Es ist für den künftigen Lehrer der Religion nichts weniger als überflüßigc2, sich zu überzeugen, wie nothwendig es seyc3, die Bibel mit dem angestrengtesten Fleissec4 zu studieren, und beyc5 der Erforschung ihres Verstandes, und alles dessen, was dazu erfordert wird, mit eignenc6 Augen zu sehen. Wenn es noch, selbst unter denen, die Lehrer seyn wollen, so viele giebt, die sie gar nicht einmal, als in einzelnena7 Fällen Amts wegen, lesen; die ihre Theologie lieber aus den Cisternen oder den trüben Wassern der Compendien und Systeme, als aus der Quelle selbst schöpfen wollen; die zufrieden sind, hergebrachte Texte der Bibel, worüber sie die Religion vortragen sollen, nothdürftig zu verstehen, ohne sich um den übrigen Inhalt der heil.ac8 Schrift zu bekümmern, oft auch mit noch wenigerm, mit jedem guten Gedanken, sich begnügen, der ihnen /cbey einenc\ ∥c9 solchen /cText beyfälltc\ ∥c10, ohne sich zu fragen, ob dies gerade das seyc11, was in dem Textc12 liege; die, wenn sie ja auch das Uebrige in der Bibel lesen, statt /ceignen Fleissesc\ ∥c13, auf den bloßen Uebersetzun|a296|gen oder Commentarien Andrerc14 ausruhen; die ihre Zuhörer lieber mit ihren eignenc15 |b10| Einfällen, als mit dem Inhalt der Bibel unterhalten; die selbst gegen die zügellosesten Mißhandlungen der Bibel /cgleichgültig,c\ ∥c16 |c9| selbst /cinc\ die unredlichsten Vorstellungen ihres Inhalts /cverliebt sindc\ ∥c17, wenn diese nur ihrer Einbildungskraft ein angenehmes Spiel geben: so dürfte doch wohl jene Ueberzeugung von der Pflicht, die heilige Schrift, und zwar mit /ceignem Fleisse,c\ ∥c18 zu studieren, selten genug, es dürften doch wohl der Vorurtheile nicht wenig seyn, welche die Lust zu dieser Beschäftigung ersticken, und denen man jene Ueberzeugung /centgegen zu setzenc\ ∥c19 nöthig finden möchte.
Wenn die Bibel auch nur als ein bloß menschliches Werk betrachtet wird:c2 so muß sie doch jedem, der unbefangen den Werth eines Buchs zu schätzen weiß, höchst respectabelc3 seyn. Ein Werk, das, /cso häufig, wie kein andresc\ ∥c4 in der Welt, gelesen worden /cist; dasc\ ∥c5 mehr als irgend ein andresc6 gewirkt, ∥c7 Jahrtausende hindurch ganze Nationen, und gerade die aufgeklärtesten und gesittetsten, gebildet hat; das in einigen Theilen eine Geschichte enthält, dergleichen es in Absicht auf Alterthum, Nachrichten von sonst ganz unbekannten Theilen, zumal der ältesten Geschichte des menschlichen Geschlechts, und zugleich ∥c8 Glaubwürdigkeit, sonst gar nicht giebt; das in andern seiner Bücher /czu erstc\ ∥c9 Aufschlüsse von Reli|a297|gion und Sittenlehre ertheilt, wie sie vor diesen Büchern nirgends waren,c10 Aufschlüsse, die, /cbey |b11| allec\ ∥c11 dem, was sie von dem Gepräge der Zeit und der Nation, in der sie zuerst gegeben wurden, tragen,c12 doch so sehr alle Merkmale der reinsten /cGotteswürdigenc\ Lauterkeit haben, und mit einer unübertreffbaren Einfalt, Faßlichkeit, Fruchtbarkeit und Würde ausgedruckta13 sind – sollte nicht die größte Aufmerksamkeit, sollte nicht vor allen andern studiert zu werden verdienen? – Ist nun die Bibel gerade das Werkzeug, dessen sich die göttliche |c10| Vorsehunga14 bedienetc15 hat, jene reinec16 Religionsbegriffe auszubreiten, und dadurch erweislich zuerst die allgemein herrschende und unüberwindlich scheinende Macht des Aberglaubens und Götzendienstes zu stürzen; kanc17 man also die so besondrec18 Fürsorge Gottes beyc19 ihrer Veranstaltung und Erhaltung nicht leugnenc20; bekennen wir uns für überzeugt, daß das Christenthum von Gott, daß es der zuverläßigstec21 Weg seyc22, der zu ihm und zur wahren Seligkeit führt; und ist die Bibel das einzige Werk, woraus wir, was Christenthum seyc23, allein mit Sicherheit lernen können: so ist unbegreiflich, wie einem verständigen und ehrlichen Mannc24, der dieses allesc25 glaubt, wie zumal einem Lehrer des Christenthums,c26 das Studium der Bibel gleichgültig, oder unwichtiger als irgend etwas anders,a27 seyn könne; man mag diese Sache in Absicht auf die Erkenntniß ansehen, die er /cvor sich habenc\ ∥c28, oder die er Anderna29 mittheilen soll.
Ist die Bibel die Quelle, woraus die christliche Lehre allein sicher geschöpft werden kanc2, und enthält sie die Anzeige, wie und wodurch Gott selbst die Menschen nach und nach zu reinern Religionskenntnissen und göttlichen Gesinnungen erzogen hat;a3 so müßte schon deswegen jeder, der auch nur vorerst wissen wollte, ob er sich für oder wider das Christenthum zu erklären habe, und beyc4 dieser Frage ehrlich verfahren wollte, selbst die Bibel studieren. Weit mehr müßte er es also noch, wenn er sie für das Archiv hält, darin Gott seine Belehrungen der Menschen über die wahre Religion niedergelegt hat,c5 und noch mehr, wenn er ein Lehrer dieser Religion seyn will, auf dessen /aUntersuchungen unda\ ∥a6 Treue sich Andreac7 sollen verlaßenac9 können. (1 Kor. 4, 1. 2.)
Zwar könnte er sich auf /cAndre verlaßena2c\ ∥c3, die bereits diesen Unterricht und ∥c4 Lehre aus der heiligen Schrift gezogen, oder den Sinn der Bibel sorgfältig untersucht /chaben. Aberc\ ∥c5 doch nur alsdanna6, wenn er selbst keine /cFähigkeit beydesc\ ∥c7 zu thun, oder wichtigere Beschäftigungen, als diese, hätte, und wenn er völlig sicher seyn könnte, daß diese Andern nichts übersehen, keine Fehler dabeyc8 begangen hätten. Mit jenena9 kanc10 er sich nicht entschuldigen; denn was kanc11 für ihn wich|a299||b13|tiger seyn, als vorerst Gottes Willen aus den reinsten, ächtestenc12 Urkunden seines Willens zu schöpfen? undc13 wer nicht einmal die Kenntnisse erwerben kanc14 oder will, die zur überzeugenden Einsicht des wahren Verstandes dieser Urkunden nöthig sind, mit welchem Recht will der sich Andern zum Wegweiser anbieten? Sicher, ohne eignec15 Untersuchung, kanc16 er eben so wenig seyn, daß die, denen er folgen will, ihn vollständig und richtig von dem Christenthum belehrt haben. Denn jeder, der, beyc17 dem Gebrauch der dazu dienlichen Hülfsmittel, selbst forscht, findet gewiß Manches in der Bibel, was Andrec18 nicht gesehen haben;a19 findet, wo nicht neue Aussichten über ihren richtigern Verstand und die darin enthaltenen Sachen, doch neue Beweise, neue Beziehungen der Lehren, neue Artena20 sie faßlicher und eindrücklicher zu machen. Und wäre auch alles dies nicht:c21 so kanc22 er sich doch Andern, die ihm vorgearbeitet haben, eher nicht sicher anvertrauen, als bis er geprüft hat, ob sie mit hinlänglicher Einsicht und /cUnpartheylichkeit dabeyc\ ∥c23 verfuhren. Dies kanc24 er beyc25 Menschen, die fehlen, Manches nicht wissen, Manches übersehen können, schlechterdings nicht mit Gewißheit annehmen, wenn er die Kenntnisse nicht selbst mit allem Fleiß zu erlangen |c12| sucht, oder nicht aufs gewissenhafteste brauchtc26, die zura27 Bestimmung des Verstandes der heiligen Schrift und zura28 Prüfung der verschiedenen Meinungen darüber nöthig sind; kanc29 am allerwenigsten dann entscheiden, wenn die Ausleger der Bibel über den Verstand gewisser |a300| |b14| Stellen oder über gewisse Punctec30, welche die Bibel angehnc31, unter sich uneins sind.
Dieser eignec2 Fleiß in Forschung der heiligen Schrift ist zwar zunächst und vornemlichc3 wegen der darin enthaltenen Lehren nöthig, aber nicht minder wegen der darin enthaltenen Geschichte und der historischen Kenntnisse, welche zur Einsicht in den Verstand der Bibel nothwendig sind, aber oft deswegen, wie die biblische Geschichte selbst, verachtet, oder für entbehrlich gehalten werden, weil sie keinen Theil des Christenthums selbst ausmachten, und die Geschichte mehr zur zufälligen Einkleidung, als zum Wesen des biblischen Unterrichts gehöre; weil, durch die fleißige Beschäftigung damit, die Aufmerksamkeit von dem Wichtigern, von der Lehre selbst, abgelenkt, oder diese historischen Umstände wichtiger, als die Lehre selbst, gemacht würden; weil der größte Theil dieser Geschichte die Christen, wenigstens die jetzigen, gar nichts angehe; weil endlich der Lehrer des Christenthums das Volk nur in den Lehren, nicht in den beyläufigc4 erzählten Geschichten, zu unterrichten habe. – Allein, von auswärtigen historischen Kenntnissen, d. i. von solchen, welche zur Kritik, zur Sprach- und Geschichtkundec5 gehören, welche zum voraus da seyn müssen, ehe man sich an die Erklärung der Bibel wagen kan,c6 von diesen ist hier die Rede noch nicht; davon wird sich hernach beyc7 den |b16| einzelnena8 Kenntnissen, die ein Ausleger der Bibel mitbringen muß, besser reden laßenac9. Diese gehören zwar in den Unterricht des Volks nicht; |a302| aber sie gehören zum Unterricht und ∥c10 Ueberzeugung des Lehrers selbst; ohne sie kanc11 er weder den Verstand der heiligen Schrift, noch die Aechtheitc12 und Göttlichkeit der Bibel,c13 mit eignerc14 Ueberzeugung einsehen.
Aber die historischen Stellen selbst, die einen großena2 Theil des Inhalts der biblischen Bücher ausmachen, verdienen eben auch, und zum Theil eben so sehr, Aufmerksamkeit und Untersuchung des Lehrers, als die eigentlichen Lehrstellen. Wahr ists, die einzelnena3 Theile der biblischen Geschichte sind weder /cim gleichenc\ ∥c4 Grade beglaubt noch wichtig; die Geschichte ist um der Lehren willen aufgezeichnet, und diese also der wichtigste Theil der Bibel; beyc5 dieser ganzen Geschichte muß man sich mehr an den Geist als an den Buchstaben halten, d. i. mehr an Handlungen als an Ereignisse, mehr an Gottes Absichten beyc6 dem Geschehenen als an das Geschehene selbst, mehr an das Allgemeine, was für uns darin liegt, als an einzelnea7 Umstände der Begebenheiten. Schon dadurch fallen die meisten Vorurtheile wider diese Geschichte (§. 9.)a8 weg, und der Mißbrauch wird, wenn man dieses immer vor Augen hat, verhütet. Noch mehr, wenn man Folgendes erwegtc9, was den großena10 Werth der biblischen Ge|b17|schichte und die Nothwendigkeit begreiflich machen kanc11, sie mit aller Sorgfalt zu studieren.
Einmal müssen wir doch 1) die Bibel so nehmen, wie sie ist, und in der Gestalt, wie sie uns Gott hat zukommen laßenac2. Gesetzt, die Geschichte in derselben hinge mit den Lehren darin gar nicht zusammen, welches freylichc3 von einigen Begebenheiten nicht zu leugnenc4 ist: so nimmt sie doch einen beträchtlichen Theil der Bibel ein, ist entweder aus eben der Feder, wie das Uebrigea5, geflossen, oder, so weit unsrec6 Kenntniß von der Geschichte einzelnera7 Bücher, oder dieser ganzen Sammlung reicht, durch einerleyc8 Kanala9 |c15| zu uns /agekommen. Unda\ ∥a10, da es, wie beyc11 einer jeden sehr alten Schrift oder Text, wo nicht unmöglich, doch sehr schwer fällt, die Gränzlinie zwischen dem mehr oder minder Avthentischenc12 zu ziehen, oder sie Andern fühlbar zu machen: so kanc13 man in Absicht auf die allermeisten, auch unter nachdenkenden Lesern der Bibel, annehmen, daß sie dieselbe als ein Ganzes ansehen werden, welches in dem Maaß ihnen verdächtig und zweifelhaft wird, in welchem man Schwierigkeiten und Einwürfe gegen einzelnea14 Theile nicht zu ihrer Befriedigung auflösen kanc15. Selbst die Geschichte der feindseligen Angriffe auf die Bibel lehrt es zur Genüge, daß, wenn man ihre Lehre umzustoßena16 verzweifeln mußtea17, man es für das wirksamstec18 hielt, seine Angriffe auf ihre Geschichte zu richten, in der |b18| Absicht, indem man diese /cverdächtigtec\ ∥c19, um jene, und überhaupt das Ansehen der Bibel,a20 zu stürzen, oder wenigstens verdächtig zu /cmachen; derc\ ∥c21 Er|a304|folg hat auch gezeigt, daß man diese Wirkung nicht übel berechnet habe. Wenn also Fälle genug vorkommen, wo der Lehrer des Christenthums über historische Schwierigkeiten in der Bibelc22 entweder von nachdenkenden, redlichen und mit Zweifeln kämpfenden Lesern, die Ruhe und Ueberzeugung suchen, befragt wird, oder sich in die Nothwendigkeit versetzt sieht, feindselige Einwürfe dagegen zu beantworten: wäre es denn da und deswegen nicht Pflicht, auch diese Geschichte genau zu studieren, um selbst das Ansehen der Bibel und der darauf sich gründenden Lehre zu retten?
Und verdient denn 2) diese Geschichte nicht den darauf verwendeten Fleiß, da sie zum Theil in die ältestec2 Zeiten |c16| hinein reicht, wo uns alle andrec3 Denkmale und Urkunden entgehen, und sich alle andrec4 Nachrichten in ein undurchdringliches Dunkel verlieren, oder in die abgeschmacktesten Fabeln übergehen? Verdient nicht wenigstens die Geschichte der Religion und der göttlichen Vorsehungac5 in der nach und nach veranstalteten Entwickelung wahrer Religionsbegriffe, verdienen nicht wenigstens die so unverkennbar wahren Züge der Sitten und Begriffe aus Zeiten, wo selbst Culturc7 noch wenig verdorben hatte, die Achtung und den Fleiß des Freundes der Menschen- und |b19| Religionskenntniß? Magsc8 doch seyn, daß diese Geschichte, daß selbst der Vortrag der Lehren,c9 die Farbe roher jüdischer Begriffe trage: so |a305| wäre doch diese so oft verachtete Geschichte schon darum der Untersuchung werth, damit man sichrec10 Spuren finden könnte, um dieses Nationelle von dem allgemein Wahren und Brauchbaren absondern, um einsehen zu lernen, ob sich der Vortrag der Lehren bloß nach diesen jüdischen Begriffen und Bedürfnissen gerichtet habe, oder ob sich beyc11 diesem, zwar in vieler Absicht rohen, aber gewiß in Absicht der Religion weit mehr, als andrec12 gleichzeitige, aufgeklärtemc13 Volke, Religionsbegriffe fänden, die werth wären, ihm abgelernt zu werden?
Halten wir uns 3) an die Lehrart, welche fast durchaus in der Bibel beyc2 dem Vortragea3 der Lehre herrscht, und trauen es der Weisheit Gottes zu, daß er diese als die beste beyc4 dieser einzigen Ertheilung seiner nähern Aufschlüsse befunden habe: so ist augenscheinlich, daß im alten und neuen Testament, beyc5 Mose, David, den Propheten und Aposteln, Lehre an Geschichte geknüpft, daß sogar die eigentliche christliche Lehre durchaus und so auf die Geschichte |c17| Jesu gebaut ist, daß die Apostel behaupten, es werde jene und die Ueberzeugung davon wanken, wenn diese verkannt würde, 1a6 Kor. 15, 1 f. Joh. 20, 30. 31. Apostelg. 4, 9 f. 18–20 etc. etc. Und wirklich ist 4) die Geschichte in der Bibel Beleg zu den |b20| Lehren. Beruht das, was wir christliche Lehre nennen, darauf, daß Jesus Christus |a306| diesc7 und nichts anderes, als Gottes Gesandter, gesagt hat, daß nach ihm seine vertrauten Schüler eben diesc8 und noch mehr gesagt haben: woher wissen wir dieses anders zuverläßigc9, woher, daß sie, indem sie diese Lehre für göttlich ausgeben, glaubwürdig, dieser Lehre kundig, in Ueberlieferung derselben aufrichtig waren, als eben aus der biblischen Geschichte? Unda10 was erweckt ein gegründeteres Vorurtheil, daß die Bücher, die wir unter ihrema11 Namen /chaben, ächtc\ ∥c12 sind, als eben die Uebereinstimmung des Inhalts /cihrer Bücherc\ ∥c13 mit dem, was wir aus andern Büchernc14 der Bibel von ihrer und ihrer Zeitgenossen Geschichte wissen?
Ist denn nicht auch 5) Geschichte gerade das, was beyc2 dem Menschen die meiste Aufmerksamkeit erregt und unterhält, allgemeine Wahrheiten, vornehmlich moralische, am deutlichsten macht, und aufs anschaulichste darstellt? Allgemeine moralische Sätze wirken nicht nur an sich /cbey weitenc\ ∥c3 so stark nicht als Erfahrungen und /cBeyspiele, siec\ ∥c4 wirken eigentlich gar nicht auf Herz und Leben, als /cso fernc\ ∥c5 wir das, was sie ausdrucken, mit dessen seligen oder unseligen Folgen, an uns oder andernc6, als wirklich vorhanden, als jetzt, oder vorhin, oder künftig vorhanden, denken. Geschichte ist Moral in Wirklichkeit verwandelt; von wirklichen, nicht von möglichen,c7 |b21| Dingen hängt unser körperliches und |c18| geistiges Le|a307|ben ab. Darum spricht Gott in der Natur zu uns durch /cThaten, dadurchc\ ∥c8 hält er uns gleich weit von Grübeleyc9 und Empfindeleyc10, vom Unglauben und von /cSchwärmerey, ab; darumc\ ∥c11 sprachen Jesus und seine Schüler, nachdem heidnische und jüdische Weisen lange genug dogmatisirt, und damit so wenig zur wirklichen Besserung und vernünftigen Gemüthsruhe gewirkt hatten, so viel sie konnten, durch Beyspielec12; sie predigten aufs wirksamste Besserung, indem sie nach ihren Grundsätzen handelten, Gemüthsruhe und frölichec13 Aussicht in die Zukunft, indem sie für den Glauben und die Hoffnung ihrer Lehre mit Ruhe und Freudigkeit litten. Und diesc14 ihr Betragen, die Geschichte der Folgen ihrer Lehre, sollte weniger Aufmerksamkeit verdienen, als ihre Lehre selbst? /cihre vortreflichec\ ∥c15 Art, durch Geschichte zu lehren, sollte nicht Muster für uns, nicht eben so werth seyn, studiertc16 und nachgeahmt zu werden?
Endlich ist ja doch 6) die in der heil. Schrift vorgetragnec2 Lehre immer von Jesu, den Propheten und Aposteln, unter dem Charakter göttlicher Gesandten, vorgetragen; fast nie, höchstens nur beyc3 ungelehrigen Zuhörern oder hartnäckigen Widersprechern, führen sie Beweise; sie rechtfertigen ihren Charakter nur durch Thaten, und sonach verlangen sie Glauben. Beruhet also der Glaube, den sie fordern, auf dem Ansehen des|b22|jenigen, und auf dem Vertrauen zu dem, dem |a308| man glauben soll:c4 so ist die Geschichte derselben, die uns die heil.a5 Schrift liefert, von großera6 Wichtigkeit, da sie nur uns lehren kanc7, ob und wie viel Glauben sie verdienen, wie überschwenglich viel sie, namentlich und vornehmlich Jesus, der Stifter des Christenthums, |c19| zum Besten der Menschen gethan und gelitten, wie viel sie Liebe und Nachahmung verdienen; und es ist daher sehr zu fürchten, daß sie in dem Maaß aufhören, uns werth und unser Muster zu seyn, in welchem wir gleichgültig gegen ihre Geschichte sind.
Eben so sehr, als um sein selbst willen, sollte der Lehrer des Christenthums die Bibel um seiner Zuhörer willen,c2 (§. 6ac3) mit ganz /ceignem Fleiß, studierenc\ ∥c5. 1) Ueberzeugen könnte er sie von den Lehren auch wohl durch andrec6 Gründe, als durch das Ansehnc7 der Bibel,c8 und freylichc9 ist jede Wahrheit Gottes Wort, sie stehe in der Bibel, und werde aus ihr genommen, oder nicht. Aber, wenn wir als Christen glauben, daß die heilige Schrift gewiß Gottes Wort enthalte, so haben wir es nicht weit zu suchen, und wir brauchen dabeyc10 weniger besorgt zu seyn, daß wir unsere eignenc11 Einfälle, die nicht gleich Gottes Gedanken sind, |b23| statt dieser unterschieben möchten; es bedarf weiter nichts, als uns vorher durch Fleiß und gebrauchte rechte Hülfsmittel zu überzeugen, daß wir den rechten Sinn der Stellen, woraus wir schöpfen, getroffen haben, und ihnen hernach diesen so faß|a309|lich und einleuchtend zu machen, als es die Kenntnisse, die sie haben, oder, ohne Gelehrsamkeit, bekommen können, erlauben. – Und da Zweifel der Zuhörer an diesem richtigen Sinn diese ihre Ueberzeu|c20|gung aus der Bibel hindern, also die Pflicht des Lehrers seyn würde, diesen, wo er sie fürchten muß, /czuvor zu kommenc\ ∥c12, oder, wenn sie sie ihm entdecken, zu heben: so versteht sich von selbst, daß er deswegen fleißig und mit eignemc13 Nachforschen die Bibel gelesen haben müsse.
Soll er zugleich 2) die göttlichen Lehren zu ihrer Besserung und Beruhigung anwenden:c2 so hat es auch da seine großena3 Vortheile, die Bibel zu diesem Zweck zu benutzen. Ansehen wirkt beyc4 den meisten Menschen aufs kürzeste und kräftigste,c5 und hat einmal jemand die Ueberzeugung, daß Gott in der Bibel redet, daß sie die Lehren Jesu Christi enthält:c6 so wirkt dieses: Gott, Christus hatsc7 gesagt, es wirkt die Liebe, das Vertrauen, zu dem, der so viel für uns gethan hat, der Wunsch, ihm ähnlich zu werden, gewiß stärker als alle andrec8 Gründe. Solche kurze, kräftige, fruchtbare Aussprüche, wie die Bibel enthält, behalten sich leicht, bleiben der Seele ge|b24|genwärtiger, fallen uns wieder leicht da ein, wo wir sie brauchen, erinnern leicht wieder an das Gute, was man darüber gehört, an die seligen Erfahrungen, die man darnach gemacht hat. Durch /aöftere, mannigfaltigerea\ ∥a9 Anwendungen die|a310|ser Aussprüche auf das Beste der Zuhörer, bekommt die Bibel für sie einen großena10 Werth, weil sie immer darin die Geschichte ihres Herzens lesen, /cihren Bedürfnissen gerathen, immerc\ ∥c11 Belehrung, Ermunterung und Trost über /cdiec\ ∥c12 Angelegenheiten /cihres Herzensc\ finden. Was könnte man doch, da die wenigsten Menschen über unsichtbare Dinge selbst zu denken, und Weisheit aus sich selbst zu schöpfen,c13 verstehen, und auch die, welche dieses können, Veranlaßungac14 zum Nach|c21|denken, Hülfe da brauchen, wo sie oft nicht zu Gedanken kommen, sie sich nicht interessant und eindrücklich machen können,c15 was könnte man da ihnen für ein besseresc16 immer offen liegendes Handbuch empfehlen, als die Bibel? – Daß der /cLehrer, ihnen dazuc\ ∥c17 die Bibel nutzbar zu machen, ∥c18 mit ihr sehr bekannt seyn müsse, um, nach jedesc19 Bedürfnissen, mit ihnenc20 zu rechter Zeit zu reden, das Allgemeine in der Bibel auf die besondern Umstände der Zuhörer anzuwenden, und das Besondrec21 in ihr ins Allgemeine, mit Weisheit, zu verwandeln, bedarf keiner Erinnerung.
Und sollte denn der Lehrer 3) nicht Jesu und den übrigen Lehrern in der Bibel Herablas|b25|sung, Klugheit, Herzlichkeit beyc2 seinem Vortrage ablernen können, worin diese so großea3 Muster sind? Wo herrscht selbst eine einfältigere, würdigere, so ganz den Lehren und seligen Eindrücken von Gott /cangemessnerea4 Sprache, mehrc\ ∥c5 |a311| als in der Bibel,c6 und wie viel trägt ein solcher Ausdruck zur Erregung wahrhaftig göttlicher Empfindungen /cbey? Freylichc\ ∥c7 nur, wenn man ihn versteht. Aber eben darum müßtec8 der Lehrer ihren Sprachgebrauch studierenc9; darum lernen, ihn, wo er dunkel oder zweydeutigc10 ist, gegen deutlichere Ausdrücke, die sich diesem so sehr als möglich nähern, zu vertauschen; gelegentlich den Zuhörern dieses Dunkle im biblischen Ausdruck erklären;c11 und so könntec12 er, ohne Unsinn oder Mißverstand zu besorgen, alsdanna13 selbst diese biblischen Arten zu reden behalten, die darum beybehaltenc14 zu werden verdienten, weil ∥c15 die Idee des durch die Bibel geheiligten Gebrauchs daran hängt, ∥c16 solche zu diesen religiösen Vorstellungen ganz eigen gewidmete und sonst nicht von gleichgültigen oder gar schlech|c22|ten Dingen gebrauchten Ausdrücke mehr Würde behalten, undc17 leichter /cwiederc\ die guten Gedanken und Empfindungen ∥c18 erwecken, die man ehedem beyc19 dem Gebrauch der biblischen Aussprüche gehabt hat.
Die Nothwendigkeit der fleissigenac2 Beschäftigung mit der Bibel, einer gründlichen Kennt|a312|niß der Hülfmittel zur Entdeckung ihres wahren Verstandes, und eines treuen Gebrauchs derselben, wie zu diesem Zweck, so zur Herleitung der Religionslehren aus ihr, wird durch die Geschichte bestätigt, welche augenscheinlich zeigt, daß die Lauterkeit der christlichen Lehre immer mit diesem gelehrten und gewissenhaften Fleiß gleichen Schritt gehalten, daßa3 Steigen und Fallen dieses Fleissesc4 immer den Fort-c5 oder Rückgang des wahren Christenthums nach sich gezogen habe. Unkunde des wahren biblischen Sprachgebrauchs; Vorliebe zu einer schwärmenden Philosophie; einreissendec6 Gewohnheit, die christliche Wahrheit mehr nach dem Herkommen und den Meinungen angesehener Gemeinenc7 und Lehrer, als nach der Bibel, und wenn man ja die letztere brauchte, den Werth ihrer Erklärung mehr nach der Uebereinkunft eines zufälligen Sinnes mit gewissen herrschenden Lieblingsideen,a8 oder nach dem Ansehen einer Erklärung,a9 zu entscheiden, gab dem menschlichen Ansehenc10, in Sachen des Christenthums, das erste Uebergewicht über die Bibel, und die Entscheidung |c23| der angesehensten Bischöfe und Concilien befestigte dieses. Mehr bekannt mit der Sprache des neuen Testaments,a11 waren die ältern griechischen Ausleger bis ins 5te Jahrhundert den lateinischen unleugbarc12 in der Erklärung überlegen; das Gute der letzterenc13, wenige ausge|b27|nommen, war entweder errathen, oder von jenen entlehnt. Selbst da man seitdem in der griechischen Kirche sich mit Sammlungen ältrerc14 Erklärungen behalf, blieb immer durch die /cCatenenc\ ∥c15 ei|a313|ne besserea16 Erklärungsart herrschender als in der lateinischen, die, eben wegen Unbekanntschaft mit der Sprache, von jeher fruchtbarer an neuen Dogmen war, welche die übrige Kirche weder kannte noch billigte. So lange diese noch nicht in die Erklärung eingemischt wurden, so lange man nur noch die Bibel erklärte ohne zu allegorisiren, und noch einiges Gute der ältern Ausleger benutzen konnte, blieb in den Abendländern die Auslegung noch erträglich; /cso baldc\ ∥c17 aber jene Gewohnheiten die Oberhand gewonnen, Augustins Ansehen die anderna18 verdunkelte, und die Glossa ordinaria des 9ten Jahrhunderts alles andrec19 verschlang, so war sie so gut als verlohrenc20. Jetzt trat menschliches Ansehnc21 und angebliche Tradition ganz an die Stelle der Bibel; von Rom aus entschied man statt der heiligen Schrift, man sprach sogar gegen sie, und diese Aussprüche schlugen die nieder, welche nach der Bibel entscheiden wollten. Die Scholastiker, mehr darauf bedacht, Kirchenmeinungen zu befestigen,c22 und sie durch Philosophie aufzuklären, verlohrenc23 die Bibel fast ganz aus dem Gesichte; die Mystiker suchten Licht in sich, statt es in der Bibel zu suchen; immer zwangen die Paulizianer, Katharer, Waldenser und ähnliche, mehr einfältig die Bibel, als |c24| die Kirche, befragende Parteyenac24, selbst ihren Gegnern das Bekenntniß ab, daß sie, beyc26 allen Irr|b28|thümern, reicher am thätigen Christenthum wären. Mit der Auferstehungc27 der Wissenschaften seit dem 15ten Jahrhundert, und noch mehr mit der Reformation in dem folgenden, wachte die |a314| Liebe zur Bibel,a28 und der Fleiß sie zu forschen,a29 wieder auf, und das menschliche Ansehen fing an zu sinken; letzteres erhob sich unter den gereinigtern Kirchen wieder, /cso wiec\ ∥c30 gegen das Ende des 16ten Jahrhunderts Kenntniß der Sprachen und Nachfragenc31 in der Bibel /cab-, menschliche Grübeley zunahm; sank wieder,c\ ∥c32 als einige treflichec33 Sprachkundige, gegen die Mitte des 17ten, die richtige Art der Bibelerklärung,a34 und, gegen das Ende desselben, die /challische Theologenc\ ∥c35 mit ihren Schülern, Liebe zur Bibel durch /cihr Beyspielc\ ∥c36 empfahlen. Der Eifer, die Bibel zu forschen, und die exegetische Theologie nach allen ihren Theilen zu bearbeiten, stieg sichtbar seit der Mitte des 18ten Jahrhunderts; /cneben ihmc\ ∥c37 eine gründlichere Kenntniß der Kritik, der Grundsprachen, der alten Geschichte und /cder Morgenländerc\ ∥c38; zugleich mehr Geschmack und Drang, die biblische Auslegung von hineingetragnenc39 Begriffen zu reinigen, sicherlich auch, – beyc40 allem Verfall auf Extremenc41, wovon keine Zeit freyc42 ist – die Reinigkeit der christlichen Lehre /cmit einer vernünftigernc\ ∥c43 und fruchtbarernc44 Anwendung.
Der bisher empfohlnec2 angelegentliche und eignec3 Fleiß ist um so nöthiger, je mannichfaltiger die Kenntnisse und Beschäftigungen sind, ∥c4 die heilige Schrift recht verstehen und brauchenc5 zu lernen, und /cje mitc\ ∥c6 mehrern Schwierigkeiten man dabeyc7 zu kämpfen hat. – Beyc8 allen den Wissenschaften, wo es auf vielerleyc9 und ausgebreitete Kenntnisse ankommt, wo der Fleiß sehr ins Kleine gehen muß, und wo /cVielesa10 c\ ∥c11 auf einem sichern Gefühl beruht, das erst durch lange Uebung erworben oder befestigt wird, ist es gar nicht zu verwundern, daß der Unwissende oder Anfänger sie sich leichter vorstellt, als sie sind,a12 und als er sie hinterher findet. Wenn man auch weiß, daß zu einer Wissenschaft viel gehöre, daß man diesc13 eben nur lernen, nicht selbst erfinden, oder nur als|b30|danna14 erfinden könne, wo man erst Vielesa15 vorher ∥a16 Andern abgelernt und gesammletc17 hat – wie dieses der Fall beyc18 allen historischen Wissenschaften /cist –:c\ ∥c19 verläßt man sich gar zu leicht auf Andrerc20 Vorarbeit, forscht nicht selbst nach, und beruhigt sich ohne Prüfung beyc21 dem, was man vorfindet. |a316| Dieses sind wohl einige Hauptursachen, die das Vorurtheil erzeugen, als wenn beyc22 dem exegetischen Studium wenig von uns selbst zu thun, oder allesc23 leicht zu er|c26|lernen seyc24, so wie man sich auf der andern Seite die Schwierigkeiten oft zu groß vorstellt, wenn und weil man so viele /causwärtige nöthigec\ ∥c25 Kenntnisse beyc26 sich vermißt, oder nicht weiß, wo man sie hernehmen soll.
Beyc2 der heiligen Schrift kommen noch manche besondrec3 Umstände dazu, welche das Vorurtheil verstärken, daß, sie zu verstehen, so gar schwer nicht seyn könne. Man hat sie von Jugend auf gelesen,c4 und erläutern gehört, und glaubt, weil uns ihre Geschichtec5 und Lehren, den Worten und Sachen nach, geläufig sind, so wäre sie uns auch verständlich genug. Man hat selbst gehört, daß unsrec6 Theologen gegen die römische Kirche die Deutlichkeitc7 der heiligen Schrift, als eine Unterscheidungslehre, vertheidigen und beweisen. Wie sollten auch, denkt man, Bücher schwer zu verstehnc8, die Aechtheitc9 derselben nicht ausgemacht seyn, worin Gott seinen Willen für jedermann, selbst deutlicher als durch die Natur, geoffenbart |b31| hat? Manc10 dürfe sich nur an den ersten einfältigsten Sinn halten, der sich uns darin darstellt, mit Einfalt und Lernbegierde lesen, und Gott um Erleuchtung bitten. Wenn man denn auch in einzelnena11 Stellen nicht gerade den eigentlichen Sinn treffe:c12 so stoßea13 man doch gewiß auf Wahrheiten, die zu unsrerc14 Er|a317|bauung dienten. Und wo uns irgend Schwierigkeiten aufstießenac15 über welches Buch in der Welt seyc17 mehr geschrieben, mehr gedacht, mehr Nutzbares schon ausgezogen,c18 und ausserc19 Zweifel gesetzt worden? Nach so vielen und zum Theil vortreflichenc20 Arbeiten könne schwerlich noch etwas unserm eignenc21 Fleiß überlaßenac22 seyn.
Geräth aber, auf der andern Seite, jemand über die verschiedenen Folgen und Lehren, die aus der heiligen Schrift gezogen seyn sollen, und welche beyc2 verschiedenen Parteyenac3 und Menschen einander so sehr widersprechen; merkt er die Abweichungen der Ausleger von einander, und wird verlegen, was er unter so verschiedenen Erklärungen als das Wahre wählen soll; befriedigen sie oder ihre Gründe ihn nicht; fällt er selbst auf einen Sinn, der ihm einleuchtend scheint, den er aber zu beweisen nicht genug Kenntnisse hat; oder ist er zu ängstlich, um seinen eigenen Einsichten zu trauen, um einen Sinn annehmlich zu finden, der von herrschenden Erklärungen abgeht, oder gegen Meinungen anzustoßena5 scheint, die er für wahre Religionslehren hält; oder zu gewissenhaft in |b32| göttlichen Dingen, als daß er mit einem Sinn, der sich hören läßt, ohne überzeugende Beweise zufrieden seyn sollte; oder hat jemand auf Schulen durch eine schlechte und ihm durch manche Nebenumstände verleidete Erklärungsart der Bibel oder alter Schriftsteller, einen Widerwillen gegen |a318| alle Auslegung gefaßt,c6 oder /cer istc\ ∥c7 zu sehr versäumt, als daß er hoffena8 sollte, das viele Versäumte noch nachholen zu können,c9 und hat er nach und nach mehr Geschmack an sogenannten Realkenntnissen bekommen, und sich an solche gewöhnt; oder hält er diec10 für weit wichtiger, als daß er die darauf zu verwendende Zeit noch sogenannten Wortkenntnissen und Beschäftigungen des Gedächtnisses aufopfern sollte; und wird ∥c11 vollends in seinem Eckelc12 dagegen und in dem Wahn von ihrer Entbehrlichkeit durch Andrec13 bestärkt, die ihm Sprachea14, Bibel und die Geschichte in derselben verächtlich machen, seinen Stolz auf die Fähigkeitc15 selbst zu denkenc16 nähren, oder ihn bereden, |c28| daß das Wesentliche der Bibel in sehr Wenigem bestehe,c17 und schon ganz aufs Reine gebracht seyc18: so ist ∥c19 sehr begreiflich, wie leicht er dadurch und durch das Gefühl der /cmancherley Schwierigkeiten,c\ ∥c20 dahin gebracht werden könne, das Studium der Bibel selbst, oder doch eignenc21, ausharrenden Fleiß, ganz aufzugeben.
Beydenc2 Vorurtheilen entgegen zu arbeiten, und auf der einen Seite die Trägheit, auf der anderenac3 Muthlosigkeit zu verhüten, ist es sehr noth|b33|wendig, sich frühzeitig theils den großena4 Umfang und die Nutzbarkeit der /cbey demc\ ∥c5 Studium der Bibel nöthigen Kenntnisse, theils die Mittel bekannt zu machen, wie man /adie Schwierigkeiten dabeyc6 a\ ∥a7 heben, erleichtern, und sich eine Fertigkeit erwerben könne, die heilige |a319| Schrift und ihren Sinn gründlich zu erforschen. Den Werth der Bibel vorausgesetzt, kanc8 man sie anders nicht benutzen, als wenn und sofern man überzeugt ist, daß, was man daraus zieht, wirklich darin enthalten seyc9. Diese Ueberzeugung erfordert, wie beyc10 jedem Gesetz oder ∥c11 Urkunde, daraus man etwas lernen will, zweyerleyc12: erstlich, daß man mit Ueberzeugung wisse, was man zur heiligen Schrift rechne, seyc13 wirklich, wenigstens im Wesentlichen, dasselbe, was die Verfasser niedergeschrieben haben; hernach, daß man den Sinn gefunden, und Grund angeben könne, daß und warum der Sinn, den wir gefunden haben, der einzige wahre, oder doch wahrscheinlichste seyc14. Der Inbegriffa15 der Kenntnisse, diec16 die Aechtheitc17 der biblischen Bücher und des biblischen Textes betreffen, ist die biblische Kritik (Critica sacra), so wie der Inbegriffa18 dererjenigen, welche die Auslegung desselben angehnc19, die eigentliche Exegetik.
So sehr diesec2 Kritik von jehera3 der Verachtung und noch mehr der Verleumdung der |a320| Unwissenden ausgesetzt gewesen ist, die solchec4 kritische Versuche /cselbst oftc\ ∥c5 für Anfälle auf Gottes Wort angesehen haben, ohne zu bedenken, daß ∥c6 Kritik nur eine Revision des auf uns /cgekommnen geschriebnenc\ ∥c7 oder gedruckten Textesa8 der Bibel/a, nicht der Bibel selbst,a\ ist: so ist sie doch nicht nur eine unschuldigec9, sondern ∥c10 auch nothwendige Wissenschaft. Soll 1) eine Lehre oder Begebenheit aus einem Zeugniß der heiligena11 Schrift dargethan, oder eine Redensart als schriftmäßig gerechtfertigt werden,c12 (wie beyc13 1 Joh. 5, 7. oder 1 Tim. 3, 16. beyc14 Joh. 7, 53.–8, 11. und beyc15 Apostelgesch. 20, 28): so muß bewiesen werden können, daß das Buch, die Stelle und der Ausdruck /cächt seyc\ ∥c16, die man als ein Zeugniß anführt (/aTh. 1.a\ §. 74),c17 und so bodenlos sonst der Beweis seyn würde, so vergeblich wäre die Erklärung einer Stelle oder eines Ausdrucks, um einen Schluß daraus zu ziehen, ehe noch ausgemacht wäre, daß sie von den heiligen Schriftstellern ∥c18 herrührten, und sich daraus etwas, als von ihnen gesagt, ziehen ließea19.
Sehr oft werden 2) gewisse Bücher, Stellen und Lesearten der Bibel bestritten, und müssen, wenn sie können, |c30| /cgerechtfertiget werden; esc\ ∥c2 ist auch unwidersprechlich, daß von jehera3 an der Aechtheitc4 einiger Bücher gezweifelt worden, und |b35| der Text in verschiednenc5 Handschriften, Uebersetzungen und Anführungen, mit vieler Verschiedenheit durch Nachläßigkeitc6 oder willkührlichec7 Aen|a321|derungen, zu uns gekommen ist. Anders als nach sichern Regeln und Gründen kanc8 doch jene Rechtfertigung nicht /cgeführet, willkührlichec\ ∥c9 Aenderung ∥c10 anders nicht entdeckt und abgelehnt, und überhaupt keine Fehler in diesem Text anders klar gemacht werden. Und ist es eben so unverantwortlich, etwas zu der heil. Schrift hinzu, als davon zu thun, etwas Unächtesc11 gelten zu laßenac12, als etwas Aechtesc13 zu verwerfen: so bleibta14 schlechterdings kein anderes Mittelc15 sich gegen diese zweyc16 Abwege zu verwahren, als kritische Untersuchung.
Selbst 3) von den Vorwürfen der erlittnenc2 Verfälschung, die man so oft der heiligen Schrift gemacht, und dadurch ihr Ansehen zu schwächen gesucht hat, kanac3 sie auf keine andere Art befreyetc4 werden. Wer der wahren Kritik kundig ist, erschrickt fürc5 allen solchen Beschuldigungen nicht. Er findet sie, nach angestellter Untersuchung, entweder gegründet oder nicht; verlangt, in jenem Fall, |b36| das nicht zu vertheidigen, was nicht zu den heiligen Büchern gehört, und schneidet so die Ge|a322|legenheit ab, das Ansehnc6 der Bibel zu |c31| erschüttern; weiß hingegen, in dem andern Fallc7, zu zeigen, wie sehr dergleichen Angriffe auf Unwissenheit oder falschen Schlüssen beruhen. Wer aber beyc8 diesen Vorwürfen von Verfälschung ängstlich thut, und seine Furcht fürc9 Gefahr verräth, die der Bibel bevorstehe, bestätigt die Gegner in ihrem /cVerdacht; erc\ ∥c10 könnte es ja sonst nur der ruhigen Untersuchung überlaßenac11.
Zu besorgen ist auch nicht, daß 4) durch kritische Untersuchungen die Bibel ungewiß und zweifelhaft gemacht werde, und manches treflichec2 Zeugniß aus derselben wegfalle. So lange nichts untersucht wird, kanc3 Zweifel und Verdacht nie gehoben werden; die bloßea4 Entdeckung der Verschiedenheit aber,c5 macht so wenig die Bücher und ihren Text zweifelhaft, als die Verschiedenheit der Erklärungen einer Stelle den Sinn ungewiß macht; Gründe müssen in beydenc6 Fällen zeigen, auf welcher Seite die Wahrheit seyc7. Wenn diese die Aechtheitc8 eines Buchs, einer Stelle oder Leseart darthun, so bleibt ihr Zeugniß erhalten; beweisen sie hingegen, sie /csey untergeschoben:c\ ∥c9 so verlieren wir weiter nichts als einen falschen Beweis, durch den die Wahrheit nie gewinnt, sondern unwiderleglichen Angriffen ausgesetzt wird;c10 und darüber sich beschweren, was wäre das anders, als mit Gott rechten, daß er uns nicht |b37| mehr Bücher und Beweise für eine Wahrheit gegeben habe? – |a323| Kurz, alle Klagen und Besorgnisse beyc11 der Kritik selbst – nicht beyc12 ihrem Mißbrauch, den eben sichrec13 Regeln und Gründe verhüten müssen – beruhen entweder auf Unwissenheit, wenn man Verschiedenheit in den Meinungen und Zeugnissen, die Bücher und den Text der Bibel betreffend, ableugnetc14, oder |c32| keine kritischen Grundsätze und Entdeckungen gelten laßenac15 will, oder,c16 beia17 aller Einbildung von Liebe und Eifer für die Bibel, auf Gleichgültigkeit gegen sie; wodurch man nicht nur selbst die ihr schuldige Untersuchung vernachlässigta18, sondern auch die Arbeiten andrerc19, die mehr Kenntnisse und besserena20 Willen haben, unbenutzt läßt, oder sie gar abschreckt, sie an unsrerc21 Stelle zu unternehmen.
Und diesen Fleiß in der biblischen Kritik sollte man um so weniger schwächena2, da diese Kri|a324|tik |b38| ein überaus schweres Studium ist, und nur äusserstc3 Wenigea4 wahren Beruf dazu haben. Zuerst hält es schon sehr schwer, die beydenc5 Abwege hiebeyc6, Aengstlichkeit und Verwegenheit, zu /cvermeiden; derc\ ∥c7 Kranke befindet sich gleich übel dabeyc8, wenn der Arzt allesc9, und wenn er nichts wagt, nach gar keinen festen Grundsätzen verfährt, oder auch nicht einmal nach solchen etwas unternimmt. Auch der aufgeklärteste Mann, wenn er gewissenhaft ist, rührt das ungern an, was einmal das,c10 gegründete oder ungegründete,c11 Vorurtheil des Göttlichen ∥c12 vor |c33| sich hat; und wer einmal einzureissenc13 anfängt, reißt/c, wenn er im Reissen ist,c\ oft auch das Gute und Haltbare mit ab, und braucht, verleitet vom Gefühl seiner Kraft, nur zu oft gewaltsame und verzweifelte Mittel. Wahrer Muth und wahre Bescheidenheit sind gleich selten.
/cWenn aber auch jemand hiebeyc\ ∥c2 mit der größestenc3 Vorsicht und Entschlossenheit, also mit wahrer Gewissenhaftigkeit, /cverführe: soc\ ∥c4 wird /cerc\ doch beyc5 der Unternehmung selbsta6 ausnehmende Schwierigkeiten finden, sowohl in Wegräumung der Hindernisse, welche /cdiec\ Unwissenheit, Vorurtheile und Irrthümer in diesem Fach /cgelegt habenc\ ∥c7, als in Aufführung des Bessern. Denn erstlich müßtec8 man sichrec9 Regeln /chabenc\, wonach man /cverführe – undc\ ∥c10 diese ∥c11 setzen /csichre Kenntnissec\ ∥c12 von den Büchern und deren Text sowohl,c13 als von |a325| den Hülfsmitteln, voraus, die /cmanc\ zur Berich|b39|tigung des Streitigen /cnöthig hatc\ ∥c14. – Wäre beydesc15 denn auch sichrerc16 als es /cmeistens nichtc\ ∥c17 ist, so würden sich in der Anwendung der Grundsätze noch immer neue Schwierigkeiten zeigen.
Wie /cviel einigermaßena2 c\ ∥c3 Sicheres wissen wir 1) von den vorläufigen Kenntnissen? vonc4 der Geschichte der biblischen Bücher, der Sammlung ihrer Theile,c5 (z. B. der Psalmen, der einzelnena6 Weissagungen in den Propheten etc. etc.) und der Sammlung dieser Bücher in ein Ganzes? von der Geschichte ihres Textes, und der oft so unerklärlichen Art, wie die Verschiedenheit des Textes in den Quellen entstanden ist? von der Geschichte der Handschriften und der al|c34|ten Uebersetzungen, des Textes in beydenc7 und dessen Veränderungen? von der Fähigkeit, den Hülfsmitteln und der Treue, welche diejenigen hatten oder bewiesen, die uns Stücke dieses Textes in ihren Büchern aufbehalten haben? selbst von der Geschichte der Ausgaben, und der Art des Verfahrens dabeyc8? Wie vieler feinen historischen, literarischena9 und philologischen Kenntnisse und Bemerkungen bedarf es, um nur erst einiges Land zu gewinnen,c10 und wie wenig ist das, was wir hier mit einiger Sicherheit kennen, gegen das, was wir noch erst entdecken solltenc11, um die /chiebey vorkommendec\ ∥c12 Lücken auszufüllen, und alle Schwierigkeiten befriedigend zu beantworten.a13
Nach diesen großentheilsa2 noch so unvollständigen Kenntnissenc3 können 2) schwerlich Grundsätze entworfen werden, /cdie allgemeinc\ ∥c4 und /csicher genug wärenc\ ∥c5. Wenn es nicht schon gewissermaßena6 die meisten bisherigen Versuche solcher Regeln bewiesen, die entweder auf ganz falsche Einbildungen gegründet /csind *),c\ ∥c7 oder sich durch ihre Unbestimmtheit selbst /czerstören **):c\ ∥c8 so müßte es die Natur der Sache selbst lehren. Manche |b41| Regeln sind noch viel zu früh; weil uns die Geschichte der Quellen oder Zeugen fehlt, wonach |a327| man erst ihr Ansehnc9 beurtheilen könnte, und weil das Ansehen dieser Zeugen meistens erst durch fleißige Untersuchung der Art ihres Textes, und durch sorgfältige Zusammenhaltung desselben mit dem Text anderer Handschriften, Uebersetzungen u. s. w. erkannt werden /ckan †).c\ ∥c10 Wo man es aber auch so weit gebracht hat, daß man den Werth gewisser Handschriften u. s. w. kennt: so können ja die Regeln, theils, wenn sie allgemeine Regeln seyn sollen, nur erst nach Vergleichung mehrerer solchenc11 Handschriften etc. etc. unter einander und mit andern Quellen gemacht, mit einemc12 Wort, nur aus mehrern uns gleich gut bekannten Quellen zusammen, abgezogen /cwerden, ††)c\ ∥c13 theils, zeigen sich dabeyc14 so viele einander entgegenlaufende Erscheinungen, die für und wider einen angenommenen Grundsatz streiten, daß sich etwas /aganza\ Allgemeines, ohne viele feinere Bestimmungen, nicht festsetzen läßt. †††)c15
Die Hauptsache kommt also 3) immer auf den selbst an, der das Aechtec2 von dem Unächtenc3 unterscheiden will,c4 und selbst die sichersten Regeln helfen nichts, wo es an der geschickten und vorsichtigen Anwendung fehlt. Fleissigesac5 Nachforschen auch nach Kleinigkeiten, welche die Geschichte und den Charakter der Quellen aufklären können, vielea6 feine Sprachkenntniß der Grundsprachen überhaupt und des Charakters eines biblischen Schriftstellers insbesondrec7; Vorsichtigkeit in der Vergleichung und Anwendung aller solcher Kenntnisse; und ein feines Gefühl oder kritisches Genie, das erst durch lange Uebung reif und sicher wird, müssen beysammenc8 seyn. Denn es kommen hiebeyc9 so unendlich viele Collisionen gemachter Bemerkungen und abgezognerc10 Regeln vor, und diese Collisionen werden nicht einmal bemerkt, vielweniger mitbenutztc11, wo nicht sehr viele feine Beobachtungen vorhergegangen sind, daß von der Geschicklichkeit und Gewissenhaftigkeit des Kritikers selbst zuletzt allesc12 abhängen muß. Selbst da, wo in allen jetzt bekannten Quellen ein sehr alter Feh|b44|ler allgemein ist – ein sehr möglicher und glaublicher Fall – könnte nur das feinere Gefühl ihn entdecken, ob es gleich, um nicht nach /cbloßema13 Willkührc\ ∥c14 zu ver|a330|fahren, durch irgend einige Spur in den bekannten Quellen geleitet werden müßte.
Diese großena2 Schwierigkeiten, welche mit der biblischen Kritik verknüpft sind, beweisen, daß es nicht jedem, der sich auf das gelehrte Studium der Bibel legt, zur Pflicht gemacht werden könne, sich selbst auf diese Kritik einzulaßenac3; welches aber keinesweges die Pflicht ausschließt, sich mit den nothwendigsten Kenntnissen, die dazu gehören, bekannt zu machen, und das zu benutzen, was uns Kenner darin vorgearbeitet haben. Denn wer 1) gar keine Kenntniß davon hat, kanc4 ja nicht beurtheilen, wie weit sie und die Uebungen in dergleichen Arbeiten ihm doch nöthig seyn möch|b45|ten, und wie weit er Fähigkeit dazu habe,a5 oder erlangen könne? als woraus er erst abnehmen kanc6, ob und wie weit es für ihmc7 |a331| Pflicht seyc8, sich damit zu beschäftigen. Er kanc9 2) sonst gewisse oft sehr herrschende und scheinbare Vorurtheile nicht vermeiden, die ihm in der rechten Auslegung sowohl als in dem Gebrauch, den er von der Bibel macht, ungemein hinderlich fallen, und auf Irrthümer führen; wovon die bekannte Streitigkeit über das Alterthum und die Avthentiec10 der Punctec11 und Accente im hebräischen Texte des alten Testaments, und die oben (§. 24ac12) angeführten Stellen der Bibela14 zum Beyspielc15 dienen können. Er kanc16 3) viele Schwierigkeiten beyc17 der heil. Schrift nicht ∥a18 |c39| auflösen, und viele Angriffe auf dieselbe nicht widerlegen, die aus der fälschlich /cangenommnen Aechtheitc\ ∥c19 gewisser Bücher, oder deren Stellen und Lesearten, entstehen, oder hergenommen werden, noch das, was ächtc20 ist, gegen ungegründete Vorwürfe oder Eingriffe vertheidigen. Und 4) selbst in die Erklärung des Sinnes der heil. Schrift hat diese Kritik so vielen Einfluß, daß oft weder der rechte, noch auch einmal ein erträglicher Sinn gefunden werden kanc21, wenn man der Kritik ganz unkundig ist. Es ist doch ein großesa22 Glück, wenn wir /cbey eignemc\ ∥c23 Unvermögen uns auf Kenner und ihre Untersuchungen /averlaßenc24 können. Nura\ ∥a25 die unverzeihlichste Gleichgültigkeit kanc26 solche Vorarbeiten unbenutzt laßenac27, und nur der einfältigste Stolz kanc28 sich den Trotz auf Dinge zu gut halten, die man nie gründlich untersucht hat, oder auch nur untersuchen kanc29, oder |b46| das verachten, was über unsrec30 Fähigkeiten und Begriffe ist.
Es sollte daher jeder, der, als Gelehrter, die heilige Schrift studieren will, wenigstens 1) beyc2 solchen biblischen Untersuchungen eine Ausgabe des Grundtextes zum Grunde legen, die einen mit kritischem Fleiß und Gewissenhaftigkeit behandelten Text enthält, zumal wenn die, wenigstens erheblichena3, Lesearten mit ihren Zeugnissen beygefügtc4 sind, wovon wir im neuen Testamentea5 ein vortreflichesc6 Muster an der Griesbachischen ∥c7 Ausgabe haben; ∥c8 2) sich die besten Bücher bekannt machen, welche theils historische Kenntnisse sowohl von der Geschichte der biblischen Bücher als von den allgemeinern Ver|c40|änderungen ihres Textes und von den Quellen, woraus ihre Kenntniß geschöpft werden kanc9, theils bewährte Regeln der biblischen Kritik, oder doch geprüfte Vorschläge von dem rechten und vorsichtigen Verfahren beyc10 Beurtheilung des biblischen Textes, enthalten. /cNoch fehlt es uns freylich zum Theil an solchen, die für den Anfänger oder den brauchbar wären, der sich auf keine tiefere Untersuchungen einlaßena11 kan, worin auch nur das alles gesammlet und wohl geordnet wäre, was man bis jetzt in diesem Felde entdeckt hat. Bey dem alten Testament könnte man die Eichhornische Einleitung ins alte Testament,a12 verglichen mit der Carpzovschen Introductione und Critica S. V. T., bey dem neuen die Michaelische Einleitung, |b47| nach der 4tena13 Auflage, als die bis jetzt besten Handbücher, brauchen, so weit man die Angaben |a333| darin bewiesen findet. Die übrigen (in der /aAnweisung zur Kenntniß der besten allgemeinern Bücher in der Theologiea\ ∥a14 §. 26 und 27. 30–32. 34 flgg. 60–64 erwähntena15) Schriften sind mehr zum Theil schätzbare Beyträge zur Beförderung dieser Kritik. Was man in den genannten Handbüchern, zumal in Absicht auf verschiedne Lesearten des biblischen Textes, sonderlich im alten Testament, nicht findet, das müßte man von den gelehrten und vorsichtigsten Auslegern lernen, die bey Erklärung biblischer Bücher auch die wichtigsten Lesearten mit erwähnta16 und geprüft haben.c\
Fändec2 man nun beyc3 dem ∥c4 Studium der Bibel selbst Geschmack an kritischenc5 Untersuchungen; /cfühltec\ ∥c6 sich dazu vorzüglich aufgelegt – welches man daraus abnehmen könntec7, wenn /cman, beyc\ ∥c8 angestellten eignenc9 Versuchen in der Kritik sähec10, daß unserc11 Urtheil über Lesearten, und die Art, wie /cwir dabey verfahrenc\ ∥c12, mit dem Urtheil und Verfahren der besten Kenner /cübereinträfe; – hättec\ ∥c13 man Gelegenheit,c14 die hier nothwendigen Hülfsmittelc15 und /cSammlungen, (die in gedachten Stellen der eben §. 34.a16 genannten Anweisung etc.a17 angeführt sind), bey dem alten Testament wenigstens die beyden Hauptsammlungen von Kennicott und de Roßi, bey dem neuen die Millischen, Wetsteinischena18, Griesbachischen, |b48| auch des Letzterna19 Symbolas criticas (Tom. prior. Halae 1785. 8.), nebst den alten Uebersetzun|a334|gen des A. und N. T.a20 mit genugsamer Kenntniß ihrer Sprache,c\ ∥c21 zu brauchenc22; und würdec23 man durch dergleichen Untersuchungen nicht von wichtigern, weit näher /czu unsermc\ ∥c24 Beruf gehörigen,c25 Beschäftigungen abgehalten: so könntec26 man sich /cschon auf nähere Untersuchungen in diesem Fach legen, und man wird, wo alle genannte Voraussetzungen da sind, aus der bisherigen Aufmerksamkeit auf die besten Kritiker dieser Art und aus eigner Beobachtung hinlänglich finden, was bey diesem weitern Fleiß zu thun sey.c\ ∥c27
Unentbehrlicher als die Kritikc2 ist freylichc3 die biblische Exegetik, oder der Inbegriffa4 der zur Ein|b49|sicht in den Verstand der heiligen Schrift nöthigen Kenntnisse, und alles desjenigen, was dazu |a335| dient, eine Fertigkeit in Anwendung dieser Kenntnisse auf die Erklärung der heiligen Schrift zu erlangenc5 (§. 23).ac6 Eine jede Schrift, welche nicht bloß allgemeine Sätze, sondern auch Geschichte enthält, oder welche jene in Rücksicht auf die Denkungsart, Kenntnisse, Bedürfnisse und besondern Umstände gewisser Leser vorträgt – und diesc8 ist augenscheinlich der Fall beyc9 den biblischen /cBüchern –:c\ ∥c10 erfordert nicht nur, wenn sie |c42| recht verstanden werden soll, Kenntniß der Sprache, worin sie abgefaßt ist, sondern auch historische Kenntnisse, und, wie jede Beschäftigung, wovon man sich oder Andern Rechenschaft geben soll, Regeln, wonach man in ihrer Anwendung verfährt, um den Sinn zu finden, und ihn Andern überzeugend mitzutheilen, so wie fleissigeac11 Uebung, nach diesen Regeln zu verfahren, um die nöthige Fertigkeit in der Erklärung zu erlangen.
Wie nothwendig es seyc2, gute Kenntnisse in Sprachen mitzubringen, ehe man zur Erklärung der heiligen Schrift schreiten will, /aunda\ in welchen /cSprachen? diesc\ ∥c3 ist schon oben gezeigt wordenc4 (/aTh. 1.a\ §. 113–120. §. 150 flgg.).c5 Wer sie nicht schon, wenigstens nothdürftig, mitbringtc6, wenn er sich auch der Anweisung eines Andern in wirklicher Erklärung der heiligena7 Schrift bedient, der wird ihm wohl nachsprechen lernen, wird al|b50|lenfalls die Gründe fassen, womit jener die Er|a336|klärung unterstützt; aber selbst /ceinc\ Ausleger wird er nie /cwerden, erc\ ∥c8 wird /cohnehin allesc\ ∥c9, wozu nicht bloßesa10 Nachdenken zureicht, bloß auf Creditc11 seines Vorgängers annehmen müssen; es seyc12 denn, daß er nun noch erst anfange, sich auf die bisher versäumten Sprachen mit einem Fleißc13 zu legen, der kaum zu erwarten ist, wenn man so lange dieses Sprachstudium ∥c14 anstehen laßenc15, und der Geschmack an andern unterhaltenderen Kenntnissen,a16 den Geschmack an jenem kaum noch aufkommen läßt. Setzt sein Lehrer ohnehin billig jene Kenntnisse und einige Fertigkeit in solchen Sprachen voraus, als etwas, das man schon auf Schulen sollte erworben haben, und hält sich nur beyc17 dem Schwerern, sonderlich in Absicht |c43| der in der Bibel vorkommenden Sachen, auf: so muß ein solcher versäumter Zuhörer vollends zurückbleiben, und das Studium der Bibel wird ihm eben dadurch verleidet werden, weil er, wegen Unwissenheit des Bekannten, nirgends fortkommen kanc18. – Worauf übrigens zu sehen seyc19, wenn man die heil. Schrift so fern verstehen lernen will, als sie durch Sprachkenntniß aufgeklärt wird, ist auch oben (/aTheil 1.a\ §. 77.–81ac20) bemerkt worden; das übrigec22 muß eine gute Hermenevtikc23 der heil. Schrift lehren.
Ein Schriftsteller, der, wie die biblischen, zunächst für seine Zeitgenossen und ∥c2 Nation schreibt, /ckan beyc\ ∥c3 Erzählungen und einem nach /cdieser Leserc\ ∥c4 Umständen ∥c5 eingerichteten Lehrvortrag, vieles als ihnen bekannt voraussetzen, dasa6 er bloß zu berühren braucht, oder worauf er anspielt, was sich aber mit der Zeit ändert, oder vergessen wird, oder /cdenc\ Lesern /cspätererc\ ∥c7 Zeiten und Ausländernc8 unbekannt ist. Die heiligen Schriftsteller beziehen sich, wie vorhin schon gesagt worden ist, sehr oft auf dergleichen zufällige Umstände, und der Ausleger kanc9 sie daher gar nicht ganz verstehen, oder sich in diese Umstände hinein denken, wenn er sich nicht eine möglichst genaue Kenntniß dieser historischen Umstände erworben hat.
Zu diesen historischen Kenntnissen gehört 1) die Kenntniß der alten Geographie, so weit sie |a338| in der heiligen Schrift vorkommende Sachen betriffta2. Diese müßtec3 sich 1) auf die Lage, die Beschaffenheit, die Abtheilung und das natürliche oder durch Revolutionen der Völker entstandnec4 Verhältniß der Oerter und Länder gegen einander erstrecken, und zwar nach verschiedenen Zeiten, /cwohineina5 c\ ∥c6 die biblischen Nachrichten gehören, welche Zeiten oft nicht genug /cpflegenc\ unterschieden zu werden ∥c7. Sie müßtec8 zugleich auch Kenntniß der natürlichen Producte dieser Oerter, nach den verschiedenen Naturreichen,a9 und der aus der natürlichen Beschaffenheit dieser Oerterc10 entstehenden Zufälle, als der Witterung, der Krankheiten u. d. gl. seync11. Eine solche Kenntniß würdec12 2) sehr ins Kleine gehnc13 müssen, und viele feine Bemerkungen erfordern, weil sich die heilige Schrift auf dergleichen sehr besondrec14 und kleine Umstände bezieht. Eben daher ist dieses Studium 3) mit großena15 Schwierigkeiten verknüpft, weil es sehr ausgebreitete und genaue Kenntnisse erfordert, weil es sich, wegen Ungewißheit der Sprache, und besonders der bestimmten Bedeutung der Namen und Wörter, |c45| wegen Entfernung der Zeiten und Oerter und Mangel der Nachrichten, sonderlich in Absicht auf Topographie, in großea16 Dunkelheit verliert, und weil man selbst erst durch eine fleißige Beschäftigung mit der Bibel lernen muß, was hier einer Untersuchung bedarf oder nicht.
/cNoch wichtiger wärenc\ ∥c2 2) die /cKenntnisse derjenigen Sachen, diec\ ∥c3 man gemeiniglich unter dem |a339| Namen der Alterthümerc4 begreift, wohin man allesc5 rechnen kanc6, was die Verfassung der Völker und ihrer verschiednenc7 Stände, nebst dem auf Convention beruhendem Verhältniß derselben gegen einander angeht, als Religions-c8 bürgerliche und militärische Verfassung, häusliches Leben, Handel und Gewerbe, Abhängigkeit und Bündnisse von und mit einander, und die beyc9 allem diesen eingeführtec10 Gewohnheiten. Ein wieder sehr weitläufiges und schweres Studium, weil es so mannichfaltige in der Bibel erwehntec11 Völker, aus sehr verschiedenen Zeiten, umfassen muß, deren Einrichtungen und Gewohnheiten, eben weil sie auf Willkührc12 beruheten, und sich darum auch leicht veränderten, zumal aus den ältern Zeiten, schwerer zu entdecken sind, als natürliche Einrichtungen, die in jedem Lande sich weit seltner ändern, und sich meistens bis auf unsre Zeit erhalten haben. Eben da|c46|durch wird das Eindringen in den Geist solcher Verfassungen und in die Ursachen derselben, die in dem Klima und den daraus entstehenden Bedürfnissen, in gewissen politischen Revolutionen, oft auch in der Begierde nachzuahmen, oder gar in einem bloßena13 Zufall, liegen können, erschwert, oder gar unmöglich gemacht, wenn auch derer mehr wären, als sie nichtc14 sind, die mit so vielfältiger Gelehrsamkeit und philosophischem Blick jene Ursachen und Ab|b54|sichten untersuchen, als Spencer, Goguet, /cMichaelis und Gatterer, beyc\ ∥c15 den Einrichtungen der Israeliten und einiger andern Völker versucht haben. Und doch hat diese philosophi|a340|sche Behandlung solcher Verfassungen und Einrichtungen ihren unentbehrlichen Nutzen, selbst beyc16 Erklärung der heiligen Schrift. Sie macht diese Einrichtungen begreiflich, hebt das Befremdliche derselben, und befestigt dadurch die Glaubwürdigkeit der Bibel. Sie zeigt die Weisheit Gottes und seiner Vorsehunga17 in Einführung gewisser Anstalten unter seinem Volk, die sich auf jene Verfassung und Gewohnheiten gründete, oder diese einführte, um dadurch wahre Religion, nach den Bedürfnissen solcher Menschen, zu befördern. Sie beschämt dadurch viele Vorwürfe gegen die heilige Schrift, und falsche Vorstellungen von ihrem Inhalt, die auf Unbekanntschaft mit diesen Einrichtungen, auf Unkunde ihrer Ursachen und Absichten, und auf einer übel angebrachten Philosophie, beruhen, welche, unerleuchtet durch das Licht der Geschichte, sich über den Kreis unsrerc18 Sitten und Verfassungen nicht /chinausdenken kanc\ ∥c19.
Dieses Eigenea2 der Völker und Personen, die in der heil.c3 Schrift erwähnta4 werden, an welche die biblischen Bücher gerichtet, oder von welchen sie verfertigt sind, richtete sich ohne Zweifel 3) nach ihrer Denkungsart, ∥c5 Kenntnissen und Meinungen, nach ihrem Charakter und ∥c6 Sit|b55|ten, und hatte umgekehrt wieder in diese einen nothwendigen /aEinfluß. Danacha\ ∥a7 bildeten sich auch ihre Künste und Wissenschaften, die wieder jene bildeten, ihnen ihre Richtung gaben, Einrichtungen und Gewohnheiten veranlaßten. Ganz |a341| vorzüglich nothwendig ist also auch diese Art von Kenntnissen, sowohl zu richtiger Erklärung der heiligen Schrift, als zur richtigerna8 Beurtheilung der darin vorkommenden Sachen, und des Werthes der Bibel selbst. Zu beydenc9 Absichten ist es unumgänglich nothwendig, sich in jene Art zu denken, in jene Meinungen, Sitten u. d. gl. zu versetzen;a10 sonst muß man offenbar den rechten Gesichtspunctc11 verfehlen, so gewiß wie man den Sinn verfehlt, wenn man ihn nach unserm, nicht nach dem biblischen Gebrauch, bestimmen will. Denn jeder Schriftsteller schreibt zunächst und eigentlich für seine Zeit, nach den Bedürfnissen, Fähigkeiten und Meinungen derer, an die er schreibt, nach seiner Denkungsart, ∥c12 Begriffen und ∥c13 Charakter; kanc14 /adann aucha\, wenn er wahr erzählen will, seine Personen anders nicht aufführen, als sie wirklich waren.
Es ist /afasta\ unglaublich, was die an sich sehr wahre Vorstellung von der Bibel, als einer Sammlung göttlicher Bücher, durch Mißverstand und eine höchst verkehrte Anwendung, für Schaden gestiftet hat; wie sehr man sich dadurch um den Nutzen, den man daraus schöpfen könnte, gebracht; wie sehr sie ∥c2 der Verachtung und |b56| Spöttereyenc3 ausgesetzt hat. Als göttliche Bücher sollen sie, sagt man, nicht wie irgend ein vernünftiges menschliches Buch, verstanden und gebraucht werden; Gott soll sie durchaus für alle Zeiten und Menschen, nicht zum Theil allein für |a342| die ersten Leser, haben aufzeichnen laßenac4; sie sollen aufhörenc5 allgemein nützlich zu seyn, und sollen zu Irrthümern verleiten, wenn man annähme, daß sich darin Sätze und Wörter befänden, welche auf damalige Meinungen oder gar Vorurtheile und Irrthümer gingen. – Alle diese Einbildungen entspringen 1) aus der üblena6 Gewohnheit, nicht Gott aus seinen Werken abzulernen, was gewiß das Beste gewesen seyn muß, sondern aus einer vorausgesetzten Idee, den Plan auszuspinnen, den Gott nach unsrer Meinung habe befolgen müssen, wenn er es hätte recht machen wollen;c7 eine Thorheit, von der und von deren Schaden uns schon die Wahrnehmung des wirklich Bösen in der Welt überzeugen könnte, das, nach unsrerc8 Voraussetzung, auch nicht in der Welt seyn sollte, und das wir so schwer mit Gottes allgemeiner Weisheit und Güte zu reimen wissen. 2) Man spanne denn beyc9 der Bibel den Begriff von einem göttlichen Buchc10 so hoch als man will – ihn hier zu bestimmenc11 ist der Ort nicht –: so muß er doch nicht den Augenschein gegen sich /ahaben. Denna\ ∥a12 gegen diesen kanc13 keine Theorie bestehnc14, und man treibt sonst Andrec15 noth|c49|wendig dahin, daß sie, zu Folge unsrerc16 falschen Begriffe von den Erfordernissen eines göttlichen Werks, der Bibel diese Ehre absprechen |b57| müssen, wenn sie gleichwohl darin das wahrnehmen, was man mit einem göttlichen Werke unverträglich hält. Der Augenschein zeigt es aber, daß Jesus und die heiligen Schriftsteller,a17 in unzählichen Stellen,ac18 Redensarten und Sätze brau|a343|chen, die sich auf menschliche, selbst irrige, Vorstellungen und Gewohnheiten dererjenigen gründen, mit welchen sie zu thun hatten, wie z. B. Hiob 1, 6 flgg.c19 Matth. 12, 43–45. vergl. mit Tob. 8, 3. Gal. 4, 24 f.c20 und die sie selbst in vielen Fällen brauchen mußten, wenn sie allgemeiner, aber, vor der Hand wenigstens, unschädlicher Volksglaube waren, wollten sie anders verstanden werden, ihre Glaubwürdigkeit nicht verdächtig machen, ihre Zuhörer oder Leser, nach deren Fähigkeiten und Bedürfnissen, überzeugen, oder ihnen etwas anschaulich darstellen. – Mindestens muß da, wo sie erzählen, oder, wie Matth. 12, 27.a21 und Luc. 24, 37–40c22, den Meinungen andrerc23 widersprechen, auch der eingenommenste Leser Anspielungen auf besondere menschliche Meinungen anerkennen, die denn doch von dem Ausleger verständlich gemacht werden müssen.
Und warum soll denn 3) allesc2, was in den biblischen Büchern vorkommt, für alle Leser geschrieben, warum schlechterdings allgemeinnützlich seyn? Kanc3 es je ein Buch geben, das diese Eigenschaft hätte, ohne alsdanna4 manchen Lesern entbehrlich, oder nicht unterhaltend genug zu seync5? Ists |b58| denn nicht oft wohlthätiger gegen Alle, Mannichfaltigkeit hinein zu bringen, und einen Theil des Inhalts für |c50| Alle oder /cManchec\ ∥c6, einen andern ∥c7 nur für Einige oder Andrec8 zu bestimmen, um Allen, nach ihrem Bedürfniß, Allesa9 zu wer|a344|den? Ists nicht in den heiligen Büchern wirklich so? Könnten Weissagungenc10 wohl für die ersten Leser, die jüdischen Geschlechtregisterac11 für uns, bestimmt /cseyn,c\ ∥c12 die mosaischen Gesetze /cAndre unter denc\ ∥c13 Christen, /calsc\ ∥c14 die /aGelehrten interessirena\ ∥a15? Wenn aber 4) in der heiligen Schrift nicht Allen Allesa16 gleich nützlich und verständlich seyn mußte:c17 so war es schon natürlicher, mehr für die ersten, als für die spätern Leser zu sorgen, sich also nach derenc18, auch noch ∥c19 rohen und selbst irrigen,c20 Begriffen ∥c21 zu richten. Eben dieses giebt einem Buchc22 den Charakter der Zeit, /cwoherc\ ∥c23 es ist, des Schriftstellers, der es geschrieben hat, der nächsten Bestimmung, wozu es aufgesetzt /cwurde; aufc\ ∥c24 diesen unverkennbaren Merkmalen beruht die Ueberzeugung, daß es avthentischc25 und glaubwürdig sey;ac26 und auf diese Ueberzeugung gründet sich alles /candre, diec\ ∥c28 also /cbey Gottc\ ein wichtigerer Zweck seyn /cmußtec\, als die Befriedigung unsrerc29 eigensüchtigen Forderungen.
Mit alle dem können 5) Bücher, die zunächst und hauptsächlich für die ersten Leser geschrieben sind, /aes kanc2 a\ ∥a3 selbst das, was in denselben auf besondrec4 Zeit- und Volksmeinungen geht, ∥a5 immer auch uns, in unsrerc6 Art, nützlich werden, /aso daß, wegen jenes nächsten eingeschränk|b59|ten Zwecks,a\ ∥a7 die Bücher selbst oder diese Theile derselben /akeineswegsa\ unsrec8 Geringschätzung oder Gleichgültigkeit verdienena9. Es ist doch wenigstens schätzbarer Beytragc10 zur Ge|a345|schichte des menschlichen Geistes und der Religion. Je mehr wir diese besondrec11 Vorstellungen studieren, die zu der Zeit herrschten, |c51| wo die biblischec12 Bücher geschrieben wurden, oder wo die darin enthaltnenc13 Begebenheiten und Reden vorfielen, und uns auch um anderweitige Spuren derselben bekümmern:a14 jec15 mehr wächst die Ueberzeugung von ihrem Alter, /cAechtheitc\ ∥c16 und Glaubwürdigkeit. Man lernt alsdanna17 auch tiefer in die weisen Anstalten Gottes zur Erziehung des menschlichen Geschlechtesc18 eindringen; öfnetc19 sich neue Quellen der Zufriedenheit mit den Wegen Gottes, der für jeden nach seinen Bedürfnissen sorgt, das Unvollkommnec20 allmählich reifen läßt, und auch das Schlechtere zu seinen guten Absichten zu wendena21 weiß; man lernt das Glück mehr schätzen, in aufgeklärtern Zeiten zu leben, und weitere, nähere Aufschlüsse zu haben, die ehemaligen Zeiten versagt, oder durch /aVorurtheile unda\ Irrthümer erschwert waren. Und liegt denn, beyc22 allem Eignenc23 gewisser Beyspielec24 in der heiligen Schrift, in allen,c25 nach den Umständen jener Zeiten und Völker,c26 eingekleideten Lehren,c27 nichts allgemein Lehrreiches für uns, das nur beyc28 jenen Menschen durch ihre Umstände eine nähere Bestimmung für sie bekam? das der Verständigere wie Gold aus den Schlacken zu schmelzen weiß? woraus er, wie aus allen Beobachtungen in der Welt, das Allgemeine herausziehen, |b60| und sich für seine besondrec29 Umstände nutzbar machen kanc30? Es seyc31 Paulus, oder Kephas, oder Apollos, oder die Welt – allesc32 ist unser! 1 Kor. 3, 22. – Aber 6) scheiden müssen wir es lernen, |a346| und eben darum das näher kennen lernen, was zu jenen Ort- und Zeitkenntnissen gehört, was Hülle und nicht Wesen ist, was Gott in der Bibel nach /abloßer Herablaßungc33a\ ∥a34, und was er nach strengster Wahrheit hat sagen laßenac35. Dafür muß es sowohl Regeln geben als für das Aechtec36 oder Unächtec37 in Lesearten, für den wahren oder falschen Sinn der heiligen Schrift; und alsdanna38 wird |c52| auch die Besorgniß wegfallen, daß man durch solche eingemischte Vorstellungen nothwendigc39 müßte auf Irrthümer geleitet werden.c40
Wenn man diese aus bloßema2 Mißverstande herrührende Vorurtheile von dem Nutzen der Bibel, der vermindert werden, und von dem Schaden, der ihrem richtigen Verstand und Anwendung drohen würde, beyc3 Seite setzt: so wird man sich bald überzeugen können, wie unumgänglich nothwendig es seyc4, sich, so viel man immer kanc5, ganz in die Lage /chinein zu denkenc\ ∥c6, welche die Bibel voraussetzt, und sich dazu die §. /a41. erwähntena\ ∥a7 Kenntnisse mit möglichstem Fleissec8 zu erwerben. Nur dadurch werden wir verhüten, – daß wir nicht nach dem Maaßstab unsrer, oder überhaupt späterer, Kenntnisse und Meinungen,c9 die in der heiligen Schrift liegenden,c10 abmessen, und dadurch |b61| uns den Gesichtspunctc11 verrücken, wonach wir allesc12 nehmen müssen, wenn wir von ihr lernen /cwollen –c\ ∥c13 nicht die darin liegenden Begriffe, wider die Wahrheit, ausdehnen oder einschrän|a347|ken, /c–c\ nicht Dinge darin suchen und finden, an welche die heiligen Schriftsteller oder die darin aufgeführten Personen nie haben denken /ckönnen –c\ ∥c14 nicht ihre Beweise falsch /cbeurtheilen –c\ ∥c15 oder eine Ordnung, oder einen Zusammenhang, oder Künste erdichten, wonach sie sollten verfahren haben,a16 /c–c\ kurz, nicht den wahren Sinn derselben verfehlen.
Nur dadurch würdec2 zugleich der falschen Beurtheilung und Anwendung der heiligen Schrift vorgebeugt, oder beydesc3 berichtigt werden. Denn nur durch die Kenntniß desjenigen, was in ihr jeder erwähntena4 Zeit, jedem Ort |c53| und jedesc5 Umständen gemäß ist, ergiebt sich die hohe Glaubwürdigkeit, das Alterthum und die Aechtheitc6 ihrer Bücher. – Nur dadurch entsteht wahre Ueberzeugung von der göttlichen Weisheit des darin gebrauchten Vortrags und der gemachten Anstalten, wenn beydesc7 gerade den jedesmaligen Umständen angemessen ist. Nur dann wird man den Characterac8 und die Handlungen der darin aufgestellten Personen richtig würdigen, ungegründete Kritiken darüber ablehnen, und unrichtige Nachahmung derselben verhindern können, wenn man sie nach der Lage kennt und nimmt, worin sie handelten,c9 und verfahren /ckonnten. Alsdanna10 c\ ∥c11 auch |b62| nur im Stande seyn, das, was von der Zeit und Lage herrührte, mit einemc12 Wort, das Zufällige,c13 von dem Wesentlichen, und beyc14 dem Vortrage |a348| der Bibel,c15 die den Zeitumständen und Bedürfnissen entsprechende Einkleidung von den Lehren selbst, beyc16 den aufgeführten Beyspielenc17 das ihnen Eigenthümliche von dem auch ∥c18 uns Lehrreichen,c19 abzusondern, und sie so wirklich unsern Bedürfnissen gemäß zu brauchenc20.
Da die verschiednenc2 Veränderungen der in der heiligen Schrift erwähntena3 Völker, oder vorzüglich merkwürdiger Personen unter ihnen, sehr viele Veränderungenc4 nicht nur der Länder selbst, sondern noch mehr der Denkungsart, der Sitten, der Verfassung und Einrichtungen unter ihnen und andernc5 nach sich gezogen haben: so ist schon deswegen 4) die Kenntniß ihrer Geschichte nothwendig, um diese letztrec6 Veränderungen, nebst ihren Ursachen und Absichten, einzusehen. Sie würde es schon an sich seyn, /cin so fernc\ ∥c7 ein großera8 Theil der Bibel theils diese wirkliche Geschichte, theils Anspielungen darauf, theils Weissagungenc9 enthält, |c54| die sonst schlechterdings das nöthige Licht nicht bekommen können. Für den Ausleger der Bibel gehört freylichc10 nur diese Kenntniß so weit, als sie zur Erklärung der Bibel nöthig ist,c11 aber eben dazu wird auch eine sehr oft in kleine und dunkle Umstände eindringende Kenntniß erfordert.
Viel trägt dazu 5) die Kenntniß der biblischen Zeitrechnung beyc2, die doch auch wieder das unentbehrliche Licht aus der Geschichte erhält. Sie hat hier nicht nur den Nutzen, wie in der Geschichte überhaupt, daß sie ihr Ordnung mittheilt, ihre Wahrheit befestigt, und den Geschichtsforscher auf den Zusammenhang der Begebenheiten, also zur kritischen und pragmatischen Behandlung der Geschichte, führt. Sie ist auch unentbehrlich, um den scheinbaren Widerspruch mancher Stellen der heiligen Schrift gegen einander und gegen die Zeitrechnung der auswärtigen Geschichte zu heben, der so oft zu Vorwürfen gegen sie gedient hat; um auf wahre oder vorgebliche Fehler in einigen Stellen des biblischen Textes und deren richtige Beurtheilung zu leiten; und selbst, um falsche Erklärungen zu verhüten,c3 oder zu entdecken, die sich auf eine unrichtig angenommene Zeitrechnung gründen, und durch Hülfe einer richtiger bestimmten Chronologie neues Licht über manche Schriftstellen auszubreiten.
Zur Erwerbung aller bisher erwähntena2 historischen Kenntnisse /cgehörte freylichc\ ∥c3, wenn sie /avon eignemc4 a\ ∥a5 Fleiß abhängen sollte, ein sehr sorgfältiges Studium sowohl der heiligen Schrift selbst, wo oft gering scheinende und kaum bemerkte Spuren zu wichtigen Entdeckungen führen können, als auch anderer altena6 Schriftsteller und Denkmahle, die uns irgend etwas davon aufbehalten /chaben. Und weilc\ ∥c7 auch in spätern morgenländischen Schriftstellern viele Ueberbleibsel dieser Art übrig sind, überhaupt aber sich alte Meinungen und Sitten, selbst aus den ältesten Zeiten, nirgends so lange und unverändert, als in den Morgenländern, erhalten haben: so ist das Nachforschen in solchen morgenländischen Schriftstellern und in genauen und von wirklichen Kennern herrührenden Reisebeschreibungen in jene Gegenden, von ungemeinem Nutzen. Viel ist auch bereits hierin von einigen |b65| gelehrten Männern, theils in besondern |a351| Werken über gewisse Arten dieser historischen Kenntnisse, theils beyc8 Erklärung der heiligen Schrift, geleistet worden, woran man sich, |c56| in Ermanglungc9 der nöthigen Hülfsmittel und Fähigkeiten, halten muß, von ihnen wenigstens schon vieles Vorgearbeitete, die dabeyc10 brauchbaren Quellen, und die rechte Artc11 sie zu benutzen, ablernen kanc12.
Aber,c2 wenn man sich nicht bloß auf die Benutzung des Vorgearbeiteten einschränken, höchstens, in Absicht der Quellen, bloß an Reisebeschreibungen halten will, deren Werth, zumal beyc3 einzelnena4 Nachrichten, nicht einmal gründlich beurtheilt, vielweniger vorsichtig und reichlich genug benutzt werden kanc5, ohne gründliche Kenntniß alter Sprachen und mehrerer Theile der alten und morgenländischen Geschichte: so hat dieses eigne Studium so viele Schwierigkeiten, und erfordert so viele zum Theil seltne Hülfsmittel, Kenntnisse, Geduld, Scharfsichtigkeit und Gabe, sich in fremde Lagen recht /chinein zu denkenc\ ∥c6, und aus einer Menge von Kleinigkeiten ein Ganzes /czusammen zu setzenc\ ∥c7, daß nur wenigec8 etwas Beträchtliches in diesem Fache leisten können. Ein Anfänger zumal muß sich mit den Vorarbeiten Andrerc9 begnügen; kanc10, aus Mangel der Zeit und der Hülfsmittel, auch diesc11 nicht einmal; |a352| |b66| würde sich wenigstens glücklich zu schätzen haben, wenn er auch nur das Nothwendigste in ein Handbuch zusammengetragen fände, was ihm zu einem allgemeinen Wegweiser beyc12 Erlangung dieser Kenntnisse vorläufig dienen könnte.
Ohne Zweifel ist dieses einigermaßena2 die Absicht beyc3 solchen Büchern oder Vorlesungen gewesen, die manc4 unter dem Namen der Einleitungc5 in das alte und neue Testament und der sogenannten Kirchengeschichte des alten Testaments, oder (der ältern) jüdischen Geschichte /chat, wennc\ ∥c6 sie ∥c7 allezeit und genugsam dieser Absicht entsprächen.c8 Allein bis jetzt schränken sich jene Einleitungen fast bloß auf die Geschichte der biblischen Bücher selbst und ihres Textes ein, und fügen allenfalls Einiges über die Verfassung einiger in der heiligena9 Schrift erwähntena10 Völker hinzu; /cwonachc\ ∥c11 solche Bücher, wenn sie nicht durch /cbesondrec\ neue Entdeckungen, und dieses doch mehr für den Gelehrtenc12 als für den Anfänger, wichtig werden, mehr nicht leisten, als was Ausleger ohnehin zur Einleitung beyc13 Erklärung einzelnera14 biblischen Bücher, oder andrec15 schon in Anweisungen zur Erklärung der heiligena16 Schrift, Ernesti z. B. in der Institut. interpretis N. T., oder die Verfasser der sogenannten hebräischen und christlichen Alterthümer, oder der Bücher über die biblische Kritik, gethan haben. Noch /ahaben wir kein in seiner Art vollständigesa\ ∥a17 |b67| Handbuch, |a353| wodurch man eine kurze, aber in ihrer Art /czweckmäßig-vollständige, Uebersicht zugleichc\ ∥c18 von der biblischen Geographie und Chronologie, der /cim Zusammenhangc\ mit der auswärtigen /cgebrachtenc\ Geschichte in /cder Bibelc\ ∥c19, und vornehmlich von der Denkungsart, den Kenntnissen, Meinungen, Sitten und ∥c20 Verfassung der Völker oder Gesellschaften, die in der heil.c21 Schrift vorkommen,c22 oder zum Grunde liegen, auch des ganzen Tons bekäme, der in der heil.c23 Schrift herrscht; gesetztc24 daß man auch nur das bisher darüber Entdeckte zusammentrüge, gut auswählte, |c58| und in eine gute Ordnung brächte. /a*)a\ So lange dieses nicht geschieht, muß sich der Anfänger an den Ausleger halten, dem er sich anvertraut, oder an diejenigen Hauptbücher, welche am besten einzelnea25 hier in Anschlag kommende Stücke aufgeklärt /ahaben. S. §. 49c26 in der Anmerkung.a\
Die sogenannte Kirchengeschichte des alten Testaments, die mit einer kritischen Geschichte der Bibel selbst nicht verwechselt werden muß, ist gewöhnlich die in einigen Zusammenhang gebrachte, und zum Theil mit der benach|b68|barten Völkergeschichte verbundene Geschichte der |a354| Juden und ihrer Vorfahren, bis auf Christi Geburt, und verdient mehr den Namen eines erläuterten Auszugs aus der Geschichte des alten Testamentesc2, ist mehr Sammlung von Erläuterungen schwerer historischenc3 Stellen des /cA. T.c\ ∥c4 die sich nur zu oft auf unnütze und in eine Volksgeschichte gar nicht gehörige Untersuchungen (über die redende Schlange in dem Paradiesc5, über Dudaim und Kikajon, das Begräbniß Mose /cu. d. gl.c\ ∥c6) erstrecken, als eine Handleitung zu dieser Geschichte selbst, wodurch diese, mit den Weissagungenc7 auch auswärtige Völker betreffend, aufgeklärt, pragmatisch gemacht, und das andern Stellen der Bibel oder der Profangeschichte Widersprechende gehoben werden könnte. In der That verdiente sie eine solche Be|c59|arbeitung, und würde sehr nützlich erweitert werden können, wenn sie zugleich als Geschichte der stufenweise erfolgten nähern göttlichen Offenbarung und des Volks Gottes, d. i. derjenigen Menschen, eingerichtet würde, welchen sie, bis zu ihrer letzten Vollendung, mitgetheiletc8 worden ist. Auf diese Art könnte sie die ganze biblische Geschichte A.c9 und /cN. T.c\ ∥c10 in sich fassen, und eine nützliche Vorbereitung auf die Lesung der heiligen Schrift selbst werden.
Um die bisher erwähntena2 philologischen und historischen Kenntnisse beyc3 Erklärung der heiligen |b69| Schrift recht zu brauchen, sind sowohlc4 gewisse |a355| Regeln,a5 /calsc\ ∥c6 eine Uebung nöthig, um nach diesen Regeln jene Kenntnisse zur Entdeckung und Mittheilungc7 des Sinnes der heiligen Schrift wohl anzuwendenc8 (§. 36).ac9 Der zusammenhängende Inbegriff jener Regeln, oder die Wissenschaft, welche eine Anweisung zur gründlichen Einsicht und Darstellung dieses Sinnes giebetc11, ist die biblische Hermenevtikc12.
In Würdigung dieser Wissenschaft muß man sich ∥c2 hüten, ihren Werth /cso wenig herunter zu setzenc\ ∥c3 als zu /cübertreibenc\ ∥c4. Regeln muß man einmal haben, wenn man beyc5 der heil.c6 Schrift mit eignenc7 Augen sehen, nicht |c60| willkürlich handeln, und sich in ähnlichen Fällen gleich bleiben will. Auch wenn man von dem besten Ausleger geleitet wird, der seine Erklärungen durch Gründe unterstützt, kanc8 man nicht einmal beurtheilen, mit welchem Recht er nach solchen Gründen verfahrea9, wenn man nicht vorher feste Regeln kennt, wonach man sein Verfahren beurtheilt; und wer sich sogleicha10 einen Wegweiser, den Sinn der heiligen Schrift zu finden, wählt, findet gemeiniglich diese Vorarbeit so bequem, daß er sich um das eignec11 Aufsuchen und die dazu nöthigen Regeln wenig bekümmert. Indessen könnte ∥a12 ein guter Kopf, dem es so wenig an obigen Kenntnissen als an Beobachtungsgeist fehlte, sich durch fleissigesc13 Studium der heiligen Schrift,ac14 selbst diese |b70| Regeln abziehnc15, und, wenn er sich an Philosophie |a356| gewöhnt hätte, selbst seine Beobachtungen verdeutlichen, und ∥c16 in allgemeine, bestimmte, und mit andern Grundsätzen zusammenhängende Sätze verwandeln. Auch versteht sichs /avon selbsta\, daß Regeln allein, ohne Genie, Sprach- und historische Kenntnisse und Uebung, keinen Ausleger bilden. Aber dieses alles /amit vorausgesetzta\ ∥a17, ist es, zumal für den Anfänger, sehr nützlich, einen wissenschaftlichen Unterricht über richtige Grundsätze zur Auslegung der heiligen Schrift zu erhalten.
Denn 1) jene vorausgesetztec2 Eigenschaften kanc3 man beyc4 den wenigstenc5 annehmen, die den Sinn der heiligen Schrift selbst finden /awollen. Mana\ ∥a6 müßte schon vorher /aeinea\ sehr gute Anweisung und Uebung in recht genauer Erklärung alter Schriftsteller gehabt haben, die allerdings die treflichstec7 Vorbereitung zur Auslegung der Bibel ∥a8, aber /adoch |c61| allein nicht zureichend,c9 ist, weil beyc10 dem Eigenthümlichen des Ausdrucks und der Denkart, die in diesen ganz morgenländischen Schriften der Bibel herrscht,a\ noch /azugleich andrec11 a\ ∥a12 Grundsätze erfordert /awerdena\, welche aus der Natur des biblischen Sprachgebrauchs und der eigenthümlichen Art ihres Vortrages /cmüssenc\ abgezogen werden ∥c13. 2) Auch alsdanna14, wenn sich jemand mit jenen Eigenschaften dem Studium der heiligen Schrift näherte, würde vielesc15 von den Grundsätzen oder Vorurtheilen abhän|b71|gen, die er mitbrächte. Sind diese falsch, so werden alle seine Beobachtungen eine falsche Richtung nehmen, eher zur Bestärkung seiner Irrthümer, als zu ihrer Berichtigung angewendet werden; sind sie aber auch wahr, nur nicht auf |a357| deutliche Gründe gebauet, so ist die ganze Art, wie er beyc16 der Auslegung verfährt, sehr unzuverläßigc17. Um beydesc18 zu verhüten, müßte er doch schon vorher, ehe er sich sichrec19 Regeln abziehen wolltea20, feste Grundsätze haben, die ihn beyc21 diesem Geschäfte leiteten. Eben diese soll die Hermenevtikc22 geben und klar machen, die uns schon dadurch großea23 Dienste leisten kanc24, daßa25 sie uns fürc26 schädlichen Vorurtheilen beyc27 der Auslegung bewahrt, oder sie ausrottet, ehe sie zu feste Wurzeln schlagen. /c3)c\ Und wenn nun vollends /cAndrec\ ∥c28 uns /cunsre Regeln oder derenc\ ∥c29 Gültigkeit /cableugnen:c\ ∥c30 so bleibt doch kein andrerc31 Weg übrig, sie zu überzeugen, als der, wo man die /cbestrittnen Regeln undc\ ∥c32 Grundsätze auf solche zurückführt, die auch der Gegner nicht /cableugnen kanc\ ∥c33, die sich also auf deutliche Begriffe von der Natur der Auslegung, der Sprachen überhaupt, und derjenigena34 Sprachen insbesondrec35, gründen, in welchen die heilige Schrift abgefaßt ist.c36 (z. B. ob und wieferna37 man die eigentliche Bedeutung der Wörter verlassen dürfe? ob und wiefern die hebräische |c62| Bedeutung der gutgriechischen vorzuziehen /cseyc\? wie die bestimmte Bedeutung derselben zu finden seyc38?) 4) Auf Manches wird man gar nicht einmal aufmerksam werden, um sich daraus Regeln zu ziehen, wenn man nicht vorher durch guten |b72| Unterricht daranc39 erinnert worden ist, oft z. B. nicht einmal an die Möglichkeit einer Erklärung denken, die gerade die richtigste seyn kanc40, oft an der Bedeutung der Wörter hängen bleiben, und sich daraus einen Sinn zusammensetzen, aber dar|a358|über den wahren Sinn ganzer Sätze verlieren. Ueberhaupt aber /c5) istc\ ∥c41 das eignec42 Auffinden richtiger und fester Regelnc43 eine so mühsame Beschäftigung, und die dazu nöthigen Eigenschaften (§. 54ac44) sind so selten beysammenc46, und erfordern so viele Kenntnisse, Scharfsinn und Fleiß in unendlich kleinen Dingen, daß der gewiß Dank und Aufmerksamkeit verdient, werc47 uns diese Beschäftigung durch Mittheilung erprobter Regeln erleichtert, und uns /cfür Ab-c\ ∥c48 und Nebenwegec49 bewahrt, wobeyc50 wir spät oder gar nicht zum Ziel kommen würden.
Wie schwer es überhaupt, und wie unmöglich es für den Anfänger seyc2, ohne diese Anweisung beyc3 der Bibel sicher fortzukommen, lehretc4 schon die Erwegungc5 der Kenntnisse, die beyc6 sichern Grundsätzen und Regeln zum Grunde liegen müssen. Denn die biblischen Bücher sind /c–c\ vernünftige Schriften, und in einer verständlichen Sprache abgefaßt – welche aber, wie jede Sprache, ihr Eignesc7 hat – und die heiligen Schriftsteller hatten eben so ihre eigenthümliche Denkart, Begriffe, und Art sich auszudrucken, wie sie sich in allen diesen auch nach ihren Lesern |b73| richten mußten. Daher beruhen die ∥c8 Grundsätze und |c63| Regeln beyc9 Erklärung der Bibel 1) auf der Natur des vernünftigen Denkens und der Sprache überhaupt, worüber die Logik Aufschluß geben muß ∥a10, und in so fern ist die bibli|a359|sche Hermenevtikc11 von der allgemeinen nicht verschieden; 2) auf der Natur der in der heiligen Schrift gebrauchten Grundsprachen;a12 und 3) auf der Kenntniß desjenigen, was die heiligen Schriftsteller und die Leser, für die sie zunächst schrieben, Eignesc13 hatten. Wenn auch das Erste leicht sollte zu erkennen seyn: so erfordert doch das Zweytec14 und Dritte, wie bisher gezeigt worden, sehr ausgebreitete und feine Kenntnisse, die um so schwerer zu erwerben, um so schwerer mit Ueberzeugung zu fassen sind, je größrec15 Vorurtheile von der ganz eignenc16 Art /cgöttlicherc\ ∥c17 Bücher sich hier in den Weg legenac18 (§. 42–44.).ac19
Zu der Bekanntschaft mit den Grundsätzen und Regeln der Auslegung heiliger Schriftc2 muß nothwendig noch Uebung in dieser Erklärung selbst kommenc3 (§. /a36c4 und 53).c5 a\ ∥a6 Denn 1) ohne diese sind die Regeln bald vergessen;a7 durch sie wird erst ihr Nutzen mehr klar, und die Ueberzeugung von ihrer Wahrheit anschaulich;a8 oder, wenn uns falsche oder unnütze Regeln sollten beygebrachtc9 seyn, so kanc10 uns die versuchte Anwendung der|b76|selben beyc11 der Erklärung selbst, bald belehren, ob jene unbrauchbar oder unrichtig, oder einer Einschränkung, und welcher? sie bedürftig sind. 2) Beyc12 dieser Uebung können wir immer mehrere Regeln entdecken, entweder so, daß wir selbst durch fleissigesac13 Studieren der Bibel darauf stoßena14, oder daß wir sie guten Auslegern, beyc15 Wahrnehmung der Art, wie sie verfahren, ablernen, und dadurch den hermenevtischenc16 Unterricht vervollständigen. 3) Nur erst durch die Uebung machen wir uns diese Grundsätze zu eigen, lernen selbst, aus eignerc17 Ueberzeugung, |a362| die heilige Schrift verstehen, und gewöhnen uns zum exegetischen Gefühl, das einem Ausleger so nöthig ist. Es kanc18 auch alsdann 4) beyc19 anhaltendem Fleiß nicht fehlen, daß wir nicht, indem wir die Schrift mit sich selbst und allen unsern anderweitigen Sprach- und historischen Kenntnissen vergleichen, Manches in derselben sollten besser, oder |c66| doch überzeugender verstehen lernen, was der Fleiß /cAndrer zurückgelaßena20 c\ ∥c21 oder verfehletc22 hat.
Zu diesen Uebungen /cgehören: –c\ ∥c2 der Gebrauch guter Vorlesungen über die heil.ac3 Schrift, wenn man Gelegenheit dazu /chat –c\ ∥c4 guter Ausleger, die sie in Schriften erklärt /chaben –c\ ∥c5 und ∥c6 eigene Versuche. Man thut wohl, wenn es seyn kanc7, sich erst richtige Grundsätze und Regeln der Auslegung bekannt zu machen (§. 55ac8), und alsdanna10 sogleich zu den Uebungen fortzuschreiten, |b77| oder letztere gleich mit dem Unterricht in der Hermenevtikc11 zu verbindenc12 (§. 57).ac13 Es ist auch rathsam, die gedachten Uebungen in der angegebenen Ordnung vorzunehmen.
Denn,c2 eben so,a3 wie die Hermenevtikc4 eine sehr nützliche Vorbereitung zum Studium der heiligen Schrift ist, so ist es viel besser, erst andrec5 gute Ausleger zu hören oder zu lesen, als schonc6 selbst Versuche in der Auslegung anstellen zu wol|a363|len. Jenes ist unstreitig leichter. – Beyc7 andern guten Auslegern kanc8 man eher mehr Bekanntschaft mit den Hülfsmitteln der Auslegung und den Entdeckungen Andrerc9, so wie mehr Uebung und Fertigkeit voraussetzen, als beyc10 dem Anfänger. – Dieser übersieht zu viel, ist entweder auf Manches nicht aufmerksam, oder bildet sich ein, Manches zu verstehena11, was er wirklich nicht versteht; durch Vergleichung der Ausleger lernt er erst, daß Manches ganz anders erklärt werden könnea12, Manches nicht so sicher seyac13, als er glaubte, und daß er auf Vieles Acht geben müssea15, woran er nicht dachte.
Eben so ist es besser, wenn /cman es haben kan, Vorlesungenc\ ∥c2 guter Ausleger zu benutzen, als gleich anfangs sich an Schriftenc3 der Ausleger, zumal an mehrere zugleich, zu halten. /cDenn, |a364| /aausser dema\ ∥a4 c\ ∥c5 daß der größte Theil der sogenannten Commentarien schlecht, oder unsern jetzigen Bedürfnissen /cund denc\ ∥c6 eines Anfängers nicht angemessen ist, /cundc\ dieser ∥c7 nicht immer die Ausleger kennt, welche für ihn die besten sind, oder sie nicht immer haben kanc8: so befördert schon der mündliche Vortrag mehr die Aufmerksamkeit; man kanc9 eher beyc10 dem Docenten weitern Unterricht über das einziehnc11, was man nicht verstanden, oder was uns nicht überzeugt hat; man erspart sich mehr Zeit und Mühe, und wird durch die Abweichungen der Ausleger von einander weniger /cverwirrt; derc\ ∥c12 mündliche Lehrer kanc13 seinen Vortrag mehr für das besondrec14 Bedürfniß der Zuhörer einrichten, die er vor sich hat; und, wenn der Docent Geschicklichkeit, Fleiß und Untersuchungsgeist genug /chat, kanc\ ∥c15 man von ihm eher erwarten, daß er das Beste, und selbst das Neueste, was über die Bibel geleistet wor|c68|den, benutzt, und |b79| selbst maches Gute entdeckt haben werde, was man in den Commentarien nicht antriftac16.
Vorlesungen und schriftliche Arbeiten über die heilige Schriftc2 sind entweder kürzer, und halten sich bloß beyc3 Vorstellung des Wortverstandes auf, oder sie sind weitläufiger, und zeigen entweder durch die Erklärung näher die Art, wie man die Bibel auslegen müsse, oder sie weisenc4 die Anwendung des gefundenen Verstandes zur Bestimmung desjenigen, was wir nach der heili|a365|gen Schrift zu glauben, oder zu thun, oder zu vermeiden haben. Die erstern nennt man cursorische Vorlesungen, oder Scholien; die letztern exegetische Vorlesungen, oder Commentarien.
In jenen müßtec2 der Verstand der heiligen Schrift deutlich dargestellt, durch eine möglichst genaue und treue Uebersetzung, und, wo diese nicht möglich, oder nicht zureichend ist, durch dergleichen Umschreibung ausgedruckta3; derselbe aus dem Sprachgebrauch der Bibel, und, wo mehrere Erklärungen möglich sind, aus andern Gründen zugleich einleuchtend gemacht;a4 es müßtenc5 die historischen Erläuterungen, wo sie nöthig sind, beygebrachtc6, die anscheinendec7 Widersprüche oder andrec8 Schwierigkeiten des Verstandes gehoben; merkwürdigere Lesearten, zumal wo sie den |b80| Sinn ändern, erwähnta9, geprüft, und die gewählte kurz gerechtfertigt; und, wo die Wahl unter mehrern Auslegungen schwerer ist, oder gewisse falsche Erklärungen sehr herrschend sind, und diese nicht schon durch richtige Vor|c69|legung des Sprachgebrauchs wegfallen, sie gegen einander gehalten,c10 und abgezogen werden, um den Vorzug des wahrscheinlichsten Sinnes zu zeigen. Auch könntenc11 noch einige Winke über die Anwendung wichtiger Stellenc12 und über den großena13 Werth der Bibel und ihrer Belehrungen hinzukommen. – So eingerichtet sind solche Erläuterun|a366|gen sehr nützlich, und haben – nach ihrem Zweck, den Sinn der heiligen Schrift aufzuklären – einen weit größerna14 Nutzen, als weitläufigere Commentarien. Man erspart sich dadurch mehr Zeit, /cmeistc\ ∥c15 unnütze Weitläufigkeit und Zerstreuung, der man in den letztern so sehr ausgesetzt /aist. Mana\ ∥a16 wird, beyc17 dem langsamen Eilen, mehr mit dem Ton, Inhalt und Geist der heiligen Schrift /abekannt. Mana\ ∥a18 bekommt eine schnellere und mehr /adem Geistea\ gegenwärtige bessere Uebersicht des Ganzen, zumal wenn man die ganze Bibel so durchgehen kanc19; dadurch zugleich eine treflichec20 Grundlage der ganzen Theologie; und hat, weil die meisten und besten Ausleger der Bibel in /adieser Art der Erklärunga\ ∥a21 gearbeitet haben, den Kern des Besten beysammenc22, was zur Erläuterung derselben gesagt worden ist.
/cWenn beyc\ ∥c2 den /cgemeiniglich sogenannten exegetischenc\ ∥c3 Vorlesungen und weitläufigern Commentarien (§. 61ac4) die /cAbsicht wärec\ ∥c6, die rechte Anwendung der hermenevtischenc7 Grundsätze und Regeln zu zeigen;c8 so müßteac9 diese deutlich genug gemacht werden, besonders durch Prüfung und |b82| Gegeneinanderhaltung verschiednerc11 Erklärungen. Nützlich genug würde dieses, zumal für den seyn, der sich nicht selbst zu helfen wüßte; aber doch sehr aufhalten,c12 und bald ermüden; man könnte sich daher mita13 Proben beyc14 einigen kürzern Büchern oder schwerern Stellen verschiednerc15 Arten begnügen. – Wolltec16 man aber, ohne doch die Untersuchung des Wortverstandes zu vernachläßigenc17, zum rechten Gebrauch der heiligen Schrift Anweisung geben;a18 so müßtec19 gezeigt werden, wiea20 die Beweise für Grundsätze des Glaubens und Lebens ungezwungen aus der vorgetragnenc21 Erklärung flössenac22, und diese /amüßtenc24 a\ mit andern klaren biblischen Lehren verglichen werden, um den Grund zu einer wahrhaftig biblischen Theologie zu legen. Es könntenc25 auch die in der heiligen Schrift entdeckten Sachen angewendet werden, falsche Vorstellungen zu beurtheilen, wennc26 sie in das Praktische einen Einfluß hättenc27, oder herrschend, und dadurch verführerisch wä|a368|renc28. Vornehmlich müßtec29 /amana\ an |c71| Beyspielenc30 /azeigena\ ∥a31, wie man die aus der Bibel geschöpften Kenntnisse recht praktisch, und zur eigentlichen Erbauung für uns anwendbar,c32 zu machen hättec33; und ∥c34 wie fruchtbar und lehrreich sowohl die historischen als die Lehrbücher der heiligen Schrift sind, um, beyc35 dem rechten Nachdenken darüber und /abeyc36 a\ sorgfältiger Zusammenhaltung der biblischen Belehrungen mit unsern Bedürfnissen, uns hinlänglich zur Gottseligkeit zu unterrichten. Diesc37 könnte zugleich eine recht gute Anweisung zu analytischen Predigten werden.
Nach den bisher angegebenen Eigenschaften biblischer Vorlesungen und /cErläuterungsschriften kanc\ ∥c2 man beurtheilen, ob und wie weit man sich einem solchen Führer anvertrauen könne. Je mehr er sich zur eigentlichen Untersuchung des Verstandesa3 hält, ohne sich beyc4 dem aufzuhalten, was keiner Erklärung bedarf, den Sinn nichts angeht, und zu dessen Aufklärung nichts thut; – je mehr |a369| |c72| er sich des /cbiblischen Sprachgebrauchsc\ ∥c5 kundig zeigt, und diesen, durch Hülfe genauer Kenntnisse der Grundsprachen und des feinern Parallelismus der Bibel, deutlich zu machen, und ihn bestimmt anzugeben weiß; – je mehr er sich, mit Hülfe wirklich /chistorischer Kenntnissec\ ∥c6, in die wahre Lage derer hinein zu denken versteht, mit und von welchen die heiligen Schriftsteller reden; – je mehr er /cselbst denktc\ ∥c7 und untersucht – und nichts zurückläßt, um seinen Lesern oder Zuhörern klare Begriffe von dem Verstande der Bibel, sonderlich beyc8 Erklärung uneigentlicher und der heili|b84|gen Schrift eigenthümlicher Ausdrücke,c9 zu geben; – je bescheidnerc10 er sich zeigt, vornemlichac11 in Rücksicht auf den verschiednenc12 Grad der Gewißheit des Sinnes: desto /csichrer kanc\ ∥c13 man ihn, obgleich mit steter Prüfung der von ihm angegebnenc14 Gründe, so weit sie uns möglich ist, folgen. – Und alles dieses Gute, die rechte Art der Schrifterklärung, ihm abzulernen, diesc15 muß eigentlich und weit mehr unser Bestreben seyn, als den jedesmaligen Sinn der einzelnena16 Stellen zu lernen;c17 weil wir uns ohne dieses Ablernen nie selbst zu guten Auslegern bilden.
Wenn man durch Hörenc2 oder /cLesen guter Auslegerc\ ∥c3 so weit gekommen ist, daß man theils die heilige Schrift, und deren Sprachgebrauch sowohl, als die nöthigsten historischen Kenntnisse zur Einsicht ihres Sinnes, überhaupt versteht, |a703[!]| theils solchen Auslegern die rechte Artc4 sie zu erklären, abgelernt hat: so schreite man zur eignenc5 Uebung fort, um sich selbst zur Entdeckung oder Anwendung des Sinnes der Bibel zu gewöhnen. Man kanc6 diese |c73| Uebungen vorc7 sich allein, oder, wenn man es haben kanc8, in Gesellschaft mit andern,c9 vornehmen. Letzteres ist sehr zu rathen, – weil es zum anhaltenden Fleiß und /cWetteiferungc\ ∥c10 ermuntert – weil man durch /candrerc\ ∥c11 Erinnerungen und Beyspielec12 mehr von der Einbildung, etwas zu verstehena13, was man nicht versteht, von Uebereilungen, seichten und ungegründeten Erklärungen und andern Fehlern,c14 zurückgebracht |b85| wird – und weil Andere uns auf Manches, den Sinn und dessen Bestätigung betreffend, helfen, woran wir nicht gedacht hatten. Am sichersten und nützlichsten wird man es unter Aufsicht eines guten Auslegers thun, der Abschweifungen von dem Zweck dieser Uebungen, und andrec15 diese Absicht zerstörende oder verhindernde Vorfälle,c16 verhüten, uns auf Vieles aufmerksam machen, auch Manches noch gelegentlich mittheilen kanc17.
Studiert man die Bibel, um immer mehr ihren wahren Verstand zu entdecken: so ist 1) vor allen Dingen nöthig, mit dem Schriftsteller recht vertraut zu werden, dessen Schrift man erklären will, und man thut daher sehr wohl, ehe man sich auf eine nähere Untersuchung des Sinnes eines Buchs einläßt, dieses hinter einan|a371|der durchzulesen, so ununterbrochen als man kanc2, und ohne sich mit einzelnena3 schweren Stellen oder Ausdrücken aufzuhalten, die man fürs Künftige anzeichnen mag; damit uns die ganze Absicht, der ganze Ton des Buchs, und die dem Schriftsteller eignec4 Art des Ausdrucks, geläufig werde, und aus frischer Lectürec5 recht gegenwärtig bleibe. Aus dem, was man darüber ehedem mit Aufmerksamkeit gehört oder gelesen hat, wird man schon so viel behalten haben, daß uns das, was |c74| zur allgemeinern Einsicht des Verstandes nothwendig ist, schwerlich entgehen wird. 2) Man zeichne sich dabeyc6 gleich beyc7 jeder Stelle /cdie Stel|b86|lenc\ (etwa am Rande seines Exemplars) ∥c8 an, die, in Gedanken oder Worten, jener ähnlich sind. 3) Wenn man beyc9 dem Lesen, wenigstens der eigentlich zusammenhängenden Bücher, wie die Briefe des neuen Testamentes sind, gefunden hat, was zusammen zu Einem Hauptgedanken gehört: so mache man sich einen kurzen Entwurf der Haupttheile des ganzen Buchs, um das Ganze hernach besser übersehen, und beyc10 Erklärungen einzelnera11 Stellen wissen zu können, wohin sie gehören, und nach welcher Absicht man sie erklären müsse.
Kommt mana2 nach allgemeiner Durchlesung eines biblischen Buchs,c3 4) auf einzelnea4 Stellen:c5 so suche man sich ja vornehmlich zu überzeugen, ob man wirklich die Stelle verstehe? Denna6 diesc7 bildet man sich gar zu leicht ein, – wenn man einen Ausdruck, oft bloß nach der Etymologie, eine Redensart nach ihren einzelnena8 Wörtern, übersetzen kanc9, – wenn uns gewisse Wörter und Formeln sonst geläufig sind; |a373| /a– odera\ ∥a10 wenn ein aufgefaßter Sinn möglich und denkbar scheint, und man nicht weiß, daß und was für andrec11 Bedeutungen eben derselbe Ausdruck hat,a12 – oder wenn man den eignenc13 Sprachgebrauch eines Schriftstellers nicht genau kennt.
Um zu verhütenc2 daß uns diese so schädliche falsche Einbildung nicht, ohne daß wir es selbst denken, verführe, muß man sich immer fragen: erstlich, kanc3 ich etwas deutlicheresac4, es seyc6 durch Uebersetzung, oder Paraphrase, oder Beschreibung, an dessen Stelle setzen? Kanc7 ich dieses nicht, so verstehe ich es gewiß nicht: kanc8 ich es |a374| aber, so folgt noch nicht, daß ich es verstehe; ich kanc9 wenigstens nicht gewiß seyn,a10 daß ich den Sinn getroffen habe; weil Mancher viel über eine Sache sagen kanc11, was gar ∥c12 zur Sache /cnichtc\ gehört;a13 weil es höchstens beweiset, daß jemand etwas beyc14 einem Ausdruck denkt, ohne daß er das dabeyc15 denkt, was der Schriftsteller damit sagen wollte; und weil ich den Sinn kanc16 errathen haben, ohne daß ich ihn mir oder Andern begreiflich machen kanc17. Ich muß also hernach Grund angeben können, warum ich es so verste|b89|hen müsse, d. i. zeigen, es schicke sich kein andrerc18 Sinn, oder doch keiner besser hieherc19, als der, den ich annehme,c20 und diesen muß ich zugleich schlechterdings aus der Sprache rechtfertigen können. Denn ein Sinn kanc21 zwar schicklich, aber nach der Sprache unmöglich, also gewiß nicht der seyn, den der Schriftsteller ausdruckena22 wollte; auch wird der Sinn weit gewisser, wenn er die Sprache vor sich hat, †)c23 bleibt hingegen immer etwas zweifelhaft, wenn er nach der Sprache unbegreiflich /cist ††). Nichtc\ ∥c24 zu gedenken, daß eine solche Aufklärung aus der Sprache noch den Vortheil gewährt, daß dadurch zugleich /aähnliche dunklea\ ∥a25 Ausdrücke aufgeklärt werden /ckönnen †††).a26 c\ ∥c27
/cHiedurch kanc\ ∥c2 man sich sehr deutlich von der Nichtigkeit mancher /callgemeinen sehr scheinbarenc\ ∥c3 Vorur|c78|theile überzeugen, /cfür die man nicht |a376| genug warnen kan, und wogegen sichc\ ∥c4 5) der angehende Ausleger der heiligen Schrift /cgleich Anfangsa5 c\ ∥c6 wohl verwahren muß. Es ist erstlich ein sehr thörichter Wahn, daß man die Bibel ohne alle Gelehrsamkeit verstehen, und ihren Sinn gleichsam aus ihr selbst entziffern /ckönne †).c\ ∥c7 Legt man dabeyc8 nicht einmal den Grundtext, sondern eine bloßea9 Uebersetzung, zum Grunde: so ist vorc10 sich klar, wie ungegründet diese Hoffnung seyc11, weil ja in der Uebersetzung der Sinn verfehlt seyn |b91| kanc12; oder in ihr Ausdrücke vorkommen können, die zweydeutigc13 sind, und zu falschen Nebenbegriffen verführen, welche im Original nicht liegen; manchesc14 sich auch in einer bloßena15 Uebersetzung gar nicht ausdruckena16 läßt; und alle Dunkelheit des Originals, die nicht bloß in den Idiotismen der Grundsprachen liegt, (als welche freylichc17 manchmal durch eine freyec18 Uebersetzung kanc19 gehoben werden,)c20 mit in die Uebersetzung übergeht. Hält man sich aber, wie billig, an den Grundtext: so ists ja eben so unmöglich, diesen in fremden und ausgestorbenen Sprachen aufgesetzten Text ohne gelehrte Hülfsmittel zu verstehen, als ohne diese die historischen Kenntnisse zu erlangen, die, wie oben gesagt /aista\, überall darin zum Grunde liegen; zumal, da diese Sprachen, selbst die griechische des neuen Testaments, so wie die Sprache fast eines jeden biblischen Schriftstellers, wieder ihr Eigenes haben, /cund sichc\ ∥c21 die ganze Sprachec22 der Bibel ∥c23 so sehr auf morgenländische und jüdische Begriffe, selbst auf Begriffe sehr roher Völker, bezieht, die nothwen|a377|dig von unsern ungleich weiterc24 aufgeklärten Begriffen sehr verschieden seyn müssen, und daher ein sehr sorgfältiges, sehr ins Kleine gehendec25 Studium der Geschichte erfordern.
Eben so falsch und unbestimmt ist daher zweytensc2 die Einbildung: man brauche sich nur immer an den Buchstaben zu halten, weil der leichteste Sinn, der sich gleich beyc3 dem Lesen darstellt, sicherlich der beste /csey †).c\ ∥c4 Man gesteht doch /aa)a\ selbst zu, daß sehr oft der sich zuerst darstellende Sinn ungereimt sey,c5 (wie z. B. in den Stellen, die Gott scheinen zur Ursach des Bösen zu /cmachen,) manc\ ∥c6 bekennt dadurcha7, daß die Regel trüglich sey;c8 ist /aalsoa\ nicht die Gefahr, durch diese Regel verführt zu werden, noch leichter, wenn der Sinn nicht ungereimt, aber dochc9 falsch, von den heiligen Schriftstellern erweislich nicht gemeint ist? Man kanc10 /ab)a\ nicht leugnenc11, daß die heiligen Schriftsteller, für uns wenigstens, sich hätten deutlicher ausdruckena12 können; also ist die Einfalt und Leichtigkeit des gefundnenc13 Sinnes kein Kennzeichen, daß er der wahre seyc14. Und wenn /ac)a\ in jeder Sprache etwas Charakteristisches liegt, weil jedes Volk seine Sprache nach seinen besondern Begriffen formt: so kanc15 unmöglich der wahre bestimmte Begriff, der mit solchen Aus|a378|drücken verknüpft ist, uns, die wir in unsrerc16 Sprache an andrec17 Begriffe gewöhnt sind, der leichteste oder gleich zuerst zu treffende seyn. Er muß also erst durch Kunst, d. i. durch den regelmäßigen Gebrauch |c80| mancher erst zu erwerbendenc18 Hülfsmittel, gefunden werden, daher er, weil diese Einsicht kunstmäßig erworben ist, von Unwissenden für gekünsteltac19 gezwungen, oder weit hergeholt |b93| gehalten, und deswegen verworfen wird, ohne zu bemerken, daß, je ungelehrter und unbekannter jemand mit dem Eignenc20 der Sprachen, der fremden Sitten, Denkungsart u. d. gl. ist, jec21 ungewöhnlicher ihm auch der richtigste Sinn scheinen müsse.
Eben dieses Eigene, das den Ungelehrten so sehr befremdet, recht kennen zu lernen, ist 6) – ausserc2 dem, was schon oben gesagt worden ist (§. 36ac3) – nichts unentbehrlicher, als die Bibel mit sich selbst zu vergleichen, um zu sehen, ob und wie die heiligen Schriftsteller sich selbst, entweder ausdrücklich, oder so erklären, daß man aus fleißiger Vergleichung einer Stelle mit andern, ihren Sinn abnehmen kanc5. Wo dieses ist, da geht man freylichc6 am sichersten, nur daß man nicht die philologischen und historischen Hülfsmittel vernachläßigec7 (§. 67–70).ac8 Ei|a379|nige Erinnerungen hierüber und Beyspielec10 sind schon oben /aTheil 1.a\ §. 77–80c11 gegeben worden, und die Hermenevtikc12 muß /cdas Mehrerec\ ∥c13 lehren.
Weil aber die christliche Religion, wie sie Jesus und seine Apostel vorgetragen haben, auf die jüdische gegründet, /aunda\ den damaligen Be|b94|griffen /ameist jüdischer oder aus dem |c81| Judenthum kommenden Leser, aucha\ angeschmiegt ist, ∥a2 die Ausdrücke aus dem alten Testamente entlehnt sind, und dadurch der Vortrag hebräisch-griechischa3 wordenc4 ist: so ist 7) nöthig, auch das alte Testament, dessen Uebersetzungen, besonders die alexandrinischec5, fleißig zu studieren, und sich sowohl das Eignec6 des Ausdrucks, als die Begriffe bekannt zu machen, die in dem alten Testamentc7 liegen, und ins neue übergegangen, nachgeahmt, oder nach der Lehre des Christenthums umgekleidet worden sind. S. /aTheil 1.a\ §. 162–64.c8
Ueberhaupt aber – um,c2 auf /ceiner Seite,c\ ∥c3 sich fürc4 allem Gekünstelten zu hüten, /cund,c\ ∥c5 auf der andern, die in der Bibel wirklich da liegenden Ideen, in der mehrern oder mindern Bestimmtheit zu finden, die ihnen die heiligen Schriftsteller gegeben haben, – lese man sie 8) mit dem einfältigen, unbefangnenc6 Kindersinn, der nur lernen will, was sich uns beyc7 aller angewendeten Aufmerksamkeit darstellen wird. Man |a380| gewöhne sich immer /cmehr –c\ ∥c8 alle unzeitig angebrachte Gelehrsamkeit, d. i. die nicht /azur Aufklärung dera\ ∥a9 Dunkelheit des Textes und /azur nothwendigena\ ∥a10 Ueberzeugung von ihrem wahren Sinn /aerfordert wirda\ ∥a11, – alles Hinschielen auf theologische Theorie, auf geheimnißvolle Mystik, auf philosophische Hypothesen, – alle Verschönerung der Bibel nach alter und neuer Aesthetik und Dialektikc12 – alle |b95| Sichtung und romanhafte Umkleidung der wirklich dac13 erzählten Geschichte, zu entfernen. Man nehme allesc14 für das, was es ist, und lese es als Briefe, als planlose, einfältige Erzählungena15, als Fragmente von übriggebliebnenc16 gelegentlichen Reden der göttlichen Gesandten, als fromme Ausbrüche des von Gotteswahrheit vollen Her|c82|zens, und reinige diese Antiquenc17 nicht von dem Rost, der sie eben zu so ehrwürdigen Antiquenc18 macht, glätte nicht das Rauhe, das sie als Denkmalea19 ihrer Zeit und ihres Volks tragen, oder vernichte nicht die natürliche Schönheit und die edle Einfalt, die dem unverdorbnenc20 Gefühl so sehr gefällt. Wer für alles Wahre, Gute und Schöne offen ist, es seyc21 von welcher Art es wolle, wird es gern annehmen, wo und wie er es findet.
Mit eben diesem Vorsatz, nur zu suchen, was man finden wird, und das Gefundnec2 so anzunehmen, wie man es gefunden hat, müßten auch die eignenc3 Uebungen /a(§. 58c4)a\ unternommen werden, wodurch man eine Fertigkeit erlangen will, |a381| die heilige Schrift zur Erbauung anzuwenden, d. i. ihren Inhalt sich und Andern recht nützlich zu machen. Besondere Regeln darüber zu gebenc5 ist hier der Ort so wenig, als zu besondern Regeln der Auslegung, die der /cHermenevtik müssen überlaßena6 c\ ∥c7 werden ∥c8. Vielleicht laßenac9 sich darüber gar nicht einmal bestimmte Regeln geben, weil hiebeyc10 so vieles auf das besondrec11 Be|b96|dürfniß eines jeden ankommt, nach dem die Anwendung sehr verschieden ausfallen muß; wenigstens sind der guten Muster dieser Anwendung, nach wirklich festen und wohlüberdachten Grundsätzen,a12 noch so wenig vorhanden, und eine eigentliche Theorie dieser Anwendung noch gar nicht, so höchst nutzbar sie auch zur Bildung eines christlichen Religionslehrers seyn würde. Hier also nur einige allgemeinere Erinnerungen über /cdiese Sachec\ ∥c13.
Wer sich ∥c2 in /cdieser rechtenc\ ∥c3 Anwendung ∥c4 üben wollte – und dieses wird auch hier am vortheilhaftesten auf die §. /a65c5 erwähntea\ ∥a6 Art geschehen können – der müßte 1) sich schlechterdings nicht /chiebeyc\ ∥c7 durch seinen /cbloßena8 guten Willen, Willkührc\ ∥c9 und Phantasie leiten laßenac10, sondern stets auf eine richtige Auslegung der heiligen Schrift bauen, und daher auf die Grundsätze, die oben berührt worden sind; sonst lernt er nicht würklichc11 aus der heiligen Schrift, und ist in Gefahr, Gedanken, die durch Lesen der Bibel allenfalls veranlaßt worden sind, mit |a382| den Belehrungen aus der Bibel selbst, zu verwechseln. 2) Er müßte daher nicht über seine besondrec12 Angelegenheiten die Bibel gleichsam als ein Orakel befragen, und finden wollen was er wünschte;c13 denn, was das Herz wünscht, glaubt der Verstand leicht auch gefunden zu haben, glaubt Manches zu sehen, woran die heiligen Schriftsteller nicht gedacht haben;c14 sondern er müßte, in Rücksicht auf sein |b97| Bedürfniß überhaupt, d. i. auf Belehrung zu seinem Trost und zu seiner Besserung, die heilige Schrift und deren Theile studieren, in festem Vetrauen auf Gott, er werde ihm, beyc15 wahrer Begierde,c16 sich belehren zu laßenac17, und /cbey angewendetenc\ ∥c18 gewissenhaften Gebrauch der rechten Hülfsmittel, gewiß das, und so viel /acaufstoßen laßenac\ ∥ac19, was und wie er es zu seinem Bedürfniß jedesmala21 brauchtc22 und tragen kanc23. Eben dieses gefühlte Bedürfniß macht gerade beyc24 Lesung eines Buchs auf das am aufmerksamsten, was man ∥c25 am meisten /cbrauchtc\ ∥c26.
Eben deswegen müßte er 3) sich, wenn er diese Absicht hat, weder beyc2 den Stellen aufhalten, die er nicht ver|c84|steht, noch beyc3 irgend einer Sache, die nicht zu der eben genannten allgemeinern Erbauung dient, sondern bloß Neugier oder vielmehr Vorwitz befriedigt; ∥c4 4) stets den großena5 Unterschied vor Augen behalten, zwischen seinen oder den Umständen derer, die er aus der heiligen Schrift erbauen will, und zwi|a383|schen den Umständen dererjenigen, an welche, oder für deren Bedürfniß,c6 zunächst die biblischen Bücher geschrieben sind, oder die in der heiligen Schrift als redend oder handelnd aufgeführt werden;a7 so wie den Unterschied der so sehr stufenweisea8 in der Bibel bekannt gemachten Offenbarung /cGottes;a9 und hienach müßte erc\ ∥c10 die Anwendung mit /cDiscretionc\ ∥c11 machen; auch deswegen 5) die Bücher der heiligen Schrift und die Theile derselben am |b98| meisten studieren, welche das Allgemeine, für jedermann Nutzbare, enthalten, oder für ihn und Andrec12, die er aus der Bibel belehren will, die deutlichsten, lehrreichsten und eindrücklichsten sind, ohne deswegen die andern ganz beyc13 Seite zu legen, aus welchen man, wie z. B. aus den historischen oder nach der Denkungsart damaliger Leser eingerichteten Stellen, nach der Analogie Lehrreiches genug herausziehen kanc14, oder worin der Gelehrtere Manches noch Lehrreichere für sich zu finden weiß, als in andern allgemeiner erbauenden Büchern /cund deren Stellenc\. Aus eben dieser Ursach müßte er sich 6) nicht an jedes Wort, Bild oder ∥c15 Gedanken in der Bibel halten – den Fall ausgenommen, wo dergleichen keine besondrec16 Beziehung auf damalige Leser und deren besondrec17 Umstände verräth, und wo es etwas für uns besonders Lehrreiches und Eindrückliches enthält – noch weniger /cganzec\ allgemeine Lehrsätze oder /cTheoriec\ ∥c18 darauf bauen; sondern mehr auf die Hauptvorstellung, welche in einer Stelle liegt, und auf das Verhältniß, in welchem dieses |c85| Einzelnea19 mit |a384| dem ganzen göttlichen Unterricht in der Bibel steht; und 7) nach dem, worauf ihn der Unterricht der Bibel aufmerksam gemacht hat, sich und alle Veränderungen, die er in der Welt wahrnimmt, fleißig beobachten, um einen Schatz von Erfahrungen zu sammlenc20, wodurch die Ueberzeugung von der Wahrheit und Nutzbarkeit der biblischen Belehrungen befestigt, und dieser biblische Unterricht immer mehr erweitert,c21 und fühlbarer gemacht werden kanc22.
In Absicht auf die Herleitung des christlichen Lehrbegriffsa2 aus der heiligen Schriftc3 müßte man nicht nur auf das sehen, was zur Erweiterung unsrerc4 Kenntnisse davon, und zu mehrerer Berichtigung, Bestätigung und näherer Bestimmung unsrerc5 Begriffe von demselben dienlich ist, sondern auch stets darüber nachdenken, wie fern er zu unsrerc6 wahren Beruhigung,c7 sowohl als zur Ueberzeugung von unsern Pflichten, und der rechten Art, sie auszuüben, auch zur kräftigsten Ermunterung dazu, irgend etwas /cbeytragen kan. – Beyc\ ∥c8 allen Uebungen aber, sie mögen die Entdeckung des Sinnes der heiligen Schrift oder ihre Anwendung betreffen, müssen wir stets gegenc9 immer weitere und bessere Belehrung offen, und sie anzunehmen willig bleiben, und daher auch Andrerc10 Bemühungen zu beyderleyc11 Zweck /caufs möglichste und unparteyischtea12 c\ ∥c13 zu benutzen suchen.
Vielleicht erwarteten manche Leser, in diesem Abschnitt über die rechte Art und Weise der Schriftauslegung, um so mehr Einiges über die durch Kant vorgeschlagene, und von Vielen allzuschnell ergriffene, ja selbst häufig mißverstandene moralische Interpretation, da der selige Nösselt sich selbt in einem eignen Programm bestimmt gegen sie erklärt hatte. Da er sie gleichwohl hier unberührt gelassen hat, so dürften folgende kurze Bemerkungen darüber nicht überflüssig seyn.
Kant – überall bemüht, sein System mit dem von ihm hochgeachteten christlichen System nicht nur der Moral, sondern auch der Dogmatik, in Harmonie zu bringen – versuchte in seiner „Religion innerhalb der Gränzen der bloßen Vernunft“ unter andern auch, manche Aussprüche der heiligen Schrift auf eine solche Art zu deuten, daß dadurch eine wenigstens scheinbare Harmonie mit seinen philosophischen Begriffen und Lehren entstünde. Da es auch scheinen könnte, als ob Manches in der Bibel den Aussprüchen der Vernunft, und selbst einer strengern Moral widerspräche, so stellte er den Satz auf, über dem grammatischen Interpreten stehe der moralische Schriftausleger bei jedem Buch, das für eine göttliche Offenbarung gelten solle. Es lasse sich a priori annehmen, daß eine Offenbarung nichts enthalten könne, was der Vernunft oder der Moral zuwider sei. Dieß sei ein unumstößliches Postulat. Wenn also auch der Philologe in einer Schriftstelle einen Sinn, den dieser Vorwurf treffe, finden sollte, so könne dieß in einer heiligen Schrift nicht der wahre Sinn seyn, und unter zwei möglichen Erklärungen müsse stets die, welche am |c87| meisten moralisch sei, vorgezogen werden. (Röm. 12, 20. würden also die Worte: „so wirst du feurige Kohlen auf sein Haupt sammeln“ schon darum richtiger von der Beschämung des großmüthig Behandelten, oder von der Wärme der Liebe, als „von dem Herabziehen der göttlichen Strafen“ erklärt werden, weil jenes ein reineres Motiv und eine edlere Handlungsweise bezeichne.)
Man that Kanten Unrecht, wenn man ihn hiernach als einen Verächter der gelehrten Schriftauslegung betrachtete. Er drückte sich nur, nach seiner Weise, etwas paradox aus. Auch wollte er ja nur da so verfahren wissen, wo man die Bibel zu praktisch-religiösen Zwecken benutzte. Darin that er nichts anders, als was so viele Kirchenväter, und besonders alle allegorischen Schriftausleger gethan hatten. Wo ihnen der buchstäbliche Sinn nicht fruchtbar, wohl gar anstößig erschien, da legten sie einen andern Sinn den Worten unter, vergeistigten gleichsam das zu Sinnliche, und ahmten hierin die ältern Weltweisen nach, die auch die alten Dichter auf diesem Wege praktisch zu benutzen, und verständlich zu machen suchten. (M. s. viele Beispiele bei Plutarch de audiendis poetis.)
Gleichwohl hat man eine solche moralische Schriftinterpretation eigentlich nicht nöthig. Sie führt doch nur zur Verwirrung, und kann nie ein festes Princip haben. Sie trägt in die Schriftstellen eigne Gedanken hinein. Sie ist höchstens erbauliche Anwendung, nicht Interpretation. Diese beruht allein auf Sprache, Logik und dem Historischen, sofern es den Sinn eines Autors erläutern kann.
Was man neuerlich auch von einer hievon noch verschiedenen religiösen Auslegung geäußert hat, scheint nichts |c88| anders, als den unbestrittenen Satz auszudrücken, daß, je mehr der Ausleger Geistesverwandter seines Schriftstellers sei, desto besser werde er ihn auch verstehen und fassen. – Wie eine dichterische Natur einen Dichter, so verstehe ein religiöses Gemüth einen religiösen Autor am besten. Soll etwas anders damit gesagt werden, so öffnet es aller Schwärmerei die Thür, und jeder Fanatiker kann sich dann – wie sie pflegen – anmaßen, am tiefsten in die Geheimnisse einer heiligen Schrift einzudringen, deren Sinn den Gelehrten verborgen sei. Vor einem solchen Princip wird uns der bessere Geist der Zeit bewahren, wie sehr auch das Zeitalter sich hier und da zur Geringschätzung der Vernunft hinneigen mag.c