264.
Wir kommen zu den sogenannten
schönen Wissenschaften, wohin man
Redekunst und
Dichtkunst zu rechnen pflegt. – Was haben diese vor andern Wissenschaften und Künsten eignes? – Darin ist man wohl eins, daß der Redner und Dichter nicht bloß vorstellen, bloß lehren oder erzählen, sondern dergestalt vorstellen wolle, daß er für oder wider die Sache einnehme, Gefallen an der dargestellten Sache oder Mißfallen errege. Dieses läßt sich
entweder durch die Sachen selbst bewirken, (die schon in so fern gefallen, als sie unsre Thätigkeit beschäftigen und unsre Wißbegierde befriedigen,)
oder durch die Art wie man sie vorstellt. Dieses letztre kan wieder
entweder durch Verdeutlichung
oder durch Versinnlichung geschehen. Jenes ist der Zweck der
strengern,
*) dieses der
schönen Wissenschaften und Künste. Die
schönen Wissenschaften gehen darauf hinaus, vermittelst der Rede, also vermittelst willkührlicher, und nur durch den Gebrauch gebilligter
|a261| Zeichen, die gedachte Absicht auszuführen; die
schönen Künste aber, durch natürliche Zeichen, wodurch eine Vorstellung der Sachen bewirket werden kan.Wir kommen zu den sogenannten
schönen Wissenschaften, wohin man
Redekunst und
Dichtkunst zu rechnen pflegt. – Was haben diese vor andern Wissenschaften und Künsten eignes? – Darin ist man wohl eins, daß der Redner und Dichter nicht bloß vorstellen, bloß lehren oder erzählen, sondern dergestalt vorstellen wolle, daß er für oder wider die Sache einnehme, Gefallen an der dargestellten Sache oder Mißfallen errege. Dieses läßt sich
entweder durch die Sachen selbst bewirken, (die schon in so fern gefallen, als sie unsre Thätigkeit beschäftigen und unsre Wißbegierde befriedigen,)
oder durch die Art wie man sie vorstellt. Dieses letztre kan wieder
entweder durch Verdeutlichung
oder durch Versinnlichung geschehen. Jenes ist der Zweck der
strengern,
*) dieses der
schönen Wissenschaften und Künste. Die
schönen Wissenschaften gehen darauf hinaus, vermittelst der Rede, also vermittelst willkührlicher, und nur durch den Gebrauch gebilligter
|a261| Zeichen, die gedachte Absicht auszuführen; die
schönen Künste aber, durch natürliche Zeichen, wodurch eine Vorstellung der Sachen bewirket werden kan.
Anm. 1. Jene werden daher auch die redenden, wie diese die bildenden Künste genannt, und diese Benennung scheint Künste und Wissenschaften zu vermengen. Dies kommt daher, weil Griechen und Römer die Wörter τέχνη und ars von jeder regelmäßigen Fertigkeit und von jedem Inbegrif der Regeln zu gewissen Verrichtungen brauchten, dergleichen Regeln bey den Wissenschaften sowohl als bey den Künsten statt finden; wiewohl man hernach die freyen Künste (artes liberales, ἀβάναυσοι τέχναι) von den mechanischen unterschieden hat, deren Zweck Befriedigung bloß körperlicher, wie jener, zugleich oder allein Befriedigung geistiger Bedürfnisse ist.
Anm. 2. Hienach läßt sich vielleicht der Unterschied zwischen Wissenschaften und Künsten etwas bestimmter angeben, und erklären, woher die so schwankenden Begriffe von dem Unterschied derselben kommen. Alle Kenntnisse dienen zur Befriedigung der Bedürfnisse, entweder der Seele, die sie belehren, überzeugen oder bewegen sollen, oder des Körpers, oder beyder zugleich. Nimmt man nun Wissenschaften und Künste (objectiue) für den zusammenhängenden Inbegrif gewisser einen gemeinsamen Gegenstand betreffenden Kenntnisse: so entstehen im angegebnen ersten Fall Wissenschaften, im zweyten mechanische, im dritten schöne Künste. Diese letzten sind mit den freyen Künsten der Alten einerley, sofern man bey diesen, welches die Alten nicht thaten, Künste noch von eigentlichen Wissenschaften unterscheidet; sie bringen, z. B. |a262| Mahlerey und Tonkunst, zunächst angenehme Bewegungen im Körper oder den äusserlichen Sinnen, zugleich aber auch angenehme Empfindungen des innern Sinnes hervor. Weil nun die schönen Wissenschaften und Künste die Hervorbringung dieser letztern angenehmen Empfindungen mit einander gemein haben; so läßt sich leicht einsehen, wie man habe in Versuchung gerathen können, sie beyderseits unter die freyen Künste zu rechnen.
Anm. 3. *)
Strengere Wissenschaften sind hier in diesem §. nicht mit den Wissenschaften im
strengsten Verstande zu verwechseln, als welche letztere nur solche Wissenschaften sind, deren Innhalt aus der Natur der Sachen selbst bewiesen werden kan, und die hier, als eine Art (species) mit unter den
strengern Wissenschaften im Gegensatz gegen
schöne Wissenschaften, begriffen sind. Auch ist
Verdeutlichung hier, im Gegensatz gegen
Versinnlichung, im weitern Verstande genommen, so daß sie nicht nur die Entwickelung desjenigen, was in einem Begrif liegt, (intensive Verdeutlichung) sondern auch die ausführlichere Vorstellung der Sachen (extensive Verdeutlichung) in sich faßt. Vergl. §.
226 .
265.
Sonach sind die schönen Wissenschaften solche, welche lehren, wie man den Vortrag versinnlichen, und dadurch an die Sachen selbst Gefallen oder Mißfallen erregen soll. Sie beschäftigen sich also 1) nur mit Bildung des Vortrags oder des Ausdrucks der Sachen durch Worte. 2) Ihr Zweck ist, Vergnügen, oder das Gegentheil, an den vorgetragenen Sachen zu |a263| erwecken, welches übrigens die Belehrung nicht ausschließt, nur daß diese nicht der nächste Zweck ist. Diesen Zweck suchen sie 3) durch die Form der Vorstellung oder die Art des Vortrags und die Einkleidung der Sachen zu befördern, indem sie dadurch 4) die Sachen sinnlich darstellen, welcher Vortrag eben durch dieses Sinnliche gefallen, und daher auch Gefallen an den Sachen erwecken soll. Durch das erste Stück unterscheiden sie sich von den schönen Künsten; durch die drey letztern von den strengen Wissenschaften. – Da sie aber, abgesehen von der Rede, die sie als Mittel zu jener Absicht bilden sollen, einerley allgemeine Regeln mit den schönen Künsten enthalten: so läßt sich eine allgemeinere Wissenschaft entwerfen, welche die Regeln für schöne Wissenschaften und Künste zugleich, oder die Regeln der Vollkommenheit sinnlicher Erkenntniß und ihres Ausdrucks in sich faßt. A. G. Baumgarten hat ihr den Namen der Aesthetik gegeben.Sonach sind die schönen Wissenschaften solche, welche lehren, wie man den Vortrag versinnlichen, und dadurch an die Sachen selbst Gefallen oder Mißfallen erregen soll. Sie beschäftigen sich also 1) nur mit Bildung des Vortrags oder des Ausdrucks der Sachen durch Worte. 2) Ihr Zweck ist, Vergnügen, oder das Gegentheil, an den vorgetragenen Sachen zu |a263| erwecken, welches übrigens die Belehrung nicht ausschließt, nur daß diese nicht der nächste Zweck ist. Diesen Zweck suchen sie 3) durch die Form der Vorstellung oder die Art des Vortrags und die Einkleidung der Sachen zu befördern, indem sie dadurch 4) die Sachen sinnlich darstellen, welcher Vortrag eben durch dieses Sinnliche gefallen, und daher auch Gefallen an den Sachen erwecken soll. Durch das erste Stück unterscheiden sie sich von den schönen Künsten; durch die drey letztern von den strengen Wissenschaften. – Da sie aber, abgesehen von der Rede, die sie als Mittel zu jener Absicht bilden sollen, einerley allgemeine Regeln mit den schönen Künsten enthalten: so läßt sich eine allgemeinere Wissenschaft entwerfen, welche die Regeln für schöne Wissenschaften und Künste zugleich, oder die Regeln der Vollkommenheit sinnlicher Erkenntniß und ihres Ausdrucks in sich faßt. A. G. Baumgarten hat ihr den Namen der Aesthetik gegeben.
Anm. 1. Man nennt schön im weitern Verstande alles, was vollkommen ist, so fern diese Vollkommenheit sinnlich erkannt wird, und in einem engern , was, seiner sinnlich erkannten Form nach, vollkommen ist. Schöne Wissenschaften und Künste lehren nicht nur, Sachen, als vollkommen, sinnlich darstellen, sondern auch dieses durch die Art des Ausdrucks, also durch die Form, bewirken; daher haben sie ihren Namen bekommen.
Anm. 2. Da schöne Wissenschaften und Künste zeigen sollen, wie Sachen, die nicht selbst dargestellt werden können, vermittelst
des Ausdrucks,
|a264| es sey durch Wörter oder natürliche Zeichen, vergegenwärtiget werden müssen: so lehren sie, für die
Einbildungskraft arbeiten, die nichts anders ist, als das Vermögen der Seele, sich Dinge, die nicht selbst da sind, durch Vorstellungen zu vergegenwärtigen.
Anm. 3. Wenn bey uns durch Darstellung gewisser Sachen vermittelst gewisser Zeichen Wohlgefallen erweckt wird: so empfinden wir dieses entweder über die Art der Darstellung, oder über die so dargestellten Sachen selbst. Jenes kan zwar wieder ein Mittel werden dieses zu befördern, es kan aber auch allein da seyn ohne dieses. Nur gar zu oft schränkt man den Zweck der schönen Wissenschaften und Künste bloß auf die Hervorbringung jenes Wohlgefallens ein, und erniedrigt dadurch, daß man sie zum blossen Werkzeug der Belustigung macht, ihren Werth und grosse Nutzbarkeit unglaublich. Freylich ist ihre Absicht, durch die Art der Darstellung geradezu Vergnügen zu erwecken, aber was ist dieser Kitzel der Einbildungskraft werth, wenn das Vergnügen darüber nicht wieder eine Quelle des Wohlgefallens an den Sachen selbst wird?
266.
So schwer es ist, die Gränzen bestimmt anzugeben, wo sich Werke der Rede- oder Dichtkunst scheiden: so läßt sich doch der Hauptcharakter von beyderley Werken bey einiger Aufmerksamkeit nicht verkennen. Offenbar nähern sich jene mehr den Werken der strengern Wissenschaften, (§.
264 ) diese, den Werken der schönen Künste. Der Charakter dichterischer Werke ist, alles so gegenwärtig als möglich darzustellen, die Vorstellungen davon
|a265| so lebhaft zu machen, als es immer die Natur der Sache und der Rede erlaubt, d. i. viele klare oder solche Merkmale der Sachen, die eine Menge von Nebenvorstellungen erwecken, wodurch die Sachen selbst klärer oder anzüglicher werden,
auf einmal zum Uebersehen darzustellen. Sie ziehen also oft selbst dunkle Vorstellungen mit ins Spiel; Werke der Redekunst hingegen suchen die nehmliche Wirkung mehr
nach und nach hervorzubringen, legen das, was zur klaren Vorstellung der Sachen gehört, mehr aus einander, nehmen deutliche Vorstellungen so weit zu Hülfe, als es ohne Schwächung der sinnlichen Darstellung geschehen kan. Gleichwohl haben beyderley Werke den Zweck, durch sinnliche Darstellung der Sachen Gefallen an den Sachen selbst zu erregen, und, da dieses anders nicht als durch Vorstellungen geschehen kan, auch zu belehren. Demnach kan wohl der wesentliche Unterschied zwischen den Werken der Rede- und der Dichtkunst am sichersten nach dem Zweck bestimmt werden, der in beyderley Werken am meisten hervorsticht; und dieser ist, bey Werken der Redekunst, Belehrung oder extensive Deutlichkeit (§.
264. Anm. 3.) wozu Lebhaftigkeit der Darstellung nur als Mittel gebraucht wird, bey dichterischen Werken aber, Lebhaftigkeit, und Belehrung nur so weit, als sie Lebhaftigkeit befördern kan.
- Anfangsgründe einer Theorie der Dichtungsarten (von J. J. Engel), Erster Theil, Berlin 1783. 8. im ersten Hauptstück.
So schwer es ist, die Gränzen bestimmt anzugeben, wo sich Werke der Rede- oder Dichtkunst scheiden: so läßt sich doch der Hauptcharakter von beyderley Werken bey einiger Aufmerksamkeit nicht verkennen. Offenbar nähern sich jene mehr den Werken der strengern Wissenschaften, (§.
264 ) diese, den Werken der schönen Künste. Der Charakter dichterischer Werke ist, alles so gegenwärtig als möglich darzustellen, die Vorstellungen davon
|a265| so lebhaft zu machen, als es immer die Natur der Sache und der Rede erlaubt, d. i. viele klare oder solche Merkmale der Sachen, die eine Menge von Nebenvorstellungen erwecken, wodurch die Sachen selbst klärer oder anzüglicher werden,
auf einmal zum Uebersehen darzustellen. Sie ziehen also oft selbst dunkle Vorstellungen mit ins Spiel; Werke der Redekunst hingegen suchen die nehmliche Wirkung mehr
nach und nach hervorzubringen, legen das, was zur klaren Vorstellung der Sachen gehört, mehr aus einander, nehmen deutliche Vorstellungen so weit zu Hülfe, als es ohne Schwächung der sinnlichen Darstellung geschehen kan. Gleichwohl haben beyderley Werke den Zweck, durch sinnliche Darstellung der Sachen Gefallen an den Sachen selbst zu erregen, und, da dieses anders nicht als durch Vorstellungen geschehen kan, auch zu belehren. Demnach kan wohl der wesentliche Unterschied zwischen den Werken der Rede- und der Dichtkunst am sichersten nach dem Zweck bestimmt werden, der in beyderley Werken am meisten hervorsticht; und dieser ist, bey Werken der Redekunst, Belehrung oder extensive Deutlichkeit (§.
264. Anm. 3.) wozu Lebhaftigkeit der Darstellung nur als Mittel gebraucht wird, bey dichterischen Werken aber, Lebhaftigkeit, und Belehrung nur so weit, als sie Lebhaftigkeit befördern kan.
- Anfangsgründe einer Theorie der Dichtungsarten (von J. J. Engel), Erster Theil, Berlin 1783. 8. im ersten Hauptstück.
|a266| Anm. 1. Die Schwierigkeiten in genauer Absonderung beyder schönen Wissenschaften, und die Gewohnheit, bald Sylbenmaaß, bald Erdichtung, bald das Ungewöhnlichere des Ausdrucks, als den unterscheidenden Charakter der Poesie anzunehmen, rühren wohl daher: daß, weil dichterische Werke meistens metrisch sind, man Verse und Poesie, ungebundne Rede und Prose, als ganz einerley angenommen hat; daß Poesie nicht zu allen Zeiten und überall gleich vollkommen war, oft Nebenzwecke, z. B. Verse zum Gesang, manchmal nur zum bessern Behalten der Gedanken zu brauchen, den Hauptzweck verdrängt haben; hauptsächlich aber, daß, nach gewissen besondern Arten rednerischer und dichterischer Werke, Redekunst an Poesie z. B. in rührenden Reden, und, wie im Lehrgedichte oder poetischen Erzählungen, Poesie an Redekunst streift.
Anm. 2. Aus dem hervorstechenden Zweck bey poetischen Werken läßt sich erklären, warum einförmiges Sylben- Zeilen- und Strophenmaaß, Erdichtung, und bilderreicher oder überhaupt von dem gewöhnlichen sich entfernender Ausdruck, in dergleichen Werken gebraucht wird; weil nemlich alles dieses die Lebhaftigkeit befördert; daher es auch wegfallen muß, wenn die zweckmäßige Lebhaftigkeit schon ohne dieses erhalten werden kan, oder gar durch diese Dinge gestört werden würde. Es ist hieraus zugleich begreiflich, warum Gedichte mehr Reitz haben als Werke der Prose.
Anm. 3. Man könnte die beschriebene Art der sinnlichen Darstellung, die in dichterischen Werken hervorsticht, sinnlich lebhafte, und die, welche in rednerischen Werken herrscht, die sinnlich deutliche nennen.
|a267| 267.
Hienach würde der den Namen eines Redners (Orator) verdienen, der die Geschicklichkeit besässe, durch einen sinnlich deutlichen, und der den eines Dichters, welcher die Geschicklichkeit hätte, durch einen sinnlich lebhaften Vortrag Sachen annehmlich darzustellen. Die Anweisung zu diesem Vortrag würde die Poetik oder Dichtkunst (als Wissenschaft oder Innbegrif von Vorschriften genommen); die Anweisung aber zu jenen Vortrag, die Redekunst (Rhetorik) im weitern Verstande oder Theorie der Beredsamkeit seyn.Hienach würde der den Namen eines Redners (Orator) verdienen, der die Geschicklichkeit besässe, durch einen sinnlich deutlichen, und der den eines Dichters, welcher die Geschicklichkeit hätte, durch einen sinnlich lebhaften Vortrag Sachen annehmlich darzustellen. Die Anweisung zu diesem Vortrag würde die Poetik oder Dichtkunst (als Wissenschaft oder Innbegrif von Vorschriften genommen); die Anweisung aber zu jenen Vortrag, die Redekunst (Rhetorik) im weitern Verstande oder Theorie der Beredsamkeit seyn.
Anm. Redekunst im weitern Verstande; welche sich also über den ganzen prosaischen Vortrag und Schreibart erstreckte, so fern er mehr als deutlich seyn soll, er möchte in Lehr- oder Geschichtsbüchern, in Briefen oder Gesprächen oder eigentlichsten Reden gebraucht werden. Gemeiniglich, und zumal bey Griechen und Römern, wird Redekunst im engern Verstande genommen für die Anweisung eine eigentliche Rede, oder Ausführung eines Hauptsatzes auf die erwehnte Art, abzufassen und zu halten, und darauf die Beredsamkeit eingeschränkt. (Die Anweisung zum Halten einer Rede oder zum mündlichen Vortrag (Declamatio), gehört doch mehr den schönen Künsten als Wissenschaften zu.) Indessen, da der gute Prosaist sich der Sprache bedienet, und dadurch Vorstellungen erwecken will, welche aufs wirksamste belehren und bewegen sollen: so bedarf er eben sowohl der Grammatik und Logik als der Rhetorik. Der Dichter braucht die Grammatik auch, bedarf aber mehr |a268| des Unterrichts in schönen Künsten, als in den strengen Regeln der Logik.
268.
Schönheit wirkt auf jeden Menschen mit unwiderstehlicher Gewalt, und die schöne Gestalt, unter der eine Sache erscheint, nimmt uns für die Sache selbst ein. Man verweilt gern mit seiner Betrachtung bey solchen Gegenständen, und man kan sicher auf Eindruck bey Andern rechnen, wenn man das, womit man Eindruck machen will, bekleidet mit diesen Reitzen darzustellen weiß. Schon dies könte jeden überzeugen, wie nöthig es sey, das zu studieren, was wirklich schön ist, und wie man einer Sache diese Gestalt geben könne; wäre es auch nur 1) um unsre eigne Aufmerksamkeit zu fesseln, unsre Seele zu einer angenehmen Unterhaltung mit gewissen Sachen zu stimmen, unsren Fleiß zu ihrer Untersuchung zu erregen und zu erhalten; noch mehr um nur vorerst Andre dahin zu bringen, daß sie uns hören, und, wenn sie dahin gebracht sind, eben den Antheil an der Sache nehmen, den wir ihnen einflössen wollen.Schönheit wirkt auf jeden Menschen mit unwiderstehlicher Gewalt, und die schöne Gestalt, unter der eine Sache erscheint, nimmt uns für die Sache selbst ein. Man verweilt gern mit seiner Betrachtung bey solchen Gegenständen, und man kan sicher auf Eindruck bey Andern rechnen, wenn man das, womit man Eindruck machen will, bekleidet mit diesen Reitzen darzustellen weiß. Schon dies könte jeden überzeugen, wie nöthig es sey, das zu studieren, was wirklich schön ist, und wie man einer Sache diese Gestalt geben könne; wäre es auch nur 1) um unsre eigne Aufmerksamkeit zu fesseln, unsre Seele zu einer angenehmen Unterhaltung mit gewissen Sachen zu stimmen, unsren Fleiß zu ihrer Untersuchung zu erregen und zu erhalten; noch mehr um nur vorerst Andre dahin zu bringen, daß sie uns hören, und, wenn sie dahin gebracht sind, eben den Antheil an der Sache nehmen, den wir ihnen einflössen wollen.
269.
Und ist denn 2) unsre sinnliche Erkenntniß weniger wirksam als die deutliche? Bedarf sie der Erweiterung, der Berichtigung, der Leitung, weniger als diese? Wir urtheilen und handeln doch häufiger nach Empfindung als nach Ueberlegung, müssen |a269| selbst oft, wenn es uns an Zeit oder hinlänglichen Gründen der Entscheidung fehlt, dem Ausspruch der Empfindung überlassen. Empfindung spricht gemeiniglich stärker als Vernunft, letztre wenigstens weit stärker für oder wider eine Sache, wenn sie durch das Urtheil der Empfindung unterstützt wird. Sinnliche Vorstellungen sind auch die Grundlage der vernünftigen; wo jene ganz mangeln, fehlt es auch an diesen; wo jene irren, theilt sich der Irrthum auch diesen mit. Jene können oft mißleiten; nur die Vernunft sichert den Menschen dagegen, nur sie kan die Gesetze entwerfen, wonach die Sinnlichkeit eingeschränkt und gelenkt werden muß; diese bedarf also sowohl als der Verstand einer regelmäßigen Bearbeitung, Pflege und Richtung. Und wenn der Mensch zwischen den Thieren und den Engeln in der Mitte steht, nicht bloß gröbern Empfindungen, wie jene, folgen darf, und nicht bloß vernünftigen Vorstellungen folgen kan, wie diese: was ist zu seiner Bildung nöthiger, als die Bildung feinerer Empfindungen, in welchen sinnliche und deutliche Vorstellungen gleichsam in einander schmelzen?Und ist denn 2) unsre sinnliche Erkenntniß weniger wirksam als die deutliche? Bedarf sie der Erweiterung, der Berichtigung, der Leitung, weniger als diese? Wir urtheilen und handeln doch häufiger nach Empfindung als nach Ueberlegung, müssen |a269| selbst oft, wenn es uns an Zeit oder hinlänglichen Gründen der Entscheidung fehlt, dem Ausspruch der Empfindung überlassen. Empfindung spricht gemeiniglich stärker als Vernunft, letztre wenigstens weit stärker für oder wider eine Sache, wenn sie durch das Urtheil der Empfindung unterstützt wird. Sinnliche Vorstellungen sind auch die Grundlage der vernünftigen; wo jene ganz mangeln, fehlt es auch an diesen; wo jene irren, theilt sich der Irrthum auch diesen mit. Jene können oft mißleiten; nur die Vernunft sichert den Menschen dagegen, nur sie kan die Gesetze entwerfen, wonach die Sinnlichkeit eingeschränkt und gelenkt werden muß; diese bedarf also sowohl als der Verstand einer regelmäßigen Bearbeitung, Pflege und Richtung. Und wenn der Mensch zwischen den Thieren und den Engeln in der Mitte steht, nicht bloß gröbern Empfindungen, wie jene, folgen darf, und nicht bloß vernünftigen Vorstellungen folgen kan, wie diese: was ist zu seiner Bildung nöthiger, als die Bildung feinerer Empfindungen, in welchen sinnliche und deutliche Vorstellungen gleichsam in einander schmelzen?
270.
Mag es 3) seyn, daß Genie und Geschmack mehr als alle Regeln der Kunst vermag, daß ohne beydes weder ein schönes Werk hervorgebracht, noch auch einmal geschätzt werden kan: so kan doch jenes ausschweifen, und dieser verdorben werden, oder schon verdorben seyn. Beydes bedarf |a270| wenigstens Uebung und Nahrung. Wenn nun Genie nichts anders ist als vorzügliche Stärke der Seelenkräfte, und wenn dazu eine vorzügliche Aufgelegtheit zu sehr lebhaften oder sehr deutlichen Vorstellungen, sowohl als eine vorzügliche Reitzbarkeit des Geistes zu dergleichen Vorstellungen gehört: so wird ein Mann von Genie weit mehr Bedürfnisse fühlen als ein andrer, er wird nicht mit dem Gemeinen zufrieden seyn, sondern nach den Vollkommnern dürsten, und, ist er zu sehr lebhaften Vorstellungen aufgelegt, so wird er gerade sinnlicher Vorstellungen der Vollkommenheit bedürfen; daher werden eben Werke der schönen Künste das seyn, was dem Genie die meiste Nahrung giebt, weil sie ganz eigentlich dergleichen Vorstellungen gewähren. Weil aber ein lebhafter und reitzbarer Geist auch leichter hingerissen wird: so wird eben darum das fleißige Studium fester Regeln zur Beurtheilung des Schönen, d. i. der sinnlichen Vollkommenheit, ihn gegen Ausschweifungen verwahren, und seinen Geschmack, d. i. seine sinnliche Beurtheilungskraft, bilden.Mag es 3) seyn, daß Genie und Geschmack mehr als alle Regeln der Kunst vermag, daß ohne beydes weder ein schönes Werk hervorgebracht, noch auch einmal geschätzt werden kan: so kan doch jenes ausschweifen, und dieser verdorben werden, oder schon verdorben seyn. Beydes bedarf |a270| wenigstens Uebung und Nahrung. Wenn nun Genie nichts anders ist als vorzügliche Stärke der Seelenkräfte, und wenn dazu eine vorzügliche Aufgelegtheit zu sehr lebhaften oder sehr deutlichen Vorstellungen, sowohl als eine vorzügliche Reitzbarkeit des Geistes zu dergleichen Vorstellungen gehört: so wird ein Mann von Genie weit mehr Bedürfnisse fühlen als ein andrer, er wird nicht mit dem Gemeinen zufrieden seyn, sondern nach den Vollkommnern dürsten, und, ist er zu sehr lebhaften Vorstellungen aufgelegt, so wird er gerade sinnlicher Vorstellungen der Vollkommenheit bedürfen; daher werden eben Werke der schönen Künste das seyn, was dem Genie die meiste Nahrung giebt, weil sie ganz eigentlich dergleichen Vorstellungen gewähren. Weil aber ein lebhafter und reitzbarer Geist auch leichter hingerissen wird: so wird eben darum das fleißige Studium fester Regeln zur Beurtheilung des Schönen, d. i. der sinnlichen Vollkommenheit, ihn gegen Ausschweifungen verwahren, und seinen Geschmack, d. i. seine sinnliche Beurtheilungskraft, bilden.
Anm. Wenn man durch die Gründe, die unten sollen angegeben werden, von dem grossen Einfluß des Geschmacks und der Bildung desselben, auf die Denkungsart, den Charakter und die Handlungen der Menschen, überzeugt seyn wird: so wird sich auch ergeben, daß der Einfluß der schönen Wissenschaften und Künste viel weiter reiche, und beträchtlicher sey, als sich die meisten vorstellen.
|a271| 271.
Von den schönen Wissenschaften und Künsten können auch 4) viele andre Wissenschaften grosse Vortheile ziehen. Sie führen uns, wenn man sie fleißig studieret, auf viele feine Beobachtungen über die Kräfte, Triebfedern und Veränderungen der menschlichen Seele, und erweitern dadurch nicht nur die Kenntniß der Psychologie, sondern leiten uns auch auf Grundsätze, viele, zum Theil widersprechend scheinende, Erscheinungen zu erklären. Hiedurch gewinnt die Aesthetik, die Logik, das feinere Sprachstudium, die Geschichte, sofern sie pragmatisch behandelt wird, die Moral, in Absicht auf neue oder neubestimmte Pflichten, auf neue Bewegungsgründe, auf bessre Art die Ausübung unsrer Pflichten zu befördern, und eben dadurch selbst die Religion. Wie weit anziehender sind selbst alle diese Wissenschaften worden, und haben die Lernbegierde selbst der Ungelehrten erregt, seitdem man ihnen durch Hülfe der schönen Wissenschaften ein gefälligeres Gewand gegeben hat?Von den schönen Wissenschaften und Künsten können auch 4) viele andre Wissenschaften grosse Vortheile ziehen. Sie führen uns, wenn man sie fleißig studieret, auf viele feine Beobachtungen über die Kräfte, Triebfedern und Veränderungen der menschlichen Seele, und erweitern dadurch nicht nur die Kenntniß der Psychologie, sondern leiten uns auch auf Grundsätze, viele, zum Theil widersprechend scheinende, Erscheinungen zu erklären. Hiedurch gewinnt die Aesthetik, die Logik, das feinere Sprachstudium, die Geschichte, sofern sie pragmatisch behandelt wird, die Moral, in Absicht auf neue oder neubestimmte Pflichten, auf neue Bewegungsgründe, auf bessre Art die Ausübung unsrer Pflichten zu befördern, und eben dadurch selbst die Religion. Wie weit anziehender sind selbst alle diese Wissenschaften worden, und haben die Lernbegierde selbst der Ungelehrten erregt, seitdem man ihnen durch Hülfe der schönen Wissenschaften ein gefälligeres Gewand gegeben hat?
272.
Was hilft auch 5) alle Erkenntniß, wenn sie nicht wirksam ist? Dies wird sie aber, je lebhafter, und überhaupt je sinnlicher sie uns die Sachen, die wir begehren oder verabscheuen sollen, darstellt; und diese Klarheit und Lebhaftigkeit den Vorstellungen zu geben, ist ganz eigent
|a272|lich der Zweck, worauf die schönen Wissenschaften arbeiten. Ihr Studium benimmt der Denkungsart das Trockne und Einförmige, das so wenig reitzt und unterhält, benimmt dem Charakter das Rauhe und macht ihn geschmeidiger, stimmt die Seele zu sanftern Empfindungen, macht sie theilnehmender an allem, was den Menschen intereßiren kan, veredelt unsre ganze Natur. Wie sehr es daher – 6) auf die Leidenschaften wirke, es sey, sie zu mildern und einzuschränken, oder sie in Bewegung zu setzen, wie sehr – 7) auf die Beförderung aller Tugenden, bedarf keiner Ausführung. Wer fühlt die Macht der wahren Beredsamkeit und Dichtkunst nicht? und was hat von jeher jeden noch so rohen Menschen oder Nation biegsamer und menschlicher gemacht, als Werke der Schönheit ? – Selbst von den höhern Wirkungen abgesehen, die alle dergleichen Werke hervorbringen können, abgesehen also davon, daß sie die Fähigkeiten des Menschen veredeln, seinen thätigen Fleiß in Bewegung setzen und unterhalten, ihn lehren und antreiben, durch
Thätigkeit
nach der Vollkommenheit zu ringen, – selbst die Glückseligkeit des Menschen auf
Genuß und blosses
Vergnügen eingeschränkt: veredlen sie doch schon dieses Vergnügen, sie machen es unschädlicher, sie verhindern die zu frühe Sättigung und Uebermaaß, sie befördern mehr den Geschmack an
geistigen Vergnügungen, der nie den Menschen so tief sinken läßt als der Geschmack am gröbern Vergnügen, der doch den Geist immer mit beschäftigt, der ihm eher die Rückkehr zum Besin
|a273|nen und den Verstand zu Gegenvorstellungen offen erhält.Was hilft auch 5) alle Erkenntniß, wenn sie nicht wirksam ist? Dies wird sie aber, je lebhafter, und überhaupt je sinnlicher sie uns die Sachen, die wir begehren oder verabscheuen sollen, darstellt; und diese Klarheit und Lebhaftigkeit den Vorstellungen zu geben, ist ganz eigent
|a272|lich der Zweck, worauf die schönen Wissenschaften arbeiten. Ihr Studium benimmt der Denkungsart das Trockne und Einförmige, das so wenig reitzt und unterhält, benimmt dem Charakter das Rauhe und macht ihn geschmeidiger, stimmt die Seele zu sanftern Empfindungen, macht sie theilnehmender an allem, was den Menschen intereßiren kan, veredelt unsre ganze Natur. Wie sehr es daher – 6) auf die Leidenschaften wirke, es sey, sie zu mildern und einzuschränken, oder sie in Bewegung zu setzen, wie sehr – 7) auf die Beförderung aller Tugenden, bedarf keiner Ausführung. Wer fühlt die Macht der wahren Beredsamkeit und Dichtkunst nicht? und was hat von jeher jeden noch so rohen Menschen oder Nation biegsamer und menschlicher gemacht, als Werke der Schönheit ? – Selbst von den höhern Wirkungen abgesehen, die alle dergleichen Werke hervorbringen können, abgesehen also davon, daß sie die Fähigkeiten des Menschen veredeln, seinen thätigen Fleiß in Bewegung setzen und unterhalten, ihn lehren und antreiben, durch
Thätigkeit
nach der Vollkommenheit zu ringen, – selbst die Glückseligkeit des Menschen auf
Genuß und blosses
Vergnügen eingeschränkt: veredlen sie doch schon dieses Vergnügen, sie machen es unschädlicher, sie verhindern die zu frühe Sättigung und Uebermaaß, sie befördern mehr den Geschmack an
geistigen Vergnügungen, der nie den Menschen so tief sinken läßt als der Geschmack am gröbern Vergnügen, der doch den Geist immer mit beschäftigt, der ihm eher die Rückkehr zum Besin
|a273|nen und den Verstand zu Gegenvorstellungen offen erhält.
273.
Wenn die Werke der schönen Wissenschaften und Künste, oder diese selbst, diese angegebnen Vortheile nicht wirklich gewähren, oder wenn sie gar den Geist, das Herz und die Sitten verderben helfen: so liegt die Schuld nicht an ihnen, sondern an dem Mißbrauch, den man mit ihnen treibt. Eigentlich sollte Schönheit der Kunst, wie Schönheit in der Natur, nur dazu dienen, durch erregtes Vergnügen die Seele zu erheitern, zu stärken, und die Fähigkeiten des Menschen zur Thätigkeit, zum Streben nach größrer Vollkommenheit, zu spannen; seine Aufmerksamkeit und seine Neigungen auf das, was wahr, was nützlich, was sittlich gut ist, zu lenken. Es sollte alle sinnliche Erkenntniß und Neigung des mit höhern Fähigkeiten gezierten, zu höhern Absichten bestimmten Menschen, unter der Regierung seiner Vernunft stehen, diese, nicht nur die Wahl, das Maaß, das Ziel aller sinnlichen Vergnügungen bestimmen, sondern auch, als Begleiterin der Empfindung, allgemeinere Gesetze zur Beurtheilung des Schönen entdecken und festsetzen, das Genie und den Geschmack regelmäßig machen, und den, der schöne Werke studierte, wenn ihm dazu die Talente nicht versagt sind, zur Verfertigung ähnlicher schönen Werke bilden. Fehlt es an diesen zwey Stücken; – begnügt man sich mit dem Vergnügen, das die Werke der schönen Kunst erwecken; – überläßt man sich bloß den |a274| sinnlichen Eindrücken, studiert man diese Werke nicht nach Regeln, zieht daraus nie das Allgemeinere, was uns in ähnlichen Fällen leiten könnte: so wundere man sich nicht, – wenn man bey steter Beschäftigung mit schönen Werken, doch nie durch diese an Verstand, an Geschmack, an Herzen, an Sitten und in guten Vortrag gebildet wird; – wenn man, von dem Geist dieser Werke entwöhnt, bloß an äusserlichen Verzierungen hängen bleibt, in Tändeleyen seine Nahrung sucht, wichtigere Pflichen darüber vergißt, nach und nach den Geschmack an allem Ernsthaften, an aller deutlichen Kenntniß, an allem, was nicht geschmückt ist, oder keinen Schmuck verträgt, verliert; und – wenn man, indem es uns an Genie oder Geschmack zu wahrhaftig schönen Werken fehlt, den Empfindler oder Gecken spielt, oder, hat man jene Talente, selbst den Reitz der Schönheit zu Verstellung der Wahrheit und Empfehlung der Laster, wenigstens feinerer Ausschweifungen, mißbraucht.Wenn die Werke der schönen Wissenschaften und Künste, oder diese selbst, diese angegebnen Vortheile nicht wirklich gewähren, oder wenn sie gar den Geist, das Herz und die Sitten verderben helfen: so liegt die Schuld nicht an ihnen, sondern an dem Mißbrauch, den man mit ihnen treibt. Eigentlich sollte Schönheit der Kunst, wie Schönheit in der Natur, nur dazu dienen, durch erregtes Vergnügen die Seele zu erheitern, zu stärken, und die Fähigkeiten des Menschen zur Thätigkeit, zum Streben nach größrer Vollkommenheit, zu spannen; seine Aufmerksamkeit und seine Neigungen auf das, was wahr, was nützlich, was sittlich gut ist, zu lenken. Es sollte alle sinnliche Erkenntniß und Neigung des mit höhern Fähigkeiten gezierten, zu höhern Absichten bestimmten Menschen, unter der Regierung seiner Vernunft stehen, diese, nicht nur die Wahl, das Maaß, das Ziel aller sinnlichen Vergnügungen bestimmen, sondern auch, als Begleiterin der Empfindung, allgemeinere Gesetze zur Beurtheilung des Schönen entdecken und festsetzen, das Genie und den Geschmack regelmäßig machen, und den, der schöne Werke studierte, wenn ihm dazu die Talente nicht versagt sind, zur Verfertigung ähnlicher schönen Werke bilden. Fehlt es an diesen zwey Stücken; – begnügt man sich mit dem Vergnügen, das die Werke der schönen Kunst erwecken; – überläßt man sich bloß den |a274| sinnlichen Eindrücken, studiert man diese Werke nicht nach Regeln, zieht daraus nie das Allgemeinere, was uns in ähnlichen Fällen leiten könnte: so wundere man sich nicht, – wenn man bey steter Beschäftigung mit schönen Werken, doch nie durch diese an Verstand, an Geschmack, an Herzen, an Sitten und in guten Vortrag gebildet wird; – wenn man, von dem Geist dieser Werke entwöhnt, bloß an äusserlichen Verzierungen hängen bleibt, in Tändeleyen seine Nahrung sucht, wichtigere Pflichen darüber vergißt, nach und nach den Geschmack an allem Ernsthaften, an aller deutlichen Kenntniß, an allem, was nicht geschmückt ist, oder keinen Schmuck verträgt, verliert; und – wenn man, indem es uns an Genie oder Geschmack zu wahrhaftig schönen Werken fehlt, den Empfindler oder Gecken spielt, oder, hat man jene Talente, selbst den Reitz der Schönheit zu Verstellung der Wahrheit und Empfehlung der Laster, wenigstens feinerer Ausschweifungen, mißbraucht.
274.
Schöne Wissenschaften und das Bestreben, sich zum anzüglichen und gefälligen Vortrag zu bilden, sollten keinem Gelehrten, am wenigsten dem gleichgültig seyn, der künftig ein Lehrer der Religion werden will. – Mag es seyn, daß Wahrheit, daß deutliche Einsicht und Ueberzeugung, der Haupt- oder vielmehr der nächste Zweck der Wissenschaften sey, daß die überzeugende und eindringliche Kraft der Wahrheit selbst ihr Beyfall verschaffe, daß es oft genug sey, diesen durch deutliche Darlegung der |a275| Gründe zu befördern: so liegen doch in denen, die man überzeugen will, Hindernisse genug, welche dieser Ueberzeugung und dem Eindruck den Zugang versperren oder die Ueberzeugung nicht zur Entschliessung, die Entschliessung nicht zur That kommen lassen, und der Eindruck, den die Wahrheit macht, kan doch immer durch den Vortrag verstärkt werden. Wenn daher ein Lehrer der Religion alles mögliche thun muß, um ihr und allem Guten Eingang zu verschaffen: so muß er nichts vernachläßigen was seinen Vortrag eindringlich und annehmlich machen kan. Ein trockner oder geschmackloser Vortrag erweckt Widrigkeit gegen Sachen selbst, oder verhindert doch den Antheil, den man daran nehmen sollte. Ein Vortrag, der sich durch seine Annehmlichkeit empfiehlt, erregt die Aufmerksamkeit, und unterhält sie, macht den Zuhörer geneigt, das Vorgetragne zu untersuchen, und das Empfohlne zu versuchen, bricht dadurch die Macht der Gleichgültigkeit, der Vorurtheile und bösen Gewohnheiten, theilt den Antheil, den der Lehrer an den Sachen verräth, auch dem Zuhörer mit, verstärkt wenigstens durch seine Reitze den Eindruck noch mehr, den die Wahrheit und das Gute an sich, und die Gründe dafür in der Seele erregen können. Wenn ein Lehrer keine Fähigkeit, Hülfsmittel oder Musse hätte, sich ausgebreitete und ganz deutliche Erkenntniß zugleich mit der Geschicklichkeit im Vortrag zu erwerben: so wäre es verzeihlicher, sich mit einer guten aber mäßigen Erkenntniß zu begnügen, und desto mehr Fleiß auf den Vortrag zu wenden, als, bey dem eifrigen Bestre|a276|ben nach Weitläufigkeit und Deutlichkeit der Erkenntniß, diesen zu vernachläßigen.Schöne Wissenschaften und das Bestreben, sich zum anzüglichen und gefälligen Vortrag zu bilden, sollten keinem Gelehrten, am wenigsten dem gleichgültig seyn, der künftig ein Lehrer der Religion werden will. – Mag es seyn, daß Wahrheit, daß deutliche Einsicht und Ueberzeugung, der Haupt- oder vielmehr der nächste Zweck der Wissenschaften sey, daß die überzeugende und eindringliche Kraft der Wahrheit selbst ihr Beyfall verschaffe, daß es oft genug sey, diesen durch deutliche Darlegung der |a275| Gründe zu befördern: so liegen doch in denen, die man überzeugen will, Hindernisse genug, welche dieser Ueberzeugung und dem Eindruck den Zugang versperren oder die Ueberzeugung nicht zur Entschliessung, die Entschliessung nicht zur That kommen lassen, und der Eindruck, den die Wahrheit macht, kan doch immer durch den Vortrag verstärkt werden. Wenn daher ein Lehrer der Religion alles mögliche thun muß, um ihr und allem Guten Eingang zu verschaffen: so muß er nichts vernachläßigen was seinen Vortrag eindringlich und annehmlich machen kan. Ein trockner oder geschmackloser Vortrag erweckt Widrigkeit gegen Sachen selbst, oder verhindert doch den Antheil, den man daran nehmen sollte. Ein Vortrag, der sich durch seine Annehmlichkeit empfiehlt, erregt die Aufmerksamkeit, und unterhält sie, macht den Zuhörer geneigt, das Vorgetragne zu untersuchen, und das Empfohlne zu versuchen, bricht dadurch die Macht der Gleichgültigkeit, der Vorurtheile und bösen Gewohnheiten, theilt den Antheil, den der Lehrer an den Sachen verräth, auch dem Zuhörer mit, verstärkt wenigstens durch seine Reitze den Eindruck noch mehr, den die Wahrheit und das Gute an sich, und die Gründe dafür in der Seele erregen können. Wenn ein Lehrer keine Fähigkeit, Hülfsmittel oder Musse hätte, sich ausgebreitete und ganz deutliche Erkenntniß zugleich mit der Geschicklichkeit im Vortrag zu erwerben: so wäre es verzeihlicher, sich mit einer guten aber mäßigen Erkenntniß zu begnügen, und desto mehr Fleiß auf den Vortrag zu wenden, als, bey dem eifrigen Bestre|a276|ben nach Weitläufigkeit und Deutlichkeit der Erkenntniß, diesen zu vernachläßigen.
Je ausgebreiteter
das Gefühl für das Schöne und der gute Geschmack unter denenjenigen ist, auf die man wirken will, je mehr Leichtsinn oder Gleichgültigkeit unter ihnen herrscht, und je mehr bey ihnen das Ansehen der Vernunft und Religion gesunken, und das Interesse dagegen gering ist: je nöthiger ist es auf den guten und anziehenden Vortrag bedacht zu seyn.
275.
Und gewiß hat doch auch der Lehrer, der selbst eines gewissen Ansehens und guten Vorurtheils bedarf, um die Religion wirksamer empfehlen zu können, Ursach genug, sich dieses durch feinere Sitten zu erwerben und zu erhalten. Aber der vernünftige Theil der gesitteten Welt schätzt und erwartet diese nach derjenigen Art von Ausbildung, die der Charakter und Beruf eines Gelehrten oder Lehrers mit sich zu bringen scheint, das ist, nicht nur nach ausgebreitetern und gründlichern Kenntnissen, die ihn über Andre erheben, sondern auch nach der Geschicklichkeit, diese aufs wirksamste mitzutheilen. Bemerkt man diese Geschicklichkeit an einem Lehrer, und sieht man, daß er sie geflissentlich zu erwerben und zu benutzen suche: so giebt dieses den Zuhörern die Ueberzeugung, daß es ihm nicht gleichgültig sey, ihnen zu gefallen, sich zu ihnen herabzulassen, ihnen auf dem Wege beyzukommen, wo sie am liebsten mit ihm wandeln; welches nothwendig mehr Zutrauen und Liebe erwecken muß, als wenn man wahrnimmt, daß ihm das Wohlgefallen der Zuhörer an seinem Vortrag gleich|a277|gültig, und ihm alles für diese Zuhörer gut genug scheine.Und gewiß hat doch auch der Lehrer, der selbst eines gewissen Ansehens und guten Vorurtheils bedarf, um die Religion wirksamer empfehlen zu können, Ursach genug, sich dieses durch feinere Sitten zu erwerben und zu erhalten. Aber der vernünftige Theil der gesitteten Welt schätzt und erwartet diese nach derjenigen Art von Ausbildung, die der Charakter und Beruf eines Gelehrten oder Lehrers mit sich zu bringen scheint, das ist, nicht nur nach ausgebreitetern und gründlichern Kenntnissen, die ihn über Andre erheben, sondern auch nach der Geschicklichkeit, diese aufs wirksamste mitzutheilen. Bemerkt man diese Geschicklichkeit an einem Lehrer, und sieht man, daß er sie geflissentlich zu erwerben und zu benutzen suche: so giebt dieses den Zuhörern die Ueberzeugung, daß es ihm nicht gleichgültig sey, ihnen zu gefallen, sich zu ihnen herabzulassen, ihnen auf dem Wege beyzukommen, wo sie am liebsten mit ihm wandeln; welches nothwendig mehr Zutrauen und Liebe erwecken muß, als wenn man wahrnimmt, daß ihm das Wohlgefallen der Zuhörer an seinem Vortrag gleich|a277|gültig, und ihm alles für diese Zuhörer gut genug scheine.
276.
Sogar um sein selbst willen sollte ein Lehrer der Religion in Bildung seines Vortrags nicht nachläßig seyn. Denn wenn das wahr ist, was oben (§.
59 f.) über den Einfluß der Sprache auf die Bildung des Verstandes und Herzens gesagt wurde: so wird seine Erkenntniß weit klärer, lebhafter und lebendiger werden, wenn er sie aufs möglichste zu versinnlichen sucht, so weit es immer ohne Nachtheil der deutlichen Erkenntniß geschehen kan. Dazu dient aber das Studium der schönen Wissenschaften (§.
264. 265. ); und bey praktischen Wissenschaften, wie die Religion ist, die er eigentlich praktisch vortragen muß, sind die angegebnen Eigenschaften der Erkenntniß, wo nicht noch wichtiger, doch wenigstens eben so wichtig, als deutliche und bestimmte Erkenntniß. – Und wenn die immer mehrere Ausbreitung des guten Geschmacks, wie unten erhellen wird, sehr viel zur Aufklärung in der Religion und zur Läuterung der Frömmigkeit beytragen kan: sollte nicht der Lehrer der Religion auch mit dahin arbeiten, daß selbst durch sein Beyspiel, in dem Kreise wenigstens, wo Er wirken kan, auf einer Seite der gute Geschmack allgemeiner und somit der Anhänglichkeit an unfruchtbaren Untersuchungen, der Schwärmerey und dem Geiste der Kleinigkeit oder Sonderlichkeit, den verächtlichen Begriffen von Religion und Frömmigkeit gesteuret, auf der andern aber der Geschmack mehr veredelt würde, mehr Festigkeit und eine bessere Richtung
|a278| auf dasjenige bekäme, was wahrhaftig gut und des vernünftigen Menschen würdig ist, wenn er angefangen hat sich auf nichtswürdige Dinge und zur Weichlichkeit oder gar zur Empfehlung der Ausschweifungen zu neigen?Sogar um sein selbst willen sollte ein Lehrer der Religion in Bildung seines Vortrags nicht nachläßig seyn. Denn wenn das wahr ist, was oben (§.
59 f.) über den Einfluß der Sprache auf die Bildung des Verstandes und Herzens gesagt wurde: so wird seine Erkenntniß weit klärer, lebhafter und lebendiger werden, wenn er sie aufs möglichste zu versinnlichen sucht, so weit es immer ohne Nachtheil der deutlichen Erkenntniß geschehen kan. Dazu dient aber das Studium der schönen Wissenschaften (§.
264. 265. ); und bey praktischen Wissenschaften, wie die Religion ist, die er eigentlich praktisch vortragen muß, sind die angegebnen Eigenschaften der Erkenntniß, wo nicht noch wichtiger, doch wenigstens eben so wichtig, als deutliche und bestimmte Erkenntniß. – Und wenn die immer mehrere Ausbreitung des guten Geschmacks, wie unten erhellen wird, sehr viel zur Aufklärung in der Religion und zur Läuterung der Frömmigkeit beytragen kan: sollte nicht der Lehrer der Religion auch mit dahin arbeiten, daß selbst durch sein Beyspiel, in dem Kreise wenigstens, wo Er wirken kan, auf einer Seite der gute Geschmack allgemeiner und somit der Anhänglichkeit an unfruchtbaren Untersuchungen, der Schwärmerey und dem Geiste der Kleinigkeit oder Sonderlichkeit, den verächtlichen Begriffen von Religion und Frömmigkeit gesteuret, auf der andern aber der Geschmack mehr veredelt würde, mehr Festigkeit und eine bessere Richtung
|a278| auf dasjenige bekäme, was wahrhaftig gut und des vernünftigen Menschen würdig ist, wenn er angefangen hat sich auf nichtswürdige Dinge und zur Weichlichkeit oder gar zur Empfehlung der Ausschweifungen zu neigen?
277.
Wenn aber die schönen Wissenschaften so leicht dem Mißbrauch unterworfen sind, wenn die Beschäftigung mit ihnen so manchen guten Kopf, so manches gute Herz verdorben, für die Welt unbrauchbar, wenigstens minder brauchbar gemacht hat: wie weit wäre das Studium derselben, wenigstens dem künftigen Lehrer der Religion, wenigstens dem zu empfehlen, der nicht ausserordentliche Anlagen zum Redner oder Dichter hat, der nicht ganz eigentlich dazu geboren zu seyn scheint? – Vorausgesetzt, daß es jemandem nicht ganz an Fähigkeit sich ordentlich auszudrücken, und von dem, was er vortragen will, mit Antheil zu sprechen, fehlte – denn ohne dieses hat er zu einem künftigen Lehrer der Religion gar keinen Beruf: – so sollte man 1) nie eher an die Verschönerung des Vortrags denken, ehe man nicht ordentlich denken, und 2) rein sich auszudrücken gelernt hätte. Wahrheit und Richtigkeit der Gedanken soll doch nur durch Schönheit empfohlen werden; Schönheit ohne Wahrheit ist ein bloß betrügliches Blendwerk; Ordnung ist unentbehrlicher als Zierlichkeit; und es ist gar zu ungereimt, auf Verzierung des Hauses, hernach erst, oder vielleicht gar nicht, auf Festigkeit und Nutzbarkeit Bedacht zu nehmen. |a279| Wer also noch nicht deutlich und ordentlich denken kan, wer sich noch nicht selbst versteht, wer noch nicht einmal rein und den Sachen gemäß lesen, sprechen und schreiben kan, der müßte nicht schon etwas schön ausarbeiten, er müßte nicht einmal schöne Werke, als solche, studieren wollen. Er würde sich sonst zum schönen Unsinn gewöhnen, seinen Geschmack und Verstand verderben, wenigstens sich gewöhnen, nach blossen Vergnügen zu haschen, und der Schönheit die weit wesentlichern Vollkommenheiten des Wahren und Guten, der Verständlichkeit und Ordnung, aufzuopfern.Wenn aber die schönen Wissenschaften so leicht dem Mißbrauch unterworfen sind, wenn die Beschäftigung mit ihnen so manchen guten Kopf, so manches gute Herz verdorben, für die Welt unbrauchbar, wenigstens minder brauchbar gemacht hat: wie weit wäre das Studium derselben, wenigstens dem künftigen Lehrer der Religion, wenigstens dem zu empfehlen, der nicht ausserordentliche Anlagen zum Redner oder Dichter hat, der nicht ganz eigentlich dazu geboren zu seyn scheint? – Vorausgesetzt, daß es jemandem nicht ganz an Fähigkeit sich ordentlich auszudrücken, und von dem, was er vortragen will, mit Antheil zu sprechen, fehlte – denn ohne dieses hat er zu einem künftigen Lehrer der Religion gar keinen Beruf: – so sollte man 1) nie eher an die Verschönerung des Vortrags denken, ehe man nicht ordentlich denken, und 2) rein sich auszudrücken gelernt hätte. Wahrheit und Richtigkeit der Gedanken soll doch nur durch Schönheit empfohlen werden; Schönheit ohne Wahrheit ist ein bloß betrügliches Blendwerk; Ordnung ist unentbehrlicher als Zierlichkeit; und es ist gar zu ungereimt, auf Verzierung des Hauses, hernach erst, oder vielleicht gar nicht, auf Festigkeit und Nutzbarkeit Bedacht zu nehmen. |a279| Wer also noch nicht deutlich und ordentlich denken kan, wer sich noch nicht selbst versteht, wer noch nicht einmal rein und den Sachen gemäß lesen, sprechen und schreiben kan, der müßte nicht schon etwas schön ausarbeiten, er müßte nicht einmal schöne Werke, als solche, studieren wollen. Er würde sich sonst zum schönen Unsinn gewöhnen, seinen Geschmack und Verstand verderben, wenigstens sich gewöhnen, nach blossen Vergnügen zu haschen, und der Schönheit die weit wesentlichern Vollkommenheiten des Wahren und Guten, der Verständlichkeit und Ordnung, aufzuopfern.
278.
Ueberhaupt ist das blosse Vergnügen kein genug edler Zweck für die Würde des Menschen, der immer nach grösserer Vollkommenheit streben soll. Das Vermögen zu angenehmen Empfindungen ist uns nur gegeben unsre Seele zu erheitern, unsre erschlafften Kräfte zur Vollkommenheit wieder zu spannen, und in Thätigkeit zu setzen. Selbst das edlere, geistige Vergnügen, das den Menschen den Vorzug vor den Thieren giebt, läßt sich ohne Wahrnehmen und Gefallen an Wahrheit, Ordnung, Deutlichkeit und aller Vollkommenheit unseres Geistes, die daraus entsteht, nicht denken. Daher kan auch 3) alle Beschäftigung mit schönen Wissenschaften und Werken, die nicht mit auf jene höhere Vollkommenheit geht, oder den Fleiß vermindert, den wir auf das Wachsthum in dieser wenden sollen, nicht anders als verderblich seyn. Sie ist eine Schwelgerey, die uns um |a280| die gesunde Nahrung des Geistes bringt, die Auszehrung der vernünftigen Seele.Ueberhaupt ist das blosse Vergnügen kein genug edler Zweck für die Würde des Menschen, der immer nach grösserer Vollkommenheit streben soll. Das Vermögen zu angenehmen Empfindungen ist uns nur gegeben unsre Seele zu erheitern, unsre erschlafften Kräfte zur Vollkommenheit wieder zu spannen, und in Thätigkeit zu setzen. Selbst das edlere, geistige Vergnügen, das den Menschen den Vorzug vor den Thieren giebt, läßt sich ohne Wahrnehmen und Gefallen an Wahrheit, Ordnung, Deutlichkeit und aller Vollkommenheit unseres Geistes, die daraus entsteht, nicht denken. Daher kan auch 3) alle Beschäftigung mit schönen Wissenschaften und Werken, die nicht mit auf jene höhere Vollkommenheit geht, oder den Fleiß vermindert, den wir auf das Wachsthum in dieser wenden sollen, nicht anders als verderblich seyn. Sie ist eine Schwelgerey, die uns um |a280| die gesunde Nahrung des Geistes bringt, die Auszehrung der vernünftigen Seele.
279.
Auch kan man nicht oft genug sagen, wie nöthig es sey, mit Unterschied und Ueberlegung (Discretion) Schönheiten in schönen Werken aufzusuchen, und in seinen eignen Arbeiten anzubringen. Es ist nicht jedem leicht, das Schickliche wahrzunehmen und auszudrücken. Nicht zu gedenken, daß es auch einen besondern Geschmack giebt, welchen nachzuahmen vielleicht, nur unter ähnlichen Umständen mit einem Meister eines schönen Werks, erlaubt seyn möchte: so hört Schönheit auf, Schönheit zu seyn, wenn sie am unrechten Orte angebracht wird, d. i. bey Sachen, die ihrer Natur nach eigentlich keiner Verschönerung, wenigstens nicht ohne Nachtheil der Deutlichkeit, fähig sind, oder die der Verschönerung nicht bedürfen, oder durch Verschönerung mehr zerstreuen, und von der Hauptsache, die empfohlen werden soll, die Aufmerksamkeit zu sehr abziehen, mit einem Wort, wo sie unnatürlich, zwecklos, oder gar zweckwidrig seyn würde. Auch sollte man nicht alles, was man selbst schön findet, und wirklich schön seyn mag, in seinen eignen Arbeiten Andern wieder mittheilen wollen; man sollte vielmehr durch das Studieren schöner Werke seinen eignen Geschmack so zu bilden suchen, daß man das Gefühl des Schicklichen immer mehr zur Reife brächte, und man lernte, nach den Fähigkeiten und Bedürfnissen derer, vor wel|a281|chen wir zu reden oder zu schreiben haben, die Wahl und den Gebrauch des Schönen zu bestimmen.Auch kan man nicht oft genug sagen, wie nöthig es sey, mit Unterschied und Ueberlegung (Discretion) Schönheiten in schönen Werken aufzusuchen, und in seinen eignen Arbeiten anzubringen. Es ist nicht jedem leicht, das Schickliche wahrzunehmen und auszudrücken. Nicht zu gedenken, daß es auch einen besondern Geschmack giebt, welchen nachzuahmen vielleicht, nur unter ähnlichen Umständen mit einem Meister eines schönen Werks, erlaubt seyn möchte: so hört Schönheit auf, Schönheit zu seyn, wenn sie am unrechten Orte angebracht wird, d. i. bey Sachen, die ihrer Natur nach eigentlich keiner Verschönerung, wenigstens nicht ohne Nachtheil der Deutlichkeit, fähig sind, oder die der Verschönerung nicht bedürfen, oder durch Verschönerung mehr zerstreuen, und von der Hauptsache, die empfohlen werden soll, die Aufmerksamkeit zu sehr abziehen, mit einem Wort, wo sie unnatürlich, zwecklos, oder gar zweckwidrig seyn würde. Auch sollte man nicht alles, was man selbst schön findet, und wirklich schön seyn mag, in seinen eignen Arbeiten Andern wieder mittheilen wollen; man sollte vielmehr durch das Studieren schöner Werke seinen eignen Geschmack so zu bilden suchen, daß man das Gefühl des Schicklichen immer mehr zur Reife brächte, und man lernte, nach den Fähigkeiten und Bedürfnissen derer, vor wel|a281|chen wir zu reden oder zu schreiben haben, die Wahl und den Gebrauch des Schönen zu bestimmen.
In so fern kan gerade das Lesen der schönsten und bewundertsten Schriftsteller, vornemlich Dichter, für dem Prediger, dem es am Verstande und Gefühle des Schicklichen fehlt, am verderblichsten werden. Der Ton der sogenannten guten Gesellschaft und der Schauspiele darf nicht der Ton der Kanzel werden; was dem erlaubt ist, der lauter oder meistens Zuhörer von sehr gebildeten Geschmack hat, ist dem nicht erlaubt, der meistens vor Zuhörer ganz andrer Art redet, und selbst jene, wenn sie wirklich gebildeten Geschmack haben, werden es abgeschmackt finden, da, wo Belehrung und Würde des Ausdrucks erfordert wird, Glanz und Schimmer oder gesuchte Schönheit anzutreffen.
280.
Eben deswegen kommt viel darauf an,
wie man die schönen Wissenschaften treibt? – Wie bey dem Studium der Sprachen (§.
68 ), so würde auch hier,
Theorie, Lesung guter Schriftsteller und
eigne Uebung zu verbinden seyn. – Ich setze 1) immer voraus, daß man nicht eher nach
Schönheit des Ausdrucks trachten sollte, ehe man nicht
richtig denken, und sich
gut ausdrücken gelernt hätte. Die Theorie des vernünftigen Denkens, Uebung in Bemerkung der Wahrheit, der Ordnung und der Deutlichkeit bey einem Schriftsteller, Uebung in der Ausarbeitung wohl durchdachter, zusammenhängender, gut geordneter, verständlich und bestimmt geschriebner Aufsätze, müßte immer vorangehn; und
Sprachrichtigkeit in der Sprache, worin man Schrif
|a282|ten lesen, oder Aufsätze verfertigen will, müßte man vor allen Dingen in seiner Gewalt haben.Eben deswegen kommt viel darauf an,
wie man die schönen Wissenschaften treibt? – Wie bey dem Studium der Sprachen (§.
68 ), so würde auch hier,
Theorie, Lesung guter Schriftsteller und
eigne Uebung zu verbinden seyn. – Ich setze 1) immer voraus, daß man nicht eher nach
Schönheit des Ausdrucks trachten sollte, ehe man nicht
richtig denken, und sich
gut ausdrücken gelernt hätte. Die Theorie des vernünftigen Denkens, Uebung in Bemerkung der Wahrheit, der Ordnung und der Deutlichkeit bey einem Schriftsteller, Uebung in der Ausarbeitung wohl durchdachter, zusammenhängender, gut geordneter, verständlich und bestimmt geschriebner Aufsätze, müßte immer vorangehn; und
Sprachrichtigkeit in der Sprache, worin man Schrif
|a282|ten lesen, oder Aufsätze verfertigen will, müßte man vor allen Dingen in seiner Gewalt haben.
281.
Hätte man alsdenn das Glück, unter Anleitung eines Mannes von reifen Geschmack, gute Schriftsteller lesen zu können: so würde 2) dieses Lesen unstreitig vor aller eigentlichen Theorie vorhergehen müssen. Denn es ist anziehender und unterhaltender als trockne Theorie, die, wenn sie deutlich und praktisch werden soll, ohnehin alles durch Beyspiele erläutern muß, welche man immer besser im Zusammenhange beurtheilen und schätzen lernt als in abgerißnen Stücken. Vornemlich befördert dieses Lesen die Aufmerksamkeit und das eigne Gefühl des Schönen, und lehrt uns, ob wir dieses haben, ohne welches man sonst auf schöne Wissenschaften Verzicht thun müßte. – Sollte man aber eine solche Aufsicht und Anleitung eines guten Führers nicht geniessen können: so wäre wohl eher zu rathen, daß man sich die Grundsätze der schönen Wissenschaften und des guten Geschmacks aus guten Schriften bekannt machte, welche in der Absicht geschrieben sind, um durch Beyspiele der Schönheit und darüber gemachte Bemerkungen den Anfänger zu bilden. Für die Dichtkunst würden vorzüglich
Engels Anfangsgründe einer Th. der Dichtungsarten (§.
266 ), für die Redekunst ein Buch wie die Principes pour la lecture des Orateurs, à Paris 1754. in drey Bänden in gr. 12. zu empfehlen seyn.Hätte man alsdenn das Glück, unter Anleitung eines Mannes von reifen Geschmack, gute Schriftsteller lesen zu können: so würde 2) dieses Lesen unstreitig vor aller eigentlichen Theorie vorhergehen müssen. Denn es ist anziehender und unterhaltender als trockne Theorie, die, wenn sie deutlich und praktisch werden soll, ohnehin alles durch Beyspiele erläutern muß, welche man immer besser im Zusammenhange beurtheilen und schätzen lernt als in abgerißnen Stücken. Vornemlich befördert dieses Lesen die Aufmerksamkeit und das eigne Gefühl des Schönen, und lehrt uns, ob wir dieses haben, ohne welches man sonst auf schöne Wissenschaften Verzicht thun müßte. – Sollte man aber eine solche Aufsicht und Anleitung eines guten Führers nicht geniessen können: so wäre wohl eher zu rathen, daß man sich die Grundsätze der schönen Wissenschaften und des guten Geschmacks aus guten Schriften bekannt machte, welche in der Absicht geschrieben sind, um durch Beyspiele der Schönheit und darüber gemachte Bemerkungen den Anfänger zu bilden. Für die Dichtkunst würden vorzüglich
Engels Anfangsgründe einer Th. der Dichtungsarten (§.
266 ), für die Redekunst ein Buch wie die Principes pour la lecture des Orateurs, à Paris 1754. in drey Bänden in gr. 12. zu empfehlen seyn.
|a283| 282.
Aber nach einer solchen Anweisung müßte man 3) sogleich zum Lesen der besten Schriftsteller fortschreiten, weil auf die anschauliche Erkenntniß des Schönen so viel ankömmt, und Theorie mehr den Geschmack bessert und den guten befestigt, als hervorbringt und ernährt.
Wie diese, in Rücksicht auf Schönheit, in ihrem ganzen Umfange zu lesen wären, ist schon oben (§.
84 ) gesagt. Hier möchten noch folgende Räthe nicht am unrechten Orte stehen.Aber nach einer solchen Anweisung müßte man 3) sogleich zum Lesen der besten Schriftsteller fortschreiten, weil auf die anschauliche Erkenntniß des Schönen so viel ankömmt, und Theorie mehr den Geschmack bessert und den guten befestigt, als hervorbringt und ernährt.
Wie diese, in Rücksicht auf Schönheit, in ihrem ganzen Umfange zu lesen wären, ist schon oben (§.
84 ) gesagt. Hier möchten noch folgende Räthe nicht am unrechten Orte stehen.
283.
Hat man musterhafte Schriftsteller in seiner eignen Sprache: so verdienten 4) diese – in der Art Schriften, wo sie musterhaft und fremden gleich sind – vornemlich studiert zu werden. Denn in unsrer Muttersprache denken und schreiben wir doch meistens, und sollten uns in ihr gut und schön zu denken und vorzutragen vorzüglich bilden. (§.
92 f.) Selbst verstehen können wir die feinern eigenthümlichen Schönheiten und Anspielungen der Fremden weniger als die unsrigen; und jede Nation hat ihren eignen Geschmack, der, so fern er auch in seiner Art gut ist, doch nur mit Ueberlegung und Vorsicht in den unsrigen überzutragen wäre, und nicht die gute Originalität des unsrigen durch auswärtige erborgte Schönheiten, wenn sie uns zumahl nicht so natürlich sind, zu verdrängen. (S. §.
104. )Hat man musterhafte Schriftsteller in seiner eignen Sprache: so verdienten 4) diese – in der Art Schriften, wo sie musterhaft und fremden gleich sind – vornemlich studiert zu werden. Denn in unsrer Muttersprache denken und schreiben wir doch meistens, und sollten uns in ihr gut und schön zu denken und vorzutragen vorzüglich bilden. (§.
92 f.) Selbst verstehen können wir die feinern eigenthümlichen Schönheiten und Anspielungen der Fremden weniger als die unsrigen; und jede Nation hat ihren eignen Geschmack, der, so fern er auch in seiner Art gut ist, doch nur mit Ueberlegung und Vorsicht in den unsrigen überzutragen wäre, und nicht die gute Originalität des unsrigen durch auswärtige erborgte Schönheiten, wenn sie uns zumahl nicht so natürlich sind, zu verdrängen. (S. §.
104. )
284.
Ob man 5) eher und mehr Dichter oder Prosaisten studieren sollte? ist eine Frage, worüber die |a284| Stimmen sehr getheilt seyn möchten. Wahr ists, Dichter gefallen meistens mehr, weil sie näher auf Vergnügen als Belehrung arbeiten, und weit mehrere Arten der Schönheit vereinigen können als der Prosaist; überdies sind ihre Schönheiten hervorstechender, und also für den Anfänger bemerkbarer. Allein – Belehrung ist doch noch wichtiger als Vergnügen, und führt ihr eignes Vergnügen mit sich, ohne es erst von der Einkleidung erborgen zu müssen. – Eben das hervorstechende Schöne in den Werken der Dichtkunst verwöhnt auch den Geschmack eher, und verursacht, daß hernach das wirklich aber weniger auffallende Schöne der prosaischen Werke nicht genug Reitz für uns hat, und überhaupt der Geschmack an natürlicher Schönheit, über der Liebe zur Schönheit der Kunst und des Ausserordentlichen, geschwächt wird, wo nicht verlohren geht. – Endlich bedürfen wir der Prose häufiger als der Dichtkunst, da wir mehr in jener, seltner aber als Dichter denken, empfinden und reden, und wenn die meisten guten Köpfe gute Prosaisten werden können, so sind doch nur wenige, die Fähigkeiten haben, gute Dichter zu werden.Ob man 5) eher und mehr Dichter oder Prosaisten studieren sollte? ist eine Frage, worüber die |a284| Stimmen sehr getheilt seyn möchten. Wahr ists, Dichter gefallen meistens mehr, weil sie näher auf Vergnügen als Belehrung arbeiten, und weit mehrere Arten der Schönheit vereinigen können als der Prosaist; überdies sind ihre Schönheiten hervorstechender, und also für den Anfänger bemerkbarer. Allein – Belehrung ist doch noch wichtiger als Vergnügen, und führt ihr eignes Vergnügen mit sich, ohne es erst von der Einkleidung erborgen zu müssen. – Eben das hervorstechende Schöne in den Werken der Dichtkunst verwöhnt auch den Geschmack eher, und verursacht, daß hernach das wirklich aber weniger auffallende Schöne der prosaischen Werke nicht genug Reitz für uns hat, und überhaupt der Geschmack an natürlicher Schönheit, über der Liebe zur Schönheit der Kunst und des Ausserordentlichen, geschwächt wird, wo nicht verlohren geht. – Endlich bedürfen wir der Prose häufiger als der Dichtkunst, da wir mehr in jener, seltner aber als Dichter denken, empfinden und reden, und wenn die meisten guten Köpfe gute Prosaisten werden können, so sind doch nur wenige, die Fähigkeiten haben, gute Dichter zu werden.
285.
Vorzüglich sollte man 6) die, auch in Absicht auf den Vortrag, besten Schriftsteller studieren, die in dem Fach gearbeitet haben, dem wir uns eigentlich widmen: denn es verräth doch entweder grossen Unverstand, oder beweiset, daß man schöne Schriften nur zum Vergnügen und nicht zu höhern Absichten lese, wenn einer, der sich zum künftigen Lehrer der Religion bilden soll, sich mit Lesung |a285| der Romanen, der Schauspiele, und überhaupt der Schriften, die ihre größte Schönheit von der Erdichtung haben, weit mehr beschäftigt als mit solchen, welche eigentlich die Religion, Kenntniß der Menschen, zumal derer, mit denen wir zu thun haben, ihre wirkliche Beschaffenheit, Denk- und Handlungsart, und was am meisten auf sie wirkt, betreffen. Mögen diese gleich weniger Reitz und Unterhaltung für die gewähren, welche entweder für alles, was ernsthaft und vernünftig ist, oder die Angelegenheiten der Seele betrift, keinen Sinn, oder ihren Geschmack durch stetes Haschen nach sinnlichen Vergnügen verwöhnt haben: so sind sie doch nicht nur wichtiger zur wahren Vollkommenheit des Menschen als jene, sondern sie sind auch eben sowohl der sinnlichen Darstellung fähig, die das Wesen der Schönheit im Vortrag ausmacht. Aber es giebt verschiedne Arten und Grade der Schönheit, und man kan nicht eben dieselben von dem Prosaisten wie von dem Dichter, von dem geistigen wie von dem sinnlichen Gegenstande, fordern. Ein Vortrag, der sich durch natürliche Schönheit, durch Einfalt, durch klare Bestimmtheit, durch lichtvolle Ordnung, durch anständige Würde empfiehlt, der die Sachen dem schlichten Menschenverstande von annehmlichen Seiten vorstellt, der sanfte Empfindungen erregt, der mehr belehrt als hinreißt, mehr das Herz erwärmt als erhitzt, ist gewiß auch schön. Solche Wirkungen sind, wenn gleich minder lebhaft, doch heilsamer und dauerhafter, und es zeigt von einem weit feinern Gefühl des wahrhaftig Schönen, wenn man |a286| diese verborgnern, als wenn man nur die hervorstechenden Schönheiten empfinden kann. – Und haben wir nicht auch unsre Mosheims, Jerusalems, Spaldings, Tellers, Eberharde, Döderleins, Niemeyers und andre, denen man selbst feinere Schönheiten des Vortrags, mit Discretion, ablernen kann? – der treflichen Schriftsteller, unsrer Gellerts, Leßings, Mendelsohns, Garvens, Engels und andrer nicht zu gedenken, die, wenn gleich nicht alle in Schriften über die Religion, doch in andern eigentlich dogmatischen, den Ruhm der claßischen behaupten.Vorzüglich sollte man 6) die, auch in Absicht auf den Vortrag, besten Schriftsteller studieren, die in dem Fach gearbeitet haben, dem wir uns eigentlich widmen: denn es verräth doch entweder grossen Unverstand, oder beweiset, daß man schöne Schriften nur zum Vergnügen und nicht zu höhern Absichten lese, wenn einer, der sich zum künftigen Lehrer der Religion bilden soll, sich mit Lesung |a285| der Romanen, der Schauspiele, und überhaupt der Schriften, die ihre größte Schönheit von der Erdichtung haben, weit mehr beschäftigt als mit solchen, welche eigentlich die Religion, Kenntniß der Menschen, zumal derer, mit denen wir zu thun haben, ihre wirkliche Beschaffenheit, Denk- und Handlungsart, und was am meisten auf sie wirkt, betreffen. Mögen diese gleich weniger Reitz und Unterhaltung für die gewähren, welche entweder für alles, was ernsthaft und vernünftig ist, oder die Angelegenheiten der Seele betrift, keinen Sinn, oder ihren Geschmack durch stetes Haschen nach sinnlichen Vergnügen verwöhnt haben: so sind sie doch nicht nur wichtiger zur wahren Vollkommenheit des Menschen als jene, sondern sie sind auch eben sowohl der sinnlichen Darstellung fähig, die das Wesen der Schönheit im Vortrag ausmacht. Aber es giebt verschiedne Arten und Grade der Schönheit, und man kan nicht eben dieselben von dem Prosaisten wie von dem Dichter, von dem geistigen wie von dem sinnlichen Gegenstande, fordern. Ein Vortrag, der sich durch natürliche Schönheit, durch Einfalt, durch klare Bestimmtheit, durch lichtvolle Ordnung, durch anständige Würde empfiehlt, der die Sachen dem schlichten Menschenverstande von annehmlichen Seiten vorstellt, der sanfte Empfindungen erregt, der mehr belehrt als hinreißt, mehr das Herz erwärmt als erhitzt, ist gewiß auch schön. Solche Wirkungen sind, wenn gleich minder lebhaft, doch heilsamer und dauerhafter, und es zeigt von einem weit feinern Gefühl des wahrhaftig Schönen, wenn man |a286| diese verborgnern, als wenn man nur die hervorstechenden Schönheiten empfinden kann. – Und haben wir nicht auch unsre Mosheims, Jerusalems, Spaldings, Tellers, Eberharde, Döderleins, Niemeyers und andre, denen man selbst feinere Schönheiten des Vortrags, mit Discretion, ablernen kann? – der treflichen Schriftsteller, unsrer Gellerts, Leßings, Mendelsohns, Garvens, Engels und andrer nicht zu gedenken, die, wenn gleich nicht alle in Schriften über die Religion, doch in andern eigentlich dogmatischen, den Ruhm der claßischen behaupten.
286.
7) Die
Aesthetik (§.
265 ), oder der Theil derselben, der sich mit der Schönheit der sinnlichen Erkenntniß beschäftigt, (§.
174 Anm.) d. i.
die Theorie der schönen Wissenschaften und Künste, ist freylich nicht ihrem ganzen Umfang nach, und in Absicht auf die Beobachtungen und Regeln feiner Schönheiten, jedem zu wissen nöthig, der
sich nicht vorzüglich diesen Wissenschaften widmen will; sie ist auch, weil sie sich mit dem dunklern Theil der Seele, mit den Empfindungen, beschäftigt, und ein sehr feines Studium der Seele erfordert – wenn sie anders den Charakter wahrer Philosophie behaupten und deutlich erklären soll, nicht jedem zugänglich. Die meisten könnten sich daher wohl mit den allgemeinen Grundsätzen der Schönheit, sonderlich der Schönheit der Rede,
ohngefehr so wie sie in den alten Griechen und
|a287| Römern, vornemlich in den hieher gehörigen Schriften des
Aristoteles, Cicero und
Quintilian vorgetragen sind, und mit dem fleißigen Studieren schöner Schriften begnügen. Aber Grundsätze und Regeln überhaupt machen doch auf manches unerkannte und unmerkliche Schöne des Vortrags aufmerksam, und so gewiß es ist, daß der fleißige Beobachter des Schönen in schönen Werken sich selbst Regeln des Schönen abziehen kann; so erleichtern doch bewährte Regeln feiner Beobachter diese Beschäftigung gar sehr. Vornemlich aber verbessern dergleichen Regeln den Geschmack, leiten ihn sichrer, und geben ihm mehr Festigkeit.7) Die
Aesthetik (§.
265 ), oder der Theil derselben, der sich mit der Schönheit der sinnlichen Erkenntniß beschäftigt, (§.
174 Anm.) d. i.
die Theorie der schönen Wissenschaften und Künste, ist freylich nicht ihrem ganzen Umfang nach, und in Absicht auf die Beobachtungen und Regeln feiner Schönheiten, jedem zu wissen nöthig, der
sich nicht vorzüglich diesen Wissenschaften widmen will; sie ist auch, weil sie sich mit dem dunklern Theil der Seele, mit den Empfindungen, beschäftigt, und ein sehr feines Studium der Seele erfordert – wenn sie anders den Charakter wahrer Philosophie behaupten und deutlich erklären soll, nicht jedem zugänglich. Die meisten könnten sich daher wohl mit den allgemeinen Grundsätzen der Schönheit, sonderlich der Schönheit der Rede,
ohngefehr so wie sie in den alten Griechen und
|a287| Römern, vornemlich in den hieher gehörigen Schriften des
Aristoteles, Cicero und
Quintilian vorgetragen sind, und mit dem fleißigen Studieren schöner Schriften begnügen. Aber Grundsätze und Regeln überhaupt machen doch auf manches unerkannte und unmerkliche Schöne des Vortrags aufmerksam, und so gewiß es ist, daß der fleißige Beobachter des Schönen in schönen Werken sich selbst Regeln des Schönen abziehen kann; so erleichtern doch bewährte Regeln feiner Beobachter diese Beschäftigung gar sehr. Vornemlich aber verbessern dergleichen Regeln den Geschmack, leiten ihn sichrer, und geben ihm mehr Festigkeit.
Vorzügliche Schriften, die dergleichen Theorien über den ganzen Umfang oder über einzle Theile der schönen Wissenschaften enthalten, können, nach dem Zweck dieses Buchs, nicht angeführet werden. Die Theorie der schönen Wissenschaften, von Joh. Aug. Eberhard, zweyte Aufl. Halle 1786. in 8. und der Entwurf einer Theorie und Literatur der schönen Wissenschaften von Joh. Joachim Eschenburg, Berlin 1783. in gr. 8. sind zwar nur zu Vorlesungen bestimmt, also dem Anfänger ohne diese nicht ganz verständlich und brauchbar. Sie verdienen aber vor allen andern hier angeführt zu werden, weil sie sich nicht nur durch den zusammengedrängten Reichthum der Sachen, die Gründung der Regeln auf die feinsten Beobachtungen der besten Köpfe und die Natur des Schönen selbst, und durch sorgfältige Bestimmtheit empfehlen, sondern auch die auserlesenste Literatur und Anzeige der besten zu den schönen Wissenschaften gehörigen Schriften enthalten.
|a288| 287.
Wenn man sich 8) in Abfassung solcher Aufsätze üben will, die sich auch von der Seite des schönen Vortrags empfehlen sollen: so muß man nie vergessen, die strengste Kritik Andrer, die davon wirklich zu urtheilen im Stande sind, zu Rathe zu ziehn, und zu benutzen. Kan man dergleichen Richter nicht finden: so wird uns selbst das unbefangne Urtheil gemeiner Leser oder Zuhörer, für deren Bedürfnisse man einen solchen Aufsatz bestimmt hat, und denen es, auch bey geringem Grade der Ausbildung, nicht an gesundem Menschenverstande und Gefühl des Verständlichen, Schönen, Schicklichen und Eindrücklichen fehlt, von grossen Vortheil seyn. Je mehr man Schriften studiert, die eine genaue und scharfe Kritik schöner Werke enthalten, worin die Briefe die neueste Literatur betreffend, Berlin 1761–65 in 24 Theilen in 8, die Bibliothek der schönen Wissenschaften , Leipz. 1757 flgg. und die neue Bibliothek der schönen Wissenschaften, die noch fortdauert, vorzügliche Muster sind; je mehr wird man selbst zu einer solchen Kritik gebildet werden. Uebrigens bedarf es kaum der Erinnerung, daß bey diesen eignen Uebungen die obigen Anmerkungen §.
280 und
285 nie vergessen werden sollten.Wenn man sich 8) in Abfassung solcher Aufsätze üben will, die sich auch von der Seite des schönen Vortrags empfehlen sollen: so muß man nie vergessen, die strengste Kritik Andrer, die davon wirklich zu urtheilen im Stande sind, zu Rathe zu ziehn, und zu benutzen. Kan man dergleichen Richter nicht finden: so wird uns selbst das unbefangne Urtheil gemeiner Leser oder Zuhörer, für deren Bedürfnisse man einen solchen Aufsatz bestimmt hat, und denen es, auch bey geringem Grade der Ausbildung, nicht an gesundem Menschenverstande und Gefühl des Verständlichen, Schönen, Schicklichen und Eindrücklichen fehlt, von grossen Vortheil seyn. Je mehr man Schriften studiert, die eine genaue und scharfe Kritik schöner Werke enthalten, worin die Briefe die neueste Literatur betreffend, Berlin 1761–65 in 24 Theilen in 8, die Bibliothek der schönen Wissenschaften , Leipz. 1757 flgg. und die neue Bibliothek der schönen Wissenschaften, die noch fortdauert, vorzügliche Muster sind; je mehr wird man selbst zu einer solchen Kritik gebildet werden. Uebrigens bedarf es kaum der Erinnerung, daß bey diesen eignen Uebungen die obigen Anmerkungen §.
280 und
285 nie vergessen werden sollten.