Wenn wir einen Blick auf die Lehren werfen, die Jesus Christus und seine Apostel ausbreiteten, und auf die Lehrart, derc2 sie sich /cdabey bedienten:c\ ∥c3 so zeigt sich bald, daß sie das, was sie zu sagen hatten, immer gelegentlich und nach den Bedürfnissen ihrer jedesmaligen Zuhörer oder Leser vortrugen. – An Verständlichkeit konnte es diesem Vortrag damals nicht /cfehlen. Dennc\ ∥c4 sie richteten sich immer nach dem Sprachgebrauch derer, mit welchen sie redeten; sprachen mit dem Volke, als Volkec5, in Sentenzen und Bildern, die diesem vor Augen, oder geläufig waren; mit den Gelehrteren, nach ihrer Denk-c6 Beweis- und Sprachart. Blieb ja noch etwas dunkel, oder mußten sie, wegen Neuheit der Sachen, gewissen Ausdrücken neue Bedeutungen unterlegen: so gab der Zusammenhang, in dem sie sprachen, es gaben die Umstände, unter denen, und in Beziehung auf die sie redeten, den Ausdrücken die nöthige Deutlichkeit; und was dieser ja abgehen mochte,a7 das konnte man beyc8 diesen Lehrern selbst, man konnte es beyc9 ihren Schü|a449||b182|lern leicht erfragen. – Die Gewißheit von dem, was sie als Gottes Gesandten vortrugen, gründete sich, für den Anfang, zum Theil auf die Wunder, wodurch sie sich als solche gezeigt hatten, zum Theil, und /cbey allenc\ ∥c10, die sie einmal willig hören wollten, |c158| auf die Beruhigung und Besserung, als die ohnfehlbarenc11 Wirkungen, wodurch sich die göttliche Wahrheit ihrer Lehren beyc12 jedem rechtfertigte, der diesen /cLehren folgtec\ ∥c13 (Joh. 7, 17).c14 Daher führten sie auch weiter keine Beweise für ihre Wahrheit, als da, wo gewisse Vorurtheile, Zweifel, Lastera15 oder Unachtsamkeit und Leichtsinn ihrer Zuhörer eine nähere Ueberzeugung nöthig machten; alsdanna16 bezogen sie sich entweder auf Sätze der gesunden Vernunft, oder auf Stellen der heiligen Schrift, je nachdem es die Fähigkeit der Zuhörer zuließ, oder das Bedürfniß derselben erforderte.a17 – Uebrigens suchten sie /cnurc\ richtige Kenntnisse in der Religion zu gründen,c18 und eindrücklich zu machen. Die nähere Anwendung auf die jedesmaligen Angelegenheiten der Zuhörer mußten sie diesen selbst überlaßenac19, eben so wie das Fortbauen auf diesen gelegten Grund:c20 denn daß sie dieses Fortbauen voraussetzten und verlangten, läßt sich schon sowohl aus der Bestimmung des Christenthums für allerleyc21 Völker und für die künftigen Zeiten, als aus den Fähigkeiten des Menschen, immer vollkommnerc22 zu werden, schliessenc23, wenn sie auch nicht ausdrücklich darauf drängen (Matth. 13, 12. Kap. 25, 14 flgg.c24 1 Kor. 3, 11 flgg.c25 Eph. 4, 12 f. Ebr. 5, 11 f. etc.)
Was jene Stifter des Christenthums über die christlichen Lehren gesagt und geschrieben haben, ist auch für die folgenden Zeiten in den Büchern des neuen Testaments aufbehalten worden. In dieser spätern Zeit mußten sich, wie es die Sache mit sich bringt, nothwendig in der Erkenntniß der Christen großea2 Veränderungen ereignen, man mag auf die Verständlichkeit jenes Unterrichts Christi und |c159| seiner Apostel, oder auf die Gewißheit von den in der heiligen Schrift enthaltnenc3 Lehren, oder auf ihre Anwendung, oder auf die Erweiterung und Aufklärung dieser Erkenntniß sehen.
Nach dem Tode der Apostel und ihrer nächsten Schülerc2 traten immer weniger Judenc3 zum Christenthum /cüber;a4 c\ ∥c5 die /cmeistenc\ /aneuen Christena\ /cwarenc\ ∥c6 bisherige /cHeiden, undc\ ∥c7 des jüdischen und morgenländischen Sprachgebrauchs /aunkundig. Diea\ ∥a8 Kenntniß der Umstände, unter welchen jene Stifter geredet hatten, verlor sich; /aunda\ nachfragen konnte man beyc9 den ersten Lehrern nicht /amehr. Diea\ ∥a10 griechische Sprache littec11, wie alle Sprachen, in Dingen, die ihrer Natur nach nicht nothwendig sind, viele /aAbänderungen. Diea\ ∥a12 Begierde, was man in der Religion für wahr hielt, auch in der heiligen Schrift zu finden, verursachte, daß man einen ganz fremden Sinn /ahineintrug. Selbsta\ ∥a13 die |a451| Uebertragung der biblischen Ausdrücke und Be|b184|griffe in anderea14 Sprachen, und, wenn man auch nicht auf ungeschickte oder flüchtige Uebersetzer zu rechnen hätte, die Unmöglichkeit, biblische Ausdrücke ohne Mißverstand in fremde Sprachen zu übersetzen, machte,c15 die heilige Schrift zu verstehen,c16 schwerer, und die Verschiedenheit in der Auslegung nothwendig. – Auch die Art des von den Stiftern des Christenthums zu ihrer Zeit so weislich gebrauchten gelegentlichen und populären Vortragsc17 trug das Ihrige dazu beyc18. Der populäre Vortrag ist fasslicherac19 und eindrücklicher,c20 als der gelehrte, und beydesc21 zu |c160| werdenc22 war die Absicht jener Stifter; aber was er an jenen Eigenschaften gewinnt, verliert er an Bestimmtheit, und ist daher eine reichere Quelle des Mißverstandes. Was man gelegentlich sagt, das sagt man in Beziehung auf die Bedürfnisse der jedesmaligen /aZuhörer. Warena\ ∥a23 diese, oder die Absicht beyc24 ihrer Belehrung, verschieden, so erklärtena25 sich auch jene /cerste christlichec\ ∥c26 Lehrer über eben dieselbe Sache sehr verschieden; und so entstanden nothwendig scheinbare Widersprüche in der Bibel, die der Eine Leser so, der Andrec27 anders zu heben suchte, wobeyc28 dem Einen diese, dem Andern jene Behauptung der heiligen Schrift deutlicher oder wichtiger /cschien †).c\ ∥c29 So konnte es an einer großena30 Verschiedenheit der Vorstellungen von dem Sinn der heiligen Schrift nicht fehlen.
Die Gewißheit der christl.c2 Erkenntniß war einer ähnlichen Revolution ausgesetzt. Es ist recht, und sogar Pflicht, nach der uns möglichsten Gewißheit zu streben, weil von der Festigkeit der Ueberzeugung auch der Eifer, nützliche Wahrheit weiter auszubreiten, und die Willigkeit, ihr zu folgen, abhängt. Nach dem Abschiedc3 Christi und seiner nächsten Schülerc4 konnte man weder, wie zu ihrer Zeit, sie in der Verlegenheit befragen, noch Zeuge ihrer Wunder seyn. Man hatte freylichc5 ihre Lehren und Thaten in der heiligen Schrift; aber,c6 daß es ihre Schriften, daß diese durchaus in der Lehre unverfälscht /cwären, diesc\ ∥c7 forderte, wenn es zuverläßigc8 seyn sollte, Beweise, und das um so mehr, da es schon in den ältesten Zeiten Leute gab, die das |c161| Eine oder das Andere bezweifelten, oder selbst den Aposteln falsche Schriften unterschoben. War aber diese Aechtheitc9 ihrer Aussprüche auch gewiß genug: so konnte man doch mit Recht immer mehr Ueberzeugung von ihrer Wahrheit suchen, immer mehr eignec10 und fremde Erfahrungen von ihren heilsamen Wirkungen, und somit von ihrem göttlichen Werthe, sammlen;ac11 alle weitere Fortschritte in der Kritik, in Sprachen, in der Philosophie, in der Geschichte und andern Wissenschaften zur stärkern Ueberzeugung benutzen;a13 die christlichen Lehren mit andern Grundsätzen und Kenntnissen |a453| in eine immer nähere Uebereinstimmung bringen, um dadurch die sonst aufsteigenden oder von Andern |b186| erregte Zweifel zu entkräften. Und hätte man auch alles dieses nicht selbst bedurft: so wäre es um Andrerc14 willen nöthig gewesen, wenn man diese heilsamen Lehren, und richtige Begriffe oder Ueberzeugung von ihrer Wahrheit, mittheilen, und sie gegen falsche Vorstellungen oder Zweifel verwahren wollte.
Selbst beyc2 der Anwendung der christlichen Lehren auf sich selbst oder Andrec3 mußte manche Verlegenheit, mußten sehr verschiednec4 Meinungen eintreten. Ist dieses oder jenes (z. B. Matth. 19, 21. Apostelgesch. 15, 20 etc.) auch uns, oder ist es nur den damaligen Schülern Christi gesagt? und in jenem Fall, wie fernec5? Ist der mir vorkommende Fall eben der, auf den der oder jener biblische Ausspruch (/cz. E.c\ ∥c6 Matth. 6, 25. 1 Kor. 3, 19.) geht? und wenn mehrere solche Aussprüche, die doch einander nicht wirklich widersprechen können, nicht zugleich können in einerleyc7 Absicht wahr seyn (s. die Anmerk. zu §. 134ac8), wie fern ist jeder wahr? wie laßenac10 sie sich mit einander ver|c162|einigen? oder, wenn zweyc11 Gebote nicht zugleich können gehalten werden (z. B. Matth. 7, 6. und Kap. 10, 27c12), welches geht vor? oder, wie weit kanc13 man beydesc14 beobachten? – /cErweitertenc\ ∥c15 sich nunc16 vollends, mit fortgehender Zeit, allerleyc17 Arten der mensch|a454|lichen Kenntnisse und Wissenschaften, die entweder in eine Art von Widerspruch mit den biblischen Aussprüchen zu kommen, oder diese aufzuklären und zu bestätigen |b187| /cschienen; fing man anc\ ∥c18 mit eben dem Fleiß über diese Aussprüche, wie über die Sätze in andern Wissenschaften, /cnachzudenken – und diesc\ ∥c19 machte selbst der Widerspruch gegen manche, /cnebst den verschiednenc\ ∥c20 Vorstellungen von ihrem Sinn und ihrer Ausdehnung, /cnothwendig, wennc\ ∥c21 diese Aussprüche /cnichtc\ schon vorc22 sich einer solchen weitern Aufklärung werth /cgewesen wärenc\, die man nicht anderwärts her, als aus dem fleißigen Studium des Sprachgebrauchs der Bibel und aus klaren Sätzen der Vernunft, nehmen /ckonnte –: soc\ ∥c23 mußten sich ∥c24 auch die Kenntnisse vom Christenthum erweitern, noch mehr befestigen, und bestimmter und zusammenhängender werden. Wie endlich diese Masse von Kenntnissen immer mehr zunahm, eine Läuterung derselben zur Scheidung des Wahren und Falschen nöthig wurde, nach und nach Lehranstalten aufkamen, wo man, zumahlc25 angehenden Lehrern der Religion, eine allgemeinere Uebersicht des Ganzen geben, und diese mannichfaltigen Kenntnisse vom Christenthum durch ihren innern Zusammenhang, durch ausgesuchtere, bewährtere Beweise und die nöthigen Bestimmungen befestigen wollte: so entstand natürlich eine mehr /cwissenschaftliche Formc\ ∥c26 christlicher Kenntnisse.
/cHier haben wir denc\ ∥c2 Ursprung der systematischen Theologie, oder der Theologie, im Unterschiede von der Religionc3 (/aTheil 1.a\ §. 3c4 Anm. 2),c5 im eigentlichsten und engsten Verstande (/aTh. 2c6 a\ |b188| §. 1ac7), d. i. des zusammenhängenden Inbegrifsc9 gelehrter Kenntnisse von der Religion. Man könnte, wenn Religion, wie hier, von der christlichen genommen wird, diese Theologie durch eine Wissenschaft (oder den Inbegrifc10 der Wissenschaften) erklären, worin die in der heiligen Schrift zerstreuten Lehren erklärt, in einen ordentlichenc11 Zusammenhang gebracht, durch einander bestimmt und eingeschränkt, bestätigt, und weiter aufgeklärt werden.
Man darf nur auf die bisher beschriebnec2 Art Acht geben, wie systematische Theologie ent|a456|standen ist, und über die Natur derselben nachdenken, um sogleich überzeugt zu werden, wie nützlich es seyc3, daß man die christlichen Lehren in ein solches |b189| System gebracht habe. Wer sich einer christ|c164|lichen Kenntniß, und noch mehr einer Ueberzeugung von ihrer Wahrheit rühmen, oder sie anwenden will, muß doch 1) wenigstens sie verstehen. Dazu ist zwar die Kenntniß des biblischen Sprachgebrauchs unentbehrlich; aber, wenn dieser Gebrauch mehr als Einen Sinn zuläßt;a4 oder wenn ein Satz, den wir zu verstehen glauben, mit einem andern biblischen Satz nicht bestehen kanc5: so muß ich den Satz, von dessen Sinn die Frage ist, mit dem Zusammenhang, in dem er in der Bibel vorkommt, mit der Absicht des Schriftstellers, mit seinen anderweitigen Erklärungen, vergleichen, um zu finden, welcher Sinn, allein oder am meisten, damit übereinstimme; oder, scheinen zweyc6 biblische Sätze einander zu widersprechen, wie fern und in welchem Sinn jeder wahr seyc7, und mit dem andern bestehen könne. †)c8 Hier ist offenbar die versuchte Verbindung eines zweydeutigenc9 Satzes mit dem Zusammenhange, der Absicht des Schriftstellers und den Parallelstellen, oder mit andern eben so biblischen Sätzen, das Mittel, hinter dessen wahren Sinn zu kommen. Ja eben dieser Versuch, einen Zusammenhang zu finden, leitet michc10 oft auf die Entdeckung des wahren Sprachgebrauchs, indem er michc11 aufmerksam macht, anderweitigen Beyspielenc12 von dem Sprachgebrauch nachzuforschen, beyc13 dem |a457| /cichc\ allein denc14 Satz ∥c15 denkbar /cfinde ††).c\ ∥c16 Oft finde ichc17 auch beyc18 dem Sinn eines biblischen Satzes gar kein Bedenken, und /ckanc\ ∥c19 daher einen wirklich falschen Sinn für wahr annehmen, bis ichc20 ihn |b190| erst – wie eben in dem System geschieht – mit andern biblischen Sätzen zusammenstellec21, und dadurch von meinemc22 Irrthum in der Erklärung überzeugt, dadurch genöthigt werde, michc23 nach einenc24 richtigern Sinn umzusehen. Schon diesc25 ist also ein großera26 Vortheil, den /cmir diesesc\ ∥c27 Zusammenstellen und der Versuch, |c165| die biblischen Sätze in ein System zu bringen, gewährt, daß /cichc\ dadurch /cden wahrenc\ ∥c28 Sinn dieser Sätze /centdecken kanc\ ∥c29, ohne welchen alle /cmeinec\ Erkenntniß aus der Bibel keinen festen Grund haben würde.
Zur Ueberzeugung von der Wahrheit der biblischen Sätzec2 müssen uns zwar schon die Aussprüche der heiligen Schrift selbst zureichend seyn; aber die Gewißheit davon wächst doch noch mehr 2) dadurch, wenn wir sie mit andern Sätzen, die uns gewiß sind, in Verbindung bringen; es mögen diese andern Sätze biblische, oder anderwärtsher gewisse seyn. Denn, so wie diese Gewißheit der Sätze leidet, wenn wir sie nicht mit solchen andern zu reimen wissen: so wird sie befestigt, wenn sie aus diesen fließena3, |c167| oder diese ohne jene nicht bestehen /ckönnen †).c\ ∥c4 Indem ichc5 sie ferner mit andern Sätzen zusammenhaltec6, so /csehe ichc\ ∥c7 3) wie einer den andern bestimmt und einschränkt, fügec8 also im System diese Einschränkungen hinzu, und verhütec9 dadurch theils die Mißdeutung dieser Sätze, theils Zweifel und Vorwürfe gegen sie; wodurch Irrthümer abgeschnitten werden, und der richtige Verstand derselben sowohl wieder befördert, als die Gewißheit der Sätze aufs neue verstärkt /cwird ††).c\ ∥c10
Eben diese richtige und bedächtige Vergleichung der Lehren unter einander und die Bestimmung der einen durch die andrec2, zeigt auch 4) den verhältnißmäßigen Werth oder dergleichenc3 Entbehrlichkeit einer Lehre. Diese Würdigung kanc4 sehr viel /cbeytragenc\ ∥c5 zur Bestimmung, ob gewisse Lehren oder Vorstellungen /cauchc\ ∥c6 in den gemeinen Unterricht, /coder nurc\ ∥c7 für Gelehrterec8 gehören; ∥c9 zur Beruhigung /cunsrer selbstc\, wenn wir uns von gewissen Lehren nicht überzeugen, sie nicht so sehr, als wir es wünschten, uns aufklären, nicht alle Zweifel dagegen heben können; ∥c10 zur billigern Beurtheilung derer, die über gewisse Lehrenc11 anders denken als wir; ∥c12 zur Absonderung unnützer oder entbehrlicherer Untersuchungen. †)c13 Und wie viele neue Aufschlüsse gewährt 5) eine solche Vergleichung und Zusammenstellung?c14 die so viele Vorurtheile, Irrthümer und Zweifel verdrängen /akönnen.c15 Denna\ ∥a16 wodurch anders gelangen wir zu solchen erweiterten und mehr geläuterten Einsichten, als durch Vergleichung mehrerer Sätze, und ihrer Bestandtheile, mit einander? ††)c17
Alle diese Vortheile kanc2 die systematische Theologie, zur bessern Erkenntniß des Christenthums, leisten. Sie erleichtert aber auch das gründliche Studium der Religion, besonders angehenden Theologen. /aDenna\ 6) schona3 für den langsamen Kopf, und eben so sehr für jeden, der noch zu wenig Bekanntschaft mit der heiligen Schrift und deren rechtem Verstande, mit Philosophie, mit Geschichte der Lehre und den so vielfältigen Versuchen gelehrter Theologen, das Christenthum aufzuklären, noch zu wenig feste Grundsätze und Uebung im Denken, und /aina\ reifer, nüchterner Prüfung, hat, ist es ein großera4 Vortheil, wenn ihm Andrec5 darin mit Sammlung dessen, was am bewährtesten erfundena6 worden, mit eignerc7 Untersuchung, vorarbeiten, ihm durch ihr eigenes Beyspielc8 die rechte Art zeigen, wie er, aufs sicherste und überzeugendste, Untersuchungen über die Religion und das Christenthum anstellen müsse, ihn dadurch fürc9 Dünkel und zu rascher Entscheidung einerseits, und andererseitsa10 fürc11 Trägheit beyc12 dem einmal Gelernten, verwahren. 7) Er bekommt dadurch eine allgemeinere und geschwindere Uebersicht des Ganzen, an die er hernach viel leichter seine übrigen erlangten Kenntnisse und Untersuchungen knüpfen und ordnen kanc13. 8) Er wird durch ein wohleingerichtetes |b197| System von dem Leichtern zum Schwerern fortgeführt, oder doch, beyc14 der zusammenhängenden Stellung der Lehren, durch das Vorhergehende |a464| zu dem Nachfolgenden zubereitet. Er gewöhnt sich, durch einen solchen erläuternden und mit Beweisen unterstützten Commentar über die biblischen Lehren, gleich anfangs zu deutlichen und bestimmten Begriffen, die ihn gegen seichte Erkenntniß, Ausschweifungen der Phantasie, halbwahre Zweifel, und |c171| mehrere dergleichen Uebel, sichern. 9) Der stete Zusammenhang, verbunden mit solchen deutlichen Begriffen, gewährt einem Selbstdenkenden und nach gründlicher Kenntniß Durstenden ein großesa15 Vergnügen, macht ihm das Studium der Religion selbst interessanter, und befördert dadurch zugleich seinen Fleiß. Auch drückt sich 10) das, was man so imc16 Zusammenhang gebracht hat, viel tiefer ein, und setzt uns in den Stand, das leichter zu behalten, und sich /adessena\ eher wieder zu erinnern, als was man nur einzeln und stückweise gelernt hat.
Freylichc2 führt dieser systematische Vortrag des Christenthums auch manches Unbequeme mit sich, und veranlaßt oft genug Uebel, die der rechten Erkenntniß desselbena3 nachtheilig werden. – Die Bequemlichkeit, die er verschafft, und das Vertrauen auf Andrerc4 Vorarbeit, verleitet sehr leicht zur Trägheit, hemmt den Trieb zu eignerc5 Untersuchung, und zieht blinde Anhänglichkeit an |b198| dem System nach sich. – Nur zu oft wird darüber das Schöpfen aus der Quelle, das Studium der heiligen Schrift, vernachläßigtc6; man be|a465|gnügt sich mit Beweisen aus der Natur der Sache und aus dem Zusammenhang der Lehren, und, anstatt das System nach der heiligen Schrift zu bilden, trägt man aus jenem den Sinn in diese hinein; wenigstens hindert die stete Rücksicht auf das System, wogegen man nicht verstoßena7 will, das recht unbefangnec8 Forschen in der Bibel. – Und da man in dem System, nebst den christlichen Lehren, auch menschliche Vorstellungen davon vorträgt: so wird man gar leicht verführt, einerleyc9 Gewißheit und Wichtigkeit diesen wie jenen beyzulegen,c10 und dies verursacht wieder den Schaden, daß die oft gerechten Zweifel gegen solche |c172| menschliche Begriffe, zur Bestreitung der christlichen Lehren selbst gebraucht werden. – Endlich scheint dabeyc11 die Fruchtbarkeit und das eigentlich Praktische der Religion, nebst der Anwendung des Christenthums auf unsrec12 Besserung und Beruhigung, zu leiden. Denn je mehr Fleiß auf die Speculation verwendet wird, jec13 mehr wird gemeiniglich die Anwendung, und, über dem Streben nach Deutlichkeit und Gewißheit, die Beförderung des Eindrucks, den die Lehren machen sollten, vergessen. Und, weil die Untersuchungen in dem System durch Streitigkeiten über einzelnea14 Lehren und durch die Umstände der Zeit, wo sie für nothwendig befunden wurden, veranlaßt worden sind: so sind viele, zum Theil wichtigere, Untersuchungen ganz versäumt, viel Un|b199|nützes, wenigstens für uns Entbehrliches, in das System getragen, auf Vieles ein Gewicht gelegt worden, was ihm nur die Zeitumstände |a466| und Leidenschaften der Menschen gaben, und das Christenthum ist durch die Ideen gewisser Schulen, Völker und Zeiten so verstelltc15, der Vortrag so dürre, und durch den Gebrauch der Schulausdrücke so unverständlich wordenc16, daß man oft Mühe hat, die einfältige Lehre Christi darin wieder zu finden.
Alles dieses ist wahr;c2 ob es gleich von den Feinden der systematischen Lehrart und eines besondern Systems selbst, sehr übertrieben, und zu gar zu einseitiger Beurtheilung derselben angewendet wird. – Billig fordern solche Gegner, daß sie gehört, daß die Fehler gebessert werden, die dieser Lehrart und einem besondern System ankleben. Aber eben so gerecht ist die Forderung, die großena3 Vortheile dieser Lehrart nicht zu verleugnenc4, die vorhin dargestellt wurden, und das nicht zu verkennen, was selbst die syste|c173|matische Behandlung der christlichen Lehren zur Beförderung desjenigen /cbeytragen kanc\ ∥c5, wovon man sich einbildet, daß es durch diese Behandlung verhindert /cwerde †). Jac\ ∥c6 diese Forderung ist beyc7 einzelnena8 Systemen um so gerechter, je mehr man wahrnimmt, daß die Meisten, welche sie so schnell verurtheilen, sich nicht einmal die Mühe gegeben haben, den wahren Sinn gewisser Vorstellungen und die Einschränkungen zu studierenc9, mit |b200| welchen man sie in dem System /cbehauptet ††);a10 c\ ∥c11 als wozu eine viel ausgebreitetere Belesenheit, |a467| eine weit größerea12 Biegsamkeit der Seele, um sich in Andrerc13 Vorstellungen hineinzudenken, mehr bedachtsame Prüfung und weit mehr historische, philologische und philosophische Kenntnisse gehören, als diese zu raschen Richter verrathen. †††)c14
Freylichc2 sind alle menschliche Werke unvollkommen, und die besten Unternehmungen dem Mißbrauch ausgesetzt: soll man aber deswegen lieber nichts versuchen, weil es doch immer nur Stückwerk seyn wird? Odera3 haben die Gegner der systematischen Theologie nicht auch schon einmal ihre Parteyac4 genommen, ohne die Sachen aufsc6 Neue nach der heiligen Schrift zu untersuchen? Habena7 sie nicht auch Ihrc8 System, das sie oft in die heilige Schrift hineintragen? Unda9, wenn die Natur eines Systems zu gewissen besondern Fehlern leicht verführt,c10 giebts nicht wieder andrec11 gleich schädliche Fehler, in die man um so eher verfällt, je weniger man gewisse Sätze im System versteht? verworrnec12 Begriffe z. B. |b203| und daher entstehende Zweydeutigkeitc13, falsche damit einschleichende Nebenvorstellungen, Widersprüche, welchen man die Lehren aussetzt /au. d. gl.a\ ∥a14 – /cUnd jenenc\ ∥c15 Fehlern des Systems, nebst dessen zufälligem Mißbrauch läßt sich doch abhelfen, wenn man /cfolgendec\ ∥c16 Regeln nicht aus den Augen läßt:c17
Zuerst /cmüßte man überall beyc\ ∥c2 einem christlichen System ∥c3 die heilige Schrift zum Grunde ∥c4 legen. Es kommt aber dabeyc5 so viel auf die Art an, wie dieses geschieht, und es werden dabeyc6 so manche unerkannte Fehler begangen, so manche Sätze und Beweise für biblisch ausgegeben, die nichts weniger als biblisch sind, daß es sehr der Mühe werth ist, diesen rechten Gebrauch der heiligen Schrift,c7 zu dieser Absicht etwas bestimmter anzugeben. /cHier müßtec\ ∥c8 1) zuvörderst ausgemacht seyn, ob das zur heiligen Schrift, wie sie hier gebraucht werden soll, gehöre, was man dahin rechnet. Denn es versteht sich a) von selbst, wenn eine Leseart unsrerc9 gedruckten Bi|b204|beln falsch oder unsicher, und eine Stelle unächtc10 ist, daß man darauf auch im System nichts bauen /cdürfe †)c\ ∥c11 (§. 24).ac12 b) Eben so viel aber, und noch weit mehr, kommt darauf an, daß man überzeugt seyc14, was in der heiligen Schrift als Quelle der Belehrung für Christen angesehen werden müsse. Denn wenn man /aerwegtc15: –a\ ∥a16 daß Gott seine in der heiligen Schrift enthaltnenc17 nähern Offenbarungen nach und nach und immer stufenweisea18 deutlicher bekannt gemacht habe; /a–a\ daß Jesus und seine |a471| Apostel selbstc19 theils von den Offenbarungen im alten Testamentc20 als von einem noch /cunvollkommnen Unterichta21 c\ ∥c22 sprechen, theils ganz /candre Gesinungena23 c\ ∥c24 von Christen fordern, als sich zu den Zeiten des alten Testaments fanden (Luc. 9, 54–56. Joh. 1, 17. Gal. 3, 23–25. K. 4, 9 f. Ebr. 8, 6. 12, 18–24); – daß das alte Testament doch eigentlich für Israeliten, als ein besondresc25 Volk Gottes, bestimmt war, und augenscheinlich nach israelitischen Nationalumständen und Bedürfnissen eingerichtet /cista26 ††);c\ ∥c27 /a–a\ daß hingegen die eigentliche Belehrung für Christi Schü|c177|ler in dem Unterricht ihres Stifters und Herrn und seiner unmittelbaren Schüler gesucht werden müsse, und diese Reden in den Schriften des neuen Testamentes vorkommen: so kanc28 der großea29 Unterschied zwischen den Büchern ∥a30 neuen und alten Testamentes, als einer Quellec31 und als eines für Christen unmittelbar verbindlichen Unterrichts, nicht geleugnetc32 werden.
Nur aus den Zeugnissen der ältern jüdischen und christlichen Kirche ∥c2 wissen /cwir alleinc\, |a472| welche Bücher von solchen Männern herrühren, die, als göttliche Gesandtenc3, die Lehren der göttlichen Offenbarung im alten und neuen Testament zuerst bekannt gemacht /chaben; und inc\ ∥c4 dieser zwiefachen Kirche hat es /cunleugbar verschiednec\ ∥c5 Meinungen über das göttliche Ansehen einzelnera6 Bücher gegeben, aus welchen man die erste Kenntniß jener Lehrea7 schöpfen könne, ohne daß man jemanden, der darüber anders als Andrec8 dachte, des Namens eines Juden oder Christen unwürdig gehalten hätte, – zumahlc9 da nie ein göttlichesa10 Zeugniß diese Frage entschieden hat. So gewiß es auch ist, daß einige Bücher der heiligen Schrift (als die Bücher Mosis, die Evangelien, und manche Briefe des neuen Testaments) in der Absicht geschrieben worden sind, die Lehren der den Juden und Christen mitgetheilten göttlichen Offenbarung zuerst schriftlich bekannt zu machen,c11 und für die Nachwelt zu erhalten: so wenig läßt sichsc12 doch von andern, zumahlc13 historischen, bewei|c178|sen, die aber deswegen immer glaubwürdig sind, auch in |b206| einzelnena14 Stellen solche Lehren enthalten, und, wenn sie auch nicht eigentlich in jener Absicht geschrieben sindc15, doch von Gott als ein Mittel gebraucht werden konnten, die Aufschlüsse, die er den Menschen über die Religion geben wollte, auszubreiten und fortzupflanzen. Da aber viele dieser Bücherc16 oder die darin erzählten Reden der göttlichen Gesandten, an gewisse besondrec17 Arten von Lesern oder Zuhörern gerichtet, und nach deren besondern Fähigkeiten, |a473| Kenntnissen und Bedürfnissen vorgetragen, folglich, nur denc18 Inhalt nach, auch für andrec19 Arten von Lesern, hingegen, der Einkleidung nach, oft nur für die damaligen Leser oder Zuhörer bestimmt sind: so läßt sich hieraus, so wie aus dem Uebrigen vorher Gesagten, schließena20, daß weder alle Bücher der heiligen Schrift, noch alle Stellen derselben, noch vielwenigera21 alle Worte, geradezu als ein Grund angesehen werden können, worauf sich die ungezweifelte Erkenntniß des Christenthums bauen läßt. ∥c22
Wenn ausgemacht ist, daß etwas in dem §. /c145a2 angegebnenc\ ∥c3 Sinn zur heiligen Schrift gehöre: so tritt die 2tec4 Hauptfrage (§. 145ac5) ein: wie nun die Kenntniß der Lehren aus der heiligen Schrift zu schöpfen /csey? Diesc\ ∥c7 gründet sich auf die richtige Erklärung der heiligen Schrift, und diese lediglich auf ihren erweislichen Sprachgebrauch. Man kanc8 daher das früh|a474|zeitige Studium der Bibel und ihres Sprachgebrauchs nicht genug empfehlen, um so mehr, als sonst auch das unbefangenste Gemüth durch einen bereits empfangenen systematischen Unterricht gar zu leicht verstimmt und verleitet werden kanc9, gewisse Lehren in der Bibel zu suchen, anstatt sie, ohne Rücksicht auf ein vorgefaßtes System, so aus der Bibel anzunehmen, wie man sie darin findet. Was über das Auffinden des wahren biblischen Sprachgebrauchs zu sagen wäre, ist überhaupt schon oben beyc10 der exegetischen Theologie angegeben. Hier nur einige Anmerkungen über die Auffindung des christlichen Lehrbegriffs in der Bibel, und einige dabeyc11 gar zu oft übersehene Fehler.
Da sich die heilige Schrift so oft über unsichtbare und geistige Sachen sinnlich ausdruckta2, so /cwäre I)c\ ∥c3 vor allen Dingen zu untersuchen, ob die Wörterc4 und Redensartenc5, worauf man bauen will, eigentlich oder uneigentlich zu nehmen /awärenc6. |b209| Denna\ ∥a7 wärec8 das Letztrec9, so würde man, wenn man sie eigentlich nähme, Sätze der heiligen Schrift beylegenc10, die gar nicht darin behauptet wären, /cund wäre das Erstere,c\ ∥c11 Sätze übersehen, die sie wirklich hätte lehren wollen. Sehr oft läßt sich diesc12 gleich unterscheiden, wenn entweder die Natur der Sache die eigentliche Bedeutung nicht /czuläßt †),c\ ∥c13 oder durch beystehendec14 Anzeigen ††)c15 oder Anspielungen †††)c16 zu |c181| erkennen gegeben wird, ob es eigentlich oder uneigentlich gemeint seyc17. Giebt aber beyderleyc18 Bedeutung einen denkbaren Sinn:c19 so muß der Vorzug des einen vor dem andern entschieden |a476| werden, nach der eignenc20 Erklärung der heiligen Schrift in der Stelle selbst und in ihrem /cZusammenhang *),c\ ∥c21 oder in offenbar ähnlichen /cStellen **),c\ ∥c22 oder nach dem Zweck eines /cAusspruchs ***),c\ ∥c23 oder nach dem Sinn des Wortes in ähnlichen Verbindungen, und dem beyc24 den letztern üblichen eigenthümlichen Sprachgebrauch der heiligen Schriftsteller. ****)c25
/cUndc\ ∥c2 nun denc3 Sinn solcher uneigentlichen Ausdrücke.c4 Dieser ist oft schon mitgefunden, |b212| wenn man den Grund gefunden hat, warum ein Ausdruck uneigentlich zu nehmen seyc5, wenigstens in den Fällen, wo man dieses Letztrec6 aus den eignenc7 Erklärungen der heiligen Schriftsteller, aus dem Zusammenhang oder der Absicht eines Satzes, oder aus dem uns bekannten jüdischen Gebrauch, erkannt hat. Ueberhaupt aber darf man nur immer /caufc\ die eignenc8 Erklärungen der heiligen /cSchriftsteller †), und,c\ ∥c9 wo die nicht gleich dabeyc10, oder im Zusammenhang sich finden, auf ähnliche /cStellen ††)c\ ∥c11 Acht haben. Schwerlich wird sich irgend ein tropischer Ausdruck finden, der die christliche Lehre angeht, welchen man nicht auf diese Art aus der Bibel selbst könnte verstehen lernen. Indessen haben manche solchec12 uneigentliche Ausdrücke verschiednec13 Bedeutungen, aus welchen man das herausziehen muß, was sie mit einander gemein haben. †††)c14 Hat man einmal einen Tropen verstehen gelernt:c15 so kanc16 man da|a479|nach /cähnliche *),c\ ∥c17 und eben so die mit ihm in einer Stelle verbundenen, erklären.
Hiernächst (§. 148.a2) müßtenc3 wir uns II)c4 sowohl beyc5 diesen uneigentlichen als überhaupt beyc6 allen Begriffen und Sätzen der heiligen /cSchrift diesc\ ∥c7 zur allgemeinen Regel machen, niemals einen Begriff unterzulegen, er seyc8 an sich so wahr, oder unserm, gemeinen oder gelehrten, Sprachgebrauch so gemäß, als er wolle; wenn wir nicht beweisen können, dieser Begriff seyc9 wirklich in der Bibel an ein gewisses Wort oder ∥c10 Redensart |b215| geknüpft, und zwar in der Stelle, wo derjenige Ausdruck vorkommt, worauf wir bauen. Denn es kanc11 etwas wahr, und doch von jemandc12 nicht ge|c186|meint; es kanc13 eine Bedeutung in der Bibel üblich seyn, und doch ist sie in einer gewissen Stelle nicht gebraucht; es kanc14 etwas nach unsrerc15 Sprachart gewöhnlich seyn, und ists doch in der Sprache der Apostel nicht; es kanc16 ein Begriff sogar allen Sprachen gemein seyn, und doch kanc17 er von einem besondern Schriftsteller eine nähere Einschränkung oder Erweiterung bekommen haben. Wenn wir von der heiligen Schrift lernen sollen:c18 so müssen wir auch nur sie hören, und nicht das unterschieben, was sich zu unsrerc19 Art zu reden und zu unsern Urtheilen am meisten reimt. Wo diese Regel aufhört, da hört auch das Biblische auf, da fangen unsrec20 Zusätze an. So ungereimt es |a482| ist, so gewöhnlich ists doch, /cdies Beydesc\ ∥c21 zu verwechseln: dieses steht in der Bibel, und es steht in dem Sinn darin, wie wirs nehmen; man begnügt sich nur zu oft mit dem Erstern, und vergißt das Letzterea22, worauf es doch hier allein ankommt.
Doch hier ist nicht sowohl die Frage, wie man /chinterc\ dena2 Sprachgebrauch der heiligen Schrift überhaupt /ckomme,a3 c\ ∥c4 (davon ist schon oben geredet worden), sondern wie ichc5 den bestimmten Sprachgebrauch, vornemlichc6 in Rücksicht auf |a484| Lehrbegriffe, d. i. wie ichc7 finde, welche Erweiterung oder Einschränkung die heiligen Schriftsteller ihren Ausdrücken gegeben haben, um weder zu wenig noch zu viel aus ihren Ausdrücken zu nehmen? Nun ist doch offenbar, daß sie dieselben nicht überall nach einerleyc8 Umfang nehmen (z. B. πίστις, μετάνοια, βασιλεία τοῦ Θεοῦ, τοῦ Χριστοῦ, τῶν οὐρανῶν), daß sie bisweilen nur Einen Theil, Eine Eigenschaft einer Sache, Einen Gesichtspunctc9 erwähnena10, woraus man sie ansehen kanc11, |b218| daß sie bisweilen genauer, bisweilen unbestimmter davon reden u. s. f. Daher müssen diese Ausdrücke erst in einzelnena12 Stellen untersucht, hernach diese einzelneac13 Stellen verglichen, und mit einander verbunden werden, um den ganzen Umfang desjenigen zu erkennen, was sie von den Lehren durch ihre Ausdrücke anzeigen wollen. In beydenc15 Fällen würde man sowohl auf die einzelnena16 Wörter und Redensarten, als auf die Sätze sehen müßenac17, worin sie einen Begriff mit einem andern verbinden.
Worauf hätte man also III)c2 (§. 150.a3) zu sehen, um zu finden, in welchem Umfang die mit biblischen Ausdrücken verbundnec4 Begriffe in einzelnena5 Stellen genommen werden? Hier müßenac6 wir 1) untersuchen, welche Bestimmung oder Umfang haben die von den heiligen Schriftstellern gebrauchten Ausdrücke schon in der Sprache, |c189| der sie sich bedienten, besonders in der /cebräischgriechischena7 †)?c\ ∥c8 2) Bekommen sie in einzelnena9 Stellen von Christo oder den heiligen Schriftstellern eine nähere Bestimmung, oder nicht? und, wenn jenes ist, welche? Denn oft brauchenc10 sie, wie es in dem populären Vortrag gewöhnlich ist, die Ausdrücke nicht nach der strengen /cBedeutung ††);a11 c\ ∥c12 sie legen ihnen gereinigtere Begriffe /cunter †††);a13 c\ ∥c14 sie verengen oder erweitern die mit den Ausdrücken /cverbundenea15 Begriffe *);a16 c\ ∥c17 sie geben nicht nur die Sachen an, sie erklären sie auch /cnäher **).c\ ∥c18 Wie dieses alles in einec19 Stelle seyc20, das müßenac21 die |b219| schon oft genannten Hülfsmittel, die ausdrückliche Erklärung, der Zusammenhang, der Zweck der Rede und die eigentlichen Parallelstellen lehren.
Eben darauf muß man 3) beyc2 ganzen Sätzen Acht geben, und ihre Ausdehnung darnach bestimmen. Von /cwemc\ ∥c3 reden sie /calleinc\ in einer Stelle? †)c4 wie weit legen sie ihnen etwas beyc5, oder fordern es von ihnen? ††)c6 4) Haben sie |b221| aber einen Sinn oder die Beschaffenheit und Ausdehnung eines Begriffs oder Satzes nicht näher angegeben:c7 so muß es nach dem verstanden werden, was sie beyc8 ihren Zuhörern oder Lesern, nach ihren Umständen, aus der ihnen |c191| bekannten Natur der Sache, oder dem sonst bekannten Sprachgebrauch, oder Gewohnheiten, oder anderweitigen Unterricht derselben, voraussetzen /ckonnten *).c\ ∥c9 Indessen müßte man sich dabeyc10 bescheiden, daß, wenn dieses, was Jesus und seine Apostel beyc11 denen, mit welchen sie sprachen, voraussetzen konnten, uns nicht ganz gewiß bekannt ist, daß alsdanna12, was wir dabeyc13 denken müssen, nur wahrscheinlich seyc14, und weder den Grad von Gewißheit noch Verbindlichkeit haben könne, als das, was sie selbst deutlich irgendwo erklärt haben.
Weil es nun aber IV)c2 zur Entdeckung des wahren christlichen Lehrbegriffs nöthig ist, mehrere oder eigentlich alle Stellen zu Rathe zu ziehnc3, |b223| die darüber einiges Licht geben können (§. 152ac4): so müßte man 1) alle Stellen sammlenc6, wo entweder eben dieselben oder gleichbedeutende Ausdrücke gebraucht werden,c7 wo von eben den Sachen, wenn gleich mit andern Umständen, geredet, oder das Verhalten Jesu und seiner Apostel erzählt wird, welches man als einen praktischen Commentar über ihre Lehren ansehen /ckan †).c\ ∥c8 2) Fände sich überall derselbe bestimmte Begriff mit einem Ausdruck verknüpft:c9 so müßte man auch denc10 durchaus daran /a/cbinden ††).c\ ∥c11 Wärena\ ∥a12 aber 3) diese Begriffe in verschiednenc13 Stellen verschieden angegeben:c14 so müßte diese Verschiedenheit bemerkt, und der Gesichtspunctc15 aufgenommen werden, unter welchen der Begriff bald diec16, bald eine andrec17 Bestimmung /cbekommt †††);c\ ∥c18 doch müßte man 4) das aufsuchen, was diese verschiednec19 Begriffe mit einander gemein haben, und dadurch einen allgemeinen Begriff bilden, unter den sie sich alle bringen /cließena20 *);c\ ∥c21 und 5) nach diesen gefundenen bestimmten Begriffen,c22 das, was von ihnen gesagt wird, erklären und /cbestimmen **);c\ ∥c23 6) nirgends |c193| aber, weder die von Jesu und seinen Aposteln erst stufenweise gegebnec24 Aufklärung und genauere Bestimmung, noch den Unterschied dererjenigen aus den Augen laßenac25, mit |a490| welchen und nach deren Bedürfnissen sie /creden ***)[.]a26 c\ ∥c27
Wenn man nun von dem ganzen Lehrvortrage der heiligen Schrift, nach dem bisher Ge|b227|sagten, 1) alles das absondert, was entweder bloßesa2 /cBild †),c\ ∥c3 oder aus Herablaßungac4 zu den besondern Lesern oder Zuhörern, und nach den ihnen geläufigen Vorstellungen und Ausdrücken, gesagt ist ††)c5 – denn dieses beydesc6 gehört doch |a493| offenbar nur zur Einkleidung der /cLehre –;c\ ∥c7 wenn man 2) das beyc8 Seite, oder zur gelehrtern Untersuchung aussetzt, was die heilige Schrift selbst nicht näher angegeben und bestimmt /chat †††);a9 c\ ∥c10 und wenn man 3) gefunden hat, daß viele Ausdrücke in der That nur einerleyc11 Begriff und Sache, und welche /csie? bezeichnen *):c\ ∥c12 so gelangen wir theils zu gewissen /cHauptbegriffen **),c\ ∥c13 theils zu gewissen Hauptsätzen, die aus solchen Begriffen /cbestehn ***)c\ ∥c14 welche das ganze in der heiligen Schrift angegebnec15 Verhältniß zwischen Gott und uns, d. i. unser /cElend undc\ ∥c16 Verderben, ∥c17 die Anstalten Gottes zu unserm Besten, unsrec18 daraus entstehendec19 Pflichten und Erwartungen, im Ganzen vorlegen. ∥c20 Diese Begriffe und Sätze sind das eigentliche Christenthum, als Lehre genommen,c21 und wer diese für wahr annimmt, der ist (seiner |c196| Erkenntniß oder der Lehre nach) ein Christ, so sehr seine Vorstellungen von dem Uebrigen auch von den Meinungen Andrerc22 abgehen /cmögen ****);c\ ∥c23 und diese Hauptbegriffe und Sätze sind es auch, nach welchen alles Andrec24 beurtheilt, und auf eine ihnen angemessene Art erklärt werden /cmuß *****).c\ ∥c25
Nun erst, wenn der Grund der christlichen Lehre aus der heiligen Schrift gelegt ist, kanc2 man hernachc3 (§. 145ac4) darauf bauen, oder über diese christlichen Lehren /a/cphilosophiren *).c\ ∥c6 Unda\ ∥a7 wer sich an dieses Wort oder an die Sache selbst stößt, weil er besorgt, dadurch werde das Christenthum nach Philosophie geformt und umgeändert, und der ganze Wust menschlicher Einfälle in das Chri|b230|stenthum gebracht:a8 der hat zwar Beyspielec9 genug füra10 sich, die seine Besorgniß bestätigen, wie es beyc11 keiner einzigen Sache in der Welt an Mißbräuchen fehlt;a12 aber er ist entweder zu kurzsichtig, oder nicht gerecht genug. Denn /c–c\ nothwendig ist dieser verkehrte Gebrauch der Philosophie nicht. – Philosophie kanc13 entweder in so fern gebraucht werden, als sie die Regeln alles |c198| vernünftigen Denkens, oder /cso fernc\ ∥c14 sie unwidersprechliche Vernunftsätze |a496| enthält. Jene muß man überall, muß man ja selbst beyc15 Erklärung und Anwendung der heiligen Schrift, und beyc16 dem Beweis ihres göttlichen Ansehens, befolgen; diese, wenn sie wirklich unwidersprechlich sind, sind die Grundlage aller richtigen Erkenntniß, und, wenn gleich nicht überall zureichend zur Entdeckung der Wahrheit, doch in so fern der Prüfsteina17 aller Wahrheit,a18 als nichts wahr seyn kanc19, was sich nicht mit ihnen verträgt. Wer beydec20 nicht ∥c21 für das /cwillc\ gelten laßenac22, was uns beyc23 aller Untersuchung leiten muß, und sich auf die Schwäche und Trüglichkeit der menschlichen Erkenntniß beruft, der überlegt nicht, daß man sich ja auch trügen könnea24, wenn man etwas für göttliche Offenbarung hält, daß man sich auch in ihrer Erklärung irren könnea25, daß man also entweder eine allgemeine Ungewißheit aller menschlichen Erkenntniß annehmen, oder zugeben müssea26, es müssen Grundsätzec27 überall vorausgehen, die mirc28 zeigen, wie und wonach ichc29 Wahrheit, auch beyc30 Prüfung einer angeblich göttlichen Offenbarung ∥a31 ihres Sinnes, /cfindec\ ∥c32.
Haben wir nun eine Menge /atheilsa\ von Begriffen und Sätzen, die wirklich, nach richtigen Regeln der Auslegung, aus der heiligen Schrift ∥c2 geschöpft /csindc\, theils von vernünftigen Regeln und Sä|a497|tzen, die unwidersprechlich sind: so können jene mit diesen letztern, oder unter einander, zu streiten scheinen; und daher ist das erste beyc3 Bildung eines theologischen Systems, die Vereinigung derselben unter einander, daß sie mit einander bestehen können. Wirk|c199|lich unwidersprechliche Sätze der Vernunft und wirklich geoffenbarte Sätze können einander nicht wirklich widersprechen; wenn sich also ein Widerspruch zeigt:c4 so muß entweder ein Satz der Vernunft, den man für unwidersprechlich hält, nicht unwidersprechlich /cwahr †),c\ ∥c5 oder der biblische Satz muß unrecht /cverstanden ††),c\ ∥c6 oder unrecht bestimmt seyn, d. i. man muß etwas hineingeschoben haben, was nicht darin liegt, oder etwas in demselben übersehen /chaben †††).c\ ∥c7 Nur durch Entdeckung eines oder mehrerer dieser Fehler kanc8 man den Widerspruch heben, und bewirken, daß die Sätze mit einander bestehen.
Ausserc2 dem /ac[(]§. 157ac\ ∥ac3) bleibt noch übrig, die Begriffe durch Erklärungenc5 oder Beschreibungenc6 deutlicher und bestimmter zu machen, um allen Mißverstand und falsche Nebenvorstellungen |b235| zum voraus abzuschneiden, und dadurch die Quelle fast aller Streitigkeiten zu verstopfen – die Lehren selbst immer mehr, durch Vergleichung unter einander, und mit andern richtigen Kenntnissen, aufzuklären, und ihnen noch mehr Licht, Stärke und Anwendbarkeit zu geben – zuletzt sie so zusammen zu stellen, wie eine zur Kenntniß und Ueberzeugung von der andern vorbereiten kanc7. – Wie weit man hierin gehen müsse, diesc8 müssena9 die |c202| Absicht solcher Untersuchungen, das Maaß unsrerc10 Kräfte und Kenntnisse, und /cunsre eignenc\ ∥c11 oder dererjenigen Bedürfnisse zeigen, für die wir dergleichen Untersuchungen anstellen.
Denn die Absicht /cdabey kanc\ ∥c2 entweder Verbesserungc3 der Erkenntniß, oder des Willensc4 seyn, so wie das Christenthum Erkenntniß der Wahrheit zur Gottseligkeit ist. Der Hauptzweck aller solcher |a501| Untersuchungen muß also stets seyn, den Menschen glücklich zu machen, seine Besserung und Beruhigung zu befördern, und was überall dazu nicht beyträgtc5, ist keiner Untersuchung werth;a6 es ist sogar schädlich, und veranlaßt, seine Kräfte unnütz zu verschwenden, die man zu etwas Besserm brauchenc7 könnte. Aber ohne überzeugende Kenntniß desjenigen, was uns bessern und beruhigen kanc8, ist keines von beydenc9 möglich. Kenntniß der göttlichen Wahrheiten und Eindruck aufs Herz ist also gleich nöthig; man schadet dem Einen, wenn man es auf Kosten des Andern erhebt oder treibt.
Indessen kanc2 nicht jeder allesc3 oder beydesc4 gleich gut leisten; das Maaß der Gaben und der Kenntnisse ist sehr verschieden ausgetheilt; und der Beruf, in den Gott jeden gesetzt hat, erfordert die Anwendung der Kräfte zu gewissen Zwecken, wobeyc5 man nicht mit eben der Anstrengung das andrec6 eben so Nützliche treiben kanc7. Ein jeder muß sich daher mit der Art von Untersuchung und Uebung am meisten beschäftigen, wozu er die meiste Fähigkeit, Kenntnisse, und äusserlichen Beruf hat, und das Uebrige zwar nie vernachläßigenc8, aber doch vorzügliche Beschäftigungena9 damit denen überlaßenac10, die dazu geschickter sind, und mehr |c203| durch die Umstände, unter welchen sie leben, dazu aufgefordert werden.
Vornemlichc2 ist das Gefühl desjenigen, was wir selbst, oder was die bedürfen, die wir belehren, bessern und beruhigen sollen, immer das, |b237| was uns anweiset und ermuntert, etwas vor andern aufzusuchen, und mit vorzüglicher Aufmerksamkeit zu treiben. Mag es seyn, daß der Genuß besser ist, als das Aufsuchen desjenigen, was /cich geniessen will,c\ ∥c3 daß jenes Zweck, dieses nur Mittel ist,c4 daß also Anwendung meinerc5 Erkenntniß /czu meinemc\ ∥c6 oder Anderer Besten wichtiger ist, als die Erkenntniß selbst: so ist doch jenes ohne dieses nicht möglich, und /cich kanc\ ∥c7 entweder gar nicht, oder nicht ohne größerna8 Schaden, genießena9 oder anwenden, wenn ichc10 das, was /cich brauchenc\ ∥c11 will, noch nicht erlangt habec12, oder es erst sichern und erhalten, oder erst wissen muß, ob /cmirc\ es gut ist, ob ichc13 nicht über dem Genuß das /cmirc\, dermalen wenigstens, Nützlichere verliere. Darum kanc14 hier, wenn die Frage von dem ist, was ichc15 jedesmal |a503| vorzüglich suchen müsse, nicht das entscheiden, was überhaupt das Nützlichste, sondern was das Dringendste ist (Matth. 26, 11);ac16 und wenn /cmeinec\ Besserung und Beruhigung auf der Aufklärung gewisser Sätze, auf Ueber|c204|zeugung von ihrer Wahrheit, auf Wegräumung gewisser Zweifel beruht: so wird die Untersuchung auch dessen, was sehr geringfügig scheint, /cmir,c\ unter diesen Umständen, wichtiger seyn müssen, als was überhaupt wichtiger ∥c18 seyn mag.
Dieses /cmein größresc\ ∥c2 Bedürfniß ∥c3, und auch das Bedürfniß derer, für die wir, in Absicht auf Religion, arbeiten müssen, wird offenbar durch |b238| die Zeitumstände bestimmt. So wie jede Zeit ihr Gutes und ihre Mängel hat, jede in einem besondern Verhältniß gegen das Ganze und gegen Gottes Absichten steht, jedes Glied des großen Körpers in seinem Maaß und seiner Lage zum Besten des Ganzen arbeiten muß: so müssen wir für die Zeit leben und arbeiten, in die uns Gott gesetzt hat (1 Kor. 12, 14 /af.).c4 Wasa\ ∥a5 diesen Zeitumständen gemäß ist, interessirta6 uns auch mehr, und setzt unsrec7 Kräfte mehr in Thätigkeit, erleichtert den Gebrauch unsrerc8 Kräfte, ist für das Ganze von einem wirksamern Erfolg. Selbst unser Herr und seine Gesandten arbeiteten recht eigentlich und am meisten für ihre Zeit und deren Bedürfnisse. (§. 132a9 f.) – Jede Zeit hat ihre eignec10 Angelegen|a504|heiten, die am meisten zur Untersuchung anziehnc11, und so allgemein /cbey allenc\ ∥c12, denen Religion theuer ist, der Hauptzweck, Besserung und Beruhigung der Menschen bleibt: so verschieden sinda13 zu verschiednenc14 Zeitena15 die Beschäftigungen mit den einzelnena16 Sachen, die dazua17 als Mittela18 etwas beytragenc19 können. Was Eine Zeit erfindet, das gährt in der Anderna20, in der folgenden setzt sichs, und das Klare scheidet sich von den Hefen. So arbeitet, nach der göttlichenc21 allezeit weisen Vorsehunga22, jede Zeit für die folgende, und diese /aletzterea\ |c205| sollte nicht das Vorbereitete benützenc23, und ∥c24 für die /cwiederc\ folgende arbeiten?
Selbst die glücklichen /cundc\ ∥c2 mißlichen Zeitumstände sind eine Aufforderung Gottes, Gutes zu |b239| stiften. – Wenn die weitere Aufklärung und Ausbreitung der Wissenschaften, namentlich derer, die mit der Religion in der nächsten Verbindung stehen, auf einer Seite Untersuchungen in der Religion rege macht, und auf der andern sie befördert; wenn die Wißbegierde, auch in der Religion, allgemeiner wird, und selbst das Volk nach Aufklärung dürstet; wenn die Freyheitc3 der Untersuchung nicht durch Einschränkung gelähmt, sondern vielmehr ermuntert wird; wenn alte heftige Streitigkeiten verraucht, und die Gemüther zur kühlblütigernc4 Untersuchung derselben gestimmt sind; wenn der öffentliche Geschmack mehr zur Liebe des Praktischen, auch in der Re|a505|ligion, gebildet ist; wenn selbst die größerea5 Gefahr für die Religion, die aus Zweifeln entsteht, diejenigen, die überall den wichtigen Einfluß der Religion zu schätzen wissen, bereitwilliger macht, auch das Neuentdeckte, das ihnen sonst bedenklich war, darum anzunehmen, weil es die Zweifel löset, und die Ehre der Religion befestigt; wenn man also auch geneigter ist, Mißverstand beyzulegenc6, und, so weit es ohne Nachtheil der Wahrheit geschehen kanc7, sich zum Frieden die Hände zu bieten: – alsdanna8 ist es Dankbarkeit gegen Gott, Pflicht gegen Wahrheit und Frieden, diese Umstände zur nähern Untersuchung zu brauchenc9, und das von uns oder Andern Gefundnec10 mit Weisheit auszubreiten.
Und wenn eben diese günstigen Umstände, durch eine anderwärtshin genommnec2 Wendung, |b240| Gelegenheit zu mancherleyc3 Angriffen auf die Religion, wenigstens zu mehrern Zweifeln, zur Beeinträchtigung der Wahrheit und zur Verminderung ihres Werthes und Einflusses auf die Menschen, geben; wenn sich gerechtscheinende Klagen der Besorgniß eines immer weiter um sich greifenden Schadens erheben; wenn diese die weitere Untersuchung, zu der selbst die anscheinende Gefahr auffordern sollte, hemmen, und durch Verdächtigung ihren Nutzen vernichten oder einschränken, den edlern Theil der |a506| nach Wahrheit und gegründeter Ruhe durstendenc4 des Mittels seiner Befriedigung berauben, und den Feinden der Religion, die nicht durch Klagen, sondern nur durch Untersuchung entkräftet werden können, die Freude über ihren vermeinten Sieg in die Hände spielen: /a– alsdanna\ ∥a5 wäre es unchristliche Muthlosigkeit, Unglaube gegen Gott, oder Versuchung desselben, Verräthereyc6 gegen die göttliche Wahrheit, offenbarea7 Gleichgültigkeit gegen die Ruhe, die der Mensch mit so großema8 Rechte in der Religion sucht, nicht immer weiter untersuchen, die Ueberzeugung der Menschen von ihr nicht auf einen immer festern Grund setzen, ihren unaussprechlichen Werth nicht immer einleuchtender und dringender darlegen zu wollen.
Auf die beschriebene Art sollte sich ein jeder selbstdenkender Christ, der alle dazu erforderliche Fähigkeit und Mußea2 hätte, wenigstens jeder Lehrerc3, sein christliches System bilden; und alsdanna4 wäre es Zeit, auch Ande|c208|rer Vorstellungen zu hören. Denn /c–c\ der bloßea5 Selbstfor|a508|scher urtheilt gar zu leicht einseitig, und läßt sich von geheimen Vorurtheilen, aufgefaßten Gesichtspunctenc6, wohin er allesc7 allein zieht, und selbst Leidenschaften, beschleichen. – Da uns über dies so viele, denen gewiß Aufspürungc8 des wahren Christenthums Herzensangelegenheit war, und denen es nicht an den nöthigen Fähigkeiten und Kenntnissen fehlte, vorgearbeitet haben:a9 warum sollten wir ihre Vorarbeit nicht benutzena10, ihnen wenigstens nicht danken, daß sie unsrec11 Aufmerksamkeit auf Vielesa12 lenken, was ihr entwischtc13 ist, und uns zeigen, was und wo es noch weiterer Untersuchung bedürfe? – Wollen wir ∥c14 vollends als Lehrerc15 Anderera16 auftreten:c17 so erfordert die gesellschaftliche Ordnung, uns zu einer gewissen kirchlichen Gesellschaft zu halten, deswegen die |b243| Vorstellungen in der Religion, die sie von ihren Mitgliedern erwartet, kennen zu lernen, und zu prüfen, ob wir sie mit Ueberzeugung fortpflanzen, wenigstens öffentlich unbestritten laßenac18 können. Es erforderts auch die /cWeisheit undc\ Gerechtigkeit gegen /cAndre, unsrec\ ∥c19 Kenntnisse vom Christenthum möglichst ihren Vorstellungen, wenn sie nicht schädliche Irrthümer sind, anzuschmiegen;ac20 ihres, wenn gleich oft irrenden, Gewissens zu schonen;ac22 und nicht durch Unvorsichtigkeit oder Allgenügsamkeita23 ein Mißtrauen oder ∥c24 Abneigung zu erregen, dasc25 einen Lehrer der Religion so sehr hindert, beyc26 Andern Gutes zu stiften. Alles dieses führt die Pflicht mit sich, uns um Andrerc27 Vorstellungen zu bekümmern, und auf diese, wenigstens eine prüfende, Rücksicht zu nehmen.
Diese Vorstellungen /cAndrer sindc\ ∥c2 entweder /csolche, welchec\ in einer besondern Kirche eine Art von gesetzmäßigema3 Ansehen erlangt /chabenc\, oder ∥c4 Privatgedanken und Resultate solcher Untersuchungen, die von einzelnena5 gelehrten Männern angestellt sind. Die erstern verdienen unsrec6 Kenntniß und Prüfung, nicht nur weil sie /cdas Vorurtheil vorc\ ∥c7 sich haben, daß sie nach öftrerc8 Untersuchung vieler redlichen, verständigen und gelehrten Christen bewährt befunden worden, sondern noch vielmehrc9 wegen der so eben (§. /a165c10) erwähntena\ ∥a11 /cGründe für einenc\ ∥c12 öffentlichen Lehrerc13. Die letztern hingegegen scheinen noch mehr wichtige Aufschlüsse |b244| über Religion und Christenthum zu versprechen, zumahlc14 wenn sie den Beyfallc15 der /cgelehrtesten und untersuchendstenc\ ∥c16 Männer füra17 sich haben. Denn beyc18 solchen besondern Untersuchungen einzelnera19 Lehrsätze kanc20 man mehr eigentlichen Fleiß und neue Aufklärung erwarten; man kanc21 erwarten, daß dergleichen Männer weniger durch die Fesseln eines Kirchensystems oder eingeschränkter Lehrfreyheitc22 zurückgehalten worden, freyec23 Untersuchungen anzustellen; der |c210| Beyfallc24, mit dem man ihre Untersuchungen aufgenommen, hat weniger den Verdacht wider sich, daß er durch kirchliches Ansehen oder Schonung des Hergebrachten gestimmt seyc25; und, wenn solche Untersuchungen von Männernc26 herrühren, denen man, neben wahrer Bescheidenheit, vorzügliche Bekanntschaft mit den Hülfsmitteln zur Aufklärung |a510| der Theologie, wenigstens in den Theilen, woran sie gearbeitet haben, und vorzügliche Uebung in solchen Untersuchungen nicht absprechen kanc27: so kanna28 man sicherlich mehr von ihnen lernen, als von denen, die nur der gebahnten Heerstraßea29 folgen.
Indessen /cist eignec\ ∥c2 Untersuchung doch immer das Nöthigste. Was ist wahr? was ist Christenthum? diesc3 ist doch eigentlich die Hauptsache, davon muß man /cwollenc\ im System unterrichtet seyn ∥c4; was der oder jener, diese oder jene Kirche, geglaubt /chat, diesa5 c\ ∥c6 zu wissen, ist, wenn es nicht Gelegenheit giebt, Wahrheit zu finden, fast von |b245| gar keinema7 Werth. Sammlungen von Meinungen, wenn sie nicht geprüft, sondern der Wahl eines jeden überlaßenac8 werden, verwirren nur, und stimmen die Seele zum ewigen Schwanken zwischen menschlichen Einfällen. Und wie? wenn unter allemc9, was bisher /cworüberc\ ∥c10 gesagt ist, gerade die rechte Vorstellung noch fehlte? ∥c11 – Was übrigens zur Bildung eines immer vollkommnern Systems geschehen müsse, ist schon oben gesagt. Hier nur noch etwas über den bessern Vortrag desjenigen, was man, nach oben erwähntema12 Verfahrenc13 von dem Christenthum gefunden hat, oder besser, gefunden zu haben glaubt.
Allerdings bleibt Wahrheit immer Wahrheit, und /ces ist übel gesprochenc\ ∥c2, wenn man sagt, daß ∥c3 Wahrheit leiden, ∥c4 Religion in Gefahr kommen könne, obgleich die Ueberzeugung der Menschen davon, und die Achtung und Liebe zu ihr leiden kanc5. Auch nutzt sich die Wahrheit nie ab, daß man auf Erfindung einer andern denken müßte. Da auch die christliche Theologie sich auf die heilige Schrift gründet, diese aber einen bestimmten Umfang hat: so laßenac6 sich eigentlich neue Entdeckungen über christliche Lehren selbst nicht machen, wenn man nicht besserea7 Erklärung einzelnera8 Stellen, die mehrere Entwickelung desjenigen, was in der heiligen Schrift liegt, die weitern Aussichten, die aus Vergleichung der christlichen Lehren unter einander, und mit natür|b246|lich bekannten Sätzen, entstehen, und die Wegräumung falscher Vorstellungen, dahin rechnen will. Aber man kanc9 die Ueberzeugung der Menschen von der Wahrheit und von dem Christenthum, oder der rechten Vorstellung davon, durch neue Gründe, und den bessern Eindruck derselben, durch neue Anwendung befördern.
So wie sich alle Wissenschaften durch neue Entdeckungen oder gründlichere Einsicht des bereits Bekannten erweitern, namentlich Sprachkunde und Philosophie: so ist kein Zweifel, daß da|a512|durch auch für die Religion und das Christenthum neue Bestätigung möglich wird, und daß, wenn |c212| die Aufklärung der Wissenschaften immer fortgeht, und Geschmack und Denkungsart mehr gebildet wird, allerdings auch auf neue oder neu geschärfte und einleuchtender gemachte Beweise der Lehren gedacht werden müsse. – Noch mehr findet dieses beyc2 der Anwendung der Lehren statt. Die Willigkeit, sich an die christlichen Lehren, zur Beförderung unsrerc3 Gemüthsruhe, zu halten, und dieselben treulich zu befolgen, hängt offenbar von dem Werth ab, den man auf diese Lehren legt, d. i. auf den deutlich und lebhaft erkannten Einfluß derselben auf unsrec4 Glückseligkeit. Diesen Einfluß müßte man vornemlichc5 klar machen, und diesen recht darstellen,c6 das ists, wie mich dünkt, eigentlich, was man praktischen Vortrag nennen sollte.
Zu diesemc2 guten Vortrage der systematischen Theologie gehört auch der weise Gebrauch gewisserc3 dem System eigenthümlichenc4 Ausdrücke, welche man gemeiniglich mit dem Namen der Schulsprache ∥c5 belegt, und welche viele aus dem Vortrag der Religion wollen entfernt, an ihrer Statt aber biblischec6, zum Theil /cauch mystischec\ ∥c7, oder Ausdrücke aus der Sprache des gemeinen Le|c214|bens, eingeführt /cwissen †).c\ ∥c8 Wahr ist es, Ausdrücke sind gleichgültig, wenn sie nur die Sachen verständlich und ohne Irrthümer bezeichnen, wenn sie also nur, falls sie dunkel oder zweydeutigc9 |b249| sind, erklärt werden, daß man dadurch wirklich die Sachen verstehen lernta10, und gegen falsche Vorstellungen gesichert wird; wahr ist es auch, daß, wo man beyc11 einema12 Vortragc13 nicht sowohl deutliche und genaue Einsicht, als vielmehr Eindrücke der Religion, selbst beyc14 undeutlicher Erkenntniß derselben, befördern will, die ∥c15 Schulsprache völlig entbehrt, und der Gebrauch unbestimmter und sinnlicher Ausdrücke selbst nützlicher werden kanc16, weil sie durch Nebenbegriffe den Eindruck befördern; wahr ist es, daß man die Absicht der Schulsprache oft ohne sie erreichen /ckan ††;a17 c\ ∥c18 wahr istsc19 endlich, daß die gelehrte Sprache in der Theologie manche Unbequemlichkeit mit sich führt. Denn durch sie wird die Erlernung der Theologie erschwert; der Vortrag wird trocken, und, weil sie die Sachen bloß dem Verstande, nicht der Einbildungskraft, darstelletc20, so wird |a515| die Anwendung der Sachen auf sich selbst und auf das Herza21 weniger einleuchtend oder nahe gelegt; sie ist dem größten Theil der Zuhörer entweder unverständlich, oder erweckt eben sowohl falsche Nebenbegriffec22 wie andrec23 Arten der /cSprache *),c\ ∥c24 und, was beynahec25 das Schlimmste ist, sie verbindet gewisse menschliche, zum Theil irrige, Vorstellungen so inniglichc26 mit den ∥c27 Lehren des Christenthums, daß jene eben das Ansehn wie diese erhalten, und so lange nicht ausgerottet werden können, als man an dieser Schulsprache hängt. **)c28
Dieses allesc2 beweiset aber nur:c3 daß dergleichen gelehrtere Sprache nicht überallc4 nöthig, oft, und in denc5 gemeinen /cVortrag insbesondrec\ ∥c6, |b251| unschicklich seyc7; daß man sich also hüten müsse, allein darin zu denken und vorzutragen; daß sie noch, besonders die eingeführte Kirchensprache, mancher Verbesserung bedürftig sey;c8 /alautera\ Vorwürfe, die man den andern Arten der /aSprache, welchea\ ∥a9 man statt dieser gebraucht wünscht, und die man jeder eigenthümlichen Sprache in irgend einer Wissenschaft und Kunst,a10 mit eben dem Recht und Unrecht /cmachen kan,c\ wie dieser ∥c11. Hingegen beweiset |c216| alles dieses nicht, daß sie gar nicht, daß sie auch selbst nicht in dem systematischen Vortragc12, daß nicht nur ihr Gebrauch nicht, sondern auch nicht einmal ihre Kenntniß nöthig seyc13. Vielmehr hat sie und ihre Kenntniß allerdings, in der systematischen Theologie, wenn sie nur gehörig erklärt, und mit Weisheit gebraucht wird, sehr großea14 Vortheile, die ganz verlohrenc15 gehen würden, wenn man sie abschaffen wollte. Sie ist 1) einmal da, und nicht nur in vielen, ja |a517| gerade in den gründlichsten,c16 theologischen Schriften, sondern auch selbst in öffentlichen Bekenntniß- und Lehrbüchern eingeführt, die man also ohne die Kenntniß dieser Sprache nicht verstehen, vielweniger beurtheilen kanc17. Und wenn man sich über seine Unbekanntschaft mit ihr damit trösten will, daß solche Schriften nicht brauchten gelesen zu werden, und bald nur noch zur Geschichte der Lehre nöthig seyn würden: so überlegt man nicht, daß doch symbolische Schriften nicht so nach eignem Gutbefinden können beyc18 Seite gelegt werden, oder dem Lehrer, der sich zu einer gewissen Kirche bekennt, unbekannt oder unverständlich bleiben |b252| dürfen; daß mit Wegschaffung der in der Schulsprache geschriebnenc19 Schriften ein großera20 Schatz von Kenntnissen und Bestimmungen ∥c21 würde /cverlohren gehenc\; daß die Kenntniß der Schulsprache doch immer unentbehrlich bleibe, wenigstens ∥c22 theologische Streitigkeiten und Irrthümer ganzer Kirchen zu verstehen und zu beurtheilen.
Indessen mag dieses der kleinste Vortheil seyn, den wenigstens die historische Kenntniß der theologischen Schulsprache mit sich führt; aber selbst der Gebrauch dieser Sprache ist sehr nützlich. Denn 2)c2 lassen sich ∥c3 manche |c217| Begriffe gar nicht, oder doch nicht so kurz ausdruckena4, als durch Hülfe dieser /cSprache †);a5 c\ ∥c6 und die reichhaltige Kürze kommt doch nicht nur dem Gedächt|a518|niß zu Hülfe, und befördert die leichtere Uebersicht der großena7 Menge von Sachen, sondern sie befördert auch die Schnelligkeit im Denken, und führt auf neue Begriffe. 3) Hauptsächlich ist sie zu der so unschätzbaren Bestimmtheit der Begriffe,c8 wenigstens da unentbehrlich, wo Bestimmtheit mit Kürze vereinigt werden soll. Sie hebt die Zweydeutigkeitc9 der Begriffe und Sätze, die der Grund des Mißverstandes und der daher entstehenden Streitigkeiten ist;a10 und wenn alles diesc11 durch die gelehrte Sprache sogar zum voraus /ckanc\ verhütet werden ∥c12, wie viele unnütze Untersuchungen und Zweifel erspart sie uns? ausc13 wie vielerleyc14 Verwirrung hilft sie, welche die |b253| Quelle aller Ungewißheit ist? /c*) 4)c\ ∥c15 Sie befördert selbst die Einsicht des Zusammenhangs der Lehren, und giebt ihnen ein gewisses Licht und eine Stärke, die sie ohne diese Sprache würde entbehren müssen. **)c16
Die Beschwerden, welche man schon längst gegen den Gebrauch der gelehrteren Sprache in der Theologie, wie gegen den gelehrteren Vortrag des Christenthums überhaupt, erhoben hat, |a521| rührten freylichc2 wohl am meisten von der Besorgniß her, daß dadurch das Christenthum zu sehr eine Sache des Verstandes, und zu wenig Sache des Herzens werden /cmöchte; ob man gleichc\
Diese eingesehene Nothwendigkeit hat den Unterschied zwischen der sogenannten scholastischen,a2 akroamatischen oder gelehrten, und zwischen der populären oder katechetischen Theologie hervorgebracht, wel|c221|cher auf der Verschiedenheit des Vortrags der Religion beruht. /a–a\ Jene ist für den Gelehrternc3 bestimmt. Sie braucht also alle Hülfsmittel der Gelehrsamkeit, die Lehren der heiligen Schrift, als solche, vorzulegen, und sie in einen Zusammenhang zu stellen, in welchem eine der andern noch mehr Licht und Stärke ertheilt. Sie arbeitet ganz eigentlich für den Verstand und für Deutlichkeit und Gründlichkeit der Erkenntniß, um durch eine solche Art der Ueberzeugung aufs Herz zu wirken. Sie erfordert deswegen auch eine strengere Lehrart, eine bestimmtere Sprache, und Untersuchungen, die zur weitern Aufklärung der Religion für den scharfsinnigern Denker gehören. /a–a\ Diese hingegen, |a523| weil sie für den Ungelehrternc4 bestimmt ist, übergeht allesc5, was ohne gelehrte Kenntniß nicht be|b258|greiflich gemacht werden kan;ac6 schränkt sich bloß darauf ein, aus den deutlichen Stellen der heiligen Schrift die Lehren vorzustellen,a8 sie mehr aus der Erfahrung und aus Sätzen, die der gemeine Menschenverstand begreifen kanc9, als durch scharfsinnige Beweise und Erläuterungen einleuchtend zu machen, und, wo sie etwas nicht ohne alle Gelehrsamkeit deutlich machen kanc10, legt sie mehr das Resultat gelehrter Untersuchungen vor, als daß sie dergleichen selbst vor denen, die sie unterrichtet, anstellen sollte. Ihr Hauptzweck ist Fasslichkeit,ac11 und kanc13 sie deutliche Vorstellungen der Lehren nicht /cfasslicha14 machen:c\ ∥c15 so begnügt sie sich, für die Einbildungskraft und den gemeinen Menschenverstand zu arbeiten, und dadurch den Lehren Eindruck aufs Herz zu geben. Sie enthält sich daher eben sowohl der gelehrternc16 Sprache, als aller Untersuchungen, die nicht nothwendig sind, um die Wahrheit und den Einfluß der Lehren auf die menschliche Glückseligkeit, auf die gedachte Art einleuchtend zu machen, und |c222| Zweifeln zuvor zu kommen, oder sie zu heben, auf die auch der nachdenkende Ungelehrte leicht gerathen kanc17. Kurz, beydec18 Arten der Theologie sind nach ihrem Zweck verschieden, und nach der darnach sich richtenden Wahl der Sachen und der Art sie vorzutragen.
Es ist ganz unnütz, über den Vorzug der einen Art vor der andern streiten zu wollen, welches Niemand in den Sinn kommen kanc2, der den wahren Zweck beyderc3 Arten kennt, und nicht aus Unwissenheit, aus Verwechslung zufälliger und nothwendiger Fehler, oder aus Vorliebe zu Einer Art, die seinen Fähigkeiten und Umständen angemessenera4 ist, gegen die Vortheile der andern ungerecht wird. Die populäre Theologie ist unstreitig gemeinnütziger, und für die allermeisten zuträglicherc5; es ist auch nichts weniger als leicht, sich selbst zu den gemeinsten Fähigkeiten herabzulaßenac6; es muß dem noch schwerer werden, der sich beyc7 Treibung der Wissenschaften an die gelehrtere Art gewöhnt hat. Daher bleibt es eine sehr wichtige Pflicht für den künftigen Lehrer des Volks, sich ja mit dem ersinnlichsten Fleiß zu üben, um diese wirklich seltnec8 Fertigkeit zu erlangen, sich die Lehren der Religion so zu denken, und sie so vorzutragen, wie es der Zweck der populären Theologie erfordert.
Auf der andern Seite ist die scholastische, so wie sie vorhin beschrieben wurde (§. 174ac2), in ihrer Art eben so nothwendig,c4 erstlich, weil es eben sowohl scharfsinnige |c224| Köpfe giebt, die anders als durch eigentlich deutliche Gründe nicht können befriedigt, und gegen Zweifel be|a526|waffnet, oder davon befreyetc5 werden, die auch nicht auf menschliches Ansehen und bloßea6 Versicherung glauben, so lange die Natur der Sache erlaubt, deutliche Gründe für solche Versicherungen anzugeben; hernachc7, weil eine recht überzeugende Kenntniß vom Christenthum doch nicht ohne alle gelehrte Kenntnisse möglich ist. †)c8
Für solche zu schärferem Nachdenken aufgelegte, daher auch mehr dem Zweifeln ausgesetzte, zumahlc2 durch gelehrte Lectürec3 gebildete, oder in Verlegenheit gesetzte Christen, ist gelehrte Kenntniß des Christenthums, und desjenigen, was dazu gehört, sehr nützlich, ja unter gewissen (am Ende der Anmerkung zum vorigen §. gemeldetenc4) Umständen sogar eigentliches Bedürfniß. Ein Lehrer der Religion aber bedarf dieser gelehrte|a528|ren Kenntniß eben so sehr, und überhaupt noch mehr, als andrec5 Christen. Denn wenn er, nach seinem Beruf, für andrec6 denken, und untersuchen, und denen, die ihm anvertrauetc7 sind, in aller Verlegenheit, welche die Religion angeht, zu Hülfe kommen soll: so kanc8 er, in Absicht auf nachdenkende und untersuchende Christen, solche Kenntnisse schlechterdings nicht entbehren, und, wenn sie nicht durch blinden Glauben geleitet werden sollen oder |c226| können, so muß er ihnen deutliche Rechenschaft geben, oder, wo er diese ihnen nicht geben kanc9, weil es ihnen an Fähigkeiten oder gelehrten Vorerkenntnissen mangelt, so muß er wenigstens sich alles nöthige Vertrauen auf seine vollkommnerec10 Einsichten erwerben, damit dieses Vertrauen beyc11 ihnen den Abgang der Ueberzeugung ersetzen könne; wie kanc12 er sich aber dieses beyc13 Verständigern erwerben, wenn er nur eine gemeine Erkenntniß der Religion hat? /a–a\ Bedürft' er aber auch dazu der gelehrten Kenntniß nicht:c14 so hättea15 er sie zu seiner eignenc16 Ueberzeu|b264|gung nöthig, wozu er viel mehreres und esc17 viel gründlicher wissen muß, als er es zum bloßena18 Vortrag vor Andern nöthig hat. Es ist daher die Pflicht eines jeden gewissenhaften Lehrers der Religion, der sich selbst und Andern ein Genüge thun will, sich mit der gelehrtern Theologie bekannt zu machen, und /csichc\ durch alle ihm mögliche Hülfsmittel auch auf eine gelehrte Art von der Religion zu überzeugen; er müßte denn so wenig natürliche Fähigkeiten dazu haben, daß er sich dergleichen Kenntnisse nicht erwerben könnte, |a529| oder gewiß seyn, er würde bloß mit Zuhörern von /cganz gemeinenc\ ∥c19 Fähigkeiten zu thun haben, ∥c20 daß er /csie nichtc\ ∥c21 zu erwerben brauchte. Dieses ist nicht zu erwarten, und jenes nicht zu wünschen;a22 auch würde es ihm keinen Beruf geben, einen Lehrer vorstellen zu wollen, /causser beyc\ ∥c23 bloß einfältigen und allesc24 mit blindenc25 Glauben annehmenden Zuhörern, und nur danna26, woc27 keine geschickterec28 Lehrer, als er selbst, vorhanden wären.
Die von einigenc2 immer wieder erneuerten Vorwürfe gegen die gelehrtere Theologiec3 sind überhaupt schon durch das weggeräumt, was bisher für den Nutzen und die Nothwendigkeit der systematischen Theologie und der sogenannten Schulsprache gesagt worden ist (§. 142a4 f. und §. 171a5 f.), ob sie gleich noch die ehemaligen und zum Theil manche jetzige Systeme treffen. Wer sie aber gegen gelehrte Theologie überhaupt brauchenc6, deswegen das Studium derselben widerrathen, und bloß populäre Theologie zu treiben empfehlen wollte, der würde entweder verra|b266|then, daß er die jetzige sich immer mehr ausbreitende Artc7 sie zu behandelnc8 |c228| nicht erkenntea9 oder nicht kennen wollte, oder sich, in seinen Beschuldigungen und Forderungen, der Ungerechtigkeit schuldig machen. Denn alle angebliche Fehler der gelehrten Theologie sind entweder bloß zufällig, oder es sind keine Fehler. /a–a\ Man hat jene in unsrerc10 Zeit schon längst zu bessern angefangen, unnütze Untersuchungen weggelaßenac11, und wichtigere, nach unsern Zeitbedürfnissen, /aaufgenommen. Mana\ ∥a12 hat durch besserea13 Auslegung der heiligen Schrift und durch bestimmtere Erklärungen der Sachen,c14 eine großea15 Menge von Zweifeln und Streitigkeiten /aabgeschnitten. Mana\ ∥a16 erinnert beyc17 dem, was zur hi|a531|storischen Kenntniß verschiednerc18 Vorstellungen gesagt werden muß, daß es nur zu diesenc19 Zweck gesagt werde, und wie weit es höchstens noch gekannt zu werden /averdiene. Mana\ ∥a20 bestimmt beyc21 dem, was allerdings gelehrte Untersuchungen erfordert, wie fern es nöthig, und warum es nicht in den Unterricht des Volks zu bringen, sondern zu seiner eignenc22 Ueberzeugung und zura23 Befriedigung nachdenkender Christen mit Weisheit zu brauchen /aseyc24. Mana\ ∥a25 bedienetc26 sich einer gelehrten Sprache, aber einer verbesserten, und nicht allein der gelehrten Sprache, und nur da, wo sie, nach den oben erwähntena27 Umständen (§. 172ac28) nützlich oder gar nothwendig /cist; man hat sogarc\ ∥c30 angefangen, auf Universitäten eine populäre Theologie, ausserc31 der gelehrtern, vorzutragen. Wenn von allem diesenac32 noch nicht genug, noch nicht überall geschehen ist, so ist zu hoffen, daß die Nachwelt |b267| noch mehr thun /awerde. Wasa\ ∥a33 bereits geschehen ist, beweiset doch wenigstens, daß viele, und daß die am meisten auffallende,c34 Fehler nicht von der gelehrten Theologie unzertrennlich sind.
Aber die Gegnerc2 der /cgelehrtern Theologiec\ ∥c3 übertreiben auch oft ihre Forderungen. – Universitäten sind nicht für Schulmeister angelegt, sondern zur Bildung künftiger Gelehrten, und wenn nicht da für Letztrec4, auch in der Religion, gearbeitet werden soll, wo sollen sie danna5 gebildet, oder soll /cgar nurc\ in der Religion ∥c6 für den |a532| großena7 Haufen, nicht eben so sehr für denkendere Christen, gearbeitet werden? – Soll man den Hauptzweck der Wissenschaften, ausgebreitetere Kenntnisse und gründliche Ueberzeugung, beyc8 Seite setzen, um nur für das Volk, das ohnehin nur einen sehr eingeschränkten Unterricht brauchtc9, zu sorgen? beyc10 der Physik nichts vortragen, als was der Kinderlehrer auch den Kindern, der Landprediger dem Landmann sagen /ckan? beyc\ ∥c11 Erklärung der heiligen Schrift nur auf gemeine Erbauung, nicht auf überzeugende Darstellung ihres Sinnes sehen? den Wißbegierigen, der Unterhaltung für den Verstand sucht, mit den gemeinsten Kenntnissen ermüden? oder den künftigen Lehrer gar die Form und Einkleidung der Sachen vorsagen, daß er nur nachschreiben und nachsprechen dürfe? – Wer so wenig Fähigkeiten hat, und nicht einmal so viel eignenc12 |b268| Fleiß anwendet, daß er den von Andern empfangenen Unterricht nach seiner eignenc13 Art zu denken umändern, vor seine eignec14 Ueberzeugung bringen, in seine eignec15 Sprache verwandeln, Andern nach ihren Bedürfnissen mittheilen, und was für Einen, nicht für den Andern gehört, unterscheiden kan,c16 der ist zum Lehrer Andrerc17 verdorben, /aunda\ wird allesc18, was man ihm auch vorgesagt hat, niemals mit Weisheit und nach den besondern Bedürfnissen seinen Zuhörern vorzutragen wissen. Hat jemand aber diese Fähigkeit und diese Lust, sich selbst zum Lehrer zu bilden: |c230| so gewöhne er sich nur, allesc19, was er über die Religion hört, immer mit Rücksicht auf seine und Andrerc20 Beru|a533|higung und Besserung, zu betrachten; alsdanna21 wird er bald selbst finden, was dazu etwas beytragec22 oder nicht, und worauf er sehen müsse, um dem Gelernten Eindruck für Verstand und Herz zu verschaffen; er nutze den Unterricht, den er in der Homiletik und Katechetik haben kanc23; er lese fleißig wahrhaftig populäre Schriften über die Religion, und lerne ihnen die Art des Vortrags ab; er übe sich in populären Aufsätzen und Vortrag, und /alaßec24 sie von Verständigern und Geübtern streng beurtheilen. Alsdanna\ ∥a25 hat er gar nicht nöthig, sich die Sachen, von denen er zum Volk reden, oder gar die Einkleidung,c26 vorsagen zu laßenac27, in der er sie vortragen soll.
Man hat die gelehrte oder vielmehr scholastische Theologie auch noch durch eine andere |b269| Vergleichung um ihr Ansehen zu bringen gesucht, indem man ihr eine sogenannte biblische /centgegen gestelltc\ ∥c2 hat. So schwankend die Begriffe von einer solchen biblischen Theologie zu seyn scheinen:c3 so kommen doch die, welche sie jener entgegensetzen, darin überein, daß sie die Theologie lediglich /cwollenc\ aus der Bibel hergeleitet wissen ∥c4, und es mißbilligen, wenn man in die Theologie Sätze aufnimmt, die nicht in der heiligen Schrift stehen, oder nicht unmittelbar daraus, oder nicht aus bloßera5 Vergleichung der biblischen Sätze unter einander, /afließen. Siea\ ∥a6 scheinen also unter scholastischer Theologiea7 (oder, wie sie |a534| es bisweilen nennen, unter dem System)c8 einen zusammenhängenden Inbegriff der (wahren oder vermeintlichen) Religionskenntnisse zu verstehen, /cso fernc\ ∥c9 er nicht bloß auf die heiligec10 Schrift, sondern auch auf natürlich be|c231|kannte Sätze gegründet wird. Die Abneigung von derselben scheint darauf zu beruhen, daß doch die heiligec11 Schrift allein uns sichere Kenntniß von dem Christenthum gebe;a12 daß die Lehren desselben über der Untersuchung natürlich bekannter Wahrheiten, oder daß die biblischen Beweise über den Beweisen aus der Vernunft zu sehr vernachläßigt;ac13 daß jene Lehren selbst durch Zusätze oder Erklärungen, über welche die heiligec15 Schrift nichts entscheidet, sehr verstellt, oft wohl gar verdrängt worden; wiewohl auch ein Vorurtheil gegen allesc16, was Gelehrsamkeit und besonders Philosophie heißt, und die Abneigung von dem System einer besondern Kirche, viel zu dieser Abneigung mit mag beygetragenc17 haben.
Es wird also beyc2 Beurtheilung des Streites über den Vorzug der biblischenc3 vor der scholastischenc4 Theologie auf zweyc5 Fragen ankommen: 1) ob es nothwendig schädlich, wenigstens unnöthig seyc6, in der Religion, wenigstens beyc7 dem Christenthum, etwas auf natürlich bekannte Wahrheiten zu bauen? und 2) ob und wie fern die so eben erwähntea8 biblische Theologie jener vorzuziehen seyc9? Die erste Frage ist für die Unschuld, |a535| den Nutzen, und in gewisser Weise Nothwendigkeit der sogenannten scholastischen und überhaupt gelehrten Theologie durch dasjenigea10 hinlänglich entschieden, was darüber §.c11 /a138–144. 176 und 177c12 a\ ∥a13 gesagt worden ist, wo immer mit auf den Gebrauch natürlich bekannter Sätze Rücksicht genommen wurde; und /cdies kanc\ ∥c14 zugleich die Einschränkungen lehren, unter welchen dieser Gebrauch gewiß nicht bloß unschädlich, sondern auch nothwendig ist[.]ac15 Die zweytec16 Frage läßt sich wohl am besten beantworten, wenn man die verschiednenc17 Vorschläge hört, wie eine |c232| solche biblische Theologie beschaffen seyn oder ausgeführt werden soll.
Alle diese Vorschläge scheinen auf /czwey /ahinaus zu laufena\ ∥a2c\ ∥c3. Man empfiehlt entweder eine bloße Sammlung von Stellen der Bibel, die unter gewisse Hauptmaterien gebracht werden möchten, ohne alle Erklärung und nähere Bestimmung ihres Sinnes, so daß es jedem freyc4 bleibe, sich |b271| das dabeyc5 zu denken, was ihm das Richtigste zu seyn /cscheine. Oderc\ ∥c6 man schlägt vor: beyc7 jeder Lehre die davon handelnden Stellen der heiligen Schrift zum Grunde zu legen, sie sorgfältig zu erklären, bloß daraus unmittelbare Folgerungen zu ziehnc8, diese biblischen Aussprüche mit ihren nothwendigen Folgen unter einander zu vergleichen, und sie durch einander aufzuklären, weiter nicht, als so weit diese Sätze selbst oder deren unmittelbare Folgen leiten,a9 hingegen alle Sä|a536|tze für problematisch zu halten, die entweder auf Stellen, deren Sinn nicht ganz klar gemacht werden kanc10, oder auf Folgen beruhen, die nicht nothwendig aus den biblischen Sätzen fließena11.
Der erstere Vorschlag mag beyc2 Friedensformeln gut seyn, wo man Personen oder Parteyenac3, die über die Lehren des Christenthums sehr verschieden denken, doch in den nothwendigsten und unstreitigen Lehren vereinigen will; und dieses scheinen diejenigen zu bezwecken, die auf ein sogenanntes Universal- oder Urchristenthum dringen. /cAber, /aausser dema\ ∥a5 c\ ∥c6 daß eine solche Sammlung ein bloßesa7 Spruchbuch, und kein Lehrbuch seyn würde, so kanc8 1) ein jeder eben sowohl ganz falsche als wahre Vorstellungen damit verbinden, wie man aus dem |c233| Catechismusc9 der Quäcker, einigen Aufsätzen der Socinianer u. a. weiß; und, wenn es nicht gleichgültig für das Christenthum ist, falsche Vorstellungen davon zu verhüten: so kanc10 |b272| es auch nicht gleichgültig seyn, jedem bloß dergleichen Text in die Hände zu geben. /cUeber dieses kanc\ ∥c11 man 2) durch eine solche bloßea12 Sammlung sogar den Lesern Irrthümer in die Hände spielen, wenn man den Text so wählt, daß man das übergeht, was man nicht will zum Christenthum gerechnet haben, und wenn man die Stellen so stellt und verbindet, daß eine auf die andrec13 ein falsches Licht, eben vermittelst des gemachten Zusammenhangs, wirft; nicht zu gedenken, daß 3) |a537| wenn nicht vorher ausgemacht ist, ob und welche Sätze der Bibel bloß auf gewisse Leser, z. B. der damaligen Zeit, gehen, oder gar nur Vorstellungen enthalten, die Jesus und seine Apostel mehr stehen ließena14 als billigten, oder wohl gar aus einem gewissen Sprachgebrauch beybehieltenc15, ohne damit eben dieselben irrigen Begriffe zu verbinden, welche die damaligen Zuhörer damit verbanden,c16 daß alsdanna17 sogar Sätze für biblisch gehalten werden, die zwar in der Bibel stehnc18, aber keineswegs in dem Sinn, wie sie die Stifter der christlichen Religion nahmen. Es ist daher ein solch reinbiblisches Christenthum, das vielec19 vorgeben, eine sehr zweydeutigec20 Sache; und wie oft durch das Vorgeben, sich allein an die Bibel und an die ganze Bibel zu halten, andernc21 Staub in die Augen gestreuet worden seyc22, ist so bekannt, daß es keiner besondern Beyspielec23 bedarf.
Die zweytec2 Art, biblische Theologie abzuhandeln, kommt mit der oben (§. 145a3 f.) be|b273|schriebenen besten Einrichtung der systematischen, wovon die gelehrte oder scholastische nur |c234| eine besondrec4 Art ist, darin überein, daß sie die Lehren auf Erklärung der Schriftstellen und Vergleichung ihres Inhalts unter einander gründet; nur darin geht sie, wenn man sie der scholastischen entgegensetztc5, von ihr ab, daß sie nicht auch bloß natürlich bekannte Sätze mit denc6 aus der Bi|a538|bel gezognenc7 verbindet. *)c8 1) In jener Rücksicht beruht der Unterschied bloß auf der Methode, so daß die biblische von den Quellen zu den Lehren geht, die daraus fließen;a9 die scholastische aber – wenn sie nach den obigen Regeln eingerichtet ist – gleich die Resultate, und alsdanna10 erst die Beweise aus der Bibel;ac11 ob man gleich in der Untersuchung selbst zu jenen durch diese gelangt /c/awar. Beya\ ∥a13 beyderley Methodec\ ∥c14 hat man die Lehren auf einerleyc15 Art gefunden,ac16 sie werden nur denenc17 Lesern oder Zuhörern in verschiednerc18 Ordnung vorgelegt. Beyderleyc19 Methoden haben ihre Vorzügec20. Die sogenannte biblische,c21 nicht sowohl darin, daß man dabeyc22 viel mehr auf die heilige Schrift sieht, aus ihr lernt, anstatt schon vorgefaßte Meinungen darin erst zu suchen – (dennc23 man kanac24 ja auch schon /cbey Erklärungc\ ∥c25 der heiligen Schrift auf die Sätze schielenc26, die man für christliche Lehren hält, und danach, oft unvermerkt, jene /cerklären –),c\ ∥c27 als vielmehr darin, daß sie den Zuhörern oder Lesern die rechte Art zeigt, wie sie selbst lernen sollen, aus der heiligen Schrift die christlichen Lehren herzuleiten. Aber sie hat die Unbequemlichkeit, a) daß die |b274| Lehren nur aus einzelnena28 Hauptstellen hergeleitet werden. Diese aber enthalten oft bloß einen meist ohnehin schon bekannten Satz, ohne den geringsten weitern Aufschluß darüber zu geben, sonderlich in moralischen oder solchen Stellen, die keine näher geoffenbarten Lehren vortragen,c29 und, indem man sich an solche einzelnea30 Stellen hält, vergisstac31 man die Aufschlüsse, die uns |c235| die Bibel nicht |a539| sowohl durch Wörter und ausdrückliche Sätze, als vielmehr durch erzählte Thaten, Einrichtungen des Vortrags, und unangezeigte Voraussetzungen giebt (s. §. 154.a32 Anm. †,c33 und §. 153.a34 Anm. *)c35 Auch führt diese Methode b) zu gar zu großerac36 Weitläuftigkeit. Denn die meiste Zeit wird auf exegetische Untersuchungen verwendet, die man dem Ausleger /cüberlaßena37 könnte †),c\ ∥c38 und dadurch wird der Zuhörer, der Resultate sucht, zerstreut; aus mehrern Stellen werden die nehmlichenc39 Sätze wiederholtc40; und, da beyc41 einzelnena42 Stellen die darin liegenden Sätze angegeben werden, so wird die allgemeine Uebersicht aller von Einer Sache redenden Stellen erschwert, oder man muß nachher wieder das vorlegen, was sie alle gemein haben, oder was nur einigen eigen ist.
Warum sollen nun aber 2) von der christlichen Theologie alle Sätze und alle Beweise ausgeschlossen werden, die nicht in heiliger Schrift liegen, sondern /aauch ohne siea\ ∥a2 bekannt sind? – Vieles, was doch wirklich zur Religion gehört, sonderlich von moralischen Grundsätzen, ist in der Bibel gar nicht eigentlich erwähnta3, oder nur berührt, nicht ausgeführt;a4 weil Jesus und seine Apostel es entweder als bekannte Lehre und Pflicht voraussetzten, oder sie sich in ihrema5 Vortragc6 nach den vornehmsten Bedürfnissen ihrer Zeit und Zuhörer, mit Uebergehung andrerc7 eben so wichtigenac8 Sachen, richteten, oder weil sie von vernünftigen Zuhörern und Lesern erwarteten, daß sie die ihnen mitgetheilten Kenntnisse (die über|c237|haupt ihren bisherigen Kenntnissen vielmehra9 eine bessere und heilsamere Richtung geben, als sie mit neuen bereichern sollten), mit denen, welche ihnen vorhin |b276| bekannt waren, oder /aohne besondern Unterricht von Jesu den Seinena\ ∥a10 bekannt werden konnten, vergleichen, und so durch immer neue Anwendung auch auf neue Aufschlüsse kommen würden. Warum soll also dieses Mittel, das Gott jedema11 vernünftigen Menschen gegeben hat, nicht gebraucht werden, um die mehrere Entwickelung der christlichen Lehre zu befördern? /c– |a541| warumc\ ∥c12 nicht, um sie noch einleuchtender und anschaulicher zu machen, ihre Gewißheit zu verstärken, Zweifel dagegen zu benehmen, ihre vielfältige mögliche Anwendung zu zeigen, und dadurch ihren Werth noch mehr zu empfehlen? – Und wie ist die so wichtige praktische Darstellung des Christenthums möglich, wenn man bloß biblische Sätze sammletc13 und verbindet, ohne ihren Einfluß auf unsre Glückseligkeit klar zu machen? – Hat Jesus selbst es nicht für unnöthig gehalten, seinen Zuhörern, was ihnen schon aus dem alten Testament bekannt war, vollständiger vorzulegen, und mehr zu entwickeln (Matth. 5, 17c14); hat er dabeyc15 offenbar die Natur und Bestätigungen daraus zu Hülfe genommen (Matth. 6, 24 f. und anderwärts); haben diesc16 seine Apostel mit dem christl.c17 Unterricht ebenfalls gethan: warum sollen wir sie darin nicht nachahmen? /c–c\ Haben diese vollends Manches nur für ihre Zuhörer gesagt, und manche allgemeine Pflichten, wegen ihrer besondern Bedürfnisse, nur eingeschränkt (wie Matth. 19, 21c18): wie können wir bloß aus der heiligen Schrift wissen, ob und wie weit sie für uns gehören? ob eingeschränkt ausgedrucktea19 |b277| Pflichten, und wie ∥c20 sie für uns allgemeinec21 werden können, ohne hier natürlich bekannte Sätze und Betrachtun|c238|gen über die Natur der Pflichten und der Menschen zu Hülfe zu nehmen.
Eine andrec2 Eintheilung der systematischen Theologie, nach der man diese sogar in besondrec3 Wissenschaften zerfället hat, /cist nachc\ ∥c4 den /cverschiednen Artenc\ ∥c5 der /cLehren gemachtc\ ∥c6, die darin sollen abgehandelt werden. Sie betreffen entweder das, was das Christenthum für wahr, oder was es für recht erkennt, was es geglaubt, oder was es gethan wissen will. Den zusammenhängenden Inbegriff jenerc7 Lehren nennt man die dogmatische, speculative, auch theoretische, /cund einen solchenc\ ∥c8 Inbegriff /cdieserc\ ∥c9, die Moral- oder praktische Theologie, auch theologische Moral. Und weil man /cbey beydenc\ ∥c10 die Lehren entweder selbst darstellen, beweisen und erläutern, oder falsche Vorstellungen davon und deren Gründe widerlegen kanc11: so nennt man die Wissenschaft, worin jenes geschieht, auch die dogmatische, die thetische, auch wohl die /apositive odera\ ∥a12 didaktische; worin aber dieses geschieht, die antithetische, elenchtische, oder polemische Theologie.
Nach dem, was bisher von dem Nutzen der systematischen Theologie, in Absicht auf diese Artc2 die Theologie abzuhandeln, und von ihrer rechten Einrichtung, um diesen Nutzen zu befördern, gesagt worden ist, bedarf es über diese verschiedenec3 Theile derselben keiner Weitläuftigkeit;a4 und die folgenden Anmerkungen über diese einzelnena5 Wissenschaften sollen sich bloß auf ihren zweckmäßigen Inhalt, den Nutzen, der aus ihrema6 Inhalt zu ziehen ist, und die wahre Art einschränken, sie mit Vortheil zu studieren.
Wenn also die dogmatische Theologie oder christliche Glaubenslehre †)c2 noch von den gedachten beydenc3 andern Wissenschaften unterschieden wird:c4 so müßtec5 sie, sollteac6 sie ihrem Zweck (§. 186ac7) und dem Zweck der systematischen Theologie entsprechen, 1) allesc9 enthalten, was wir als Christen, abgesehen von den uns aufgelegten Pflichten, in Absicht auf Gott und dessen Verhältniß gegen uns, für wahr zu erkennen haben, es mag zu unsrerc10 Belehrung oder Ermunterung oder Trost dienen, ∥c11 aus der heiligen Schrift oder aus unleugbarenc12 Sätzen der Vernunft |c241| erkennbar seyn; ∥c13 2) die verschiednenc14, wenigstens wichtigern, Vorstellungen, die man sich von diesen Lehren unter Christen gemacht hat, mit Beurtheilung derselben. Diese Wichtigkeit müßtec15 nach einer doppelten Rücksicht /cbestimmt werdenc\ ∥c16: erstlich nach |b281| ihrem Einfluß auf die Befestigung der christlichen Erkenntniß, folglich auch danach, ob dadurch Zweifel und Widersprüche am besten abgeschnitten werden, und nach ihrem Einfluß auf die Besserung und Beruhigung der /cMenschen /a††); sodanna\ ∥a17 c\ ∥c18 auch danach, ob eine solche Vorstellung vielen Beyfallc19 gefunden hat, zumahlc20 wenn sie Unterscheidungslehre ganzer /cKirchenparteyena21 wordenc\ ∥c22 ist. Und weil eine Beurtheilung derselben nöthig ist – denn wozu sollte bloß historische Kenntniß dienen, da beyc23 der christlichen Erkenntniß allesc24 auf Ueberzeugung und Untersuchung des Wahren und Falschen ankommt? – so |a546| müßte auch 3) die Unrichtigkeit des Irrthums eben sowohl als die Wahrheit einer christlichen Lehre und der richtigsten Vorstellung davon, gezeigt /cwerden *).c\ ∥c25
Hiernach läßt sich der Nutzen dieser dogmatischen Theologie bestimmen, der oft übertrieben, oder zu sehr heruntergesetzt wird, und den man genau kennen sollte, um zu wissen, worauf man beyc2 Beschäftigung mit derselben eigentlich zu sehen hättea3. Sie giebt uns 1) richtige Begriffe von dem Verhältniß zwischen Gott und uns, d. i. von seiner und unsrerc4 Natur, seiner Gesinnung gegen uns, seinen zu unserm Besten gemachten moralischen Anstalten, /cunsrerc\ ∥c5 erforderlichen Gemüthsbeschaffenheitc6 wenn seine Absichten mit uns |b283| erreicht werden sollen, unsrenc7 daher entstehenden sichern Erwartungen, oder den im Gegentheil gewiß zu befürchtenden Folgen. Sie enthält somit 2) Grundsätze zu den übrigen theologischen Wissenschaften, – besonders zur Polemik, indem sie uns zeigt, was wir zu vertheidigen brauchen oder nicht, und wie? denn aller Widerspruch gegen Wahrheit beruht doch zuletzt auf Mißverstand, dem eben schon in der Dogmatik vorgebeugt werden |c243| muß, – zur Moral, denn unsrec8 Pflichten beruhen ja auf dem gedachten Verhältniß, und dieses giebt uns auch Bewegungsgründe und Ermunterung zu Ausübung der Pflichten – und zur weisen Führung des Lehramtes, damit man lerne, was für Begriffe und Ueberzeugungen man beyc9 Andern befördern, oder |a548| welchen man entgegenarbeiten solle. Sie eröffnet uns 3) die Quellen der wahren Beruhigung, die zu unsrerc10 Glückseligkeit so unentbehrlich ist, als die Beobachtung unsrerc11 Pflichten. 4) Sie unterrichtet uns von dem richtigsten Lehrbegriff, und zeigt dadurch, wenn wir uns, wie es mehrere Gründe erfordern, zu einer /cvorhandnen äusserlichenc\ ∥c12 Kirchea13 zu schlagen haben, welcher wir nach der richtigsten Ueberzeugung beytretenc14 müssen?a15 und 5) setzt sie uns in den Stand, die verschiednenc16 Vorstellungen von göttlichen Lehren und ihren Werth richtig zu beurtheilen, welches sehr großena17 Nutzen hat.
Beyc2 dem Gebrauch guter Vorlesungen oder Lehrbücher über die dogmatische Theologie würdec3 es hauptsächlich darauf ankommenc4, daß man sich 1) /adarausa\ sowohl die Lehrenc5 als die /cVorstellungen davonc\ ∥c6, mit ihren genauen Bestimmungen, wohl bemerktec7; 2) genau auf die Beweise /cAcht gäbec\ ∥c8, womit beydec9 unterstützt werden, und |b285| wie diese Beweise geführt sind; 3) die Lehren selbst, wie sie in der heil.c10 Schrift liegen, oder in der Vernunft unwidersprechlich gegründet sind, von den Vorstellungen darüber, und wo jene aufhören und diese anfangen, recht unterscheiden lerntec11; 4) die Beweise für beydec12 sorgfältig prüftec13, ohne, aus Begierde einen Satz zu unterstützen, mit jedem Beweise zufrieden zu seyn, oder, um eines schlechten Beweises willen, die Sätze selbst zu verwerfen; 5) den wahren Werth jeder Lehre und Vorstellung davon, d. i. ihren Einfluß auf andrec14 Lehrsätze sowohl, als auf die menschliche Glückseligkeit, recht schätzen /czu lernenc\ ∥c15, und besonders 6) die ganze erlangte Erkenntniß sich recht praktisch zu machen suchtec16 (§. 169.a17 Anm.).c18 Je vorsichtiger man hier beyc19 jedem Schritt ist; /cje mitc\ ∥c20 unbefangnerm Gemüthe man allesc21 prüft, bereit, die Wahrheit, sie seyc22 alt oder neu, geachtet oder verachtet, anzunehmen, wo sie sich |a550| findet; je mehr man sich fürc23 Gleichgültigkeit auf einer, und /cfürc\ Vorwitz, d. i. Neugier nach Entdeckungen, wozu uns Kräfte oder Hülfsmittel versagt sind, auf der andern Seite, hütet; und je mehr es /cunsc\ ∥c24 um wahre Besserung und Beruhigung |c245| durch erkannte göttliche Wahrheit zu thun ist: /cje sichrer, glücklicherc\ ∥c25 und heilsamer wird diese Beschäftigung seyn.
Diese dogmatische Theologie verdient billig eher als die Polemikc2 und Moralc3 getrieben zu werden, weil diese sich auf die Dogmatik gründen (§. 189a4). Mit ihr könnte das, was man der Polemika5 angewiesen hat, am besten gleich verbunden werden (§. 186ac6 Anm. 3); so wie diese auch ei|c246|gentlich gar keine besondere Wissenschaft ist, weil sie keine Lehren im Zusammenhangc8 vorträgt, sondern nur eine Vertheidigung des Inhalts der Dogmatik. †)c9 Womit sie sich eigentlich beschäftige, ist schon §. 186ac10 gesagt. Es müßte darin 1) jede Frage, worüber man verschiednerc12 Meinung ist, genau und bestimmt vorgetragen werden, so daß man angäbe, worin die, so darüber uneins sind, gleichwohl in Rücksicht auf /aunternommenea\ ∥a13 Untersuchung, übereinstim|a551||b287|men, und alles das absonderte, was in die Untersuchung gemischt worden, ohne dazu zu gehören, mithin den eigentlichen Gesichtspunctc14 anzeigte, woraus die Dissentirenden die Frage angesehen, und ob sie /ceinerley Gesichtspunct genommenc\ ∥c15 hättena16 oder nicht. Ist das Letzterea17, – und das ist gemeiniglich der Fall, – so fällt der ganze Streit von selbst weg; und schon in /cso fernc\ ∥c18 ist diese Bestimmung der Streitfrage gerade das Wichtigste beyc19 solchen Untersuchungen; sie ists aber auch deswegen, weil ohne sie der Streit nie aufs Reine kommen kanc20. 2) Müßte man diejenigen und ihre Schriften angeben, welche einen von uns behaupteten Satz mit der meisten Kenntniß der Sache, oder doch am scheinbarsten, bestritten haben, und, wenn der Streit mit einer ganzen Parteyac21 ist, die Schriften, wozu sie sich öffentlich bekannt hat;c23 damit der Leser oder Zuhörer nachsehen könne, ob man die richtige Meinung der Gegner gefasstac24 und angegeben habe; 3) das wahre Verhältniß zeigen, worin die Frage gegen andrec25 Lehrsätze steht, die damit stehen oder fallen, oder wenigstens an Stärke oder Werth verlieren; und sich hüten, die Folgen aus einer Meinung zu übertreiben, auch anzeigen, ob die Gegner diese Folgen anerkennten oder nicht; und alsdanna26 4) die Gründe der Gegner wider unsrec27 und für ihre Meinung in völliger Deutlichkeit und Stärke vor|c247|legen, und zeigen, daß sie entweder unsrec28 Meinung nicht treffen, oder daß sie unrichtig oder doch unbewiesen sind.
Wenn man diese Absicht und Einrichtung der sogenannten polemischen Theologie wohl und ohne Vorurtheile überlegt;c2 so läßt sich der großea3 Nutzen, den sie haben kanc4, nicht verkennen. Schon diesc5 wäre 1) viel werth, daß man daraus die verschiednenc6 Vorstellungen von Lehren der Religion, mit ihren Bestimmungen und Gründen kennen lerntec7. Dadurch würden einseitige Vorstellungen verhindert, und man lernte einsehen, daß /cunsre eignec\ ∥c8 Vorstellung gar nicht die einzige mögliche seyc9, mit der die Lehre selbst stünde oder fiele, und daß, wenn wir unauflösliche Zweifel gegen unsrec10 |b289| Vorstellung bekommen, diese uns noch keinesweges /anöthige,a\ die Lehre selbst aufzugeben ∥a11. |a553| Man lernte, /adasc12 Vielesa\ ∥a13, was verschrieen ist, so gefährlich nicht seyc14, daß wir uns dafürac15 entsetzen, und wohl selbst die Untersuchung scheuen müsstenac16. |c248| Man stießea17 selbst auf manche nicht bekannte oder verkannte und sehr nützliche Wahrheit. Man würde wenigstens zur neuen Untersuchung veranlaßt, an die man vorhin nicht gedacht hatte;a18 und die Geschichte lehrt ja offenbar, daß nie die Kenntniß der Religion erweitert und bestimmter wordenc19, als durch solche Untersuchung, die fast immer erst durch Streitigkeiten erweckt worden ist. Man würde den wahren Werth einer Lehre und Vorstellung kennen lernen, und dadurch einer Seits fürc20 Gleichgültigkeit gegen Wahrheit, auf der andern /aabera\ fürc21 Unbilligkeit gegen anders Denkende verwahrt werden.
Selbst 2) unsrec2 Ueberzeugung von der Wahrheit, und /cdiec\ Standhaftigkeit /cbey ihr,c\ ∥c3 würde dadurch gewinnen. Denn kennen wir, beyc4 jener Ueberzeugung, zugleich auch die Gegenmeinungen mit ihren Gründen, so setzen sie uns nicht so sehr in Verlegenheit, als wenn wir hernach sie unerwartet erfahren. Wir gerathen alsdanna5 nicht hinterher auf den Verdacht, daß man sie uns verheimlicht habe, aus Furcht, sie nicht widerlegen zu können; welcher Verdacht immer ein schädlichc6 Vorurtheil gegen das bisher Geglaubte, |b290| und für das Neue giebt, welches die ruhige unparteyischeac7 Untersuchung hindert. Wir lernen |a554| durch diese Kenntniß einsehen, daß entweder diese Gegenmeinung mit unsrer bestehen könne,c9 und so leidet unsrec10 Ueberzeugung von der Wahrheit nicht; oder wir sehen ein, daß sie falsch ist, und werden dadurch in unsrerc11 Ueberzeugung befestigt; oder daß sie wahr sey,c12 und so befreytc13 sie uns von einem Irrthum.
In so fern wir aber 3) aus der Polemik das Verhältniß eines Irrthums gegen andrec2 lernen, die durch diesen |c249| Irrthum unterstützt werden, oder zu dessen Unterstützung dienen: so sehen wir ein, wie man auf einen solchen Irrthum seyc3 geleitet worden, und lernen also, welchen Sätzen man vorbauen, oder welche man mitentkräftenc4 müsse, wenn ein Irrthum verhütet, oder er widerlegt werden solle. Und wenn 4) Zweifel unsrec5 Ueberzeugung von der Wahrheit zerstören, wenigstens vermindern, oder uns in Zweifelsucht stürzen, worunter oft genug unsrec6 Gemüthsruhe leidet, und die Wahl zwischen Gutem und Bösem, wenigstens die Ausführung des Guten, gehindert oder aufgehalten wird: so erfordert es die Liebe zur Wahrheit, das Streben nach gewisser Erkenntniß, die Liebe zu uns selbst und zu Andern, diese Zweifel aus dem Grunde zu heben. Da aber die Wenigstena7 Kenntniß genug von Irrthümern in der Religion und ihren bloß scheinbaren Gründen, so wenig wie von alle dem haben, was |b291| zur gründlichen Beurtheilung |a555| derselben erfordert wird; da die Wenigstena8 Scharfsinn oder Fähigkeit besitzen, das Wahre und Scheinbare zu unterscheiden, und eben so wenig Geduld und Uebung, verwirrte Untersuchungen aus einander zu wickeln: so kanc9 die Polemik großea10 Dienste dem leisten, der selbst noch nicht die nöthige Fähigkeit, Kenntniß und Uebung in solchen Untersuchungen hat, ja sie kanc11 selbst für ihn eine vortreflichec12 Schule zu solchen Uebungen werden.
Und eben in dieser Uebung besteht 5) einer der größestenac2 Vortheile, den die Polemik stiften kanc4. Wenn man sieht, wie die streitige Frage mit gehöriger Genauigkeit bestimmt, und beyc5 der Beantwortung der Gegengründe bestimmt angegeben wird, wie weit und warum man sie einräumen kanc6 oder nicht: so gewöhnt man sich an Verdeutlichung der |c250| Begriffe; man gewöhnt sich, eine Frage nicht gleich abzuurtheilen, sondern sie /cerstc\ auf mehrern Seiten zu betrachten; verwirrte Untersuchungen aus einander zu wickeln; vorsichtig zu werden, und was man behauptet, auf allen Seiten zu befestigen, um weder Blößena7 zu geben, noch Zweifel und Streitigkeiten zu veranlaßenac8; discret zu werden, um nicht mit dem verworfnenc9 Irrthum die Wahrheit zugleich zu verwerfen, oder mit dem, was man zugeben kanc10, auch das Falsche zu billigen, und dem Gegner Gelegenheit zu geben, in jenem Fall die verworfnec11 |b292| Wahrheit in Schutz zu nehmen, und den |a556| Streit von der wahren Frage abzulenken, und in diesem Fall den zugelaßnenc12 Irrthum gegen uns zu brauchenc13. Kurz, es giebt keine Art von Uebungen, wobeyc14 man so sehr könnte den Verstand schärfen, sich zur Präcision in Gedanken und Ausdrücken gewöhnen, recht nüchterne und geläuterte Untersuchungen anstellen lernen, als die Polemik, wenn sie recht eingerichtet wird.
Beyc2 so großena3 Vortheilen, die dieses Studium gewährt, müßtec4 es beynahec5 unbegreiflich seync6, wie Viele so verächtlich davon urtheilen oder es widerrathen könnten. Daß seichte und flüchtige Köpfe, welchea7 Anstrengung, Mühe und bedächtige /cUntersuchungen scheuen,c\ ∥c8 daß Leute, die gegen Wahrheit sehr gleichgültig sind, oder mehr überreden als überzeugen wollen, oder beyc9 Ueberraschung Andrerc10 mit scheinbaren Gedanken ihre Rechnung finden,c11 daß diese also dagegen eingenommen sind, ist nicht zu verwundern. Aber beyc12 Verständigern und Gewissenhaftern rührten diese verächtlichen Urtheile ohne Zweifel von der Wahrnehmung her, daß gewöhnlich die Polemik voll |b294| unnützer und über die Gebühr wichtig gemachter Untersuchungen, und daß sie von jeher ein Schauplatz der /cbösartigsten Zänkereyenc\ ∥c13 und Leidenschaften gewesen seyc14. Je lebhafter man |a558| sich die Verletzung der Billigkeit /cundc\ des Friedens, den Verfolgungsgeist, die Verabsäumung des praktischen Christenthums und andrec15 Uebel denkt; je mehr Aufklärung sich ausbreitet, dadurch Mißverstand gehoben, und |c252| der Werth eines Lehrsatzes richtiger gewürdigt; je mehr das äusserlichec16 Interesse verändert wird, welches gewissen Untersuchungen eine Wichtigkeit gab, die sie ihrer Natur nach nicht hatten; je gemeiner Liebe zur Duldung der anders Denkenden, zum Theil auch Gleichgültigkeit gegen das nicht unmittelbar Nützliche,c17 wird: je natürlicher ist diese Abneigung. Jec18 mehr ist hinwieder auch zu besorgen, daß man sich durch den Geschmack seiner Zeit, und durch das zu lebhafte Gefühl gewisser Uebel, zu sehr in seinem Urtheil leiten laßeac19, und nicht genug auf seiner Hut seyc20 gegen die Versuchung, ungerecht zu werden.
Denn alle diese Uebel beweisen doch nur, daß die Polemik, gleich der verdorbnenc2 Justizpflege, müsse gebessert, nicht daß sie müsse ganz weggeworfen werden. Untersuchungen müssen doch seyn, und dazu gehört, daß man eine Parteyac3 wie die andrec5 höre, und mit aller Weisheit, Vorsichtigkeit und Billigkeit richte. Wenn dieses Verhör auf die Art geschieht, wie §. /a191,c6 159a\ ∥a7 f. und |b295| 169ac8 Anm. angegeben wurde, und wenn man in der Polemik wie in der Dogmatik untersucht, um Wahrheit, nicht um Nahrung der Leidenschaft, zu finden: so |a559| fallen alle jene Uebel weg, welche die Polemik mit Recht in einen üblen Ruf brachten,c10 und sie wird alsdanna11 ein sehr heilsames Mittel, wahren Frieden,c12 ohne Nachtheil der Wahrheit,c13 zu befördern.
Wenn man das zusammennimmt, was bisher von der rechten Einrichtung dieser Art der Theologie, von dem Nutzen derselben, von den gewöhnlichen Fehlern beyc2 Führung theologischer Streitigkeiten, und beyc3 dem Vortrag derselben in einer besondern Wissenschaft, gesagt worden ist: so kanc4 man |c253| von selbst leicht erkennen, wie sie müsse studieretc5, und worauf eigentlich Acht gegeben werden, um den versprochnenc6 Nutzen daraus /czu ziehn. –c\ ∥c7 Uebrigens ist die Methode, die Polemik nach der Ordnung der Lehren vorzutragen, überhaupt weit nützlicher, als die Ordnung nach /cverschiednen Religionsparteyena8c\ ∥c9. Der Hauptzweck müßtec10 doch beyc11 polemischen Untersuchungen 1) immer seyn, Wahrheit und Irrthum oder Schein unterscheiden, und sich überzeugen zu lernen, was für und wider jeden verschiednenc12 Lehrsatz oder Vorstellung einer Lehre gesagt werden könne, und mit welchem Grunde. /cDies kanc\ ∥c13 aber am besten geschehen, wenn wir beyc14 Untersuchung der Lehren in der Dogmatik gleich |b296| auch das Gegentheil mit, wenigstens gleich in der Polemik dasselbe in Beziehung auf jene Lehren untersuchen. 2) Man lernt auch nach die|a560|ser Methode beyc15 jeder Lehre sogleich die verschiednenc16 Meinungen darüber mit /aEinem Mahlec17a\ ∥a18, und braucht sie nicht erst zerstreut unter den /cverschiednen Parteyena19 c\ ∥c20 aufzusuchen; und eben dadurch wird 3) verhütet, daß man nicht die nehmlichenc21 Gründe, und meistens eben dieselben Antworten, beyc22 Prüfung einer Parteyac23 zu wiederholen braucht, wenn man sie schon beyc25 einera26 andern erwogen hat, welches unnöthige Weitläuftigkeitena27 erspart. Auch werden 4) beyc28 Untersuchung der Meinungen einer Parteyac29 nur solche Punctec31 erörtert, die zwischen Parteyenac32 streitig sind,c34 und diese sind nicht gerade der Sache nach die wichtigsten, als welche letztrec35 oft gar nicht einmal Unterscheidungslehren ganzer Parteyenac36 ausmachen; sehr oft enthalten gewisse Privatmeinungen viel wichtigere Aufschlüsse, und Gründe einzelnera38 gelehrten Theologen sind oft viel ausgesuchter und geschärfter, als die, so in öffentlichen Bekenntnißbüchern gebraucht sind. So nähretc39 auch 5) die Abhandlung der Streitigkeiten nach Parteyenac40 mehr den Sectenhaßc42, erschwert die |c254| unparteyischereac43 Untersuchung, und nöthigt den Untersucher 6) viele ganz unnütze Untersuchungen beyzubehaltenc45, an deren Statt viel erheblichere, und unsern Zeitbedürfnissen gemäßerea46, könnten aufgenommen werden.
Die christl.c2 Moral, oder der zusammenhängende Unterricht, den uns das Christenthum über die Einrichtung unsers freyenc3 Verhaltens nach Gottes Willen, giebt, kanc4 nicht bloß auf dasjenige eingeschränkt werden, was die heil.c5 Schrift davon enthält, sondern muß auch allesc6 mit in sich fassen, was uns die Betrachtung der Natur darüber lehrt, zumal da die heil.c7 Schrift diesen Theil |b298| des |c255| Christenthums nicht so ausführlich vorgetragen hat, als theoretische Lehrenc8 (S. §. 185a9 und 156.ac10) Ihr Unterschied von der /cphilosophischen Moralc\ ∥c12 besteht daher nicht darin, daß diese, na|a562|türlich bekannte, und die christliche, geoffenbarte Pflichten enthält – denn der letztern sind nur sehr wenige, die nemlichc13, welche aus den dem Christenthum eingethümlichen Lehren fließena14 – sondern darin, daß die christliche auch noch solche Gesinnungen und Pflichten empfiehlt, die nicht aus der bloßena15 Natur erkennbar sind, und die natürlichen Pflichten durch neue, aus den eigentlichsten Christenthum hergenommnec16, Bewegungsgründe unterstützt. Da es aber beyc17 der wahren Gottseligkeit, welche die christliche Moral lehren und empfehlen soll, nicht sowohl auf Handlungen als auf Gesinnungen ankommt, die sich nur durch gute Handlungen äussernc18, und das Christenthum, als eine Religion betrachtet, allesc19 auf unser Verhältniß gegen Gott zurückführt: so muß die christliche Moral theils sowohl und vorzüglich auf Beförderunga20 einer guten Gesinnung, als der Ausübung einzelnera21 Pflichten arbeiten, theils beydesc22 beständig/a, wenigstens mita\ auf Gottc23 zurückführen.
Wenn die christliche Sittenlehre ihre Absicht erfüllen soll:c2 so muß sie dreyerleyc3 leisten. Sie muß 1) allesc4, was zur wahren Gottseligkeit gehört, und den ganzen Umfang der Pflichten eines Christen vorstellen; sie muß wenigstens – da ihr Umfang ins Unendliche geht, und jede neu erlangte Kenntniß, jede neue Art von Umständen, in die wir kommen, uns neue Pflichten auflegt – so allgemeine und in vorkommenden Fällen anwendbare Grundsätze vorlegen, daß wir daraus, indem wir sie mit unsern Umständen vergleichen, unser rechtmäßiges Verhalten in einzelnena5 Fällen bestimmen können. Um diese Pflicht in ihrem ganzen Umfangc6 vorzustellen, müssen nicht nur /c–c\ die gesammten Pflichten selbst /cangegeben –c\ ∥c7 es muß auch bestimmt werden, wie weit sie reichen, um sie nicht zu weit auszudehnen, und Pflichten zu fordern, die dergleichen nicht sind, oder sie zu sehr einzuschränken, und |b300| Pflichten auszuschließenc8, die darin mit begriffen seyn sollten; – es muß selbst die Collision der Pflichtena9 nicht übersehen, und, durch Zusammenhaltung derselben, gezeigt werden, wie weit eine durch die andrec10 eingeschränkt werde, oder die eine in vorkommenden Fällen der andern weichen |a564| müsse. Man sieht leicht ein, wie nöthig hier deutliche und bestimmte Begriffe sind, und wie wenig es zureiche, nur überhaupt zu wissen, was man zu thun oder zu laßenac11 habe.
Nächstdem /cmüßtec\ ∥c2 die christliche Moral 2) überall /cdazu eingerichtet seyn, uns würklich gottselig zu machen, d. i. es müßte uns allesc\ ∥c3 so |b301| einleuchtend, so dringend, so überwiegend angenehm /cgemacht werdenc\ ∥c4, daß /cbey uns –c\ ∥c5 wahrhafte Ueberzeugung:a6 /cso müssenc\ ∥c7 wir ∥c8 seyn und handeln ∥c9, wenn es uns wohl gehen /csoll –c\ ∥c10 wahrhafte Neigung, so zu werden und zu /cverfahren –c\ ∥c11 und zwar überwiegende Neigung dazu, entstehen /ckönnte, diec\ ∥c12 in wirkliche That /cübergingec\ ∥c13. Dieses kanc14 geschehen durch deutliche und lebhafte Dar|a565|stellung – zuerst der wahren Tugend oder Gottseligkeit, theils als einer Sache, ohne die man unmöglich glücklich seyn, beyc15 der man hingegen auf die seligsten Folgen rechnen könne, theils als eines Ganzen, d. i. als einer durchgängigen Lust an allemc16, was Gottes Willen gemäß ist, und eines durchgängigen Mißfallens am Gegentheil, verbunden mit einem beständigen, immer wieder erneuerten, Bestreben, durchaus nach Gottes Willen zu handeln; hernachc17 – aller einzelnena18 Pflichten im Zusammenhang, d. i. als solcher, die Gott ohnfehlbarc19 von uns fordert, und die sowohl nothwendige Folgen von den anerkannten Pflichten, als neue |c258| Quellen der seligsten Folgen sind, die aus ihrer Ausübung entspringen. Die Vorlegung der wohlthätigen Absichten, die Gott beyc20 allen seinen Gesetzen und Anstalten hat, können uns nicht nur willig machen zu Gesinnungen und Handlungen, die seinen Absichten entsprechen; sie können uns auch Aufschlüsse geben über die Verbindung einer Pflicht mit der andern, und über unsre rechte Wahl, wenn diese Pflichten mit einander in Collision kommen sollten.
Weil aber /cUeberzeugung von einer Pflicht,c\ ∥c2 Ueberzeugung von ihrer Möglichkeitc3 voraussetzt, |a566| und weder Willigkeit, etwas zu werden oder zu thun, noch viel weniger That entstehen kanc4, wenn man nicht einsieht, wie man es anzugreifen habe, um so zu werden oder zu handeln: so muß sich die christliche Moral nicht bloß auf Vorlegung und Einschärfung guter Gesinnungen und Pflichten einschränken, sondern auch 3) die Artc5 zeigen, wie wir jene erlangen, erhalten und verstärken, und diese ausüben, wodurch wir uns dieses erleichtern, und die Hindernisse desselben aus /cden Wegc\ ∥c6 räumen, oder doch vermindern können.
Ob /cdiesesc\ ∥c2 Studium der christlichen Moral nützlich /csey? – diesc\ ∥c3 sollte beyc4 vernünftigen Menschen und Christen eigentlich gar /cnicht einmal bezweifelt werdenc\ ∥c5, weil es eben so viel ist, als wenn jemand noch fragen wollte: ob der Mensch /aseine Pflicht thun, und immer recht handeln müsse, oder nicht? ob era\ nach Glückseligkeit streben müsse, oder nicht? |c259| ob er glücklich werden könne ohne die Mittel, die er dazu in Händen hat, und /aohnea\ seine Kräfte zu gebrauchen? ob die deutliche und leben|b303|dige Kenntniß und Ueberzeugung von seinen Pflichten und ihrer Quelle, einer guten Gesinnung, von den seligen Folgen derselben, und von der besten Art,a6 sie zu erlangen oder auszuüben, diesen fleißigen Gebrauch jener Mittel befördrec7, oder hindrec8? Und doch haben viele, auch sehr verständige redliche Christen, wirklich dieses Studium nicht nur für entbehrlich, sondern selbst für schädlich /cgehalten, undc\ ∥c9 sind ∥c10 in ihren Vorurtheilen dagegen |a567| durch übertriebnec11 Lobsprüche auf diese Wissenschaft verstärkt worden. Beyderleyc12 ausschweifende Vorurtheile rühren von unrichtigen, unvollständigen oder überspannten Begriffen her, die man sich von dem Umfang und von dem Zweck der Moral, von ihrem mehrernc13 oder mindernc14 Einfluß auf denselben, und von dem Werth andrerc15 Mittel zur Glückseligkeit der Menschen macht,c16 und diese Vorurtheile fallen weg, wenn man alle diese Begriffe berichtigt. Schon die ganze Absicht und Natur dieser Wissenschaft zeigt, daß es, nächst der christlichen Glaubenslehre, keine /cWissenschaftc\ gebe, deren Werth und unmittelbarer Einfluß in die Glückseligkeit des Menschen mit /cihremc\ ∥c17 verglichen werden könne.
Wie diese edle Wissenschaft mit wahrenc2 Nutzen studieretc3 werden könne, läßt sich aus dem leicht folgern, was bis|c260|her §. 200–202ac4 über die Erfordernisse /cbey dieser Wissenschaftc\ ∥c6, ausführlicher im gedachten Buche, auch oben §. 188ac7 gesagt worden ist. Aber nirgends ist auch das für Annehmung alles Guten offnec9 und willige Herz so unentbehrlich als hier. – Um die rechte Behandlung der christlichen Moral nach der |a568| heil. Schrift und der Vernunft zu lernen, möchten die obigen Anmerkungen §. 145a10 f. und 156a11 f. sehr dienlich seyn.
Die älteren wissenschaftlichen Lehrbücher der christlichen Moral, folgen doch fast sämmtlich dem Ideengange irgend eines philosophischen Systems, und zeichnen sich auch durch philosophischen Geist vor vielen Lehrbüchern der ältern Dogmatik aus. Dieß ist der Fall in den Systemen von Buddeus, Baumgarten, Canz, Crusius. Mosheim ging einen freiern Gang, ward aber auch eben daher oft mehr wortreich als gründlich.
Die Erscheinung der kritischen Philosophie hat auf die Wissenschaft einen sehr bedeutenden Einfluß gehabt. Ihr Stifter Kant hatte selbst behauptet, sein Moralsystem sei in seinen Hauptideen vollkommen mit den Grundsätzen des christlichen übereinstimmend. Sein Prinzip sei kein anderes, als was Christus seiner Lehre zum Grunde gelegt habe.
|c261| Die große Sensation, welche diese Philosophie machte, der hohe und reine Geist, welcher sich besonders in dem praktischen oder moralischen Theil aussprach, das Anschließen desselben an die Aussprüche des neuen Testaments, bewog viele Theologen, nunmehr ihre theologischen Lehrbücher ganz nach den Kantischen Ideen zu bilden, dieselben Terminologieen zu gebrauchen, und allerdings wohl vieles in das neue Testament hineinzutragen, was in einer so populären Behandlung moralischer Wahrheiten kaum zu erwarten war. Die Compendien von F. W. Schmid, Ammon, Snell, mit einigen Modificationen aber von Vogel, Stäudlin und Andern, liefern die Beweise. Andere, wie Reinhard, sträubten sich zwar Anfangs dagegen, nahmen aber doch unvermerkt immer mehr von den Kantischen Ideen auf, da sie sich von so vielen Seiten durch Würde und Consequenz empfahlen, wie dieß Garve in seiner Schrift über die Moralprincipien alter und neuer Schulen, mit großer Unparteilichkeit ins Licht gesetzt hat. Das Moralsystem Reinhard's, wovon er den letzten Theil nicht vollenden konnte, bleibt übrigens ein Hauptbuch, mehr durch seine Anordnung, die Wiederholungen unvermeidlich machte, als durch den Schatz von Kenntniß, Gründlichkeit der Exposition vieler Materien, und die reiche und gewählte Literatur.
Fast könnte man übrigens fürchten, daß die beinahe ganz philosophische Gestalt, welche die christliche Sittenlehre erhalten, ihren eigenthümlichen Charakter zu sehr in Schatten gestellt, und daß sie wohl eigentlich, um sich von der philosophischen zu unterscheiden, mehr unmittelbar aus ihrer Urkunde hergeleitet werden müßte. Eine solche Bearbeitung liegt, wenn Gott mein Leben fristet, in meinen Plänen für die Zukunft. D. H.c
Noch könnte man als Theile der christlichen Moral das ansehen, was manchec2 unter dem Na|b305|men der Casuistik, Ascetik und Mystik begreifen. – Unter dem Namen der Casuistik,a3 oder casuistischen Theologie, könntec4 man /csichc\ eine /cAnweisung denken, wiec\ ∥c5 die göttlichen Gesetze auf vorkommende einzelnea6 Fälle mit /cVorsichtigkeit müßten angewendet werdenc\ ∥c7. Weil aber diese weise Anwendung stets in Rücksicht auf die ins Unendliche verschiednec8 Umstände beyc9 einzelnena10 Fällen geschehen muß, so sind der dahin gehörigen allgemeinen Regeln nur so wenige, und sie sind so allgemein, daß sie beyc11 der wirklichen Anwendung |a569| viel zu unzureichend sind. Und dieses wenigec12, z. B. über die Collision der Pflichten, kanc13 ja in der Moral eben sowohl mit vorgetragen werden, ohne daß man nöthig hat, eine besondere Wissenschaft daraus zu machen. Der beste Unterricht in einer solchen vorsichtigen Anwendungac14 liegt in recht deutlichen und bestimmten Begriffen von unsern Pflichten, in genauer Aufsuchung der Absichten Gottes beyc15 besondern Gesetzen ∥c16, und in genau bestimmten Gründen, die uns /cwozuc\ ∥c17 verpflichten, wozu hernach eine reifliche Erwegungc18 der jedesmaligen Umstände kommen muß. Die fleißige Uebung in praktischer Beobachtung und Beurtheilung ∥a19 nach gedachten Begriffen, Absichten und Gründen; das Studium der moralischen Natur des Menschen und der Geschichte, ∥a20 und die sorgfältige Aufmerksamkeit auf (freylichc21 nicht häufige) Beyspielec22 von weisen Entscheidungen solcher einzelnena23 Fälle, helfen hier weit mehr, als das ängstliche Studium allgemeiner Regeln. Die meisten casuistischen Schriftsteller sprechen mehr |b306| nach Herkommen, menschlichem Ansehen und Gutdünken, als nach ge|c263|dachten richtigen Grundsätzen und Beobachtungen,c24 verlieren sich auch zum Theil so sehr in bloß abstraktena25 Speculationen, daß ihre Versuche, der Moral und brauchbaren Entscheidung einzelnera26 Fälle danach, mehr schädlich als nützlich wordenc27 sind.
Ascetik ∥c2, als ein Theil der Moral genommen, wird 1) bisweilen in weiterm Verstande |a570| von der Anweisung verstanden, tugendhafta3 zu werden, und sich so zu beweisen. So fern die Moral überhaupt auch von den Mitteln zur Tugenda4 handelt, und beyc5 den einzelnena6 Pflichten die beste Art zeigt, wie sie ausgeübt werden müssen (§. 202ac7), macht sie eine besondrec9 Wissenschaft dieser Art entbehrlich. Es ist auch nicht rathsam, sie von der Moral zu trennen, weil gegründete und nicht willkürliche Regeln oder Rathschläge auf deutlichen und bestimmten Begriffen von der wahren Gottseligkeit und unsern Pflichten beruhen müssen. Gründet man sie darauf nicht – und das scheinen die zu thun, welche Ascetik noch von Moral unterscheiden: – so können ascetische Schriften viel Gutes enthalten, das aber nicht immer allgemein wahr und nützlich /aist; sie legen auch gemeiniglicha\ ∥a10 auf zufällige Dinge zu großena11 Werth ∥a12, und /amischen soc13 a\ ∥a14 manches Willkürliche und Irrige mit eina15, daß man sich nicht sicher /aauf sie /cverlaßen kanc\ ∥c16a\ ∥a17, ja oft, beyc18 der besten Meinung, zu Ausschweifungen ver|b307|leitet wird. – Bisweilen aber unterscheidet man auch moralische und ascetische Schriften 2) nachdem sie mehr auf Erkenntniß der Tugenda19 und unsrerc20 Pflichten, oder mehr auf das Herz und zur Beförderung des Eindrucks jener Erkenntniß arbeiten. – Beydesc21 sollte nicht getrennt werden, obgleich das Eine zunächst mehr der Zweck des Un|c264|terrichts seyn könnte, als das Andrec22. – Manchmal nennt man auch /a3)a\ moralische Schriften,c23 die, welche mehr durch deutliche Begriffe und Bewegungsgründe, und ascetische, die mehr durch sinnliche Vorstellungen die |a571| Gottseligkeit lehren und empfehlen sollen. Beyderleyc24 Vortrag kanc25 nach Beschaffenheit der Umstände nützlich seyn (§. 175–177ac26), und müßte billig, so weit es möglich ist, verbunden werden; nur müßte man auch beyc28 jedem das nicht aus der Acht laßenac29, was oben (§. 174ac30) gesagt worden ist. – Wollte man /caberc\ ∥c32 4) Ascetik eine Anweisung zu einenc33 Vortrag von der letztern Art nennen:c34 so würde Ascetik von der /cAnweisung zum populären Vortragc\ ∥c35 nicht verschieden seyn.
Beyc2 den schwankenden Begriffen, die man mit dem Wort Mystik oder mystische Theologie verknüpft, scheint es doch, wenn man auf den Gebrauch Acht giebt, den man von diesem Namen macht, und nach diesem einen bestimmten Begriffc3 sucht, daß sich diese verschiednec4 Begriffe auf dreyc5 zurückführen laßen.ac6 1) Eine /cAnwei|b308|sung, Gott ähnlich zu werdenc\ ∥c8. Alsdanna9 ist sie, wenn es nur von einer sittlichen, nicht physischen, Aehnlichkeit verstanden wird, von der Moral eigentlich nicht verschieden, ausserc10 daß man in dieser letztern auch vieles, was recht ist, ohne Beziehung auf Gott betrachten kanc11, und daß gewisse Pflichten, z. B. Erhaltung unsers Lebens durch gesunde Nahrungsmittel und gute Lebensordnung, zwar immer Gottes Willen gemäß seyn müssen, aber in Gott nichts Aehnliches haben. ∥c12 2) Anweisung zu Uebungen überhaupt, wo|c265|durch man zu dieser Aehnlichkeit mit Gott gelangen /ckan. Alsdennc\ ∥c13 wäre sie mit der Ascetik |a572| im ersten Verstande (§. /c206a14) einerleyc\ ∥c15, und ein Theil der Moral. 3) Im eigentlichsten und engsten Verstande aber, eine Anweisung zu solchen Uebungen, wodurch man, vermittelst des unmittelbaren Einflusses Gottes, dem man sich ganz überläßt, ohne ihn durch den Gebrauch eignerc16 Kräfte oder äusserlicherc17 Hülfsmittel zu stören, zur höchst möglichsten Aehnlichkeit mit Gott, in Gesinnungen und in Seligkeit, gelangt. Hiebeyc18 würde danna19 unser Betragen zu diesem Zweck, nicht auf dem Gebrauch und Befolgung weder der Vernunft, noch der heil. Schrift beruhen,c20 wenigstens würde, was diese beydec21 uns von Gottes Willen lehren, erst dem Ausspruch unsrerc22 innern Empfindungen unterworfen /cwerden; welchesc\ ∥c23 der nächste Weg zur /cSchwärmerey istc\ ∥c24. Da nun die Verwechselung unsrer Phantasienc25 mit unsern Empfindungen so leicht ist, und wir ausserc26 dem Gebrauch der Vernunft und der heil. Schrift schlechterdings kein Mittel haben, |b309| Wahres vom Falschen, göttliche Weisheit von menschlicher Thorheit, zu unterscheiden: so mag immerhin die Mystik, oder was man durch ihre Anweisung lernt, viel Schätzbares enthalten, welches, nach der Vernunft und Schrift geprüft, und danach geläutert, uns wenigstens manches Gute eindrücklicher machen kan,c27 aber trüglich bleibt sie vorc28 sich immer, und verdient ohnehin, da sie nicht auf deutlichen Begriffen beruht, ∥c29 den Namen einer Wissenschaft /cnichtc\.
Ehe man zur systematischen Theologie schreitet, ist es zur deutlichen Ueberzeugung nothwendig, vorher eine feste Ueberzeugung von den Sätzen zu haben, worauf das göttliche Ansehnc2 der heiligen Schrift und der darin enthaltnenc3 Lehre sowohl, als der Glaubwürdigkeit ihrer Geschichte beruht, ohne welche Ueberzeugung die aus der heil. Schrift gezognec4 Sätze nicht /ckönnenc\ als sicher angenommen und aufgeklärt werden ∥c5. Diese vorläufig nothwendigen Sätze müssen also nicht erst aus der heil. Schrift, sondern schon /aanderwärtshera\ ∥a6 bekannt und erweislich seyn;c7 und dahin gehört 1) allesc8, was uns von Gott, seinen Eigenschaften, und dem daraus fließendena9 Verhältniß zwischen ihm und /auns aus der Natura\ ∥a10 bekannt seyn kan.c11 2) Allesc12 was die Geschichte der Bibel selbst, und der darin vorgetragnenc13 Lehre angeht, deren gött|b310|liches Ansehnc14 mit deutlicher Ueberzeugung erkannt werden soll; folglich sowohl die Geschichte der biblischen Bücher, wenigstens der ganzen Sammlung, die wir unter dem Namen der heil. Schrift für eine Quelle der göttlichen Wahrheit ansehnc15, als auch die Geschichte der darin stufenweise bekannt gemachten göttlichen Offenbarungen. Und da diese letztrec16 meistens und allein recht zuverläßigc17 aus der Bibel selbst geschöpft, das göttliche Ansehnc18 dieser Nachrichten aber nicht schon vorausgesetzt werden kanc19: so ist nicht nur eine Kenntniß der Regeln nöthig, wonach die Glaubwürdigkeit dieser Nachrichten kanc20 erwiesen werden, sondern wir bedürfen auch historischer Kenntnisse, /cwonach sichc\ ∥c21 darthun /claßea22c\ ∥c23, daß die in den biblischen Büchern vorkommendec24 Nachrichten von den göttlichen Lehren und ihrer Geschichte, alle Kennzeichen der Glaubwürdigkeit haben.
Jene natürlichen Kenntnisse von Gott sind zwar in der natürlichen Theologie ∥a2 enthalten, und die andern vorläufigen historischen Kenntnisse von der Bibel und von ihrer Geschichtec3 findet man in den Büchern, welche die Kritik der heiligen Schrift, oder eine Einleitung in das alte und neue Testament liefern (§. /a25. 34c4 a\ ∥a5 und 51ac6); auch pflegt man die nothwendigsten hieherc8 gehörigen Kenntnisse vorläufig beyc9 Abhandlung der dogmatischen Theologie vorzutragen. /a–a\ Allein in der natürlichen Theologie nimmt man nicht immer Rücksicht |b311| auf die Möglichkeit und die Kennzeichen einer nähern göttlichen Offenbarung; es laßenac10 sich auch von vorne her zwar wohl Merkmale angeben, woran eine fälschlich vorgegebnec11 Offenbarung erkannt werden kanc12, aber keine unleugbarec13 Kennzeichen, woran eine wirklich wahre Offenbarung zu erkennen wärea14. /cUeberdies kanc\ ∥c15 man diese, jedema16 Menschen nothwendigec17, Kenntnisse von Gottc18 nicht gemeinnützig und anschaulich genug machen, um lebhafte Eindrücke davon zu befördern,c19 und daher sind Betrachtungen über die sichtbare Natur, und die in ihr unleugbarc20 herrschende Ordnung und Absichten sehr nöthig ∥a21, die unmöglich so in der Kürze vorgelegt werden können, sondern vielmehr ein besondresc22 Studium erfordern. /a–a\ In den sogenannten Einleitungen in die heil. Schrifta23 oder zur biblischen Kritik, sind entweder, nach ihrer eingeschränkten Absicht, nur die historischen Kenntnisse vorgetragen, ohne eine nähere Anwendung auf das göttliche Ansehen, oder auch nur |a575| auf die Glaubwürdigkeit der biblischen Bücher zu machen, oder daraus den Beweis für dieselbe deutlich zu führen; oder dieser Beweis ist mit so weniger Genauigkeit und Discretion geführt, daß man darauf keine sicherea24 Ueberzeugung gründen kanc25. /a–a\ Endlich, wenn man |c268| auch den Beweis des göttlichen Ansehens dieser Bücher wohl entbehren könnte:c26 so ist es doch sehr nöthig, die Vorurtheile wegzuräumen, und die allgemeinen Zweifel zu heben, die man mit großema27 Schein gegen die biblischen Bücher oder deren Inhalt machen kanc28, als welche weit mehr die wahre Ueber|b312|zeugung von ihrem großena29 Werth hindern, als der Mangel eines Beweises von ihrem göttlichen Ursprung. Denn jene hindern selbst die Aufmerksamkeit auf diese Bücher und deren Gebrauch; ist man aber erst so weit gebracht, daß man sie nur mit unbefangnemc30 Gemüth lieset, betrachtet, und die Probe davon macht, was für selige Folgen aus der Beobachtung ihrer Lehren entstehnc31: so rechtfertigt sich nachhera32 ihr göttlicher Werth von selbst. /c–c\ Aus allen diesen Ursachen sind besonderea33 Vorlesungen über die Wahrheit und den Werth der Religion und des Christenthums überhaupt, oder das Studium dahin abzielender Bücher sehr zu /cempfehlen; zumahlc\ ∥c34 wenn die Umstände der Zeit dergleichen Untersuchungen noch weit nothwendiger machen als andrec35 über besondrec36 angebliche Lehren des Christenthums.