So sind denn die Strafen unsrer Sünden gebüsset! Gottes Gnade ist uns bei redlicher Besserung, verdient! – So können wir nun, so schwer, so zahlreich auch unsre vorige Sünden waren, wenn wir sie innig verabscheuen und redlich zu bessern trachten, freimütig, mit kindlicher Zuversicht dem Throne des Ewigen uns nahen; und von Ihm Vergebung; und aus seiner Seegens-Fülle eine Güte nach der andern hernehmen. – Denn die Leiden und der Todt Jesu, sind nicht bloß Leiden des Märtyrers. Sondern auch Leiden des Welt-Versöners. Verdienstliche Leiden. Wir {vers 18. 19. vergl. Röm. 5, 1. 2.} sind losgekauft durch das theure Blut des wahrhaftig untadelhaften und fehlerlosen Opferlammes Jesu Christi. Und nun sind wir desto fester versichert, daß wir Friede mit Gott, durch unsern Herrn Jesum Christ, und den kindlichen Zutritt zu dem Thron Seiner Gnade haben.
So trostvoll, so unaussprechlich trostvoll ist diese Lehre für uns Sünder! – Für eine Welt, wo ein jeder sagen muß, wir sind alle Sünder und |b564| der Seeligkeit Gottes verlustig. Aber, ist sie auch so heilsahm für unsre Besserung, für die Tugend? Oder, ist sie nicht vielmehr dem Fleisse darin schäd|a584|lich? – – „Unsre Schuld ist bezahlet. Die Strafe für jede Sünde, die wir begangen und noch begehen werden, ist schon gebüsset. So dürfen wir ja desto sicherer sündigen!“ – So kan nur der Leichtsinn, die Partheilichkeit, oder die Füllosigkeit und entschlossene Bosheit schliessen! Diese Lehre, – und davon wollen wir uns heute; zum Preise Jesu, und zur Anfeurung unsers christlichen Danks und Lebens unterhalten. – Diese Lehre von dem Verdienstlichen Leiden und Sterben Jesu ist:
Der kräftigste Antrieb zur Tugend,
denn sie stellet uns 1) das allerfürchterlichste Straf Exempel:
aber auch 2) die allerrürendste Liebes Probe auf: welche der Schöpfer, je der Welt geben konte!
{versb1 14.} Als gehorsahme Kinder stellet euch nicht gleich wie vorhin, da ihr in Unwissenheit nach den Lüsten lebetet (genauer, „betraget euch, lebet nicht mehr nach den sündlichen Lüsten, die in eurem vorigen Stande der Unwissenheit über euch herrschten.“[)] {versb2 15. 16.b3 } Sondern nach dem der euch berufen hat, und heilig ist, seyd auch ihr heilig, in allem eurem Wandel. Denn es stehet geschrieben; Ihr sollt heilig seyn, denn ich bin heilig. „Sondern nach |b565| dem Muster des heiligen Gottes[“] (der jede Sünde, mit dem äussersten Abscheu, und jedes Gute, mit grossem Wohlgefallen betrachtet. Dem der Sünder ein Greuel; und der Tugendhafte eine Freude ist) „der euch berufen hat[“], |a585| (zur Erkentniß des Christenthums gelangen lassen) „seyd auch ihr heilig in allem eurem Wandel“ – {vers 18. 19.} Denn bedenket, daß ihr nicht mit vergänglichem Silber oder Golde von eurem ehemahligen sündlichen Wandel losgekauft seyd; sondern mit dem theuren Blute Christi, des wahrhaftig untadelhaften und fehlerlosen Opfer-Lammes.
In der That! Meine Zuh. Wo ist ein klärerer Beweiß, von der unbefleckten Heiligkeit des Schöpfers! Wo eine stärkere Probe, wie abscheulich, wie unausstehlich Ihm die Sünde ist! Als dieses Opfer seines Sohnes, seines eingebohrnen Sohnes! – Als Jesus Christus, der für die Sünden der Welt; solche Marter duldet, und sein göttlich Leben, am Creuze endiget!
Stellet euch einen Monarchen vor, in dessen Reich gewisse Sünden einreissen; die schon eine Menge seiner Unterthanen zu Grunde gerichtet, und seinem ganzen Reiche den Untergang drohen! Alle Vorschriften, alle Ermahnungen, alle Strafen, alle Zusagen sind vergebens! So gar sein eigener Prinz machet sich dieser Sünden schuldig. – Er aber der Vater seines Volks, will lieber seinen Prinzen, was es auch immer seinem zärtlichen Herzen kostet; als hundert und tausend seiner andern Kinder, seiner Unterthanen aufopfern! Er straft also die Sünde, selbst an seinem eigenen Sohn. |b566| Er lässet – seinen Prinzen als einen Missetäter sterben. – Kan etwas kräftiger seyn, seine Unterthanen, die noch nicht gegen alles Gefül erstorben, von jenen Sünden abzuschrecken, als dieses – fürchterliche Straf-Exempel?
|a586| Und was ist ein königlicher Prinz gegen den, den alle Menschen und Engel verehren! – Jesum Christum, den Unschuldigsten, den Reinesten. Reiner als die erhabensten Geister! Höher als die Himmel! Ihn den eingebohrnen Sohn Gottes. – Was ist ein Monarch gegen den König aller Könige und Herrn aller Herren! Gegen den, dessen Vasallen, und Knechte alle Monarchen sind! Und was sage ich Monarchen, dieser Staub. – Dessen Knechte die Engel und Erzengel, und die Millionen der erhabensten Geister sind. – – Er nun, straft die Sünden der Welt in Jesu, seinem eingebohrnen Sohne! In Ihm, dem Grosmütigen, der freiwillig sein Haupt zum Opfer darboth! Können alle Sprachen, und alle Redner, und alle Wunder, es uns deutlicher und kräftiger sagen: – Daß die Sünde, Gott, dem Unendlichen, höchst, höchst Abscheulichb4 ist! – Daß Er seine Geseze, unverbrüchlich will gehalten wissen! – Daß nunmehr für den sichern Sünder, so lange er in seiner Sünde beharret, schlechterdings keine Erbarmung zu hoffen! – Daß für ihn nichts anders, als die verzehrenden Flammen der mit Allmacht bewafneten Gerechtigkeit des Unendlichen zu erwarten sind.
Ja Christen! – Dort auf Golgatha, dort schallet uns die Stimme, gleich einem Donner,b5 in |b567| die Ohren! – Gott ist nicht ein Gott dem sündlich Wesen gefället! Er bringet die Sünder um! Dort, aus dem Creuze, woran Er, der Besteb6 unter den Menschen, der Reinste unter allen Engeln, der Eingebohrne Sohn Gottes, unter Martern hängt, die kein Mensch je gelitten. |a587| Aus diesem Creuz strahlen uns gleichsam, die Blize der Rächenden Gerechtigkeit des Schöpfers in die Augen. – – – O wenn nun die Rachbegierde sich in uns reget; wenn der Neid uns anfällt; wenn unreine Lüste in unsrer Seele aufsteigen. Denn, denn gehet auf Golgatha. Denn blicket auf das Creuz Jesu. Sehet Ihn! Wie jedes Glied seines Leibes von Schmerz gefoltert wird! Wie seine heiligste Seele mit Todes Angst ringet! Wie er wehmütig klagt, Meinb7 Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen! – Und in dem allen, werdet ihr die Wirkungen der strafenden Gerechtigkeit des Schöpfers sehen. Sehen, wie eben seine Unermesliche Gnade gegen die Guten, seine Gerechtigkeit zu einem verzehrenden Feuer für die Bösen macht! – An diesem Creuze werdet ihr die fürchterlichen, aber für die Welt unaussprechlich heilsahmen Worte mit Flammenschrift eingegraben lesen. {Hebräer 10, 26–29b8 } So wir nun noch muthwillig sündigen, nachdem wir zur Erkentniß des Christenthums gekommen, so haben wir ferner kein Opfer mehr für die Sünde. Sondern das schreckliche Warten des Feuer Eifers Gottes, der die Ungehorsamen verzehrt. Denn, wie schwere Strafe muß der verdienen, welcher den Sohn Gottes selbst mit Füssen tritt, und das Blut |b568| des neuen Bundes verachtet, und den Geist der Gnade schmähet?
Welche Stimme ist vermögend, den sichern Sünder mit Entsezen aus seinem Schlaf zu erwecken, wenn es diese nicht thut! Aber was ist auch vermögend, tiefer in die Seele des Fülbahren zu |a588| dringen! Sie zu Dank und Liebe zu zerschmelzen! Sie zur Tugend anzuflammen! – – Als diese Erstaunliche Liebes Probe Gottes,b9 in dem verdienstlichen Tode seines Sohnes.
{vers 17.b10 vergl. vers 18} Und sintemal ihr den zum Vater anrufet, der ohne Ansehen der Person richtet nach eines jeglichen Werk. „Da ihr den, Vater, nennet, welcher ohne Partheilichkeit, jeden nur nach seinen Thaten beurtheilet.“ So füret euren Wandel so lange ihr hie wallet mit Furchten. „So lebet hier, in der Zeit eurer Wanderschaft, mit kindlicher Furcht.“ Denn bedenket, daß ihr nicht mit vergänglichem Silber oder Golde, sondern mit dem theuren Blute Christi, des wahrhaftig untadelhaften und fehlerlosen Opfer-Lammes losgekauft seyd.
So zeiget sich Gott in dem verdienstlichen Tode seines Sohnes; als einen Unpartheiischen, der ohne Ansehen der Person richtet. Seine Liebe zeiget sich da, als eine wahre, ächte Liebe. – In dem Tode seines Sohnes zeiget sich Gott, als den Vater der Menschen! – Seine Liebe, als die allerstärkste Liebe. – Liebe! – Meine Christl. Zuh. Nicht Schwäche! Nicht Verkehrung des Rechts und Unrechts. Nicht Be|b569|förderung des Lasters. Wahre ächte Liebe! Und die allerzärtlichste, die allererstaunlichste Liebe! O wer kan dich, unsern Gott; wer kan deine Liebe, in dem Tode deines Sohnes betrachten; ohne sich in deine Güte zu verliehren! Ohne in die Abgründe der Lie|a589|be zu versinken! Ohne von Dank und Liebe hingerissen zu werden!
Kein Nahme ist für uns Edler und Süsser, als der Nahme, Liebe. Denn Gott ist die Liebe! Aber auch kein Nahme wird schändlicher und schrecklicher gemisbrauchet! – Jener Weichherzige, wird durch jede Freude, und jedes Leiden andrer, bis zu Thränen gerürt! Er ist gefällig. Er ist dienstfertig. Er kan niemanden etwas abschlagen. Aber er thut das alles, ohne Grundsäze, ohne Ueberlegung, bloß als Maschine. Seine natürliche Weichherzigkeit reißt ihn gar hin, alle Thorheiten und Laster zu übersehen. Verleitet ihn gar, den Thoren und Bösewicht dem Weisen und Tugendhaften gleich zu machen. Nennet ihr das Liebe? – So streichet ihn aus, diesen Nahmen, aus dem Register edler, ehrwürdiger Nahmen! So müsset ihr auch einen Eli schäzen, der durch seine Zärtlichkeit, beides seine Kinder und hundert andre Menschen unglücklich machet! Einen Ahab, der weil er niemanden etwas abschlagen kan, Unschuldige zu hunderten ermorden läßt. So müsset ihr auch einen Herodes rümen, welcher den Tugendhaften, Ehrwürdigen Johannes hinrichten, und sein Haupt, blutig auf einer Schüssel der Herodias darbringen läßt, weil es ihm wehe thut, ihr etwas zu verweigern. – Das alles ist nicht |b570| Liebe, die unsre Ehrfurcht fordert. Das ist Schwäche; die unsre Verachtung; das ist Verkehrung des Rechts und Unrechts; das ist Beförderung des Lasters, Lasterliebe, die unsern Haß und Abscheu verdienet! – – Hier am Creuze Jesu, hier lernet, was Liebe ist! – |a590| Gott strafet die Sünde um den Sünder zu retten! Er strafet die Sünde an seinem Eingebohrnen Sohn; um die Menschen, und vielleicht auch noch, Millionen andrer Geister, von der Sünde abzuschrecken; und seine wohltätigen, gemeinnüzigen Geseze, in Ansehen zu stellen. – Seine Liebe ist also, nicht Schwäche, ein blinder Trieb! Nicht Umkehrung des Rechts und Unrechts. – Nicht Lasterliebe. – Sondern Liebe, der Menschen! Liebe ihres wahren, ewigen Glücks! Sie ist eine ächte, wahre Liebe; die von unsrer besten Vernunft, Ehrfurcht, und Anbetung fordert!
Und, Meine Theuresten! – wie Stark? Wie Unermeslich zeiget sich da die Liebe Unsers Gottes? Solche Anstalten, werden Jahrtausende nach einander gemacht! So viele Wunder werden gethan! Erde und Himmel wird in Bewegung gesezt! Selbst der eingebohrne Sohn Gottes wird auf die Erde gesandt! Duldet vier und dreissig Jahre lang, so viele Müseeligkeit und Elend! Gehet durch alle Marter; durch alle Foltern, welche die Hölle nur aussinnen kan! Stirbt gar als ein Missetäter am Creuz! – Und für wen? – Für Menschen! – Die Geringsten unter den Geistern. Für Geschöpfe, die unmittelbar an die Thiere gränzen! Für uns, die wir in Gottes |b571| Unermeslichem Staat, uns als ein Sandkorn an den Ufern des Oceans verliehren! Die Gott hätte können, ganz unmerklich für sein Reich,b11 umkommen lassen: weit unvermerklicher noch, als wenn eine schwache zitternde Lampe, unter Millionen flammender Fackeln verlischt. – Für uns! Er|a591|den Söhne.b12 Für uns Staub. Uns zu beglükken – Uns Ewig zu beglücken. Stirbt Gottes Sohn! Stirbt am Creuz! O Liebe! Majestätische Liebe! Unermesliche Liebe! Vor dir sinkt unser Verstand! Vor dir zerschmilzt unser Herz! – So Weise – So Gerecht – So Stark! – Da am Creuze Jesu Christi lernen wir erst, was das für ein Anbetungswürdiger Gott ist, dem wir dienen! Jeder Nagel, der seine wohltätigen Hände durchbohret; jede Dorne die sein theurestes Haupt zersticht; jeder Bluts-Tropfen, der über sein heiligstes Angesicht läuft; ruft uns zu, – Alles was Gott gemacht, vom Erzengel an, bis zum Wurm herab, alles soll glücklich seyn. – Gott ist die Liebe! {/bJohannis 3,b\ ∥b13 16.} Also, also liebt Gott die Welt; daß er seinen Eingebohrnen Sohn für sie giebt.
Christen! Menschen die ihr noch durch Grosmuth könt gerürt, und durch Wohlthun erweichet werden! Edle Seelen, denen nichts süsser ist als Danken und Wohlthun! Was kan uns kräftiger zur Tugend aufmuntern? Was kan uns mächtiger antreiben, {versb14 17. 14.b15 } wie gehorsahmeb16 Kinder Gottes, mit kindlicher Furcht vor Ihm, unsre irrdische Reise zur Ewigkeit zu füren? – Als das Creuz unsers und der Welt Heilandes!
|a592| |b572| Ja!b17 Meine Christl. Zuh. hier an diesem Creuze unsers besten Freundes, welcher auch uns bis in den Todt geliebet, und auch auf uns, wie auf seine Mutter und seinen Freund Johannes, noch sterbend mit seegnenden Augen herabblickt! Hier vor den Augen unsers Gottes, der uns an diesem Creuze, ein solches Schreck-Exempel vorlegt, aber auch eine Liebes-Probe giebt, die Erde und Himmel in Erstaunen sezt. Hier wollen wir alle, die wir Christi Nahmen tragen, uns vereinigen. Hier wollen wir ihm, unserm Heilande, Ihm unsermb18 Gott feierlich geloben: würdig einer solchen Erlösung, würdig einer Solchen Liebe zu wandeln. – Und diese Leidens Wochen. Dieser Tag den uns Gott geschenkt! Erde und Himmel sey Zeuge unsers Gelübdes!
Von nun an soll uns das Creuz Jesu, göttliche Weisheit und göttliche Kraft seyn. Dieses Creuz, das uns den Frieden des Gewissens verschaffet; das uns alle Güter der Erde zu Freude, und alle Leiden zu Wohlthat macht; das uns den Todt in Leben, und die Ewigkeit in Glück verwandelt. – Dieses wollen wir nun, troz allem Spott der Verächter, im Glauben verehren; es muthig bekennen; es als unser theurestes Kleinod bewahren, und auf unsre Nachkommen bringen.
|a593| Von nun an soll uns das Creuz Jesu, jede Sünde, Abscheulich, Entsezlich machen. Diese Sünde, welche dem Unendlichen so verhaßt ist. Die uns in seinen Augen zum Greuel machet!
Von nun an soll uns das Creuz Jesu, zur Tugend mächtig antreiben. – Würdig einer |b573| Solchen Erlösung, würdig einem solchen Heilande, würdig einer Solchen Liebe zu leben.
Es soll uns besonders, antreiben, die für welche er sein Leben gelassen, {Ephes. 4b19 } alle unsre Nebenmenschen zu lieben. Sie inbrünstig zu lieben. Sie {1 Johannis 3, 16.} bis in den Todt zu lieben.
Und wenn denn, uns die Sünde anfällt, wenn Stolz, Rachbegierde, Neid und andre Sünden uns zur Verachtung seines Verdienstes, zur Schmähung seines Creuzes dahinreissen wollen; wenn uns der Kampf gegen die sündlichen Begierden schwer wird; wenn die Tugend unsre liebste Neigungen zum Opfer fordert. – Da lasset uns {Hebr. 12, 2} auf Jesum sehen, den Regenten und Stifter unsers Glaubens; welcher für die Freude uns zu beglücken, den Todt duldete und die Schmach des Creuzes nicht achtete! Da lasset uns an sein Creuz |a594| die Blicke unsers Glaubens heften, und uns dadurch ermuntern; daß wir {Apost. Gesch. 20, 22–24b20 } alle Gewalt der Sünde, alle Reizungen und Drohungen der Welt nicht achten; daß uns selbst unser Leben nicht theuer sey, damit wir den christlichen Lauf glücklich vollenden; und das Geschäfte der Weltbeglückung ausrichten, das uns der Herr Jesus aufgetragen, und in seinem Leben, und besonders an seinem Kreuze vorgethan! Amen.cz\