Wir nehmen hier diese Fähigkeiten /cin weitermc\ ∥c2 Verstande, und rechnen dahin: – die natürlichen Kräfte zu diesem Beruf – die zu dessen würdiger Führung nöthigena3 Kenntnisse – und die Gemüthsfassung, welche erfordert wird, die dahin gehörigec4 Beschäftigungen gern und mit gewissenhaftem Fleissec5 zu treiben. Von dem zweytenc6 Stück ist schon bisher geredet worden; von den beydenc7 übrigen also hier das Weitere.
Die natürlichen Kräfte, welche hier in Anschlag kommen, sind: – Kräfte der Seele – |b160| (oder, wie es einigec2 nennen, der gute Kopf,a3 oder das Genie, im Gegensatz gegen Fleiß) – Kräfte des Körpers – und, weil es hier auf Bildung eines Lehrers ankommt – die Kraft oder Gabec4 sich wohl auszudruckenc5.
|a734| ∥c6 Ueber die Geisteskräfte und deren Prüfung, siehe den treflichenc7 Versuch über die Prüfung der Fähigkeiten in der Sammlung einiger Abhandlungen von Christian /aGarvec8 Leipziga\ ∥a9 /c1779, in Octav,c\ ∥c10 S. 8 flgg.c11
|c144| Es versteht sich von selbst, daß – da der Umkreis von Beschäftigungen, der einem Lehrer der Religion in seinem besondern Berufc12 angewiesen ist, größera13 und kleiner, einfacher und zusammengesetztera14 seyn kanc15, zu so verschiednenc16 Aemtern nicht immer /causserordentliche Menschenc\ ∥c17 erfordert werden, undc18 selbst großea19 Fähigkeiten in einem kleinen und einfachenc20 Kreise das Interesse an gewissen Beschäftigungen schwächen, und leicht verleiten, über das Ziel hinauszulaufen – daß, sag' ich, theils diese Fähigkeiten nicht beyc21 allen /cim hohenc\ ∥c22 Grade brauchen vorhanden zu seyn, theils ein jeder sich, nach der besondern Art /cvon Fähigkeit wozuc\ ∥c23, derjenigena24 besondern Art von Beschäftigungen widmen müsse, die jenen am angemessensten sindc25, und hinwiederum nach seinem vorzüglichen Geschmack an gewissen Beschäftigungen des Lehramts sich prüfen, ob und wie weit er dazu die ihnen entsprechendec26 Fähigkeiten habe,a27 oder erlangen könne.
Wir empfinden, innerlich oder äusserlichc2, was wir uns als gegenwärtig vorstellen, oder was einen Eindruck auf uns macht, dessen wir uns bewußt sind; es seyc3, daß wir es selbst wahrnehmen, oder daß es uns von Andern mitgetheilt werde, in so fern wir es bloß auffassen, und zu /cunsrer eignenc\ ∥c4 Vorstellung machen. Das Vermögen zu empfindenac5 verschafft uns alle Vorstellun|a735|gen, die hernach erst die Seele vergleichen, bearbeiten und anwenden kanc6, und seine gute Beschaffenheit hat also einen Einfluß auf die Vollkommenheit desjenigen, was unsrec7 übrigen Seelenkräfte hervorbringen. – Die Vollkommenheit /cdieser Kraftc\ ∥c8 läßt sich /cdaraus abnehmen: –c\ ∥c9 wenn jemand viel Wißbegierde hat; wenn ihm also alle Gelegenheit willkommen ist, wo er etwas lernen, und je|c145|der Vorfall, Umgang, jedes Buch /cu. d. gl.c\ ∥c10 um so weniger für ihn anziehend, je weniger er daraus etwas Neuesc11 oder das Bisherige besser lernen /ckan; –c\ ∥c12 wenn ihm die Art der Sache, und ob sie gut oder schlecht, brauchbar oder nicht seyc13, nicht gleichgültig ist, sondern seine Wißbegierde desto mehr erregt und unterhalten wird, je mehr er den Werth einer solchen Sache wahrnimmt; welches beweiset, daß ihn nicht Eitelkeit oder nur Liebe zu Veränderungen, sondern vernünftige Wißbegierde /cleite; –c\ ∥c14 wenn er nicht unter vielerleyc15 Dingen herumirrt, und allesc16 ergreift, was sich ihm darstellt, sondern beyc17 besondern Eindrücken gern stehen bleibt, die Auf|b162|merksamkeit fest daran heftet, sie genau aufzufassen sucht; weil dieses ein Zeichen der Thätigkeit und des Interesse für eine Sache /cist; –c\ ∥c18 wenn er weniger Vergnügen an übersinnlichen als an sinnlichen Vorstellungen hat, beyc19 den ersten wenigstens immer geschäftig ist, sie sich durch Bilder und Beyspielec20 zu versinnlichen; ein Beweis, wie thätig die Empfindungskraft seyc21, und wie wenig sich die Seele selbst Genüge thue, wenn sie nicht empfinden /ckan; –c\ ∥c22 eben deswe|a736|gen/c, wennc\ jemand sich nicht mit Worten begnügt, ohne dabeyc23 etwas Bestimmtes zu denken, und wenigstens die Einbildungskraft arbeitet, um den Abgang der Empfindung oder deutliche Begriffe zu /cersetzen; –c\ ∥c24 wenn man sich desjenigen, was man ehedem empfunden hat, leicht genau wieder erinnern kanc25; ein Zeichen, daß man die Sache gut aufgefaßt /chabe; –c\ ∥c26 wenn die Begierden, die aus gewissen Empfindungen entspringen, lebhaft, und noch mehr, wenn sie dauerhaft sind, und durch die Erinnerung des Empfundenen die Leidenschaft leicht wieder erregt wird; jenes, ein Zeichen von einer lebhaften, diesc27 ein Zeichen /avona\ einer tiefen Empfindung; – endlich, ∥c28 wenn |c146| es uns leicht wird, uns in Anderer Lage zu versetzen, die uns gewisse Vorstellungen mittheilen, oder deren Ereignisse oder Handlungen uns erzählt /cwerden; obgleich dabeyc\ ∥c29 auch andere Seelenkräfte, so wie gute Kenntniß der Sprache, worinnc30 uns etwas vorgestellt wird, /cmit wirken; dennc\ ∥c31 es /cbeweiset,c\ ∥c32 die Fähigkeitc33 leicht mit zu empfinden.
Das Gedächtniß, oder die Kraft der Seele, wodurch das Wahrgenommene erhalten wird, und wodurch wir uns der Vorstellungen eben so, wie ehedem, wieder bewußt werden, stellt entweder die Sachen wieder dar, ohne daß wir uns anzustrengen oder zu besinnen brauchen, oder es erfordert Anstrengung, um durch eine erweckte Vorstellung andere damit verbundene zu erwecken. Jenes könnte man das mechanische, dieses das intellectuelle nennen. – Ob man jenes habe, kanc2 man daraus wissen, wenn wir leicht, selbst wörtlich, etwas auswendig lernen können, selbst das, wobeyc3 wir wenig oder nichts |b164| denken, oder was wenig |c147| oder nicht zusammenhängt, wenigstens mit dem, dessen wir uns zugleich erinnern, in keinem natürlichen Zusammenhange steht; auch zum Theil, wenn wir uns überhaupt aufgelegter und geneigter zum Lernen,c4 als zum Nachdenken,c5 finden. /a–a\ Das Letzterea6 aber, wenn es uns leicht wird, natürlich zusammenhängende Dinge zu behalten, und durch diesen Zusammenhang Vorstellungen wieder zu erwecken. – Da eigentlich das Gedächtniß die sonst gehabten Vorstellungen, wenigstens für die Erkenntniß, dauerhaft, und sie für die Zu|a738|kunft brauchbar macht; da kein Fortschritt und Wachsthum in der Erkenntniß möglich ist, ohne wenn das in unsrerc7 Erkenntniß bleibt, was wir schon wissen, und wo wir etwas hinzu lernen; da die Schnelligkeit und zum Theil die Zuverläßigkeitc8 im Denken davon abhängt, daß uns das Gedächtniß allesc9, was und wenn wir es brauchen, wiedergiebt: so sieht man die Unentbehrlichkeit des guten Gedächtnisses.
Was man empfunden und was das Gedächtniß aufbehalten hat, das verarbeitet unsere Seele auf mehr als Eine Art. Zuvörderst durch Zusammenstellung solcher Dinge, die sie ehedem einzeln empfunden hat, oder deren Eindrücke, ohne daß sie sichs selbst bewußt ist, so zusammenfließena2, daß sie dadurch neue Vorstellungen von vorher noch nicht erkannten Dingen bekommt, die Empfindungen zu seyn scheinen, weil und /cso fernec\ ∥c3 sie sich die Art nicht angeben kanc4, wie sie dieselben zusammengesetzt hat. Man nennt diese Kraft der Seele, Einbildungskraft (Imagination). Sie |b166| ist also eine Kraft, theils Empfindungen zu erneuern, und dadurch tritt sie in die Stelle des Vermögens zu empfinden, theils sich neue Empfindungen zu verschaffen, die nicht, wie beyc5 der Empfindungskraft, durch bloßea6 einzelne Eindrücke, sondern durch deren Zusammenhang entstehen. Je richtiger sie jene wiedergiebt, und je |c149| richtiger, d. i. je mit einander verträglicher, sie die ehemals empfundenen Sachen zusammenstellt, desto zuverläßigerc7 ist /asie. Jea\ ∥a8 mehr sie solche Verbindungen machen, oder je mehr sie Aehnlichkeiten und mit einander beysammenc9 mögliche Dinge wahrnehmen kanc10, desto fruchtbarera11 ist /asie. Jea\ ∥a12 mehr sich den wiederholten Empfindungen beson|a740|drec13 Umstände derselbenc14 oder Wahrnehmungen des Nutzens von dem Empfundenen, beymischenc15, desto lebhaftera16 ist sie.
Sie ist nicht nur eine sehr ergiebige und unerschöpfliche Quelle neuer Entdeckungen, sondern sie verstärkt auch die ehemaligen Empfindungen selbst; sie ist daher ein unschätzbares Mittel, die menschliche Erkenntniß vollkommner zu machen, und ihren Einfluß auf das Herz zu befördern. Sie bildet in allen Wissenschaften die Erfinder, sie bildet den klugen Mann und den Redner, oder jeden, der im Umgang oder durch seinen Vortraga2 auf Andrec3 wirken soll. Wenn man diese Kraft oder deren größrec4 Vollkommenheit glaubte in der Theologie entbehren zu können, weil man wähnte, daß die Natur der (geoffenbarten, oder |b167| durch /ckirchlichen Willkührc\ ∥c5 einmal festgesetzten) Theologie keine neuen Aussichten erlaubte: so sollte man doch ihre Nothwendigkeit beyc6 dem erbaulichen oder wirklich eindrücklichen Vortrage und der ganzen Amtsführung eines Geistlichen anerkennen. Selbst die so leichten, ungeheuren, und für die ganze Religion gefährlichen Ausschweifungen der Einbildungskraft, machen es zur großena7 Pflicht, an der steten Verbesserung dieser unter allen Seelenkräften am meisten zu Ausschweifungen geneigten Krafta8 zu arbeiten.
Kennzeichen, daß es jemandenac2 an Einbildungskraftc3 nicht fehle, sind schon zum Theil die Eigenschaften, welche oben (§. /c96a4) beyc\ ∥c5 dem Vermögen zu empfinden angegeben sind, weil und so fern die Einbildungskraft ehemaligera6 Empfindungen wieder erneuert; z. B. Abgeneigtheit von trocknenc7, übersinnlichen, und Streben nach bildlichen Vorstellungen. So fern sich aber diese Kraft im Zusammenhangac8 zeigt, dient Folgendes, diese Fähigkeit beyc10 sich zu /centdecken. –c\ ∥c11 Schon der starke Reitz, den das Neue für uns hat, wenn nemlichc12 dieses Neue nicht in bisher uns ganz unbekannten Dingen, sondern in der Gestalt und Darstellunga13 auch des sonst Bekannten,ac14 (nicht in der Materie, sondern in der /cForm,) liegt. –c\ ∥c15 Vergnügen an Aufsätzen, die sich durch schöne Darstellung und durch das Unterhaltende des Vortrags /cempfehlen. –c\ ∥c16 Theilnehmung an allemc17, was Leidenschaften erregt und unterhält, und über|b168|haupt an dem, was auf das Herz /cwirkt. – Oeftrec\ ∥c18 Wahrnehmung solcher Gemüthsbewegungen beyc19 sich, die sich aus unsern gegenwärtigen Empfindungen nicht erklären laßenac20. – Die Gabe, Andern wahre oder erdichtete Begebenheiten gut und darstellend zu erzählen, oder Personen auf diese Art zu /ccharakterisiren. –c\ ∥c21 Die Hinlänglichkeit eines bloßena22 Winks, oder einer bloßena23 Andeutung und Veranlaßungac24, um auf eine detaillirte Vorstellung einer Sache und ihres Ganges gebracht zu werden,a25 und die an uns gemachte Bemerkung der Gabe, in |a[742]| den Wissenschaften bisweilen durch glückliche Sprünge auf Entdeckungen zu kommen, oder auch sonst aus einer Menge von erkannten Umständen augenblicklich den Erfolg abzunehmen, ohne sich in beydenc26 Fällen |c151| seines Schlusses bewußt zu seyn; überhaupt die Gabe, eine ganze Reihe von Vorstellungen mit einemc27 Blick zu übersehen.
Die Richtigkeit oder Regelmäßigkeit unsrerc2 Einbildungskraft können wir ∥c3 danach erproben: /c–c\ wenn wir /cbeyc\ ∥c4 dem in einzelnena5 Fällen von ihr genommenen Gangea6 das Wahrscheinliche von dem Unwahrscheinlichen, das Schickliche von dem Unschicklichen, das mit einander Verträgliche von dem Unzusammenhängenden wohl und schnell zu unterscheiden wissen; /c–c\ wenn wir ∥c7 etwas mit seinen Umständen so gut zu erzählen verstehen, daß Andere es, auf diese Art erzählt, wahrscheinlich und begreiflich finden, oder wenn Andere durch |b169| unsere gemachte Beschreibung von gewissen Personen oder Handlungena8 beydec9 völlig als dieselben wieder erkennen; /c–c\ wenn ∥c10 das, was wir nach gewissen vorausgesetzten Umständen vorhersehen, genau eintriftc11, oder wir doch, beyc12 genauerer Prüfung, einsehen, daß es so würde eingetroffen seyn, wenn nicht manche veränderte besondere Umstände dem Laufc13 der Sache eine andere Richtung gegeben hätten;a14 und /cüberhaupt, /a–a\c\ ∥c15 wenn das, was ein Werk unserera16 Imagination ist, in deutliche Begriffe aufgelöseta17, denkbar erscheinetc18, und dessen |a743| Theile, mit einander verglichen, wohl zusammenhängend gefunden werden.
Diese Beurtheilung ist ein Werk des Verstandes, oder des Vermögens zu deutlichen Vorstellungen, dem also die Scheidung der empfundenen Dinge und ihrer Theile zukommt, so wie der Einbildungskraft ihre Zusammensetzung; |c152| der auch, indem er verschiedene Dinge vergleicht, das Aehnliche und Verschiedene derselben entdeckt, und das, was sie mit einander gemein haben, von dem, wodurch sie sich von einander unterscheiden, absondern, und dieses Gemeinschaftliche in einen allgemeinen Begriff vereinigen /ckan, wobeyc\ ∥c2 also ganz von den Dingen selbst abgesehen wird, und nur die ihnen gemeinsamen Eigenschaften als Eins betrachtet werden. Freylichc3 nimmt auch die Einbildungskraft, welche einzelne Empfindungen zusammensetzt, dieses Aehnliche und Verschiedene einzelnera4 Dinge wahr, aber nur undeutlich, |b170| und so, dasac5 sie das Aehnliche oder das Gemeinschaftliche anders nicht, als mit den Dingen zugleich und in denselben, vorstellt. Daher hat man dieses Vermögen der Seele, sich dieses Gemeinschaftliche undeutlich und unabgesondert von den Dingen vorzustellen, den praktischen Verstand /agenennetc6 (§. 77c7a\ ∥a8), in so fern sie eben das, nemlichc9 die Wahrnehmungena10 dessen, was mehrere Dinge gemein haben, durch die Einbildungskraft, in Absicht auf undeutliche Vorstellungen, |a744| verrichtet, was sie durch den Verstand, vermittelst deutlicher Vorstellungen, vermag; hingegen hat man das Vermögen der Seele, sich dieses deutlich vorzustellen, mit denac11 Namen des theoretischen oder speculativen Verstandes belegt.
Wenn die Seele nicht bloß einzelne Dinge, sondern ihre Uebereinstimmung oder das Gegen|b171|theil, kurz, ihre Verhältnisse, folglich auch nicht bloß das Einzelne, sondern auch das Gemeinschaftliche und Allgemeinere,a2 wahrnehmen kanc3: so könnte man dieses Vermögen Verstand nennen; er möchte es deutlich oder undeutlich wahrnehmen, abgesondert von den Dingen selbst, oder mit ihnen, und so ist, wie gesagt, abzusehen, warum man diese Wahrnehmung, die, so fern sie undeutlich ist, der Einbildungskraft zukommt, praktischen Verstand genannt hat. – Ein Kennzeichen des |a745| Verstandes überhaupt – im Unterschiede von dem Vermögen zu empfinden,a4 oder wieder zu empfinden, oder bloß zusammen zu setzen, ohne auf das Allgemeine zu merken,c5 – ist es: wenn man beyc6 sich Trieb und Fähigkeit findet, nicht bloß Kenntnisse zu empfangen, oder Andern nachzuempfinden, nachzuglauben und nachzusprechen, sondern zu prüfen, ob sie wahr und gut sind, und warum sie es sind; selbst zu untersuchen, und ausfündigc7 zu machen; sich nicht mit Kenntnissen einzelner Dinge zu begnügen, sondern sie im Zusammenhangc8 zu betrachten,c9 und darein zu bringen; nicht beyc10 dem Einzelnena11 stehen zu bleiben, sondern das Allgemeine abzuziehen, und wieder in ähnlichen Fällen anzuwenden. Wer nur Wißbegierde, und nicht auch Wahrheitsliebe besitzt; wer leicht glaubt, und eignec12 Untersuchung scheut; wer in Sprachen, in der Geschichte, in den schönen, und überhaupt in Wissenschaften, mit historischen Kenntnissen zufrieden ist, oder sich mit dem Mechanischen |c154| begnügt, ohne Alles ins Allgemeine zu führen, sich Grundsätze, Regeln oder |b172| Maximen aus den Beobachtungen abzuziehen, und ihre Anwendung in ähnlichen Fällen zu denken: der kanc13 auf Verstand gewiß wenig oder gar keinen Anspruch machen.
Da der praktische Verstand eigentlich eine Art der Einbildungskraft ist (§. 102):ac2 so sind die Merkmahle, woraus man diese abnehmen |a746| kanc4 (§. 100ac5), auch Merkmahle von jenem, doch nur alsdann, wenn zugleich die Merkmahle des Verstandes überhaupt (§. 103ac7) damit verbunden sind. Man kanc9 ihn am besten in Geschäften, wo es auf das Schickliche, auf Wahrscheinlichkeit, Klugheit, Wohlstand und Unterhaltung ankommt, wo auf besondrec10 Umstände Rücksicht zu nehmen ist, wo es einer schnellen Uebersicht vieler, auch kleinen Umstände, und einer schnellen Entschließunga11 bedarf, und in solchen Wissenschaften, bemerken, die dergleichen nicht im strengsten Verstande ∥a12 sind, und mehr besondreac13 als allgemeine Dinge zum Gegenstandec15 haben, – da kanc16 man ihn eigentlich kennen lernen, und auch da ist er am unentbehrlichsten.
Hingegen zeigt sich der eigentliche oder theoretische Verstand /a(§. 102c2)a\, der /cvornemlich beyc\ ∥c3 Wissenschaften nothwendig ist, /c–c\ an dem Trieb und Bestreben, allesc4 sich zu verdeutlichen; nicht nach dem Ob? nicht sowohl nach dem Wie? als nach dem Warum? zu fragen; die Gedan|b173|ken nicht nach einer oder mehrern Seiten zu betrachten, sondern alle Seiten aufzusuchen und zu erwegenc5; die Gründe |c155| für Alles bedächtig und langsam abzuwägen; überall gemessene Ordnung, Methode zu beobachten und zu classificirena6; an der Liebe, mehr zur bestimmten und gründlichen, als lebhaften Erkenntniß; und an der Fähigkeit, allgemei|a747|ne Dinge und Sätze als abgesonderte Gegenstände der Betrachtung, oder sie ohne Bilder und Beyspielec7, zu denken und zu behandeln.
Es ist schon oben gesagt (§. /c95a2 Anm.):c\ ∥c3 daß von denen, die sich der Theologie widmen, nicht gleich Vielesa4 könne gefordert werden; der besondere Beruf, den man hiebeyc5 wählen oder ergreifen will, muß es entscheiden, was vorzüglich von solchen Fähigkeiten nöthig seyc6, und ob der innrec7 Beruf, auf den es am meisten ankommt, dem äussernc8 entspreche. – Ist jemand zum bloßena9 Volkslehrer bestimmt: so ista10 – ausserc11 den hernach anzugebenden Eigenschaften des Charakters – genug, wenn er mittelmäßige Fähigkeiten besitzt, falls er nur zugleich das Gefühl einer ihm unerreichbaren Vollkommenheit hat, um nicht mit verschnittnenc12 Flügeln nach der Sonne fliegen zu |b175| wollen, und sich aus dem Kreise zu entfernen, den ihm die Natur und sein äusserlicherc13 Beruf vorgezeichnet hat. Es ist genug, wenn er guten schlichten Menschenverstand ∥a14 hat, der das Schickliche von dem Ungereimten zu unterscheiden weiß; wenn er leicht in den Sinn desjenigen, was er hört, liestc15 und sieht, eindringen kanc16; wenn er ein treues oder durch die Uebung leicht zu schärfendes Gedächtniß besitzt; wenn es |c157| ihm an der Gabe des populären Vortrags, und an Klugheit nicht fehlt, um seine Kenntnisse nach |a749| den wirklichen Bedürfnissen Andrerc17 wohl anzuwenden. Mag es ihm an eigentlicher Gelehrsamkeitc18 fehlen; wenn er nur das eigentlich Praktische in der Religion versteht, und die zu seiner eignenc19 Ueberzeugung und gewissenhaften Führung seines Berufs nothwendigen Kenntnisse derselben und der menschlichen Angelegenheiten hat, besonders der Angelegenheiten seiner Zeit, der Bedürfnisse derer, die ihm empfohlen sind, und desjenigen, was ihna20, diese zu beurtheilen und ihnen gewachsen zu seyn, in /adena\ Stand setzt; endlich die Kenntniß der nöthigen Hülfsmittel, wodurch er sich beyc21 vorkommenden ausserordentlichenc22 Fällen zu helfen weiß. Daß zu allen diesem noch eine fleißige Uebung kommen, und er nie glauben müsse, völlig genug gelernt zu haben, sondern sich zu seinem Beruf immer reifer machen, wird ohnehin vorausgesetzt.
Ist er hingegen zum Lehrer der Theologie oder der damit verbundenen Wissenschaften, |a750| überhaupt zu Bildung künftiger Lehrer, oder zur Regierung und Aufsicht der Volkslehrer, oder an einer Gemeinec2 angestellt, die aus gelehrterna3 oder doch gebildetern Zuhörern besteht: so muß er freylichc4 höhere Fähigkeiten haben, und in den für sein Fach bestimmten Wissenschaften ausgebreitetere, feinere und gründlichere Kenntnisse besitzen. Alsdann bedarf er auch weniger einer näheren Anweisung, und was er dann können und verstehen, wenigstens wornach er trachten müsse,c5 dazu möchten die bisher in /cdiesem Buchec\ ∥c6 geschehenen Vorschläge nicht undienlich seyn, da es besonders auch in Rücksicht auf /cdiea7 Classec\ ∥c8 künftiger Religionslehrer abgefaßt ist.
Daß beyc2 der Ergreiffungac3 des theologischen Studiums auch die Kräfte des Körpers (§. 95ac4) mit in Anschlag kommen müssen, bedarf kaum einer Erinnerung; da die natürliche Beschaffenheit und die Veränderungen /cdes Körpersc\ ∥c6 einen so |b177| großena7 Einfluß in die Beschaffenheit und den Gebrauch der Seelenkräfte haben; Anstrengung des Geistes, |c159| eine sitzende Lebensart, und andere Umstände beyc8 Studierenden die Gesundheit merklich zerrütten; und beyc9 dem Lehrer /acin äusserlichemac\ ∥ac10 Vortrage so viel von der Stimme, von der freyenc12 Brust, selbst vom körperlichen Ansehen und Bildung, so wie, beyc13 der ganzen Führung seines Amts, von einer dauerhaften Gesundheit, Abhärtung des Körpers,a14 und ähnlichen Umständen,ac15 ab|a751|hängt. Was uns hier möglich seyc16 oder abgehe, ist noch viel leichter, als die Beschaffenheit unsrerc17 Seelenkräfte,a18 zu erkennen.
Von der Nothwendigkeit der Gabe sich wohl auszudruckenac2 (§. 95ac3), ist schon oben, beyc5 der Abhandlung von den Sprachen (/aTheil 1.a\ §. /c59 flgg.c\ ∥c6) und im ersten Abschnitt des dritten Theils geredet worden. Da die Sprache der Abdruck unsrerc7 Ideen ist, und jeder Verständige so gute Mittel brauchtc8, um sein Ziel zu erreichen, |b178| als in seiner Gewalt sind:c9 so kanc10 man sicher schließena11: wie der natürliche Vortrag eines Menschen ist, so sind seine Begriffe und Ueberzeugung von den Sachen selbst. Kanc12 man sicher seyn, daß jemand nicht eitel seyc13, um nur sich selbst gern zu hören oder zu lesen, oder Andern bloß zu gefallen, |c160| und daß er nicht so arm an Verstande und Menschenkenntniß seyc14, um zu glauben, wenn nur das gut seyc15, was er sagt, so seyc16 es gleichviel, wie er es sage: so kanc17 man selbst schließen:a18 wie sorgfältig er in seinem |a752| Vortrag ist, so viel hat er Interesse für die Sachen, die er vorträgt, und so viel Eifer, mit seinen Kenntnissen beyc19 Andern Gutes zu stiften. – Um sich über die Gabe des Vortrags zu prüfen, gebe man nur achtc20, ob und warum uns /cwohl geschriebenec\ ∥c21 Schriften, oder warum uns Vorträge, die auch im Ausdruck vorzüglich sind, gefallen? ob uns beydec22 um so mehr anziehen, je faßlicher, deutlicher, ordentlicher, zusammenhängender, bestimmter u. s. f. sie sind? oder ob uns alle, oder einige, und welche, Eigenschaften des Vortrags, uns gleichgültig sind? Man mache selbst Versuche, anfänglich eines Andern guten mündlichen oder schriftlichen Vortrag über eine Sache, nachherc23 was man überhaupt von Andern ausgeführt gelesen hat, im Zusammenhange freyc24, nach seiner eignenc25 Art, zu wiederholen, d. i. fremde Gedanken in seine eignec26 umzukleiden, und bemerke, wie weit es uns gelinge, unsern Mustern nachzukommen. Man mache zuletzt öfters Versuche, was man selbst gedacht und untersucht hat, über eine Sache or|b179|dentlich aufzuschreiben, oder Andern mündlich, genau vorbereitet oder nicht, vorzutragen. Man laßeac27 sich von Kennern beurtheilen, und genau nach der strengsten Kritik sagen, worina28 unser Vortrag gut oder fehlerhaft seyc29, und gewisse Vollkommenheiten uns, nach vielen Versuchen, erreichbar seynac30 oder nicht? – Alsdannc32 wird man wohl finden, welche Art des Vortrags uns möglich, wenigstens durch fleißige anhaltende Uebung zu erlangen seyc33.
Wenn alle bisher erwähnte Fähigkeiten wohl angewendet, selbst, wenn sie gehörig gebildet werden sollen:c2 so erfordern sie eine gewisse Gemüthsfassungc3 oder gewisse Eigenschaft des Charaktersa4 (§. 94ac5), über die man sich wohl prüfen sollte, ehe man sich zur Wahl des theologischen Studiums entschlösse. Auf folgende Tugenden möchte es hier vornemlichc7 ankommen. – Zuerst, auf Liebe zur Wahrheit, wo man diese auch immer finden sollte. Veränderungen in der Seele eines Andern kanc8 man nur durch Vorstellungen hervorbringen, wenn diese der von ihnen erkannten Natur der Sachec9 oder andern schon für wahr erkannten Vorstellungen gemäß sind; und diesc10 setzt voraus, daß man sie selbst als wahr erkannt habe. Wem also Wahrheit gleichgültig ist, dem liegt entweder nichts daran, Andere zu belehren und zu bewegen, oder er kanc11 nicht sicher darauf rechnen, daß er seinen Zweck erreichen werde; vielweniger wird er sich selbst bemühen, hinter die rechte Wahr|b180|heit zu kommen. Je inniger /cbey jemandenc\ ∥c12 die Liebe zur genauesten Wahrheit ist, um so mehr wird er selbst die Wahrheit finden können, so weit sie ihm erreichbar ist; um so mehr wird er dafür und für ihren Werth eingenommen seyn; um so mehr auf Andrec13 wohlthätig wirken, wenigstens mehr sich darum bemühen, und es mit mehr Hoffnung eines glücklichern Erfolgs unternehmen. /c–c\ Der allgemeine Prüfstein dieser unparteyischenc14 Wahrheitsliebe ist: wenn wir es uns bewußt sind, oder es beyc15 der strengsten Prüfung finden, daß unsrec16 Neigungen |a754| und Abneigungen keinen Einfluß in die Annehmung oder Prüfungc17 einer Sache haben. /cWäre dirc\ ∥c18 eine Sache auch noch so theuer, schiene sie dirc19 unzertrennlich von deinemc20 Wohl, und /centbehrtest duc\ ∥c21 sie höchst ungern, läge sie dirc22 selbst, als deinec23 Erfindung, sehr am Herzen: /cwürdest duc\ ∥c24 gleichwohl, auch beyc25 dem geringsten Anlaß zum Zweifel, dichc26 nicht scheuen, sie aufs neue zu prüfen, sie dennoch aufopfern, wenn duc27 sie beyc28 der Prüfung ungegründet /cfändest? Bist duc\ ∥c29 geneigter, die Wahrheit nach den dirc30 schädlich oder nützlich scheinenden Folgen derselben, oder unabhängig von dieser Rücksicht, zu beurtheilen? Kommt /cbey dirc\ ∥c31, wenn duc32 für oder wider /ceiner Sache entscheidest, diesc\ ∥c33 in Anschlag, ob die, so /cdu liebestc\ ∥c34 oder achtestc35, oder die, so /cdu hassestc\ ∥c36 und verachtestc37, eben das behaupten? /cKansta38 duc\ ∥c39 Widerspruch vertragen, wenn er mit Gründen geschieht, /csiehst duc\ ∥c40 ihn selbst gern, und forderstc41 Andere dazu auf, als ein Mittel, dichc42 zum weitern Nachdenken zu bringen? Wenna43 duc44 auch die|b181|sen Widerspruch für ungegründet /c/aerkennsta\, benutzest duc\ ∥c45 /agleichwohl alsdanna\ ∥a46 doch auch das wenige Wahre, was darinnc47 liegt, deinec48 Erkenntniß immer mehr zu berichtigen, und durch kleinec49 Bestimmungen zu mehrerer Genauigkeit zu bringen? Ist dir'sc50 gleichgültig, auch unbekannt zu bleiben, wenn nur das, was duc51 gesagt, oder gar erfunden hastc52, für wahr erkannt wird? /cSiehst duc\ ∥c53 es gern, wenn Andrec54 auf deinc55 Ansehen oder dirc56 zu Gefallen, etwas für wahr /cannehmen, legst duc\ ∥c57 es wohl gar darauf an, bloß durch deinc58 Ansehen |a755| zu /cwirken? Diesc\ ∥c59 sind die Merkmahle, woran /cdu sehen kansta60c\ ∥c61, ob duc62 wirklich Liebe zur Wahrheit hastc63/a, oder nichta\.
cAnm. Eine kurze aber treffliche Betrachtung von Fichte: Ueber Belebung und Erhöhung des reinen Interesse an Wahrheit, findet man in den Horen. Nachdem er den Begriff selbst tief begründet und klar dargestellt, schließt er mit folgenden Worten, die hier wohl eine Stelle ver|c163|dienen, da der Aufsatz nicht so leicht bei der Hand seyn möchte, und die Sache vorzüglich auch für den Religionslehrer, dessen ganzes Leben ein Forschen nach Wahrheit seyn soll, von so hoher Wichtigkeit ist.
„Mit dieser sichern Ueberzeugung, stets einig mit sich selbst zu seyn, geht der entschiedene Freund der Wahrheit auf dem Wege der Untersuchung ruhig fort; er geht muthig Allem entgegen, was ihm auf demselben aufstoßen möchte. Es ist für denjenigen, der mit sich selbst noch nicht recht Eins geworden ist, was er denn eigentlich suche und wolle, äußerst beängstigend, wenn er auf seinem Wege auf Sätze stößt, die allen seinen bisherigen Meinungen und den Meinungen seiner Zeitgenossen und der Vorwelt widersprechen: und gewiß ist diese Aengstlichkeit eine der Hauptursachen, warum die Menschheit auf dem Wege zur Wahrheit so langsame Fortschritte gemacht hat. Von ihr ist derjenige, der die Wahrheit um ihrer selbst willen sucht, völlig frei. Er blickt jeder noch so befremdenden Folgerung kühn in das Gesicht. Ob sie ein befremdendes, oder bekanntes Aussehen habe, ob sie seiner und aller bisherigen Meinung widerspreche, oder nicht, davon war nicht die Frage. Die Frage war: ob sie, seinem besten Wissen nach, mit den Gesetzen des Denkens übereinstimme, oder nicht, und das wird er untersuchen. Wird sich finden, daß sie damit übereinstimme, so wird er sie als heilige ehrwürdige Wahrheit aufnehmen; wird sie nicht damit übereinstimmen, so wird er sie als Irrthum verwerfen, nicht weil sie der gemeinen Meinung, sondern weil sie, seinem besten Wissen nach, den Gesetzen des Denkens widerspricht. Bis dahin ist er völlig gleichgültig gegen sie; über ihren Inhalt hat er die Frage nicht erhoben; derselbe ist ihm bekannt; ihre Form hat er noch zu untersuchen.“
„Mit dieser kalten Ruhe und festen Entschlossenheit, blickt er hinein in das Gewühl der menschlichen Meinungen überhaupt und seiner eigenen Einfälle und Zweifel. Es wirbelt und stürmt um ihn herum, aber nicht in ihm; er selbst sieht aus seiner unerreichbaren Burg ru|c164|hig dem Sturme zu. Er wird ihm zu seiner Zeit gebieten, und eine Welle nach der andern wird sich legen. – Er will nur Harmonie mit sich selbst, und er bringt sie hervor, so weit er bis jetzt gekommen ist. Dort ist noch Verwirrung in seinen Meinungen; das ist nicht seine Schuld, denn bis dahin hat er noch nicht kommen können. Er wird auch dahin kommen, und dann wird jene Unordnung in die schönste Ordnung sich auflösen.“
„Was wäre denn wohl endlich das Härteste, was ihm begegnen könnte? Gesetzt er fände, entweder weil die Schranken der endlichen Vernunft überhaupt, welches unmöglich ist, oder weil die Schranken seines Individuums solches mit sich bringen, als letztes Resultat seines Strebens nach Wahrheit, daß es überhaupt gar keine Wahrheit und keine Gewißheit gebe. Er würde auch diesem Schicksale, dem härtesten, das ihn treffen könnte, sich unterwerfen; denn er ist zwar unglücklich, aber schuldlos; er ist seines redlichen Forschens sich bewußt, und das ist statt alles Glücks, dessen er nun noch theilhaftig werden kann.“
„Eben so ruhig – wenn dieser Umstand der Erwähnung werth ist – bleibt der entschiedene Freund der Wahrheit darüber, was Andere zunächst zu seinen Ueberzeugungen sagen werden, wenn er in der Lage seyn sollte, sie mittheilen zu müssen; und der Gelehrte ist immer in dieser Lage, da er nicht bloß für sich selbst, sondern zugleich für Andere forscht. Die Frage ist ja gar nicht, ob wir mit Andern, sondern ob wir mit uns selbst übereinstimmend denken. Ist das Letztere, so können wir des Erstern ohne unser Zuthun, und ohne erst die Stimmen zu sammeln, bei allen denen gewiß seyn, die mit sich selbst in Uebereinstimmung stehen; denn das Wesen der Vernunft ist in allen vernünftigen Wesen Eins, und eben dasselbe. Wie Andere denken, wissen wir nicht, und wir können davon nicht ausgehen. Wie wir denken sollen, wenn wir vernünftig denken wollen, können wir finden; und so, wie wir denken sollen, sollen alle vernünftige Wesen denken. Alle Untersuchung muß von innen heraus, nicht von außen herein, geschehen. Ich soll nicht denken, wie Andere denken; sondern wie ich denken soll, so, soll ich annehmen, denken auch Andere. – Mit denen übereinzustim|c165|mend zu seyn, die es mit sich selbst nicht sind, wäre das wohl ein würdiges Ziel für ein vernünftiges Wesen?“ A. d. H.c
Eine andrec2 Tugend ist die Bescheidenheit. – Je weniger man selbst weiß, oder es recht und mit Ueberzeugung versteht; je weniger man den großena3 Umfang desjenigen kennt, was zur rechten Wissenschaft einer Sache und zur wahren Ueberzeugung gehört; je weniger man die Schwierigkeiten beyc4 einer jeden Untersuchung, die Schranken der menschlichen Erkenntniß überhaupt, und die großena5 Lücken seiner eigenen Erkenntniß, nebst dem eingeschränkten Maaß seiner Fähigkeiten, insbesondrec6, wahrnimmt: desto eingenommener ist man von sich selbst, und desto mehr verachtet man Andreac7. Dieser Dünkel hält uns selbst von Einsicht dieser Fehler, und von weitern Fortschritten in der Erkenntniß und der wahren Besserung überhaupt zurück; macht uns |b182| ungeschickt, von Andern zu lernen; erstickt den eignenc8 Fleiß, der von dem mehrern oder mindern Gefühl dieses Bedürfnisses abhängt, und macht uns abgeneigt, die Wahrheit überall, wo wir sie finden, anzunehmen. – Demnach sind alle Kennzeichen der Wahrheitsliebe (§. 110ac9) auch Kennzeichen der Bescheidenheit. /cWenn duc\ ∥c11 lieber schlecht als vortheilhaft von Andern denkstc12, und Andrerc13 Erklärungen oder Entschuldigungen nicht gern hörst,ac14 oder gelten /cläßesta16; wenn duc\ ∥c17 nicht von Andern Erinnerungen über /cdich an|a756|nimmst; wenn du dich schämstc\ ∥c18, gegen Andere unrecht zu haben; /cwenn duc\ ∥c19, ohne anhaltende bedächtige Prüfung, gleich zu entscheiden geneigt /cbist; wenn duc\ ∥c20, anstatt Andern Gründe vorzulegen, dirc21 Machtsprüche, oder Spöttereyenc22, oder /cHohn, erlaubst; wenn duc\ ∥c23 schon Sachen zu verstehen,c24 und durchzuschauen glaubstc25, und Andrec26 zu belehren suchstc27, ehe duc28 noch im Stande bistc29, sie Andern deutlich und mit Gründen vorzutragen; /cwenn duc\ ∥c30 nicht noch lieber lernestc31 als lehrest;c32 und wenn duc33 von einem lehrreichen,a34 zumal mit gründlichen Untersuchungen beschäftigtem,c35 Umgange, oder von /cdergleichen Buche, zurückkommstc\ ∥c36, ohne dichc37 an deinec38 Brust zu schlagen, und das Bekenntniß tief zu fühlen: O wie viel ists, was ich noch nicht /cweiß: – so bist duc\ ∥c39 von /cder Bescheidenheitc\ ∥c40 noch weit entfernt.
Fleiß ist eine dritte Tugend, und besteht in einer angestrengten Wirksamkeit, die verschiedent|b183|lich betrachtet werden kanc2, daher auch die verschiedenena3 Bedeutungen des Wortes entstanden sind, die selbst durch besondrec4 Namen bezeichnet werden. Wird diese Wirksamkeit mehr in Rücksicht auf die Menge der Beschäftigungen, /a–a\ oder auf dabeyc5 beobachtete Genauigkeit und Sorgfalt, /a–a\ oder auf die anhaltende, selbst durch die Schwierigkeiten oder den langsamen Fortgang nicht ermüdete,c6 Anstrengung genommen: so ist der Fleiß im ersten Fall Arbeitsamkeit; /a–a\ im |a757| zweytenc7, Fleiß im engern Verstande,c8 (man sagt z. B. ein Kunstwerk seyc9 mit Fleiß gemacht,)c10 oder genauer Fleiß oder Indüstriec11 (wiewohl dieses letztrec12 gemeiniglich anders, als das lateinische Industria, für Betriebsamkeit oder immer auf Erweiterung einer Kunst gerichtete Beschäftigung genommen wird); /a–a\ im dritten Falle aber /aUnverdrossenheit. Odera\ ∥a13 kürzer, die erstea14 scheint mehr extensive, die zweyteac15 mehr intensive, die /adritte mehra\ ∥a17 protensive Geschäftigkeit zu seyn.
Es ist ein sehr leidiges Vorurtheil, daß sich Fleißc2 mit Geniec3 nicht vertrage. Wahr ist es, Leute von Genie, und, noch mehr, Leute, die sich Genie zu haben einbilden, sind selten eigentlich fleißig, weil sie sich zu sehr auf ihre Kräfte verlaßenac4, und zu ungeduldig sind, lange beyc5 einer Sache zu beharren. Wahr ists auch, daß dem Genie allesc6 leichter wird, und daß ohne dasselbe durch bloßena7 Fleiß keine Werke von vorzüglicher Vollkommenheit entstehen. Aber, Fleiß kanc8 doch |b184| den Abgang des Genies einigermaßena9 ersetzen, so wie die Kunst, die immer Fleiß erfordert, der Natur nachhelfen, und sie verbessern /akanc10a\. Alle Fähigkeiten des Geistes bleiben unbrauchbar, oder werden nicht in dem Grade nützlich, als sie es könnten, wenn nicht theils mannichfaltige und genaue Kenntnisse hinzukommen, ohne welche das Genie nichts hat, was es verarbeiten kanc11, theils viele, genaue und anhaltende Uebungen in einer |a758| Sache angestellt werden, wodurch erst Fertigkeiten entstehen. Und so sehr auch dem bloßena12 Genie oft ein vollkommenesa13 Werk gelingt:c14 so können doch weder Ausschweifungen desselben verhütet, noch dessen Erfindungen gehörig geprüft, berichtigt, und in dem Grade vollkommen werden, als wenn noch anhaltender und bedächtiger Fleiß dazu kommt. – Es ist beynahec15 unnöthig, Kennzeichen des Fleißesa16 anzugeben. Man darf sich nur aufrichtig prüfen,a17 ob uns nichts gleichgültig seyc18, was uns irgend der Vollkommenheit näher bringen kanc19, – ob es uns genug seyc20, daß etwas gemacht werde, unbekümmert wie es geschehe; – ob wir sehr die Veränderungen lieben, und uns durch Schwierigkeiten abschrecken laßenac21: so werden wir bald davon urtheilen können.
Zu diesem Fleiß muß sich Liebe zur Ordnung gesellen. – Unordnung in dem Gange unsrerc2 Gedanken und Geschäftec3 verräth und erzeugt Verwirrungen,c4 und Mangel des Zusam|b185|menhangs in Begriffen; erschwert auch das Denken, die Untersuchung und die Ausführung der Sachen. – Wenn man beyc5 sich bemerkt, – daß man leicht von Einem auf das Andere falle, wenn Beschwerlichkeiten uns von einem angefangenen Werk leicht abschrecken, und erwartete Vergnügungen oder Erleichterungen uns leicht zu andern Unternehmungen hinziehen; – wenn man |a759| ungewohnt ist, sich beyc6 dem, was man nach einander vornimmt, Grund anzugeben, warum man so und nicht anders handle, das Eine früher und das Andrec7 später thue; – und wenn man Sachen zu unternehmen pflegt, ohne sich vorher um das zu bekümmern, was /cdabey mußc\ ∥c8 vorausgesetzt werden ∥c9: so kann man mit Recht fürchten, daß es uns an dieser Liebe zur Ordnung fehle.
Wer an einer gewissen Art von Beschäftigung keinen solchen Geschmack findet, daß ihm diese mehr Vergnügen macht, und ihn mehr anzieht als ∥a2 andrec3 Arten von Beschäftigungen: der wird es weder darinnac4 jemals zu einer rechten Vollkommenheit bringen, noch auch nur den schuldigen Fleiß darauf wenden, wenn er sich ihr vorzüglich zu widmen beschlossen hat; er wird noch weniger sich Mühe geben, Andern damit aufs möglichste nutzbar zu werden. Man kanc5 daher von dem, der das Studium und die Empfehlung der Religion zu seinenc6 eigenthümlichen Beruf machen will, mit Recht fordern, daß er sich wohl |b186| prüfe, ob |c169| beyc7 ihm der Geschmack an dieser Wissenschaft und den damit verbundenen Beschäftigungen über alles Andrec8 gehe; um so mehr, da diese überwiegende Neigung ein sicheres Kennzeichen ist, daß er dazu die meiste natürliche verhältnißmäßige Fähigkeit habe,c9 (d. i. die meiste Fähigkeit wenigstens zu den Theilen der Beschäftigung, die ihn eigentlich interessirena10). – Die|a760|sen vorzüglichen Geschmack kanc11 man sich leicht abmerken. Beschäftige ich /cmichc\ ∥c12 wirklich am liebsten damit? Ist mir allesc13 interssant, was dahin einschlägt? Beziehe ich allesc14, was ich ausserc15 dieser Wissenschaft lese, oder sonst vorfinde, darauf, um es zur Verbesserung meiner Erkenntniß, zur Nahrung meiner Gesinnung, in Absicht auf die Religion, zu benutzen? Ist mir kein Schicksal der Religion, und überhaupt nichts gleichgültig, was sie und ihren Eindruck beyc16 Andern fördern oder hindern kanc17? Würd' ich auch bereit seyn, wenn es nicht anders seyn könnte, ansehnlichere Einkünfte, größeresa18 Ansehen, und andere äusserlichec19 Vortheile zu entbehren, oder aufzuopfern, wenn ich, falls ich diese erhalten wollte, mich weniger mit der Religion und dem zu ihrer Anwendung beyc20 Andern nöthigen Geschäftea21 abgeben müßte? Finde ich einen unüberwindlichen Trieb beyc22 mir, Andern meine verbesserten Einsichten in der Religion und meine darüber gemachten Bemerkungen mitzutheilen, ihnen ihre Zweifel darinnc23 zu benehmen, ∥c24 ihnen /cdie Religionc\ werth zu machen, sie beyc25 allen Angelegenheiten Anderer aufs weiseste und nützlichste anzuwenden? Diesc26 wären |b187| ohngefährc27 die sichersten Kennzeichen eines solchen überwiegenden Geschmacks daran.
/cEndlich istc\ ∥c2 Liebe zur Tugend überhaupt und wahre Frömmigkeit /ceine nothwendigec\ ∥c3 Eigenschaft /cdesjenigen, der sich ganz und vorzüglich |a761| zum Lehrer der Religion bilden will.c\ ∥c4 /a–a\ Die Religion ist durchaus praktischc5, und hat ja eben ganz unmittelbar die Absicht, die Menschen durch Tugend glücklich zu machen, sie ganz an Gott zu binden, durch die Vorstellung Gottes und seines Willens Tugend und wahre Beruhigung zu /abefördern. Wiea\ ∥a6 könnte uns die Beschäftigung damit, die uns immer an unsrec7 Pflichten, an unsrec8 Fehler und Vergehungen, und an deren unausbleibliche Folgen erinnert, wie könnte die uns wahrhaftig werth seyn, wenn es uns gleichgültig wäre, dahin zu streben, daß wir ihr immer gleichgesinnter würden und gleichförmiger lebten? Wie,a9 könnten wir sie zu unsrerc10 vornehmsten Beschäftigung machen, ohne uns selbst, wegen unsrerc11 Unredlichkeit, Vorwürfe zu erregen, oder uns auf eine unnatürliche Art dagegen zu betäuben? Wie könnten wir, wenn wir dieses unentbehrliche Mittel zu unserm eignenc12 Besten nicht anwendeten, geneigt seyn, für Andere dadurch zu sorgen? Wiea13 sie Andern mit angestrengtem Fleiß, Wärme und eignerc14 Freudigkeit empfehlen, wenn sie uns selbst nicht an Herzen läge? Wiea15, /cso garc\ ∥c16 nicht fürchten, durch unsern Wandel das wieder zu zerstören, was wir mit Mühe durch Unterricht gebauet hät|b188|ten, oder, wie sie mit Ernst empfehlen, ohne es zugleich durch das noch viel stärker, als alle bloßea17 Vorstellungen, wirkende eignec18 gute Beyspielc19, und durch die auf uns selbst so wirksame Kraft der Religion zu thun? Wiea20, nicht der so starken Versuchung un|c171|terliegen, selbst die Religion zum Mittel sträflicher Absichten und Leidenschaften zu mißbrau|a762|chen? /a–a\ Auch hängen alle zur treuen und gewissenhaften Führung unsers Amts nöthigen Tugenden so sehr von dem Einfluß der Frömmigkeit und von dem Gedanken ab: Es ist Gottes Sache, die wir beyc21 den Menschen befördern sollen; wir sind Schuld, daß Seine Ehre unter ihnen leidet, wenn wir Ihn nicht auch durch unsrec22 ganze Gesinnung und Wandel ehren; unsrec23 Rechenschaft ist desto schwerer, je Mehreres und je etwas Wichtigeres uns anvertrauet istc24 – von diesen uns stets vorschwebenden Gedanken hängen alle andere Tugenden so sehr ab, und werden dadurch so sehr ermuntert und verstärkt, daß wir ohne wahre Frömmigkeit uns nie eines solchen Berufs würdig betragen können. – Es ist nicht schwer zu erkennen, ob wir wahrhaftig diese Liebe zur Tugend und Frömmigkeit haben, wenn wir nur wissen, was diese ist, und die im vorigen §enc25 angegebenen Kennzeichen auch hier, in ihrer Art, anwenden. Je früher wir nach dieser wahren Frömmigkeit getrachtet haben, desto leichter und unverdächtiger wird uns diese Beurtheilung werden.