|f[I]| Wörterbuch
des
Neuen Testaments
zur
Erklärung der christlichen Lehre.

Von
D.Wilhelm Abraham Teller.
Sechste von neuem durchgesehene Auflage.
Berlin,
in der Myliussischen Buchhandlung. 1805.
|f[II]|

|f[III]|Vorrede zur fünften Auflage.

Auch diese fünfte Auflage meines Wörterbuchs ist im Wesentlichen ganz unverändert geblieben, welches ich und die Verlagshandlung den Besitzern der beyden vorhergehenden schuldig zu seyn glaubten. Da ich gleichwohl wünschte, und auch nicht ohne Veranlassung, die in den Vorerinnerungen S.55. bis 64. blos in einigen Zügen entworfene Idee, von dem nationellen Christenthum weiter auszuführen; so habe ich dies in einer besonders gedruckten Beylage gethan, unter der Aufschrift: Die Religion der Vollkommnern.
Hier bemerke ich nur noch, daß der Herr Professor Hesselink in Amsterdam ein ähnliches Werk in holländischer Sprache auszuarbeiten an|f[IV]|gefangen hat. Der Titel ist: Uitlegkundig Woordenboeck ter Opheldering van de Schriften desN.Verbonds doorG.Hesselink – to Amsterdam byJ.Yntema – 1790. 8. wovon aber zur Zeit nur der erste Theil herausgekommen ist, der mit dem Buchstaben H sich endigt. Das meinige liegt dabey durchaus zum Grunde. Mehrere, auch größere Artikel, wie Christus, sind nur mit einigen Veränderungen beybehalten, andere abgekürzt oder erweitert, und hin und wieder, meines gelehrten Censors, Herrn G. H.Lang, oder anderer Erklärungen vorgezogen worden. In dem Appendix zu dem IV. Volum des Monthly Review enlarged1791. wird das Werk, als ein selbst in England noch fehlendes, mit Beyfall angezeigt. Und so ist denn beydes, diese Anzeige, wie das Hesselinksche Unternehmen, mir ein angenehmer Beweis mehr, daß meine frühere Entschließung dazu wenigstens kein unnützer Einfall gewesen ist. –
Und noch kann ich, Gottlob, ohne Reue, mit Zufriedenheit und Dank gegen den Höchsten, der mir das Wollen und das Vollbringen dazu |f[V]| gegeben hat, auch auf diesen Theil meiner Arbeiten für das größere Publikum, zurücksehen. Wie meine Absichten dabey rein gewesen sind, so sind auch die Ueberzeugungen, unter welchen ich die wichtigsten Artikel aufgesetzt, noch dieselben. Aber nun, da sich der Abend meines Lebens nähert, überlasse ich den einsichtsvollen Männern, welche jetzt die größten Aemter in der evangelischen Kirche zieren, und die ich, so wie einen Henke,Hufnagel,Löfler, im Stillen ehre, die höhere Schriftauslegung noch kräftiger in Schutz zu nehmen, als ich es nach meinen Einsichten und Gelegenheiten habe thun können; und freue mich, so oft ich denke, daß es geschehen wird.
Ich schließe übrigens – zum Beweise, wie sehr die Bildersprache des neuen Testaments von jeher ist mißverstanden worden; wie schwer es einem ansehnlichen Theile der Menschen fällt, sie zu entkleiden, und wie nöthig es also ist, für diesen es in einem solchen Wörterbuche zu thun – mit dem ernstvollen Verweis, welchen der höchste Ausleger des göttlichen Willens seinen Schülern und Freunden bey einer gewissen Gelegenheit gab. Ich meyne folgenden Matth. 16, 6. 7. 9. 11. 12.
|f[VI]|Jesus sprach zu seinen Jüngern: Hütet euch vor dem Sauerteige der Pharisäer und Sadducäer! Da dachten sie bey sich selbst und sprachen untereinander: das wirds seyn, daß wir nicht haben Brod mit uns genommen. Da das Jesus merkte, sprach er: vernehmet ihr nochnichts? Wie! verstehet ihr denn nicht, daß ich nicht vom Brod rede, wenn ich euch vor dem Sauerteige der Pharisäer und Sadducäer warne – – sondern von ihrer Lehre?
Berlin, am 13. März 1792.

|f[VII]|Vorerinnerung zur sechsten Auflage.

Im Wesentlichen ist auch in dieser nichts verändert worden. Nur habe ich mir angelegen seyn lassen, bey einiger Muße, Schreibe- oder Druckfehler zu verbessern; und hie und da, zu mehrerer Deutlichkeit und Vollständigkeit, einige Zusätze oder Hinweisungen auf andere Artikel beyzufügen.
Berlin, den 26. September 1804.
Teller.
|f[VIII]|

|f[1]|Vorrede zur ersten Auflage.

Es kömmt zum richtigen Verständniß eines jeden Schriftstellers ungemein viel darauf an, ihm seine Sprache in ihren Hauptwörtern und vornehmsten Wendungen abzulernen. Ein jeder hat seinen eignen Ausdruck, wie seine eigneAussprache und Geberden; und je denkender der Mann ist, der seine Einsichten allgemein macht, je neuer der Gegenstand ist, den er behandelt, um so häufiger findet er die Sprache, in welcher er schreibt, für sich zu enge; er sieht sich also genöthiget, die in derselben schon vorhandenen Wörter auf die bequemste Weise zu Zeichen seiner Gedanken zu machen. Dieß ist so allgemein zugestanden, daß man auch schon längst die Nothwendigkeit erkannt hat,in besondern Büchern den eigenthümlichen Sprachgebrauch der besten Schriftsteller unter den Griechen und Römern zu erklären. Und nicht uneben hat man sie den Schlüssel zu ihren Werken genannt, weil sie gleichsam den Zugang zu ihrer ganzen gelehrten Denkungsart öffnen.
|f2| Dieselbe Nothwendigkeit kann ich nun wohl auch bey den Schriften des neuen Testaments voraussetzen, ohne mich lange bey ihrer Beweisung aufzuhalten. Gleichwohl ist mir noch zur Zeit kein solches Wortregister desselben bekannt, dessen Verfasser es recht eigentlich zur Absicht gehabt hätte, die Ausdrücke und Redarten in demselben in Einem Verzeichnisse zu erklären, von denen die richtige Einsicht in das ganze Christenthum abhängt und aus welchen man den Kern der Religion herausnehmen muß. Ich kann bei diesem Urtheil es um so weniger zur Absicht haben, den Werth dessen, was man schon lange durch sogenannte Concordanzen geleistet hat, zu veringern oder diesen ihre Brauchbarkeit abzusprechen, da sie mir selbst bey dem gegenwärtigen Unternehmen ein so großes Erleichterungsmittel gewesen sind. Allein die Verfasser derselben wollten mehr den Mängeln des Gedächtnisses durch Sammlung aller Schriftstellen, in denen ein Wort vorkömmt, abhelfen, als Urtheile über den Inhalt der Religion selbst veranlassen, und schon das ist eine sehr dankwerthe Mühe gewesen; oder ihr Plan war zu groß und zu weitläuftig, als daß sie den Wörtern, die ich hier meyne, eigne Zeit zur Untersuchung und Aufklärung hätten widmen können. – Nur ganz neuerlich haben einige Männer von Einsicht und bekannten Verdiensten angefangen, die Bahn, die ich betreten habe, selbst mit zu brechen; ich meyne Herr D.Cru|f3|siusin Leipzig, inden Erläuterungen des Briefs an die Römer, und besonders der Bedeutungen des Worts Gesetz; Herr D.ZachariäinGöttingeninseinen Paraphrasen über die BriefePauli, und Herr Schrader, Prediger in der Grafschaft Ravensberg, inder Erklärung desBriefsan die Römer; die Beyde ihren Auslegungen eine kurze Erklärung der in jedem Briefe vorkommenden classischen Wörter vorgesetzt haben. Diese Wahrnehmung hat auch wirklich den Vorsatz, welchen ich bereits auf der Universität Helmstädt gefaßt hatte, eine solche Erklärung der Hauptwörter des neuen Testaments herauszugeben, in mir von neuem so lebhaft gemacht, daß nun daraus das Wörterbuch entstanden ist: welches ich hiermit bekannt mache.
Ich liefere also keine eigentliche Concordanz, kein vollständiges Spruch- Namen- und Wortregister, und verweise deswegen auf diejenigen, die man bereits hat. Das alles lag außer meinem Erklärungskreise, welcher nach meiner Hauptabsicht nur so weit gehen sollte, so weit ein jeder des Originals unkundiger Leser geführt werden muß, um es aus eigner deutlichenEinsicht zu erkennen, was er als ein Christ zu glauben und zu thun hat. Man wird also keinen Ausdruck, der in dieser Absicht erklärt werden muß, vermissen, auch wohl finden, daß ich zuweilen andere, die eben nicht dazu gehörten, beyläufig mitgenommen habe, um unsere deutsche Uebersetzung auch in solchen, nach |f4| meinen Einsichten, zu berichtigen, ohne mich doch hierin zu etwas gewissem anheischig zu machen. Da auch die eignen Reden Christi und die Schriften der Apostel die unmittelbare Erkenntnißquelle des Christen sind, so habe ich mich zur Zeit nur auf diese eingeschränkt, durchaus aber mich der Kürze beflissen, die man, um nicht unbillig oder gar unverschämt zu seyn, Lesern und Käufern schuldig ist; niemand von noch jetztlebenden Gelehrten für mich genannt, um die nicht zu beleidigen, die ich nicht nennen konnte; die Sprachbeweise jedem zur eignen Prüfung so faßlich als möglich zu machen gesucht; und alles mit der Offenherzigkeit geschrieben, durch die ich in Allem Gott und Menschen gefällig zu werden trachte. Doch hat jene Kürze hin und wieder einige Dunkelheit im Ausdruck verursacht, die ich zu spät bemerkt habe, so wie diese Offenherzigkeit mich manchen harten Beurtheilungen aussetzen wird. Aber, Gottlob, daß ich den Einschränkungen des menschlichen Verstandes nicht unterworfen bin, die man sich nach hergebrachten Landesverfassungen gefallen lassen muß, oder zu denen sich ein mehr für seine Finanzen, als für die Wahrheit, besorgter Gelehrter erniedriget.
Ich mag es daher auch noch jetzt gar nicht verhehlen: daß ich mit dem Vorsatze zu Werke gegangen bin, selbst in meinen gegenwärtigen Verbindungen, als Schriftsteller, das Meinige dazu beyzutragen, mehr Klarheit und Reinigkeit in den |f5|Lehrbegriff zu bringen, die Religion Jesu von Menschensatzungen, die es mir nach gesetzter Prüfung sind, zu scheiden, und uneingenommenen Gemüthern im Lehrstande es immer wichtiger zu machen: die Religion nicht als eine gelehrte Wissenschaft zu behandeln; und ihr Studium derselben nicht auf Spitzfindigkeiten des Verstandes oder Spiele der Einbildungskraft, sondern auf ihre heilsame Anwendung bey ihren Gemeinen zu richten. Hiezu steht nun aber kein anderer Weg offen, als daß man selbst die Schrift verstehe, nach der man Andre zur Glückseligkeit anweisen soll. Chronologische, geographische, historische Untersuchungen mögen immer die Beschäftigung einiger wenigen Gelehrten bleiben. Es würde sogar dem Besten der Religion sehr zuträglich gewesen seyn, wenn man es von jeher mit diesen so gehalten hätte; statt daß es Zeiten gegeben hat, da alle Auslegungsbücher, academische Streitschriften und Sammlungen verschiedener einzelnen Erklärungen davon wimmelten, und niemand sichs auch nur einfallen ließ, Wörter und Redarten zu berühren, die geradezu den Inhalt der Religion selbst angehen. Mit Jenem allen ist dem Lehrer der Religion so wenig als dem Schüler geholfen; aber beyden ganz gewiß durch eine genaue Auflösung der Sprache, in welcher die Religion zuerst vorgetragen wurde, in die einfachsten Vorstellungen die dabey zum Grunde liegen, die jener für diesen in der Stille anstellt, und dann ihm öffent|f6|lich in seiner Muttersprache wiederholt. „Man muß nicht,“ dieß sind die eignen WorteLuthers im Briefe vom Dollmetschen, „die Buchstaben in der lateinischen (und wie ich hinzusetze in der griechischen und hebräischen) Sprache fragen, wie soll mandeutsch reden, sondern man muß die Mutter im Hause, die Kinder auf den Gassen, den gemeinen Mann auf dem Markte fragen, wie sie reden, und darnach dollmetschen, so verstehn sie denn und merken, daßman deutsch mit ihnen redet,“ – [„]das habe ich mich beflissen, aber leider allwege nicht erreicht noch troffen.“ So sollten wir , die wir von Zeit zu Zeit, das Lehramt verwalten, uns nur als berufene Dollmetscher der Reden Christi und der Vorträge seiner Apostel betrachten, die in dem zu jeder Zeit gültigenDeutsch ihren Zuhörern sagen sollen, was der damaligen Welt in ihrer Sprache zuerst verkündiget worden; und darauf sie aufmerksam machen. Das würde durch die eben gedachte Wortanalyse geschehen. Man würde dabey bald finden:welchesRedarten sind, die die Apostel selbst nach den verschiedenen Fähigkeiten und übrigen Umständen ihrer Gemeinen verändern, an welche sie selbst sich nicht binden, ohne daß die Hauptsache dadurch verändert wird, und was dagegen stets wesentlich zu dieser gehört; welches eigentlich die unveränderliche Lehre des Evangeliums selbst, und welches im Gegentheil die bey den ersten Boten desselben nach ihren verschiedenen Gaben und Um|f7|ständen verschiedene Lehrart ist; wie wahr es endlich sey, daß nach allen und noch so vielen Erklärungen schwerer Schriftstellen die Summe der Lehren der Religion immer dieselbe bleibt, die der ungelehrte Christ schon in den zehn, zwanzig, klaren und körnigten Sprüchelchen zusammengezogen findet, die sein Schatz im Leben und sein Trost im Tode sind. Und o wie weit angenehmer und nützlicher würde ihm die Lesung der Schrift werden, wenn man ihm aller Orten das wiederfinden lehrte, was dieses sein kleines Spruchregister enthält! Dieß alles ist wenigstens bey mir der Erfolg gewesen, da ich diesen Gang genommen. Ich wünschte also auch, daß niemand, der künftig die Religion lehren soll, sich die Mühe verdrießen ließe, eben so beym Buchstabiren anzufangen, um die Schrift mit der Zeit ungehindert lesen zu können; und gebe nun dazu in diesem Wörterbuche einige Anleitung.
Die Sache betrifft die richtige vollständige Sammlung und Erkenntniß der Lehren des allgemeinen Christenthums, die genaue Erklärung der Schrift, die dabey zum Grunde liegen muß, und die Deutlichkeit der Uebersetzungen. Dieß veranlasset mich also von dem einen wie von dem andern noch einige Erinnerungen beyzufügen.
Ich bin zuerst eben nicht dafür, daß die Uebersetzung des seligen Luthers jemals ihr kirchliches Ansehen unter uns verliere. Aber von Zeit zu Zeit sie in einzelnen Wörtern und Redverbindun|f8|gen zu berichtigen: das sollte, dünkt mich, geschehen, hätte schon längst geschehen sollen, und hätte man so fortgefahren, wie man anfing, so wäre nun die Sache vollendet. Wenigstens kann es keinem Gelehrten unbekannt seyn, wie viel man in den ersten Ausgaben von Zeit zu Zeit darin verändert hat. Luther selbst hat , nur nach der vorherangeführten Stelle, seine Uebersetzung nie für unverbesserlich ausgegeben; er hat gewarnet und gebeten, sie stets nach den Grundtexten zu prüfen, und viele Stellen in der ersten Ausgabe wirklich so übersetzt, wie es ihr eigentlicher Sinn erfordert, oder auch die bessereVerdeutschung eines Worts und einer Redart in den später übersetzten Büchern noch gefunden. Mehrere Beyspiele der letzten Art habe ich schon im Buche selbst gegeben. Soz. E.hat er die ganz hebräischeRedforminChristo Jesu, in mehrern Stellen richtig deutsch, durchchristlichGemeine inChristo Jesu, durch,christliche Gemeine – übersetzt. Was hindert es , die von mir angeführten Sprachbeweise dazu genommen, unsre Uebersetzung in ähnlichen Stellen dieser gleichförmig zu machen: daß es nun auch Eph. 3, 21.fürdem sey Ehre in der Gemeine, die inChristo Jesuist, heiße, dem sey Ehre in der christlichen Gemeine? Vgl.Christus. – Aber er hat auch nicht selten in der ersten Ausgabe richtiger übersetzt; ganz, wie es seyn sollte. Ich habe gezeigt, wie man den Ausdruck, thut Buße, |f9| für deutsche Leser sogleich in den verständlichern, bessert euch, verwandeln solle, und (welches zwar minder wichtig ist, aber doch zur Genauigkeit einer guten Uebersetzung gehört)das Amt zuführen, in dienen; Wort, in christliche Lehre, Evangelium. Eins wie das andre hat nun in der ersten Ausgabe von 1522 schon gestanden:Matth. 3, 2.4, 17.Marc. 1, 15.bessert euch; 6, 12.man soll sich bessern(wie dieß Bessern auch in den spätern Ausgaben ist beybehalten worden, Matth. 11, 20.Luc. 13, 3.) – Apostg. 8, 4.und predigte das Evangelion – 2 Cor. 3, 6. welcher uns – gemacht hat, Diener zu seyn des neuen Testaments. – Es verdiente überhaupt noch eine genauere Untersuchung, durch welche Veranlassung die spätern Ausgaben der Lutherschen Uebersetzung in einzelnen Stellen, die gar keiner Verbesserung bedurften, demungeachtetsind verändert worden. Von wirklichen Verbesserungen lassen sich die Ursachen leicht angeben, wenn man bedenkt, daß auch Luther und seine Freunde, wie Melanchthon, in einer richtigen Schrifterklärung immer mehr Einsicht und Stärke gewannen. Sie ists, die dem Uebersetzer stets neue Kraft giebt, wie ohne sie niemand sich das Recht anmaßen sollte, über Lehren der Religion zu urtheilen.
Aber nun auch hiervon etwas zu sagen: so ist zuerst das Auslegungsgesetz, Schrift aus Schrift zu erklären, zwar längst gemacht und angenom|f10|men;nur scheinet es mir, daß man sich noch nie recht darüber vereiniget hat, was man darunter verstehen wolle. Denn es recht verstanden und angewandt, wüßte ich kein allgemein kräftigeres Hülfsmittel der Auslegung der Schrift. Ich denke mir nemlich dabey eine solche Erklärung, wobey man entweder auf die ausdrücklichen Zeugnisse Jesu und der Apostel von der Bedeutung, in der sie gewisse Wörter genommen, das meiste Gewicht legt, und also vor allen Dingen diese aufsucht; oder den jüdischen Gebrauch einer Redart, eines Ausdrucks, den sie bey ihren Anweisungen zum Grunde legen, den sie als damals allgemein bekannt nicht weiter erklären, sich aus den Sitten dieses Volks nach den Beschreibungen des altenTestaments erst verständlich zu machen sucht; oder endlich Wörter und Ausdrücke, mit denen sie im Vortrag derselben Sache abwechseln, so langegegeneinander vergleicht, bis man den allgemeinen Begriff aus allen zusammen genommen völlig ausgezogen hat. Immer wird hier Schrift aus Schrift erklärt, und wenn die mittelste Gattung mehr Sprachgelehrsamkeit und Bekanntschaft mit den Alterthümern erfordert; so ist die Anwendung der ersten und letzten eine um so leichtere Sache für Jeden, dem sie selbst wichtig genug ist. Um kurz zu seyn, will ich die Erläuterung desselben aus meinem Wörterbuche selbst hernehmen. Ich erkläre Fülle, in den Briefen an die Epheser und Colosser, von der Kirche. Der |f11|Sprachgebrauch läßt so etwas vermuthen; aber das eigene Zeugniß des Apostels, daß er so verstanden seyn wolle, Eph. 1, 23. und die ganze Vergleichung seiner Phraseologie in beyden Briefen, wie ich sie angestellt habe, entscheidet. Und so gehen mir zu meinem Verständniß der Redart, anJesumglauben, seine eignen Aussagen; „dieß heiße, seinWort halten,seinFreund seyn, und thun,was ergebiete“ über alles. So erkläre ich Schrift aus Schrift in der zweyten Bedeutung, wenn ich bey der Wahrnehmung, daß JesusHoherpriester und Prophet genannt wird, die ursprüngliche Bedeutung beyder Benennungen aufzufinden, bis aufs Entstehen des Israelitischen Hohenpriesterthums und der Prophetenwürde unter diesem Volk zurückgehe. Ich erwarte also von einem Jeden, der mir seine Erinnerungen über dieses Wörterbuch mittheilen will, mir vor allen Dingen kurz und gut zu sagen, ob er in diesem Verstande Schrift aus Schrift mit mir erklären wolle: Sonst gehen wir, der eine zur Rechten, der andere zur Linken, und können unmöglich an einem Orte zusammentreffen.
Hiernächst gestehe ich, daß mir viele Stellen des neuen Testaments gar keiner Erklärung zu bedürfen, durch eine jede, die man versucht, nur mehr verdunkelt zu werden scheinen; und man also auch darin sich mehr vereinigen sollte, was, als aufs deutlichste gesagt, nun auch geradeweg so anzunehmen sey. Es ist mir die unbegreif|f12|lichste Sache, wie man oft andern den Vorwurf machen kann: daß sie der Schrift entgegen erklärten, die ihr offenbar die meiste Ehre anthun, und das mit willigstem Beyfall annehmen, was in derselben mit dürren Worten gesagt wird. Sie beharret z. E. immer auf der Versicherung, daß Jesusder Herr sey; sie nennt ihn durchaus den Herrn; sie erklärt sich darüber an so vielen Orten, wie ich das alles bey diesem Artikel kurz angezeigt habe. Warum sucht man noch eine gezwungene Erklärung, daß dießsoviel als Jehova sey? Josephus sagt ausdrücklich das Gegentheil , und wenn die griechischen Uebersetzer für diesen Namen ihr κυριος brauchen, so kam es eben daher, weil sie den Namen Jehova, als Juden, nie aussprachen, und also auch so übersetzten, als ob Adonai stünde. Was ist unbedingter gesagt, als 1 Cor. 15, 28. daß der Sohn dereinst das Reich übergeben und selbst Unterthan seyn werde – der ganze Sohn – daß ich so reden mag: warum ehrt man die Schrift nicht und läßt es dabey bewenden, statt daß man nun eine vorausgefaßte Theorie hinein zu zwingen sucht?
Wie viel nun bey solchen Uebersetzungen und Erklärungen der Schrift die Erkenntniß und der heilsame Unterricht der Religion gewinnen würden, ist unnöthig weitläuftig zu sagen. Nur die einzige Erklärung, die ich von dem Schriftgebrauche des Ausdrucks, FurchtGottes, gegeben habe, angenommenund recht durchdacht, |f13|müßte wahrhaftig auch die Kraft und Würde des Christenthums ganz anders geschätzt und im täglichen Wandel verherrlichet werden. Und dieß ist es, was ich mit aller Aufrichtigkeit des Herzens, als den edelsten Zweck des christlichen Lehramts, auch durch diese Arbeit zu befördern gesucht habe.
Berlin, den 13. März, 1772.

|f14|Vorredezu den Zusätzen der zweyten Auflage.

Um den Besitzern der ersten Auflage meines Wörterbuchs nicht beschwerlich zu fallen, habe ich die zweyte bis auf einige meistens die Zahlen angehende Berichtigungen des Drucks unverändert gelassen, und dafür die folgenden Zusätze besonders ausgearbeitet. Ich bedaure nur, daß ich der Unbequemlichkeit, die durch eine solche Trennung in dem Gebrauch entstehen mußte, nicht eben so gut habe abhelfen können, und sie zum Theil dadurch vermehrt worden ist, daß in der Correctur der ersten Bogen das Sternzeichen ausgelassen worden, wodurch sich in den letzten die Beziehungen auf die Zusätze von Zurückweisungen auf das Wörterbuch selbst unterscheiden.
Sonst enthalten diese Zusätze einigemal wirkliche Verbesserungen; zuweilen Nachholungen von Wörtern, auf die ich schon im Wörterbuch hingewiesen hatte, wie Stachel ,Spiegel ; noch öfter Bestätigungen, wie bey Furcht Gottes , Fülleu. a. m. größtentheils aber Nachträge von |f15|Wörtern und Redarten, als, andächtig ,hochherfahren ,Griechen ,Handel u. d. durch deren Auslegung die Lesung des neuen Testaments jedem, der sich nicht selbst helfen kann, erleichtert wird. Bey diesen konnte ich um so kürzer seyn, da die Einsicht in das eigentliche Christenthum davon eben nicht abhängt, und ich mich hierüber schon in der Vorrede zum Wörterbuche erklärt habe. Nur die Bestätigungen erforderten mehr Umständlichkeit;welche sich freylich eher für einen Commentar als für ein Wörterbuch schickt, aber gleichwohl wegen der besondern Veranlassungen, welche ich dazu gehabt, nicht zu vermeiden war.
Es kann nun dem Leser einerley seyn, welches diese Anlässegewesen. Mir kam es zu, den besten Gebrauch für ihn und mich selbst davon zu machen; und dieß habe ich nicht nur gelegentlich gethan, was die Hauptsache anlangt, sondern will es auch jetzt wegen gewisser dabey vorgefallener Mißverständnisse thun.
Ich bin völlig überzeugt, daß Religion und Theologie, das Christenthum nach der Schrift und das Christenthum nach dem System weit von einander unterschieden sind. Ich sehe dieses für ein Gebäude an, welches dem Scharfsinne des menschlichen Verstandes Ehre macht, an welchem viele Kunst verschwendet ist, und welches man also wohl ein und das andremal zur Bewunderung der Kunst besehen kann, aber gewiß nicht beziehen muß, wenn man gesund und ruhig |f16| wohnen will. Dieß würde auch zuverläßig das Urtheil der Meisten seyn, wenn sie nicht das System sich eher geläufig gemacht hätten, ehe sie aus eignem Antriebe und mit allen dazu gehörigen Hülfsmitteln die Schrift gelesen. Es würde dann schlechterdings unmöglich seyn, daran einen Geschmack zu gewinnen, oder, wenn nicht noch nachher die Bekanntschaft mit demselben dazu käme, von selbst auf solche mühsame Zurüstungen zu verfallen. Diese Ueberzeugung nun war bey mir im ersten Aufkeimen, da ich vor zehn Jahren die Verfertigung meines Lehrbuchsunternahm; und sie ist seitdem zu einer solchen Größe und Stärke angewachsen, daß ich vor einiger Zeit mich entschloß, in einem Wörterbuche die Bearbeitung merklich zu machen, unter welcher sie bey mir zugenommen hat. Ich fürchtete also zwar keine augenblickliche Wegwerfungen oder ungeziemende Anschwärzungen von gesetzten und billigen Männern; aber ich erwartete auch eben so wenig den Beyfall derer, die auf andern Wegen die gegenseitige Ueberzeugung sich schon längst in frühern Jahren zu eigen gemacht: und ich sehe klar ein, wie beynahe unmöglich es für solche seyn muß, wenn besonders Geschäfte oder andre Hindernisse einer ruhigen Prüfung dazu kommen, den Rückweg zu nehmen, und den Weg, den ich gegangen bin, einzuschlagen. Ich schrieb also für solche, die noch für kein System eingenommen sind, wie es billig am wenigsten Anfänger in der |f17| Erlernung theologischer Wissenschaften seyn sollten; und ihnen vornehmlich widme ich auch diese Zusätze. Sie stehen noch am Scheidewege; bey ihnen steht es noch, sich der Hülfsmittel aus der Kirchengeschichte und einer philosophischen Kenntniß der alten Sprachen zu bemächtigen, durch welche man in den Stand gesetztwird: das reine Metall des Christenthums von den Schlacken einer sectirischen Philosophie oder abergläubischen Schwärmerey zu scheiden. An sie will ich mich also noch mit folgenden Vorstellungen und Bitten wenden.
Zuerst werden sie hoffentlich es der Mühe werth achten, zu untersuchen, wie viel Zeit man eigentlich in den frühernJahrhunderten, oder nur, um nicht so weit zurückzugehen, seit der Reformation, auf die Auslegung der Schriftstellen verwandt hat, aus denen die Lehrsätze des Christenthums herauszuziehen sind; unter welchen äußerlichen Umständen man dabey zu Werke gegangen ist; und welche Hülfsmittel man dazu gebrauchthat. Ich will, um ihrem Urtheil nicht vorzugreifen, nicht sagen, wie günstig oder ungünstig das Resultat dieser Untersuchung für die herrschend gewordenen Erklärungen ausfallen muß, wenn sie gehörig angestellt wird;aber ich bitte darum so sehr, so lieb es ihnen seyn wird, und zum mannichfaltigsten Gebrauch nützlich, sie mit Fleiß geendiget zu haben.
Hiernächst ist es nöthig: daß sie aus eigener Lesung und Vergleichung bey sich entscheiden, ob |f18| die Sprachart des neuen Testaments wirklich hebräisch-griechisch oder rein-griechisch sey. Seit ohngefährdreyßig Jahren hat zwar jene Meynung ein merkliches Uebergewicht gewonnen, und sie wird wohl jetzt in Deutschland von den angesehensten Schriftauslegern durchgängig behauptet. Allein ich wünschte doch, daß es immer mehr in der Folge keine bloße Ueberlieferung aus dem Verstande des einen in das Gedächtniß des andern würde, sondern eine durch eigene Versuche gewirkte Ueberzeugung. Mir ist dazu sehr nützlich gewesen, wenn ich in meinen academischen Jahren am Morgen einen Abschnitt, ohne mich nach Kapiteln zu richten, aus dem A. T., den Grundtext und die Alexandrische Uebersetzung verglichen, gelesen, und nachher Abends einige Absätze aus dem N. T. Da war der Eindruck von den früh gefaßten hebräisch-griechischen Redformen der Alexandriner noch so lebhaft in mir, daß ich von selbst merkte: es sey einerley Sprachart, und mir in Gedanken manche Erklärung machte, die ich nachher angenommen. So hatte ich z. E. in den Psalmen gelesen dieErde und ihre ganze Fülle mit demselben griechischen Wort, das Paulusin den Briefen an die Colosser braucht, gerieth kurz nachher über die Stelle Colosser 1, 19. und machte also die Anwendung davon.
Aber die hebräisch-griechische Sprachart recht kennen zu lernen, ist es, dünkt mich, noch Kleinigkeit, sie bloß in einzelnen Worten,Redarten |f19| und Redverbindungenaufzusuchen. Hier ist auch beynahe von einem Vorstius und andern nichts mehr zu thun übrig gelassen. Darin liegt ein fast noch unentwickelter Keim der Erklärungsart des N. T., die ins Großegeht; daß es auch eine ganz hebräisch-griechische Denkungsart in demselben giebt, die Nationalphilosophie, Nationalsitten, und Nationalgebräuche zum Grunde hat. Z. E.Seite 235. habe ich für ein Wörterbuch zureichend die Redart in Sünden gebohren seyn erklärt; ich hätte aber noch hinzusetzen können, daß es, wie man auch aus der Frage der Jünger und der Antwort JesuJoh. 9, 2. 3. wahrnehmen kann, eine herrschende Meynung unter den Juden war, nur sündhafte Eltern brächten gebrechlich Gebohrne zur Welt. So ist S.370. die Beschreibung eines gottgefälligen Almosens als eines angenehmen Opfers Gott zumsüßenGeruch, nicht bloß hebräisch geredet, sondern gedacht. Und so denke ich, verhält sichs mit allen den Vorstellungen von Himmel und Erde ,Gesetz und Werke ,Hoherpriester ,Versöhnung u. s. w. Ich wünschte also, daß diejenigen, für die ich dieß schreibe, auch hierauf ihre unpartheyische Untersuchung verwenden möchten.
Diese Erklärungsart, sagte ich, geht mehr ins Große. Aber auch die Schrifterklärung selbst, auf welche sich der künftige Lehrer der Religion vorzubereiten hat, um die er sich unstreitig am meisten bekümmern sollte, muß mehr aufs Große |f20| gerichtet seyn; auf die Aussprüche Jesu und seiner Boten, die jedem Hauptstücke der christlichen Wahrheit, wie sie im systematischen Vortrag gelehrt wird, zur Grundlage dienen. Ich beziehe mich hier auf das, was ich schon zum Theil hierüber in der Vorrede zur ersten Auflage erinnert habe, und setze nur noch folgendes hinzu. Es ist einerley, mit wechem Hauptstücke der christlichen Lehre man diese Vorbereitung anstellen will, und zur Vorbereitung ist schon ein einziges zureichend. Jeder neue Aufschluß in dem einen enthält die Anlagen zur Aufklärung des andern. Wenn man einmal weiß, das ist Gesetz ohne Zusatz und das ist Gesetz mit dem Zusatz Gottes: so ist man schon auf der Spur Werke und guteWerke richtiger von einander zu unterscheiden; genauer zu bestimmen, was Evangelium ist, was GlaubeanChristum ist, wie Er der Herrist; und wie Luther schon im Catechismus gesagt, man darauf bestehen, darauf hauptsächlich sein eigenes Wissen von ihm einschränken müsse. Und so etwas sollte nicht die ernsthafteste Angelegenheit für einen jeden seyn, der Andere dereinst lehren soll, was Christenthum ist? Er sollte als Volkslehrer sich eher oder wohl ganz allein darum bekümmert haben, weches in der Apostelgeschichte die Ausländer von Rom sind, ob man beym Lucas Schatzung oder Zählung übersetzen müsse; ehe er bey sich ausgemacht hat, was das heiße anJesumglauben und wohl diese Untersuchung |f21|ganz liegen lassen? Wenn es hierauf ankömmt, sollte der ganze gewissenhafte Ernst der seyn, daß man mit einem Seitenblick auf die Gegend, in der man lehren soll, auf den Gönner, durch den man sein Glück machen will, die in jener oder bey diesem geltende Erklärung nimmt und sie mit allem polemischen Gepränge aufstutzt? Nun wer das sich erlauben kann, den bedaure ich und überlasse ihn seiner eigenenunpartheyischen Beurtheilung.
Beynahe möchte ich nun auch Anfängern rathen lieber gar keine Regeln der Auslegungskunst sich bekannt zu machen, nur mit ihremgesunden Verstande ihre Sprachkenntnisse auf einzelne Stellen anzuwenden; als jene Regeln kunstmässig zu erlernen und sie doch nicht am rechten Orte gebrauchen wollen. Es ist ein altes Sprüchelchen und von allen für wahr angenommen: „Man muß genau beobachten,wer etwas sagt, zu wemer es sagt, unter welchen Umständen und in welchen Zeitener es sagt.“ Aber wie steht es mit der Anwendung? Nun das sehe man! Jesusbefiehlt seinen Aposteln, in seinemNamenzu beten; er sagt es zu einer Zeit, da er mit ihnen von seinem Abschiede redet, sie in ihrem öffentlichen Lehramte bestätiget, ihnen noch Muth und Freudigkeit dazu einsprechen will; ersetzt hinzu, daß sie es bisher noch nicht gethan hätten; er verweiset ihnen, das auch nicht; und er versichert endlich, daß ihnen dergleichen Bitten allezeit würden |f22| gewähret werden. Hier wäre also ja wohl der Ort, die gedachte Regel in Ausübung zu bringen, und zu sagen: es sey das apostolische Amtsgebetgemeynt! Aber nein! sagt man, dieß ist nicht der rechte Ort. Nun wo ist er denn? Ich will mich weisen lassen. Etwa wo Paulus ein jüdischer Gelehrter, mit Christen aus dem Judenthum, die nicht von ihren Gebräuchen ablassen wollten, von der Beschneidung am Geist, dem Opfer Jesu, dem Hohenpriesteramt desselben, dem Sabbath des N. T. redet? Nein da auch nicht! Nun so ist jene Vorschrift zwar sehr gegründet, in der Natur aller Sprachen und in dem Gebrauch aller guten Schriftsteller gegründet; aber sie ist in der Anwendung zu nichts nütze. Man gebe mir also eine andere, die ich besser brauchen kann! „Frage zunächst den Schriftsteller selbst, den du erklären willst, in welchem Sinn er ein Wort, eine Redart, genommen hat; dieses Zeugniß, welches er durch Selbsterklärungen seines Sprachgebrauchs ablegt, ist von großem Gewichte.“ Nun ja, das sollte ich auch meynen; und also wird wohl Fülle,Col. 2, 9. die Gemeine bedeuten, weil PaulusEph. 1, 23. sagt, daß er sie darunter verstehe? Es wird wohl einerley seynFülle des, der alles in allen erfüllet, die ganze Fülle der Gottheit, die Fülle Gottes, die FülleChristi, der auszweyen gemachte neue Mensch, der ganze Bau, die ganze Familie im Himmel und auf Erden? einerley:inChristowohnet die |f23|ganze Fülle der Gottheit, und, er ist das Haupt der Gemeine? einerley:sie wohnet in ihm leibhaftig, oder, Er hatbeyde,Judenund Heidenversöhnt zu einem Leibe? – Nein das folgt nicht; so ungewöhnlich und unbestimmt und willkührlich konnte der Apostel nicht reden, wenn er vernünftig schreiben wollte: wie würde ihn der ungelehrte Haufen verstanden haben? Aber was ists ungewöhnliches, unbestimmtes, wenn er selbst sich erklärt, so will ich verstanden seyn? wo ist hier etwas willkührliches, und wie konnte er anders schreiben, wenn er kein anders eben so ausdrückendes einzelnes Wort in seiner Sprache hatte? Nun genug es folgt nicht; Col. 2. ist Christus,Eph. 1. die Kirche zu verstehen. Erlaube mir denn also einen andern Versuch an dieser Regel zu machen, ob er dir besser gefallen möchte. Ich denke nemlich nach derselben, anJesum Christumglauben, sey soviel als seine Lehre annehmen und befolgen: Er sagt doch selbst, ihr seyd meine Freunde, wenn ihr thut, was ich euch gebiete;so ihr bleiben werdet in meinerLehre, (Rede) so seyd ihr meinerechtenSchüler (Jünger); er sagt das einemal:wer daglaubet,der wird selig werden, und ein anderesmal, die den Willen thun meines Vaters im Himmel, indem sie mich Herr, Herr nennen, d. i. ihren Meister und Lehrer, werden in das Himmelreichkommen. Hier habe ich also, wie's nach jener Regel seyn soll, seine eigenen Erklärungen. – Wieder falsch |f24| geschlossen! Wo hat dir Jesus gesagt, daß du dabey einerley denken sollst? Er legt mirs doch so nahe, indem er mit diesen Ausdrücken und Redearten abwechselt! Auch Paulus erklärt das Wort Glaube dahin; es ist seine eigene ausdrückliche DefinitionRöm. 10, 8.Das Wort ist dir nahe in deinem Munde und in deinemHerzen; dein Gewissensgefühl sagt dirs, was recht und unrecht ist und Gott gefällt;und dies ist das Wort vomGlauben, das wir predigen; er sagt das einemal, Gal[.]5, 6.inChristo Jesugilt weder Beschneidung noch Vorhaut etwas, sondern der Glaube, der durch die Liebe thätig ist; und ein zweytesmal,1 Cor. 7, 19.dieBeschneidung ist nichts, und die Vorhaut ist nichts, sondernGottes Gebothalten. Hier ist also, denke ich, seine eigene Erklärung, daß glauben und rechtthun ihm gleichviel gelten. Aber hat er ausdrücklich gesagt, daß es ihm gleichviel gelte? Ich sehe denn wohl, daß auch diese Regel sehr gegründet ist, aber durchaus nicht für den Gebrauch. Oder vielmehr, theuerste Jünglinge an jedem Orte, wo euch dieses zu Gesichte kommt, sehet, ich habe euch mehr denn eine wahre Geschichte erzählt; lernet daraus festere Tritte thun und wenn ihr einmal sicheren Regeln bey Erklärung der Schriften des N. T. ihren Werth in der Betrachtung zugestehen müsset, so bringet sie auch wirklich und am gehörigen Ort in Ausübung.
|f25| Von solchen lehrbegierigen Schülern der Wahrheit müsse nun auch, nach meines Herzens-Wunsch es ewig ferne seyn, eine Erklärung bloß deswegen sogleich zu verwerfen, weil sie ihnen neu, oder unerwiesen, oder ungewöhnlich, oder gekünstelt, oder endlich fremdglaubig vorkömmt. Sich aus irgend einer von diesen Ursachen von derselben wegscheuchen lassen, und dafür gleichsam zurückprallen, ist dem Sucher des Wahren, der noch Zeit, Kräfte und Gelegenheit hat, nicht anständig. Aber sie werden auch dafür genug gesichert seyn, wenn sie sich gewöhnen in jedem Falle die Ursache ihrer Abneigung sich deutlich zu machen und den Nebel dunkler Vorstellungen zu zerstreuen.
Was nennst du neu? müssen sie sich fragen. Was dir neu ist, was du noch nicht gelesen oder gehört hast! So laß es denn seyn; vielleicht ist es Andern nicht so neu, die länger gedacht, mehr gelesen haben.
Eben so: was nennst du unerwiesen? Vermengst du es etwa mit dem, was unerweisbar ist, oder hältst das dafür, was nur dir noch nicht genug erwiesen ist, auch wohl nach den Einschränkungen und der frühen Richtung deiner Vorstellungskraft nur dir und denen, die dir gleichen, nicht erweislich gemacht werden kann? Ja! so ists. Rede also wie es die Sache mit sich bringt bestimmter: Das ist mirneu, das ist für mich unerwiesen. – –
|f26| So habe ich in den Zusätzen bewiesen, daß die Erklärung des Worts Fülle nicht neu sey und sogar schon bey Col. 1, 19. von einem der größten ältesten Ausleger ohne allen Anstoß gemacht worden ist; nicht neu die Erklärung von unterste Oerter derErden, Engel desSatans, und sogar kein älterer Ausleger an eine wirkliche leibliche Besitzung hierbey gedacht hat. Und so hoffe ich auch bey Fülle , die in einer solchen Sache möglichsten Beweise für die angenommene Erklärung gegeben und die Richtigkeit derselben in ein solches Licht gestellt zu haben, daß es geflissentlicher Eigensinn, oder wohl gar noch etwas ärgeres, in Jedem seyn müßte, der noch ferner sagen wollte: sie sey unerweislich.
Weiter: Man frage sich, was nennst du ungewöhnlich? Eine ungewöhnliche Erklärung was heißt das? Doch wohl nur eine solche, die in die Reihe deiner gewohnten Vorstellungen nicht einpaßt, und die du noch zur Zeit in deinemGedankenregister nicht unterbringen kannst. Wenn denn auch das ist, wie es ist, so wird man leicht sehen, daß man dieß Ungewöhnliche nicht dem andern zum Vorwurf machen sollte, bey dem es aus dem Keim anderer Ideen entsprossen ist; man wird sich bescheiden, daß, wo andere vorläufige Vorstellungen aus andern Auslegungsgründen Platz genommen, die uns so ungewöhnlich scheinende Erklärung mit denselben in der genauesten Harmonie stehen könne. Man nehme |f27| das Wort Gottesfurcht . Ich verwerfe es, von christlichen Gesinnungen gebraucht, alsunbiblisch, und finde darin gar nichts fremdes. Das macht, alle diese Ideen sind bey mir vorhergegangen:Furcht und Ehrfurcht, oder Ehrerbietung, werden in jeder Sprache unterschieden; die Religion der Christen, mit allen ihren Erweisungen und Uebungen, soll kindesartig seyn, zum Unterschied der jüdischen; daher soll man sich Gott immer als Vater der Menschen, den höchsten und besten Vater, denken, ihn lieben, ihm ergeben seyn, ihn mit aller Freudigkeit des Herzens verehren. Nun nehme man aber einen, dem es an allen diesen Vorstellungen und Wahrnehmungen bisher gefehlt hat; der in allen öffentlichen Vorträgen nur immer von Gottesfurcht gehört, oder sichs selbst bey solchen Gelegenheiten geläufig gemacht hat: er wird jene Erklärung ungewöhnlich schelten, und am Ende ist sie es doch nur in seiner Denkungsart.
Ganz so ist es mit dem Gekünstelten in Erklärungen, worüber ich schon einmal in der Vorrede zurUebersetzung desSegenJacobsu. s. w.mich erklärt habe. Hielte man auch hier Rücksprache mit sich: was verstehst du darunter? Verwirrst du nicht etwa die ganz verschiedenen Begriffe einer kunstmäßigen (artificiosae) und einer gekünstelten (coactae), oder einer nicht gleich offen liegenden (minus obviae, exquisitae) und erzwungenen (nimis quaesitae) Er|f28|klärung mit einander? Scheint dir das nicht etwa gezwungen, so daß der damalige Leser das unmöglich dabey habe denken können, weil du ihn mit deinem ganzen System dir vorstellst, welches er doch nicht hatte? Ist es dir nicht vielleicht so, weil Dir das Sehrohr, mit welchemEr die Rede betrachtete, verrückt, oder durch die Staubwolken so vieler Fragen und Streitigkeiten verdunkelt worden ist? Gienge man, sage ich, so bis auf den Grund einer als gekünstelt empfundenen Erklärung, wie oft würde man sich eines andern besinnen? Es ist vortreflich gesagt, wenn man verlangt, der Ausleger solle sich in die Lage derer setzen, zu welchen ein Schriftsteller zunächst geredet. Es kann wohl niemand diese Regel so hoch schätzen, als ich, und ich sollte meynen, daß ich bey den Artikeln, bekehren , Ebenbild , Christus , Gesetz , Glaube , heilig , Hoherpriester u. a. m. sie deutlich genug zum Grunde gelegt hätte. Aber das ist eben die verzweifelte Täuschung, daß man bey dieser Gedankenversetzung doch sein ganzes Ich wieder mitnimmt, die Gegend verändert, aber seine Denkungsart, Sitten und Gebräuche beybehält.
Endlich: was heißt es, die Erklärung ist fremdgläubig? Sie ist falsch? Und hast sie noch nicht geprüft! Also etwa: sie kann nicht wahr seyn, weil sie von der Kirchengesellschaft in der ich mich befinde, nicht angenommen wird? Aber sollte denn auch kein Funke von Wahrheit bey |f29| andern seyn? Oder soll es gar so vielheißen, ich werde kein Amt darauf kriegen? Schäme dich, und habe mehr Vertrauen zu Gott!
Habt, will ich also noch überhaupt bitten, habt, die ihr dereinst andere lehren wollt, eine unwandelbare große Ehrerbietung für euer Gewissen, und damit für den Gott, von dessen Willen und Wohlgefallen es ein beständiger Wiederhall ist. Ehret es in Untersuchung, Annehmung und steter Befolgung der Wahrheit, daß ihr nichts dafür haltet, was ihr nicht geprüft habt; jeder Ueberzeugung euer Herz offen stehen und dann nichts in der Welt euch davon abbringen lasset. Kaufe die Wahrheit, nach dem Rathe des Weisen, (Spr. Sal. 23, 23.) wenn du auf die Universität gehst, und verkaufe sie nicht, wenn du ein Amt suchest und so lange du es verwaltest!
Berlin, am 5ten Oktober 1773.
|f30|Vorerinnerungenzur dritten Auflage.
Ich selbst habe diese Auflage als eine durchaus verbesserte und vermehrte auf dem Titel angekündiget, und halte es daher für Pflicht, hierüber sogleich die nöthige Erläuterung zu geben. Beyde, die Verbesserungen und Vermehrungen sind verschiedener Art; aber auch in Beyden habe ich meinen Hauptzweck bey diesem Wörterbuch unverrückt beybehalten.
Verbesserungen sind es, wenn ich einigemal den Sinn eines Worts, wie Satan , oder einer Redeart, wie reinesHerzseyn , Gott suchen , ihn schauen , noch genauer bestimmt habe; häufiger meinen eigenen Ausdruck oder Fehler im Abdruck berichtiget; endlich einige unbedeutende Wortbemerkungen, so wie andere mir zweifelhaft gewordene Erklärungen ganz weggelassen. Ich mag z. E. nicht weiter entscheiden, was das Abendmahl des Lammes , das gemeinschaftliche mitChristo in der so genannten JohanneischenOffenbahrung ist, weil es wohl seyn kann, daß |f31| der Verfasser ein eigentliches Essen und Trinken damit hat andeuten wollen – und übrigens das ganze Ansehen des Buchs mir höchst bedenklich, noch mehr seine Bestimmung für alle Zeiten des Christenthums mir überwiegend zweifelhaft ist. Die Verbesserungen der ersten Art betreffen also nicht die Wörter und Redearten, um deren dogmatische Auslegung es mir hauptsächlich zu thun gewesen und noch ist, worüber ich mich in den Vorreden zu der ersten Auflage und den Zusätzen schon umständlich erklärt habe. Was dahin gehört, dabey habe ich es aus fortdauernder und vermehrter Ueberzeugung gelassen. Ich werde auch gleich darauf wieder zurückkommen, so angelegentlich es mir ist, auf dies hohe Ziel des Schriftauslegers im Großen noch einmal den Blick meiner Leser zu richten. Jetzt muß ich noch offenherzig gestehen, daß es aus wahrer Bescheidenheit geschehen ist, wenn ich bey diesen Verbesserungen so gar keinen Gebrauch von den Anmerkungen des Herrn Superintendenten Lang gemacht habe, so weit er damit in dem unten angezeigten Werke *) gekommen ist; so groß der eigene Beyfall ist, mit welchem ich viele seiner Er|f32|innerungen und Zurechtweisungen in Ansehung einer richtigern Erklärung oder genauern Uebersetzung annehme, und so sehr überhaupt ich selbst die Einsichten des Herrn Verfassers ehre und ihm recht viele Leser wünsche. Aber um eben diesen die Fehler und Mängel, welche er an mir gerügt hat, in der neuen Auflage nicht zu verheimlichen und für sie den Werth seiner Bemühungen nicht zu verringern; überlasse ich es nun einem jeden, welchem es um die kleinsten Feinheiten der Schrifterklärung zu thun ist, bey dem Gebrauch meines Wörterbuchs seine Revision zur Hand zu nehmen und dann zwischen uns Beyden, auch da wo ich mich nicht schuldig erkenne, Richter zu seyn! Wir könnten zwar wohl Beyde uns der Mühe überheben für die richtigere Verdeutschung des N. T. zu sorgen, da noch so geringer Anschein ist, daß jemals für die Luthersche Uebersetzung auch nur in einzelnen Worten, Redearten und Redeverbindungen Gebrauch davon werde gemacht werden. Es sey denn aber auch dieß, gleich allen menschlichen Unternehmungen im Gegenwärtigen, Arbeit auf Hoffnung irgend eines künftigen Gewinns. Und wenn ich also selbst die Fortsetzung dieser so bescheiden angekündigten als ausgeführten gelehrten Arbeit des Herrn Superintendenten wünsche, so wünschte ich doch auch noch folgendes. Einmal, daß er sich nicht so oft an die Kürze meiner Bemerkungen stoßen möchte, da sie auch oft nur Winke seyn sollten, nur An|f33|stöße an den trägen sorglosen Schriftleser für sich mehr darüber zu denken; und ich mich überhaupt so lange als möglich innerhalb der Schranken eines Glossators erhalten wollte, der kurz für ein dunkles Hauptwort ein deutlicheres angiebt und darnach die Bestimmung der übrigen dem Leser anheimstellt. So sage ich beym Wort Geschichte , richtiger,Begebenheit. Der Herr Superintendent bemerkt dabey – aber eine Begebenheit sehen kann man auch nicht u. s. w. – Dieß, als die Nebenidee, konnte ja aber jeder selbst mit dem Wort untersuchen, oder einem ähnlichen verwechseln. Hiernächst bitte ich durchaus nicht zu vergessen: daß ich mich zu nichts gewissen verbindlich gemacht habe, was nicht den Geist und Sinn des Christenthums in der Sprache Christi und seiner Boten darstellen sollte, und dann, wo an sich meine Bemerkung richtig ist, doch auch nicht zu sehr – zu grübeln, wie er es selbst nennt. Ich fasse sonst wahrhaftig sogleich Verdacht, er wolle ihr doch wieder von der Seite etwas anhängen aus Unlust, daß er sie nicht ganz aus dem Wege räumen kann. Er mag z. E. wohl nicht in Abrede seyn, daß das Wort Buße für Sinnesänderung nicht so bequem sey; gleichwohl aber ist ihm dieß auch noch zweydeutig (ungeachtet ich das ausdrückendere Sinnesbesserung zugleich vorgeschlagen hatte) und so meynt er Rückkehrzu Gott könne auch mißverstanden werden. Dieß will ich nun nicht leugnen, und ich erkenne vielmehr, daß bessereGesinnung |f34|gegen GottApostelg. 20, 21. eine deutlichere Uebersetzung seyn würde. Aber immer bleibt doch Buße das unbequemste, das man wählen kann, und Sinnesänderung, Sinnesbesserung führt dem Verstande sogleich eine richtigere vollere Idee zu. Ungemein angenehm wird es mir auch seyn, wenn es dem Herrn Verfasser gefallen sollte, bey der Fortsetzung auf das, was ich noch in der Folge für die Allgemeinheit der Leser sagen will, seine besondere Aufmerksamkeit und Beurtheilung zu richten.
*)Zur Beförderung des nützlichen Gebrauchs des Wilhelm Abraham Tellerschen Wörterbuchs des neuen Testaments – Erster Theil. A.–F. – Anspach 1778. gr. 8.Zweiter Theil G. von George Heinrich Lang, Hochfürstl.Oettig-oettingschen Special-Superintendenten und Pfarrer zu Hohenaltheim. Anspach 1780.gr. 8.
Ich komme nemlich auf die Vermehrungen. Sie bestehen nicht nur in den zur zweyten Auflage besonders abgedruckten Zusätzen, welche ich nun, obschon mit vielen Abkürzungen, an den gehörigen Orten eingeschaltet habe; sondern auch inden hin und wieder beygefügten mehrern Schriftstellen, Redearten, oder Sprachbeweisen, und einigen ganz neuen Artikeln wie Schlange ,die Sünde tragen , besonders Melchisedeck . Nehme man diese auch nur für das an, was sie wenigstens für alle seyn können, nemlich Beweise, wie viel noch der denkende Geist bey der Schrift zu forschen übrig hat; so werde ich schon in so weit nicht ohne Nutzen geschrieben haben.
Von der Redeart, dieSünde tragen, als das Lamm Gottes, heißt es in einer neuern Schrift, welche ich in dieser Verbindung nicht kenntlicher machen will: „mir ist esgleichgültig, ob Johannes hier auf das bey den Juden ge|f35|wöhnliche tägliche Opferlamm, oder auf das Osterlamm, oder auf Jes. 53. gesehen habe. Aber so wie Grotius in seiner Anmerkung darüber darf man doch nicht exegesiren, wenn er sagt: das Griechischetragen könne eben sowohl von Besserung des Herzens als von Erwerbung der Begnadigung verstanden werden und er ziehe die erste Bedeutung vor, weil 1 Pet. 1, 18. gesagt werde, wir seyn von dem eitlen Wandel erlöset, durch das Blut des unbefleckten Lammes. Das hat der allzunachgebende Mann von Crellen gelernt, welcher ihm das nemliche geantwortet hatte. Johannes, fährt der Verfasser fort, redete mit Israeliten, welche die Verbindung der Worte: Lamm und Sünde tragen, zu denken gewohnt waren – – – überhaupt aber mit der Redeart: Sündetragen, aus ihren levitischenAnstalten, eine Uebertragung ihrer Sünde auf das Opferthier durch Handauflegungsich dachten. Wenn nun der Mann Gottes auftrat und Jesum das Lamm nannte, das die Sünde trage, was konnte dabey ein Israelite anders denken, als daß er sie wie dasOsterlammauf sich nehmen und die Welt von ihren Sünden versöhnen werde. Die Rede schickt sich auch nur hierauf. Von dieser Art hatten die Leute ein göttlich vorgängiges Institut. Aber,um die Menschen zu bessern,Jesumein Lammzu nennen, das wäre sehr widersinnig geredet; denn ein Thier bessert, lehrt die Men|f36|schennicht, aber einen Tod kann es ausstehen und in der Absicht kann es an die Stelle des Menschen gesetzt werden. Aber es ist, als wenn gerade die witzigsten Köpfe in dieser Sache die unbegreiflichsten Fehler machen könnten. Harwood, ein sehr modischer englischer Schriftsteller, umschreibt die Rede Johannis also: Siehe! das ist das liebenswürdige Objekt der göttlichen Liebe, welches zurBesserungdes menschlichen Geschlechts bestimmt ist. Das heißt Johannem und seine Zuhörer ins sechszehnte Jahrhundert der Welt versetzen und ihn socinianisch reden lehren.“
Ich habe mir die Mühe nicht verdrießen lassen, diesen Commentar des Ungenannten zu wiederholen. Dafür sey es mir nun erlaubt, mit anständigem Ernst gegen jede Zeile mich zu erklären; und damit es denn auch bescheidener Ernst bleibe, will ich den Johannes selbst reden lassen. Er könnte etwa sagen; „Freund! du redest da vieles durcheinander, das mir gar nicht gefällt, und wenn das socinianisch, wie ich höre, bey euch eine Schmähung ist, so hast du in Wahrheit mich sehr beleidiget; denn ich muß dir nur gestehen, daß ich nichts anders habe sagen wollen, als was euer Grotius undHarwood mich sagen lassen. Ich habe denn nur es in meiner eigenen Sprache gesagt. Aber das kommt daher, daß man euch Jüngern Christi von Jugend auf diesen meinen Zuruf an meine ehemaligen Zeitge|f37|nossen hat wiederholen lassen bey der Lehre von seinem Versöhnungstode; daß man euch dann nur das Strafübel dabey hat denken lehren, welches freylich auf einen, als ein Lamm gelegt, von ihm getragen, nur Wegnehmung der Strafe bedeuten kann. Aber du hättest doch auch hintennach bedenken sollen, wie wenig ich etwas dergleichen nach dem Maaße meiner Erkenntniß von der Amtswürde des Messias, nach meinen anderweitigen ausdrücklichen Bezeugungen, und, als ein gebohrner Jude, meynen konnte. Mir hatte Gott, nach seiner den menschlichen Verstand nur allmählich fortleitenden Offenbahrungsgnade, nichts weiter kund gethan, als daß dieser Jesus eine große wünschenswerthe Veränderung in den Gesinnungen seiner Nation bewirken sollte, ganz wie euer Harwood soll gesagt haben. Dafür kündigte ich ihn also an, ich erweckte zur willigen Annehmung seiner, als eines geistlichen Messias; verwies die Menschen von meiner Wassertaufe, einem bloßen Symbol der innern Herzensreinigung, auf seine Taufe mit dem heiligenGeiste; und da ich ihn einmal von Ferne sah, ergriff ich auch diese Gelegenheit mit veränderten Worten das zu wiederholen, in gleichem Sinn auf ihn zu weisen: Siehedas ist Gottes Lamm (der Liebling des Höchsten), welches der Welt Sünde trägt (welcher sieselbst, als das größte Uebel, durch seine kräftigen Belehrungen und Erweckungen aus dem Le|f38|ben der Menschen wegschaffen wird, daß der Allsehende mit Wohlgefallen uns begegnen könne; wie jene Opferlämmer sie täglich aus dem Lande des Jehovah von seinem Angesichte wegschaffen mußten). Siehe, dieses Uebel der Sünde wurde durch Handauflegung auf das Opferthier gleichsam gelegt und mit ihm verzehrt. Du hast ganz recht, daß es widersinnig wäre, zu denken, ein Thier könne bessern, lehren, aber von dem Thier ansich, war mir ja auch nicht die Rede, sondern den Sünden, die es trägt, und warum, in welcher Bedeutung? Du hättest dir also, am wenigsten gleich zu Anfang, sollen gleichgültig seyn lassen, auf welchen Umstand der alten Volksgeschichte ich mich bezogen. Dann würdest du bald wahrgenommen haben, daß ich den Jesaias nicht im Sinne haben konnte; denn der redet nicht von einem Lamme, welches geopfert, sondern welches geschoren wird, von einem Tragender Krankheit, derSchmerzen fürandere, und das heißt denn nichts anders als, für einen sich der Krankheit und den Schmerzen unterwerfen – am wenigsten an das Osterlamm denken, dem ja nichts aufgelegt wurde, welches nur geschlachtet, gebraten und gegessen wurde, und zwar als eine Gedächtnißmahlzeit; auch eben so wenig an die Redeart unserer Religionsschriften, die Missethat, die Sünde der Väter tragen; denn die können auch die Nachkommen nicht anders als nach ihren traurigen Folgen tragen. |f39| Von einem Lamm, und welches sie trägt, nicht die Strafe, sondern sie selbst, redete ich. So erkenne denn, daß Grotius und Harwood sich im Geist, weislich achtzehnhundert Jahre in meine Zeiten und Umstände zurückgesetzt haben, und wenn ihr weiter nichts gegen euren Socinus zu klagen habt, ihr ihn immer in Friede lassen könnet; oder wissen möget, daß ich in so weit vor ihm gewesen bin.“
So könnte, dünkt mich, Johannessagen, nach dem, was ich auch schon bey dem Worte Tragen bemerkt habe. Aber auch nur die Möglichkeit dieser Erklärung angenommen, mag dieß zu einem Beyspiele des Untersuchungsgeschäftes zureichend seyn, welches der unbefangene Wahrheitsforscher immer noch bey Auslegung der Schrift zu übernehmen hat. So ist es nun auch wenigstens meine Absicht gewesen, es selbst mit zu übernehmen, es ohne Seitenblicke auf hergebrachte Lehrformen zu thun, und geradesweges fortzugehen, ohne zu besorgen, was ich hinter mir zurückließe; ohne zu zweifeln, daß ich auch vor mir eine bleibende Ruhestätte finden würde. Sie habe ich nun auch gefunden, daß ich überzeugt bin, wie ich schon in der Vorrede zur ersten Auflage versichert habe: es sey ein noch lange nicht genug angewandter Unterschied unter der Lehre und Lehrart des Christenthums von jeher gewesen, nur jene also das, was den Christen im Bekenntnisse ausmacht, und wie ich auch schon kurz in der Vorrede zu den Zusätzen |f40| angedeutet habe, das ewige Evangelium Gottes leuchte heller am Mittage, als am Morgen, oder bey früher Dämmerung – der Christ des achtzehnten Jahrhunderts, zu einer ordentlichen grossen, zahlreichen Nation aufgewachsen, müsse um Vieles weiter seyn, als Juden und Heyden, da sie sich erst zu einem eigenenChristenvolk sammelten. Doch so bin ich von den Wenigsten verstanden worden, oder man hat Ursachen gehabt, mich nicht so verstehen, sich darauf nicht mit mir einlassen zu wollen. Da man in so vielerley größern und kleinern Schriften meines Wörterbuchs gedacht hat, so wäre es doch wohl der Mühe werth gewesen, mit mir genauer zu untersuchen: wie viel auf die besondern Vorstellungsarten derselben Lehren in den Büchern des N. T. abzurechnen sey, und was dann übrig bleibe? Aber auch in den zwey Schriften, *) wo ich dieß am ersten erwartete, ist es nicht geschehen, und selbst der Herr Superintendent Lang scheint nicht seinen Plan darauf angelegt zu haben. Nur was die immer weiter zu entwickelnde Christusreligion anbelangt, läßt sich einmal der scharfsichtige Mann die Frage entfallen (S.162. des 2ten Th.), „oder |f41| soll das Gerechtwerden im Paullinischen Verstande, das Nichtzurechnen der vorigen Sünden, nur auf diejenigen eingeschränkt werden, welche aus dem Judenthum und Heydenthum zum Christenthum übertraten?“ So fragt er; will mir aber diese Meynung als ohnfehlbar ungegründet nicht beylegen, wenn gleich nicht zu leugnen sey, daß die Apostel die Lehre von der Rechtfertigung so vorgetragen, wie es besonders den Umständen der ersten Proselyten angemessen gewesen. Eben so schien mir in der zweyten nur eben bemerkten Schrift ein ähnlicher Gedanke von dem männlichen Alter der Gottes- und Christus-Erkenntniß in der Seele des Verfassers aufzukeimen, wenn er S. 154. sagt: „man müsse freylich den Glauben für uns, die wir gleichsam von Geburt an Christen wären, etwas genauer bestimmen,“ aber er reifte am Ende zu einer ganz andern Frucht. –S. 389. „Soll man wenigstens jetzt die Beschreibung des Glaubens ändern? Soll man dieser Gefahr mit Veränderung der Grundbegriffe der Lehre entgegen gehen? – – Freylich dieß nicht.“ So will ich denn noch einige Blätter dieser Vorrede zu einem Wörterbuche der Schrift anwenden, um zur Probe eines theologischen Wörterbuchs und zur richtigern Beurtheilung meiner Vorstellungen noch etwas über die LehrartChristi und der Apostel, wie über das schon nationell gewordene Christenthum, oder das reifere Alter desselben, zu sagen. Was es |f42| aber seyn wird, mag andern noch so schwache Vermuthung scheinen; sie werden sie doch, von Wahrheitsliebe belebt, der Prüfung nicht unwerth halten, und mir, dem sie etwas mehr scheint, frey lassen, auch darin die mannichfaltigeWeisheit Gottes zu finden, die auf tausenderley Wegen alles zu Einem Ziele größerer Vollkommenheit hinleitet.
*)Die wahre Lehre des heil.ApostelsPauli vom Gesetze, aus dem Brief an die Römer vorgetragen und mit den neuen Deutungen derselben verglichen. Zweyte, vermehrte und verbess. Auflage. Tüb. 1779.
Versuch über den eigentlichen neutestamentischen Begriff des Glaubens, dessen richtige Bestimmung u. s. w. Tübingen 1779.
Lehrart Christi und der Apostel.
Ich müßte nun sehr unwissend seyn, wenn ich glauben wollte, daß ich überhaupt damit etwas neues sagte, indem ich behaupte: es sey ein großer Unterschied zwischen derLehre des Christenthums und der verschiedenen Art des Vortrags desselben in den Unterweisungen Christi und der Apostel. Freylich hat man im Allgemeinen das längst erkannt, und wer weiß wie viel von einem Tropos Pädeias gesprochen. Nur hat es von jeher an einer eigentlichen Anweisung gefehlt, um nach sicheren Grundsätzen beurtheilen zu können, was bloß zur Lehrart gehöre und was dann die Lehre selbst sey. Herr D.Semlerallein hat sich auch hier das große Verdienst gemacht darauf in der Menge seiner Schriften aufmerksam zu machen, immer darauf zu dringen. Aber auch Er hat nie ein Urtheil darüber nach bestimmten Regeln fällen gelehrt. Und doch, was ist nöthiger? wie sollte nicht darin vor allen Dingen etwas gewisseres festgesetzt werden, man sich darüber vergleichen, ehe man jeden Theil der Lehre selbst festsetzte? Ich |f43| unterfange mich nun wohl nicht, diesem großen Bedürfnisse abzuhelfen; nur will ich versuchen, zur allgemeinenPrüfung einige hieher gehörigen Vergleichspunkte in Vorschlag zu bringen.
Zugestanden ist also eine verschiedene Lehrart derselben Religionswahrheit nach Zeiten, Umständen und Personen des Schriftstellers wie der Leser, und eben so, daß sich Christus und die Apostel nach ihm in sinnlicher Darstellung der Wahrheit nach den Fähigkeiten und der Fassungskraft ihrer Zuhörer oder Leser gerichtet haben. Weniger eingeräumt hat man, daß sie auch gewissen Volksideen in ihren Belehrungen nachgegeben. Da ist es nun mir gar nichts bedenkliches, auch diesen Schritt weiter zu thun. Giebt man es doch da zu, wo im A. T. Gott menschliche Affekten des Zorns und dergleichen zugeschrieben werden, und dieß nicht weiter eine Herablassung zu dem schwachen menschlichen Vermögen; sondern Bequemung nach den Begriffen eines zu mehr geistiger Denkungsart noch nicht erhobenen Volks war, welches z. E. den strafenden Gott sich als einen aufgebrachten Regenten vorstellte. Leidet also nun die Sache selbst nicht bey einer solchen Nachgebung im Vortrage, warum will man sie nicht zugeben? Und sollte man sie nicht zugeben müssen, wenn sich findet, daß Christus selbst offenbar sich bey einer gewissen Gelegenheit, nach der Denkungsart seiner Zuhörer, gerichtet hat? Wie und wo werde ich gleich zeigen. Das wäre also mir für meinen |f44| Theil das erste Erforderniß der auch im N. T. anzunehmenden herablassenden Lehrart zu menschlichen Vorstellungen, daß die Sache selbst dadurch nicht verloren gehe; und dann ein zweytes, daß ein großer, wichtiger, Gottes würdiger Endzweck dadurch erhalten werde. Und so käme es nur auf sichereMerkmale an, wo sie eigentlich anzunehmen ist, daß man sagen könne: so viel ist Zeiten und Umständen angefügte Vorstellungsart und so viel soll man sich wirklich dabey denken.
Hier scheint mir nun wieder das erste sicherste zu seyn:wenn der Redende selbst nicht undeutliche Winke giebt, er richte sich nach Umständen, füge sich nach diesem und jenem herrschenden Begriffe. Ein solcher Wink ist mir aus den eigenen Unterweisungen Christi folgender. Die Juden erwarteten die Wiederkunft des Elias, ehe der Messias selbst eintreffen würde; Christusbelehrtesie,er sey schon gekommen in der Person desJohannes,Matth. 17, 10–12. Dagegen versicherte Johannesselbst,Joh. 1, 21.er sey nichtElias. War nun da nicht die Erklärung Christi hierüber eine Anschmiegung an einem Volksbegriff, wo es darauf ankam, daß Johannes für seinen Vorläufer erkannt wurde, nicht aber darauf, bey welchen Namen man ihn etwa nennen wollte. Aber nun sehe man den deutlichen Wink! Da er bey einer andern Gelegenheit, Matth. 11, 14. zu dem Volke von der Person des Johannes redete, so versicherte er zwar ausdrücklich, er sey |f45|mehr als irgend einer der ehemaligen Propheten, ließ indeß jedem dieFreyheit,ihn für denEliasanzunehmen. Und so wäre denn dieß zugleich ein, wie ich denke, unwiderlegliches Beyspiel dieser von Christo selbst beobachteten Lehrweisheit.
Das zweyte Merkmal dessen, was mir besondere Vorstellungsart ist und woraus man nicht sogleich einen Lehrsatz der Religion machen sollte, würde mir das seyn: wenn,sie nicht angenommen, eine oder mehrere von der Schrift selbst bestätigte Vernunftwahrheiten würden aufgehoben werden; allgemeinen Grundsätzen, welche die Schrift selbst festsetzt, auf welche die Propheten, die Apostel, Christus selbst immer wieder zurückkamen, widersprochen werden. Nach einer solchen Einschränkung darf ich wohl nicht besorgen, durch den Gebrauch des Worts Vernunftwahrheit Jemand anstößig zu werden. Eher könnte man Bedenken tragen, unter diesen Wahrheiten folgende mit mir zu rechnen, obgleich ich gar nicht begreife, wie man sie aus der Reihe derselben herausheben will, wenn nicht das ganze Gebäude der Religion in seinen Gründen erschüttert werden soll. Das sind sie mir also, und ich will sie sogleich mit den eigenen Worten der Schrift angeben: Opfer (blutige) und Gaben (von Thieren und Früchten des Landes) will Gottnicht, (er verlangt Herz und Gesinnungen zu seiner wahren Verehrung); erwird vergelten einem jeden nach seinen Werken; wenn sich der Sün|f46|der bekehret, so soll aller seiner Sünden nicht mehr gedacht werden (es soll ihm wieder wohlgehen); wer recht thut, der ist gerecht – Gott hatGedultmit uns (er sieht unfreywilligen Fehlern, Schwachheiten, Uebereilungen nach Vatersart, nach, sichert uns für den Folgen derselben); er fodert vonniemandmehr, als ihm gegeben ist, hat sich aber auch keinem ganz unbezeugt gelassen; wir fehlen allemannichfaltig, aber wir sollen die Sünde nicht herrschen lassen in unserm sterblichen Leibe. Wenn denn nun etwas gegen diese Grund-Wahrheiten anstößt, kann es ein Lehrsatz des Christenthums selbst seyn, etwas mehr als Lehrart? etwas mehr als das Gerüste, welches zu seiner Zeit wieder weggenommen werden soll, nicht das Gebäude selbst, um welches dem Bauherrn es eigentlich zu thun ist? So sollt es ja aber auch nicht Lehrart seyn! So wird ja immer selbst durch dieses Nachgeben im Vortrag, ein falscher Begriff noch in dem Verstande der Menschen erhalten! Wenn nun aber ein ganzes System irriger Begriffe wegzuschaffen ist, willst du es mit einmal niederreißen? wirst du nicht nach und nach einen nach dem andern zu verbessern suchen; die den schädlichsten Einfluß in das sittliche Verhalten, und dadurch das Glück der Welt und der Gesellschaft haben, zuerst, dann die minder schädlichen und so fort? Wirst du nicht immittelst diese minder schädlichen selbst mit zum Werkzeug brauchen, um jene vor allen Dingen |f47| auszurotten? So nimmt auch wohl der Baumeister manches Stück Holz aus dem alten Hause, und verbraucht es zum Gerüste, nimmt aber auch dieses in der Proportion wieder weg, in welcher das Gebäude in die Höhe steigt; es wird die Schuld der Maurer, Zimmerleute und Handlanger, oder derer seyn, welche das neue Haus bewohnen und an dem Gerüste ihren Wohlgefallen haben, so dieß nicht geschieht. Doch ich muß mich schon deutlicher erklären, und warum sollte ich es nicht gern thun, wo es auf Wahrheit, wie ich sie erkenne, ankömmt, und da ich schon in den Hauptartikeln dieses Wörterbuchs mich genug darüber herausgelassen habe. Indeß kann und muß ich es auch, als in einer Vorrede, sehr kurz thun.
Denke man sich also den jüdischgesinnten Christen, der die ganze Gottesverehrung durch gute Gesinnungen und Erweisungen, diesen höchstenZweck des Christenthums, immer wieder in seinenOpferdienst umkehren wollte; bey dem also jetzt die Hauptsache war, ihm seine Opfer vergessend zu machen; konnte dem nicht ein Paulus den Tod Christus als einen Opfertod vorstellen, – wenn er doch immer dabey erinnerte, ergebe ihnen Milch, nicht starke Speise, das vollkommnere Erkenntniß werde sich schon finden? Nahm nun jener Christ dieß an, so war er für die edlere, reinere Gottesverehrung gewonnen, daß er einsahe: er selbst müsse nun geistliche Opfer Gott |f48| darbringen. Und war das nicht etwas Großes, Massives an dem Christenthumbau?
Aber, wenn du selbst meynst, dieß sey eine der Hauptsache unschädliche Lehrart gewesen, warum wollten wir es nicht dabey lassen? Hiervon denn gleich ein Mehreres, wenn ich noch dieses als das dritte Merkmal der nicht mit der Lehre selbst zu verwechselnden LehrartN. T. werde angegeben haben. Wenn die Apostel mit tropischen Ausdrücken und Vorstellungen so abwechseln, daß die Bedeutung von allen auf einen Einzigen Lehrsatzangewandtwerden kann, undnundannauch jenebiblischenVorstellungen alle aus der Landesöconomie des Volks, bey welchem sie dieselben brauchen, hergenommensind:so ist dieser Lehrsatz die allgemeineWahrheitund jenes Bildliche gehört zu ihrer besondern Lehrart nach Zeiten und Umständen. So urtheilt man in der Physik; man hält die Hypothese für die wahrscheinlichste, mit welcher die meisten Phänomenen übereinstimmen. Warum auch und wofür hat man doch die Auslegungsregel: daß man vornehmlich tropische Ausdrücke mit den eigentlichen Vorstellungen, welche dadurch in dem Verstande veranlaßt werden sollen, verwechseln müsse; so lange man sie nicht auch im Größern anwenden will? Was heißt alle exegetische Treue im Kleinen, wenn sie im Grossen nicht die Probe hält? Nun die Apostel wechseln so mit den bildlichen Darstellungen Christi ab, |f49| als eines Lammes, welches geschlachtet, alsOpfers, welches dargebracht wird,und des Priesters, der es darbringt; als einer trocknen Gabe; dann als eines Mittlers eines neuen Bundes, eines Hauptsdes Leibes, eines Hirten,Erzhirten, eines Königs, und vor Juden, die an alle diese sichtbaren Gegenstände nach der Einrichtung ihres Landes, ihrer Regierung und ihrer Gottesdienste gewöhnt waren, daß sie alle eine Einzige Hauptvorstellung von seinem Erlösungsgeschäfte übrig lassen, wenn man sie gehörig entkleidet: soll nun nicht diese die Wahrheit, jenes alles das unwesentliche seyn? Lehrart nicht die Lehre selbst? Oder sollen wir aus einem jeden einzelnen Tropus einen eigenen Artikel machen? Doch nein! die christliche Wahrheit und Weisheit ist simpel und sehr einfach; sie beschwert nicht das Gedächtniß; sie ermüdet nicht die Denkkraft; sie läßt sich im Grundriß in einer Periode entwerfen und sie ist keine Wissenschaft, welche nicht ganz wohl der gläubige Vater und die gläubige Mutter beym vertraulichen Zusammensitzen des Abends oder beym erheiternden Spatziergange ihrem Kinde an der Seite beybringen könnten. Bewahrt will sie seyn in einem feinen guten Herzen; geübt will sie seyn in einem guten Gewissen: das ist die große Kunst, an der wir fürs ganze Leben zu lernen haben.
Aber, noch Einmal, so könnten wir es doch bey der Lehrart lassen, bey welcher gleichwohl un|f50|sere Gemeinen das Wahre mit haben und welche das Ansehen so ehrvoller und ehrwürdiger Lehrer für sich hat! Irre ich nicht, so ist dies der Gedanke Vieler. – Nun auch um des Schlußgedankens willen, der wieder bey Einigen dazu kömmt, daß also Unser Einer wohl etwas klügeres thun könne, will ich doch auch hierüber mich kurz erklären. Lehrart, das begreife ich sehr wohl, verschiedene Vorstellungsart der Religionsweisheit wird immer bleiben und bleiben müssen. Wer kann das gute, edle Metall ohne Zusatz mit geringerm verarbeiten und welcher Geldliebende hält nicht demungeachtet sein Gold werth? Aber wenn dieses Zusatzes zu viel wird; wenn dadurch die in einem Lande gangbare Münze über die Hälfte des innern Werths verliert, daß wilder Streit darüber in Handel und Wandel entsteht, und Kenner die geringhaltige Münze doch durchaus für vollwichtig annehmen sollen: können und werden diejenigen, die noch ein Wort sprechen dürfen, sich nicht darüber laut beschweren?Oder, nach dem vorher gebrauchten Gleichnisse, wenn die Bewohner des einen Flügels oder untersten Stockwerks eines neuaufgeführten Gebäudes, das Gerüste um dasselbe her, aus besonderm Wohlgefallen daran, wollen stehen lassen und auch die Polizey sichs gefallen läßt, was gehts andern an? Wenn sie aber auf ihr Gerüste so pochen, daß sie die Mitbewohner im andern Flügel oder höhern Stockwerke zum Hause heraus jagen wollen; wenn lauter Unfug |f51| daraus entsteht; oder wenn diesen der freye Eingang ins Haus dadurch versperrt wird: sollen sie nicht sagen dürfen und müssen: euer Gerüste gehört nicht weiter hieher? Ich will mich ohne Bild erklären. Einmal mag ja wohl jeder die eigentlich der jüdischen Denkungsart angepaßte Lehrart des N. T. für sich beybehalten, wenn er es so gut findet. So denn aber Sectengeist und Sectenhaß daraus entsteht; sie für so wichtig und wesentlich angesehen wird, daß man sich in verschiedene Partheyen theilet und eine die andere verläumdet und verfolget: so ist ja nun die Nothwendigkeit da zu sagen –dieß ist Lehrart, darüber ihr euch nicht streiten müsset; und dieß ist die Lehre selbst, welche ihr festzuhalten habt. Wie viel nun ein jeder zur Lehrart rechnen will; ob er darin zu viel oder zu wenig thue: muß dann wohl jedes eigenerEinsicht und eigenemGewissen überlassen werden. Ich habe nichts dagegen, wenn mancher gutdenkende Christ sich auf seinem Haupte eine Krone denken muß, um seines erhöheten und verbesserten künftigen Zustandes in der Vorempfindung froh zu werden; ich würde selbst als Lehrer in Privatunterredungen mirs zum Gewissen machen, ihm diese Nebenidee zu benehmen. Sobald man sich aber in großen Haufen zusammenthäte, jenes Kronedenken zum Mahlzeichen der Auserwählten unter den Christen zu machen, Prediger ganzer Gemeinen das unterstützen wollten, und dann gar mancher Schurke sich dessen bedien|f52|te, dem armen, einfältigen Mann sein bisgen Geld abzuschwatzen, um der Krone willen, die ihm auch dafür aufgehoben sey: weß Herz und Muth sollte sich nicht dagegen empören? So, dünkt mich, dachte Paulus. Er hatte ungezweifelt seine eigene Lehrart, widersetzte sich aber auch mit grossemErnst, sobaldSpaltungen daraus entstehen wollten, rufte da einmal über das andre: es soll nicht also seyn; ihr seyd alleChristen; lasset uns einerley gesinnet seyn!
Ich will zweytens eben nicht sagen, daß die Lehrart verändert werden müsse, sobald überhaupt mehr Schaden als Nutzen fürs wahre Christenthum damit gestiftet wird. Denn da schallt es wieder aus einer andern Gegend her: kommt ihr weiter mit eurer Tugendlehre? Ob nun gleich sich noch antworten ließe: wir wissen nicht, was ihr meynet, ihr thut, als wenn es nur um das bloße, magere Gerippe der Tugend, ohne Saft und Kraft der Erkenntniß und Verehrung Gottes, zu thun wäre; auch wäre die Frage: wie viel mehr Frucht daraus erfolgen würde, wenn alle vereint ruften (welches bisher noch gar nicht der Fall gewesen), Gott ehren, Liebe üben, und in gleichförmigen guten Gesinnungen voll guter froherErwartungfür Zeit und Ewigkeit seyn, dieß ist die Haupsache aller Christuslehre; so will ich doch darauf nicht beharren. Ich denke selbst, daß bey jeder Lehrform die wahre fruchtbringende Weisheit der Religion immer das Theil Weniger |f53| seyn und bleiben wird, in einer Welt, in welcher der Hohe und Reiche im steten Flug daherfährt, der Pöbel kriecht, und nur der Mittelmann seinen Weg auf der Ebene bedächtig fortgeht. Dieß will ich also, wie gesagt, mit Stillschweigen übergehen, und nur noch so viel zu überlegen geben: wie nöthig es doch sey, die Vorstellungsarten abzuändern, wenn nach Zeiten und Umständen ihre Beybehaltung wenigstens einen erstaunenden Umweg im Unterrichte verursacht. Kurz zu seyn: ist es nicht ein solcher Umweg, wenn wir unsereChristenkinder durch den Fortgebrauch der Ausdrücke und Redearten, welche bloß für die zum Christenthum ehemals zuerst übergehenden Juden waren, nun noch jetzt erst bald mehr, bald weniger zu Juden machen, statt daß wir ihnen geradezu das reine Evangelium lehren sollten? That das Paulus in seinen Vorträgen an die Nichtjuden der damaligen Zeit, Apostelg. 14. 19. 24. – redete er da auch von Opfern, Priestern und Hohenpriestern, der Unmöglichkeit durchs Gesetz selig zu werden u. s. w.? That es der Erlöser in der mit dem Pinsel eines göttlichen Meisters ausgemalten Vorstellung von dem verirrten Sohne? Es ist ziemlich unter den Auslegern ausgemacht, daß dieser unglückliche Mensch im Gegenbilde die in Ohngötterey, Abgötterey und allen moralischen Verderbnissen tief verfallenen Völker darstellen sollte, und also auch die Rückkehr jenes die Zukehr dieser zu dem Einen Gott in Liebe und Ge|f54|horsam, nach einer durch Jahrtausende immer mehr zugenommenen Entfernung von seiner wahren Anbetung. Wie verfährt er nun da? „Läßt er sie viele Angstgebürge (ich frage dieß in dem Geiste eines unserer vortrefflichsten und ansehnlichsten theologischen Schriftstellers*) erst übersteigen, ehe sie sich wieder zu dem allgemeinen Vater der Menschen nahen dürfen?“und ich antworte: nein, das nicht; er läßt den Sohn den edeln Entschluß fassen;ich will mich aufmachen und zu meinem Vater gehen, und das Maaß der Zwischenangst überläßt er ihm. – Müssen sie Jemand voraussenden, welcher den beleidigten Vater bewege, sie wieder aufzunehmen, ihm das Herz erweiche? O, diese Vorstellung würde zu klein, zu niedrig und menschlich für den Allgütigen seyn; nur das Bedürfniß für den, welcher lange in der Vorstellung von Gott, als einem harten Beherrscher, wäre auferzogen worden! Reuevolles, demüthiges Geständniß, mit allen Empfindungen eines geänderten Sinnes, ist alles, was er den Sohn thun läßt. Und ich halte mich versichert, Paulus habe einen Abgötter im Privatunterricht bey seinem Missionswerke nicht anders zur christlichen Wahrheit angeführt – ihm so den freyen, offnen Zutritt zu Gott gelehrt.
*)Den sel. Abt Jerusalem meynte ich; wollte aber in einem solchen Zusammenhange aus Schonung ihn nicht nennen.
|f55| Haben wir endlich nicht wirklich schon manches, nach dem Bedürfniß unserer Zeiten, von der Lehrart der Apostel fahren lassen? Wer macht noch einen besondern Lehrartikel aus der Einschreibung ins Buch des Lebens, wie es wohl ehemals gewöhnlich war? Wer einen besondern von der Wiedergeburt, wenn er von Bekehrung und Heiligung genug gesprochen hat? und wer würde gern dem Schuld geben, er habe eine ganze Lehre untergeschlagen, der, um seine Unterweisung noch mehr unter Einem Gesichtspunkte zu vereinigen, bloß von Heiligung, oder Erneuerung, oder Besserung sprechen wollte, da selbst der Gute immer noch etwas im Erkenntniß oder in der Ausübung des Guten an sich zu bessern findet? – –
Das nationellgewordene Christenthum, oder das männliche Alter desselben.
Hiervon nun auch so viel zu sagen, als es der Umfang einer Vorrede verstattet und als zureichend ist, die Aufmerksamkeit denkender Männer darauf zu lenken und weitere Prüfungen zu veranlassen, was ists? was sollte es seyn, selbst nach dem eignen ersten Unterricht seines hohen Stifters? Sollte es etwas anders seyn, als, die beste Weisheitslehre zu einer immer höher steigenden Glückseligkeit; mithin vielleicht unser Unterricht damit anfangen, womitChristusunddie Apostelselbst den ihrigen endigten?
|f56| Es ist das alles doch gewiß der Frage werth, und zuerst unleugbar, daß das Christenthum in seinen Gebräuchen schon das nicht mehr ist und seyn kann, was es zuerst war. Die ersten Christen feyerten noch, wie bekannt, den Sabbath, gleich den Juden; mit zunehmender Erkenntniß der wahren, nicht eben an diesen Tag gebundenen öffentlichen Gottesverehrung, und um sich auch darin sichtbarlicher von den Juden zu unterscheiden, bestimmte man dazu den Sonntag. Eben so wurde die Beschneidung noch von Vielen beobachtet, und daher der Ernst des Paulus in Verweisung dieser Vermischung des Judenthums mit dem Christenthum; mit zunehmender Erkenntniß fiel nun auch diese weg. Wann denn die Erkenntniß noch gereinigter und verbesserter wird, sollte dann nicht noch manches andere, als die Vorübung der Kinder, wegfallen? Die Taufe geschah in dem ersten Jahrhundert durch Untertauchen unter das Wasser, und man muß gestehen, bedeutungsvoller, als sie jetzt geschieht und geschehen kann; aber die hellere Einsicht in das Wesen der Religion hat gelehrt, daß es dabey auf das mehr oder weniger Abbildende nicht ankomme, wenn nur das Abgebildete, die Reinigung des Herzens und Lebens, das Hauptgeschäfte des Menschen ist. – – Das Abendmahl wurde ehemals bey sogenannten Liebesmahlen gefeyert, so lange die Christen noch ein kleines zerstreutes Häuflein ausmachten; und es ist wieder nicht zu verkennen, |f57| daß so auch die Gemüther zu allen christlichen Wohlwollen feyerlich dadurch verpflichtet wurden: vielleicht auch nach ihrem größern Bedürfniß, da sie aus verschiedenen Völkerschaften, welche nicht lange vorher sich gehaßt und verfolgt hatten, zusammen kamen und die Belehrung von dem Einen Geiste, der alle beseelen sollte, als Kinder des Einen Vaters der Menschen, ihnen noch ganz neu war, die Ueberzeugung dessen noch keine tiefe Wurzel gefaßt hatte. Nach und nach hörten nun auch diese Liebesmahle auf. Es mußte geschehen, weil der Christen-Staat sich vergrößerte und große ärgerliche Unordnungen zu besorgen waren; und es konnte geschehen, da theils jene Belehrung wirksamer und die Ueberzeugung davon allgemeiner, theils die engere, festere Verbrüderung und äußerliche Verpflichtung dazu, wegen des größerenbürgerlichen Ansehens der Christen, als einer eigenengroßenGesellschaft, unnöthiger wurde.
So ist es nun aber auch ferner gewiß, daß viele Ideen, welche dem ersten Kindesalter der neutestamentischen Religion anklebten, verschwinden mußten, nachdem das reine Licht sich immer mehr verbreitete und zum größten Theile wirklich verschwunden sind. Ich meyne die Vorstellungen von einer irdischen Größe und Oberherrschaft des Messias, dem von ihm im kurzen anzurichtenden tausendjährigen Reich, seiner ausschließungsweise nur für die jüdische Nation bestimmten Sendung, der leiblichen teuflischen Besitzungen; und ich entscheide hier nicht, ob es damals wirklich |f58| solche gegeben, da es mir zu meiner gegenwärtigen Absicht genug ist zu bemerken, wie die Idee nach und nach verloren gehen müssen, je mehr der Lehrsatz in seinem völligen Umfang erkannt wurde: Christussey gekommen die Werke des Teufels zu zerstören. Ja! ich halte es für ganzantichristisch (ein Ausdruck, den man mir verzeihen wird, weil er die Stärke meiner Ueberzeugung ausdrükken soll) wenn man irgendwo noch daran glaubt; für eine Umkehrung aller Religion.
Noch weiter kann ich als ausgemacht annehmen: daß die Vorstellungen vom Glauben anChristum, von Bekehrung, von Seligwerdung oder Seligmachung, Heiligung, mit den mehr reifenden Religions-Einsichten und den äußern Umständen ihrer Bekenner sind verändert worden und verändert werden mußten. Was den Glauben anChristum anlangt, meynt zwar der Verfasser des vorherangeführten Versuchs vom Begriff des Glaubens, es habe doch immer dabey die Idee des Zutrauens zum Grunde gelegen. Dieß kann ich ihm hier unbeschadet meiner Behauptung zugeben, habe auch selbst im Wörterbuch viele Stellen von dieser Bedeutung ausgezeichnet. Nur hätte ich gewünscht, daß er besonders bey Beurtheilung des Glaubens Abraham,Röm. 4. mehr Rücksicht auf meine Zusätze zum Wörterbuch genommen hätte, wo ich bemerkt habe, daß Glaube oft so viel als die ganze Gottergebenheit (wie ich mich nun S. 277. kürzer ausgedrückt habe) des Menschen, die völlige herzliche |f59| Richtung des Gemüths auf Gott, bedeute. Und so stelle ich mir den Glauben Abrahamsvor. Er war inniger Gehorsam in ruhiger Erwartung und Hoffnung zu Gott, daß Jacobus 2, 22. sehr wohl sagen konnte, „er sey mit seinem Glauben zusammengeflossen, habe mit dazu gewirkt, sein Glaube sey dadurch vollkommen geworden;“ insofern nemlich dieser bloßes Zutrauen bedeuten soll. – So also konnte Jacobus sagen und Paulus diesen gläubigen Mann dem entgegensetzen, der mit Werken, Beschneidung, Opfern, wie auch zum Theil selbstAbraham, umgeht; und es ist schlechterdings unerweisbar, daß der Apostel das Wort ἐργαζεσθαι, wenn er auch kein Reingriechisch verstanden hätte, von sittlichen Wohlverhalten könne gebraucht haben. Im Reingriechischen wie im Hebräisch-Griechischen, in welchem das Wortפעל so übersetzt wird, wird es allezeit von niedrigen Geschäften, knechtischen Diensten der Fröhner und Handlanger gebraucht; zeigt im Gottesdienstlichen das opus operatum der Römisch-Katholischen an; und hätte das immer der Herr Verfasser dem Herrn D.Barth zugeben sollen. Mir ist es überhaupt eine Sache, für der ich zurückschaudere, wenn noch in so vielen Gegenden es für rechtsinnig und den Geist des Evangeliums verherrlichend angesehen wird,Tugend, rechtschaffene Gesinnungen und Erweisungsarten mit einem solchen Ausdruck zu verwechseln. – Ich muß denn aber wohl wieder zur Hauptsache zurückkehren – Sie war diese, daß Glaube |f60|anChristum etwas ganz anders in den Tagen Christi und einige Zeit nachher war, als was er uns ist; in dem Einen Zutrauen zu ihm als einen Arzt und großen mächtigen Helfer in Krankheiten, in dem Andern Hoffnung auf eine National-Rettung durch ihn u. s. w. Die Bekehrung war der äußerliche Uebertritt zur Kirche; schon das war ein Seligseyn , ein Heiliggewordenseyn , wie ich unter diesen und mehreren Artikeln im Wörterbuche bemerkt habe. Dieß war damals die kirchliche Sprache, welche nun nebst den Ideen selbst hat verändert werden müssen, nachdem das Christenthum eine Nationalsache geworden ist, und so der geborne Christ ganz andere damit verbinden muß.
Man wird nun noch weiter eben so wenig in Abrede seyn können und wollen, daß aus dem Unterrichte unserer Christen in diesem reifern Zeitalter der Religion, eben weil es dasselbe ist, das wegfallen muß, was die Apostel, nach seinem damaligen Kindesalter, zur ersten Forderung an die Juden machten: daß sie von blutigen Opfern abstünden, zum ersten Lehrpunkt, daß die Beschneidung weiter keinen Nutzen habe: und bey den Heyden, daß sie den Götzendienst verließen mit allen Anhängseln desselben. Wir beweisen nicht einmal weiter unsern Anfängern im Religionsunterricht die Einheit Gottes, setzen sie mehr als bekannt und zum christlichen Gemeinsinn gehörig voraus.
So giebt es nun auch, nach allgemeinem Zugeständniß, in einer schon christlichen Nation |f61| keine totale Rechtfertigung mehr, keine Ankündigung eines feyerlichen Generalpardons, daß ich mich so ausdrücke. Sie könnte nur noch gedacht werden, wenn etwa noch jetzteine ganze Völkerschaft mit einmal zum Christenthum überträte und dieser nun auch ein für allemal ihre Begnadigung bey Gott angekündigt würde. Und daher, dünkt mich, ist es gekommen, daß auch viele unserer eben nicht zu weit gehenden Theologen nach und nach die Vorstellung der noch fortgehenden einzelnen Rechtfertigungen der Christen, als eines feyerlichen Akts in Gott, haben fahren und sichs genug seyn lassen: das dem Menschen wieder zugewandte göttliche Wohlgefallen dabey denken zu lehren.
Diese bisherigen Inductionen beweisen denn schon, daß das immer zu höherer Vollkommenheit fortschreitende Christenthum das nicht mehr ist und seyn kann, was es in seinen ersten Anfängen war.
Das soll es nun aber auch nicht mehr seyn; christliche Nationen und jeder Christ sollen zu immer hellern Einsichten und würdigern Uebungen in der Gottesverehrung wachsen. Der Grund ist gelegt, und einen andern soll niemand legen; aber man soll ein immer festeres, geräumigeres, für den innwohnenden geistigen Anbeter bequemeres, anständigeres Gebäude auf denselben aufführen; oder nach einer andern apostolischen Vergleichung: es muß eine Zeit kommen in dem Leben eines Jeden, da er aufhört die Muttermilch des Evangeliums zu trinken, da man sich an stärkere Speise gewöhnet, oder man bleibt ein Kind. Und |f62| was soll ich alle die apostolischen Vorstellungen und Erinnerungen von den vollkommnern Alter der Christenheit herschreiben? Genug, so ists, und dazu sollen wir Lehrer in dem Geiste Gottes und Christi mit fortwirken. Wenns aber so ist, so kann ich mich nicht enthalten, zu denken: daß Glaube an Christum, Zurechnung seines Verdienstes, Rechtfertigung für eine schon längst in ihren Vorfahren begnadigte Christennation nicht weiter die gewöhnliche Anwendung verstatte. Wenn irgendwo rebellische Unterthanen wieder zum Gehorsam wären gebracht worden, nach versicherter völliger Begnadigung, welches würde nun ihre Hauptsache seyn müssen? Ists nicht wahr, die Erweisung neuer Treue und Unterthänigkeit? Oder was wäre es, wenn sie es so recht darauf anlegten, daß sie immer neuer Begnadigung bedürften; die Vorsteher und Häupter der Familien den Ihrigen einmal über das andere sagen müßten, „suchet Begnadigung“ und unausgesetzt nöthig fänden, sie zur Rückkehr unter die Herrschaft des Regenten zu ermahnen? Gewiß ist mirs, daß der Unterricht der Religion in diesem Stücke noch eine mit dem nationellen Christenthum schwer zu vereinigende Ungleichheit hat, wenn doch unsere Christen gewöhnt werden, sich von einem Jahre zum andern, von einer Communion zur andern, auf eine fremde Gerechtigkeit zu berufen? Man erwäge doch einmal, was etwa in einer solchen Beziehung der Apostel könnte haben sagen wollen mit der ernsten Erinnerung, Ebr. 10, 26.so wirmuthwilligfortsündigen, haben |f63|wir ferner kein Opfer für die Sünde. Noch zur Zeit kommt es mir mit dem gedachten Unterrichte eben so vor, als wenn man bey der Erzählung von dem stolzen Pharisäer im Gegensatz gegen den reuigen Zöllner, die Sache auch immer so vorstellt, daß man glauben sollte: es müsse nothwendig durch alle Zeiten die zwey Hauptgattungen von Menschen geben, selbstgefällige, verlarvte Heilige, und dann inniger schaamvoller Reue bedürftige Sünder – es gereiche zur Ehre der Christenheit, keine dritte mitten innstehende Gattung anzunehmen. Wir wollen jedoch hoffen, daß es eine solche giebt, die wirklich guten Menschen, welche sagen können: Nun halte ich, o Gott, dein Wort; verzeihe mir nur dieverborgenenFehler! – –
Das sind denn meine Gedanken, oder, wenn man will, Vermuthungen, wie sie, als in eben so vielen Keimen in diesem Wörterbuche und auch in den hinzugekommenen Artikeln eingeschlossen liegen. Ich kann sie nicht ausführen und in einem so eingeschränktenRaume unmöglich weitläuftiger auseinandersetzen. Aber ich wünsche herzlich, daß sie bey aller ihrer Mangelhaftigkeit, die ich wohl selbst fühle, von allen, denen Religion und Christenthum werth ist, mit unpartheyischem Ernst in Ueberlegung mögen gezogen werden. Mir gereicht es zu einer fühlbaren Gemüthserhebung, so oft ich denke: daß der gutgesinnte Mensch, ohne eben schulgerecht zu seyn und wo er lebt, Gott gefällig, der Geist Christus in ihm, auch er ohne alle schwärmerische Nebenbegriffe von Gott gelehret sey; daß, |f64|wo er das äußere Wort nicht hat oder verstehen kann, er durch das innere zu seiner Seligkeit geleitet werde, und das unsichtbare Reich der Freunde Gottes und des Guten größer sey, als es oft im Sichtbaren erscheinet. Aber das soll mich doch nicht träge, nicht faul machen, für mein kleines Theil und so lange ich kann, mitzuwirken: daß solche gute Menschen nicht von jedem unnützen Namenchristen sich dürfen schänden lassen, und nicht der rohe Theil sich gegen sie nur immerhin seines nach Ländern und Provinzen so oder so gestempelten Bekenntnisses erhebe. Es ist die große Angelegenheit der Menschheit, sich dagegen zu setzen, und so ist es auch Beruf, selbst nach dem Evangelium, für alle Lehrer, mit auf diesen Endzweck ihre Bemühung zu richten.
Ein sehr hochzuschätzender Freund*) hat mich an eine Stelle aus LuthersVorrede zum Brief an die Römer erinnert, welche allen dergleichen Wörterbüchern zur Schutzwehr dienen kann; und so auch zum Beweise, daß ich wenigstens das Bedürfniß der Schriftleser gefühlt habe, wenn ich auch gleich ihm nur zum geringsten Theil abgeholfen hätte.
Berlin, am 17. April 1780.
*)Der auch als Schriftsteller gleich seinem sel.Hrn. Vater, um die protestantische Kirche hochverdiente Herr Sam. Gottfr.Sack, Erster Hofprediger etc.