Die allererste Christliche, die Mutter-Gemeinde zu Jerusalem befand sich unter einer Obrigkeit und Nation, die dem Christenthume äusserst feind war; und in einer Zeit, wo die häufigen Gärungen und Empörungen gegen die Römer den Untergang des Staats ganz unvermeidlich machten. In einer solchen Laage war nichts nothwendiger, und vernünftiger, als eine Anstalt zu treffen, wodurch der Unterhalt der Gemeinde gesichert ward. Und diese traf man wirklich in der {Kapit. 2, 45. 46. Kapitel.z4 4, 32–37. /zu. Kapitelz\ ∥z5 6.} Gemeinschaft der Güter, welche sonst nirgends als zu Jerusalem eingefüret ward; und nichts anders, als eine sehr gemeinnüzige Leib-Renten Anstalt war. Denn ein jeder durfte nur sein ganzes Vermögen, es mochte nun dies ansehnlich, oder geringe seyn, |c400| |z17| zur Gemeindekasse hergeben; so bekam er dadurch das Recht, den Unterhalt für sein ganzes Leben von der Gemeinde zu fordern.
{Kap. 6, 1 f.} Diese weise Einrichtung machte, bei dem grossen Anwachs der Gemeinde eine andere nothwendig. Man muste nämlich Gemeinde-Pfleger (Diakonen) bestellen; Personen von Weisheit, und Redlichkeit, welche die Mahlzeiten, und überhaupt den ganzen Unterhalt der Gemeinde besorgten. Und einer dieser Diakonen war Stephanus ein Mann {vers 8.} voll Treue (Redlichkeit Gewissenhaftigkeit) und Wunder-Kraft, welcher nicht allein durch viele und grosse Wunderthaten, sondern auch durch einen beredten, und geistvollen Vortrag dem Christenthum Ansehen und Eingang bei der Nation verschafte.
{vers 9.} Gegen diesen standen auf, – die Männer, welche Haupt-Reformen im Menschen-Geschlecht waagen und ausfüren, finden immer viel Widerstand, – einige aus der Synagoge, die Libertinische *) genannt, und Kyre|c401||z81[!]|nischen, und Alexandrinischen, auch der Cilicischen, und Asiatischen, und disputirten mit ihm (über die Religion). {v. 10.} Aber sie vermochten nicht der Weisheit zu widerstehen, und der Kraft womit er sprach.
{v. 11.} Da nun – als ihnen vernünftige Gründe fehleten, nahmen sie, wie gemeiniglich geschiehet, ihre Zuflucht zum Schmähen und Schlagen, – stelleten sie Männer auf, welche sagen musten, „wir haben ihn gehört Lästerungen gegen Mosen und Gott ausstossen.“ Dies also war die Anklage, er sey ein Gotteslästrer. – {v. 12.} Auch wiegelten sie das Volk auf, sammt den Aeltesten, und Gesezgelehrten; und überfielen ihn, und rissen ihn mit sich fort, und füreten ihn vor den hohen Rath (das höchste Gericht der Nation.) {v. 13.} Auch stelleten sie falsche Zeugen auf, welche sagten, „dieser Mensch höret nicht auf Lästrungen gegen diesen heiligen Ort, (den Tempel, und die Stadt) und das Gesez auszustossen: {v. 14.} denn wir haben ihn sagen gehört, Jesus der Nazarener wird diesen Ort zerstören und die Geseze ändern, die uns Moses gegeben hat.“ – Die Falschheit und Bosheit dieser Anklage bestand nicht darin, daß sie Stephano diese Re|c402||z19|den beilegten: denn das war richtig, Jesus hatte es klar genug mehrmahls gesagt, z. E. Johann. 4, 21–24. und eben das lehreten auch schon damahls seine Schüler. S. z. B. Kapit. 15. Daß sie aber dieses zu Gotteslästerungen dreheten, und den Stephanus deswegen zu einem Gotteslästrer machten: das war Konsequenzenmacherei, Schmähung und Bosheit.
{v. 15.} Es blickten aber alle die im hohen Rath saassen auf ihn, (ohne Zweifel mit Blicken des Grimmes Kap. 7, 54.) und sahen sein Gesicht, wie das Gesicht eines Engels. (Sahen in seinem Gesicht eine ausserordentliche Ruhe, Heiterkeit und Würde.) {Kap. 7, 1.} Dann sprach der Hohepriester (der Präsident des Raths) „Verhält sich denn das so?“ {vers 2.} Er aber sagte, – Männer u. s. f. – Mann merke wohl, im Text steht nicht, er sagte aus Eingebung des heiligen Geistes. Auch war Stephanus kein Apostel und nirgends finden wir, daß er die folgende Rede durch Inspiration gehalten habe. Sie ist also, gleich andern menschlichen Reden, trüglich. Sie kan Trugschlüsse und Fehler enthalten; und enthält dergleichen auch wirklich. Denn welcher auch so grosse Kopf, und tiefer Gelehrte würde unter gleichen Umständen, ohne Fehler gesprochen haben!
Er sprach, Brüder, und Väter! Höret! Der majestätische Gott erschien unserm Vater Abraham, als er in Mesopotamien war, ehe er zu Haran wohnete, {vers 3.} und |c403| |z20| sprach zu ihm: „Gehe aus von deinem Lande, hin in ein Land, das ich dir anzeigen werde.“ {vers 4.} Da gieng er aus von Chaldäa, und ließ sich zu Haran nieder. Und von dannen versezte ihn Gott, nach dem Tode seines Vaters, in dieses Land, welches ihr nun bewohnet. *) {vers 5.} Aber er gab ihm nicht einen Fußbreit Eigenthums darin; ob Er gleich versprochen hatte, es ihm und seinen Nachkommen zum Besiz zu geben, als er noch keine Kinder hatte; {vers 6.} denn so redete Gott: (1 Mosis 15, 13. 14) „Deine Nachkommenschaft wird in einem fremden Lande wohnen; und man wird sie zu Sklaven machen, und mißhandeln 400 Jahre lang. **) {vers 7z6 } Aber das Volk dessen |c404| |z21| Sklaven sie sind, werde ich strafen: sprach Gott, und dann werden sie ausziehen, und mich an diesem Orte (im Lande Kanaan v. 4. 5) verehren.“ {vers 8.} Hierauf (nach allen diesen Gunstbezeugungen v. 3. f.) gab Er ihm den Befehl der Beschneidung1 Mos. 17. (Es ist also klar, daß Gottes Gunst nicht an das Mosaische Gesez gebunden ist.)
Nun zeugte er den Isaak, und beschnitt ihn am achten Tage: Isaak den Jakob; und Jakob die zwölf Patriarchen (Familien-Häupter.) {1 Mos. 37. vers 9.} Die Patriarchen aus Neid gegen Joseph verkauften diesen nach Aegypten. Gott aber war mit ihm, {vers 10} und rettete ihn aus allen seinen Nöthen, und gab ihm Anmuth und Weisheit beim Pharao, dem Könige Aegyptens und (der König) bestellte ihn zum Stadthalter über Aegypten und sein ganzes Haus. {vers 11} Da kam Hunger und grosse Noth über das ganze Land Aegypten und Kanaan; und unsere Väter fanden keinen Unterhalt. {vers 12} Als aber Jakob hörete, daß Lebensmittel in Aegypten seyn, sandte er unsere Väter zum erstenmahl; {vers 13} und zum zweitenmahl ward Joseph von seinen Brüdern erkandt, und Pharao erfuhr das Geschlecht Josephs. {vers 14} Nun sandte Joseph hin, und hohlete seinen Vater Jakob, nebst der ganzen Verwandschaft: fünf und siebenzig Seelen. *)
|c405| |z22| {vers 15} Jakob zog also hinab nach Aegypten und starb (nämlich daselbst) er und unsere Väter: {vers 16} und diese wurden nach Sichem gebracht, und in das Grabmahl gelegt, welches Abraham von den Sönen Hemors des Vaters Sichems für Geld kaufte. **)
{vers 17} Als aber die Zeit der Verheissung, die Gott dem Abraham eidlich gethan hatte, herannahete, mehrete sich das Volk sehr in Aegypten, {vers 18} bis daß ein anderer König herrschte der den Joseph nicht kandte. {vers 19} Dieser überlistete unser Geschlecht, und plagte unsere Väter, um sie zu vertilgen, dergestalt, daß sie selbst ihre Kinder wegstellen musten. {vers 20} Um diese Zeit ward Moses gebohren, der sehr schön war. Er wurde drei Monath im väterlichen Hause auferzogen: {vers 21} nachdem |c406| |z23| {vers 21} er aber weggestellet worden, nahm ihn Pharaos Tochter auf und erzog ihn als ihren Sohn. – {vers 22} So ward Moses in aller Weisheit der Aegyptier unterrichtet, und ward mächtig in Reden und in Thaten. *)
{vers 23} Nachdem er aber vierzig Jahre zurückgelegt hatte, fiel es ihm ein, seine Brüder, die Israeliten zu besuchen, {vers 24} und als er {2 Mos. 2, 11. 12.} einen Unrecht leiden sahe, vertheidigte er, und rächte den Unterdrükten, indem er den Aegypter erschlug. **) {vers 25} Er glaubte nun, seine Brüder würden es merken, daß Gott ihnen durch ihn Rettung schaffen wolte: sie aber merkten es nicht. {vers 26} Am folgenden Tage sahe er sie streiten, und trieb sie zum Frieden an. „Männer, sprach er, ihr seyd Brüder. Warum beleidiget ihr euch einander?“ {vers 27} Der aber welcher den Nächsten beleidiget hatte, stieß ihn von sich, und sprach: „Wer hat dich zum Regenten und Richter über uns bestellt? {vers 28} Wilst du mich tödten, wie du gestern |c407| |z24| den Aegypter tödtetest“? {vers 29} Da flohe Moses wegen dieser Rede, und ließ sich in Midian nieder, wo er zwei Söne zeugete. {vers 30} Nach vierzig Jahren erschien ihm in der Wüste des Berges Sinai (d. i. die Arabische, wo der Berg Sinai liegt) ein Engel des Herrn (nicht Gott selbst, sondern ein Gesandter Gottes nach 2 Mos. 3, 2.) in dem brennenden Busch. {vers 31} Moses verwunderte sich über diesen Anblick, und als er hinzu gieng es zu besichtigen rief ihm der Herr[(]nämlich durch jenen Engel. s. Vers 35) zu, {vers 32} „ich bin der Gott deiner Väter, der Gott Abraham und der Gott Isaak, und der Gott Jakob.“ (d. i. derjenige, welchen Abraham, Isaak und Jakob als den wahren Gott anbeteten) Moses erschrocken waagte nicht es zu besichtigen: {vers 33} der Herr aber sprach zu ihm, „Löse die Schuhe von deinen Füssen ab, denn der Ort wo du stehest ist ein heiliger Boden. *) {vers 34} Ich habe gesehen die Mishandlung meines Volks in Aegypten, und ihre Seufzer gehöret; und bin herabgestiegen sie zu befreien. Jezt also wohlan! ich sende dich nach Aegypten.“ {vers 35} Diesen Moses, welchen sie mit den Worten verwarfen, wer hat dich zum Regenten, und Richter über uns gesezt? Diesen |c408| |z25| sandte Gott durch den Engel, der ihm in dem Busch erschien, zum Regenten und Retter. {vers 36} Dieser fürete sie aus, nachdem er viele grosse Wunder in Aegypten, und beim Rothen Meer undz7 in der Wüste vierzig Jahr lang gethan hatte! {vers 37} Dieser Moses ist es, der zu den Israeliten sprach, „einen Propheten wie mich wird der Herr euer Gott aus euren Brüdern aufstellen.“ {vers 38} Dieser ist es, welcher in jener Versammlung (d. i. der Versammlung zur Anhörung der Gesezgebung 2 Mos. 19) sich mit dem Engel, der auf dem Berge Sinai zu ihm sprach, und mit unsern Vätern unterredete (d. h. der Dollmetscher, der Mittler zwischen dem Engel, und unsern Vätern war, Galat. 3, 19. 2 Mose 19) und beglükende Gottessprüche empfieng sie uns zu geben. ***)z8 {vers 39} Ihm wolten unsere Väter nicht gehorchen, sondern stiessen ihn weg, und kehreten mit ihren Herzen nach Aegypten zurück. (Eine schöne Figur. |c409| |z26| Jenes häufige Murren und Fordern der Rükkehr nach Aegypten, und Uebung des ägyptischen Gözendienstes war eben so gut, als hätten sie sich aufgemacht, und wären nach Aegypten zurück gegangen) {vers 40} und sprachen zum Aaron, „mache uns Götter, die uns anfüren, denn der Moses, der uns aus Aegypten fürete, wir wissen nicht, was mit ihm geschehen.“ {vers 41} Dann machten sie ein Kalb, und opferten den Gözen, und freueten sich über die Werke ihrer Hände. {vers 42} Gott aber wandte sich von ihnen und ließ sie das Heer des Himmels (Sonne, Mond, und Sterne 5 Mose 4, 19) anbeten: wie im Buche der Propheten, (Amos 5, 25–27) geschrieben steht: „Habt ihr mir nicht blutige und unblutige Opfer vierzig Jahre lang in der Wüste gebracht, ihr von der Familie Israels? {vers 43} Aber ihr truget das Gezelt des Moloch, und das Gestirn, nämlich euren Gott Remphan, *) die Bilder, die |c410| |z27| ihr machtet sie anzubeten. Darum werde ich euch jenseit Babel versezen.“ *)
{vers 44} Das Gezelt der Lehre (dies ist die Uebersezung, welche die sogenanten 70 Dollmetscher von dem Hebräischen Nahmen, Versamlungs-Gezelt, machen: Luther nennt es die Stifts-Hütte. Es war übrigens dieses Gezelt, der Trage-Tempel der Israeliten) hatten unsere Väter in der Wüste (auf ihrer Reise nach Kanaan, durch die arabische Wüste) so wie der welcher mit Mose redete, es befohlen hatte, nach dem Bilde, das er sahe, zu machen. {v. 45.} Dieses füreten auch unsere Vorfahren nebst Josua (im Griechischen heißt er, Jesus) da sie es von den ihrigen empfangen hatten, in die Wohnung der Völker, welche Gott vor unsern Vätern ausstieß, bis zur Zeit Davids. (nämlich hatten sie es, Siehe V. 44) {v. 46.} Dieser gefiel Gott, und baat sich aus, daß er eine Wohnung dem Gott Jakobs aussuchen möchte. {v. 47.} Salomon aber (David empfing die Erlaubniß nicht, sondern sein Sohn, Siehe 2 Samuel) bauete Ihm ein Haus. {v. 48.} Wiewohl, der Allerhöchste wohnet nicht in Tempeln von Händen gemacht (1 Könige 8, 27.) wie der Prophet (Jesaias 66, 1.) sagt, {v. 49.} „der Himmel ist mein Thron, und die |c411| |z28| Erde mein Fußtritt! Welch ein Haus wollet ihr mir bauen? spricht der Herr. Oder welcher Ort soll meine Wohnung seyn? {v. 50.} Hat nicht meine Hand das Alles gemacht?“ *)
{v. 51.} Ihr **) Hartnäckige, und an Herzen, und Ohren Unbeschnittene! (d. i. Fülloß gegen das Gute, und taub gegen alle Ermahnungen.) Ihr widerstrebt stets dem heiligen Geist, wie eure Väter, so auch ihr! {v. 52.} Welchen Propheten haben eure Väter nicht verfolgt? oder getödtet? ***) Sie welche die Ankunft dieses Tugendhaften (Jesu), dessen Verräter, und |c412| |z29| Mörder ihr geworden, ankündigten! {v. 53.} Ihr die ihr das Gesez durch Anordnungen (Befehle) der Engel: (siehe V. 38.) empfangen habt, aber es nicht haltet! *)
{v. 54.} Als sie das höreten, ergrimmeten sie, und knirschten mit den Zänen über ihn. {v. 55.} Er aber ward voll heiligen Geistes; (vom heiligen Geist mit Muth und Kraft angefüllet.) blikte in den Himmel; und sahe (mit den Augen des Geistes, Ephes. 1, 18) die Majestät Gottes und Jesum zur Rechten Gottes stehen, {v. 56.} und sprach, „Ich sehe, ich sehe den Himmel geöfnet, und den Menschen-Sohn **) zur Rechten Gottes stehen“ – {v. 57.} Sie schrien aber gewaltig, und hielten die Ohren zu, und fielen alle zusammen ihn an, {vers 58} und stiessen ihn aus der Stadt, und steinigten ihn. Die Zeugen aber ***) gaben ihre Kleider einem Jünglinge Saulus genannt, ****) zur Verwahrung; |c413| |z30| {v. 59.} und steinigten den Stephanus, welcher also betete „Herr Jesu, nim meinen Geist auf!“ Dann fiel er auf die Knie, und rief laut, – Herr! bezahle ihnen diese Sünde nicht! und als er das gesagt hatte, entschlief er.
Diese Rede Stephani Floß wie wir schon gesehen haben, nicht aus Eingebung des heiligen Geistes. Der würdige Mann, hingerissen von jenen blinden und unmenschlichen Disputanten, muste sie ohne alle Vorbereitung, und noch dazu vor einem äusserst unbändigen Auditorio halten, Kapit. 6, 12. 13. 7, 54. 57. Wenn sie also ihre Fehler hat, so ist dies weniger zu bewundern, als daß dieser nicht mehrere seyn. Die Fehler derselben sind folgende: sie ist zu weitschweifig, in den Erzälungen, nach jüdischer Art zu gedänt; nicht nach einer strengen Ordnung gemacht; auch nicht mit der nötigen Klarheit und den Fliessenden Reden allenthalben versehen; und überdem mit mehrern Gedächtniß-Fehlern angefüllet. – Aber im Ganzen genommen ist sie nach einem weisen Plan gemacht und unterscheidet sich in Sachen und Einkleidung gar sehr von allen andern |c414| |z31| in der Apostel-Geschichte enthaltenen Reden Petri, Pauli, und Jakobi. Ein klarer Beweiß, daß sie ihm nicht von dem Geschichtschreiber Lukas nach Art der griechischen und römischen Geschichtschreiber in den Mund gelegt; sondern aus seinem Munde referirt worden. Aller Wahrscheinlichkeit nach empfing sie Lukas von einigen Christen, welche sie anhöreten, und nachschrieben, und Paulo, der ebenfalls dabei zugegen war, und die Hauptstüke derselben im Gedächtniß behalten hatte. Kap. 7, 58. 60.
Es ist aber diese Rede eine Vertheidigung gegen die Anklage, „daß er ein Gottes-Lästerer sey, weil er den Untergang des Tempels, und die Abschaffung des mosaischen Gesezes angekündiget.“ Siehe Kap. 6, 11–14 vergl. Kap. 7, 1 f. Das lezte, nämlich die ihm beigelegten Reden, leugnete er nicht, er gesteht sie vielmehr stillschweigend zu. Aber er beweiset, daß er darum keinesweges ein Gotteslästerer sey. „Eure eigene heilige Geschichte[“], sagt er, (dies ist sein Beweiß) „macht klar, daß Gott Seine Gunst keinesweges an die von euch so sehr geschäzten Dinge, Kanaan, Jerusalem, Tempel, Beschneidung und Gesez Mosis, gebunden hat. Dies lehret das Beispiel Abrahams, dem Gott lange vor der Beschneidung so viele Zeichen Seines Beifalls, und Seiner Huld gab, Vers 2–8. Dies lehret auch das Beispiel Josephs; er Lebte nicht in Kanaan, nicht im Tempel, sondern unter Gözendienern; und dennoch war Gott mit ihm V. 9–16. Eben |c415| |z32| dies lehret so gar das Beispiel eures grossen Gesezgebers; und aller eurer Tugendhaften Vorfahren, die vor Erbauung des Tempels lebten Vers 17–47. Ja selbst von diesem Tempel sagt Salomo, der ihn bauete, und eure Propheten, Nicht er, sondern die ganze Natur sey Gottes Tempel.“ Vers 48. 49 – Dies ist der Haupt-Zweck, der durch die ganze Rede sichtbahr genug herrscht. Damit verbindet er noch einen Andern Zweck. Er mahlet nämlich den Juden ihr Gottloses Betragen gegen Jesum und seine Anhänger in Exempeln ihrer Vorfahren vor die Augen: Die Geschichte Josephs v. 9. f. Mosis besonders v. 17 f. 35–38. und der Israeliten in der arabischen Wüste v. 39 f. sind so treffend, daß sie, wie wir aus dem Grimme, der darauf folgte, v. 54 sehen, ihre Wirkung nicht verfehleten.
Der Abschnitt Kap. 7, 51–53 ist manchem als eine unzeitige Hize Stephani, ein Mangel der Ehrfurcht gegen seine Obern; und als eine unverständige Selbstbeschädigung aufgefallen. Wenn man aber nur bemerkt, daß die ganze Rede vers 1–50 so sehr schoonend, ruhig und sanft; dieser Zusaz aber im heftigsten Feuer abgefasset ist; auch mit jener Rede in gar keinem Zusammenhangez10 stehet: so wird mann leicht einsehen, daß er nicht ein Theil der Rede Stephani vor dem hohen Rath; sondern ein Fragment einer Anrede an den ihn mishandelnden Pöbel, folglich ein erlaubter, und |c416| |z33| edler Ausbruch des Eifers für Wahrheit und Tugend ist.
Noch immer ist diese Rede, und die Geschichte ihres ehrwürdigsten Urhebers; sehr lehrreich. – Zunächst hätte dieses erste öffentliche Religions-Gespräch in der Christlichen Kirche viel tausend Uebel verhindern können. Denn sein Ausgang lehret, daß öffentliche (feierliche) Religions-Gespräche niemahls Nuzen, wohl aber Schaden stiften. Und nichts ist natürlicher, wenn mann die Menschen recht kennt, und sie nimmt wie sie sind, nicht aber wie sie seyn sollten. Jede Parthei hat bei öffentlichen Religions-Gesprächen offenbahr nur die Absicht ihre Meinung zu verfechten: völlig überzeugt, daß sie im Besiz der Wahrheit sey, sieht sie das Gespräch nur als einen Versuch an, die Gegner zu bekehren. Eben das Feierliche dabei erhizet ihre Rechthaberei noch mehr: sie gerathen beim Disputiren unausbleiblich in Eifer: und so ist dann die ganze Frucht des Gesprächs nichts anders, als – Verstärkter Haß; Förmliche Trennung; und gegenseitige Verfolgung. Und so war es auch in der That bei allen solchen Religions-Gesprächen, von diesem zu Jerusalem an, bis zu denen herunter, welche im vorigen Jahrhunderte zwischen Lutheranern und Katholiken gehalten wurden.
Wenn wir ferner Stephanum handeln und reden sehen: da sehen wir was ein ächter Christ ist; nämlich – ein thätiger, grosmütiger, redlicher, und religiöser Freund aller Menschen. – Mit solcher Schoonung, |c417| |z34| Nachsicht, und Güte spricht er zu seinen grausamen Feinden. Selbst für seine Mörder betet er. Und so gar unter den Martern, womit sie ihn peinigten. Und so inbrünstig flehet er für ihr Wohl. Noch seinen lezten Athemzug braucht er, seine Mörder zu beglücken. – Welch ein Anblick! Hier sehen wir in den Feinden Stephani, wütende Unmenschen; Gesichter voll Wuth; Hände voll Steine; womit sie Grimmig ihn verwunden, und tödten. Dort aber steht er, der Schüler Jesu; mit ruhigem, heiterm Gesicht; duldet gelassen; erwartet froh den Todt; und als der lezte Augenblick da war, kniet er nieder, betet mit lauter starker Stimme, Herr bezahle ihnen diese Sünde nicht! Und als er das gesagt, so entschlieffz11 er – O würdiger Schüler jenes Lehrers, welcher unter den Martern des Kreuzes betete, Vaterz12 vergib ihnen Lucä 23, 34. Philipp. 2, 3–8!z13
Endlich lehret uns auch sein Todt, daß ein rechter, und erleuchteter Christ bei unzerrüttetem Zustande seiner Gesundheit, nicht anders, als Ruhig und Heiter sterben kan. Denn, – ihm ist ja der Todt, nur Todt seines Leibes; für ihn selbst aber, das Rechte Leben, der Eingang zu seinem Vater! Johannis 13, 1. 2 Korinth. 4, 16–18. 1 Timoth. 6, 19. Und sterbend siehet er, wie Stephanus, Kap. 7, 55. 56z14 den Himmel offen, und die Majestät Gottes; und Jesum der ihn erwartet, um ihn in die ewige Gesellschaft seines Vaters, und die ewige Wonne seines Himmels zu füren.cz