Lesung des Ganzen sich noch immer einleuchtend überzeugen, daß das Christenthum überall nach der Landesphilosophie und dem /cdGeist descd\cd70 Zeitalters geformt worden ist; daß die jetzt gemeinen Kirchenlehren ehedem unbekant gewesen sind; daß in den frühernd71 Jahrhunderten das Christenthum gleichsam in der Kindheit sich befundend72, so wie es nachher in den finstern Zeiten der |z59| Barbarey in den Abendländern abermals noch sinnlicher gewordend73; und daß also bey einer solchen Aufklärung der Vernunft und aller Wissenschaften, als Gott in diesem Jahrhundertcd74 uns gönnet, nothwendig eine Absonderung der groben Begriffed75 und eine geistigere Vorstellung der Lehre Jesu, als von den Zeiten der Apostel an /dbis jetztd\ noch nied76 statt finden können, d77 nicht nur möglich, sondern auch nothwendig istcd78.
d1: machetcd2: alsdannd3: zu freudigerend4: voncd5: desd6: äußerecd7: glaubetd8: eigenenc9: 3.d10: schreibetd11: verschiedenecd12: auf,d13: Füßed14: glaubetcd15: lebetd16: Christenthumecd17: glaubetd18: Herrend19: Blutvergießencd20: lebetcd21: eine erfreuliche trostvolle Lehre:d22: eigenen Bluted23: welched24: offenend25: welchecd26: an den Galgend27: Holzec28: bedörfencd29: Geisted30: großed31: Einkleidungend32: dascd33: folgetc34: bösserd35: Blutvergießend36: andered37: finstern jüdischend38: welched39: welchend40: Stromesd41: Brücke,cd42: hinübersendencd43: Jesucd44: alle,cd45: vorgestellet (c) ; vorgestellet (d)cd46: vorgestellet,d47: habed48: eigenencd49: Andre,cd50: Augustin,d51: diesescd52: besiegetd53: welched54: beraubetc55: hatten, beraubetcd56: bekommencd57: denselbencd58: dafürcd59: Recht überd60: Menschen, die an Christum glauben würden,d61: besonderecd62: auch sied63: Hr.d64: schriebd65: mußted66: lässetd67: beygedrucktencd68: gesorgetd69: welchecd70: Geiste eines jedend71: früherend72: hatd73: istcd74: Jahrhunderted75: Begriffe,d76: niemalsd77: anjetztcd78: sey

§. 94.

Ich habe nun, meinem Versprechen gemäß, deutlich dargethan, daß es beym Christenthumcd1 nicht auf Buchstaben oder auf tiefsinnige Lehrbestimmungen, son|b291||c291|dern blos auf die innere Gemüthslage ankomme; daß nur der Geist der kindlichen Liebe und Freudigkeit gegen den Weltregierer, und der Geist des thätigen Wohlwollens gegen alle Menschen die göttliche Wohlthat sey, died2 durch Christum allen Gläubigen hat zugetheiletc3 werden sollen; und daß übrigens das Bruch- und Stückwerk aller sonstigen Erkentnisse bey den Menschen, der Seligkeit unbeschadet, mehr oder weniger sinnlich und fehlerhaft seyn kan, und in diesem Leben immer mangelhaft bleiben wird. Paulus, der Gelehrteste |d264| unter den Aposteln, bekennet, daß seine Einsichten und seine Auslegungskunst der Schriften d4 alten Testamentsd5 Stückwerk sey, und daß er sich, wie alle Menschen hier in diesem Leben noch im Kindheitsalter befände, und Gottes Regierungsplan nur wie im Dunkeln sähe, 1 Cor. 13, 9–12. Was würde dieser grossecd6 Apostel zu den demonstrirten Kirchensystemen der spätern Theologen gesagt haben, died8 genau alle Begriffe begrenzen, alle Fragen entscheiden, und von uns verlangen, daß nun keiner weiter denken, sondern seine Vernunft der festgestellten Lehrform unterwerfen soll! Paulus meint in dem ange|z60|führten Kapiteld9 v. 1. 2. 3. daß, wenn er auch alle Sprachkunde und alle andred10 Wissenschaften im vollkommensten Grade besässed11, die Schrift völlig erklären, und alle Religionserkentnisse in einem vollständigen Systemd12 liefern, und noch /cdoben dreincd\cd13 Wunder thun könted14, so wäre das alles zusammen genommend15 nicht so viel werth, als ein Herz voll Liebe /cdzu Gott und den Menschencd\. Er meint ferner v. 8–13d16 alle damalige Schrifterkentnisse würden verschwinden, wenn in einem männlichen Alter des menschlichen Geistes reinere Einsichten sich darbieten würden; nur Redlichkeit, Liebe und Hofnung würden immer wesentlich bleiben, und unter diesen bliebe die Liebe das grössested17 und wirksamste:cd18 auf welche Christus bey Entscheidung der ewigen Schicksale auch nur allein sehen wird, Matth. |b292| 25, 31c19 f. – Ich will gegen diesen ächten |c292| Geist des Christenthums den Geist der kirchlichen Orthodoxisterey nicht kontrastiren lassen; ich fühle, daß ich zu lebhaft werden würde, und auch dieses könte den Geist der Liebe schwächen, 1 Cor. 13, 4–7. Gott sey gedankt, daß wir seit zwanzig Jahren so weit empor gekommen sind, daß wir nun wiederum mit Paulo einsehen, es lasse sich kein allgemeines vollständiges System cd20 erbauen, weil unser Wissen Stückwerk ist, und daß es thöricht sey, von andern eine völlige Beystimmungcd21 zu /cdunsrem Glaubensbekentnißcd\cd22 zu verlangen! – Allein diese Schrift selbst solte, dem Titel nach, ein System der christlichen Glückseligkeitslehre vorlegen. – Wie stimt dieses mit den vorstehenden Entwickelungen zusammen? – – |d265| Was ich geliefert habe, theureste Leser, ist kein solches System, wie die Dogmatiker in weitläuftigen Werken aufführen; es ist nur eine Zusammenordnung der allgemeinsten Religionswahrheiten, wodurch Glaube, Liebe und Hofnung unmittelbar erzeugtcd24 werden; auch ist es nur für einen Theil meiner denkenden Zeitverwandten, die mit mir |z61| ohngefehr gleiche Denkartcd25 und Vorerkentnisse haben, geschrieben. Von den Sätzen und gelehrten Meinungen, worüber die Kirchen sich zanken, findet ihr nichts darin, und da man in der ganzen Christenheit über die Wahrheiten, welche ich §. 81. gesamlet habe, einig ist, so dünktcd26 mir, es sey dieses ein neuer Beweis, daß eben diese Wahrheiten nur allein wesentlich sind; und daß die streitigen Lehrbestimmungen das Zufälligecd27 ausmachen, welches eben so wenig bey allen gleichförmig seyn kan, als die einzelnen Gesichtszüge der Menschen, ob wir gleich alle ein menschlichd28 Gesicht in Absicht des der Organisirung haben. Freilich werden hundert Leser meines Systems auch hunderterley verschiedene Vorstellungen von den Wahrheiten, died29 sie lesen, in dem Innerncd30 ihres Gemüthscd31 sich ausbilden, wenn sie |b293| |c293| es gleich alle verstehen. Es ist unmöglich, daß alle in gleichem Grade der Klarheit, Deutlichkeit, Bestimtheit, Gewisheitd32 und des Lebens die Begriffe fassen solten, und die bisheriged33 Vorerkentnisse eines jeden, died34 sich sogleich beym Lesen einmischen, müssen unendlich verschiedene Gedankenreihen darüber erzeugen.
Wenn aber nur jeder, nach seiner persönlichen Denkungs- und innern Empfindungsart, Gott über alles liebt und als den erfreulichsten Gegenstand der herzlichsten Anbetung verehrtcd35; wenn nur jeder nach seiner Fähigkeit sich die herrlichsten Aussichten für die Zukunft eröfnet, und unbegrenztes Vertrauen zu Gott faßt,cd36 und wenn nur jeder nach dem Maaßcd38 seiner Kraft Gott immer ähnlicher zu denken und zu handeln , und mit seinem ganzen Gemüthcd39 dem Nächsten wohlwill und /cdliebtcd\cd40, o so sind wir alle gleich selig und Gott gleich wohlgefällig, so weit auch immer der Abstand in den Graden der Vollkommenheit /cdunsrer einzelnen Begriffecd\cd41 zwischen uns seyn mag.
cd1: Christenthumed2: welchec3: zugetheiltd4: desd5: Testamentescd6: grose (c) ; grose (d)cd7: großed8: welched9: Kapitel,d10: andered11: besäßed12: Systemecd13: obendreind14: könnted15: genommen,d16: 8–13.d17: größestecd18: wirksamste;c19: 31.cd20: theoretischer übersinnlicher Wahrheitencd21: Beistimmungcd22: unserm Glaubensbekentniße (c) ; unserm Glaubensbekentniße (d)cd23: unserm Glaubensbekentnissecd24: erzeugetcd25: Denkungsartcd26: dünketcd27: zufälliged28: menschlichesd29: welchecd30: innerncd31: Gemüthesd32: Gewißheitd33: bisherigend34: welchecd35: verehretcd36: faßt; (c) ; faßt; (d)cd37: fasset;cd38: Maaßecd39: Gemüthecd40: zu helfen suchtcd41: unsres theoretischen Erkentnisses

|d266| |z62| §. 95.

Der Nutzen, welchen ich durch diese Schrift bey meinen Lesern zu stiften wünsche, und bey dem grössernd1 Theil derselben zu bewirken hoffe, ist vielfach.
  • 1. Indem ich das Ziel ins Licht gesetztcd2 habe, wohin ein jeder durch die Religion zu gelangen wünschtd3, so können nun denkende Leute, died4 nicht blindlings einem Führer nachzufolgen angewöhntcd5 sind, sich entweder selbst den kürzesten Weg zu höherer Seligkeit wählen, oder doch die Führer besser beurtheilen, denen sie sich anvertrauencd6 und cd7 selbst wahrnehmen, ob sie vorwärts oder im Zirkel /cdherum geführetcd\cd8 werden. Ist der Zweck aller Religionen, Gemüthsruhe und Freudigkeit zu Gott, besonders in Absicht der Zukunft, und innere Betriebsamkeit zum Guten in uns zu erwecken, so folgtd9, |b294| |c294| daß jeder Begrif und Satz, der etwas dazu beyträgt, unsre Zufriedenheit und Rechtschaffenheit zu verstärken, auch zu unsrer Religion gehöre; daß Sätzecd10 deren Annehmung in uns Furcht gegen Gott erwecken, oder Menschenhaß erregen, oder sonst unsre heitred11 Gemüthsfassung verschlimmern würded12, schlechterdings wegzuwerfen sind; und daß endlich alle Sätze, welche nichts dazu beytragen, uns mehr zu beseligen, auch nicht in unser System der Religion aufgenommen müssen, wenn gleich andred13 nach ihrer Denkartd14 dieselbe cd15 nützlich oder tröstlich finden möchtencd16.
  • 2. Indem ich gezeigtcd18 habe, daß im neuen Testamentd19 mehrerley Theorien über einerley Hauptwahrheiten, nach Verschiedenheit der Vorerkentnisse der Leser, welchen jede Anrede und Schrift zunächst bestimt worden ist, enthalten sind: so wird nun die Auslegung der heiligen Schrift überaus erleichtert, und man hat nicht |z63| ferner nöthig, den einzelnen Aussprüchen Gewalt anzuthun, um sie gleichstimmig zu machen. Ein jeder Satz muß nur in der Reihe der Anweisungen, zu welcher er gehörtc20, gelassen werden, so wird sich ergeben, daß eine hinlängliche Zusammenstimmung aller Lehrvorträge der Schrift, zumcd21 gemeinschaftlichen Zielcd22, Gemüthsruhe und liebevolle Gesinnungen gegen Menschen zu befördern, überall vor|d267|handen sey. Nur muß man eine doppelte Schriftauslegung unterscheiden.
    • Die logische Erklärung des Schriftverstandes nach den Regeln der Auslegungskunst. Bey dieser stehtcd23 es fest, daß jeder Ausspruch nur einen einförmigen Wort- und Sachverstand hatd24. Dieser schränktcd25 sich lediglich auf died26 Vorstellungen ein, welche der Verfasser in den nächsten Lesern unmittelbar hat erwecken wollen; und dieser kan cd27 für unsre Zeiten /cdzum Unterrichtcd\ ganz unbrauchbar cd28 |c295| geworden |b295| und veraltet seyn, weil die Christen jetzt schon weiter sind.
    • Die asketische oder erbauliche Schrifterklärung, bey welcher der Zweck ist, Erkentniß der Wahrheiten und gute Gemüthsbewegungen in heutige Christen hinein zu bringen, und durch das Ansehen der Bibel zu bevestigen. Hierbey ist der Sinn der Schrift sehr mannigfaltig, und d30 ganz richtig, was der Cardinal Nicolaus de Cusa in seinem siebentencd31 Briefe an die böhmische Klerisey ehemals schrieb: Intellectus scripturae currit cum praxi: non mirum ergo, si praxis ecclesiae vno tempore scripturam interpretetur vno modo, alio tempore alio modo. (Der Verstand der Schriftstellen |z64| verändert sich nach der Praktik der Kirche; man muß sich daher nicht wundern, wenn die Kirche ehedem anders ausgelegtd32 hat, als sie es jetzt für gut befindet.) So legten die Evangelisten und Apostel viele des alten Testamentscd33, zur Beförderung besserer Gesinnungen bey ihren Zuhörern, zwar nicht hermeneutisch aber doch ascetischcd34 richtig aus; und so werden nicht nur auf den Kanzeln die Texte auf mannigfaltige Art erklärtcd35; sondern es sind auch, wie mir deucht, die meisten neuern Wörterbücher, Uebersetzungen, Auszüge und Erklärungen,cd36 der helldenkenden Theologen über die heiliged37 Schriften den Aufklärungen unsres Zeitalters gemäßer gemacht, so daß die heiligen Schriftsteller eine modernere Denk- und Sprachart dadurch erhalten haben. In sofern dieses |d268| den erbaulichen Gebrauch der heiligen Schriften für jetzige Leser befördert, ist es gar nicht zu tadeln, da wir hierin Apostel zu Vorgängern haben: in sofern aber Gottesgelehrte die alten Begriffe der ersten Christen zu den Zeiten der Apostel aufsuchen, oder uns liefern |b296| |c296| wollen, solten sie lieber das schwankende, gemischtecd38 nach der Einbildungskraft der Juden geformte, und sinnlich Grobe gerade so darlegen, wie es die Kindheit der christlichen Kirche damals bedurft hat: ob ich gleich gestehe, daß Paulus,cd39 durch seinen besonders feinen und künstlich allegorisirenden Vortrag,cd40 klugen Lesern schon weit mehr zu denken gegeben hat, als /cddie gemeinencd\cd41 Christen /dnichtd\ darin finden konten, und noch wenigd42 Gottesgelehrte cd43 darin gefunden haben.
  • 3. Indem ich gezeigtcd44 habe, daß das Christenthum in Palästina, Griechenland, Egypten und den Abend|z65|ländern überall nach der Landesphilosophie, und in jeder Nation abermals nach den verschiedenen Sektend45 verschiedene Formen und Einkleidungen bekommen hat, so wird man auch besser thun, bey Lesung der ältern Schriften auf diese Mannigfaltigkeit zu merken, als sich die unphilosophische Mühe zu geben, alle für rechtgläubig gehaltene Schriftsteller nach der spätern durch Koncilien bestimten katholischen Lehre übereinstimmig erklären zu wollen: und zugleich den kleinern Partheien und einzelnen Gelehrten, died46 von der herrschenden Kirche für irrgläubig gehalten worden sind, mehr Gerechtigkeit wiederfahren lassen. Auch von ihnen ist oft viel zu lernen, und wo ich nicht irre, das meiste: denn reinere Einsichten sind wol von je her nur immer das Antheil einer kleinen Anzahl der Menschen und nicht des grössernd47 Haufens gewesen.
  • 4.
    Indem ich gezeigtcd48 habe, wie Christus und die Apostel in Palästina sich gegen die Landesgesetze bey ihrem Religionsunterrichtcd49 verhalten haben, so wird dieses vielen Lehrern zur Beruhigung gereichen, daß sie mit gutem Gewissend50 ohnerachtet ihrer hellern Einsichten und bessern Ueberzeugungen, sich doch |b297| |c297| nach den Kirchengesetzen ihrer |d269| Gegend bequemen können. Unsre symbolische Schriften sind Policeygesetze. Wer darauf vereidet ist, kan von denen davon dispensirtcd51 werden, die das Recht hatten, ihn zu vereiden: das ist, von seiner höhern Obrigkeit, welche die Bedingungen feststelltcd52, unter welchen sie jemand ein öffentlichcd53 Amt in ihrem Gebietcd54 anvertrauen will.
    Es ist äusserstd55 lächerlich, wenn Theologen sich das Ansehen geben, als ob sie Garants des west|z66|phälischen Friedens wären, und für Deutschlands äussered56 Ruhe wachen müßtend57: oder wenn sie sich einbilden, der Kaiser und die Reichsfürsten hätten sich eine Anzahl Lehrbestimmungen im Religionsfrieden auf ewige Zeiten garantiren wollen. Blos die protestantischen Fürsten, nicht aber die Theologen haben Frieden geschlossen, und nur die Fürsten, und nicht die Geistlichen, haben es unter einander auszumachen,c58 wie weit dadurch ihre Rechte eingeschränktcd59 worden seyn, Freiheit im Lehren und Schreiben in ihren Ländern zu gestatten. Zufällige Einschränkungen natürlicher Rechte und Freiheiten, dergleichen das Rechtd60 gemeinnützige Lehren zu verbessern, und seine Verbesserungen öffentlich bekant zu machen, ohnstreitig ist, haben mehrentheils ihren Grund in Zeitumständen und äussernd61 Verhältnissen, und wenn diese Gründe bey veränderten Umständen wegfallen, fälltcd62 natürlich auch die Folge, oder der äussered63 widernatürliche Zwang zugleich cd64 weg. Jeder Landesfürst muß demnach beurtheilen, wie weit er die natürliched65 Gerechtsame seiner Unterthanen noch wegen äussererd66 Verhältnisse aus Politik einschränken müsse; disd67 kan kein Geistlicher von seinem niedrigen Standpunktcd68 übersehen, und es ist die unbesonnenste Arroganz, |b298| |c298| wenn Theologen ihren Fürsten oder derselben Ministern Grenzen der Religionsduldung vorschreiben wollen, als wenn Geistliche von Gottes wegen auch Depositaires und Ausleger der weltlichen Friedensschlüsse wären. Freuen solte sich die ganze Christenheit, und besonders jeder Geistliche, daß es noch Länder giebt, wo der menschliche Geist sich frey em|d270|por heben kan, und wo man jede Wahrheit laut denken darf. – Niemals kan, was göttlich wahr |z67| ist, dabey verdunkelt werden. Je mehr Einwürfe und Zweifel vorgetragen werden, desto mehr wird nur die Wahrheit von den beygemischten menschlichen Meinungen geläutert. Sie ist ein Gold, dascd69 je öfter es ins Feuer komt, um desto glänzender wieder hervorgeht.
  • 5. Es ist überhaupt eine ganz leere Grille, wenn man sich die protestantischen Geistlichen als eine geschloßned70 Gesellschaft unter dem Namen einer Kirche denktcd71, und daher folgert, daß jeder mit allen übrigen völlig gleichstimmig lehren müsse. Diese Idee ist noch aus der hierarchischen Verfassung der römischen Kirche, darin sie etwas reelles hat, unter uns übrig geblieben; sie ist aber, wie wir gesehen haben, nicht apostolisch, so lange man Paulum und Jakobum beyderseits für rechtgläubig hält. Prediger unter den Protestanten sind moralische Aerzte, und stehen gegen einander in keinem andern Verhältnißcd72, als die physischen Aerzte, died74 weiter keine Gesellschaftspflichten gegen einander haben, als daß sie gemeinschaftlichen Landesgesetzen unterworfen sind, und Beweise ihrer Tüchtigkeit abgelegtcd75 haben müssen, wenn ihnen öffentliche Praxis verstattet werden soll. Wenn dann jeder so gut verordnet, als er es verstehtd76, so erfülltcd77 er seine Pflichten, und es schadet gar nicht, wenn gleich Aerzte eines und desselben Ortsd78 zum |b299| |c299| öftern verschiednerd79 Meinung sind. Disd80 dem Stückwerkd81 unsrer Erkentniß nicht anders möglich. Ein jeder Bürger kanc82 wählen, wem er sich anvertrauen will, und sich an denjenigen halten, bey dessen Rathgebungen er sich am besten befindet. Was würde wolcd83 herauskommen, wenn hier in Frankfurth der Arzt sich nach den Hamburger oder Nürnberger Prak|z68|tikern erst umsehen müßted84, wenn er verordnen wolte, ob die auch eben so zu verordnen pflegten. Gesetzt also, es träfe sich, daß Prediger an einer Gemeine ganz verschiedned85 Systeme und Lehrarten hätten, so werden doch beide dahin ar|d271|beiten, Gemüthsruhe, Zuversicht zu Gott, und Rechtschaffenheit zu befördern. Ein jeder von der Gemeine wird dann aus ihren Vorträgen das auffassen, was ihm zusagtd86, und der Nutzen wird desto grösserd87 seyn, je nöthiger eine Mannigfaltigkeit der Vorstellungen bey der verschiedenen Gemüthslage der Menschen ist. Indesd88 müssen immer kirchliche Policeygesetze bleiben, damit diejenigen, welche wider den Haupzweckcd89 des Christenthums Argwohn, Zwiespalt, öffentliche Trennungen und Unruhen erregen, /cdnach denselbencd\cd90 ihres Amts entsetztcd91 werden können. Man solte daher an allen Orten vornemlich diejenigen als wahre Ketzer (Partheienmacher) bestrafen, welche gegen ihre Kollegen und /dandre rechtschafned\d92 Lehrer predigen, und gegen sie Verdacht und Haß zu erregen suchen: denn diese mißbrauchen die Kanzel zum Tummelplatzd93 ihrer Leidenschaften, und erbittern an statt zu bessern, Röm. 14, 19. K. 15, 1–7. 1 Cor. 14, 26. K. 13, 1–7. Eph. 4, 29–32. Wer durch unvorsichtiges Verhalten in seiner Lage sich Censur der Obern zuziehetd94 und Vortheile c95 /dverliertd\d96, ist kein Märtyrer für die Wahrheiten, die er gelehrtcd97 hat, sondern ein Märtyrer der Unbeson|b300|nenheit,cd98 und des Leichtsinnsd99, daß er died100 Policeygesetze seiner Kirche und Gegend /dnicht menagiretd\d101 hat.
  • 6. Vermöge dieser Auseinandersetzungen wird nun alles Aergerniß über theologische Streitigkeiten bey denkenden Personen wegfallen. Man siehet, daß |z69| bey allen Zwistigkeiten doch das eigentliche Christenthumssystem, wie ich es §. 81. vorgetragen habe, feststehetd102, und daß die Verschiedenheit der Meinungen mehr die vorläufige Hülfserkentnisse und die Einkleidung betriftd103, vermittelst deren jeder besondern Gattung der Menschen die Hauptwahrheiten verständlich gemacht werden müssen; oder daß die Fragen, worüber man sich nicht vereinigen kan, ausserd104 den Grenzen des geoffenbarten Unterrichtsd105 zur Seligkeit liegen, blos spekulativ sind, und von niemand in diesem Leben völlig entschieden werden können. |d272|
  • 7.
    Junge Theologen insonderheit können aus dieser Schrift lernen, worauf sie ihren vorzüglichsten Fleiß zu verwenden haben[.]cd106 Philologische, kritische, antiquarische und andred107 zu den gelehrten Hülfsmitteln der Schriftauslegung gehörige Kentnisse sind, so wie die Geschichte der Lehrmeinungen, vortrefliche Vorbereitungen zu ihrem Lehramte; allein daraus lernen sie nur, wie ehedem Juden, abgöttische Völker, und Leute von allerley philosophischen Sekten, allmählig von ihren alten Meinungen abgeleitet, und von damaligen Epidemien sittlich kurirtcd108 worden sind. Sobald sie aber bey einer bestimten Gemeine als moralische Aerzte angesetztcd109 werden, komt es vornemlich darauf an, ihre Gemeine und die Krankheiten in derselben kennen zu lernen, und die speciellern Genesungsmittel für jede Gattung derselben und jede Person insonderheit gehörig zu erfinden und anzuwenden. Dann muß ihr Hauptstudium dahin gehen, sich |b301||c301| folgende Aufgaben immer zuverlässiger auflösen zu lernen:
    |z70| Wie verscheuche ich aus den Gemüthern meiner Zuhörer alle ängstliche Furcht vor Gott? Wie erwecke ich am leichtesten in ihnen eine Begierded110 Gott in seiner ganzen Liebenswürdigkeit sich oft zu denken, und seiner Wohlthätigkeit sich immer anschauender bewußt zu werden? Welche Vorstellungen können nach ihren bisherigen Erfahrungen sie am kräftigsten im Vertrauen zu Gottes Vorsehung bevestigen? Was für Hindernisse und Zweifel finden bey ihnen noch statt, und wie hebe ich diese am besten? Wie bringe ich Rechtschaffenheit und Menschenliebe in das Innerstecd111 ihrer Seele hinein, und wie unterhalte und belebe ich ihre Betriebsamkeit, Gott ähnlich zu werden, von Sonntag zu Sonntag? Wie kurire die Temperaments- oder Gewohnheitsneigung zur Mißmüthigkeit und Unzufriedenheit? Wie den Neid, den Stolz, den Geiz, den Leichtsinn, die übertriebnecd112 Tadelsucht, theils überhaupt, theils bey diesem und jenem der Gemeine in seiner besondernd113 Lage? Wie bringe ich /cddencd\ Frieden in die Häuser, in welchen Zwietracht herrschtcd114; |d273| gegenseitiges Zutrauen zwischen Ehegatten, die sich durch Argwohn das Leben verbittern? Wie Verträglichkeit und Dienstbeflissenheit zwischen widriggesinntec115 Nachbaren? Wie veranstalte ichscd116, daß mit den etwa vorhandenen oder ausfindig zu machenden Mitteln, die Kinder der Armen eine Erziehung zur künftigen Brauchbarkeit in ihrem Stande erhalten? Kurz, wie stelle ich es an, daß /cdvon Woche zu Wochecd\ immer mehr wahre Glückseligkeit in meiner Gemeine durch meine Sorgfalt hervorgebracht, und diese bey jedem Mitgliede cd117 immer vollkomnercd118 werde?
    |b302| |c302| |z71| O, meine Brüder, was köntet ihr für Segen über die Menschen verbreiten, wenn ihr als Väter und Aerzte gegen eure Gemeinen dächtet und fühltet? Wenn ihr die Muße, died119 euch vor allen andern, die in Aemtern stehen,c120 gegönnet ist, dazu anwendetet, die einzelnen Mitglieder eurer Gemeine /cdnach und nach genauer,cd\ in Absicht ihrer Gemüthsfassung und /däussern Lage,c121d\d122 kennen zu lernen, und dann jeden gleichsam bey der Hand fassetet, und ihm zu höherer Wohlfart hinauf cd123 steigen /cdhülft!cd\cd124 Wie ehrwürdig müßtetd125 ihr euch selbst dabey fühlen, wie ehrwürdig müßted126 unser Stand und Amt dann jedem Menschenfreunde, jedem denkenden Mannd127 erscheinen, und mit welcher Seligkeit müßte das Bewußtseyn, so viele zufrieden und weise gemacht zu haben, eure Seele erfüllen! Aber freilich, eure Dogmatiken, Polemiken, und andred128 weitläuftige theologische Werke, können euch wenig Dienste dabey /cdthun! Einecd\cd129 Nachahmung Christi, Studium der Menschheit, Achtsamkeit /dauf Erfahrungend\d131 und Reflexion über den Eindruck und Erfolg, dend132 eure Vorträge und d133 Beyspiel bey euren Kirchkindern haben; das wird euch früher und sicherer lehren, was und wie ihr reden und handeln müßtcd134. Dann werdet ihr auch bald selbst finden, welche Schriften ihr zu diesem Behufd135 mit Nutzen brauchend136 könnet. Vielleicht manche sehr verschrieene Bücher!
    |d274|
  • 8.
    Endlich müssen diese Betrachtungen allen Menschenfreunden höchst willkommen seyn. Wenn man nach den gemeinen Lehren annimt, daß es nur einen einzigen Weg zur Glückseligkeit giebt, und daß dieser Weg das Glaubenssystem irgends einer bestimten christlichen Kirchparthey sey; wie beklom|z72|men muß da das Herz werden? Unter allen Menschen, die gelebt haben, hat kaum einen, gegen eine |b303| |c303| Million andrercd137, das Glück getroffen, ein Mitglied derselben Kirchparthey zu seyn: und unter den äussernd138 Bekennern des Glaubens dieser Kirche, ist es wieder unter hunderten kaum einer, derd139 nach den Grundsätzen des Systems ein völlig Bekehrter und Gläubiger gewesen ist. Also werden nach dem Kirchensystemd140 hundert Millionen, theils ungetaufte, theils irrgläubige Menschen verdamt, gegen einen, der vermittelst seines Glaubens an ein bestimtes Kirchensystem selig wird! Und wie, wenn nun unsre Kirche Unrecht hätte, und eine andred141 den richtigen Weg allein lehrtecd142? – Wie sehr erweitert sich dagegen unser Herz zur freudigsten Anbetung der allgemeinen weisen Vaterliebe Gottes, wenn wir mit Paulo aus deutlicher Ueberzeugung ausrufen, Röm. 11, 32 f. O welcher Reichthum der Weisheit in den mannigfaltigen Wegen Gottes, die alle von ihm veranstaltet werden, und alle zu ihm führen!
    Aberd143 wird man mich fragen, giebt es denn auch ausser dem Christenthumd144 Wege zur Seligkeit? – Die Absicht dieser Schrift erfordert zwar nicht, diese Frage hier zu beantworten, indesd145 will ich auch hierüber zu genauerncd146 Nachdenken Veranlassung geben, und wenigstens meine Leser in den rechten Gesichtspunkt, aus welchencd148 alle Religionen überhaupt zu beurtheilen sind, führen. /cdMan kan diese Betrachtung als eine Einschaltung oder Anhang zu dieser Schrift betrachten.cd\
d1: größerncd2: gesetzetd3: wünschetd4: welchecd5: angewöhnetcd6: anvertrauen,cd7: escd8: herumgeführetd9: folgetcd10: Sätze,d11: heitered12: würdend13: andered14: Denkungsartcd15: noch socd16: sollten (c) ; sollten (d)cd17: soltencd18: gezeigetd19: Testamentec20: gehöretcd21: zu demcd22: Zielecd23: stehetd24: habecd25: schränketd26: diejenigencd27: in vielen Stellencd28: zum Unterricht (c) ; zum Unterricht (d)cd29: zum Unterrichted30: escd31: siebendend32: ausgelegetcd33: Testamentescd34: asketischcd35: erkläretcd36: Erklärungend37: heiligencd38: gemischte,cd39: Pauluscd40: Vortragcd41: damalige gemeined42: wenigecd43: bis jetztcd44: gezeigetd45: Sekten,d46: welched47: größerncd48: gezeigetcd49: Religionsunterrichted50: Gewissen,cd51: dispensiretcd52: feststelletcd53: öffentlichescd54: Gebieted55: äußerstd56: äußered57: müsstenc58: auszumachencd59: eingeschränketd60: Recht,d61: äußerncd62: fälletd63: äußerecd64: damitd65: natürlichend66: äußererd67: diesescd68: Standpunktecd69: das,d70: geschlossenecd71: denketcd72: Verhältniße (c) ; Verhältniße (d)cd73: Verhältnissed74: welchecd75: abgelegetd76: verstehetcd77: erfülletd78: Ortesd79: verschiedenerd80: Diesesd81: Stückwerkec82: kanncd83: wohld84: müssted85: verschiedened86: zusagetd87: größerd88: Indeßcd89: Hauptzweckcd90: rechtlichcd91: entsetzetd92: andere rechtschaffened93: Tummelplatzed94: zuziehet,c95: darüberd96: darüber verlieretcd97: gelehretcd98: Unbeson|c300|nenheitd99: Leichtsinnesd100: gegend101: verstoßend102: feststehed103: betreffed104: außerd105: Unterrichtescd106: haben.d107: anderecd108: kuriretcd109: angesetzetd110: Begierde,cd111: innerstecd112: übertriebened113: besondrencd114: herrschetc115: widriggesinntencd116: ich escd117: derselben von Woche zu Wochecd118: vollkommenerd119: welchec120: stehenc121: Lage genauerd122: äußeren Lage genauercd123: zucd124: behülflich würdet.d125: müsstetd126: müssted127: Manned128: anderecd129: thun; Eigne (c) ; thun; Eigne (d)cd130: thun; Eigened131: und Erfahrungen,d132: welchend133: euercd134: müssetd135: Behufed136: gebrauchencd137: andererd138: äußernd139: welcherd140: Kirchensystemed141: anderecd142: lehreted143: Aber,d144: Christenthumed145: indeßcd146: genauerm (c) ; genauerm (d)cd147: genaueremcd148: welchem

§. 96.

Wenn die Frage ist, welche Einrichtung in der Welt unter mehrerern möglichen die beste sey, oder wel|z73|che Mit|d275|tel die göttliche Weisheit zu gewissen Zwecken wählen müsse, so dünktcd1 mich, daß ein menschlicher Ver|b304||c304|stand sich es nied2 herausnehmen solte, dieses von vorne her (a priori) ausmitteln und bestimmen zu wollen. Die höchstecd3 Weisheit des höchsten Weltregierers übersiehet das Ganze im Zusammenhange, und wählet das, was nach allen seinen Folgen alle Ewigkeiten hindurch das beste ist. Wer also voraus bestimmen wolte, wie Gott zu verfahren hätte, müßted4 auch selbst den ganzen Zusammenhang der Ursachen, Wirkungenc5 und Folgen im Weltalld6 durch unbegrenzte Zeiten überschauen, und demnach selbst einen unendlichen Verstand besitzen. Dagegen ist d7 uns vergönntcd8, und übersteigtcd9 unsre Fähigkeiten nichtd10 von hinten her, (a posteriori) aus Thatsachen zu erkennen, welche Mittel Gott als die besten zu seinen gütigen Absichten über die Menschen gewählet hat. Und nun lasset uns in die Geschichte der Welt durch alle verflossene Jahrtausende zurück sehen, ob jemals seit der Ausbreitung des menschlichen Geschlechtsd11 auf dem Erdboden, nur Eine Religion und d12 Lehrsystem der Glückseligkeit herrschend gewesen sey, oder ob nicht vielmehr die größte Mannigfaltigkeit der Lehrbegriffe von Anbeginn bis auf unsred13 Tage neben und nach einander statt gefunden haben. Ist disd14 letztere /daberd\ historisch gewiß und unleugbar, so muß die Einförmigkeit des Glaubens, so nützlich sie uns nach unsremcd15 kurzen Gesichtd17 immerhin scheinen mag, nicht in den höhernd18 Plan der moralischen Erziehung des Menschengeschlechtsd19 zu seiner Bestimmung passen, sondern eine Verschiedenheit der Religionen im Ganzen sowol, als für einzelne Personen, weit zuträglicher seyn. Es ist also thöricht, darüber zu zürnen,cd20 oder zu seufzen, daß nicht mehrcd21 Menschen in eben der Laufbahn zur Glückseligkeit wandeln, in welchercd22 wir durch unsre Erziehung eingeleitet worden sind.
|z74| So bald uns nun aber mit Zuverlässigkeit einleuchtet, wie Gott gehandelt, und welche Mittel er, als die be|b305||c305|sten zu seinen wohlthätigen Absichten würklichz23 gewählet hatd24, so |d276| ist es uns nun ferner erlaubt,z25 und wie mich deucht, eine sehr nützliche und würdige Beschäftigung für unsre Vernunft, daß wir durch Nachdenken möglichst zu entdecken suchen, wie die von Gott getroffened26 und dem ersten Anblickcd27 nach uns sonderbar vorkommended28 Anstalten dennoch das Wohl des Ganzen mehr befördern, als diejenigen Mittel, died29 wir nach unsrenz30 Einsichten für vorzüglichere gehalten haben würden. Es frägtcd31 sich also, ob sich nicht einige Gründe angeben lassen, warum Gott so vielerley Religionssysteme in der Welt duldet, darin zum Theil so grobe,z32 und nach unsrencz33 Vorstellungen so ganz abgeschmackte Vorstellungen von seinem Charakterz34 und dem Plane seiner Vorsehung herrschen; zumal es ihm doch nach seiner Macht etwas geringes seyn würde, einerley Lehrbegrif, und zum Beyspield35 die Lehre der Augsburgischen Konfessioncd36 überall unter sämtlichen Nationen des Erdbodens gemein zu machen? – Ich habe hierüber zum öftern nachgedacht, und was sich mir beym Tieferforschenz37 dargebotencd38, will ich denen unter meinen Lesern, died39 es fassen und brauchend40 können, nicht vorenthalten, da es zu weiternd41 Aufschlüssen über viele andred42 wichtige Fragen Veranlassung geben kan.
  • 1. Ich setze die höchste Würde und wesentliche Aehnlichkeit des Menschen mit Gott in der Vernunft, und diese ist mir die freiez43 Selbstthätigkeit, alle Erkentnißkräfte und andred44 Vermögen nach eignemdz45 Belieben zu brauchend47, und dann nach eignend48 Einsichten zur seines Zustandes zu wählen und zu wirken. Jede gute Bestimmung, welche der Mensch durch seine |z75| eigned49 Thätigkeit erlangtcd50, macht ihn selbst innerlich vollkomner,d51 dagegen alle scheinbare Ver|b306||c306|besserungen seines /dGemüths, died\d52 nicht in ihm selbst ihre Quelle haben, ein angehefteter Zierrath sind, wobey er im Grunde derselbe bleibt. Wenn ein Vater seinem Sohncd53 alles, was er sagen solted54, immerfort in den Mund legte, so würde der junge Mensch zwar jederzeit etwas klü|d277|geres und schöneres sagen, als wenn er seine eigned55 Gedanken, so gut er könte, vortragen müßted56: allein er würde auch hierbey wenig vollkomner werden, und niemals eine solche Fertigkeit im Selbstdenken und Sprechen erlangen, als er erhalten wird, wenn man ihn von Kindheit an seinen eignend57 Verstand anzustrengen veranlasset. Eben diese Bewandniß hat es mit der göttlichen Erziehung der Geister zu ihrer höherncd58 Bestimmung. Je mehr der Vater der Welt seine Kinder selbst handeln und ihre Kräfte /dbrauchen läßtc59d\d60, jec61 mehr innerliche Stärke und Vollkommenheit erhalten sie;cd62 wenn gleich ihre Vorstellungen, Wünsche und Handlungen noch so kindisch und thöricht bey den ersten selbstthätigen Bestrebungen wären. So oft aber der eigned63 freie Gebrauch der natürlichen Kräfte gehemmet wird; so oft durch Einwirkung einer höhernd64 Macht Vorstellungen, Gesinnungen und d65 in die eigned66 Gedankenreihen hineingeschoben werden, und überhaupt so oft eine fremde Thätigkeit durch uns wirket, wäre es auch das Edelste und Göttlichste, was sodann gethan würde, so oft werden wir von dem Range freier, selbstthätigercdz67 Gott ähnlicher Geistercdz68 zu unmoralischen sich nur leidentlich verhaltenden Werkzeugen herabgewürdiget, und die anscheinende Vervollkomnung ist ein ange|z76|hefteter Putz, der uns auf keine Weise innerlich reeller macht. Was in Absicht einzelner |b307| |c307| Menschen gilt, findet nun auch in Absicht des ganzen beseelten Körpers des menschlichen Geschlechtscd69 seine Anwendung. Je mehr Gott die Völker ihrer eignend70 Kultur und dem natürlichen Weiterstreben nach Erkentniß und Wohlfart überlassen hat, je grösserd71 ist die Summe der wahren Realitäten, oder cd72 innern bleibenden Vollkommenheiten im Ganzen geworden;d73 je weiter ist das Menschengeschlecht dem Zielcd74 seiner höherncd75 Bestimmung entgegen gerückt:cd76 so abgeschmackt und |d278| widersinnisch auch ihre selbstgebildete Religionsbegriffe in dem Kindheitsalter der Welt immer gewesen seyn mögen. Dieses ist auch nicht wider die Schrift: denn diese lehret selbst, daß Gott alle Offenbarungen oder grössered77 Aufklärungen moralischer Wahrheiten durch Lehrer besorgen lassen, daß diese sich immer nach den Fähigkeiten ihrer Zeitverwandten und nächsten Leser gerichtet haben, und daß alle Verbesserungen der Einsichten und Gesinnungen durch äussered78 Vorträge ohne innerliche Störung des natürlichen Gedankenganges der Menschen bewirktcd79 worden sind. Daher gab es zu allen Zeiten Starkgläubige, Schwachgläubige und Ungläubige. Denn jeder Zuhörer und Leser nahm aus dem Unterrichtcd80 der begeisterten Männer nur graded81 so vield82 auf, als er nach seiner Fähigkeit verstehen, fassencd83 und mit seinen vorräthigen Begriffen zusammenreimen kontec84.
  • 2. Die mancherley uns seltsam scheinenden Meinungen der alten Völker von der Gottheit waren dem Grade ihrer Aufklärung in andern Kentnissen proportioniret und angemessen, und paß|z77|tend85 zu ihren übrigen physischen und moralischen Begriffen. Wer sich die Mühe geben will, genau zu erforschen, was gemeine Leute unter den Christen sich für innred86 Vorstellungen von dem gött|b308|lichen |c308| Wesen, und d87 der Art seiner Regierung machen, wird bald finden, daß noch gar vielcd88 grobe und widersinnisched89, und anthropomorphische Begriffe, trotz allem Lichtcd90 des Christenthums, sich bey ihnen erzeugen, /cdundcd\cd91 durch Anhörung noch so vieler Predigten wenig verbessert werden. Nur wird man in unsernd92 Kirchen dieses nicht so leicht gewahr, weil das frühzeitige Auswendiglernen vernünftigklingender Worte, und die Gewöhnung zu ihrem Gebrauchcd93 uns täuschtcd94, daß wir auch eben died95 Begriffe in dem Verstande des grossend96 Haufens vermuthen, died97 wir damit zu verknüpfen geübt sind. Ist es nun nach der Geschichte des menschlichen Verstan|d279|des aus allen Zeitaltern und nach unserer täglichen Erfahrung gewiß, daß die Religionserkentnisse bey keinem Menschen nicht geistiger und reiner seyn können, als es die Vorübung der Verstandeskräfte in Bildung unsinnlicher Begriffe, und die Beschaffenheit der übrigen damit zu verknüpfenden Einsichten in jedem Kopfe /dverstattet (1 Cor. 2, 14);d\d98 so folgtcd99, daß wenn einerley Glaube und eine völlig gleichartige Vorstellung der Religionswahrheiten im ganzen menschlichen Geschlechtcd100 fortdaurend herrschen solte, Gott alle Menschen nicht nur mit völlig gleichen Talenten geboren werden, und durch einerley Reihen der Vorerkentnisse von Kindheit an zubereiten lassen müßted101, sondern daß auch, nach einmal erlangter vollständigend102 Kentniß des allgemeinen Lehrbegrifsd103, alles weitere Fortstreben |z78| der menschlichen Vernunft zu weitern Verbesserungen der Einsichten gehemt, und allmächtig verhindert werden müßted104. Denn jeder höhere Grad der Verstandsfertigkeitend105 macht uns vollkomnerer Begriffe von geistlichen Dingen fähig; |b309| |c309| jede Aufklärung in der Naturkunde reiniget um etwas unsre Vorstellungen von dem Regierungsplancd106 Gottes. Wenn uns daher auch der Vater der Welt,cd107 sogleich mit einer so grossend108 Stärke der Vernunft und cd109 so herrlichen Einsichten, als jetzt der vollkommenste der erschafnend110 Geister besitzet, in die Welt setzte, so würden doch diese Einsichten keinen Tag dieselben bleiben, und unter mehrerncd111 Menschen nach der Verschiedenheit ihrer Lage sogleich von einander abweichend werden; oder es müßted112 auf einmal ein allgemeiner Stillstand im Weiterdenken und Forschen verhangen, und unser Verstand auf das vorhandnecd113 Maaß der Einsichten auf immer cd114 geheftet und eingeschränktd115 bleiben. Da nun aber das Leben /cdeines Geistescd\cd116 in der selbstthätigen Geschäftigkeit seine Begriffe zu erweitern,cd117 und vollkomner zu ma|d280|chen bestehet, so ist offenbar, daß es der höchsten Weisheitc118 /dangemeßnerc119 istd\d120, die Menschen, welche zu einem ewigen Fortschreiten im /cdErkentniß bestimtcd\cd121 sind, von vorn anfangen zu lassen, damit sie durch eigned123 Uebung ihrer Geisteskräfte, und durchs Zusammensuchen der ersten Elemente zu höhernd124 Einsichten aus den sinnlichen Empfindungen, das mit jedem Vorschrittd125 zu /dgrösserm Lichtc126d\d127 verknüpfte Geistesvergnügen sich selbst erwerben möchtencd128.
  • 3. Alle Religionen in der Welt haben ihren grossend129 Nutzen gehabt, so vield130 Aberglaube und /dWidersinni|z79|schesd\d131 auch darin zu finden gewesen seyn mag. Sie beförderten nemlich auf eine den übrigen Einsichten ihrer Bekenner angemeßnecd132 Art den doppelten grossend134 allgemeinen Zweck der Religion überhaupt, nemlich
    • Gemüthsruhe:cd135 in Absicht der allen Menschen fürchterlichen Ungewisheitd136 der Zukunft und der darin bevorstehenden Schicksale, died137 nicht vorher ge|b310||c310|sehen, noch abgewandtcd138 werden können. Denn da alle Menschen von je her die Unglücksfälle der Schickung einer höhernd139 Macht zugeschrieben haben, so war jede Ceremonie, durch welche man die Oberwelt sich günstig zu machen glaubte, ein Beruhigungsmittel des Gemüthescd140.
    • Gewissenhaftigkeit und Tugend. Die natürliche Empfindung von Recht und Unrecht wird durch die blossed141 Hinsicht auf eine höhere vergeltende Macht ausnehmend in ihrer verstärktcd142; und wenn auch /dnurd\ anfänglich blosd143 einige politische Tugenden, ohne welche sich die bürgerliched144 Gesellschaften nicht bilden oder erhalten konten, in Thätigkeit gesetztcd145 wurden, so war discd146 schon ein grosserd147 Vorschritt zu der daraus erfolgenden weitern Kultur der Menschheit.
cd1: dünketd2: niemalscd3: unendliched4: müsstec5: Wirkungen,d6: Weltalled7: escd8: vergönnetcd9: übersteigetd10: nicht,d11: Geschlechtesd12: Eind13: unsered14: aber diesescd15: unserm (c) ; unserm (d)cd16: unsrend17: Gesichted18: höherend19: Menschengeschlechtescd20: zürnencd21: mehrerecd22: welchez23: wirklichd24: habez25: erlaubtd26: getroffenencd27: Anblicked28: vorkommendend29: welchez30: unserncd31: frägetz32: grobecz33: unsernz34: Charakter,d35: Beyspielecd36: Konfession,z37: tieferforschencd38: hatd39: welched40: gebrauchend41: weiterend42: anderez43: freyed44: anderedz45: eigenem (d) ; eigenem (z)dz46: eigenend47: gebrauchend48: eigenend49: eigenecd50: erlangetd51: vollkomner;d52: Gemüthes, welchecd53: Sohned54: solld55: eigened56: müssted57: eigenencd58: höherenc59: läßetd60: gebrauchen lässetc61: iecd62: sie,d63: eigened64: höherend65: Entschließungend66: eigenecdz67: selbstthätiger,cdz68: Geister,cd69: Geschlechtesd70: eigenend71: größercd72: derd73: geworden,cd74: Zielecd75: höherencd76: gerückt,d77: größered78: äußerecd79: bewirketcd80: Unterrichted81: geraded82: vielescd83: fassen,c84: konnted85: passtend86: innered87: voncd88: vieled89: widersinnigecd90: Lichtecd91: welche auchd92: unserencd93: Gebrauchecd94: täuschetd95: diejenigend96: großend97: welched98: verstattet; (1 Cor. 2, 14.)cd99: folgetcd100: Geschlechted101: müssted102: vollständigerd103: Lehrbegriffesd104: müssted105: Verstandesfertigkeitencd106: Regierungsplanecd107: Weltd108: großencd109: mitd110: erschaffenencd111: mehrerend112: müsstecd113: vorhandenecd114: festd115: eingeschränketcd116: jedes endlichen Geistescd117: erweiternc118: Weißheitc119: angemeßenerd120: angemessener seycd121: Erkentniße bestimmet (c) ; Erkentniße bestimmet (d)cd122: Erkentnisse bestimmetd123: eigened124: höherend125: Vorschrittec126: Lichted127: größerem Lichtecd128: könnend129: großend130: vielerd131: so vieles Widersinnigecd132: angemeßene (c) ; angemeßene (d)cd133: angemessened134: großencd135: Gemüthsruhe,d136: Ungewißheitd137: welchecd138: abgewendetd139: höherencd140: Gemüthsd141: bloßecd142: verstärketd143: nurd144: bürgerlichencd145: gesetzetcd146: diesesd147: großer

§. 97.

Ich habe nun, wie ich glaube, sehr deutlich dargethan, daß eine völlige Einförmigkeit des Lehrbegrifsd1 niemals in |d281| der Welt statt finden könne, und daß die Mannigfaltigkeit der Religionen überhaupt weit mehr nützlich als schädlich sey. Solten mich dieser freimüthigen Aeusserungencd2 wegen einige Eiferer unter den |z80| christlichen Gottesgelehrten, ihrer Gewohnheit nach, für einen Latitudinarier, Synkretisten oder Indifferentisten erklären wollen, so würden sie sich nicht so wol gegen mich, als vielmehr gegen den höchsten Regierer der Welt, auf die unbesonnenste Weise vergehen: denn auf diesen würde der Vorwurf zurückfallen. Ich bin es ja nicht, der die Menge der Religionssysteme in den Erziehungsplan des menschlichen Geschlechts hineingebracht hat. Ich war es nicht, welcher der weitern Ausbreitung des Christenthums Grenzen setzte, und den gehoften Erfolg der Kreutzzüge vereitelte. Ich habe nichts |b311| dazu beyge|c311|tragen, daß die vielen Sekten in der Christenheit entstanden sind, und daß alle Verfolgungen der herrschenden Parthey, sie gänzlich auszurotten, nicht vermocht haben. Worüber soltec4 ich also Tadel verdienen? Etwa deswegen, daß ich auf den wahren Plan der göttlichen Vorsehung, wie er am Tage liegtd5, Aufmerksamkeit erwecke? Oder daß ich zu dem Vater aller Völker das ehrfurchtsvolle Vertrauen äussered6, er könne sich in der Wahl der Wege, died7 er die verschiedened8 Nationen und jeden Menschen zu dem Zielcd9 ihrer Bestimmung leitet, nicht irren; alles werde dereinst, so wie es von ihm herkomt, auch durch ihn und nach seinem Plancd10 wiederum zu ihm hingeführet werden? Haben nicht schon Christus, Petrus und Paulus eben dieses gelehret? Röm. 11, 33–36. Matth. 8, 10. 11. /dd\d11
Uebrigens bin ich sehr weit davon entfernt, alle Religionen für gleich gut zu halten. Schon die Allegorie, welche ich in diesen Betrachtungen zum öftern gebrauchtd12 habe, legtcd13 es zu Tage, wie ich hierüber denke. Es können viele Wege zu einer glücklichen Provinz hinführen, und doch wird immer einer vor dem andern |z81| kürzer, sicherer und weniger beschwerlich seyn. Derjenige, welchem mehrere Wege, die von seinem Wohnortd14 ausführen, bekant sind, |d282| ist im Stande, den besten darunter zu wählen; wer aber nur Einen in seiner Gegend vor sich findet, oder von keinem andern nichts weiß, ist genöthiget, den, derd15 sich ihm darbietet, ohne weitere Wahl zu betreten. Sehr wenige Menschen befinden sich in solchen Umständen, daß sie ihre Religion wählen könten. Die meisten werden durch die Verhältnisse bey ihrer Geburt,cd16 und durch ihre Erziehung sogleich zwischen die Verzäunungen eines kirchlichen Lehrbegrifsd17 hineingebracht, und an solche Führer gewiesen, diecd18 selbst keinen andern Weg kennen, und |b312| |c312| alle, die ausserd19 ihren Schranken fortzukommen suchen, für unglückliche und verlorne Leute erklären. Kaum wird, selbst in gesitteten Ländern, unter jedem Tausend sich Einer befinden, derd20 in männlichen Jahren Stärke des Geistes und Vorerkentnisse genung hat, sich selbst einen Weg, derd21 ihn gradecd22 zum Zielcd23 führet, zu suchen, oder sich einen neuen zu bähnend24. Und diese einzelne unter Tausendencd25 machen das kleine Publikum aus, für welche ich eigentlich schreibe: Junge Gottesgelehrte, welche selbst Wegweiser ihrer Zeitverwandten von so mannigfaltiger Denkungsart und Gemüthslage werden wollen, und bey den Streitigkeiten der ältern Theologen, über den Einzigen richtigen Weg zum Leben, sich nach Rathgebungencd26 eines Unpartheyischen sehnen: und hiernächst auch die edlen Personen der gesitteten Stände, welche ihren Geist durch Lesung der besten untersuchenden Schriften geübt haben, und mit den Augen ihres eignencd27 Verstandes sehen und beurtheilen wollen, in wiefern dieser oder jener Weg sie richtig oder durch unnöthige Krümmungen dem Zielcd28 ihrer Wünsche entgegen führtd29: die|z82|se sind es, welchen ich nützlich zu werden wünsche; ohne bey der übrigen Menge das Vertrauen niederschlagen oder schwächen zu wollen, was jeder zu seinem angewiesenen kirchlichen Wegweiser gefaßtd30 hat. /dDas Gedankenvolle, Enthymematische und Aphoristische derd\d31 Schreibart, welche ich zu dieser Schrift gewählet habe, macht sie zu einem versiegelten Buchcd32 für alle, died33 nicht Stärke des Geistes genung haben, sie mitd34 Nutzen zu lesen.
d1: Lehrbegriffescd2: Aeuserungen (c) ; Aeuserungen (d)cd3: Aeußerungenc4: sollted5: liegetd6: äußered7: welched8: verschiedenencd9: Zielecd10: Planed11: Apostg. 10, 34. 35.d12: gebrauchetcd13: legetd14: Wohnorted15: welchercd16: Geburtd17: Lehrbegriffescd18: welched19: außerd20: welcherd21: welchercd22: geradercd23: Zieled24: bahnencd25: tausendencd26: Rathgebungcd27: eigenencd28: Zieled29: führetd30: gefassetd31: Selbst diecd32: Buched33: welched34: mit

|d283| §. 98.

Zum Schlußd1, meine wertheste Leser, will ich hier die sämtlichen Hauptsätze dieser Schrift in einer solchen Ordnung hintereinander stellen, daß man ihren Zusammenhang und ihre Uebereinstimmung zu dem edlen und menschenfreundlichen Zweckcd2, wozu sie hier abge|b313||c313|handelt worden sind, leichter übersehen, und die ganze Schrift desto fruchtbarer benutzen könne.
  • 1. Höhere Glückseligkeit ist das allgemeine Ziel aller menschlichen Wünsche. Sie bestehet in dem Gemüthszustande einer fortdaurenden Zufriedenheit und des öftern Vergnügtseyns. Die Quelle der Zufriedenheit ist das anschauende Erkentniß des überwiegenden Guten in unsremc3 Zustande, verknüpft mit der Hofnung der Fortdauer und der fernern Vermehrung des Gutenc4. Die Quelle des Vergnügtseyns oder der Freude ist die Bemerkung des würklichen Anwachses der guten Bestimmungen. Es finden viele Grade der Glückseligkeit statt. §. 1 10.
  • 2. Eine Glückseligkeitslehre ist keine Schöpfung neuer noch nicht wirklicher Kräfte und Güter für uns, sondern blos ein Unterricht, durch welchen uns |z83| theils das schon vorhandene Gute in unsren natürlichen Bestimmungen und äussernd5 Verhältnissen,c6 und die Gründe zu guten Hofnungen, ins Licht gesetzt,cd7 theils zuverlässige Regeln bekant gemacht werden, wie wir durch eignesd9 Bestreben zum Besitzd10 und vollesten Genußcd11 des vorhandenen Guten gelangen können. Daher muß jede wahre Glückseligkeitslehre mit dem Naturpland13 übereinstimmen. §. 30. Nr. 1. 3. §. 40. Das Leben jedes endlichen Geistes ist eine ununterbrochen fortgehende Reihe innerer und äussererd14 Veränderungen. Es folgen immerfort Gedanken auf Gedanken, Begierden auf Begierden, und eine äussered15 Abwechselungc16 auf die andre. Keinen Augenblick bleibtd17 unser Zustand völlig derselbe. Jede Veränderung verbessert oder verschlimmert den Zustand. Aber diese Veränderungen sind von doppelter Art: Einige hängen von |d284| uns cd18 ab, und sind Folgen der eignencd19 Anwendung unsrer Kräfte: Andre stehen |c314| nicht in unsrer Gewalt, sondern sind Folgen physi|b314|scher Gesetze, oder äussererd20 Einwirkungen fremder Kräfte auf uns, wobey wir uns blos leidentlich verhalten. Hieraus erhellet aufs neue, daß jede Glückseligkeitslehre in Beziehung auf die doppelte Art der Veränderungen, deren Reihe unser Leben ausmacht, zweierley leisten müsse, nemlich sie muß uns erstlich über die von uns selbst abhängended21 Veränderungen unterrichten, wie wir uns zu verhalten haben, damit jede Anwendung unsrer eignend22 Kräfte unsrenc23 Zustand verbessere; und zweitenscd24 über die von uns nicht abhängended25 Veränderungen beruhigen, daß durch keine fremde Gewalt oder Zufälle unsre Wohlfart zerstöret, noch jemals die Früchte unsres Wohlverhaltens auf immer vereitelt werden können. |z84|
  • 3. Die Ueberzeugung, daß die Welt einen höchst gütigen und weisen Urheber und Regierer habe, ist die einzige Quelle dauerhafter Gemüthsruhe, höherer Hofnungen, und eines standhaften weisen Verhaltens. Religion ist daher /dhöhered\ Glückseligkeitslehre: denn es fließtcd26 unmittelbar aus dem Erkentnißd27 einer höchst vollkomnend28 moralischen Regierung der Welt, theils daß es allgemeine und sichrecd29 Regeln des sittlichen Verhaltens giebt, bey deren Befolgung ohnfehlbar immer grössered30 Wohlfart entstehen muß, theils daß alle Veränderungen, died31 nicht von uns abhängen, durch eine höhere Weisheit und Güte gelenket werden, und daher zu Beförderungsmitteln unsrer höhernd32 Glückseligkeit dienen müssen. Diese Wahrheiten machen das Wesen der Religion oder höherncd33 Seligkeitslehre aus; denn nicht nur der Mensch, sondern alle endliche Geister müssen ihre Zufriedenheit, /cdHofnungencd\cd34 und cd35 Standhaftigkeit incd36 moralischen Wohlverhalten, auf den Glau|c315|ben oder die Ueberzeugung der moralischen Regierung des Weltallsd37 von |b315| einer höchst gütigen Weisheit gründen. Alle andrecd38 |d285| Sätze, died39 zur Religion gerechnet werden, sind entweder Folgen daraus, oder blos zufällige Hülfserkentnisse, jene erhabene Wahrheiten sinnlichen Geistern verständlich und faßlichd40 zu machen. Letztrecd41 sind nicht zur Religion selbst zu rechnen.
  • 4. Die Menschen haben sehr zeitig ihr Bedürfniß, eine Religion zu haben, gefühlet, so bald sie nur ihre Abhängigkeit von so vielen Dingen ausserd42 sich bemerkten und darüber /dzu reflektirend\d43 vermochten. Allein sie konten sich ihre Begriffe von dem Regierer der Welt zu keiner Zeit vollkommener ausbilden, als es das Maaß |z85| der Kultur ihrer Geisteskräfte verstattete. Es war daher in den Volksreligionen vieles Kindische, was nach und nach bey jeder weiternd44 Aufklärung der Vernunft allmählig durch Männer, die Gott von Zeit zu Zeit erweckte, verbessert ward. Bey den Gelehrten der ältern Nationen fanden auch schon reinere Einsichten in den Plan der göttlichen Regierung statt, died45 aber, weil das Volk sie noch nicht fassen konte, geheim gehalten wurden. Mose machte einen Theil derselben zuerst der jüdischen Nation bekant, und gab ihnen durch die theokratische Staatsverfassung einige Haltung, doch mußted46 viel Sinnlichescd47 noch beybehalten werden:cd48 den Priestern ward muthmaßlich /cdnochcd\ etwas mehrerescd49 entdeckt. Nachdem aber die gesitteten Völker einige Volljährigkeit des Verstandes erhalten hatten, erschien Christus, und lehrtecd50 eine geistigere Religion. Aber diese konte auch damals noch nicht vom gemeinen Volkcd51 ohne Hülfe einiger sinnlichen Bekleidung gefaßtcd52 werden. Die ersten Lehrer des Christenthums mußten daher bey allen Nationen auf die vorhandned54 Vorerkentnisse |c316| Rücksicht nehmend55 und vermittelst derselben den geistigernd56 Lehren einige Unterstützung verschaffen. Daher gab es so vielerley Theorien |b316| vom Christenthumcd57, und eine so grossed58 Mannigfaltigkeit der Lehrarten in den ersten Jahrhunderten, als es verschiednecd59 Klassen von Menschen gab: wie die Schriften des |d286| neuen Testamentscd60 selbst, und alle Ueberreste aus den unmittelbar folgenden Zeiten beweisen. Bey der Aufnahme der Menge gemeiner Heiden unter den /derstend\ christlichen Kaisern mußtecd61 aufs neue mehr Sinnliches aus ihren bisherigen prächtigen Gottesdiensten in christliche Kirchen aufgenommen /cdwerdencd\, und die Bildnisse |z86| der Götter wurden in Statüen der Apostel und Heiligen verwandelt. In den mittlern Jahrhunderten /cdverkinderte abermalscd\cd62 die Vernunft in den /cdAbendländerncd\cd63 und die Religion des Volksd64 ward durchaus sinnlich. So bald die Wissenschaften mit Hülfe der alten Sprachen wiederauflebten, erfolgte die Reformationcd65 ganz natürlich, und eben so natürlich bringtcd66 die schnelle Aufklärung unsrescd67 Jahrhunderts abermals eine Reinigung des christlichen Lehrbegrifs von den groben und sinnlichen Bestimmungencd68, welche den vergangenen Zeitaltern unschädlich und ihren Bedürfnissen angemessen waren, hervor. Nach dem Plancd69 Gottes in der physischen und moralischen Welt erfolgtcd70 in der Reihe der Ursachen und Wirkungen nirgends und niemals ein Sprung: alles entwickelt sich allgemach. Reinere und vollkomnere Einsichten sind in der Religion, wie in der Physik und d71 andern Wissenschaften, zuerst das Eigenthum weniger guten Köpfe, welche nach und nach die Aufklärung weiter verbreiten nach dem Maaßcd72 der Empfänglichkeit ihrer Zeitverwandten. Es wird daher, wenn wir analogisch schliessend73 wollen, |c317| bis ansd74 Ende der Welt eine Mannigfaltigkeit der Religionen und der besondern Lehrbegriffe über das Christenthum geben, wie es dergleichen von je her gegeben hat, und dieses muß zur Vorbe|b317|reitung des menschlichen Geschlechtscd75 zu seiner weitern Bestimmung die beste Einrichtung seyn, weil es Gott selbst ist, derd76 sie in den Erziehungsplan der Kinder Adams hineingebracht hat. Die höchste Weisheit kan in der Wahl ihrer Mittel nicht fehlen, und man befördert also Gottes Absicht und Ehre mehr |d287| durch Toleranz, als durch Geseufze und Ereiferung über die vielerley Religionsmeinungen. |z87|
  • 5. Ein christlicher Lehrer muß, nach dem Beyspield77 Jesu und seiner Apostel, möglichst reine und geistige Begriffe von Gottes moralischer Regierung in seinen Zuhörern erwecken, und insonderheit /ddie innigsted\d78 dankbare Liebe und freudiges Vertrauen zu Gott in Absicht der Zukunft, und hiernächst Rechtschaffenheit, großmüthige Menschenliebe und vernünftige Betriebsamkeit zu allem Guten, nach allen seinen Kräften und sich darbietenden Gelegenheiten, verbreiten: denn in diesen Gesinnungen liegtd79 die Quelle der Seligkeit: sie machen das Wesen und den Geist des Christenthums aus. Er muß aber auch,cd80 nach cd81 dem Beyspielcd82 Christi und der Apostel, sich klüglich nach den Fähigkeiten seiner Gemeine und nach den Policeygesetzen der Kirche, in welcher Gottes Vorsehung ihn geboren werden lassen und zum Lehrer berufen hat, bequemen und richten, und alles vermeiden, was ihn des Schutzes der Obrigkeit und des Zutrauens der Schwachen berauben könte. Wo noch viele grobe und abergläubische Vorerkentnisse sich finden, mit welchen gute Religionsbegriffe verwebt sind, cd83 muß man des Unkrautsd84 um des Weizens willen verschonen, weil dieser sonst mit ausgewurzelt wird. cd85 Diese Regel haben auch alle Menschenfreunde in mündlichen Unterredungen und besonders in Schriften zu beobachten. Lasset uns |b318| demnach, wenn wir Menschenfreunde seyn wollen, keine Stütze der Tugend oder der Hofnungen des Volksd86, wenn sie uns auch morsch scheinen solte, niederreissend87, sondern nur darauf denken, festere Säulen unterzustellen. Wer z. B. einen neuen und stärkerncd88 Beweis für die Fortdauer unsrer Persönlichkeit nach dem Tode, als die bisher bekanten |z88| ihm zu seyn dünken, erfunden zu haben glaubt, lasse sich durch keine schriftstellerische Eitelkeit verleiten, den Vorzug desselben durch Entdeckung der Schwächen aller übrigen schon vorhandenen Beweise |d288| darthun zu /cdwollen. Vielmehrcd\cd89 lobe er alle bekante Beweise, und füge den seinigen zu ihrer Bekräftigung hinzu;cd90 sonst läuft man Gefahr, bey aller menschenfreundlichen Absicht mehr niederzureissend91, als zu bauen. Lasset uns niemals Zweifel gegen trostvolle und gemeinnützige Wahrheiten in Gegenwart solcher Personen, died92 dergleichen noch nicht haben, bekant machen und äussernd93, weil hierdurch /cdoftcd\ unleugbar eine der größten Feindseligkeiten,cd94 gegen die Gemüthsruhe der Mitmenschend95 und selbst gegen die gemeinsame Wohlfart, ausgeübt wird.
Paulus
Wir aber, die wir an Geistesfertigkeiten und Einsichten stärker denn andred96 sind, haben die Pflicht auf uns, mit den Schwachheiten der Unvermögendern Nachsicht zu haben, und uns nicht gegen sie zu brüsten oder sie zu verachten. Ein jeder unter uns verhalte sich in allen Beziehungen vielmehr so, daß er andern gefalle, ihr Vertrauen gewinne, und ihnen zu immer mehrerer Bevestigung und Verbesserung guter Erkentnisse und Gesinnungen förderlich sey!a\
d1: Schlussecd2: Zweckec3: unsermc4: gutend5: äußernc6: Verhältnissen;cd7: gesetzet, (c) ; gesetzet, (d)cd8: gesetzet;d9: eigenesd10: Besitzecd11: Genuße (c) ; Genuße (d)cd12: Genussed13: Naturplaned14: äußererd15: äußerec16: Abwechslungd17: bleibetcd18: selbstcd19: eigenend20: äußererd21: abhängendend22: eigenenc23: unserncd24: zweytensd25: abhängendencd26: fließetd27: Erkentnissed28: vollkommenencd29: sichered30: größered31: welched32: höherencd33: höherencd34: ihre Hofnungen,cd35: ihrecd36: imd37: Weltallescd38: andered39: welched40: fasslichcd41: Letztered42: außerd43: nachzudenkend44: weiterend45: welched46: musstecd47: sinnlichescd48: werden;cd49: höherescd50: lehretecd51: Volkecd52: gefaßet (c) ; gefaßet (d)cd53: gefassetd54: vorhandenend55: nehmen,d56: geistigencd57: Christenthumed58: großecd59: verschiedenecd60: Testamentescd61: wardcd62: sankcd63: schon aufgeklärt gewesenen Ländern Europens bey der Ueberschwemmung durch barbarische Völker noch mehr zur Kindheit hinab,d64: Volkescd65: Kirchenreformationcd66: bringetcd67: unserescd68: Beymischungencd69: Planecd70: erfolgetd71: incd72: Maaßed73: schließend74: an dascd75: Geschlechtesd76: welcherd77: Beyspieled78: inniged79: liegetcd80: auchcd81: ebencd82: Beyspielecd83: dad84: Unkrautescd85: Matth. |c318| 13, 29. 30.d86: Volkesd87: niederreißencd88: stärkerencd89: wollen; vielmehrcd90: hinzu:d91: niederzureißend92: welched93: äußerncd94: Feindseligkeitend95: Mitmenschen,d96: andere