96. Freilich a) ist der Mensch nicht so frey, daß er auch etwas anders wollen könnte, als
was er sich in dem Augenblick, da er wählen soll, als gut vorstellt. Und b) diese gegenwärtige Vorstellung, von welcher sein Wollen oder Nichtwollen abhängt, wird theils entweder unmittelbar durch eine Empfindung erweckt, oder ist ein Glied einer vielleicht weit rückwärts reichenden Ideenkette, welche sich itzt nicht mehr abändern läßt und zuletzt in einer Empfindung sich verliehrt; wie denn überhaupt die Empfindungen es sind, welche dem Menschen den Stoff zu seinen Vorstellungen zuführen; theils hat
|b92| jene Vorstellung, nach welcher der Willen sich bestimmt, ihren Grund in der individuellen Fähigkeit,
Richtung und Uebung des Verstandes, der Einbildungskraft, des Gedächtnisses etc. des Menschen, in der Beschaffenheit seiner gesammten Kenntnisse, in den äusern Umständen, unter welchen er sich entschließen und wählen soll, in seiner jetzigen Gemüthsstimmung, in der Erziehung, (die darum so äuserst wichtig ist,) in der Gewohnheit u. s. w. Allein c) der Mensch hat doch eine gewisse Gewalt über seine eigene Ideen; er kann,
α) vermöge der eigenthümlichen Thätigkeit seiner Seele, die durch die Empfindung erlangten Vorstellungen verschiedentlich bearbeiten, den vorräthigen Stoff zu Ideen auf mannichfaltige Weise verbinden, trennen, und abändern; neue Beziehungen derselben auf einander entdecken, und solchergestalt der Form nach neue Ideen in sich hervorbringen, und die Reihe seiner Vorstellungen selbst anordnen. Auch kann er sich die Fertigkeit erwerben, den ersten Eindrücken von dem was ihm als gut oder böse erscheint, zu widerstehen, und seine Entschließungen zurückzuhalten, bis er die Gründe derselben vernünftig abgewogen hat. Hierzu kommt noch die Fähigkeit zu wissen, warum er einen Gegenstand so sich vorstelle, daß gewisse Entschließungen daraus erfolgen, und durch eigne Thätigkeit in eine andere Lage des Körpers und des Gemüths sich zu setzen, in welcher seine Denkkraft eine andere Richtung bekommt. Und was
β) die übrigen Punkte betrift, welche auf die jedesmalige Entschließung einen Einfluß haben, so ist es nur allzuoft eigne Schuld des Menschen, daß seine Seelenkräfte, besonders sein Verstand, so
|b93| wenig kultivirt, seine Einbildungskraft verwildert und mit Bildern, die seiner Tugend nachmals gefährlich werden, angefüllt ist etc. daß seine Kenntniße so klein oder schlecht oder tod sind, daß er in Umständen, welche es ihm erschwehren das wahre Gute zu wählen, sich itzt befindet, daß sein Gemüth für das Gute verstimmt ist, von allzuheftigen Leidenschaften bestürmt wird etc. daß böse Gewohnheiten überhand genommen haben, daß ferner das Gewissen übertäubt ist, das Andenken an Gott und Pflicht so selten und unvollkommen erwacht, solche Ideen, die bey der Wahl ihn richtig leiten könnten, ihm nicht geläufig sind u. s. w. Seine Lage würde itzt im kritischen Augenblick anders seyn, wenn er vormals in Zeitpunkten, da die Umstände nicht so dringend waren, böse Gewohnheiten noch nicht so tiefe Wurzel geschlagen hatten, die Leidenschaften nicht brauseten, und die Stimme des Gewissens sich lauter hören ließ, auf diese geachtet, den sich ihm anbietenden Unterricht mit weniger Leichtsinn angenommen und benutzt, über seine Pflicht und den wahren Werth der Dinge nachgedacht, alles von mehrern Seiten anzusehen sich gewöhnt, gute Vorsätze oft erneuert, in richtigen Grundsätzen sich befestigt, schlimme Gewohnheiten geschwächt, in Mäßigung seiner Begierden und Enthaltsamkeit und Selbstbeherrschung sich geübt, auf künftige Gefahren sich bereitet hätte u. d. gl. Denn durch diese und änliche Mittel kann der Mensch seine moralische Freiheit nicht nur erhalten, sondern auch immer weiter ausdehnen. Sind also gleich d) Menschen in dem Augenblick der Wahl oft wirklich unvermögend, dasjenige was sie selbst in ruhigen
|b94| Stunden deutlich und mit Ueberzeugung für das Beste erkennen, zu wählen, und ist also ihre Freiheit oft sehr eigeschränkt, so ist dieß doch meistens mehr Fehler der Menschen, als der Einrichtung der menschlichen Natur. Vergl. jedoch §.
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117 .96. Freilich a) ist der Mensch nicht so frey, daß er auch etwas anders wollen könnte, als
was er sich in dem Augenblick, da er wählen soll, als gut vorstellt. Und b) diese gegenwärtige Vorstellung, von welcher sein Wollen oder Nichtwollen abhängt, wird theils entweder unmittelbar durch eine Empfindung erweckt, oder ist ein Glied einer vielleicht weit rückwärts reichenden Ideenkette, welche sich itzt nicht mehr abändern läßt und zuletzt in einer Empfindung sich verliehrt; wie denn überhaupt die Empfindungen es sind, welche dem Menschen den Stoff zu seinen Vorstellungen zuführen; theils hat
|b92| jene Vorstellung, nach welcher der Willen sich bestimmt, ihren Grund in der individuellen Fähigkeit,
Richtung und Uebung des Verstandes, der Einbildungskraft, des Gedächtnisses etc. des Menschen, in der Beschaffenheit seiner gesammten Kenntnisse, in den äusern Umständen, unter welchen er sich entschließen und wählen soll, in seiner jetzigen Gemüthsstimmung, in der Erziehung, (die darum so äuserst wichtig ist,) in der Gewohnheit u. s. w. Allein c) der Mensch hat doch eine gewisse Gewalt über seine eigene Ideen; er kann,
α) vermöge der eigenthümlichen Thätigkeit seiner Seele, die durch die Empfindung erlangten Vorstellungen verschiedentlich bearbeiten, den vorräthigen Stoff zu Ideen auf mannichfaltige Weise verbinden, trennen, und abändern; neue Beziehungen derselben auf einander entdecken, und solchergestalt der Form nach neue Ideen in sich hervorbringen, und die Reihe seiner Vorstellungen selbst anordnen. Auch kann er sich die Fertigkeit erwerben, den ersten Eindrücken von dem was ihm als gut oder böse erscheint, zu widerstehen, und seine Entschließungen zurückzuhalten, bis er die Gründe derselben vernünftig abgewogen hat. Hierzu kommt noch die Fähigkeit zu wissen, warum er einen Gegenstand so sich vorstelle, daß gewisse Entschließungen daraus erfolgen, und durch eigne Thätigkeit in eine andere Lage des Körpers und des Gemüths sich zu setzen, in welcher seine Denkkraft eine andere Richtung bekommt. Und was
β) die übrigen Punkte betrift, welche auf die jedesmalige Entschließung einen Einfluß haben, so ist es nur allzuoft eigne Schuld des Menschen, daß seine Seelenkräfte, besonders sein Verstand, so
|b93| wenig kultivirt, seine Einbildungskraft verwildert und mit Bildern, die seiner Tugend nachmals gefährlich werden, angefüllt ist etc. daß seine Kenntniße so klein oder schlecht oder tod sind, daß er in Umständen, welche es ihm erschwehren das wahre Gute zu wählen, sich itzt befindet, daß sein Gemüth für das Gute verstimmt ist, von allzuheftigen Leidenschaften bestürmt wird etc. daß böse Gewohnheiten überhand genommen haben, daß ferner das Gewissen übertäubt ist, das Andenken an Gott und Pflicht so selten und unvollkommen erwacht, solche Ideen, die bey der Wahl ihn richtig leiten könnten, ihm nicht geläufig sind u. s. w. Seine Lage würde itzt im kritischen Augenblick anders seyn, wenn er vormals in Zeitpunkten, da die Umstände nicht so dringend waren, böse Gewohnheiten noch nicht so tiefe Wurzel geschlagen hatten, die Leidenschaften nicht brauseten, und die Stimme des Gewissens sich lauter hören ließ, auf diese geachtet, den sich ihm anbietenden Unterricht mit weniger Leichtsinn angenommen und benutzt, über seine Pflicht und den wahren Werth der Dinge nachgedacht, alles von mehrern Seiten anzusehen sich gewöhnt, gute Vorsätze oft erneuert, in richtigen Grundsätzen sich befestigt, schlimme Gewohnheiten geschwächt, in Mäßigung seiner Begierden und Enthaltsamkeit und Selbstbeherrschung sich geübt, auf künftige Gefahren sich bereitet hätte u. d. gl. Denn durch diese und änliche Mittel kann der Mensch seine moralische Freiheit nicht nur erhalten, sondern auch immer weiter ausdehnen. Sind also gleich d) Menschen in dem Augenblick der Wahl oft wirklich unvermögend, dasjenige was sie selbst in ruhigen
|b94| Stunden deutlich und mit Ueberzeugung für das Beste erkennen, zu wählen, und ist also ihre Freiheit oft sehr eigeschränkt, so ist dieß doch meistens mehr Fehler der Menschen, als der Einrichtung der menschlichen Natur. Vergl. jedoch §.
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