|a157| Zweyter Abschnitt.
Philosophie.
166.
Man kan über alles
philosophiren, wovon sich erkennen läßt, wie es mit etwas anderm zusammenhängt (§.
2. ), es mag die Frage das
woher oder
wozu? Ursachen oder Mittel, Wirkungen oder Absichten, betreffen; und in so fern eine Disciplin innerlich zusammenhängt, findet Philosophie bey derselben statt; es kann eine Philosophie der Sprachen, der Geschichte, der Theologie und anderer Wissenschaften geben. Wenn aber
Philosophie eine besondere Wissenschaft seyn soll: so muß sie einen gewissen bestimmten Gegenstand haben, wodurch sie sich von andern Wissenschaften unterscheidet; und eben darüber, oder vielmehr über die Gränzen, die man ihr stecken soll, sind die Meinungen so sehr getheilt.Man kan über alles
philosophiren, wovon sich erkennen läßt, wie es mit etwas anderm zusammenhängt (§.
2. ), es mag die Frage das
woher oder
wozu? Ursachen oder Mittel, Wirkungen oder Absichten, betreffen; und in so fern eine Disciplin innerlich zusammenhängt, findet Philosophie bey derselben statt; es kann eine Philosophie der Sprachen, der Geschichte, der Theologie und anderer Wissenschaften geben. Wenn aber
Philosophie eine besondere Wissenschaft seyn soll: so muß sie einen gewissen bestimmten Gegenstand haben, wodurch sie sich von andern Wissenschaften unterscheidet; und eben darüber, oder vielmehr über die Gränzen, die man ihr stecken soll, sind die Meinungen so sehr getheilt.
- Sextus Empiricus im 7ten Buch wider die Logiker oder im ersten Buch περι φιλοσοφιας, gleich im Anfang.
- Alex. Gottl. Baumgarten Philosophia generalis, Halae 1770. 8.
- J. A. Eberhard von dem Begriffe der Philosophie und ihren Theilen, Berlin 1778. gr. 8.
|a158| 167.
Natürlich. Denn man hatte längst und viel philosophirt ehe man an eine besondere Wissenschaft dieses Namens dachte. Man hatte allmählich durch Beobachtung und Nachdenken über das menschliche Leben und Handlungen
*) , bey den sich stets aufdringenden Fragen:
woher und
wozu? das
Allgemeine und
Beständige, was sich bey mehreren einzlen Dingen und ihren steten Veränderungen wahrnehmen läßt, bemerkt und von andern Kenntnissen abgesondert, und war, nach dieser Absonderung, auf die
Natur der Dinge gekommen, aus der sich allein Rechenschaft geben ließ, wie eines mit dem andern zusammenhänge. So entstand nach und nach eine besondere Wissenschaft, die nur allgemeine und nothwendige Wahrheiten zum Gegenstand hatte, welche man hauptsächlich in Rücksicht auf den
Menschen und auf alles betrachtete, was in seine Beschaffenheit und Veränderungen einen Einfluß hatte, so wie diese ganze Wissenschaft aus der Betrachtung des Menschen und der gedachten Dinge geschöpft worden war. Wie sich indessen die Menge der gemachten Entdeckungen über die Natur der Dinge vervielfältigte, und man also für nöthig fand, selbst allgemeine und nothwendige Wahrheiten verschiedener Art von einander abzusondern, und sie in besondere Wissenschaften zu vertheilen; wie man bemerkte, daß es unter diesen allgemeinen und nothwendigen Wahrheiten einige gäbe, welche die Beschaffenheit, andere, welche das Maaß oder die Quantität der
|a159| Dinge beträfen, so sonderte man, nach diesem Unterschied, diese allgemeine Wahrheiten von einander ab, überließ das, was die Quantität anging, der
Mathematik, und behielt der
Philosophie bloß die allgemeine
Beschaffenheit der Dinge vor. Natürlich. Denn man hatte längst und viel philosophirt ehe man an eine besondere Wissenschaft dieses Namens dachte. Man hatte allmählich durch Beobachtung und Nachdenken über das menschliche Leben und Handlungen
*) , bey den sich stets aufdringenden Fragen:
woher und
wozu? das
Allgemeine und
Beständige, was sich bey mehreren einzlen Dingen und ihren steten Veränderungen wahrnehmen läßt, bemerkt und von andern Kenntnissen abgesondert, und war, nach dieser Absonderung, auf die
Natur der Dinge gekommen, aus der sich allein Rechenschaft geben ließ, wie eines mit dem andern zusammenhänge. So entstand nach und nach eine besondere Wissenschaft, die nur allgemeine und nothwendige Wahrheiten zum Gegenstand hatte, welche man hauptsächlich in Rücksicht auf den
Menschen und auf alles betrachtete, was in seine Beschaffenheit und Veränderungen einen Einfluß hatte, so wie diese ganze Wissenschaft aus der Betrachtung des Menschen und der gedachten Dinge geschöpft worden war. Wie sich indessen die Menge der gemachten Entdeckungen über die Natur der Dinge vervielfältigte, und man also für nöthig fand, selbst allgemeine und nothwendige Wahrheiten verschiedener Art von einander abzusondern, und sie in besondere Wissenschaften zu vertheilen; wie man bemerkte, daß es unter diesen allgemeinen und nothwendigen Wahrheiten einige gäbe, welche die Beschaffenheit, andere, welche das Maaß oder die Quantität der
|a159| Dinge beträfen, so sonderte man, nach diesem Unterschied, diese allgemeine Wahrheiten von einander ab, überließ das, was die Quantität anging, der
Mathematik, und behielt der
Philosophie bloß die allgemeine
Beschaffenheit der Dinge vor.
*) S. die schöne Stelle vom Ursprung des Namens der Philosophie bey Cicero Tuscul. Quaest. V, 3.
168.
Und auch so schien noch immer der Umfang der Philosophie zu groß; so wie man auf einer andern Seite fand, daß er sich noch mehr erweiterte, je nachdem man den Menschen, der doch eigentlich zu aller Philosophie Gelegenheit gegeben hatte, in verschiedenem Zusammenhange und allgemeinern Beziehungen betrachtete. Man bemerkte, daß er seinem einem Theil nach, in die Classe der Körper, dem andern nach aber, in die Classe der vorstellungsfähigen und verständigen Wesen gehörte; daß beyde Arten der Dinge, Körper und vorstellungsfähige Wesen oder Geister, zu eingeschränkten Wesen gehörten, die man zusammen Welt nennte; daß es auch ein uneingeschränktes Wesen, eine Gottheit, geben könte und sich ohne dieses das Daseyn der eingeschränkten und zufälligen Wesen nicht begreifen ließe; daß man bey der Seele des Menschen Vorstellungen und Neigungen unterscheiden könte, wovon jene das Wahre oder Falsche, diese das Gute oder Böse zum Gegenstand hätten; daß man eben sowohl die Natur von beyden untersuchen, als darnach Regeln be|a160|stimmen könte, das Wahre und Gute zu finden und auszuüben; daß man den Menschen vor sich und in natürlicher Verbindung mit verschiednen Arten von Gesellschaften betrachten könte. Je nachdem man dieses alles von einander unterschied, und jeder Art solcher allgemeinen Wahrheiten eine besondre Wissenschaft widmete: je nachdem mußten verschiedne Theile der Philosophie, und es mußte, weil man schon einmal gewisse Arten von allgemeinen Wahrheiten von eigentlicher Philosophie ausgeschlossen hatte, die Frage entstehen, ob nicht noch mehrere dergleichen Wahrheiten ganz von der Philosophie könten abgesondert und der Name der Philosophie nur auf einige Arten, und auf welche? eingeschränkt werden ?Und auch so schien noch immer der Umfang der Philosophie zu groß; so wie man auf einer andern Seite fand, daß er sich noch mehr erweiterte, je nachdem man den Menschen, der doch eigentlich zu aller Philosophie Gelegenheit gegeben hatte, in verschiedenem Zusammenhange und allgemeinern Beziehungen betrachtete. Man bemerkte, daß er seinem einem Theil nach, in die Classe der Körper, dem andern nach aber, in die Classe der vorstellungsfähigen und verständigen Wesen gehörte; daß beyde Arten der Dinge, Körper und vorstellungsfähige Wesen oder Geister, zu eingeschränkten Wesen gehörten, die man zusammen Welt nennte; daß es auch ein uneingeschränktes Wesen, eine Gottheit, geben könte und sich ohne dieses das Daseyn der eingeschränkten und zufälligen Wesen nicht begreifen ließe; daß man bey der Seele des Menschen Vorstellungen und Neigungen unterscheiden könte, wovon jene das Wahre oder Falsche, diese das Gute oder Böse zum Gegenstand hätten; daß man eben sowohl die Natur von beyden untersuchen, als darnach Regeln be|a160|stimmen könte, das Wahre und Gute zu finden und auszuüben; daß man den Menschen vor sich und in natürlicher Verbindung mit verschiednen Arten von Gesellschaften betrachten könte. Je nachdem man dieses alles von einander unterschied, und jeder Art solcher allgemeinen Wahrheiten eine besondre Wissenschaft widmete: je nachdem mußten verschiedne Theile der Philosophie, und es mußte, weil man schon einmal gewisse Arten von allgemeinen Wahrheiten von eigentlicher Philosophie ausgeschlossen hatte, die Frage entstehen, ob nicht noch mehrere dergleichen Wahrheiten ganz von der Philosophie könten abgesondert und der Name der Philosophie nur auf einige Arten, und auf welche? eingeschränkt werden ?
169.
Diese Verschiedenheit der Meinungen über den Begriff der Philosophie wird dadurch noch mehr befördert, daß einige nichts darin aufgenommen wissen wollen, als sogenannte reine Vernunfterkenntniß, oder nur diejenigen allgemeinen Begriffe, die die menschliche Seele aus sich selbst, aus der Betrachtung ihrer Eigenschaften und Veränderungen schöpfen kan, und was sich nach diesen Begriffen streng beweisen läßt. Hiedurch würde das Gebiet der Philosophie sehr beschränkt werden, und man müßte alsdann, – weil man doch Ursach hat, überall, wo sich nur Zusammenhang denken läßt, zu philosophiren, und weil die meisten so nützliche Kenntnisse der Natur keine solche Evidenz |a161| und strenge Herleitung allgemeiner Wahrheiten zulassen – wieder neue besondere Wissenschaften einführen, die denn doch größtentheils nur in der Methode von der eigentlichen Philosophie unterschieden wären; so wie noch immer die Frage ist, ob nicht zuletzt, wo nicht fast alles, doch das meiste, was man zur reinen Vernunftskenntniß rechnet, sich in bloß moralische Gewißheit auflöse.Diese Verschiedenheit der Meinungen über den Begriff der Philosophie wird dadurch noch mehr befördert, daß einige nichts darin aufgenommen wissen wollen, als sogenannte reine Vernunfterkenntniß, oder nur diejenigen allgemeinen Begriffe, die die menschliche Seele aus sich selbst, aus der Betrachtung ihrer Eigenschaften und Veränderungen schöpfen kan, und was sich nach diesen Begriffen streng beweisen läßt. Hiedurch würde das Gebiet der Philosophie sehr beschränkt werden, und man müßte alsdann, – weil man doch Ursach hat, überall, wo sich nur Zusammenhang denken läßt, zu philosophiren, und weil die meisten so nützliche Kenntnisse der Natur keine solche Evidenz |a161| und strenge Herleitung allgemeiner Wahrheiten zulassen – wieder neue besondere Wissenschaften einführen, die denn doch größtentheils nur in der Methode von der eigentlichen Philosophie unterschieden wären; so wie noch immer die Frage ist, ob nicht zuletzt, wo nicht fast alles, doch das meiste, was man zur reinen Vernunftskenntniß rechnet, sich in bloß moralische Gewißheit auflöse.
170.
Da nun der Sprachgebrauch über den Begriff der Philosophie nicht entscheidend ist, und in dem gegenwärtigen Buche die meiste Rücksicht auf die Gestalt der Wissenschaften genommen werden muß, wie sie unter uns und bey dem akademischen Studien genommen werden: so scheint es das sicherste, die Philosophie nach dem Umfang und Gränzen zu nehmen, die man ihr seit dem Ursprung der wolfischen Philosophie angewiesen hat; und sonach möchte die Erklärung oder, wenn man will, Beschreibung der Philosophie durch – die Wissenschaft der Natur oder der allgemeinen Eigenschaften der Dinge überhaupt, und der geistigen, hauptsächlich der menschlichen, insbesondere, – alle dazu gerechneten Theile und ihre allgemeine Absicht am bestimmtesten in sich fassen.Da nun der Sprachgebrauch über den Begriff der Philosophie nicht entscheidend ist, und in dem gegenwärtigen Buche die meiste Rücksicht auf die Gestalt der Wissenschaften genommen werden muß, wie sie unter uns und bey dem akademischen Studien genommen werden: so scheint es das sicherste, die Philosophie nach dem Umfang und Gränzen zu nehmen, die man ihr seit dem Ursprung der wolfischen Philosophie angewiesen hat; und sonach möchte die Erklärung oder, wenn man will, Beschreibung der Philosophie durch – die Wissenschaft der Natur oder der allgemeinen Eigenschaften der Dinge überhaupt, und der geistigen, hauptsächlich der menschlichen, insbesondere, – alle dazu gerechneten Theile und ihre allgemeine Absicht am bestimmtesten in sich fassen.
Hiedurch würde zugleich die sogenannte Naturwissenschaft oder Physik im engern Verstande, welche sich bloß mit Körpern beschäftigt, von der Philosophie, wie jetzt gemeiniglich geschieht, ausgeschlossen; obgleich die allgemeinsten Eigenschaften der Körper, oder was an ihnen |a162| unveränderlich ist, immer noch zur Philosophie gehören, und die Naturwissenschaft im weitern Verstande ausmachen.
171.
Der Nutzen der Philosophie ist augenscheinlich. Denn da sie uns über die Natur aller Dinge belehrt, da sie den rechten Gebrauch aller unsrer Kräfte zeigt, da sich endlich alle Fragen, über die sich etwas entscheidendes sagen läßt, in die allgemeinen Begriffe und Grundsätze auflösen, die sie enthält: so ist sie der Grund aller andern Wissenschaften, in welchen ohne sie keine deutliche Gewißheit statt findet. Mit Recht heißt sie daher die Königin aller Wissenschaften; und sie verachten, heißt, alle Vernunft und Sicherheit im Denken und Handeln verachten. Ihr vielfältiger Nutzen wird sich noch mehr bey ihren einzlen Theilen angeben lassen.Der Nutzen der Philosophie ist augenscheinlich. Denn da sie uns über die Natur aller Dinge belehrt, da sie den rechten Gebrauch aller unsrer Kräfte zeigt, da sich endlich alle Fragen, über die sich etwas entscheidendes sagen läßt, in die allgemeinen Begriffe und Grundsätze auflösen, die sie enthält: so ist sie der Grund aller andern Wissenschaften, in welchen ohne sie keine deutliche Gewißheit statt findet. Mit Recht heißt sie daher die Königin aller Wissenschaften; und sie verachten, heißt, alle Vernunft und Sicherheit im Denken und Handeln verachten. Ihr vielfältiger Nutzen wird sich noch mehr bey ihren einzlen Theilen angeben lassen.
172.
Man kann die Philosophie entweder nach den verschiedenen Gegenständen betrachten, mit welchen sie sich beschäftigt, oder nach der Art, wie darinn die Untersuchung derselben geschieht. – In jener (objectiven) Rücksicht theilt man sie in die theoretische oder, wie andere sagen, speculative, und in die praktische Philosophie. Denn, weil unsre Absicht bey aller Untersuchung und bey allem Gebrauche der Vernunft, Beförderung der menschlichen Glückseligkeit seyn muß, und die Philosophie eigentlich nur auf geistige Glückseligkeit abzielt, |a163| wozu die Kenntniß der Natur und besonders des Menschen gebraucht werden soll: so muß sie sowohl die Entdeckungen über die allgemeine natürliche Beschaffenheit der Dinge enthalten, als auch die Anwendung zur geistigen Glückseligkeit der Menschen zeigen; sie muß uns die Natur der Dinge kennen lehren und uns anweisen, wie wir der Natur folgen müssen.Man kann die Philosophie entweder nach den verschiedenen Gegenständen betrachten, mit welchen sie sich beschäftigt, oder nach der Art, wie darinn die Untersuchung derselben geschieht. – In jener (objectiven) Rücksicht theilt man sie in die theoretische oder, wie andere sagen, speculative, und in die praktische Philosophie. Denn, weil unsre Absicht bey aller Untersuchung und bey allem Gebrauche der Vernunft, Beförderung der menschlichen Glückseligkeit seyn muß, und die Philosophie eigentlich nur auf geistige Glückseligkeit abzielt, |a163| wozu die Kenntniß der Natur und besonders des Menschen gebraucht werden soll: so muß sie sowohl die Entdeckungen über die allgemeine natürliche Beschaffenheit der Dinge enthalten, als auch die Anwendung zur geistigen Glückseligkeit der Menschen zeigen; sie muß uns die Natur der Dinge kennen lehren und uns anweisen, wie wir der Natur folgen müssen.
Anm. 1. Die Zweydeutigkeit, die in den Worten geistige Glückseligkeit und Befolgung der Natur liegt, läßt es unentschieden, ob man diejenigen philosophischen Wissenschaften, die den Gebrauch unsrer Erkenntnißkräfte betreffen, zur theoretischen oder praktischen Philosophie rechnen solle. Eigentlich gehören sie zu der letztern, weil sie die rechte Anwendung der Erkenntnißkräfte zeigen, so wie die moralischen Wissenschaften die rechte Leitung unsers Willens. Weil man aber gewöhnlich nur die moralischen Wissenschaften zur praktischen Philosophie rechnet: so müßte man, wenn man sich an diesen Sprachgebrauch halten wollte, die Dialektik mehr mit den Alten für das Organon der Philosophie annehmen, und sie noch von beyden Arten der Philosophie unterscheiden.
Anm. 2. Nimmt man das was gut oder recht ist, als den Gegenstand des Willens an: so könnte man die moralischen Wissenschaften, wenn man auf sie die praktische Philosophie einschränken wollte, diejenigen nennen, welche sich mit dem, was nach der Natur gut oder recht ist, so wie die theoretischen die, welche sich mit dem, was nach der Natur wahr ist, beschäftigen.
|a164| 173.
Beyderley Philosophie muß unzertrennlich verbunden werden. Die praktische Philosophie ist ohne die theoretische unsicher und ungründlich; die theoretische ohne jene, kein Mittel zur menschlichen Glückseligkeit, und befriedigt bloß die Wißbegierde, die nicht einmal genugsamen Reitz hat, wenn sie nicht durch den zu hoffenden Einfluß des Gefundenen auf unsre Glückseligkeit immer zur Untersuchung ermuntert wird.Beyderley Philosophie muß unzertrennlich verbunden werden. Die praktische Philosophie ist ohne die theoretische unsicher und ungründlich; die theoretische ohne jene, kein Mittel zur menschlichen Glückseligkeit, und befriedigt bloß die Wißbegierde, die nicht einmal genugsamen Reitz hat, wenn sie nicht durch den zu hoffenden Einfluß des Gefundenen auf unsre Glückseligkeit immer zur Untersuchung ermuntert wird.
174.
Gemeiniglich pflegt man jetzt zu der
theoretischen Philosophie die
Logik, (
Vernunftlehre, Philosophiam rationalem) und die unter dem unbequemen Namen der
Metaphysik zusammengefaßten Wissenschaften zu rechnen, auch beyderley Wissenschaften mit dem Namen der Philosophiae primae zu belegen, weil sie bey den praktischen Wissenschaften zum Grunde liegen. Die erstre heißt auch, aus dem §.
172. Anm. 1. angegebnen Grunde, die
Instrumentalphilosophie.Gemeiniglich pflegt man jetzt zu der
theoretischen Philosophie die
Logik, (
Vernunftlehre, Philosophiam rationalem) und die unter dem unbequemen Namen der
Metaphysik zusammengefaßten Wissenschaften zu rechnen, auch beyderley Wissenschaften mit dem Namen der Philosophiae primae zu belegen, weil sie bey den praktischen Wissenschaften zum Grunde liegen. Die erstre heißt auch, aus dem §.
172. Anm. 1. angegebnen Grunde, die
Instrumentalphilosophie.
Zwar sollte diese Instrumentalphilosophie nicht bloß auf die Logik eingeschränkt werden. Denn, weil diese sich eigentlich nur mit Leitung des Verstandes oder der obern Kräfte der Seele beschäftigt, die untern Kräfte aber eben sowohl einer richtigen Leitung bedürfen, und der rechte Gebrauch von beyderley Seelenkräften nebst der Mittheilung unsrer Gedanken sehr vom richtigen Gebrauch der Sprache abhängt: so gehörte die Aesthetik und die allgemeine Grammatik mit eben so vielem Recht zur Instrumental|a165|philosophie. Aber die letzte ist noch nicht so bekannt, wie sie es verdiente, sie ist daher auch noch nicht zu den Rang einer besondern Wissenschaft erhoben worden. Und was man unter dem Namen der Aesthetik hat, schränkt sich auf Schönheit ein, ist Philosophie für die schönen Wissenschaften; nach dem Sprachgebrauch aber zählt man die strengern Wissenschaften zur eigentlichen Philosophie, und was die Leitung der untern Seelenkräfte zur Beförderung der Wahrheit angeht, wird, wie das wenige Allgemeine von Sprache, so weit beydes wissenschaftlich behandelt ist, in der Logik erwehnt, weil es bey rechten Gebrauch des Verstandes zur Grundlage dient.
175.
Die Logik ist eine Wissenschaft von dem rechten Gebrauch der Vernunft. Weil dieser aber richtige Empfindungen und deren rechten Gebrauch voraussetzt, und er sich, eben sowohl in Ueberzeugung Andrer von erkannter Wahrheit, als in Auffindung der Wahrheit selbst, äussert: so bekommt sie dadurch einen weitern Umfang, als es nach jenem Begriff scheinen möchte. Sie sollte demnach zeigen: wie wir zu verschiednen Arten von Begriffen gelangen, daraus Urtheile bilden, und daraus Schlüsse herleiten; wie wir Wahrheit finden, und sie von dem, was falsch ist, oder nur wahr scheint, unterscheiden; wie wir überhaupt das Erkannte richtig ausdrücken, und auch Andern die erkannte Wahrheit so mittheilen sollten, daß sie davon überzeugt, und von falschen oder blendenden Vorstellungen zurückgebracht würden. Sie sollte also auch die |a166| verschiednen Arten der menschlichen Erkenntniß, ihre guten Eigenschaften und Fehler vorstellen, die Ursachen von beyden entdecken und die Mittel angeben, wie jene erhalten und befördert, diese verhütet, gehoben, oder doch vermindert werden können.Die Logik ist eine Wissenschaft von dem rechten Gebrauch der Vernunft. Weil dieser aber richtige Empfindungen und deren rechten Gebrauch voraussetzt, und er sich, eben sowohl in Ueberzeugung Andrer von erkannter Wahrheit, als in Auffindung der Wahrheit selbst, äussert: so bekommt sie dadurch einen weitern Umfang, als es nach jenem Begriff scheinen möchte. Sie sollte demnach zeigen: wie wir zu verschiednen Arten von Begriffen gelangen, daraus Urtheile bilden, und daraus Schlüsse herleiten; wie wir Wahrheit finden, und sie von dem, was falsch ist, oder nur wahr scheint, unterscheiden; wie wir überhaupt das Erkannte richtig ausdrücken, und auch Andern die erkannte Wahrheit so mittheilen sollten, daß sie davon überzeugt, und von falschen oder blendenden Vorstellungen zurückgebracht würden. Sie sollte also auch die |a166| verschiednen Arten der menschlichen Erkenntniß, ihre guten Eigenschaften und Fehler vorstellen, die Ursachen von beyden entdecken und die Mittel angeben, wie jene erhalten und befördert, diese verhütet, gehoben, oder doch vermindert werden können.
176.
Ihr Nutzen ist sonach augenscheinlich, und man kan sie zu keiner Art gründlicher Kenntnisse in den Wissenschaften entbehren.
Wirft man ihr dagegen vor: – daß sie, wenigstens so wie wir sie in den gewöhnlichen Lehrbüchern haben, das nicht leiste was sie sollte; – daß sie hingegen mit vielen Spitzfindigkeiten und unnützen Dingen angefüllt sey; – daß sie nur Gelegenheit gebe, Armuth an Kenntnissen durch den Schein tieferer Einsichten zu bedecken; und – daß eine natürliche Logik weit mehr werth sey, als die kunstmäßige: so sollte man 1) so gerecht seyn und ihr das nicht zum Vorwurf machen, was man gegen alle menschliche Kenntniß und Wissenschaften sagen kan, daß sie eines steten Wachsthums
fähig sind, und nach und nach erst sich der Vollkommenheit nähern; sich eben diese Mängel dazu ermuntern lassen, ihre Gränzen und deren Cultur, wenn man es vermöchte, nach den weitaussehenden Begriffen zu erweitern, die man sich mit Recht von dem macht, was sie leisten sollte; und, könnte man dieses nicht selbst, wenigstens das dankbar brauchen, worin sie unsern Bedürfnissen zu Hülfe kommt.
|a167| 177.
Man sollte 2), zumal wenn man noch kaum selbst zu denken angefangen hat, sich sehr hüten, nichts als unnütz oder als leere Spitzfindigkeit zu verachten, ehe man nicht, durch lange Uebung und Aufmerksamkeit in genauer Untersuchung, den rechten Werth aller Bestimmungen und Regeln, die diese Wissenschaft giebt, schätzen gelernt hätte. Man würde ohnehin, bey mehrerer Bekanntschaft mit verschiedenen Schriftstellern, welche diese Wissenschaft bearbeitet haben, bald finden, daß manches nur durch die Bedürfnisse gewisser Zeiten nothwendig gemacht würde, und daß Vorwürfe überflüßiger Spitzfindigkeiten jene Schriftsteller nicht so treffen, wie andre sonst grosse Köpfe, die in der ersten Dämmerung dieser Wissenschaft eben bey zu angestrengten Blicken manchen Dunst für etwas Wirkliches ansahen, den ihre Nachfolger hätten für das ausgeben sollen, was es war, und es zum Theil auch wirklich gethan haben.Man sollte 2), zumal wenn man noch kaum selbst zu denken angefangen hat, sich sehr hüten, nichts als unnütz oder als leere Spitzfindigkeit zu verachten, ehe man nicht, durch lange Uebung und Aufmerksamkeit in genauer Untersuchung, den rechten Werth aller Bestimmungen und Regeln, die diese Wissenschaft giebt, schätzen gelernt hätte. Man würde ohnehin, bey mehrerer Bekanntschaft mit verschiedenen Schriftstellern, welche diese Wissenschaft bearbeitet haben, bald finden, daß manches nur durch die Bedürfnisse gewisser Zeiten nothwendig gemacht würde, und daß Vorwürfe überflüßiger Spitzfindigkeiten jene Schriftsteller nicht so treffen, wie andre sonst grosse Köpfe, die in der ersten Dämmerung dieser Wissenschaft eben bey zu angestrengten Blicken manchen Dunst für etwas Wirkliches ansahen, den ihre Nachfolger hätten für das ausgeben sollen, was es war, und es zum Theil auch wirklich gethan haben.
178.
Zur Decke armseliger Kenntnisse wird 3) niemand diese Wissenschaft brauchen, wer sie nur für das nimmt, wofür sie jeder Vernünftiger ausgiebt, für Werkzeug oder vielmehr für eine Wegweiserin auf dem dornichten Wege gründlicher Untersuchungen. Je mehr man seine Kenntnisse zu erweitern sucht, und je mehr man dadurch überzeugt wird, daß sich kein Werkzeug brauchen läßt, wo es an genugsamen Stoff fehlt, den man be|a168|arbeiten kan, und daß selbst eine lange achtsame Uebung dazu gehöre, um zu lernen, wo man gewisse Werkzeuge anwenden kan oder nicht: je weniger wird man in Versuchung seyn, diese schätzbare Wissenschaft am unrechten Orte oder gar als Spiel der Eitelkeit zu gebrauchen.Zur Decke armseliger Kenntnisse wird 3) niemand diese Wissenschaft brauchen, wer sie nur für das nimmt, wofür sie jeder Vernünftiger ausgiebt, für Werkzeug oder vielmehr für eine Wegweiserin auf dem dornichten Wege gründlicher Untersuchungen. Je mehr man seine Kenntnisse zu erweitern sucht, und je mehr man dadurch überzeugt wird, daß sich kein Werkzeug brauchen läßt, wo es an genugsamen Stoff fehlt, den man be|a168|arbeiten kan, und daß selbst eine lange achtsame Uebung dazu gehöre, um zu lernen, wo man gewisse Werkzeuge anwenden kan oder nicht: je weniger wird man in Versuchung seyn, diese schätzbare Wissenschaft am unrechten Orte oder gar als Spiel der Eitelkeit zu gebrauchen.
179.
Und wenn es gleich wahr ist, daß Kunst ohne Natur nichts vermag: so ist es doch 4) eben so wahr, daß Natur durch Kunst unterstützt, weiter kommen und sichrer gehen kan, als wenn sie dieser Unterstützung entbehren muß. Die Vernunftlehre als Kunst betrachtet, folgt keinen andern Regeln als die natürliche Logik. Aber diese verhält sich zu jener fast wie blosse Empfindung zu bedächtigem Nachdenken. Das letztere macht uns erst auf vieles aufmerksam, was wir sonst übersehen hätten; es berichtigt die Empfindung, die zu leicht in Gefahr ist Schein für Wirklichkeit zu nehmen; es führt mehr zu allgemeinen Sätzen, die untentbehrlich sind, wo man in ähnlichen Fällen ähnlich verfahren soll; es erspart uns also auch Umwege, und macht unsre Tritte sicherer.Und wenn es gleich wahr ist, daß Kunst ohne Natur nichts vermag: so ist es doch 4) eben so wahr, daß Natur durch Kunst unterstützt, weiter kommen und sichrer gehen kan, als wenn sie dieser Unterstützung entbehren muß. Die Vernunftlehre als Kunst betrachtet, folgt keinen andern Regeln als die natürliche Logik. Aber diese verhält sich zu jener fast wie blosse Empfindung zu bedächtigem Nachdenken. Das letztere macht uns erst auf vieles aufmerksam, was wir sonst übersehen hätten; es berichtigt die Empfindung, die zu leicht in Gefahr ist Schein für Wirklichkeit zu nehmen; es führt mehr zu allgemeinen Sätzen, die untentbehrlich sind, wo man in ähnlichen Fällen ähnlich verfahren soll; es erspart uns also auch Umwege, und macht unsre Tritte sicherer.
180.
Unter dem sehr zufälligen Namen der
Metaphysik begreift man nach dem jetzigen Zustand dieser Wissenschaft seitdem sie
Wolf bearbeitet hat, die
Ontologie, Kosmologie, Psychologie und die
natürliche Theologie. Warum man diese so
|a169| verschiedne Wissenschaften in Eine gezogen habe, läßt sich aus dem abnehmen, was oben §.
172 gesagt worden ist. Wird die Logik von der theoretischen Philosophie getrennt (§.
172 Anm. 1): so ist die Metaphysik eben das, was vorhin theoretische Philosophie hieß. Schwerlich wird man eine bestimmtere Erklärung von dieser Wissenschaft geben können; es sey denn, daß man die Philosophie in so enge Gränzen einschlösse
, als §.
169 erwähnt worden ist, oder nur das angeben wollte, worin sich alle Theile der Metaphysik vereinigen, nicht aber, wodurch sie sich zusammen von allen andern Wissenschaften unterscheiden. Um so nöthiger ist es, von jedem ihrer Theile besonders zu reden.Unter dem sehr zufälligen Namen der
Metaphysik begreift man nach dem jetzigen Zustand dieser Wissenschaft seitdem sie
Wolf bearbeitet hat, die
Ontologie, Kosmologie, Psychologie und die
natürliche Theologie. Warum man diese so
|a169| verschiedne Wissenschaften in Eine gezogen habe, läßt sich aus dem abnehmen, was oben §.
172 gesagt worden ist. Wird die Logik von der theoretischen Philosophie getrennt (§.
172 Anm. 1): so ist die Metaphysik eben das, was vorhin theoretische Philosophie hieß. Schwerlich wird man eine bestimmtere Erklärung von dieser Wissenschaft geben können; es sey denn, daß man die Philosophie in so enge Gränzen einschlösse
, als §.
169 erwähnt worden ist, oder nur das angeben wollte, worin sich alle Theile der Metaphysik vereinigen, nicht aber, wodurch sie sich zusammen von allen andern Wissenschaften unterscheiden. Um so nöthiger ist es, von jedem ihrer Theile besonders zu reden.
181.
Alles was ist, oder alle Dinge, haben manches, haben gewisse Eigenschaften, mit einander gemein. Wenn man diese von dem absondert, wordurch sich verschiedne Dinge von einander unterscheiden, und diese allgemeinen Eigenschaften sowohl, als die daraus fliessende allgemeine Sätze, in Eine Wissenschaft verbindet: so entsteht die Ontologie, (Philosophia prima) die daher, durch die Wissenschaft der allgemeinen Eigenschaften der Dinge und der daraus abzunehmenden allgemeinen Sätze, erklärt werden könnte.
So bald man Dinge vergleicht, um zu sehen was sie gemein haben, so setzt man voraus, daß sie verschieden sind, und aus ihrer Verschiedenheit entstehen Verhältnisse gegen einander. Da|a170|her gehört der Begriff der Verschiedenheit und des Verhältnisses, in so fern beydes allen Dingen zukommt, mit unter die allgemeinen Eigenschaften der Dinge, und die Ontologie muß daher von der allgemeinen Verschiedenheit der Dinge und den allgemeinen Verhältnissen derselben, die keinen andern Begriff als den von einem Dinge voraussetzen, eben sowohl als von dem handeln, was ganz eigentlich allen Dingen gemein ist.
182.
Weil also die Ontologie die allgemeinen Begriffe und Grundsätze enthält, die bey aller menschlichen Kenntniß zum Grunde liegen, daher sie auch die Grundwissenschaft heißt: so verdient sie mit Recht die Mutter aller Wissenschaften genannt zu werden. – Bey jeder recht sichern Erkenntniß müssen die Begriffe und Sätze so weit wieder in andre aufgelöset werden, bis man auf solche stößt, die keiner weitern Auflösung fähig oder bedürftig sind; sonst ist man in Gefahr durch Schein hintergangen zu werden; und es ist daher leicht zu begreifen, wie die Ontologie, welche dergleichen unauflösbare Begriffe und Sätze enthält, die Sicherheit der Erkenntniß begründe. – Je weiter Zweifel getrieben werden, je nöthiger wird es, um ihren Grund oder Ungrund zu entdecken, bis auf die einfachsten Begriffe und solche Sätze zurück zu gehen, die keines weitern Beweises bedürfen, und die eben den Inhalt der Ontologie ausmachen . – Und kommt es auf die Frage von Allgemeinheit eines Satzes an: so läßt sich die weder aus der |a171| Induction noch aus der Analogie, sondern bloß aus allgemeinen Begriffen darthun, dergleichen die Ontologie entweder enthält oder unterstützt. – Gewiß ists auch kein geringer Vortheil, den man von dieser Wissenschaft hat, daß man – ohne ihre Kenntniß nicht nur vieles nicht verstehen noch beurtheilen kan, was aus ihr in andre Wissenschaften, namentlich in die Theologie, übergetragen worden ist – sondern daß man auch eine Menge sehr bestimmter Begriffe, Sätze und Ausdrücke kennen lernt, die, eben wegen ihrer Allgemeinheit, einen grossen Einfluß auf alle wissenschaftliche Kenntniß haben.
183.
Zu verwundern ists indessen nicht, daß diese Wissenschaft so viele ungerechte Verachtung erfahren hat; da keine Wissenschaft von den gemeinnützigen Kenntnissen so weit entfernt liegt, und sich so weit auf die einfachsten Begriffe und Sätze zurück zieht, als diese; da die Wenigsten sich bis zu diesen feinsten und ganz unsinnlichen Vorstellungen zu erheben, Fähigkeit oder Geduld haben; und da manche ihrer Verehrer sich so sehr von anschauenden Vorstellungen entwöhnt, und, ohne sich um die Zwischenursachen zwischen diesen abgezogensten Sätzen und den sinnlichsten Erscheinungen, oder um andre Gegenstände der menschlichen Erkenntniß zu bekümmern, die grosse Lücke zwischen beyderley Gegenständen übersprungen, oder gar sich im Stande zu seyn eingebildet haben, über alles zu entscheiden, weil sie sich im Besitz einer Erkenntniß der allgemeinen |a172| Beschaffenheit aller Dinge zu seyn glaubten. Die Verachtung dieser Thoren berechtigt uns zu keiner Ungerechtigkeit gegen die Wissenschaft selbst.
184.
Wahr ists, man kan sich leicht in unfruchtbare Untersuchungen verlieren , wenn man entweder zu wenig Sachen kennt und zu wenig Stoff hat, aus welchen sich das Geistige abziehen läßt, oder nicht die Gränzen wahrnimmt, wo der menschliche Verstand stille stehen muß. Aber, wenn von der fortgesetzten Zergliederung gewisser Begriffe oder Sätze unsre Gemüthsruhe oder die weitre Entdeckung der Wahrheit abhängt; und wenn wir sowohl Fähigkeit als Data genug zur Untersuchung haben; wenn man zugleich immer die Regeln befolgt, die weiter unten über das vorsichtige und bescheidene Studium der Philosophie gegeben werden sollen: warum soll es unnütz und nicht sogar Pflicht seyn, auch die Begriffe und Sätze bey unsern Untersuchungen bis zu den ersten Grundstoffe, wohin wir dringen können, zu verfolgen?
185.
Auch muß man wenig mit dieser Wissenschaft und den Werth bestimmter Begriffe und Ausdrücke bekannt seyn, wenn man sie für nicht viel mehr als ein Wörterbuch hält und deswegen geringschätzt. Dies ist sie nicht, denn sie enthält auch die allgemeinsten Grundsätze der menschlichen Erkenntniß. |a173| Und, da sie eben die Begriffe aufklären muß, worin sich endlich alle andre auflösen lassen, hierauf aber die Deutlichkeit und Sicherheit der menschlichen Erkenntniß beruht: so ist ihr Verdienst um diese, eben durch diese sorgfältige Erklärung der Begriffe, unstreitig, und sie deswegen so wenig verächtlich, als diese Haupttugenden der Erkenntniß selbst; behagt aber denenjenigen nicht, die weder diese wichtigern Eigenschaften schätzen, noch sich über das Sinnliche erheben können. Wie wohl würde es um die menschliche Erkenntniß stehen, wenn sie sich immer auf so bestimmte Begriffe gründete, und man der Ontologie die Genauigkeit auch in dem Gebrauch der Wörter ablernte!Auch muß man wenig mit dieser Wissenschaft und den Werth bestimmter Begriffe und Ausdrücke bekannt seyn, wenn man sie für nicht viel mehr als ein Wörterbuch hält und deswegen geringschätzt. Dies ist sie nicht, denn sie enthält auch die allgemeinsten Grundsätze der menschlichen Erkenntniß. |a173| Und, da sie eben die Begriffe aufklären muß, worin sich endlich alle andre auflösen lassen, hierauf aber die Deutlichkeit und Sicherheit der menschlichen Erkenntniß beruht: so ist ihr Verdienst um diese, eben durch diese sorgfältige Erklärung der Begriffe, unstreitig, und sie deswegen so wenig verächtlich, als diese Haupttugenden der Erkenntniß selbst; behagt aber denenjenigen nicht, die weder diese wichtigern Eigenschaften schätzen, noch sich über das Sinnliche erheben können. Wie wohl würde es um die menschliche Erkenntniß stehen, wenn sie sich immer auf so bestimmte Begriffe gründete, und man der Ontologie die Genauigkeit auch in dem Gebrauch der Wörter ablernte!
186.
Weil in der Psychologie und natürlichen Theologie vieles nicht recht deutlich erklärt werden kan, wenn nicht der Begriff von der Welt, d. i. dem Inbegrif aller zu einem Ganzen vereinigten endlichen Dinge, die wirklich sind oder seyn könten, vorher entwickelt ist, und ihre Eigenschaften und Gesetze bestimmt sind: so fand Wolf für gut, dieses in eine besondere Wissenschaft zu ziehen, die daher den Nahmen der allgemeinen Kosmologie bekam, weil sie das, was allen Welten gemein seyn muß, und nicht, wie die besondere Kosmologie, nur das, was wir aus Beobachtung der wirklichen Welt erkennen, enthalten sollte. Ihr Nutzen ergiebt sich aus ihrem Verhältniß gegen die eben genannten beyden Theile der Metaphysik von Gott und der Seele des Menschen.Weil in der Psychologie und natürlichen Theologie vieles nicht recht deutlich erklärt werden kan, wenn nicht der Begriff von der Welt, d. i. dem Inbegrif aller zu einem Ganzen vereinigten endlichen Dinge, die wirklich sind oder seyn könten, vorher entwickelt ist, und ihre Eigenschaften und Gesetze bestimmt sind: so fand Wolf für gut, dieses in eine besondere Wissenschaft zu ziehen, die daher den Nahmen der allgemeinen Kosmologie bekam, weil sie das, was allen Welten gemein seyn muß, und nicht, wie die besondere Kosmologie, nur das, was wir aus Beobachtung der wirklichen Welt erkennen, enthalten sollte. Ihr Nutzen ergiebt sich aus ihrem Verhältniß gegen die eben genannten beyden Theile der Metaphysik von Gott und der Seele des Menschen.
|a174| 187.
Einen viel weit reichendern Nutzen würde die
Seelenlehre (Psychologie) selbst haben, da sich kein Theil der theoretischen Philosophie unsern Bedürfnissen näher andringt als sie . Zu ihrer Kenntniß kan man auf zwey Wegen gelangen. Man kan
zuerst die verschiedenen Veränderungen in der Seele beobachten, diese Beobachtungen sammlen, mit einander vergleichen, dadurch deutliche Begriffe davon gewinnen, ihre Kräfte, oder vielmehr die verschiednen Arten, wie sich die einzige Kraft der Seele äussert, und die allgemeinen Gesetze zu entdecken suchen, nach welchen unsre Seele bey jeder Art ihrer Wirkungen verfährt. So entstünde eine Naturgeschichte der Seele, welche man die
empirische
Seelenlehre nennt, weil sie aus der Erfahrung geschöpft worden ist. Hätte man jene Kräfte und Gesetze entdeckt, und gefunden, daß sich alle wahrgenommene verschiedene Kräfte derselben auf die einzige
Vorstellungskraft zurückbringen lassen: so könnte man
hernach wieder aus diesem Begriff und den entdeckten Gesetzen, nach welchen sie verfährt, neue Entdeckungen über die Seele herleiten und daraus eine Wissenschaft bilden, welche den Nahmen der
wissenschaftlichen oder
erklärenden Seelenlehre (Psychologiae rationalis) bekommt.Einen viel weit reichendern Nutzen würde die
Seelenlehre (Psychologie) selbst haben, da sich kein Theil der theoretischen Philosophie unsern Bedürfnissen näher andringt als sie . Zu ihrer Kenntniß kan man auf zwey Wegen gelangen. Man kan
zuerst die verschiedenen Veränderungen in der Seele beobachten, diese Beobachtungen sammlen, mit einander vergleichen, dadurch deutliche Begriffe davon gewinnen, ihre Kräfte, oder vielmehr die verschiednen Arten, wie sich die einzige Kraft der Seele äussert, und die allgemeinen Gesetze zu entdecken suchen, nach welchen unsre Seele bey jeder Art ihrer Wirkungen verfährt. So entstünde eine Naturgeschichte der Seele, welche man die
empirische
Seelenlehre nennt, weil sie aus der Erfahrung geschöpft worden ist. Hätte man jene Kräfte und Gesetze entdeckt, und gefunden, daß sich alle wahrgenommene verschiedene Kräfte derselben auf die einzige
Vorstellungskraft zurückbringen lassen: so könnte man
hernach wieder aus diesem Begriff und den entdeckten Gesetzen, nach welchen sie verfährt, neue Entdeckungen über die Seele herleiten und daraus eine Wissenschaft bilden, welche den Nahmen der
wissenschaftlichen oder
erklärenden Seelenlehre (Psychologiae rationalis) bekommt.
188.
Die Glückseligkeit des Menschen beruht auf der Kenntniß seiner selbst, seiner Kräfte, des Verhält|a175|nisses andrer Dinge gegen ihn, und der nützlichen oder schädlichen Wirkungen, welche aus dem verschiednen Gebrauch seiner Kräfte und dem Einfluß andrer Dinge in ihm entstehen. Diese Kenntniß belehrt ihn über das, was er zu seinem Besten vermag oder nicht; über seine Mängel und Fehler; über seine Fähigkeiten und Vorzüge; über die Mittel jenen vorzubauen, sie zu heben, zu vermindern oder ihnen doch die unschädlichste und vortheilhafteste Richtung zu geben, seine Fähigkeiten hingegen zu verstärken, wirksamer zu machen, und sie zur Erreichung seiner höchst möglichsten Vollkommenheit zu lenken; über den Werth aller Dinge für ihn, der anders nicht als nach ihrem mehrern oder mindern Einfluß auf seine Glückseligkeit bestimmt werden kan; endlich über die Mittel, alles ausser sich zu seinem Besten zu verwenden. – Alle unsre Kenntniß der Wahrheit und der wirklichen Beschaffenheit der Dinge sowohl, als die Verschiedenheit des Grades von Deutlichkeit, Gewißheit und Wirksamkeit gewisser Begriffe und Sätze, gründet sich auf die besondre Beschaffenheit unsrer Seele, auf die Gesetze unsers Denkens und Wollens, und auf die grössere oder geringere Fähigkeit, nach denselben unsre Seelenkräfte zu gebrauchen. In so fern hängen alle theoretische und praktische Wissenschaften von nichts so sehr ab, als von der rechten Bekanntschaft mit unser Seele; diejenigen am meisten, die sich mit dem Menschen und dessen Regierung, mit Beförderung seiner Gemüthsruhe und seiner Besserung beschäftigen. – Für den Lehrer der Religion insbesondre, der eben durch die Religion andre, |a176| ihren Fähigkeiten und Bedürfnissen nach, aufs weiseste leiten soll, ist sie ganz vorzüglich nöthig, wenn er diese wohlthätige Absicht, wozu er arbeiten muß, erreichen will.Die Glückseligkeit des Menschen beruht auf der Kenntniß seiner selbst, seiner Kräfte, des Verhält|a175|nisses andrer Dinge gegen ihn, und der nützlichen oder schädlichen Wirkungen, welche aus dem verschiednen Gebrauch seiner Kräfte und dem Einfluß andrer Dinge in ihm entstehen. Diese Kenntniß belehrt ihn über das, was er zu seinem Besten vermag oder nicht; über seine Mängel und Fehler; über seine Fähigkeiten und Vorzüge; über die Mittel jenen vorzubauen, sie zu heben, zu vermindern oder ihnen doch die unschädlichste und vortheilhafteste Richtung zu geben, seine Fähigkeiten hingegen zu verstärken, wirksamer zu machen, und sie zur Erreichung seiner höchst möglichsten Vollkommenheit zu lenken; über den Werth aller Dinge für ihn, der anders nicht als nach ihrem mehrern oder mindern Einfluß auf seine Glückseligkeit bestimmt werden kan; endlich über die Mittel, alles ausser sich zu seinem Besten zu verwenden. – Alle unsre Kenntniß der Wahrheit und der wirklichen Beschaffenheit der Dinge sowohl, als die Verschiedenheit des Grades von Deutlichkeit, Gewißheit und Wirksamkeit gewisser Begriffe und Sätze, gründet sich auf die besondre Beschaffenheit unsrer Seele, auf die Gesetze unsers Denkens und Wollens, und auf die grössere oder geringere Fähigkeit, nach denselben unsre Seelenkräfte zu gebrauchen. In so fern hängen alle theoretische und praktische Wissenschaften von nichts so sehr ab, als von der rechten Bekanntschaft mit unser Seele; diejenigen am meisten, die sich mit dem Menschen und dessen Regierung, mit Beförderung seiner Gemüthsruhe und seiner Besserung beschäftigen. – Für den Lehrer der Religion insbesondre, der eben durch die Religion andre, |a176| ihren Fähigkeiten und Bedürfnissen nach, aufs weiseste leiten soll, ist sie ganz vorzüglich nöthig, wenn er diese wohlthätige Absicht, wozu er arbeiten muß, erreichen will.
189.
Um so mehr muß man stets darnach trachten, die Schwierigkeiten zu überwinden, die sich bey Erforschung der menschlichen Seele in den Weg legen, und eben deswegen sie auch kennen zu lernen suchen; zumahl – da der Mensch gemeiniglich in dem Wahn steht, nichts besser als sich selbst zu kennen, – da die Einbildung, ein Menschenkenner zu seyn, immer weiter und am meisten bey denen um sich greift, die sichs bewußt sind daß sie wenig Kenntniß der Dinge ausser den Menschen besitzen, – und da die, welche am ersten Gelegenheit und Aufforderung hätten, Menschen kennen zu lernen, d. i. die, welche sich mit dem praktischen Leben und mit gleich anwendbaren Untersuchungen beschäftigen, mehrentheils nicht die Geduld haben, erst die Erfahrungen zu zergliedern oder zu läutern, und zu sehr gewohnt sind alles, was sie beobachtet haben, gleich anzuwenden, als daß sie sich nicht mit oben abgeschöpften, einseitigen und halbwahren Beobachtungen begnügen sollten.Um so mehr muß man stets darnach trachten, die Schwierigkeiten zu überwinden, die sich bey Erforschung der menschlichen Seele in den Weg legen, und eben deswegen sie auch kennen zu lernen suchen; zumahl – da der Mensch gemeiniglich in dem Wahn steht, nichts besser als sich selbst zu kennen, – da die Einbildung, ein Menschenkenner zu seyn, immer weiter und am meisten bey denen um sich greift, die sichs bewußt sind daß sie wenig Kenntniß der Dinge ausser den Menschen besitzen, – und da die, welche am ersten Gelegenheit und Aufforderung hätten, Menschen kennen zu lernen, d. i. die, welche sich mit dem praktischen Leben und mit gleich anwendbaren Untersuchungen beschäftigen, mehrentheils nicht die Geduld haben, erst die Erfahrungen zu zergliedern oder zu läutern, und zu sehr gewohnt sind alles, was sie beobachtet haben, gleich anzuwenden, als daß sie sich nicht mit oben abgeschöpften, einseitigen und halbwahren Beobachtungen begnügen sollten.
190.
Diese Schwierigkeiten zeigen sich entweder bey der Beobachtung selbst, oder bey ihrer Ent|a177|wickelung und Anwendung. Zu jener Art gehört unter andern: – daß entweder gewisse Veränderungen unsrer Seele zu selten und zu unerwartet sind, als daß man sie anhaltend und wiederholt beobachten könnte, zumal da sie eben wegen des Ausserordentlichen mehr betäuben, als ein stilles und bedächtiges Anschauen erlauben, oder zu gewöhnlich, als daß sie unsre Aufmerksamkeit genug reitzten; – daß viele Veränderungen und Zustände unsrer Seele sich kaum beobachten lassen, weil es uns entweder zu der Zeit, wo sie vorgehen und da sind, am Bewußtseyn, wenigstens am deutlichen Bewußtseyn, fehlt, oder weil sie so schnell auf einander folgen, vorübergehn, und unter einander abwechseln, daß man sie nicht genug festfassen kan, oder weil selbst durch die angestrengte Aufmerksamkeit ihr Zusammenhang oder doch die Bemerkung desselben unterbrochen wird; – daß insbesondre die dunkeln Vorstellungen der Seele, und alle dadurch bestimmte Neigungen und Abweichungen, sowohl als ihr Zusammenhang mit dem Körper, so ganz oder zum Theil im Dunkeln liegen, und eine so unsichtbare Gewalt über andere Vorstellungen ausüben, daß sich weder sie selbst, noch ihr Zusammenfluß, noch ihre wechselseitig mitgetheilte Stärke, noch die Gesetze, wonach die Seele dabey wirkt, entdecken lassen; – daß endlich bey den Veränderungen der Seele so viele und oft ganz kleine und unmerkbare Ursachen zusammen kommen und in einander fliessen, die sich unserm Blick entziehen, und die keine Scheidungskunst völlig sondern kan.Diese Schwierigkeiten zeigen sich entweder bey der Beobachtung selbst, oder bey ihrer Ent|a177|wickelung und Anwendung. Zu jener Art gehört unter andern: – daß entweder gewisse Veränderungen unsrer Seele zu selten und zu unerwartet sind, als daß man sie anhaltend und wiederholt beobachten könnte, zumal da sie eben wegen des Ausserordentlichen mehr betäuben, als ein stilles und bedächtiges Anschauen erlauben, oder zu gewöhnlich, als daß sie unsre Aufmerksamkeit genug reitzten; – daß viele Veränderungen und Zustände unsrer Seele sich kaum beobachten lassen, weil es uns entweder zu der Zeit, wo sie vorgehen und da sind, am Bewußtseyn, wenigstens am deutlichen Bewußtseyn, fehlt, oder weil sie so schnell auf einander folgen, vorübergehn, und unter einander abwechseln, daß man sie nicht genug festfassen kan, oder weil selbst durch die angestrengte Aufmerksamkeit ihr Zusammenhang oder doch die Bemerkung desselben unterbrochen wird; – daß insbesondre die dunkeln Vorstellungen der Seele, und alle dadurch bestimmte Neigungen und Abweichungen, sowohl als ihr Zusammenhang mit dem Körper, so ganz oder zum Theil im Dunkeln liegen, und eine so unsichtbare Gewalt über andere Vorstellungen ausüben, daß sich weder sie selbst, noch ihr Zusammenfluß, noch ihre wechselseitig mitgetheilte Stärke, noch die Gesetze, wonach die Seele dabey wirkt, entdecken lassen; – daß endlich bey den Veränderungen der Seele so viele und oft ganz kleine und unmerkbare Ursachen zusammen kommen und in einander fliessen, die sich unserm Blick entziehen, und die keine Scheidungskunst völlig sondern kan.
|a178| 191.
Liesse sich aber auch dieses aufs Reine bringen, und man hätte allen Stoff von Wahrnehmungen beysammen, der nur noch verarbeitet, und denn gebraucht werden dürfte: so würden wieder bey dieser Behandlung des Gesammleten neue Schwierigkeiten entstehen. – Sind uns alle bey einer Veränderung der Seele zusammenstoßende Umstände, wenn wir sie auch kennen gelernt hätten, bey der einzeln Betrachtung und bey der nachmaligen Wiederzusammensetzung gleich gegenwärtig? selbst nach ihrem Unterschied, nach ihrem wechselseitigen Einfluß, nach ihrem eingeschränkten Beytrag zur Hervorbringung einer bestimmten Wirkung? und lassen sich die einzlen verschlungenen Fäden so aus einander wickeln, daß nicht dadurch das Ganze zerrissen, oder die Einsicht in die Totalwirkung vertilgt wird? – Läßt sich da, wo alles nach mechanischen Gesetzen zu erfolgen scheint, und nichts von der eignen Mitwirkung der Seele bemerkt wird, auch die Thätigkeit der Seele dabey leugnen? – Läßt sich auch bey einer Menge von gleichscheinenden Fällen abnehmen, was bey den Ursachen und Wirkungen einer Veränderung wesentlich, und was bloß zufällig sey? – wie weit man allgemeine Schlüsse daraus ziehen könne?Liesse sich aber auch dieses aufs Reine bringen, und man hätte allen Stoff von Wahrnehmungen beysammen, der nur noch verarbeitet, und denn gebraucht werden dürfte: so würden wieder bey dieser Behandlung des Gesammleten neue Schwierigkeiten entstehen. – Sind uns alle bey einer Veränderung der Seele zusammenstoßende Umstände, wenn wir sie auch kennen gelernt hätten, bey der einzeln Betrachtung und bey der nachmaligen Wiederzusammensetzung gleich gegenwärtig? selbst nach ihrem Unterschied, nach ihrem wechselseitigen Einfluß, nach ihrem eingeschränkten Beytrag zur Hervorbringung einer bestimmten Wirkung? und lassen sich die einzlen verschlungenen Fäden so aus einander wickeln, daß nicht dadurch das Ganze zerrissen, oder die Einsicht in die Totalwirkung vertilgt wird? – Läßt sich da, wo alles nach mechanischen Gesetzen zu erfolgen scheint, und nichts von der eignen Mitwirkung der Seele bemerkt wird, auch die Thätigkeit der Seele dabey leugnen? – Läßt sich auch bey einer Menge von gleichscheinenden Fällen abnehmen, was bey den Ursachen und Wirkungen einer Veränderung wesentlich, und was bloß zufällig sey? – wie weit man allgemeine Schlüsse daraus ziehen könne?
192.
Mit alle dem müssen uns diese Schwierigkeiten nicht muthlos machen; es ist doch ein grosser Gewinnst, wonach wir ringen, und schon der bisherige, |a179| selbst die Erwartung bey so grossen Schwierigkeiten übersteigende, glückliche Fortgang solcher Untersuchungen muß uns ermuntern. Je mehr man der Natur auflauren, und ihr bey verschiednen Menschen, in sehr verschiednen Lagen, besonders in noch ungebildeten Kinderseelen, nachspüren wird; je mehr der Reichthum, die Bestimmtheit und die wirklich philosophische Behandlung der Wissenschaften überhaupt, besonders der Physiologie, der Vernunftlehre, und, was hier am meisten übersehen wird, der Sprachen und ihrer allmähligen Bildung, zunehmen wird; je mehr die, welche sich mit Menschenkenntniß abgeben wollen, sich zur anhaltenden Aufmerksamkeit, zur langsamen, bedächtigen und geduldigen Untersuchung sowohl, als zur Fürsichtigkeit und Bescheidenheit gewöhnen; und je mehrere auf diese Art an der Erweiterung der Seelenlehre arbeiten: je ein weiteres Feld wird sie gewinnen, und je sicherer ihr Eigenthum werden.Mit alle dem müssen uns diese Schwierigkeiten nicht muthlos machen; es ist doch ein grosser Gewinnst, wonach wir ringen, und schon der bisherige, |a179| selbst die Erwartung bey so grossen Schwierigkeiten übersteigende, glückliche Fortgang solcher Untersuchungen muß uns ermuntern. Je mehr man der Natur auflauren, und ihr bey verschiednen Menschen, in sehr verschiednen Lagen, besonders in noch ungebildeten Kinderseelen, nachspüren wird; je mehr der Reichthum, die Bestimmtheit und die wirklich philosophische Behandlung der Wissenschaften überhaupt, besonders der Physiologie, der Vernunftlehre, und, was hier am meisten übersehen wird, der Sprachen und ihrer allmähligen Bildung, zunehmen wird; je mehr die, welche sich mit Menschenkenntniß abgeben wollen, sich zur anhaltenden Aufmerksamkeit, zur langsamen, bedächtigen und geduldigen Untersuchung sowohl, als zur Fürsichtigkeit und Bescheidenheit gewöhnen; und je mehrere auf diese Art an der Erweiterung der Seelenlehre arbeiten: je ein weiteres Feld wird sie gewinnen, und je sicherer ihr Eigenthum werden.
193.
Ein guter Theil der Mängel und Schwierigkeiten in der Seelenlehre kan durch die Art der Behandlung gehoben werden, die in der
erklärenden Psychologie (§.
187. ) herrscht, und diese dadurch von der empirischen
unterscheidet. Denn da sie die Veränderungen der Seele aus dem mit Hülfe ontologischer Grundsätze entdeckten Begrif der Seele und den Gesetzen der Vorstellungskraft erklärt: so ersetzt sie nicht nur die Kenntnisse, die sich nicht aus der Erfahrung ableiten lassen z. B.
|a180| die, welche ihr künftiges Schicksal betreffen: sondern sie setzt auch das, was die Beobachtung entdeckt, mehr ausser Zweifel, bestimmt die Allgemeinheit desselben, und verwandelt dadurch die Seelenlehre in eine eigentliche Wissenschaft . Freylich ist selbst der Begrif der Seele erst aus Beobachtungen abgeleitet, und es läßt sich nichts bearbeiten, wo kein Stoff dazu vorhanden ist, den die Beobachtung giebt; es läßt sich auch nicht leugnen, daß man diese letztre, zumal ehedem, zu wenig brauchte, und daß man leicht in Versuchung kommen kan, das, was an bewährten Grundsätzen abgeht, durch Hypothesen zu ersetzen, oder die grosse Kluft zwischen den höhern Grundsätzen und einzeln Veränderungen der Seele zu überspringen. Aber diese Fehler sind doch vermeidlich, die wohlthätige Einschränkung und Leitung der Phantasie durch jene höhere Grundsätze doch unleugbar, und die Verbindung der Beobachtung mit deren Läuterung durch allgemeine Grundsätze kan nicht anders als beyden sehr vortheilhaft seyn.Ein guter Theil der Mängel und Schwierigkeiten in der Seelenlehre kan durch die Art der Behandlung gehoben werden, die in der
erklärenden Psychologie (§.
187. ) herrscht, und diese dadurch von der empirischen
unterscheidet. Denn da sie die Veränderungen der Seele aus dem mit Hülfe ontologischer Grundsätze entdeckten Begrif der Seele und den Gesetzen der Vorstellungskraft erklärt: so ersetzt sie nicht nur die Kenntnisse, die sich nicht aus der Erfahrung ableiten lassen z. B.
|a180| die, welche ihr künftiges Schicksal betreffen: sondern sie setzt auch das, was die Beobachtung entdeckt, mehr ausser Zweifel, bestimmt die Allgemeinheit desselben, und verwandelt dadurch die Seelenlehre in eine eigentliche Wissenschaft . Freylich ist selbst der Begrif der Seele erst aus Beobachtungen abgeleitet, und es läßt sich nichts bearbeiten, wo kein Stoff dazu vorhanden ist, den die Beobachtung giebt; es läßt sich auch nicht leugnen, daß man diese letztre, zumal ehedem, zu wenig brauchte, und daß man leicht in Versuchung kommen kan, das, was an bewährten Grundsätzen abgeht, durch Hypothesen zu ersetzen, oder die grosse Kluft zwischen den höhern Grundsätzen und einzeln Veränderungen der Seele zu überspringen. Aber diese Fehler sind doch vermeidlich, die wohlthätige Einschränkung und Leitung der Phantasie durch jene höhere Grundsätze doch unleugbar, und die Verbindung der Beobachtung mit deren Läuterung durch allgemeine Grundsätze kan nicht anders als beyden sehr vortheilhaft seyn.
Einer besondern Wissenschaft unter den Namen der Geisterlehre (Pnevmatica, Pnevmatologia,) bedarf es nicht; es wäre auch sehr unzeitig, daran zu denken. Nur von Gott und unsrer Seele können wir einiges zuverläßig wissen; von andern läßt sich weder aus dem Begrif eines Geistes, noch aus ihren Wirkungen, noch anderwärtsher etwas Bestimmtes oder Zuverläßiges erkennen, und wir haben bey den Lücken und Dunkelheiten der Seelenlehre hohe Ursach, sie nicht durch Schwärmerey noch mehr verdunkeln zu lassen.
|a181| 194.
Unausprechlich wichtig ist der letzte Theil der Metaphysik, der unter dem Namen der natürlichen Theologie bekannt ist, und, im weitern Verstande genommen, alles in sich faßt, was von Gott oder dem allervollkommensten Wesen aus der Natur erkannt werden kan. – Giebt es einen solchen Gott, so hängt alles, so hängt auch alle unsre Glückseligkeit von ihm ab, sie mag auch mit zum Theil von unsern freyen Entschliessungen und Handlungen oder von seinem Willen, ohne Dazwischenkunft unsers Willens, abhängen. Im letztern Fall gründet sich unsre Gewißheit von unserm höchst möglichen Glück und die daraus fliessende wahre Gemüthsruhe lediglich darauf, daß ein solches Wesen vorhanden sey, welches alle unsre Bedürfnisse, alle Arten des Glücks und Elendes, alle Mittel, jenes zu bewirken und dieses abzuwenden, kenne, alles zu bewirken vermöge, und nur das Beste und für uns Heilsamste bewirken wolle. Im erstern Fall aber, darauf, daß die Entschliessung und das Betragen, welches in unsrer Gewalt steht, Gottes Willen allezeit entspreche, daß wir also auch dieses göttlichen Willens kundig seyn, nicht nur in sofern, als er an uns befolgt werden soll, sondern auch, sofern wir die seligsten Folgen davon, oder das uns vortheilhafteste Verhalten Gottes gegen uns ohnfehlbar erwarten können; wer Gott dienen will, der muß glauben, daß er sey, und daß er denen, die sich nach ihm richten, ein Vergelter seyn werde, Ebr. 11, 11. – Wenn denn auch |a182| das, was wir von Gott wissen können, nicht bloß aus der Natur erkennbar wäre, sondern auf einer nähern Offenbarung beruhen sollte: so müßte doch erst zuverläßig bekannt seyn, daß, was wir für die letztere halten, wirklich von Gott geoffenbart, nicht nur dem, was wir aus der Natur von Gott wissen, nicht widerspreche, sondern dem auch gemäß sey. Wer also die natürliche Erkenntniß Gottes heruntersetzt und verdächtig macht, oder dagegen gleichgültig ist: der untergräbt ohne sein Denken selbst die Zuverläßigkeit der Offenbarung, oder beraubt sich oder Andre, wenigstens da, wo es zweifelhaft wird, ob etwas eine göttliche Offenbarung sey, oder ob sie eine gewisse Entscheidung enthalte, der so nöthigen Gewißheit von der Erkenntniß Gottes.Unausprechlich wichtig ist der letzte Theil der Metaphysik, der unter dem Namen der natürlichen Theologie bekannt ist, und, im weitern Verstande genommen, alles in sich faßt, was von Gott oder dem allervollkommensten Wesen aus der Natur erkannt werden kan. – Giebt es einen solchen Gott, so hängt alles, so hängt auch alle unsre Glückseligkeit von ihm ab, sie mag auch mit zum Theil von unsern freyen Entschliessungen und Handlungen oder von seinem Willen, ohne Dazwischenkunft unsers Willens, abhängen. Im letztern Fall gründet sich unsre Gewißheit von unserm höchst möglichen Glück und die daraus fliessende wahre Gemüthsruhe lediglich darauf, daß ein solches Wesen vorhanden sey, welches alle unsre Bedürfnisse, alle Arten des Glücks und Elendes, alle Mittel, jenes zu bewirken und dieses abzuwenden, kenne, alles zu bewirken vermöge, und nur das Beste und für uns Heilsamste bewirken wolle. Im erstern Fall aber, darauf, daß die Entschliessung und das Betragen, welches in unsrer Gewalt steht, Gottes Willen allezeit entspreche, daß wir also auch dieses göttlichen Willens kundig seyn, nicht nur in sofern, als er an uns befolgt werden soll, sondern auch, sofern wir die seligsten Folgen davon, oder das uns vortheilhafteste Verhalten Gottes gegen uns ohnfehlbar erwarten können; wer Gott dienen will, der muß glauben, daß er sey, und daß er denen, die sich nach ihm richten, ein Vergelter seyn werde, Ebr. 11, 11. – Wenn denn auch |a182| das, was wir von Gott wissen können, nicht bloß aus der Natur erkennbar wäre, sondern auf einer nähern Offenbarung beruhen sollte: so müßte doch erst zuverläßig bekannt seyn, daß, was wir für die letztere halten, wirklich von Gott geoffenbart, nicht nur dem, was wir aus der Natur von Gott wissen, nicht widerspreche, sondern dem auch gemäß sey. Wer also die natürliche Erkenntniß Gottes heruntersetzt und verdächtig macht, oder dagegen gleichgültig ist: der untergräbt ohne sein Denken selbst die Zuverläßigkeit der Offenbarung, oder beraubt sich oder Andre, wenigstens da, wo es zweifelhaft wird, ob etwas eine göttliche Offenbarung sey, oder ob sie eine gewisse Entscheidung enthalte, der so nöthigen Gewißheit von der Erkenntniß Gottes.
195.
Diese Gewißheit ist von zweyerley Art, und danach kan man auch eine zwiefache Art der natürlichen Theologie annehmen. Die eine beruht bloß auf übersinnlichen Begriffen, auf nothwendig wahren Sätzen. Diese ist die natürliche Theologie im engsten Verstande, und gehört ganz eigentlich, als ein Theil, zur Metaphysik. Sie entwickelt den Begriff von Gott aus dem Begriff eines Wesens (Dinges) und Geistes, und setzt ihn aus allen Realitäten, die ihn in beyderley Absicht zukommen, zusammen: schließt alsdenn aus diesem Begriff der höchsten Vollkommenheit, oder aus der Zufälligkeit jedes andern Dinges, wenigstens aus unsrer eignen |a183| Wirklichkeit, daß ein allervollkommenstes Wesen nothwendig wirklich seyn müsse; und leitet daraus die einzlen Eigenschaften Gottes, und alles andre von Gott, her, was aus denselben nothwendig gefolgert werden kan.Diese Gewißheit ist von zweyerley Art, und danach kan man auch eine zwiefache Art der natürlichen Theologie annehmen. Die eine beruht bloß auf übersinnlichen Begriffen, auf nothwendig wahren Sätzen. Diese ist die natürliche Theologie im engsten Verstande, und gehört ganz eigentlich, als ein Theil, zur Metaphysik. Sie entwickelt den Begriff von Gott aus dem Begriff eines Wesens (Dinges) und Geistes, und setzt ihn aus allen Realitäten, die ihn in beyderley Absicht zukommen, zusammen: schließt alsdenn aus diesem Begriff der höchsten Vollkommenheit, oder aus der Zufälligkeit jedes andern Dinges, wenigstens aus unsrer eignen |a183| Wirklichkeit, daß ein allervollkommenstes Wesen nothwendig wirklich seyn müsse; und leitet daraus die einzlen Eigenschaften Gottes, und alles andre von Gott, her, was aus denselben nothwendig gefolgert werden kan.
196.
Zwar ist diese Wissenschaft so wenig für jeden zur Ueberzeugung von Gott nothwendig, so wenig jeder fähig ist, sich zu so reinen Begriffen zu erheben; sie wird auch nur Wenigen eine praktische Ueberzeugung gewähren, die doch zu einer solchen Erkenntniß, wie die von Gott ist, welche auch zu unserm rechten Betragen gegen Gott kräftig und wirksam seyn muß, erfordert wird. Aber sie ist allein einer eigentlichen Evidenz fähig, und daher für den nöthig, der seine Ueberzeugung von Gott aufs unerschütterlichste sichern will, oder der mit feinen und verwickelten Zweifeln zu kämpfen hat; und so schätzbar, ja in ihrer Art vorzüglich, andere nicht so demonstrative Beweisarten für Gottes Wirklichkeit und Eigenschaften sind: so unentbehrlich ist doch diese, wo Wirklichkeit eines allervollkommensten Wesens und die unumschränktesten Eigenschaften desselben ausser Zweifel gesetzt werden sollen.Zwar ist diese Wissenschaft so wenig für jeden zur Ueberzeugung von Gott nothwendig, so wenig jeder fähig ist, sich zu so reinen Begriffen zu erheben; sie wird auch nur Wenigen eine praktische Ueberzeugung gewähren, die doch zu einer solchen Erkenntniß, wie die von Gott ist, welche auch zu unserm rechten Betragen gegen Gott kräftig und wirksam seyn muß, erfordert wird. Aber sie ist allein einer eigentlichen Evidenz fähig, und daher für den nöthig, der seine Ueberzeugung von Gott aufs unerschütterlichste sichern will, oder der mit feinen und verwickelten Zweifeln zu kämpfen hat; und so schätzbar, ja in ihrer Art vorzüglich, andere nicht so demonstrative Beweisarten für Gottes Wirklichkeit und Eigenschaften sind: so unentbehrlich ist doch diese, wo Wirklichkeit eines allervollkommensten Wesens und die unumschränktesten Eigenschaften desselben ausser Zweifel gesetzt werden sollen.
- Abhandlung über die Evidenz in metaphysichen Wissenschaften, von Moses Mendelsohn, Berlin 1764. in 4. dritter Abschnitt.
- Vorbereitung zur natürlichen Theologie, von J. A. Eberhard, Halle 1781. 8.
|a184| 197.
Indessen muß man ja die
andre Art, durch die Natur zur Erkenntniß Gottes zu gelangen (§.
185. ), welche nicht aus vorausgesetzten nothwendigen Begriffen, oder durch keine nothwendige Schlüsse folgert, und nur eine moralische Gewißheit gewährt, besonders die Beweisarten aus der unleugbaren Ordnung und Absichten in der Natur, nicht nur nicht gering achten, sondern sie auch immer mehr aufzuklären und zu benutzen suchen. – Alle Erkenntniß ist doch nur in sofern nützlich, als sie uns mehr Kräfte und Ermunterung, Gutes zu thun und zufrieden zu seyn, giebt, und dadurch unsre und Andrer Glückseligkeit erweitert und befestigt; die Erkenntniß Gottes ist daher auch nur in dem Grade etwas werth, in welchem sie uns tiefe Ehrfurcht, herzliche Liebe, Vertrauen, Folgsamkeit gegen ihn, Eifer, ihn nachzuahmen und seine allezeit besten Absichten zu befördern, mittheilt. Hiezu ist anschauende, lebhafte Erkenntniß nöthig; und jede Vorstellung, wenn sie gleich nur eine beredende Kraft hätte, und eine unvollendete Gewißheit erzeugte, vermehrte doch die Stärke des Eindrucks, und muß uns schon deswegen nie gleichgültig seyn. – Diese Wirksamkeit der Erkenntniß kan auch der Deutlichkeit und strengen Gewißheit mehrentheils entbehren, ja diese letztere beschäftigt gemeiniglich die Aufmerksamkeit so sehr, und gewöhnt so sehr an Speculation oder dürre und nur auf eine entferntere Art nutzbare Untersuchungen, daß sie leicht Kälte gegen die Anwendung und gegen prak
|a185|tische Untersuchungen hervorbringt, und daher um so mehr nöthig hat, durch lebhafte Eindrücke erfrischt, und in Verbindung mit der Thätigkeit erhalten zu werden. – Die Lebhaftigkeit der Erkenntniß giebt selbst, indem sie uns den Gedanken von Gott werther macht, mehr Reitz, tiefer einzudringen, und unsre Ueberzeugung durch strengere Beweise zu befestigen, und die Gewohnheit, Gott überall, auch in seinen kleinsten Anstalten, gleich groß, gütig und weise zu finden, erhebt unsern Verstand und unser Herz zu einer ungewöhnlichen Stärke und Aehnlichkeit mit ihm. – Wollen wir vollends Allen Alles werden, und die seligen Eindrücke von Gott überall befördern: so ist nicht nur dieser Weg, zur Erkenntniß Gottes zu führen, jedem, auch von den gemeinsten Fähigkeiten, offen, sondern auf diesem kan auch jeder am leichtesten, eindrücklichsten, und überall zur Ueberzeugung kommen, weil alles, was ihn umgiebt, Gott und seine Eigenschaften verkündigt, und den Gedanken an Gott unmittelbar an das eigne Interesse eines Jeden anknüpft, so wie ihm, wenn er sich nur erst einmal gewöhnt, alles auf Gott zu beziehen, diese überall zu findenden Spuren Gottes sich mehr aufdringen, als erst mit Mühe aufgesucht zu werden
brauchen.
198.
Also studiere man mit allem Fleiß auch die sichtbare, jedem vor Augen liegende, Natur; man spüre der Geschichte nach, in der sich, wenn man bey den Veränderungen der Welt auf den Zusam|a186|menhang, die Ursachen und Folgen der Dinge, aufmerksam ist, so unverkennbare Spuren der göttlichen Fürsehung darbieten; man nehme so viele trefliche Bücher zu Hülfe, worin dergleichen Beobachtungen gesammlet, und die Gesichtspuncte angegeben werden, woraus diese Spuren am leichtesten zu bemerken sind, und der Uebergang von diesen Veränderungen zu den, der Alles regiert, erleichtert wird. – Lehrer der Religion sollten eben deswegen, weil diese Art Gott zu erkennen die gemeinfaßlichste, gemeinnützigste, und zur Beförderung der praktischen Ueberzeugung nothwendigste ist, sie vorzüglich kennen lernen, und brauchen; sie sollten aber auch, weil sie andre selbst in der Gewißheit der Erkenntniß übertreffen, und sie eigentlich, was nur wenige Andre können, auch scharfsinnigere und spitzfindige Zweifel aufzulösen im Stande seyn müßten, die demonstrativere Erkenntniß von Gott, so viel sie es vermöchten, in ihre Gewalt zu bekommen suchen.
199.
Wie die bisher erwehnte
theoretische Philosophie uns die Natur kennen lehrt: so zeigt uns die
praktische, wie wir der Natur folgen, oder davon den besten Gebrauch zur höchstmöglichsten Glückseligkeit des Menschen machen müssen (§.
172. ); und weil sich die eigentliche Philosophie nur auf die geistigen Eigenschaften der Dinge einschränket (§.
170. ): so kan die praktische Philosophie auch nur eine Anweisung zur höchstmöglichsten Verbesserung und Ge
|a187|brauch unsrer Geisteskräfte enthalten. Diese sind entweder Vorstellungen oder Neigungen. Man hat aber diejenigen Theile der Philosophie, welche die beste Bildung und Anwendung unsrer Vorstellungen betreffen, bereits zur theoretischen Philosophie geschlagen (§.
172. Anm. 1. und §.
174. ); also muß sich auch die praktische Philosophie nur auf Bildung und Lenkung unserer Neigungen oder unsers Willens, nur auf die
moralischen Wissenschaften, einschränken.Wie die bisher erwehnte
theoretische Philosophie uns die Natur kennen lehrt: so zeigt uns die
praktische, wie wir der Natur folgen, oder davon den besten Gebrauch zur höchstmöglichsten Glückseligkeit des Menschen machen müssen (§.
172. ); und weil sich die eigentliche Philosophie nur auf die geistigen Eigenschaften der Dinge einschränket (§.
170. ): so kan die praktische Philosophie auch nur eine Anweisung zur höchstmöglichsten Verbesserung und Ge
|a187|brauch unsrer Geisteskräfte enthalten. Diese sind entweder Vorstellungen oder Neigungen. Man hat aber diejenigen Theile der Philosophie, welche die beste Bildung und Anwendung unsrer Vorstellungen betreffen, bereits zur theoretischen Philosophie geschlagen (§.
172. Anm. 1. und §.
174. ); also muß sich auch die praktische Philosophie nur auf Bildung und Lenkung unserer Neigungen oder unsers Willens, nur auf die
moralischen Wissenschaften, einschränken.
Moralisch nennt man bey dem Menschen alles, was von der Freyheit seines Willens abhängt, diese Freyheit aber das Vermögen des menschlichen Willens sich nach der Einsicht des Besten, d. i. desjenigen, zu bestimmen, was die meiste und größte Glückseligkeit befördert; und da das Beste nicht anders sicher bestimmt werden kan, als nach Vergleichung des verschiednen Werthes der Dinge, wozu deutliche Einsicht nöthig ist: so setzt man die Freyheit des menschlichen Willens in das Vermögen, etwas nach deutlicher Einsicht des Besten zu wollen. Es läuft also auf eines hinaus, man mag die moralischen Wissenschaften erklären, durch solche, die eine Anweisung zur besten Einrichtung unsers freyen Verhaltens geben, oder durch eine Anweisung zur Beförderung der höchst möglichsten menschlichen Glückseligkeit, so fern sie von unserm Willen abhängt. Es versteht sich übrigens von selbst, daß, da die moralischen Wissenschaften hier als ein Theil der Philosophie angesehen werden, alles dieses nur so weit genommen werde, als es aus der Natur erkennbar ist.
|a188| 200.
An der Wichtigkeit dieser Wissenschaften zweifeln, hiesse nichts anders, als zweifeln,
entweder ob der Mensch nach der höchst möglichsten Glückseligkeit trachten müßte,
oder ob er sie ohne Ueberlegung des Besten und dem Gebrauch seiner Kräfte dazu, erreichen könne. Alle Bedenklichkeiten gegen den grossen Werth der moralischen Wissenschaften müssen demnach auf blossen Mißverstand beruhen.
*) – Da aber die moralischen Handlungen von der Gesinnung abhängen, und diese erst jenen ihren Werth giebt, auch der Begriff der Glückseligkeit nicht nach äusserlichen sehr zufälligen und veränderlichen Umständen, sondern nach dem Wachsthum der innern Vollkommenheit des Menschen, gewürdigt werden kan:
**) so müssen diese Wissenschaften nicht nur auf Beförderung guter Handlungen, sondern auch und vornehmlich guter Gesinnungen, nicht nur auf die beste Lenkung, sondern auch auf die Verbesserung des menschlichen Willens, arbeiten; überhaupt aber – den grossen Umfang der Pflichten richtig und bestimmt darstellen – sie durch die dringensten Gründe empfehlen – und die Mittel angeben, wodurch gute Gesinnungen und Handlungen am wirksamsten hervorgebracht, erhalten und vermehrt werden können.An der Wichtigkeit dieser Wissenschaften zweifeln, hiesse nichts anders, als zweifeln,
entweder ob der Mensch nach der höchst möglichsten Glückseligkeit trachten müßte,
oder ob er sie ohne Ueberlegung des Besten und dem Gebrauch seiner Kräfte dazu, erreichen könne. Alle Bedenklichkeiten gegen den grossen Werth der moralischen Wissenschaften müssen demnach auf blossen Mißverstand beruhen.
*) – Da aber die moralischen Handlungen von der Gesinnung abhängen, und diese erst jenen ihren Werth giebt, auch der Begriff der Glückseligkeit nicht nach äusserlichen sehr zufälligen und veränderlichen Umständen, sondern nach dem Wachsthum der innern Vollkommenheit des Menschen, gewürdigt werden kan:
**) so müssen diese Wissenschaften nicht nur auf Beförderung guter Handlungen, sondern auch und vornehmlich guter Gesinnungen, nicht nur auf die beste Lenkung, sondern auch auf die Verbesserung des menschlichen Willens, arbeiten; überhaupt aber – den grossen Umfang der Pflichten richtig und bestimmt darstellen – sie durch die dringensten Gründe empfehlen – und die Mittel angeben, wodurch gute Gesinnungen und Handlungen am wirksamsten hervorgebracht, erhalten und vermehrt werden können.
*) Ueber den Werth der Moral etc. von J. A. Nösselt, zweyte Auflage, Halle 1783. 8.
**) Philosophische Anmerkungen und Abhandlungen zu Cicero's Büchern von den Pflichten, von Christian Garve, zum ersten Buche S. 28. folgg.
|a189| 201.
Unter diesen moralischen Wissenschaften läßt sich zuförderst eine denken, welche bey den übrigen eben so zum Grunde läge, wie die Ontologie bey den Theilen der theoretischen Philosophie. Man könnte sie die allgemeine praktische Philosophie nennen. Sie müßte die Natur der Sittlichkeit deutlich bestimmen, den in der Natur gegründeten Unterschied von Recht oder Unrecht, Guten oder Bösen, klar machen, die allgemeinsten moralischen Begriffe und Grundsätze entwickeln und ausser Zweifel setzen, die gute Gesinnung und den moralischen Charakter bilden, die allgemeinsten Mittel angeben und empfehlen, wodurch der Mensch zum Guten gelenkt werden kan.Unter diesen moralischen Wissenschaften läßt sich zuförderst eine denken, welche bey den übrigen eben so zum Grunde läge, wie die Ontologie bey den Theilen der theoretischen Philosophie. Man könnte sie die allgemeine praktische Philosophie nennen. Sie müßte die Natur der Sittlichkeit deutlich bestimmen, den in der Natur gegründeten Unterschied von Recht oder Unrecht, Guten oder Bösen, klar machen, die allgemeinsten moralischen Begriffe und Grundsätze entwickeln und ausser Zweifel setzen, die gute Gesinnung und den moralischen Charakter bilden, die allgemeinsten Mittel angeben und empfehlen, wodurch der Mensch zum Guten gelenkt werden kan.
202.
Ohne sie giebts keine recht deutliche Gewißheit von Pflichten und Tugenden, die um so unentbehrlicher ist, je mehr die Anzahl leichtsinniger oder halbkluger Sophisten und Schwärmer überhand nimmt, welche mit der natürlichen Sittlichkeit die Glückseligkeit der Menschen untergraben, oder sie auf so schwankende Begriffe gründen, daß wichtige Pflichten verkannt und verdrängt, oder ein Spiel des Gutdünkens und höchstens des äusserlichen Wohlstandes werden. – Ueberdies sind alle gut heissende Handlungen, ohne gute Gesinnung, daraus sie fliessen, bloß mechanisch, und ein wahres Puppenspiel; der Selbstbetrug aber ist um so gefährlicher, je mehr er Thaten und Verdienste vor |a190| sich zu haben scheint. Wo also nicht durch diese allgemeinere Wissenschaft das Herz und der Charakter gebildet, und der Grund zu einer wahren und beständigen Tugend gelegt wird, da kan höchstens nichts als eine bloß äusserliche und sehr unzuverläßige Glückseligkeit begründet werden.Ohne sie giebts keine recht deutliche Gewißheit von Pflichten und Tugenden, die um so unentbehrlicher ist, je mehr die Anzahl leichtsinniger oder halbkluger Sophisten und Schwärmer überhand nimmt, welche mit der natürlichen Sittlichkeit die Glückseligkeit der Menschen untergraben, oder sie auf so schwankende Begriffe gründen, daß wichtige Pflichten verkannt und verdrängt, oder ein Spiel des Gutdünkens und höchstens des äusserlichen Wohlstandes werden. – Ueberdies sind alle gut heissende Handlungen, ohne gute Gesinnung, daraus sie fliessen, bloß mechanisch, und ein wahres Puppenspiel; der Selbstbetrug aber ist um so gefährlicher, je mehr er Thaten und Verdienste vor |a190| sich zu haben scheint. Wo also nicht durch diese allgemeinere Wissenschaft das Herz und der Charakter gebildet, und der Grund zu einer wahren und beständigen Tugend gelegt wird, da kan höchstens nichts als eine bloß äusserliche und sehr unzuverläßige Glückseligkeit begründet werden.
203.
Diese Anmerkung scheint desto nöthiger, da selbst der eingeführte Unterschied zwischen dem Recht der Natur und der Sittenlehre nicht selten eine Gleichgültigkeit gegen die innere Güte des Menschen, ja selbst gegen die Pflichten erweckt hat, die nicht gerade Pflichten gegen Andre sind. Wenn man sich den Menschen im Stande der Natur, d. i. als blossen Menschen, und vor aller freywilligen Uebereinkunft mit Andern, denkt: so darf er nach den Gesetzen der Vollkommenheit – seine Kräfte bestmöglichst brauchen – um sich glücklich zu machen, d. i. er hat ein Recht dazu, und für jeden Andern entsteht die Pflicht, ihn in dem, was seine ist, das heißt: in dem Gebrauch seiner Kräfte, des dadurch Erworbenen und der Güter, ohne welche er jene nicht brauchen, dieses nicht geniessen konnte, nicht zu beeinträchtigen. Dergleichen natürliche Rechte und Pflichten heissen vollkommene Rechte und Pflichten, weil und sofern sie die Natur mit sich bringt, ohne daß es erst der Einwilligung eines Andern bedarf, und dadurch die nehmlichen Rechte des Andern nicht gekränkt werden; auch heissen sie erzwingliche Rechte und Zwangs|a291[!]|pflichten, weil der, so das Recht hat, es dadurch erhalten darf, daß er den Andern zwinget, es unbeeinträchtigt zu lassen. Alle andre Rechte und Pflichten heissen unvollkommne oder unerzwingliche, auch blosse Gewissenspflichten. Jene Zwangsrechte und Pflichten machen das Naturrecht, diese Gewissenspflichten die Moral oder Sittenlehre im engern Verstande aus. Diese Anmerkung scheint desto nöthiger, da selbst der eingeführte Unterschied zwischen dem Recht der Natur und der Sittenlehre nicht selten eine Gleichgültigkeit gegen die innere Güte des Menschen, ja selbst gegen die Pflichten erweckt hat, die nicht gerade Pflichten gegen Andre sind. Wenn man sich den Menschen im Stande der Natur, d. i. als blossen Menschen, und vor aller freywilligen Uebereinkunft mit Andern, denkt: so darf er nach den Gesetzen der Vollkommenheit – seine Kräfte bestmöglichst brauchen – um sich glücklich zu machen, d. i. er hat ein Recht dazu, und für jeden Andern entsteht die Pflicht, ihn in dem, was seine ist, das heißt: in dem Gebrauch seiner Kräfte, des dadurch Erworbenen und der Güter, ohne welche er jene nicht brauchen, dieses nicht geniessen konnte, nicht zu beeinträchtigen. Dergleichen natürliche Rechte und Pflichten heissen vollkommene Rechte und Pflichten, weil und sofern sie die Natur mit sich bringt, ohne daß es erst der Einwilligung eines Andern bedarf, und dadurch die nehmlichen Rechte des Andern nicht gekränkt werden; auch heissen sie erzwingliche Rechte und Zwangs|a291[!]|pflichten, weil der, so das Recht hat, es dadurch erhalten darf, daß er den Andern zwinget, es unbeeinträchtigt zu lassen. Alle andre Rechte und Pflichten heissen unvollkommne oder unerzwingliche, auch blosse Gewissenspflichten. Jene Zwangsrechte und Pflichten machen das Naturrecht, diese Gewissenspflichten die Moral oder Sittenlehre im engern Verstande aus.
- J. G. Sulzers vermischte philosophische Schriften S. 389 flgg.
- M. Mendelssohns Jerusalem I. S. 29 f.
- J. G. Sulzers vermischte philosophische Schriften S. 389 flgg.
- M. Mendelssohns Jerusalem I. S. 29 f.
Sonst nennte man auch Naturrecht den Inbegriff aller aus der Natur fliessenden Pflichten und Rechte, und verwies in die Moral oder in Ethik bloß die Mittel zur moralischen Bildung und Ausübung der Pflichten. Eine sehr unbequeme Trennung, die auch hier nicht in Anschlag kommt. Sonst nennte man auch Naturrecht den Inbegriff aller aus der Natur fliessenden Pflichten und Rechte, und verwies in die Moral oder in Ethik bloß die Mittel zur moralischen Bildung und Ausübung der Pflichten. Eine sehr unbequeme Trennung, die auch hier nicht in Anschlag kommt.
204.
Es hat allerdings seinen grossen Vortheil für die weise Bestimmung und Handhabung der bürgerlichen Gerechtigkeit, wenn die gedachten vollkommnen und unvollkommnen Pflichten von einander unterschieden werden; und da alle positive Rechte um so besser sind, je mehr sie mit dem Naturrecht übereinstimmen, sie auch eigentlich durch dieses letztere ihre Festigkeit bekommen: so bleibt das Recht der Natur immer eine sehr wichtige Wissenschaft, auch für den, der sich der Theologie widmet; zumal wenn damit, wie von manchen, zugleich im |a192| Vortrag die allgemeine praktische Philosophie verbunden wird. Allein da es sich nur auf Pflichten gegen Andre, und noch dazu nur auf Zwangspflichten, einschränkt, folglich nur Beleidigungen abwähren, und äusserliche Sicherheit, also einen zwar sehr schätzbaren, aber doch nur sehr kleinen Theil der menschlichen, und nur der äusserlichen, Glückseligkeit, befördern soll; auch in der Moral eben dieselben Pflichten, nur nicht mit so besondrer Anwendung auf die in der menschlichen Gesellschaft sich ereignenden Umstände, vorgetragen werden, und noch dazu mehr auf Liebe und Achtung gegen Andre gearbeitet wird, ohne welche die wahre Gerechtigkeit sehr oft nicht erkannt oder nicht ausgeübt werden möchte: so scheint es für den künftigen Lehrer der Religion räthlicher, beyde Wissenschaften in der Erlernung nicht zu trennen.Es hat allerdings seinen grossen Vortheil für die weise Bestimmung und Handhabung der bürgerlichen Gerechtigkeit, wenn die gedachten vollkommnen und unvollkommnen Pflichten von einander unterschieden werden; und da alle positive Rechte um so besser sind, je mehr sie mit dem Naturrecht übereinstimmen, sie auch eigentlich durch dieses letztere ihre Festigkeit bekommen: so bleibt das Recht der Natur immer eine sehr wichtige Wissenschaft, auch für den, der sich der Theologie widmet; zumal wenn damit, wie von manchen, zugleich im |a192| Vortrag die allgemeine praktische Philosophie verbunden wird. Allein da es sich nur auf Pflichten gegen Andre, und noch dazu nur auf Zwangspflichten, einschränkt, folglich nur Beleidigungen abwähren, und äusserliche Sicherheit, also einen zwar sehr schätzbaren, aber doch nur sehr kleinen Theil der menschlichen, und nur der äusserlichen, Glückseligkeit, befördern soll; auch in der Moral eben dieselben Pflichten, nur nicht mit so besondrer Anwendung auf die in der menschlichen Gesellschaft sich ereignenden Umstände, vorgetragen werden, und noch dazu mehr auf Liebe und Achtung gegen Andre gearbeitet wird, ohne welche die wahre Gerechtigkeit sehr oft nicht erkannt oder nicht ausgeübt werden möchte: so scheint es für den künftigen Lehrer der Religion räthlicher, beyde Wissenschaften in der Erlernung nicht zu trennen.
Anm. Wenn man sich statt einzler Menschen ganze Völker, und diese als moralische Personen gegen einander, denkt: so entsteht aus dem Begriff eines solchen Volks, auf welches der Inhalt des Naturgesetzes angewendet wird, das sogenannte Völkerrecht; das aber hier zu unsrer Absicht nicht gehört.
205.
Die
philosophische Moral also, wenn sie noch von der allgemeinen praktischen Philosophie (§.
201. ) unterschieden wird, faßt den ganzen Umfang aller besondern Pflichten des Menschen in sich, sofern sie aus der Natur erkennbar sind, und schränkt sich bey Vorstellung der Gründe, womit
|a293[!]| sie sie empfiehlt, so wie der Mittel, die sie zur Beförderung guter Gesinnungen und Handlungen vorschlägt, auf keine besondre Arten derselben, wie das Naturrecht, ein, wenn nur jene Gründe und diese Mittel aus der
Natur erkannt werden können. Sie dehnt sich auch über die Pflichten der Gerechtigkeit aus, – dies hat sie mit dem Recht der Natur gemein –; aber sie begnügt sich nicht mit äusserlicher Gerechtigkeit, sie dringt auch auf innerliche; sie fügt noch die Pflichten des Wohlthuns hinzu, und alle Pflichten, die wir Gott und uns selbst schuldig sind, oder die irgend aus allen diesen Verhältnissen entstehen. Sie bearbeitet alle diese Pflichten als
Gewissenspflichten, und begnügt sich nicht mit guten
Handlungen, sondern arbeitet auch und vornemlich auf gute
Gesinnungen. Kurz, sie bildet den Menschen nicht bloß zum
unschädlichen und
ehrlichen Mann, sondern sucht ihn auch nützlich oder
wohlthätig, redlich und
religiöser zu machen. – Da sie so den Menschen eigentlich veredelt, und zu seiner wahren Bestimmung führt: so muß jedem die Nothwendigkeit einleuchten, sie ganz vorzüglich zu treiben. Am meisten müßte der künftige Lehrer der Religion sie sich zu eigen zu machen suchen, da er ganz eigentlich dazu bestimmt ist, Andrer Gewissen zu leiten.Die
philosophische Moral also, wenn sie noch von der allgemeinen praktischen Philosophie (§.
201. ) unterschieden wird, faßt den ganzen Umfang aller besondern Pflichten des Menschen in sich, sofern sie aus der Natur erkennbar sind, und schränkt sich bey Vorstellung der Gründe, womit
|a293[!]| sie sie empfiehlt, so wie der Mittel, die sie zur Beförderung guter Gesinnungen und Handlungen vorschlägt, auf keine besondre Arten derselben, wie das Naturrecht, ein, wenn nur jene Gründe und diese Mittel aus der
Natur erkannt werden können. Sie dehnt sich auch über die Pflichten der Gerechtigkeit aus, – dies hat sie mit dem Recht der Natur gemein –; aber sie begnügt sich nicht mit äusserlicher Gerechtigkeit, sie dringt auch auf innerliche; sie fügt noch die Pflichten des Wohlthuns hinzu, und alle Pflichten, die wir Gott und uns selbst schuldig sind, oder die irgend aus allen diesen Verhältnissen entstehen. Sie bearbeitet alle diese Pflichten als
Gewissenspflichten, und begnügt sich nicht mit guten
Handlungen, sondern arbeitet auch und vornemlich auf gute
Gesinnungen. Kurz, sie bildet den Menschen nicht bloß zum
unschädlichen und
ehrlichen Mann, sondern sucht ihn auch nützlich oder
wohlthätig, redlich und
religiöser zu machen. – Da sie so den Menschen eigentlich veredelt, und zu seiner wahren Bestimmung führt: so muß jedem die Nothwendigkeit einleuchten, sie ganz vorzüglich zu treiben. Am meisten müßte der künftige Lehrer der Religion sie sich zu eigen zu machen suchen, da er ganz eigentlich dazu bestimmt ist, Andrer Gewissen zu leiten.
Durch den Eintritt in die häusliche und bürgerliche Gesellschaft geht zwar der Stand der Natur in einen conventionellen, d. i. in einen solchen über, der auf freywilligen Vertrag und Uebereinkunft beruht; aber es entstehen doch theils |a194| schon aus der Natur und der Absicht eines solchen Standes gewisse neue Pflichten, theils bleiben darin alle natürliche Rechte, und eben so alle natürliche Pflichten, so fern man jenen nicht durch den Vertrag freywillig entsagt hat. Man hat daher auch die natürlichen Rechte und Pflichten der häuslichen und bürgerlichen Gesellschaft in zwey besondre Wissenschaften gebracht, die als Theile der praktischen Philosophie behandelt werden. Jene, die erstere, welche sich mit der häuslichen Gesellschaft beschäftigt, nennet man die Oekonomik; die andre, so auf die bürgerliche Gesellschaft geht, die Politik. Nach Verschiedenheit der Gesellschaften liessen sich dergleichen Wissenschaften noch mehr vervielfältigen, und nach ihren mannichfaltigen Gegenständen und besondren Theilen dieser Wissenschaften wieder besondre neue Wissenschaften bilden.
206.
So wie man die Philosophie nach den verschiedenen Sachen abgetheilet hat, die man darin untersucht: so auch nach der verschiednen
Art der Untersuchung (§.
172 ). Es läßt sich eine Wissenschaft der allgemeinen Eigenschaften der Dinge denken, die lauter nothwendig wahre Sätze enthält, wo also die Beweise nur aus Begriffen geführt, und diese so lange entwickelt werden müssen, bis man auf Sätze kommt, deren Gegentheil undenkbar ist. Dies ist, was man
wissenschaftliche oder
scientifische,
systematische oder auch
speculative Philosophie nennt, die den Namen einer Wissenschaft im strengsten Verstande verdient, und deren eigentlicher Zweck völlige Gewißheit ist.
|a195| Eine jede andre Philosphie würde mehr oder weniger
gemeine oder
populäre Philosophie seyn, je nachdem sie sich mehr oder weniger mit sinnlichen Dingen beschäftigte, mehr oder weniger sich der Induction oder der Analogie bediente, mehr oder weniger die Begriffe entwickelte.So wie man die Philosophie nach den verschiedenen Sachen abgetheilet hat, die man darin untersucht: so auch nach der verschiednen
Art der Untersuchung (§.
172 ). Es läßt sich eine Wissenschaft der allgemeinen Eigenschaften der Dinge denken, die lauter nothwendig wahre Sätze enthält, wo also die Beweise nur aus Begriffen geführt, und diese so lange entwickelt werden müssen, bis man auf Sätze kommt, deren Gegentheil undenkbar ist. Dies ist, was man
wissenschaftliche oder
scientifische,
systematische oder auch
speculative Philosophie nennt, die den Namen einer Wissenschaft im strengsten Verstande verdient, und deren eigentlicher Zweck völlige Gewißheit ist.
|a195| Eine jede andre Philosphie würde mehr oder weniger
gemeine oder
populäre Philosophie seyn, je nachdem sie sich mehr oder weniger mit sinnlichen Dingen beschäftigte, mehr oder weniger sich der Induction oder der Analogie bediente, mehr oder weniger die Begriffe entwickelte.
Zu dieser letztern Art gehört das, was einige die Philosophie der gesunden Vernunft, oder des schlichten Menschenverstandes nennen, welche denn keine andere Sätze oder Urtheile enthalten könnte, als solche, deren Wahrheit oder Richtigkeit unmittelbar, d. i. ohne weitere Entwickelung der Begriffe eines Satzes und ihres Verhältnisses, klar ist; denn was ist der gemeine Menschenverstand (sensus communis, richtiger: der gemeine Wahrheitssinn) anderes, als das Vermögen oder vielmehr die Fertigkeit der Seele, die Richtigkeit eines Satzes unmittelbar zu erkennen?
207.
Man sollte gegen keine dieser Arten der Philosophie und gegen den unstreitigen Nutzen ungerecht seyn, welchen die eine wie die andere leisten kan. Man hat 1) Ursach, das Studium der Philosophie immer allgemeiner zu machen, und den Gebrauch des Nachdenkens bey jedermann zu befördern. Nachdenken kan jeder lernen, aber zur eigentlichen Speculation sind nur wenige fähig und aufgelegt. 2) Auch giebt es nur wenig Sätze, die streng demonstrirt werden können; der allergrösseste Theil unserer Kenntnisse beruhet auf Vermuthung, Wahrscheinlichkeit, höchstens auf morali|a196|scher Gewißheit, und wir bedürfen dieser weit häufiger als der ganz eigentlich allgemeinen Wahrheiten; wenigstens vertritt bey den nothwendigsten allgemeinen Sätzen der Wahrheitssinn hinlänglich die Stelle der reinen Vernunft. 3) Je abgezogner ein Satz ist: je weniger lassen sich aus ihm besondre Erfindungen erklären, und je mehr man sich an Speculation und Vereinfachung der Begriffe gewöhnt: je schwerer hält es, aus dieser höhern Gegend sich wieder zu den gemeinen menschlichen Angelegenheiten herabzulassen, sich an die Entdeckung der Mit- und Zwischenursachen zu gewöhnen, und überhaupt seine Kenntnisse anwendbar zu machen: je leichter verfällt man auch auf die Einbildung, Dinge erklären zu können, die man nicht erklären kan, und bekümmert sich zu wenig um das Besondere oder Eigenthümliche einer Sache, ohne dessen Kenntniß keine wirkliche Erklärung derselben möglich ist.Man sollte gegen keine dieser Arten der Philosophie und gegen den unstreitigen Nutzen ungerecht seyn, welchen die eine wie die andere leisten kan. Man hat 1) Ursach, das Studium der Philosophie immer allgemeiner zu machen, und den Gebrauch des Nachdenkens bey jedermann zu befördern. Nachdenken kan jeder lernen, aber zur eigentlichen Speculation sind nur wenige fähig und aufgelegt. 2) Auch giebt es nur wenig Sätze, die streng demonstrirt werden können; der allergrösseste Theil unserer Kenntnisse beruhet auf Vermuthung, Wahrscheinlichkeit, höchstens auf morali|a196|scher Gewißheit, und wir bedürfen dieser weit häufiger als der ganz eigentlich allgemeinen Wahrheiten; wenigstens vertritt bey den nothwendigsten allgemeinen Sätzen der Wahrheitssinn hinlänglich die Stelle der reinen Vernunft. 3) Je abgezogner ein Satz ist: je weniger lassen sich aus ihm besondre Erfindungen erklären, und je mehr man sich an Speculation und Vereinfachung der Begriffe gewöhnt: je schwerer hält es, aus dieser höhern Gegend sich wieder zu den gemeinen menschlichen Angelegenheiten herabzulassen, sich an die Entdeckung der Mit- und Zwischenursachen zu gewöhnen, und überhaupt seine Kenntnisse anwendbar zu machen: je leichter verfällt man auch auf die Einbildung, Dinge erklären zu können, die man nicht erklären kan, und bekümmert sich zu wenig um das Besondere oder Eigenthümliche einer Sache, ohne dessen Kenntniß keine wirkliche Erklärung derselben möglich ist.
Auf dieses letzte gründet sich der gar nicht ungerechte Vorwurf, welchen man denjenigen gemacht hat, die sich ganz der speculativen Philosophie widmeten, daß sie oft auf ganz unbeträchtliche und unfruchtbare Fragen verfielen, und sich oder Andre mit leeren Wörtern abspeiseten; daß sie sich zu sehr zur Zweifelsucht oder im Gegentheil zur Demonstrirsucht neigten; und überhaupt mit ihren Kenntnissen zu unfruchtbar für das gemeine Leben, und zu unfähig zu eigentlichen Geschäften würden.
|a197| 208.
Wenn sich denn nun auch 4) viele Sätze nicht bis zur vollkommnen Evidenz oder zur reinen Vernunftkenntniß erheben liessen: so verdienen sie deswegen nicht aus dem Gebiete der Philosophie verbannt zu werden. Man hat Beyspiele genug, daß manche unevidente Sätze mit der Zeit bis zur Evidenz gebracht worden sind. Man gönne ihnen also einen kleinen Platz in der Philosophie, bemerke es nur, daß sie mit evidenten Sätzen nicht gleichen Rang haben, und hebe sie für künftige Untersuchung auf, wodurch sie vielleicht in der Zukunft klärer werden können. 5) Bedarf es denn auch überall der demonstrativen Gewißheit? In den meisten Fällen kommen wir mit Wahrscheinlichkeit aus, in den wichtigsten Angelegenheiten fehlt es an moralischer Gewißheit dem nicht, wer sie mit Fleiß sucht, und bey dieser und jener ist für unsre Glückseligkeit so gut, wie durch den gemeinen Wahrheitssinn, gesorgt, der, wo uns reine Vernunft abgeht, ihre Stelle vertritt, und uns selten irre führt. Bey Dingen, wo es auf moralisches Verhalten ankommt, ist moralische Gewißheit und Gefühl der Wahrheit immer zureichend. Moralische Uebungen erfordern sogar unevidente Kenntnisse.
*) Laßt uns endlich nicht vergessen, daß wir hier im Stande der Kindheit leben, und als gute Kinder des besten Vaters, mit unsern Umständen zufrieden seyn, nicht klagen, wenn er uns unsre unzeitige Fragen nicht beantwortet, so weit gehen, als wir kommen können, und, wo wir nicht
|a198| weiter können, uns an das halten, was wir wissen, mit aller Treue auch seinen blossen Winken folgen, versichert, daß, wenn er unsern Fleiß jetzt nicht durch Erfüllung unsrer
Wünsche belohnte, unser Wünschen thöricht war
, und es unser Unglück gewesen seyn würde, wenn er sie uns jetzt gewährt hätte.Wenn sich denn nun auch 4) viele Sätze nicht bis zur vollkommnen Evidenz oder zur reinen Vernunftkenntniß erheben liessen: so verdienen sie deswegen nicht aus dem Gebiete der Philosophie verbannt zu werden. Man hat Beyspiele genug, daß manche unevidente Sätze mit der Zeit bis zur Evidenz gebracht worden sind. Man gönne ihnen also einen kleinen Platz in der Philosophie, bemerke es nur, daß sie mit evidenten Sätzen nicht gleichen Rang haben, und hebe sie für künftige Untersuchung auf, wodurch sie vielleicht in der Zukunft klärer werden können. 5) Bedarf es denn auch überall der demonstrativen Gewißheit? In den meisten Fällen kommen wir mit Wahrscheinlichkeit aus, in den wichtigsten Angelegenheiten fehlt es an moralischer Gewißheit dem nicht, wer sie mit Fleiß sucht, und bey dieser und jener ist für unsre Glückseligkeit so gut, wie durch den gemeinen Wahrheitssinn, gesorgt, der, wo uns reine Vernunft abgeht, ihre Stelle vertritt, und uns selten irre führt. Bey Dingen, wo es auf moralisches Verhalten ankommt, ist moralische Gewißheit und Gefühl der Wahrheit immer zureichend. Moralische Uebungen erfordern sogar unevidente Kenntnisse.
*) Laßt uns endlich nicht vergessen, daß wir hier im Stande der Kindheit leben, und als gute Kinder des besten Vaters, mit unsern Umständen zufrieden seyn, nicht klagen, wenn er uns unsre unzeitige Fragen nicht beantwortet, so weit gehen, als wir kommen können, und, wo wir nicht
|a198| weiter können, uns an das halten, was wir wissen, mit aller Treue auch seinen blossen Winken folgen, versichert, daß, wenn er unsern Fleiß jetzt nicht durch Erfüllung unsrer
Wünsche belohnte, unser Wünschen thöricht war
, und es unser Unglück gewesen seyn würde, wenn er sie uns jetzt gewährt hätte.
*) S. J. G. Töllner wahre Gründe, warum Gott die Offenbarung nicht mit augenscheinlichen Beweisen versehen hat, S. 154 f.
209.
So schätzbar übrigens auch Gewißheit ist, eben so unentbehrlich ist zu unserer Glückseligkeit 6) der Eindruck, den unsre Erkenntniß macht, oder die Wirksamkeit der Erkenntniß. Dazu ist keine vollkommene Evidenz nöthig, bey der ohnehin das Herz sehr kalt bleiben kan, sondern anschauende, also sinnliche Erkenntniß. Weil nun populäre Philosophie sich weit weniger vom Sinnlichen entfernt, und mehr auf Empfindung und Einbildungskraft wirkt, als speculative, die sich mit Bearbeitung des Verstandes und übersinnlicher Erkenntniß beschäftigt: so befördert jene weit mehr, oder sie eigentlich allein, das Leben und die Thätigkeit der Erkenntniß. – Dieses gilt besonders 7) bey Geschäften des menschlichen Lebens, wo Weisheit und Klugheit mehr werth ist, als eigentliche Wissenschaft. Jene erfordern praktischen Beobachtungsgeist, d. i. Fähigkeit oder Fertigkeit, die Umstände, unter welchen man zu handeln, |a199| und die Menschen, die man zu lenken hat, durchzuschauen, und praktische Beurtheilungskraft d. i. Fähigkeit oder Fertigkeit, in den einzlen Vorfällen das Rathsamste gleich zu erkennen und anzuwenden. Diesen ist speculative Philosophie nicht günstig. Denn sie beschäftigt sich mehr mit dem Möglichen als Wirklichen, und zieht den Blick zu sehr vom Gegenwärtigen und der wirklichen Lage der Sachen, und von der so mannichfaltigen individuellen Menschenkenntniß ab; sie sucht Einen Gegenstand, oft nur Eine Seite desselben, zu ergründen, anstatt mehrere Sachen auf einmal, und sie zugleich von mehrern Seiten anzuschauen; gewöhnt zu sehr an Beschäftigung mit dem gegenwärtigen Gegenstand der Betrachtung, als daß sie lebhafte Vorstellung des Künftigen, welches die Weisheit und Klugheit immer mit in Anschlag nehmen muß, befördern sollte; gewöhnt zu langsamen Entwickeln und Zergliedern, und hindert also den schnellen Blick und die augenblickliche Entschliessung, macht verlegen und unentschlüßig.So schätzbar übrigens auch Gewißheit ist, eben so unentbehrlich ist zu unserer Glückseligkeit 6) der Eindruck, den unsre Erkenntniß macht, oder die Wirksamkeit der Erkenntniß. Dazu ist keine vollkommene Evidenz nöthig, bey der ohnehin das Herz sehr kalt bleiben kan, sondern anschauende, also sinnliche Erkenntniß. Weil nun populäre Philosophie sich weit weniger vom Sinnlichen entfernt, und mehr auf Empfindung und Einbildungskraft wirkt, als speculative, die sich mit Bearbeitung des Verstandes und übersinnlicher Erkenntniß beschäftigt: so befördert jene weit mehr, oder sie eigentlich allein, das Leben und die Thätigkeit der Erkenntniß. – Dieses gilt besonders 7) bey Geschäften des menschlichen Lebens, wo Weisheit und Klugheit mehr werth ist, als eigentliche Wissenschaft. Jene erfordern praktischen Beobachtungsgeist, d. i. Fähigkeit oder Fertigkeit, die Umstände, unter welchen man zu handeln, |a199| und die Menschen, die man zu lenken hat, durchzuschauen, und praktische Beurtheilungskraft d. i. Fähigkeit oder Fertigkeit, in den einzlen Vorfällen das Rathsamste gleich zu erkennen und anzuwenden. Diesen ist speculative Philosophie nicht günstig. Denn sie beschäftigt sich mehr mit dem Möglichen als Wirklichen, und zieht den Blick zu sehr vom Gegenwärtigen und der wirklichen Lage der Sachen, und von der so mannichfaltigen individuellen Menschenkenntniß ab; sie sucht Einen Gegenstand, oft nur Eine Seite desselben, zu ergründen, anstatt mehrere Sachen auf einmal, und sie zugleich von mehrern Seiten anzuschauen; gewöhnt zu sehr an Beschäftigung mit dem gegenwärtigen Gegenstand der Betrachtung, als daß sie lebhafte Vorstellung des Künftigen, welches die Weisheit und Klugheit immer mit in Anschlag nehmen muß, befördern sollte; gewöhnt zu langsamen Entwickeln und Zergliedern, und hindert also den schnellen Blick und die augenblickliche Entschliessung, macht verlegen und unentschlüßig.
Man hat oft darauf gedrungen, die Philosophie zur Philosophie des Lebens oder der Welt zu machen. Wenn das so viel heißt, sie, unbeschadet ihrer Gründlichkeit, immer brauchbarer für das menschliche Leben und für die geschickteste Art des Betragens, auch in einzeln Fällen, zu machen: so ist dagegen nichts einzuwenden. Auch ist es die Pflicht eines jeden, sich Weisheit und Klugheit zu erwerben, d. i. die Fertigkeit, das Beste, was in einzeln Fällen zu thun, und wie es aufs beste auszuführen sey, zu finden. Aber dieses kan in keine Wissenschaft gebracht wer|a200|den, weil sich ganz allgemeine Sätze nicht aus blosser Beobachtung herleiten lassen, und weil die einzle Umstände die Lage, in der man zu handeln hat, zu mannichfaltig, und ein sehr verschiedenes Verhalten nothwendig machen. Ohnehin kommt das Meiste bey Weisheit oder Klugheit auf Uebung unsrer Fähigkeiten und auf das Hinlenken unsrer Aufmerksamkeit und unsers Verstandes auf menschliche Angelegenheiten an. Eine Sammlung von praktischen Maximen würde nicht nur keine zusammenhängende Wissenschaft seyn, sondern auch zu viel Halbwahres enthalten, das im Handeln selbst oft genug keine Anwendung litte.
210.
Die bisher erwehnten grossen Vorzüge der populären Philosophie, nebst der Anwendung der wissenschaftlichen Philosophie da, wohin sie nicht gehörte, ihrem Mißbrauch zur Bestreitung mancher dem Menschen theuern Grundsätze, und die Allgenügsamkeit metaphysischer Pedanten, haben der populären Philosophie, vornemlich zu unsrer Zeit, grosse Achtung erworben, und der wissenschaftlichen eine zu schnöde Verachtung zugezogen. Unsere Zeitumstände tragen das Ihrige dazu bey. Man wird sich darüber nicht wundern, wenn man weiß, wie sehr sich zu unsrer Zeit der Fleiß in Untersuchung der sichtbaren Natur und die Vorliebe zu diesem Studium ausgebreitet habe; wie allgemeiner, auch unter Unstudierten, Begierde nach Aufklärung und Leserey worden sey, und wie sehr, bey dieser Menge derer, die auch mitreden wollen, bey der Seltenheit spe|a201|culativer Köpfe, und bey dem Gefühl der mehrern Leichtigkeit und des grössern Bedürfniß des Raisonnements über vorkommende Dinge, als tiefsinniger Untersuchung, der Geschmack an dem habe zunehmen müssen, was gemeinnützig scheint, und unmittelbaren Nutzen zeigt; wie sehr endlich der französische Geschmack und Literatur auf unsre Nation gewirkt habe. – Alles dieses muß die Besorgniß erregen, ob nicht diese an sich sehr gerechte Liebe zur populären Philosophie in Gleichgültigkeit gegen Wahrheit und Gewißheit menschlicher Erkenntniß, gegen das Unsichtbare überhaupt, und somit gegen das, was nicht unmittelbar Nutzen zeigt, ausarten möchte.Die bisher erwehnten grossen Vorzüge der populären Philosophie, nebst der Anwendung der wissenschaftlichen Philosophie da, wohin sie nicht gehörte, ihrem Mißbrauch zur Bestreitung mancher dem Menschen theuern Grundsätze, und die Allgenügsamkeit metaphysischer Pedanten, haben der populären Philosophie, vornemlich zu unsrer Zeit, grosse Achtung erworben, und der wissenschaftlichen eine zu schnöde Verachtung zugezogen. Unsere Zeitumstände tragen das Ihrige dazu bey. Man wird sich darüber nicht wundern, wenn man weiß, wie sehr sich zu unsrer Zeit der Fleiß in Untersuchung der sichtbaren Natur und die Vorliebe zu diesem Studium ausgebreitet habe; wie allgemeiner, auch unter Unstudierten, Begierde nach Aufklärung und Leserey worden sey, und wie sehr, bey dieser Menge derer, die auch mitreden wollen, bey der Seltenheit spe|a201|culativer Köpfe, und bey dem Gefühl der mehrern Leichtigkeit und des grössern Bedürfniß des Raisonnements über vorkommende Dinge, als tiefsinniger Untersuchung, der Geschmack an dem habe zunehmen müssen, was gemeinnützig scheint, und unmittelbaren Nutzen zeigt; wie sehr endlich der französische Geschmack und Literatur auf unsre Nation gewirkt habe. – Alles dieses muß die Besorgniß erregen, ob nicht diese an sich sehr gerechte Liebe zur populären Philosophie in Gleichgültigkeit gegen Wahrheit und Gewißheit menschlicher Erkenntniß, gegen das Unsichtbare überhaupt, und somit gegen das, was nicht unmittelbar Nutzen zeigt, ausarten möchte.
211.
Und doch verdient die wissenschaftliche Philosophie eine solche Gleichgültigkeit, oder gar Verachtug, gewiß nicht. 1) Schon das, was den Menschen über die Thiere erhebt, was ihn allein für den Mangel mancher feinen Empfindung entschädigt, darin ihn viele Thiere übertreffen, und ihn gegen die Gefahr sichert, der ihn seine sinnliche Vorstellungen und Begierden aussetzen, nemlich das Vermögen, seine Vorstellungen zu verdeutlichen, und in ihre feinere Bestandtheile ausfzulösen, auch seine Wahl bis nach deutlicher Untersuchung aufzuschieben, zeigt, daß seine Erkenntniß der Natur um so vollkommner sey, je deutlich entwickelter sie ist, und empiehlt eine Wissenschaft, die ganz eigentlich ihn dahin führen soll. 2) So |a202| fern man in der Philosophie allgemeine Grundsätze aufsucht, die wir hernach in einzlen Fällen mit Sicherheit anwenden können, giebt die populäre Philosophie keine durchgängige Sicherheit. Völlige Allgemeinheit kan nur aus Begriffen erkannt werden, Induction und Analogie zeigt nicht das ganz Allgemeine; gleichwohl nimmt die populäre Philosophie diesen letztren Weg, so wie die wissenschaftliche sich stets an Begriffe hält, und darauf die Allgemeinheit ihrer Sätze gründet. Ueberdies, da jeder, der auf jene Art philosophiret, seine Beobachtungen aus dem Kreise herausnimmt, der ihn am meisten anzieht, und mit dem er am meisten bekannt ist, und da die Absicht bey dieser Art von Philosophie Gemeinnützigkeit ist: so gewöhnt man sich, die Dinge zu einseitig oder nur nach besondern Verhältnissen, insbesondre den Menschen nur, oder doch am meisten nach der Lage, in der wir ihn sehen, oder die uns eigentlich intereßirt, zu betrachten, und daher vieles zu übersehen oder gar zu verachten, was doch zur allgemein richtigen Beurtheilung erfordert wird.Und doch verdient die wissenschaftliche Philosophie eine solche Gleichgültigkeit, oder gar Verachtug, gewiß nicht. 1) Schon das, was den Menschen über die Thiere erhebt, was ihn allein für den Mangel mancher feinen Empfindung entschädigt, darin ihn viele Thiere übertreffen, und ihn gegen die Gefahr sichert, der ihn seine sinnliche Vorstellungen und Begierden aussetzen, nemlich das Vermögen, seine Vorstellungen zu verdeutlichen, und in ihre feinere Bestandtheile ausfzulösen, auch seine Wahl bis nach deutlicher Untersuchung aufzuschieben, zeigt, daß seine Erkenntniß der Natur um so vollkommner sey, je deutlich entwickelter sie ist, und empiehlt eine Wissenschaft, die ganz eigentlich ihn dahin führen soll. 2) So |a202| fern man in der Philosophie allgemeine Grundsätze aufsucht, die wir hernach in einzlen Fällen mit Sicherheit anwenden können, giebt die populäre Philosophie keine durchgängige Sicherheit. Völlige Allgemeinheit kan nur aus Begriffen erkannt werden, Induction und Analogie zeigt nicht das ganz Allgemeine; gleichwohl nimmt die populäre Philosophie diesen letztren Weg, so wie die wissenschaftliche sich stets an Begriffe hält, und darauf die Allgemeinheit ihrer Sätze gründet. Ueberdies, da jeder, der auf jene Art philosophiret, seine Beobachtungen aus dem Kreise herausnimmt, der ihn am meisten anzieht, und mit dem er am meisten bekannt ist, und da die Absicht bey dieser Art von Philosophie Gemeinnützigkeit ist: so gewöhnt man sich, die Dinge zu einseitig oder nur nach besondern Verhältnissen, insbesondre den Menschen nur, oder doch am meisten nach der Lage, in der wir ihn sehen, oder die uns eigentlich intereßirt, zu betrachten, und daher vieles zu übersehen oder gar zu verachten, was doch zur allgemein richtigen Beurtheilung erfordert wird.
Um sich von der Richtigkeit dieser letztern Bemerkung zu überzeugen, darf man nur, besonders bey der sogenannten Philosophie des Lebens und des gemeinen Menschenverstandes, auf die sehr verschiedenen Begriffe des Staatsmannes, des Gelehrten und des gemeinen Mannes von dem, was zur Glückseligkeit des Menschen gehört, und von dem Werth der Dinge, Acht geben. Daher die Zufriedenheit mit unbestimmten Sätzen, das Halbwahre in so vielen moralischen Maximen, die allgemeinen Machtsprüche, vor|a203|nemlich derer, die sich vorzüglicher Menschenkenntniß rühmen, die allgemeine Abfertigung gewisser Behauptungen oder Handlungen mit Urtheilen, die nur gemeiniglich wahr sind.
212.
Augenscheinlich zeigt sich 3) der grosse Werth der wissenschaftlichen Philosophie, wenn man auf Gewißheit der Erkenntniß ausgeht, ohne welche die Philosophie eine sehr unzuverläßige Führerin bey Untersuchungen und Handlungen ist. Gewiß ist das, wovon das Gegentheil (schlechthin oder unter gewissen Voraussetzungen) undenkbar ist; aber eben die Denkbarkeit oder Möglichkeit ist der Gegenstand der wissenschaftlichen Philosophie. Ob etwas denkbar sey, kan anders nicht als durch Entwickelung der Begriffe gefunden, und der Zweifel nicht völlig gehoben werden, ehe nicht der streitige Satz bis auf solche Sätze und Begriffe zurückgeführt ist, die keine weitere Entwickelung leiden. Wenn denn auch die Untersuchung sich, wie in den meisten Fällen, nicht bis zu nothwendig wahren Sätzen treiben läßt: so kan doch die verschiedene Abstufung der Wahrheit, oder die mehrere und wenigere Annäherung eines Satzes an das Undenkbare, mit einem Wort, das Wahrscheinlichere, anders nicht beurtheilt werden, als nach der möglichsten Verdeutlichung der Begriffe von den streitigen Sachen.
Anm. 1. Wer dieses leugnen wollte, der müßte auch leugnen, daß man mit bewafneten Augen mehreres in einer Sache und ihre wahre Gestalt |a204| besser sehen könne, als mit blossen Augen; daß man nach einem deutlich abgetheilten Maaßstab sicherer messen könne, als nach dem blossen Augenschein; daß ein Scheidekünstler mehr von den Bestandtheilen und der wahren Natur der Mineralien entdecken könne, als ein Andrer durch das blosse Beschauen.
Anm. 2. So sicher uns in vielen Fällen der
Gemeinsinn, (§.
206 Anmerk.) und bey Bestimmung dessen, was Recht ist, das
moralische Gefühl, leitet,
so sehr wir Ursach haben gegen die Speculation mißtrauisch zu werden, wenn sie einem von
beyden widerspricht, so grosse Dienste uns beyde thun, wenn wir nicht lange untersuchen können, oder wenn es uns unmöglich ist, auf deutliche Begriffe zu kommen: so haben sie doch 1) nur einen sehr eingeschränkten Nutzen, nemlich nur in den Fällen, wo das Verhältniß des einen Begriffs in einem Satz gegen den andern Begriff sehr nahe ist, oder auf unsern beständig einerleyen Erfahrungen beruht, oder wo zwischen einander gerade entgegengesetzten oder sehr einfachen Sätzen, nicht aber, wo zwischen vielerley oder zwischen sehr zusammengesetzten Sätzen entschieden werden soll; 2) und dennoch können sie beyde trügen,
theils weil sie zwar auf beständigen, aber oft nur einartigen Erfahrungen beruhen, (wie z. B. bey Einwohnern der heissesten Erdstriche, die nie die Verdichtung des Wassers durch Kälte wahrgenommen haben),
theils, weil sich unvermerkt Vorurtheile des Temperaments, der Erziehung u. d. gl. einmischen. Natürlich kan
dieser Fehler nur durch Verdeutlichung der Begriffe entdeckt, und ihm abgeholfen werden, wodurch sich denn auch zeigt, wie das Wahrheits- oder moralische Gefühl auf Abwege gerathen sey;
jener Fehler aber ergiebt sich nur aus neuen Erfahrungen, die zwar von dem Irrthum zurück
|a205|bringen, aber doch noch auf keine
vollständige Induction schliessen lassen.
213.
Wenn denn nun gleich diese wissenschaftliche Philosophie nicht alles ins Reine bringen und beantworten kan, was man von ihr völlig aufgeklärt wünschen möchte: so hat sie doch auch, wenn man sie gehörig treibt, 4) einen grossen Einfluß auf die Bildung unsrer Denkungsart und Characters. Sie gewöhnt zur
bedächtigen und
reifen Ueberlegung, auch der Kleinigkeiten, die ins Ganze sehr wichtig werden können, und ist in so fern ein Zaum der so gern ins Wilde gehenden Imagination und der Flüchtigkeit im Denken, sie kan selbst den Geschäftmann (
τον πραγματικον ἀνδρα) zur Genauigkeit im Denken (justesse d'Esprit), und zu nüchterner Untersuchung bilden. Sie gewöhnt an Beschäftigung mit unsichtbaren Dingen, mit Religion, Tugend, innerer Kenntniß des Menschen, und hemmt den Hang zur Sinnlichkeit. Sie befördert, indem sie an bedächtige Untersuchung und Verdeutlichung der Begriffe gewöhnet, eine gewisse Ruhe des Geistes. Und, wenn man ihr vorwirft, sie führe auf unnütze, unentscheidbare Fragen, und zuletzt auf leere Wörter, so vergißt man dabey, daß dieses Urtheil nur denn erst wahr gemacht werden kan, wenn man sich an Verdeutlichung der Begriffe gewöhnt hat, und daß eben sie durch Auflösung der Fragen in ihre einfachsten Theile zeige, ob
|a206|
eine Frage unstatthaft und unbeantwortlich sey.
*) Wenn denn nun gleich diese wissenschaftliche Philosophie nicht alles ins Reine bringen und beantworten kan, was man von ihr völlig aufgeklärt wünschen möchte: so hat sie doch auch, wenn man sie gehörig treibt, 4) einen grossen Einfluß auf die Bildung unsrer Denkungsart und Characters. Sie gewöhnt zur
bedächtigen und
reifen Ueberlegung, auch der Kleinigkeiten, die ins Ganze sehr wichtig werden können, und ist in so fern ein Zaum der so gern ins Wilde gehenden Imagination und der Flüchtigkeit im Denken, sie kan selbst den Geschäftmann (
τον πραγματικον ἀνδρα) zur Genauigkeit im Denken (justesse d'Esprit), und zu nüchterner Untersuchung bilden. Sie gewöhnt an Beschäftigung mit unsichtbaren Dingen, mit Religion, Tugend, innerer Kenntniß des Menschen, und hemmt den Hang zur Sinnlichkeit. Sie befördert, indem sie an bedächtige Untersuchung und Verdeutlichung der Begriffe gewöhnet, eine gewisse Ruhe des Geistes. Und, wenn man ihr vorwirft, sie führe auf unnütze, unentscheidbare Fragen, und zuletzt auf leere Wörter, so vergißt man dabey, daß dieses Urtheil nur denn erst wahr gemacht werden kan, wenn man sich an Verdeutlichung der Begriffe gewöhnt hat, und daß eben sie durch Auflösung der Fragen in ihre einfachsten Theile zeige, ob
|a206|
eine Frage unstatthaft und unbeantwortlich sey.
*)
*) S. Moses Mendelssohns Morgenstunden S. 115 folgg. und in den Zusätzen S. XX folgg.
Es läßt sich aus dem bisherigen erklären, warum, bey Verachtung dieser Philosophie, Genügsamkeit an seichter Erkenntniß und oben abgeschöpfter Menschen- und Weltkenntniß, der Hang wegzulachen, was man nicht wegbeweisen kan, Schwärmerey allerley Art, zum Theil auch Eckel an ernsthaften Untersuchungen, und besonders an der Religion, überhand nehme, und wie allen diesen Ausschweifungen durch fleißiges Studium der wissenschaftlichen Philosophie vorgebeugt werden könne.
214.
Wägt man die Vortheile unpartheyisch gegen einander ab, welche die wissenschaftliche und populäre Philosphie gewährt: so findet man gewiß, daß beyderley Philosphie mit einander verbunden zu werden verdiene; jene, vornemlich wenn es um Wahrheit und um bündige Ueberzeugung davon zu thun ist, diese, wenn die Ueberzeugung anschaulich und wirksam auf Herz und Leben, und das Erkannte recht anwendbar werden soll. Man kan den Stoff nicht läutern und verarbeiten, wenn man ihn nicht zuvor gesammlet hat, und man kan ihn nicht gehörig anwenden, wenn man ohne Regeln verfährt. Es wäre daher rathsam, daß junge Studierende erst auf Beobachtung der physischen und |a207| moralischen Natur, auf den Menschen und die Vorfälle in der Welt, auf Ursachen und Folgen der Dinge aufmerksam gemacht, zur Reflexion gewöhnt würden, und dazu das Lesen claßischer Schriftsteller und das Studium der Geschichte besonders angewendet werden möchte. Hätten sie so sich geübt, und einen guten Vorrath von Kenntnissen gesammlet, alsdenn müßten sie zu den Regeln des Denkens angeführt, und durch bedächtiges Fortschreiten von dem Einfachern zum Zusammengesetztern, zu deutlicher Untersuchung gewöhnt werden. Wenn sie so zugleich eine zusammenhängende Uebersicht der wissenschaftlichen Philosophie bekommen hätten, so wüßten sie nicht nur was die gründlichsten Forscher ausgekörnt und bewährt befunden hätten, sondern sie würden auch, was sie selbst durch Nachdenken oder bey den besten Schriftstellern untersucht gefunden, gehörig anreihen, mit mehrerer Sicherheit prüfen, und bestimmter ausdrücken lernen.Wägt man die Vortheile unpartheyisch gegen einander ab, welche die wissenschaftliche und populäre Philosphie gewährt: so findet man gewiß, daß beyderley Philosphie mit einander verbunden zu werden verdiene; jene, vornemlich wenn es um Wahrheit und um bündige Ueberzeugung davon zu thun ist, diese, wenn die Ueberzeugung anschaulich und wirksam auf Herz und Leben, und das Erkannte recht anwendbar werden soll. Man kan den Stoff nicht läutern und verarbeiten, wenn man ihn nicht zuvor gesammlet hat, und man kan ihn nicht gehörig anwenden, wenn man ohne Regeln verfährt. Es wäre daher rathsam, daß junge Studierende erst auf Beobachtung der physischen und |a207| moralischen Natur, auf den Menschen und die Vorfälle in der Welt, auf Ursachen und Folgen der Dinge aufmerksam gemacht, zur Reflexion gewöhnt würden, und dazu das Lesen claßischer Schriftsteller und das Studium der Geschichte besonders angewendet werden möchte. Hätten sie so sich geübt, und einen guten Vorrath von Kenntnissen gesammlet, alsdenn müßten sie zu den Regeln des Denkens angeführt, und durch bedächtiges Fortschreiten von dem Einfachern zum Zusammengesetztern, zu deutlicher Untersuchung gewöhnt werden. Wenn sie so zugleich eine zusammenhängende Uebersicht der wissenschaftlichen Philosophie bekommen hätten, so wüßten sie nicht nur was die gründlichsten Forscher ausgekörnt und bewährt befunden hätten, sondern sie würden auch, was sie selbst durch Nachdenken oder bey den besten Schriftstellern untersucht gefunden, gehörig anreihen, mit mehrerer Sicherheit prüfen, und bestimmter ausdrücken lernen.
Wenn man nach diesem Vorschlage 1) nicht eher wissenschaftliche Philosophie treibt, als bis man einen guten Vorrath von Begriffen gesammlet, und schon Vorübungen angestellet hat: so wird man bey jener weniger auf unfruchtbare Untersuchungen verfallen, trockne Begriffe und Untersuchungen aus Unwissenheit weniger für unnütz halten, und selbst durch diese weniger ermüdet werden. 2) Macht man sich alsdann ein wohl zusammenhängendes und methodisches System bekannt: so erspart man sich nicht nur manche unnöthige eigne Untersuchungen, und lernt, was bereits vorgearbeitet, und was noch zurück ist, sondern man verfällt auch weniger |a208| auf die Thorheit derer, die, unter dem Vorwande des Selbstdenkens und einer freyen Philosophie nur Streifereyen in dieses ihnen noch zu wenig bekannte Land thun, und es nie zu einem rechten Ganzen bringen, worinn alle Theile einander Licht und Befestigung geben, und Eines durch das Andere bestimmt und berichtigt wird. Vollends schön philosophiren wollen, ehe man gründlich philosophiren gelernt hat, und an die Verzierung des Gebäudes zu denken, ehe man an einen festen Grund gedacht hat, ist der sicherste Weg ein seichter Schwätzer zu werden. Es versteht sich aber von selbst, daß ein System, welches jene Dienste leisten soll, methodisch seyn, und nicht eher weiter fortrücken müsse, als bis der Weg zum Folgenden erst durch deutliche Begriffe gebahnt worden ist. Wer dazu keine Geduld, und, worin gemeiniglich dieser Fehler liegt, keinen Kopf zu deutlichen und bestimmten Begriffen, oder keinen Geschmack an Gründlichkeit der Untersuchungen hat, thut freylich besser daß er sich mit gemeiner Philosophie begnügt, wenn er nur so viel Bescheidenheit hat, sich nicht in Sachen mischen zu wollen, die durch bloß gemeine Philosophie nicht entschieden werden können .
215.
In dem, was bisher über wissenschaftliche und populäre Philosophie gesagt worden ist, liegt auch das, worauf man hauptsächlich bey dem Studium der Philosophie zu sehen hat. – Hinlänglicher Vorrath von Kenntnissen der Sache, die man untersuchen will. – Beständiges Streben nach deutlichen und bestimmten Begriffen. – Nicht eher weiter gehen, bis man von dem deut|a209|lich überzeugt ist, was bey der weitern Untersuchung zum Grunde liegen muß. – Stete Verbindung der wirkenden und Endursachen. – Stete Rücksicht auf Anwendung zum Handeln und zu Aufklärung der Wissenschaften, vornemlich derer, denen wir uns vorzüglich widmen. – Bescheidenheit, da stehen zu bleiben, wo wir wegen der Natur der Sache oder wegen unsrer eingeschränkten Erkenntniß nicht weiter können; ohne weder das zu verwerfen, was wir, jetzt wenigstens, nicht durchzuschauen vermögen, noch schlechthin an deren Aufklärung zu verzweifeln. – Zufriedenheit mit moralischer Gewißheit, wo es uns an höherer Evidenz fehlt, und, wo uns auch jene zu erhalten nicht möglich ist, in praktischen Sachen, mit Wahrscheinlichkeit, und überhaupt mit möglichster Annäherung an Gewißheit. – Treue Benutzung aller Winke von Andern, zu weiterer Untersuchung.In dem, was bisher über wissenschaftliche und populäre Philosophie gesagt worden ist, liegt auch das, worauf man hauptsächlich bey dem Studium der Philosophie zu sehen hat. – Hinlänglicher Vorrath von Kenntnissen der Sache, die man untersuchen will. – Beständiges Streben nach deutlichen und bestimmten Begriffen. – Nicht eher weiter gehen, bis man von dem deut|a209|lich überzeugt ist, was bey der weitern Untersuchung zum Grunde liegen muß. – Stete Verbindung der wirkenden und Endursachen. – Stete Rücksicht auf Anwendung zum Handeln und zu Aufklärung der Wissenschaften, vornemlich derer, denen wir uns vorzüglich widmen. – Bescheidenheit, da stehen zu bleiben, wo wir wegen der Natur der Sache oder wegen unsrer eingeschränkten Erkenntniß nicht weiter können; ohne weder das zu verwerfen, was wir, jetzt wenigstens, nicht durchzuschauen vermögen, noch schlechthin an deren Aufklärung zu verzweifeln. – Zufriedenheit mit moralischer Gewißheit, wo es uns an höherer Evidenz fehlt, und, wo uns auch jene zu erhalten nicht möglich ist, in praktischen Sachen, mit Wahrscheinlichkeit, und überhaupt mit möglichster Annäherung an Gewißheit. – Treue Benutzung aller Winke von Andern, zu weiterer Untersuchung.
216.
Die vornehmsten Schriftsteller, welche sich um die Aufklärung der Philosophie verdient gemacht haben, und ihre Schriften, kan man einigermassen, wenigstens ihrer Existenz nach, kennen lernen aus der Bibliotheca philosophica Struviana - - aucta a Lud. Mart. Kahlio, Goetting. 1740. in 2 Tomm. in gr. 8. noch besser aus der Anleitung zur Kenntniß der auserlesenen Literatur in allen Theilen der Philosophie, von Michael Hißmann, Göttingen 1778. 8. welche fortgesetzt zu werden verdient; die |a210| merkwürdigsten aber in Absicht auf einzle Lehrsätze und Streitigkeiten darüber aus: Philosophia rationalis, auctore Sam. Christ. Hollmanno, Edit. auct. Goetting. 1767. 8. desselben Prima Philosophia multum aucta, ebendaselbst, 1747. 8. Institutiones Pnevmatologiae et Theologiae naturalis, das. 1741. 8. Jurisprudentiae naturalis primae lineae, das. 1751. 8. und Philosophiae moralis s. Ethices primae lineae, das. 1768. 8; Anthropologische und pnevmatologische Aphorismen, (von Just. Christ. Hennings) Halle 1777. 8. und Desselben Sittenlehre der Vernunft, Altenburg 1782. gr. 8., nebst den Federschen Lehrbüchern und den Platnerischen Aphorismen, auch den philosophischen Bibliotheken von Windheim, Hennings, Loßius und andern.Die vornehmsten Schriftsteller, welche sich um die Aufklärung der Philosophie verdient gemacht haben, und ihre Schriften, kan man einigermassen, wenigstens ihrer Existenz nach, kennen lernen aus der Bibliotheca philosophica Struviana - - aucta a Lud. Mart. Kahlio, Goetting. 1740. in 2 Tomm. in gr. 8. noch besser aus der Anleitung zur Kenntniß der auserlesenen Literatur in allen Theilen der Philosophie, von Michael Hißmann, Göttingen 1778. 8. welche fortgesetzt zu werden verdient; die |a210| merkwürdigsten aber in Absicht auf einzle Lehrsätze und Streitigkeiten darüber aus: Philosophia rationalis, auctore Sam. Christ. Hollmanno, Edit. auct. Goetting. 1767. 8. desselben Prima Philosophia multum aucta, ebendaselbst, 1747. 8. Institutiones Pnevmatologiae et Theologiae naturalis, das. 1741. 8. Jurisprudentiae naturalis primae lineae, das. 1751. 8. und Philosophiae moralis s. Ethices primae lineae, das. 1768. 8; Anthropologische und pnevmatologische Aphorismen, (von Just. Christ. Hennings) Halle 1777. 8. und Desselben Sittenlehre der Vernunft, Altenburg 1782. gr. 8., nebst den Federschen Lehrbüchern und den Platnerischen Aphorismen, auch den philosophischen Bibliotheken von Windheim, Hennings, Loßius und andern.
217.
Billig aber müßte niemand, wer die Philosophie studiren will, unterlassen, sich mit der Geschichte der Philosophie bekannt zu machen. Sie ist eigentlich die Geschichte des menschlichen Verstandes und seiner fortgeschrittnen Bildung, und die Kenntniß derselben hat sonach den grössesten Einfluß in die Kenntniß der Geschichte und der Veränderungen aller andern Wissenschaften, namentlich der Theologie und der verschiednen Vorstellungen über die Lehrsätze der Religion, die stets von der jedesmaligen Gestalt und den Veränderungen der Philosophie mit abgehangen haben. Sie könnte lehren, wie weit man in der Philosophie, auch in Aufklärung einzler Lehrsätze, fortge|a211|rückt, und was noch zu leisten übrig sey, und die Ursachen der Verirrungen nebst den Mitteln und Hindernissen des weitern Fortschritts begreiflich machen. Sie würde wenigstens auf einer Seite den alles anstaunenden Dünkel, oder den Sectengeist verhindern und niederdrücken helfen, und auf der andern die Billigkeit in der Beurtheilung verschiedner Meinungen befördern.Billig aber müßte niemand, wer die Philosophie studiren will, unterlassen, sich mit der Geschichte der Philosophie bekannt zu machen. Sie ist eigentlich die Geschichte des menschlichen Verstandes und seiner fortgeschrittnen Bildung, und die Kenntniß derselben hat sonach den grössesten Einfluß in die Kenntniß der Geschichte und der Veränderungen aller andern Wissenschaften, namentlich der Theologie und der verschiednen Vorstellungen über die Lehrsätze der Religion, die stets von der jedesmaligen Gestalt und den Veränderungen der Philosophie mit abgehangen haben. Sie könnte lehren, wie weit man in der Philosophie, auch in Aufklärung einzler Lehrsätze, fortge|a211|rückt, und was noch zu leisten übrig sey, und die Ursachen der Verirrungen nebst den Mitteln und Hindernissen des weitern Fortschritts begreiflich machen. Sie würde wenigstens auf einer Seite den alles anstaunenden Dünkel, oder den Sectengeist verhindern und niederdrücken helfen, und auf der andern die Billigkeit in der Beurtheilung verschiedner Meinungen befördern.
218.
Wenn sie diesen Nutzen recht leisten sollte: so müßte sie freylich auf richtige Kritik der Quellen, auf genaue Kenntniß und Studium des philosophischen Sprachgebrauchs, nicht nur überhaupt, sondern auch bey einer jeden Parthey, Zeit und einzlen Philosophen, folglich auf sehr feine Sprachkenntniß und Bekanntschaft mit der Geschichte anderer Wissenschaften gebauet seyn, und die Ursachen, Fortgänge und Folgen aufgeklärter Begriffe und Lehrsätze deutlich darlegen, also auch gewissermassen mehr Geschichte der innerlichen Bildung der philosophischen Wissenschaften und einzler Lehrsätze, als der Personen und Schriften seyn. An diesen Eigenschaften scheint es allen bisherigen Versuchen, die das Ganze dieser Geschichte umfassen sollen, mehr oder weniger zu fehlen, und nur wenige Versuche über einzle Stücke dieser Geschichte, z. B. das §.
139 angeführte Meinerssche Werk, nähern sich dieser Vollkommenheit. – Bis jetzt sind noch immer
Jacob Bruckers kurze Fragen aus der philosophischen Historie, Ulm 1731–
|a212|1735 in 7 Theilen in 12, nebst einem Bande Neuer Zusätze, ebendas. 1737. 12. und Ebendesselben
Historia critica Philosophiae, Lipsiae 1742–44. in 4 Tomis oder 5 Bänden in 4, mit einem Appendix, als dem 6sten Bande 1767.
(jedes Werk in seiner Art vorzüglich,) für Anfänger
aber Desselben Institutiones historiae philosophicae, Edit. 2. Lipsiae 1756. gr. 8. oder
Anton Friedr. Büschings Grundriß einer Geschichte der Philosophie, Berlin 1771–74. in 2 Theilen in 8. die besten.
Wenn sie diesen Nutzen recht leisten sollte: so müßte sie freylich auf richtige Kritik der Quellen, auf genaue Kenntniß und Studium des philosophischen Sprachgebrauchs, nicht nur überhaupt, sondern auch bey einer jeden Parthey, Zeit und einzlen Philosophen, folglich auf sehr feine Sprachkenntniß und Bekanntschaft mit der Geschichte anderer Wissenschaften gebauet seyn, und die Ursachen, Fortgänge und Folgen aufgeklärter Begriffe und Lehrsätze deutlich darlegen, also auch gewissermassen mehr Geschichte der innerlichen Bildung der philosophischen Wissenschaften und einzler Lehrsätze, als der Personen und Schriften seyn. An diesen Eigenschaften scheint es allen bisherigen Versuchen, die das Ganze dieser Geschichte umfassen sollen, mehr oder weniger zu fehlen, und nur wenige Versuche über einzle Stücke dieser Geschichte, z. B. das §.
139 angeführte Meinerssche Werk, nähern sich dieser Vollkommenheit. – Bis jetzt sind noch immer
Jacob Bruckers kurze Fragen aus der philosophischen Historie, Ulm 1731–
|a212|1735 in 7 Theilen in 12, nebst einem Bande Neuer Zusätze, ebendas. 1737. 12. und Ebendesselben
Historia critica Philosophiae, Lipsiae 1742–44. in 4 Tomis oder 5 Bänden in 4, mit einem Appendix, als dem 6sten Bande 1767.
(jedes Werk in seiner Art vorzüglich,) für Anfänger
aber Desselben Institutiones historiae philosophicae, Edit. 2. Lipsiae 1756. gr. 8. oder
Anton Friedr. Büschings Grundriß einer Geschichte der Philosophie, Berlin 1771–74. in 2 Theilen in 8. die besten.