Dieses dreizehnte Kapitel Matthäi enthält eine Menge {Siehe oben S. 1. 2.} angenehmer, lehrreicher und rürender /cGleichnis Redenc\ ∥c2 Jesu, worin er bald die Schicksahle seiner Religion entdeckt, bald eine wichtige /cLebens Regelc\ ∥c3 oder andre nüzliche Lehre mit so viel Kraft als Klarheit vorträgt. In dieser von dem Weizen und /cAfter Weizenc\ ∥c4 lehret er so einleuchtend und nachdrücklich, eine Wahrheit, welche Tausenden und Millionen Menschen, Wohlstand, Ruhe und Leben gesichert hätte, wenn sie gehörig befolget worden!
{vers 24–30bc5 } Dasc6 Himmelreich, sprach er, (die christliche Kirche Siehe oben Seite 82bc7) ist gleich einem Menschen der reine Saat auf seinen Acker aussäete. – Die Juden, als verständige Landwirthe laasen das Getraide zur Aussaat. Schon Moses hatte es ihnen befohlen.bc8 3 Buch Mos. 19, 19. 5 Buch Mos. 22, 9. – Als man aber schlief, kam sein Feind, und streuete Afterweizen zwischen den reinen Weizen, und gieng davon. Dieser Afterweizen schlägt eben so tiefe Wurzel als der edle. Er /bkan daher,c9 b\ ∥b10 auchc11 nicht ausgerottet werden, ohne der Wurzel des rei|b461||c511|nen Weizens zu schaden. – Als nun die Pflanze grünete, und Frucht trug, da zeigte sich auch der Afterweizen. Die Knechte aber des Hausherren sprachen zu ihm, Herr, hast |a482| du nicht reine Saat auf deinen Acker gesäet? woher komt denn der Afterweizen? Er antwortete, Ein Feind hat das gethan. Die Knechte versezten, wilst du, so wollen wir hingehen und ihn ausjäten. – Mit nichten, antwortete der Hausherr. Denn ihr möchtet, indem ihr den Afterweizen ausjäten wollet, auch den reinen Weizen ausrotten. Lasset beides bis zur Erndte, zusammen wachsen. Und zur Zeit der Erndte werde ich den Schnittern befehlen, Sammlet erstlich den Afterweizen und bindet ihn in Bündel um ihn zu verbrennen. Den reinen Weizen aber bringet in meine Scheure.
{vers 36–43bc12 } Die Auslegung ist, wie sie Jesus selbst giebt, folgende. Der die reine Saat säet, ist des Menschen Sohn (der Herr Jesus Siehe Seite 274bc13.) Der Acker ist die Welt. Die reine Saat, sind die Glieder des Reichs (wahre Christen) der Afterweizen aber, die Bösen. Der Feind der ihn säete, der Teufel. Die Erndte, ist das Ende der Welt: die Schnitter aber, die Engel. So wie man nun den Afterweizen zusammensamletc15 und ihn verbrennet: so wird es auch am Ende der Welt geschehen. /cDes Menschen Sohnc\ ∥c16 wird seine Engel aussenden, um aus seinem Reich alle Scandalec17 und Lasterhafte |b462| |c512| zu samlenc18, damit man sie in den glühenden Ofen werfe; wo sie heulen und mit den Zänen knirschen werden. Die Tugendhaften aber werden alsdenn in dem Reiche ihres Vaters leuchten gleich der Sonne. – Wer Ohren hat zu hören, der höre!
|a483| Jab19! wahrlich! Verstopfen muß man vorsäzlich seine Ohren, um nicht zu hören; so laut wird hier die Duldung aller Irrgläubigen und Lasterhaften geprediget! Verschliessen muß man vorsäzlich seine Augen, um die Ungerechtigkeit, Abscheulichkeit der Intoleranz nicht zu sehen: so helle strahlt sie hier in die Augen. Alle jene Scandalec20, die Gefängnisse, die Scheiterhaufen, die /cTrauer Gerüstec\ ∥c21, die Felder und Richtpläze mit Menschenblut überschwemmet, Processionen wo man /cGott, Seinec\ ∥c22 Menschen opferte; Menschen, Christen, die zur Rechten und zur Linken, die Glieder der Familie Gottesc23 an Fesseln schmieden, in dumpfige Kerker versenken, schaarenweise aus dem Lande jagen, auf die Galeeren treiben, und in ihrem und der ihrigenc24 Blute begraben; das alles in der /cMeinung Gottc\ ∥c25 damit einen Dienst zu thun.c26 Johannis 16, 2. Menschen die den Acker Gottesc27 fast von allem Weizen entblössen, in der Einbildung, daß sie lauter Afterweizen ausjäten.c28 – Er dem die Zukunft so klar war als das Gegenwärtige, Jesus Christus der beste Freund, der gröste Wohltäterc29, der Erretter und Beglücker der Menschen, sahe dies alles vorher. Aus der Fülle seines Herzens das lauter Zärtlichkeit gegen die Menschen alle, als seine Kinder war, rief er daher |b463| |c513| mit lauter Stimme – – Wer Ohren hat zu hören, der höre!
So höret es denn allec30 die ihr Christenc31 seyn wollet!bc32 1) Gott allein, Er allein hat sich das entscheidende Gericht in Sachen der Religion vorbehalten. Dinge welche die bürgerlichen Rechte, Menschen und Menschen ange|a484|hen, richtet der Staat, im Nahmen Gottesc33. Aber Sachen der Religion, Dinge die den Menschen und Gott betreffen, richtet Gott ∥c34. Ueber Irrthum also und Wahrheitc35 in Sachen die Gottc36 und Seinenc37 Dienst betreffen; über Gewissenhaftigkeit und Gewissenloosigkeit! Dies kan nur allein Gottc38 richten: denn niemand als der Allwissende, kan über das Maaß der Talente, und über die Absichten eines Menschen, sicher und gerecht sprechen. Gott will es auch nur Allein richten: Er hat es sich, als ein besonderes /cMajestäts Rechtc\ ∥c39 vorbehalten. – 2) Diec40 Religion muß also, schlechterdings nicht, durch irgend einige weltliche Macht und Zwang ausgebreitet werden. In Sachen der Religion, giebt es für menschliche Gerichte, kein Verbrechen; und Strafen. Da etwas zu Verbrechen machen, und mit Strafen belegen: das ist wahres Verbrechen, Verbrechen der schwärzesten Art, Majestäts-Schändung Gottes. Einen Menschen also, zur Ablegung seiner Irrtümerc41 und zur Annehmung der Religion, durch /cGeld Strafenc\ ∥c42, Gefängnisse, Landes-Verweisung, und sonst durch irgend eine gröberec43 oder geringere weltliche Macht zwingen:bc44 das ist – – wer Ohren |b464| |c514| hat zu hörenc45 der höre! – das ist Eingriff in die Majestäts-Rechte Gottes! – Verbrechen der verlezten Majestät in Gottes Staat! – – „Herrc46 sollen wir den Afterweizen ausjäten? – {vers /bc29 30bc\ ∥bc47 } Mit nichten! Sondern lasset beides bis zur Erndte zusammen wachsen. Und alsdenn werde Ich den Schnittern befehlen, Samletc48 den Afterweizen, und bindet ihn in Bündel ihn |a485| zu verbrennen: den reinen Weizen aber bringet in meine Scheure!“
So will es Gott! – Und Er will auch hier, wie sonst immer, nur aus Liebe zu Seinen Menschen. – {/cvers 29c\ ∥c49 } „Mitb50 nichten! Denn ihr möchtetc51 indemb52 ihr den Afterweizen ausjäten wollet, auch den Reinen Weizen ausrotten!“ Seit Saulo an, welcher {/bcApostelgeschicht 6–7bc\ ∥bc53 } Stephanum und die ersten Christen verfolgte, bis auf die geharnischtec54 Missionarien herunter, welche unsre Brüder in Frankreich, Schaarenweise mit Schwerdtern und Kugeln ums Leben brachten, hat kein wütender Eiferer und Verfolger gelebt, so grausam, so wild, so Tyger- und Teufelmässig er auch immer wütete, der sich nicht eingebildet, – er rotte lauter Afterweizen aus. – Und wie ist es möglich, daß wir, die Untersten in /cGottes Geister Staat,c\ ∥c55 die wir noch dazu, erst in unserm Kinder-Stande leben,c56 wir, in deren Köpfen neben Einer sichern Wahrheit vielleicht Zehn Irrtümerc57 stehen; wie ist es möglich, daß wir, in jedem Fall mit völliger Sicherheit den Afterweizen von dem Reinen unterscheiden können? Jede /cReligions Partheic\ ∥c58 glaubt sich im Besiz der reinsten Wahrheit. Der Heuch|b465||c515|ler sieht in den Augen der Menschen, gerade so aus als der Tugendhafte. Was der Eine für ausgemachte Wahrheit hält, das erkläret ein Andrer für Irrthum, wohl gar für verdamlichenc59 Irrthum. Auch bei dem Besten mengen sich ∥c60 eigennüzige, stolze Absichten, unter der Larve der Sache Gottesc61, ins Spiel. Wäre nun das /cBestrafungs Rechtc\ ∥c62 in Sachen der Religion den Menschen überlassen, so müste die Welt eine /cMörder Grubec\ ∥c63 werden. Der |a486| Catholikc64 würde den Protestantenc65, und dieser jenen, und beide den Sozinianerc66 zum Scheiterhaufen reissen. Und angenommen, daß wir Protestanten der reine Weizen sind, so wäre es um die Religion gethan. Denn alle andre /cReligions Partheienc\ ∥c67, die uns für Kezer halten, würden uns anfallen und als Afterweizen ausrotten. – Darum sagt die ewige Weisheit, Mit nichten! Denn indem ihr den Afterweizen ausjäten wollet, würdet ihr den Reinen Weizen ausrotten!
Keine Religion kan erdacht werden, die mit dem /cVerfolgungs Geistc\ ∥c68 aller Art, dem feineren wie dem groben, in grösserer Feindschaft steht als die christliche. Einen Menschen wegen seiner /cReligions Meinungenc\ ∥c69 und Handlungen auf irgend eine Art verfolgen, oder hassen, ihn durch irgend eine Gewalt zur Ablegung seiner Meinungen zwingen:bc70 das ist nach ihren Grundsäzen {1 Timotheum 2, 1–6bc71 Lucä 9, 51–56bc72 } eine Verleugnung und Schmähung des Verdienstes Jesu, dieses allgemeinen Welt-Heilandes! Ist eine Verdammung des Göttlichen Betragens, welcher jeden der ein Mensch ist liebt, und so lange er hier lebt, zu bessern und zu beglücken sucht! Eine Ver|b466||c516|heerung des Reiches Gottesc73! Eine verwegene Uebertretung so vieler und ernstlicher Befehle Gottesc74! Ist eine unsinnige Empörung, ein Verbrechen der beleidigten Majestät in Gottesc75 Staat! Und dennoch, dennoch – o lasset uns die Augen von diesen schrecklichen Auftritten wegwenden, welche die Menschheit aufs äusserste beschimpfen, welche ewige Schand-Säulen jener höllischen Geister in /cMenschen Gestaltc\ ∥c76 sind, die sich Christenc77 nannten!
|a487| Zunächst Christen! lasset uns nie vergessen, es uns tief einprägen, daß wir trügliche Menschen sind. Unsre Meinung, glauben wir, ist Gottes Wort. Aber dies glaubt der Catholikc78, der Quäker von der seinigen auch. Wer soll, wer kan nun den Streit zwischen uns entscheiden? – Der Allwissende! Erbc79, die ewige Liebe, der einen jeden, nur nach dem Massec80 seiner Kräfte, und der Redlichkeit seines Betragens richtet! Gesezt also, unser Nebenmensch irret, er irret in einem wichtigen, dem allerwichtigsten Punkt. Darum ist er noch nicht bei Gottc81 verurtheilt. Denn bei /cIhm verdamtc\ ∥c82 kein Irrthum, als nur der Verschuldete. Weg demnach mit den Urtheilen, „dieser Mensch, diese /cReligions Partheic\ ∥c83 steckt in verdammlichen Irrtümernc84! Ist ein Feind Gottesc85!“ Solch ein Urtheil schickt sich für unsbc86 nicht; und ist eben darum verwegen, liebloos, und Gottc87 abscheulich. Bloß für den Allwissenden schickt es sich zu urtheilen, welcher Irrthum verdammlich sey oder nicht?
|b467| |c517| Vielmehr müssen wir jeden Menschen, der uns scheint ein Irrender, oder gar ein Feind Gottesc88 zu seyn; jeden noch so gröblich irrenden; jeden Juden, Heiden oder andern Nichtchristen; jeden Lasterhaften; selbst den offenbahren Feind, Verächterc89 und Spötter der Religion – von ganzem Herzen, eben also wie unsern /cGlaubens Bruderc\ ∥c90 lieben. – {Römer 14, 10bc91 } Ihn nie wegen seiner Religions-Meinungen verachten. Bei dem Nahmen Jude, Heide, Socinianer u. s. f. nie etwas verächtliches denken. – Noch weniger ihn mit kränkenden, oder schimpflichen Nahmen belegen. – {Römer 14, 4. 10bc92 13. Matthäi 5, 22. Siehe oben Seite 85bc93 f.} Erzittern müssen wir fürc94 dem Gedanken, ihn als einen Verdamtenc95 anzusehen, oder |a488| gar dafür zu erklären. Schwachheit ist es, einem zur fremden /cReligions Partheic\ ∥c96 gehörigen Verstorbenen, den Titel, (denn nichts mehr als dieses ist es doch im gemeinen Rede Gebrauch) Seeligerc97 zu verweigern. Unschicklich in dem Munde eines Christen ist es, von seiner Seligkeitc98 geheimnisvoll reden. Abscheulich aber und Satanisch ist es, sie ihm geradezu absprechen. – Lieben müssen wir ihn von ganzem Herzen: seine Seligkeit liebreich hoffen; sein Glück durch alle nur mögliche Freundschafts-Dienste befördern, und dafür mit heisser Inbrunst zu Gottc99 beten. So werden wir uns als Schüler Jesu zeigen, {Lucäbc100 9, 56bc101 } der nicht gekommen die Menschen zu zerstören sondern zu beglücken! So werden wir {Lucäbc102 6, 35.} Kinder des Gottesc103 seyn, der gütig ist auch gegen die Undankbahren und Bösen!
{/cvers 30c\ ∥c104 } Wenn endlich, unser Allmächtige Hausherr will, daß hier noch, Gute und Böse gemischt bei |b468| |c518| einander leben sollen:bc105 so ist dies freilich für den Tugendhaften, die Quelle mancher schwerer Versuchungen, peinlicher Kämpfec106 und bitterer Leiden. Aber auch die Quelle vieler edlen Thaten und erhabenen Freuden. /cSchäzet Freunde Gottes und der Tugend!c\ ∥c107 Schäzet das Gewicht des Postens worauf euch der Allwissende Zeuge und Gnädige Vergelter eurer Handlungen hingestellet! Traget durch bessernde Reden, und exemplarischen Wandel, alles bei, um die Bösen mit denen ihr lebet, zu bessern und zu beglücken.c108 Rettet so viele unsterbliche Seelen als ihr könt.c109 Und wenn ihr denn, dergestalt euren Beitrag zum Himmel geliefert: alsdenn erwartet sicher und froh, daß ihr – {/cvers 43.b110 c\ ∥c111 } in dem himmlischen Reiche eures Vaters leuchten werdet gleich der Sonne!z\