Am Montage in der Leidens-Woche, woc3 Jesus, der Welt-Heiland durch die lezten entsezlichen Leiden des Leibes und der Seele, das Grosse Werk der Welt-Beglückung vollendete, gieng Er, derbc4 dies alles vorher wuste und schon lange vorhergesagt hatte, mit der Ruhe und Grosmuth eines Welt-Beglückers in die Stadt hin, wo seine Mörder waren und alle jene Martern auf ihn warteten. {/bcvers 41bc\ ∥bc5 } Als er nun nahe an Jerusalem kam, sahe er die Stadt an, und – Weinete über sie. Tausend Bücher können uns von dem Characterc6 Jesu nichts mehr sagen, als diese zwei Worte!bc7 Sie eröfnen uns gleich|a134|sam Sein ganzes Herz,c8 lassen uns bis ins Innerste desselben schauen,c9 und zeigen uns da, die Alleredelsten Gesinnungenbc10 die je in einer menschlichen Brust gewohnet! Schon das finden wir sehr Edel, wenn jemand an dem Elende Andererbc11 die ihm unbekandt und gleichgültig sind, ein herzliches Antheil nimmt. Wir ehren und lieben den Menschen, der mit den Frölichen sich freuet, und mit den Weinenden weinet. – Thut er dies, selbst gegen seinen Feind: so wächst unsre Achtung und Liebe. – Er thut es gar gegen seinen Todt-|b134||c134|Feind, der vor einiger Zeit sein ganzes Glück zu zerstören gesucht: und wir bewundern ihn noch mehr. – Aber der Zorn war hier schon durch die Länge der Zeit verraucht. Desto stärker wird unsere Hochachtung und Liebe, wenn er jene Zärtlichkeit gegen seinen ärgsten Feind, so gleich auf frischer That beweiset. – Und unsre Bewunderung wird Erstaunen, unsre Hochachtung Ehrfurcht, und unsre Liebe Freundschaft: wenn wir jenen Würdigen, gegen einen Feind so handeln sehen, der nach den boshaftesten Unternehmungen wider ihn, jezo eben noch im Begriff stehet ihn durch den peinlichsten und schmälichsten Todt aus der Welt zu reissen. – Urtheilet nun, welche Ehrfurcht und Liebe der Characterc12 Jesu verdienet!
Kaum erblicketc13 er die Stadt Jerusalem, so Weinet er. So zärtlich war der Antheil den er an ihrem Schicksahl nahm! Und über wen? Ueber sie, diese Stadt voll von Feindschaft und |a135| Mord-Anschlägen gegen ihn. Ueber seine Mörder; seine boshaftesten und grausamsten Mörder. Sehet hier das Ganzebc14 Herz unsers Jesu! – Er weinet: wie weich, wie fülbahr, wie zärtlich ist seine Seele! Nicht gleich dem zwar Rechtschaffenen, aber Hartherzigen: dessen Blut nie eine Empfindung erhizetbc15 und dessen Auge nie eine Thräne genezet. – Aber noch weniger ist Er gleich dem Weich-herzigen, der bloß ein Spiel seiner Triebe, Recht und Unrecht verkehrt, Laster und Tugend verwirretbc16 und mit seiner Gutherzigkeit, oftec17 mehr Unglück anrichtet als die Füllose Menschen-Feindschaft. Jesus weinet über die Laster seiner Feinde; aber er vertheidiget, und belohnet sie nicht. |b135| |c135| Seine Fülbahrkeit ward durch Weisheit geleitet! – So ganz beschäftiget er sich mit dem Glück seiner Feinde, zu der Zeit als er selbst den entsezlichsten Martern entgegen gieng. Er vergißt seinen eigenen Schmerz, ∥c18 Sich selbst: so stark rürt ihn das Schicksahl seiner Mörder. Welcher nicht zu erschütternde, Felsenfeste Heldenmuth! – Und diese Menschen, waren seine Feinde, seine ärgsten Feinde, die schon mehrere Jahre nach einander, Bosheit mit Bosheit gegen ihn gehäuft, die ihn an der empfindlichsten Seite, an seiner Ehre zu verwunden suchten; und die nun eben im Begriff stundenc19 ihn als einen Missetäter zu verleumden, zu geisseln, aufs äusserste zu verspotten, und endlich auf die allerschmälichste und peinlichste Art durch den Todt am Kreuz zu ermorden. Für diese, ist Jesus, so Ganz Zärtlichkeit. Einen |a136| höheren Grad der Grosmuth kan man nicht ersinnen! – Und seine Menschen-Liebe, wie Feurig, wie Brennend, wie zärtlich im höchsten Grade sehen wir sie hier! Seinen Schmerz, den peinlichsten Schmerz, die Erwartungc20 der Geisselung und des Kreuzes-Todes, (die Erwartung einer Pein ∥c21 ist weit marternder als die Duldung derselben) die Empfindung der schrecklichsten Martern und die noch schrecklichere Erwartung derselben wird ganz zernichtet durch die Liebe der Menschen, die Liebe seiner grausamsten Feinde! – O sehet da, die Fülbahrste, Erleuchteste, Heldenmütigste, Grosmütigste und zärtlichstec22 Menschen-Freundlichste Seele, die jemahls einen menschlichen Körper bewohnet! Sehet den Edelsten Characterc23 unsers Herrnc24 und Heilandesc25! |b136| |c136| Verehret ihn, betet Ihn an! Hoffet unwandelbahr fest auf Ihn! Liebet Ihn! Und – {Philipperc26 3, 12.} Ahmet Ihnc27 nach!
Jesus weinete über Jerusalem, und sprach, {/bcvers 42bc\ ∥bc28 } Wenn du es wüstest so würdest du auch bedenken zu dieser deiner Zeit was zu deinem Frieden dienet! Nach einer genaueren Uebersezung, – Ach! wenn du doch wenigstens, /cJerusalem, duc\ ∥c29 Siz des Tempels und der Religion,c30 nur noch an diesem deinem Tage, heute da der /cMessiasb31, derc\ ∥c32 Welt-Heiland selbst zu dir komt,c33 bedenken möchtest, was zu deinem Glück dienet! So aber ist es deinen Augen verborgen. – Der Grund des ganzen Unglücks dieser Nation, waren die Betrügereien der fal|a137|schen Messiassebc34. Wenige Zeit nach der Himmelfarth Jesu stand eine Menge von Betrügern auf, die sich für den /cMessiasb35 ausgaben,c\ ∥c36 das Volk gegen die Römer, ihre damahligec37 Oberherren aufwiegelten,c38 es blindlings in den Abgrund des Unterganges stürzten,c39 und den siebenjärigen Krieg verursachtenbc40 welcher auf eine unerhört-schreckliche Art der Stadt und dem ganzen Staat der Juden ein Ende machte. Auch im zeitlichen würde also die Nation viel gewonnen haben, wenn sie noch damahls der Religion Jesuc41 Gehör gegeben. Nie wäre alsdenn der Krieg gegen die Römerc42 entstanden. Und ihr Staat würde noch jezo da, und blühender seync43 als er je gewesen. – {/bcvers 43bc\ ∥bc44 } Verborgen war es vor ihren Augen, sie wolten es Jesu nicht glaubenbc45 daß ihr Unglaube den schrecklichsten Ausgang haben werde: |b137| |c137| daß die Zeit über dich, Jerusalembc46 kommen wird, wo deine Feinde werden um dich und deine Kinder in dir, /cdeine Einwohner,c\ ∥c47 eine Wagenburg schlagen, dich belagern und an allen Orten ängstigen, „einen Graben um dich herum aufwerfen, und dich einschliessen, und von allen Seiten ängstigen“ und werden dich schleiffen und keinen Stein auf dem andern lassen: darum daß du nicht erkennet hast die Zeit darin du heimgesucht bist, /cgenauer, „darumc\ ∥c48 daß du die Gelegenheit deiner Besuchung, wo der Messiasbc49 selbst zu dir kam, nicht gebraucht.“
{v. 45. 46bc51 } Nun kam er in die Stadt; gieng in den Tempel, wo er den Tag darauf (Siehe Marci 11, |a138| 11. vergl. v. 12bc52 und /bc15 f[.]bc\ ∥bc53) die Käufer und Verkäufer austrieb. Man hatte nämlich, aus einem der Vorhöfe des Tempels einen /bcMarkt Plazbc\ ∥bc54 gemacht, wo Thiere zum Opfer verkauft, und Geld das im Tempel und zu Jerusalembc55 gangbar war, ausgewechselt ward. Die gröbsten Betrügereien waren hier üblich, und vermuthlich auch durch die schändliche Moral der Pharisäerc56 gebilligt. Dieser Marktplazbc57 in den Tempel-Gebäuden war eine wahre Räuber-Höle. – Es stehet geschrieben, sagte Jesus zu ihnen, {Jesaiä 56, 7.} Mein Haus ist ein Bet-Haus: Ihr aber habts gemacht zur Räuber-Höle.
{versbc58 47. 48.} Die lezten Tage seines Lebens widmete Jesus noch, ganz unbesorgt für sich selbstbc59 dem Unterricht des Volks. Den Tag über lehrete er im Tempel, {Marci 11, 17–19bc60 } und des Abends gieng er hinaus, in Bethanien zu übernachten. Die Hohepriester |b138| |c138| aber, (diesen Titel fürete nicht allein das jedesmahlige Haupt der Priesterschaft, sondern auch die gewesenen und abgesezten, nebst den Häuptern der vier und zwanzig /bcPriester Ordnungenbc\ ∥bc62) und die Gesezgelehrtec63, zusamt den Vornehmsten der Nation machten unterdessen allerlei Mord-Anschläge gegen Ihn. Denn sie fanden keinen Grund zu seiner Anklage. Auch das Volk hieng ihm an und hörete ihn.
Was hier Jesus vorhersagte und beweinete, v. 41–44,bc64 ist /csieben und dreyssigb65 Jahre nachherc\ ∥c66 zum Erstaunen pünktlich eingetroffen. Der rö|a139|mische Feldherr, und nachmahlige Kaiser Titus rückte mit einer Armee von sechzigtausend Mann vor die rebellische Stadtbc67 und schloß sie rings umher mit einer Mauer ein. Seitdem war Jerusalem ein Schauplaz der allerschrecklichsten Auftritte. Die Belagerten in Factionenc68 zertheilt, richteten unter sich selbst entsezliche Blutbäder an. Die Hungers-Noth ward so groß, daß Eltern und Kinder sich einander die Nahrungs-Mittel wegrissen, Mütter ihre Kinder schlachteten, und die Strassen voll von Leichnamen verhungerter Menschen waren. Die durch die Hartnäckigkeit der Juden erbitterten Feinde liessen eine Menge von denenc69 die sich durch die Flucht retten wolten, im Angesicht der Belagerten kreuzigen, und schnitten Tausende dieser Unglücklichen lebendig auf. In der Belagerung, die fast fünf Monathe daurete, verlohren eine Million und drey mahl hundert sieben und dreyssigbc70 tausend ∥c71 das Leben. Nach der Einnahme wurden die Gefangenen zu |b139| |c139| Tausenden den wilden Thieren bei öffentlichen Schauspielen vorgeworfen. Alles ward hierauf dem Erdboden gleich gemacht; so daß weder von der Stadt noch dem Tempel ein Stein auf dem andern blieb. {Josephusc72 vom Jüdischen Kriege Buchbc73 V. Kapit.bc74 10.} „Keinec75 Stadt, sagt der Geschichtschreiber dieser Nation, ein Jude von Geburth und Religion, welcher ein /bcAugen Zeugebc\ ∥bc76 dieses ganzen traurigen Krieges war, hat je ein solches Unglück betroffen. Und, er selbst sezet es hinzu, seit dem Anbeginn der Welt ist auch kein einziges /bcMenschen Geschlechtbc\ ∥bc77 so fruchtbar an Bosheit gewesen.[“]c78 – – |a140| Man müste seine Augen zuschliessen, wenn man hier nicht den Göttlichen Gesandten sehen wolte, der die Zukunft wie das Vergangene kennet!
Dieses schrecklichste Unglück sagt er den Juden seiner Zeit vorher, bloß um sie dafürc79 zu sichern. Und bis zu Thränen wird er dadurch gerürt. {v. 41. 42bc80 } Er sahe die Stadt an, und weinete über sie, und sprach;bc81 Ach wenn du doch, jezo noch bedenken möchtest was zu deinem Glück dienet! – Wie würdig einemc82 Gesandten Gottesc83 ist dieser Characterc84! Fülbahrkeit durch Weisheit geleitet,c85 Helden-Muth, Geistes-Grössec86 und eine Alles umfassende für Aller Glück brennende Liebe! Und dieser Edelste, Beste, Liebenswürdigste Mensch ist noch dazu durch eben die Leiden gegangen die das Looß der Menschheit sind. Er weiß wie einem menschlichen Herzen unter der Last des Elendes zu Muthe ist. {Hebräerbc87 2, 10–18bc88 } Er ist durch Leiden, zu unserm Erlöser, und unserm Könige eingeweihet; dadurch |b140| |c140| zu unserm recht Mitleidigen, Barmherzigen und Treuen Hohenpriester bei Gottc89, gebildet worden: indem er nun durch eigene Erfahrung weiß, wie schmerzlich, wie peinlich, die Leiden dieser Zeit |a141| uns schwache Menschen rüren. – Die Natur menschlicher Seelen, (und Jesus ist bei aller seiner Erhöhung, doch noch immer ein wahrer Mensch) bringt es so mit sich, daß wir denen günstig sind, welche eben die Leiden dulden, die wir selbst ehedem geduldet. Niemand ist gegen Kranke mitleidiger, als der selbst oftec90 krank gewesen. Niemand fült die Noth desbc91 Armen mit mehr Theilnehmung als der selbst /cArm gewesenc\ ∥c92. Derjenige befiehlet am gütigsten der selbst ehedem gehorchet: und man läßt deswegen Prinzen, von dem untersten Posten des Soldaten hinaufsteigen, damit sie die Beschwerden des Gehorsams selbst fülen. Wie angelegentlich sorgt nicht der Seefahrer der aus der See in den Hafen zurückkomt, für den der aus dem Hafen in die See läuft? Mit gröstem Fleiß giebt er ihm Nachricht von den Stürmen, den Klippen, den Seeräubern, den Sandbänken; in wenigen Augenblicken ist er der herzlichste Freund eines Menschen den er vielleicht sonst nie gesehen; bloß weil dieser nun in eben die Gefahren gehet die er /bcauchbc\ ausgestanden. Getrostc93 denn! Ihr Arme /bcNeben Menschenbc\ ∥bc94. Euer allmächtiger Regent weiß wie Armen zu Muthe ist;c95 denn er selbst war arm; so arm daß er nicht |a142| hatte sein Haupt hinzulegen! Getrost ihr Rechtschaffene, durch Muthwillen oder Bosheit anderer Verspottete, Geschmähete! Unser allmächtige Regent weiß, wie tief der ungerechte |b141| |c141| Spott und Lästerung andrer eine menschliche Seele schmerzet: denn Er selbst ward gelästert, und verlachet. Getrost, ihr Kranke! Ihr unter der schwer drückenden Last eines siechen Körpers Seufzende! Ihr Schwermütige! Ihr Alle, die ihr unter einem Schmerz und Leiden weinet! Unser Allmächtige und Ewige Regent, ist selbst durch Leiden, die peinlichsten Leiden, zu unserm Könige eingeweihet; ist in dem allem, uns seinen /cBrüdernc\ ∥c96 gleich geworden; – o ein unerschöpflicher Trost! – {Hebräerbc97 2, 18bc98 } damit Er ein Mitleidiger und Treuer Hohepriester, für uns bei Gott würde. Da Er selbst gelitten: so kan er durch eigene Erfahrung, den Leidenden desto besser helfen.
Selbst bei dem Unausbesserlichen Sünder braucht Gott dennoch alle Mittel ihn zu bessern. Vergebens war alles bei den Juden zu Christi Zeit. So viele dringende Ermahnungen der Propheten; so viele Wunderwerke, |a143| unleugbahre, erstaunliche, einleuchtende Wunder Jesu; {Hebräerbc99 1, 1bc100 } alle die Herzerschütterndec101 Reden, die heilsamec102 Drohungen, rürendec103 Bitten, und zärtlichec104 Thränen dieses höchsten Lehrers der Welt, alles ward verachtet, verworfen, mit vorsäzlicher Bosheit verworfen. Gottc105 sahe diese ganz unbiegsame Härte, diese unausbesserliche Gottlosigkeit gar wohl vorher: Erc106, der die Strafen dafürc107, so genau vorhersagte, {Apostelgeschichtbc108 15, 18bc109 } der alle seinec110 Werke von Ewigkeit her kennet! Dennoch wendet erc111 alle jene Mittel, mit solcher Geduld an, als wenn die heilsahmebc112 Wirkung davon gewiß wäre. – Und wir wollen |b142| |c142| nun noch an dem Ernste Gottesc113, jeden Menschen zu /cbeglückenb114 zweifeln; glaubenc\ ∥c115 daß erc116 einige schlechterdings zum Unglück verworfen /chabe; nunc\ ∥c117 noch – kalt seyn gegen einen Gottc118, der die Liebe Selbst ist!c119
{/bcvers 42bc\ ∥bc120 } Je stärker das Laster bei dem Menschen wird, desto Ruhiger, Sicherer ist er. Als die Bosheit der Juden aufs höchste gestiegen war, da waren sie gerade am Ruhigsten bei ihren Lastern. Weit entfernt, sich für reif zur fürchterlichsten Strafe zu halten, glaubten sie vielmehr, sie seyn {Johannisbc121 8, 39bc122 } Lieblinge Gottesc123, und hoften gar auf Wunder|a144|werke der Gottheitbc124 ihre Nation recht blühend und glänzend zu machen. So ist es /bauch,c126 nachb\ ∥b127 der Natur menschlicher Seelen Immer. Je mehr der Mensch einer Sünde, es sey Neid, oder Bosheit, oder Unzucht, oder irgend eine andre, nachhängt; desto mehr wird an der einen Seite, die Macht der Sünde verstärketc128, und an der andern, die Macht der Religion geschwächetc129. Die Sünde wird ihm endlich zur Gewohnheit. Und nun schweigt das Gewissen gänzlich. Wiec130 bei einem Ungewitterbc131 welches das Schiff gar zu weit von seinem Wege verschlagen, der Steurmannc132 in Verzweifelung, Cartec133 und Compaßc134 wegwirft und sich vom Zufall füren läßt, wohin er will: so wirft auch der Geübte Sünder, der schon sehr weit von der Tugend sich entfernet, Vernunft, Religion und Gewissen weg, und überläßt /csich ganz und garc\ ∥c135 dem Laster.
|b143| |c143|{/bcvers 42bc\ ∥bc136 } Wie Gefärlichc137, wie Grundfalsch ist es also, die Stille unsers Gewissens, für einen Beweis unsers Gottgefälligen Zustandes zu halten?c138 Denn je weiter der Mensch in der Bosheit komt, desto fülloser wird er. Und so ist die Stille seines Gewissens nichts anders, als Füllo|a145|sigkeit, Ein Schlaff, Ein Todt seines Gewissens; eine Stille, die sich bei schweren Leiden, oder auf dem Sterbebette, oder sicher endlich nach dem Tode vor Gottesc139 Gericht, in den schrecklichsten Tumult des Gewissens verwandelt. Gleichc140 der grossen Stille auf dem Meer, die ein Vorbothe des fürchterlichsten Ungewitters ist.
Nur allein alsdenn ist die Stille des Gewissens, wahre Ruhe, Friede mit Gottc141, ein sicherer Beweis unsers Gottgefälligen Zustandes, /cwenn wir in täglichem Umgange mit Gott und Uns selbst stehenc\ ∥c142. Wenn wir, so viel immer möglich, jeden Tag mit ernstlicher, auf uns angewandten Betrachtung der Bibel anfangen; und mit genauer Prüfung unsers Herzens und Lebens endigen; wenn der Gedanke an Gottc143 und unsre Pflicht, Religionc144 und Ewigkeit, bei uns herrschend geworden, uns bei jedem Anlaß einfällt und mit Wohlgefallen unterhalten wird: sodenn, aber auch nur allein alsdenn, können wir sicher und ganz zuversichtlich sagen, {2 Corintherbc145 1, 12bc147 } dies ist mein Ruhm, das Zeugnis meines Gewissensbc148 daß ich vor Gott mit aller Treue wandele. {Römerbc149 8, 31–Endebc150 } Wer will mich anklagen, da Gott mich Ge|a146|rechtsprichtbc151! Ist Gott für mich – was kan wider mich seyn?
|b144| |c144| {/bcvers 41bc\ ∥bc152 } Auch das Leiden des gröbsten Bösewichts müssen wir Christen, mit zärtlichem Mitleiden ansehen. Denn Jesus, unser Herr und Muster weinete über das Unglück, das höchst verdiente Unglück seiner Mörder. Ferne sey denn von uns jene Härtebc153 welche sich gegen das Elend des Lasterhaften versteinert, ihn gar mit den bittersten Vorwürfen kränket.c154 Ferne noch mehr jene Grausamkeit, welche so geflissentlich und gerne, in den Leiden andrer, Straf-Gerichte Gottes siehet, und den Leidenden durch dieses Urtheil, bis ins Herz verwundet! So etwas schickt sich nicht für Schüler Jesu; der über das Unglück der verruchtesten Menschen auf dem Erdboden – Weinet!
{/bcvers 41[.]bc\ ∥bc155 42. 47.} Und diese Menschen waren noch dazu seine ärgsten Feinde. Das Unglück seiner Lästerer, seiner grausamsten Mörder rüret ihn inniglich; rürt ihn bis zu Thränen. Recht ängstlich wünschet er, sie davon befreiet zu sehen. Aus dem Innersten seines Gerürten Herzens bricht das Gebet hervor: /cach daß du doch bedenken möchtest |a147| was zu deinem Glück dienet!c\ ∥c156 – So müssen auch wir Gesinnet seyn, und Handeln, wenn wir anders den Nahmen der Christen, mit Recht, und nicht zur Schande Christi tragen wollen!
Eines der besten, oder vielmehr das Allerkräftigsteb157 Mittel, uns zu einer solchen Grosmütigen Menschen-Liebe zu bilden, ist das Gebet; und besonders die Fürbitte für alle unsre Nebenmenschenbc158. Darum will auch Gottc159, |b145| |c145| daß eins der vornehmsten Stücke seines öffentlichen Dienstes, das Gebet, besonders für unsre Neben-Menschen seyn soll! – {/bcvers 46bc\ ∥bc160 } „Es stehet geschrieben, sagt Jesus, Mein Haus ist ein Bet-Haus.“ Beim Jesaias 56, 1–9bc161 weissaget Gottc162 die Ausbreitung der wahren Religion durch den Messiasbc163. Menschen, Nationen aus allen Welt-Gegenden werden in das Haus Gottes kommen, zu Ihm zu beten. {/bcvers 7bc\ ∥bc164 } Mein Haus, sagt Gottc165 selbst, wird ein Bet-Haus für alle Völker seyn. – Ein Bet-Haus also, ihr Christenc166! Wenn wir denn in der Kirche zusammen kommen: so ist das Anhören der Predigtc167 und der Gebrauch des h.bc168 Abendmahls bei weitem noch nicht der ganze Gottes-Dienst. /cBe|a148|ten, Gottc\ ∥c169 für seinec170 Wohlthaten preisen, und um Schuz und Seegen anflehen; Ihmc171, uns ganz aufs neue widmen; und insbesondre, für unsre hülflosec172, kranke, arme, preshafte, irrende, lasterhafte Neben-Menschen zu /cIhm beten,c\ ∥c173 dies, dies ist, nach Gottesc174 eigener Erklärung, das Haupt-Stück des Ihmc175 wohlgefälligen Dienstes. Das Haus Gottesc176 soll nicht so wohl ein Predigt-Haus, sondern vornehmlich, – ein Bet-Haus seyn!z\