Was Matthäus in dem zweiten Kapitel erzält, fällt alles in die ersten Acht Tage des Lebens Jesu. (Siehe oben Seite)
{vers 1.} Als Jesus zu Bethlehem in Judäa (denn es war noch ein anderes Bethlehem in der Landschaft Galiläa, Josuä 19, 15. Dieses judäische Bethlehem lag eine Meile von Jerusalem südwärts) gebohren war, zur Zeit Herodis des Königs, ** kamen Weisen (gelehrte Männer, |c437| |z36| besonders in der Sternkunde und Philosophie) aus dem Morgenlande *) nach Jerusalem, (der Hauptstadt von Palästina, dem Vaterlande der Juden. Da sie aus Arabien kamen, wie in der Anmerkung * bewiesen worden: so konn|c438||z37|ten sie die Reise in drei Tagen machen; denn dieses Land ist von Jerusalem höchstens 20 Stunden entfernt) und sprachen, {vers 2.} „Wo ist der gebohrne König der Juden? Wir sahen seinen Stern“ (d. h. den Stern, welcher ihrer Meinung nach die Geburth desselben andeutete) „aufgehen; und sind gekommen ihn fußfällig zu verehren.“ {vers 3.} Da aber Herodes das hörete, ward er bestürzt, (aus Furcht vor einem Nebenbuhler seiner königlichen Würde, über welche er im höchsten Grade eifersüchtig war) und ganz Jerusalem mit ihm: (diese vor Freuden über die Geburth des so lange und sehnlich erwarteten Messias) {vers 4.} und nachdem er alle Hohenpriester (ausser dem wirklichen trugen diesen Nahmen auch alle die abgesezten; denn seit der Römer Herrschaft ward diese Würde verkauft, und darum ofte gewechselt) und Gesezgelehrte (die jüdischen Theologen; Esrä 7, 6. 10) versammelt hatte, fragte er sie „wo der Messias sollte gebohren werden?“ {vers 5.} Und sie antworteten, „Zu Bethlehem in Judäa. Denn so ist durch den Propheten geschrieben, {Michä 5, 1. vers 6.} und du Bethlehem im Lande Juda, mit nichten bist du die kleinste unter den Fürsten Juda; denn aus dir wird der An|c439||z38|fürer kommen, welcher mein Volk Israel weiden soll.[“]*)
{vers 7.} Hierauf berief Herodes die Weisen heimlich; erforschte von ihnen die Zeit des erschienenen Sternes, {vers 8.} und sandte sie nach Bethlehem, und sprach, „Reiset hin, und erkundiget euch genau nach dem Kinde; wenn ihr es dann findet, so berichtet es mir, damit auch ich es fußfällig verehre.“ ** {vers 9.} Sie aber, nachdem sie den König angehöret hatten, reiseten ab; und siehe! der Stern, den sie aufgehen gesehen hatten, war ihnen zuvorgekommen, und stand über dem Orte, wo das Kind war. {v. 10.} Da sie den Stern sahen, wurden sie hoch erfreuet, {v. 11.} und als sie ins Haus kamen, sahen sie das Kind, samt Maria seiner Mutter; und fielen nieder es fußfällig zu verehren, und öfneten ihre Reisebehältnisse, und brachten ihm, Gold und Weihrauch, und Myrrhen zum Ge|c440||z36[!]| schenke dar. {v. 12.} Aber von Gott im Traum befehligt, nicht zum Herodes zurück zukehren, zogen sie durch einen andern Weg in ihr Land.
{v. 13.} Nach ihrem Abzuge aber erschien ein Engel dem Joseph im Traum und sprach „stehe auf, nimm das Kind und seine Mutter, und fleuch nach Aegypten, * und bleibe dort bis ich dir sagen werde, denn Herodes wird das Kind suchen um es zu tödten.“ {v. 14.} Er nun stand auf, nahm das Kind nebst seiner Mutter in der Nacht, und zog nach Aegypten, {v. 15.} und war dort bis zum Tode Herodis. So wurde erfüllet, was der Herr durch den Propheten sagt, welcher sprichtz6 „aus Aegypten rief ich meinen Sohn.“ **
|c441| |z40| {v. 16.} Darnach als Herodes sahe, daß er von den Weisen hintergangen worden, * ward er sehr zornig; und sandte hin, und brachte alle die Knaben zu Bethlehem, und in dessen Grenzen um, welche im zweiten Jahre, und drunter waren. ** Da ward erfüllet was |c442| |z41| von Jeremia dem Propheten gesagt worden, welcher spricht, {Jerem[.] 31, 15. v. 18.} „Eine Stimme höret man zu Rama, ein Weinen, und Winseln, und grosses Wehklagen. Rahel beweinet ihre Kinder; untröstlich ist sie, daß sie nicht mehr sind.“ *
{v. 19.} Nach Herodis Tode aber erschien ein Engel des Herrn dem Joseph in Aegypten im Traum {v. 20.} und sprach, „Mache dich auf, nimm das Kind, und dessen Mutter, und reise ins |c443| |z42| Land Israel: denn sie sind gestorben, welche dem Kinde nach dem Leben trachteten.“ {v. 21.} Er nun machte sich auf, nahm das Kind, und dessen Mutter, und zog ins Land Israel. {v. 22.} Als er aber hörete, daß Archelaus anstatt Herodis seines Vaters, König über Judäa sey * furchte er sich, dahin zu ziehen. Aber im Traum von Gott befehliget zog er nach Galiläa; {v. 23.} und ließ sich in einer Stadt Nazareth genannt nieder, ** damit erfüllet würde, |c444| |z43| was durch die Propheten gesagt wordenz10 „Nazarener wird er heissen.“ *
{vers 1.} Zu der Zeit (ohne zu bestimmen zu welcher? Denn die Evangelisten schrieben keine Jahr- oder Tagebücher, sondern nur auserlesene Merkwürdigkeiten des Lebens Jesu.) kam Johannes der Täufer (so wird er zum Unterschiede von dem Apostel Johannes, und zwar deswegen genannt, weil er zuerst, nach Gottes Befehl, Juden auf den jezt kommenden Messias taufte Johann. 1, 28.) verkündet (ruft aus, proklamirt als ein Herold) in der Wüste am Jordan (ein Strich Landes zum Stamm Juda gehörig, der ehedem wüste war, nachmahls aber mit Dörfern und Städten besezt ward, Josuä 15, 61. 62.) {vers 2.} und spricht – „Bessert euch: denn das Himmelreich ist da!“ ** {vers 3.} Dieser ist es von dem |c445| |z44| Jesaias der Prophet spricht, {Jesaiä 40, 3.} „Eine Stimme ruft in der Wüste; bereitet den Weg dem Herrn, macht eben seine Bahn.“ {vers 4.}Und er, Johannes hatte ein Kleid von Haaren eines Kameels *, und einen ledernen Gürtel um seine Hüfte; seine Nahrung aber waren Heuschrecken, und wild Honig. ** {vers 5.} Da gieng zu ihm hinaus, (seine äusserst strenge Lebensart hatte die Aufmerksamkeit der /zJuden erwektz\ ∥z1) Jerusalem, und ganz Judäa, und die Nachbarschaft des Jordan, {vers 6.} und wurden von ihm im Jordan getauft, nachdem sie ihre Sünden reuvoll bekannt hatten. {vers 7.} Als er nun viele Pharisäer, und Sadducäer kommen sahe, sich von ihm taufen zu lassen, sprach er zu ihnenz2 „Ihr Ottern-Brut! wer hat euch angewiesen der künftigen Rache zu entgehen? *** {vers 8.} Traget die edlen Früch|c446||z45|te der Besserung: {vers 9.} und denket nicht, Abraham ist unser Vater. * Denn ich sage euch, Gott kan aus diesen Steinen dem Abraham Kinder erwecken ** {v. 10.} Schon liegt die Axt an der Wurzel der Bäume; welcher Baum nicht gute Früchte trägt, der wird abgehauen, und ins Feuer geworfen. {v. 11.} Ich taufe zwar mit Wasser zur Besserung: er aber der nach mir kommt, ist mächtiger denn ich, und ich bin nicht werth seine Schuhe nachzutragen[.]*** Der wird euch mit heiligem Geist |c447| |z46| und Feuer taufen. * {v. 12.} Die Wurfschaufel hat er in seiner Hand, damit wird er seine Tenne säubern; und den Weizen in seine Scheure legen, aber die Spreu mit unauslöschlichem Feuer verbrennen.“ **
{v. 13.} Darauf (dies Wort ist unbestimmt, es folgt also nicht, „daß was hier erzälet wird, nach jenen Begebenheiten V. 7. f. geschehen sey“) kommt Jesus von Galiläa an den Jordan zum Johannes, damit er von ihm getauft würde. {v. 14.} Johannes aber hielte ihn ab, und sprach, „Ich bedarf es von dir getauft zu werden und du kommst zu mir?[“] *** {v. 15.} Jesus antwortete ihm „Laß nur jezo! denn es ist schicklich so alles zu thun, was recht ist!“ **** Hierauf ließ er es |c448| |z47| zu. {v. 16.} Und als Jesus getauft worden, stieg er alsbald aus dem Wasser heraus. Und siehe! Es öfnete sich der Himmel und er (Johannes, also nicht die Gegenwärtigen) sahe (in einem Gesicht) den Geist Gottes hinab fahren wie eine Taube und auf ihn kommen. {v. 17.} Und eine Stimme vom Himmel herab sprach, – „Dies ist mein geliebter Sohn! an dem ich Wohlgefallen habe.“ *
Die Gelehrten aus Arabien, welche den neugebohrnen Welt-Erlöser aufsuchen und verehren, waren nicht Könige: denn nicht allein sagt die Geschichte das nicht, sondern sie sagt gar das Gegentheil; sie waren Gelehrte, folglich keine Könige. Wie viele ihrer waren, wird uns nirgends gesagt. Was mann also von drei Königen, und ihrer Grossen, Langen Reise spricht; ist Fabel, und nicht Geschichte. Wahrscheinlich ist es, daß diese Gelehrten von Religion nicht Heiden, sondern Juden gewesen. Denn Juden befanden sich damahls in Arabien, wie in fast allen Ländern Apostel-Gesch. 2, und diese Weisen waren nach Vers 2, mit der Hofnung des Messias bekannt.
|c449| |z48| Den Stern, welcher ihnen erschien Kap. 2, 2. kann mann nicht für ein blosses Luft-Feuer halten. Denn nicht gemeine Leute, sondern Gelehrte sprechen hier; auch nennt mann in keiner Sprache ein Luftfeuer einen Stern; und endlich sahen sie eben diesen Stern wieder zu Bethlehem v. 9. Wenn wir uns aber erinnern, daß nach einer damahls allgemeinen Meinung die Kometen für Vorbothen einer wichtigen Begebenheit, und besonders der Geburth eines grossen Monarchen gehalten wurden: so wird sehr wahrscheinlich, daß jener Stern ein Komet gewesen. Und nun läßt sich auch, alles andere leicht erklären. Sie sahen den Stern wieder zu Bethlehem, denn an diesem Tage zeigte sich jener Komet abermahls. Der Text sagt weder, daß er vor ihnen hergegangen, und ihnen den Weg gezeiget; noch auch, daß er ihnen das Haus bezeichnet habe. Er war, sagt der Evangelist v. 9. ihnen zuvorgekommen, und stand über dem Orte wo das Kind war: so wie wir sagen, „der Mond steht über jenem Hause.“ – Da ferner, diese Gelehrten, Juden waren, diese aber damahls allgemein den Messias erwarteten; und ein allgemeiner Glaube der damahligen Welt die Kometen als Vorbothen der Geburth eines grossen Prinzen ansahe: so war nicht eine göttliche Offenbahrung, und noch weniger Sterndeuterei die Ursache, warum sie der Anblick jenes Sterns auf die Geburth des Königes der Juden brachte; sondern sie schlossen nach jenen Grundsäzen davon, daß nun der jezt allgemein erwartete König der Juden gebohren sey. Ein irriger Schluß also, leitete sie |c450| |z49| zu dieser Vermuthung; aber diese traf, so wie hundert änliche ungegründete Vermuthungen, glücklich ein. Bei dem Evangelisten heißt es nicht, „Gott hat uns gesagt, daß der Juden König nun gebohren sey.“ Sondern, „wir sahen seinen Stern aufgehen, und sind kommen ihn zu verehren.“ – So weiß die Vorsehung, die Menschen auch durch ihre Irrthümer zur Wahrheit zu füren!
Durch den falschen Herodes überlistet, hatten diese redliche Männer dem Tyrannen versprochen, den Auffenthalt des Kindes ihm anzuzeigen; {v. 8.} damit er es auch verehren könne. Aber sie erfuhren durch Gottes Belehrung, daß nicht Verehrung, sondern Ermordung desselben seine Absicht sey. Sie gaben ihm also jene Nachricht nicht. Und welcher Ehrliche Mann hätte hier anders gehandelt? – – Aber man seze, daß sie ihm jenes Versprechen ohne alle Bedingung gethan. Dann wäre es Sünde gewesen dergleichen zu versprechen, weil niemand versprechen darf ein Werkzeug der Mordthaten andrer zu seyn. Und noch grössere Sünde, ein solches Versprechen zu halten. Aber nicht bloß deswegen, weil Gott es befohlen; denn Gott befiehlt nichts, als was Seinen Geschöpfen zuträglich ist: sondern darum, weil es der menschlichen Gesellschaft schädlich ist, die Ermordung eines Menschen, und noch dazu eines unschuldigen Kindes, – zu versprechen, und noch mehr sie zu vollziehn.
|c451| |z50| Ebenz1 so lehrreich ist für uns auch, wiewohl auf eine entgegengesezte Art, das Beispiel Herodis. Wir sehen an diesem Manne von Talenten, 1) daß grosse Gaben des Geistes bei einem schlechten Herzen, nur desto schädlicher und schrecklicher werden: 2) daß Ehrgeiz auch die besten Anlagen des Menschen vergiftet, und diesen in einen Tyger und Teufel verwandelt: 3) daß auch der Lasterhafte die Tugend schäzt; so wie der falsche Herodes von den Weisen erwartete, daß sie ihr seiner Meinung nach gethannes Versprechen halten würden; und als sie es nicht thaten, sich heftig entrüstete V. 16: 4) daß auch Könige und Kaiser, schon in dieser Welt für ihre Laster bestraft werden. Sie sind eben so wohl als die Niedrigsten ihrer Unterthanen dem Richterstuhl der Geschichte unterworfen. Diese hält über sie nach dem Tode, ein so unerbittliches, als höchst unpartheiisches Gericht; und brandmahlet sie mit ewiger Schmach und Schande. Den Herodes, vor dem sich alle Juden hinwarfen, nennt die Nachwelt einen Wüterich: den Alexander, vor welchem die halbe Welt zitterte, einen Rasenden; den Kaiser Klaudius einen Thoren, und seinen Nachfolger in der Herrschaft über die Welt den Nero, einen Schandfleck der Menschheit.
Wenn wir aber diesen Grausamen in Purpur glänzen, und im Ueberfluß aller sinnlichen Freuden frohlocken sehen, wärender Zeit ein redlicher Joseph mit seiner tugendhaften Gattin, und seinem unschuldigen Kinde von einem Orte |c452| |z51| zum andern schüchtern, und erschrocken fliehet: so lehre uns dies, daß ein anderes Leben bevorstehe, wo sich Gottes Gerechtigkeit und Güte völlig offenbahren wird. – Wenn hingegen der vertrauliche Umgang Gottes, nicht dem Könige, sondern dem armen, niedrigen Joseph zu Theil wird: so erinnere uns dies, daß die wahre Ehre nicht im äussern Glanz, sondern in einem nach Gottes Muster gebildeten Sinne und Leben bestehet. – Endlich lasset uns nicht vergessen, daß nicht allein der Baum soll abgehauen werden, welcher schlechte Früchte; sondern auch der, welcher {Kap. 3, 10.} keine gute Früchte trägt: und daß, – Christenthum bekennen, nichts anders ist, als sich zur vollkommensten Tugend verpflichtet bekennen. Kapit. 3, 1–12.cz