|b181| Dritter Abschnitt .
Systematische Theologie.

132.

Wenn wir einen Blick auf die Lehren werfen, die Jesus Christus und seine Apostel ausbreiteten, und auf die Lehrart, der sie sich dabey bedienten: so zeigt sich bald, daß sie das, was sie zu sagen hatten, immer gelegentlich und nach den Bedürfnissen ihrer jedesmaligen Zuhörer oder Leser vortrugen. – An Verständlichkeit konnte es diesem Vortrag damals nicht fehlen. Denn sie richteten sich immer nach dem Sprachgebrauch derer, mit welchen sie redeten; sprachen mit dem Volke, als Volke, in Sentenzen und Bildern, die diesem vor Augen, oder geläufig waren; mit den Gelehrteren, nach ihrer Denk- Beweis- und Sprachart. Blieb ja noch etwas dunkel, oder mußten sie, wegen Neuheit der Sachen, gewissen Ausdrücken neue Bedeutungen unterlegen: so gab der Zusammenhang, in dem sie sprachen, es gaben die Umstände, unter denen, und in Beziehung auf die sie redeten, den Ausdrücken die nöthige Deutlichkeit; und was dieser ja abgehen mochte, das konnte man bey diesen Lehrern selbst, man konnte es bey ihren Schü|b182|lern leicht erfragen. – Die Gewißheit von dem, was sie als Gottes Gesandten vortrugen, gründete sich, für den Anfang, zum Theil auf die Wunder, wodurch sie sich als solche gezeigt hatten, zum Theil, und bey allen, die sie einmal willig hören wollten, auf die Beruhigung und Besserung, als die ohnfehlbaren Wirkungen, wodurch sich die göttliche Wahrheit ihrer Lehren bey jedem rechtfertigte, der diesen Lehren folgte (Joh. 7, 17). Daher führten sie auch weiter keine Beweise für ihre Wahrheit, als da, wo gewisse Vorurtheile, Zweifel, Laster oder Unachtsamkeit und Leichtsinn ihrer Zuhörer eine nähere Ueberzeugung nöthig machten; alsdann bezogen sie sich entweder auf Sätze der gesunden Vernunft, oder auf Stellen der heiligen Schrift, je nachdem es die Fähigkeit der Zuhörer zuließ, oder das Bedürfniß derselben erforderte. – Uebrigens suchten sie nur richtige Kenntnisse in der Religion zu gründen, und eindrücklich zu machen. Die nähere Anwendung auf die jedesmaligen Angelegenheiten der Zuhörer mußten sie diesen selbst überlaßen, eben so wie das Fortbauen auf diesen gelegten Grund: denn daß sie dieses Fortbauen voraussetzten und verlangten, läßt sich schon sowohl aus der Bestimmung des Christenthums für allerley Völker und für die künftigen Zeiten, als aus den Fähigkeiten des Menschen, immer vollkommner zu werden, schliessen, wenn sie auch nicht ausdrücklich darauf drängen (Matth. 13, 12. Kap. 25, 14 flgg. 1 Kor. 3, 11 flgg. Eph. 4, 12 f. Ebr. 5, 11 f. etc.)Wenn wir einen Blick auf die Lehren werfen, die Jesus Christus und seine Apostel ausbreiteten, und auf die Lehrart, der sie sich dabey bedienten: so zeigt sich bald, daß sie das, was sie zu sagen hatten, immer gelegentlich und nach den Bedürfnissen ihrer jedesmaligen Zuhörer oder Leser vortrugen. – An Verständlichkeit konnte es diesem Vortrag damals nicht fehlen. Denn sie richteten sich immer nach dem Sprachgebrauch derer, mit welchen sie redeten; sprachen mit dem Volke, als Volke, in Sentenzen und Bildern, die diesem vor Augen, oder geläufig waren; mit den Gelehrteren, nach ihrer Denk- Beweis- und Sprachart. Blieb ja noch etwas dunkel, oder mußten sie, wegen Neuheit der Sachen, gewissen Ausdrücken neue Bedeutungen unterlegen: so gab der Zusammenhang, in dem sie sprachen, es gaben die Umstände, unter denen, und in Beziehung auf die sie redeten, den Ausdrücken die nöthige Deutlichkeit; und was dieser ja abgehen mochte, das konnte man bey diesen Lehrern selbst, man konnte es bey ihren Schü|b182|lern leicht erfragen. – Die Gewißheit von dem, was sie als Gottes Gesandten vortrugen, gründete sich, für den Anfang, zum Theil auf die Wunder, wodurch sie sich als solche gezeigt hatten, zum Theil, und bey allen, die sie einmal willig hören wollten, auf die Beruhigung und Besserung, als die ohnfehlbaren Wirkungen, wodurch sich die göttliche Wahrheit ihrer Lehren bey jedem rechtfertigte, der diesen Lehren folgte (Joh. 7, 17). Daher führten sie auch weiter keine Beweise für ihre Wahrheit, als da, wo gewisse Vorurtheile, Zweifel, Laster oder Unachtsamkeit und Leichtsinn ihrer Zuhörer eine nähere Ueberzeugung nöthig machten; alsdann bezogen sie sich entweder auf Sätze der gesunden Vernunft, oder auf Stellen der heiligen Schrift, je nachdem es die Fähigkeit der Zuhörer zuließ, oder das Bedürfniß derselben erforderte. – Uebrigens suchten sie nur richtige Kenntnisse in der Religion zu gründen, und eindrücklich zu machen. Die nähere Anwendung auf die jedesmaligen Angelegenheiten der Zuhörer mußten sie diesen selbst überlaßen, eben so wie das Fortbauen auf diesen gelegten Grund: denn daß sie dieses Fortbauen voraussetzten und verlangten, läßt sich schon sowohl aus der Bestimmung des Christenthums für allerley Völker und für die künftigen Zeiten, als aus den Fähigkeiten des Menschen, immer vollkommner zu werden, schliessen, wenn sie auch nicht ausdrücklich darauf drängen (Matth. 13, 12. Kap. 25, 14 flgg. 1 Kor. 3, 11 flgg. Eph. 4, 12 f. Ebr. 5, 11 f. etc.)

|b183| 133.

Was jene Stifter des Christenthums über die christlichen Lehren gesagt und geschrieben haben, ist auch für die folgenden Zeiten in den Büchern des neuen Testaments aufbehalten worden. In dieser spätern Zeit mußten sich, wie es die Sache mit sich bringt, nothwendig in der Erkenntniß der Christen große Veränderungen ereignen, man mag auf die Verständlichkeit jenes Unterrichts Christi und seiner Apostel, oder auf die Gewißheit von den in der heiligen Schrift enthaltnen Lehren, oder auf ihre Anwendung, oder auf die Erweiterung und Aufklärung dieser Erkenntniß sehen.Was jene Stifter des Christenthums über die christlichen Lehren gesagt und geschrieben haben, ist auch für die folgenden Zeiten in den Büchern des neuen Testaments aufbehalten worden. In dieser spätern Zeit mußten sich, wie es die Sache mit sich bringt, nothwendig in der Erkenntniß der Christen große Veränderungen ereignen, man mag auf die Verständlichkeit jenes Unterrichts Christi und seiner Apostel, oder auf die Gewißheit von den in der heiligen Schrift enthaltnen Lehren, oder auf ihre Anwendung, oder auf die Erweiterung und Aufklärung dieser Erkenntniß sehen.

134.

Nach dem Tode der Apostel und ihrer nächsten Schüler traten immer weniger Juden zum Christenthum über; die meisten neuen Christen waren bisherige Heiden, und des jüdischen und morgenländischen Sprachgebrauchs unkundig. Die Kenntniß der Umstände, unter welchen jene Stifter geredet hatten, verlor sich; und nachfragen konnte man bey den ersten Lehrern nicht mehr. Die griechische Sprache litte, wie alle Sprachen, in Dingen, die ihrer Natur nach nicht nothwendig sind, viele Abänderungen. Die Begierde, was man in der Religion für wahr hielt, auch in der heiligen Schrift zu finden, verursachte, daß man einen ganz fremden Sinn hineintrug. Selbst die Uebertragung der biblischen Ausdrücke und Be|b184|griffe in andere Sprachen, und, wenn man auch nicht auf ungeschickte oder flüchtige Uebersetzer zu rechnen hätte, die Unmöglichkeit, biblische Ausdrücke ohne Mißverstand in fremde Sprachen zu übersetzen, machte, die heilige Schrift zu verstehen, schwerer, und die Verschiedenheit in der Auslegung nothwendig. – Auch die Art des von den Stiftern des Christenthums zu ihrer Zeit so weislich gebrauchten gelegentlichen und populären Vortrags trug das Ihrige dazu bey. Der populäre Vortrag ist fasslicher und eindrücklicher, als der gelehrte, und beydes zu werden war die Absicht jener Stifter; aber was er an jenen Eigenschaften gewinnt, verliert er an Bestimmtheit, und ist daher eine reichere Quelle des Mißverstandes. Was man gelegentlich sagt, das sagt man in Beziehung auf die Bedürfnisse der jedesmaligen Zuhörer. Waren diese, oder die Absicht bey ihrer Belehrung, verschieden, so erklärten sich auch jene erste christliche Lehrer über eben dieselbe Sache sehr verschieden; und so entstanden nothwendig scheinbare Widersprüche in der Bibel, die der Eine Leser so, der Andre anders zu heben suchte, wobey dem Einen diese, dem Andern jene Behauptung der heiligen Schrift deutlicher oder wichtiger schien †) . So konnte es an einer großen Verschiedenheit der Vorstellungen von dem Sinn der heiligen Schrift nicht fehlen.Nach dem Tode der Apostel und ihrer nächsten Schüler traten immer weniger Juden zum Christenthum über; die meisten neuen Christen waren bisherige Heiden, und des jüdischen und morgenländischen Sprachgebrauchs unkundig. Die Kenntniß der Umstände, unter welchen jene Stifter geredet hatten, verlor sich; und nachfragen konnte man bey den ersten Lehrern nicht mehr. Die griechische Sprache litte, wie alle Sprachen, in Dingen, die ihrer Natur nach nicht nothwendig sind, viele Abänderungen. Die Begierde, was man in der Religion für wahr hielt, auch in der heiligen Schrift zu finden, verursachte, daß man einen ganz fremden Sinn hineintrug. Selbst die Uebertragung der biblischen Ausdrücke und Be|b184|griffe in andere Sprachen, und, wenn man auch nicht auf ungeschickte oder flüchtige Uebersetzer zu rechnen hätte, die Unmöglichkeit, biblische Ausdrücke ohne Mißverstand in fremde Sprachen zu übersetzen, machte, die heilige Schrift zu verstehen, schwerer, und die Verschiedenheit in der Auslegung nothwendig. – Auch die Art des von den Stiftern des Christenthums zu ihrer Zeit so weislich gebrauchten gelegentlichen und populären Vortrags trug das Ihrige dazu bey. Der populäre Vortrag ist fasslicher und eindrücklicher, als der gelehrte, und beydes zu werden war die Absicht jener Stifter; aber was er an jenen Eigenschaften gewinnt, verliert er an Bestimmtheit, und ist daher eine reichere Quelle des Mißverstandes. Was man gelegentlich sagt, das sagt man in Beziehung auf die Bedürfnisse der jedesmaligen Zuhörer. Waren diese, oder die Absicht bey ihrer Belehrung, verschieden, so erklärten sich auch jene erste christliche Lehrer über eben dieselbe Sache sehr verschieden; und so entstanden nothwendig scheinbare Widersprüche in der Bibel, die der Eine Leser so, der Andre anders zu heben suchte, wobey dem Einen diese, dem Andern jene Behauptung der heiligen Schrift deutlicher oder wichtiger schien †) . So konnte es an einer großen Verschiedenheit der Vorstellungen von dem Sinn der heiligen Schrift nicht fehlen.
†) Man vergleiche z. B. Joh. 5, 23. mit Kap. 14, 28. Röm. 3, 23 f. mit Kap. 2, 6 f. Kap. 6. und Jak. 1, 25. auch Kap. 2. 1 Tim. 2, 4. mit Matth. 20, 16.

|b185| 135.

Die Gewißheit der christl. Erkenntniß war einer ähnlichen Revolution ausgesetzt. Es ist recht, und sogar Pflicht, nach der uns möglichsten Gewißheit zu streben, weil von der Festigkeit der Ueberzeugung auch der Eifer, nützliche Wahrheit weiter auszubreiten, und die Willigkeit, ihr zu folgen, abhängt. Nach dem Abschied Christi und seiner nächsten Schüler konnte man weder, wie zu ihrer Zeit, sie in der Verlegenheit befragen, noch Zeuge ihrer Wunder seyn. Man hatte freylich ihre Lehren und Thaten in der heiligen Schrift; aber, daß es ihre Schriften, daß diese durchaus in der Lehre unverfälscht wären, dies forderte, wenn es zuverläßig seyn sollte, Beweise, und das um so mehr, da es schon in den ältesten Zeiten Leute gab, die das Eine oder das Andere bezweifelten, oder selbst den Aposteln falsche Schriften unterschoben. War aber diese Aechtheit ihrer Aussprüche auch gewiß genug: so konnte man doch mit Recht immer mehr Ueberzeugung von ihrer Wahrheit suchen, immer mehr eigne und fremde Erfahrungen von ihren heilsamen Wirkungen, und somit von ihrem göttlichen Werthe, sammlen; alle weitere Fortschritte in der Kritik, in Sprachen, in der Philosophie, in der Geschichte und andern Wissenschaften zur stärkern Ueberzeugung benutzen; die christlichen Lehren mit andern Grundsätzen und Kenntnissen in eine immer nähere Uebereinstimmung bringen, um dadurch die sonst aufsteigenden oder von Andern |b186| erregte Zweifel zu entkräften. Und hätte man auch alles dieses nicht selbst bedurft: so wäre es um Andrer willen nöthig gewesen, wenn man diese heilsamen Lehren, und richtige Begriffe oder Ueberzeugung von ihrer Wahrheit, mittheilen, und sie gegen falsche Vorstellungen oder Zweifel verwahren wollte.Die Gewißheit der christl. Erkenntniß war einer ähnlichen Revolution ausgesetzt. Es ist recht, und sogar Pflicht, nach der uns möglichsten Gewißheit zu streben, weil von der Festigkeit der Ueberzeugung auch der Eifer, nützliche Wahrheit weiter auszubreiten, und die Willigkeit, ihr zu folgen, abhängt. Nach dem Abschied Christi und seiner nächsten Schüler konnte man weder, wie zu ihrer Zeit, sie in der Verlegenheit befragen, noch Zeuge ihrer Wunder seyn. Man hatte freylich ihre Lehren und Thaten in der heiligen Schrift; aber, daß es ihre Schriften, daß diese durchaus in der Lehre unverfälscht wären, dies forderte, wenn es zuverläßig seyn sollte, Beweise, und das um so mehr, da es schon in den ältesten Zeiten Leute gab, die das Eine oder das Andere bezweifelten, oder selbst den Aposteln falsche Schriften unterschoben. War aber diese Aechtheit ihrer Aussprüche auch gewiß genug: so konnte man doch mit Recht immer mehr Ueberzeugung von ihrer Wahrheit suchen, immer mehr eigne und fremde Erfahrungen von ihren heilsamen Wirkungen, und somit von ihrem göttlichen Werthe, sammlen; alle weitere Fortschritte in der Kritik, in Sprachen, in der Philosophie, in der Geschichte und andern Wissenschaften zur stärkern Ueberzeugung benutzen; die christlichen Lehren mit andern Grundsätzen und Kenntnissen in eine immer nähere Uebereinstimmung bringen, um dadurch die sonst aufsteigenden oder von Andern |b186| erregte Zweifel zu entkräften. Und hätte man auch alles dieses nicht selbst bedurft: so wäre es um Andrer willen nöthig gewesen, wenn man diese heilsamen Lehren, und richtige Begriffe oder Ueberzeugung von ihrer Wahrheit, mittheilen, und sie gegen falsche Vorstellungen oder Zweifel verwahren wollte.

136.

Selbst bey der Anwendung der christlichen Lehren auf sich selbst oder Andre mußte manche Verlegenheit, mußten sehr verschiedne Meinungen eintreten. Ist dieses oder jenes (z. B. Matth. 19, 21. Apostelgesch. 15, 20 etc.) auch uns, oder ist es nur den damaligen Schülern Christi gesagt? und in jenem Fall, wie ferne? Ist der mir vorkommende Fall eben der, auf den der oder jener biblische Ausspruch (z. E. Matth. 6, 25. 1 Kor. 3, 19.) geht? und wenn mehrere solche Aussprüche, die doch einander nicht wirklich widersprechen können, nicht zugleich können in einerley Absicht wahr seyn (s. die Anmerk. zu §. 134 ), wie fern ist jeder wahr? wie laßen sie sich mit einander vereinigen? oder, wenn zwey Gebote nicht zugleich können gehalten werden (z. B. Matth. 7, 6. und Kap. 10, 27), welches geht vor? oder, wie weit kan man beydes beobachten? – Erweiterten sich nun vollends, mit fortgehender Zeit, allerley Arten der menschlichen Kenntnisse und Wissenschaften, die entweder in eine Art von Widerspruch mit den biblischen Aussprüchen zu kommen, oder diese aufzuklären und zu bestätigen |b187| schienen; fing man an mit eben dem Fleiß über diese Aussprüche, wie über die Sätze in andern Wissenschaften, nachzudenken – und dies machte selbst der Widerspruch gegen manche, nebst den verschiednen Vorstellungen von ihrem Sinn und ihrer Ausdehnung, nothwendig, wenn diese Aussprüche nicht schon vor sich einer solchen weitern Aufklärung werth gewesen wären, die man nicht anderwärts her, als aus dem fleißigen Studium des Sprachgebrauchs der Bibel und aus klaren Sätzen der Vernunft, nehmen konnte –: so mußten sich auch die Kenntnisse vom Christenthum erweitern, noch mehr befestigen, und bestimmter und zusammenhängender werden. Wie endlich diese Masse von Kenntnissen immer mehr zunahm, eine Läuterung derselben zur Scheidung des Wahren und Falschen nöthig wurde, nach und nach Lehranstalten aufkamen, wo man, zumahl angehenden Lehrern der Religion, eine allgemeinere Uebersicht des Ganzen geben, und diese mannichfaltigen Kenntnisse vom Christenthum durch ihren innern Zusammenhang, durch ausgesuchtere, bewährtere Beweise und die nöthigen Bestimmungen befestigen wollte: so entstand natürlich eine mehr wissenschaftliche Form christlicher Kenntnisse.Selbst bey der Anwendung der christlichen Lehren auf sich selbst oder Andre mußte manche Verlegenheit, mußten sehr verschiedne Meinungen eintreten. Ist dieses oder jenes (z. B. Matth. 19, 21. Apostelgesch. 15, 20 etc.) auch uns, oder ist es nur den damaligen Schülern Christi gesagt? und in jenem Fall, wie ferne? Ist der mir vorkommende Fall eben der, auf den der oder jener biblische Ausspruch (z. E. Matth. 6, 25. 1 Kor. 3, 19.) geht? und wenn mehrere solche Aussprüche, die doch einander nicht wirklich widersprechen können, nicht zugleich können in einerley Absicht wahr seyn (s. die Anmerk. zu §. 134 ), wie fern ist jeder wahr? wie laßen sie sich mit einander vereinigen? oder, wenn zwey Gebote nicht zugleich können gehalten werden (z. B. Matth. 7, 6. und Kap. 10, 27), welches geht vor? oder, wie weit kan man beydes beobachten? – Erweiterten sich nun vollends, mit fortgehender Zeit, allerley Arten der menschlichen Kenntnisse und Wissenschaften, die entweder in eine Art von Widerspruch mit den biblischen Aussprüchen zu kommen, oder diese aufzuklären und zu bestätigen |b187| schienen; fing man an mit eben dem Fleiß über diese Aussprüche, wie über die Sätze in andern Wissenschaften, nachzudenken – und dies machte selbst der Widerspruch gegen manche, nebst den verschiednen Vorstellungen von ihrem Sinn und ihrer Ausdehnung, nothwendig, wenn diese Aussprüche nicht schon vor sich einer solchen weitern Aufklärung werth gewesen wären, die man nicht anderwärts her, als aus dem fleißigen Studium des Sprachgebrauchs der Bibel und aus klaren Sätzen der Vernunft, nehmen konnte –: so mußten sich auch die Kenntnisse vom Christenthum erweitern, noch mehr befestigen, und bestimmter und zusammenhängender werden. Wie endlich diese Masse von Kenntnissen immer mehr zunahm, eine Läuterung derselben zur Scheidung des Wahren und Falschen nöthig wurde, nach und nach Lehranstalten aufkamen, wo man, zumahl angehenden Lehrern der Religion, eine allgemeinere Uebersicht des Ganzen geben, und diese mannichfaltigen Kenntnisse vom Christenthum durch ihren innern Zusammenhang, durch ausgesuchtere, bewährtere Beweise und die nöthigen Bestimmungen befestigen wollte: so entstand natürlich eine mehr wissenschaftliche Form christlicher Kenntnisse.

137.

Hier haben wir den Ursprung der systematischen Theologie, oder der Theologie, im Unterschiede von der Religion (Theil 1. §. 3 Anm. 2), im eigentlichsten und engsten Verstande (Th. 2 |b188| §. 1 ), d. i. des zusammenhängenden Inbegrifs gelehrter Kenntnisse von der Religion. Man könnte, wenn Religion, wie hier, von der christlichen genommen wird, diese Theologie durch eine Wissenschaft (oder den Inbegrif der Wissenschaften) erklären, worin die in der heiligen Schrift zerstreuten Lehren erklärt, in einen ordentlichen Zusammenhang gebracht, durch einander bestimmt und eingeschränkt, bestätigt, und weiter aufgeklärt werden.Hier haben wir den Ursprung der systematischen Theologie, oder der Theologie, im Unterschiede von der Religion (Theil 1. §. 3 Anm. 2), im eigentlichsten und engsten Verstande (Th. 2 |b188| §. 1 ), d. i. des zusammenhängenden Inbegrifs gelehrter Kenntnisse von der Religion. Man könnte, wenn Religion, wie hier, von der christlichen genommen wird, diese Theologie durch eine Wissenschaft (oder den Inbegrif der Wissenschaften) erklären, worin die in der heiligen Schrift zerstreuten Lehren erklärt, in einen ordentlichen Zusammenhang gebracht, durch einander bestimmt und eingeschränkt, bestätigt, und weiter aufgeklärt werden.
Wenn mehrere Lehrsätze, die mit einander zusammenhängen, d. i. deren einer mit und durch den andern besteht, (oder mit dem andern zugleich und um seinetwillen wahr ist,) zusammen genommen, d. i. zu Einem Zweck verbunden werden, so entsteht ein System; und, sind diese Lehrsätze der Religion, ein Religions-System; folglich ist systematische Theologie der Inbegriff aller Religionslehren, die in einem solchen Zusammenhange erkannt oder vorgetragen werden. Bey ihr kommt demnach alles auf drey Stücke an: 1) daß man die einzelnen Lehrsätze verstehe oder erkläre, 2) sie mit einander verbinde, und zwar 3) so, daß einer mit und durch dem andern bestehe.

138.

Man darf nur auf die bisher beschriebne Art Acht geben, wie systematische Theologie entstanden ist, und über die Natur derselben nachdenken, um sogleich überzeugt zu werden, wie nützlich es sey, daß man die christlichen Lehren in ein solches |b189| System gebracht habe. Wer sich einer christlichen Kenntniß, und noch mehr einer Ueberzeugung von ihrer Wahrheit rühmen, oder sie anwenden will, muß doch 1) wenigstens sie verstehen. Dazu ist zwar die Kenntniß des biblischen Sprachgebrauchs unentbehrlich; aber, wenn dieser Gebrauch mehr als Einen Sinn zuläßt; oder wenn ein Satz, den wir zu verstehen glauben, mit einem andern biblischen Satz nicht bestehen kan: so muß ich den Satz, von dessen Sinn die Frage ist, mit dem Zusammenhang, in dem er in der Bibel vorkommt, mit der Absicht des Schriftstellers, mit seinen anderweitigen Erklärungen, vergleichen, um zu finden, welcher Sinn, allein oder am meisten, damit übereinstimme; oder, scheinen zwey biblische Sätze einander zu widersprechen, wie fern und in welchem Sinn jeder wahr sey, und mit dem andern bestehen könne. †) Hier ist offenbar die versuchte Verbindung eines zweydeutigen Satzes mit dem Zusammenhange, der Absicht des Schriftstellers und den Parallelstellen, oder mit andern eben so biblischen Sätzen, das Mittel, hinter dessen wahren Sinn zu kommen. Ja eben dieser Versuch, einen Zusammenhang zu finden, leitet mich oft auf die Entdeckung des wahren Sprachgebrauchs, indem er mich aufmerksam macht, anderweitigen Beyspielen von dem Sprachgebrauch nachzuforschen, bey dem ich allein den Satz denkbar finde ††) . Oft finde ich auch bey dem Sinn eines biblischen Satzes gar kein Bedenken, und kan daher einen wirklich falschen Sinn für wahr annehmen, bis ich ihn |b190| erst – wie eben in dem System geschieht – mit andern biblischen Sätzen zusammenstelle, und dadurch von meinem Irrthum in der Erklärung überzeugt, dadurch genöthigt werde, mich nach einen richtigern Sinn umzusehen. Schon dies ist also ein großer Vortheil, den mir dieses Zusammenstellen und der Versuch, die biblischen Sätze in ein System zu bringen, gewährt, daß ich dadurch den wahren Sinn dieser Sätze entdecken kan, ohne welchen alle meine Erkenntniß aus der Bibel keinen festen Grund haben würde.Man darf nur auf die bisher beschriebne Art Acht geben, wie systematische Theologie entstanden ist, und über die Natur derselben nachdenken, um sogleich überzeugt zu werden, wie nützlich es sey, daß man die christlichen Lehren in ein solches |b189| System gebracht habe. Wer sich einer christlichen Kenntniß, und noch mehr einer Ueberzeugung von ihrer Wahrheit rühmen, oder sie anwenden will, muß doch 1) wenigstens sie verstehen. Dazu ist zwar die Kenntniß des biblischen Sprachgebrauchs unentbehrlich; aber, wenn dieser Gebrauch mehr als Einen Sinn zuläßt; oder wenn ein Satz, den wir zu verstehen glauben, mit einem andern biblischen Satz nicht bestehen kan: so muß ich den Satz, von dessen Sinn die Frage ist, mit dem Zusammenhang, in dem er in der Bibel vorkommt, mit der Absicht des Schriftstellers, mit seinen anderweitigen Erklärungen, vergleichen, um zu finden, welcher Sinn, allein oder am meisten, damit übereinstimme; oder, scheinen zwey biblische Sätze einander zu widersprechen, wie fern und in welchem Sinn jeder wahr sey, und mit dem andern bestehen könne. †) Hier ist offenbar die versuchte Verbindung eines zweydeutigen Satzes mit dem Zusammenhange, der Absicht des Schriftstellers und den Parallelstellen, oder mit andern eben so biblischen Sätzen, das Mittel, hinter dessen wahren Sinn zu kommen. Ja eben dieser Versuch, einen Zusammenhang zu finden, leitet mich oft auf die Entdeckung des wahren Sprachgebrauchs, indem er mich aufmerksam macht, anderweitigen Beyspielen von dem Sprachgebrauch nachzuforschen, bey dem ich allein den Satz denkbar finde ††) . Oft finde ich auch bey dem Sinn eines biblischen Satzes gar kein Bedenken, und kan daher einen wirklich falschen Sinn für wahr annehmen, bis ich ihn |b190| erst – wie eben in dem System geschieht – mit andern biblischen Sätzen zusammenstelle, und dadurch von meinem Irrthum in der Erklärung überzeugt, dadurch genöthigt werde, mich nach einen richtigern Sinn umzusehen. Schon dies ist also ein großer Vortheil, den mir dieses Zusammenstellen und der Versuch, die biblischen Sätze in ein System zu bringen, gewährt, daß ich dadurch den wahren Sinn dieser Sätze entdecken kan, ohne welchen alle meine Erkenntniß aus der Bibel keinen festen Grund haben würde.
†) So kan es scheinen, als wenn die Stelle Röm. 5, 12 f. die Lehre enthalte: daß wir selbst zugleich mit unserm ersten Stammvater, und dadurch, daß er sündigte, gefallen wären; es kan diese Stelle wenigstens eine eigentliche Zurechnung seines Falls bey seinen Nachkommen, d. i. den Satz zu enthalten scheinen, daß wir um jenes Falls willen bestraft , wohl gar mit dem ewigen Tode bestraft würden. Es ist auch bekannt genug, daß sie so sey verstanden worden. Aber eben sowohl kan ἁμαρτάνειν, wie von solchen verstanden werden, die nicht gesündigt, sondern nur ein gleiches Schicksal mit andern Verbrechern haben; θανατος kan den leiblichen Tod bedeuten; und Paulus kan eine ganz natürliche Veränderung, die auch ohne Verbrechen erfolgt seyn würde, nach einer bey den Hebräern gewöhnlichen Art zu reden, als eine Strafe beschreiben, wenn sie gleich keine, sondern ihr nur (materialiter) ähnlich ist, wie 1 Mos. 3, 14. 16. 17–19. Kap. 9, 12 f. und in vielen Stellen, die aus dem alten Testament im neuen, |b191| nicht nach ihrer eigentlichen Absicht, sondern wegen einer Aehnlichkeit, angeführt werden. Vergleiche ich nun den biblischen Ausspruch Ezech. 18, 20, den sogar der gemeine Menschenverstand als recht billigt; erkenne ich die deutliche Anspielung der Worte des Apostels auf 1 Mos. 2, 17, verglichen mit Kap. 3, 19; finde ich daß P. im Zusammenhang nur bloß den Tod erwähnt, und weder ihn Strafe nennt, noch von einer andern Strafe ausser dem Tode redet; vornehmlich aber, daß er unser Schicksal nicht von unsrer, von vieler Menschen Sünde herleitet, sondern in allen Versen von Eines Sünde V. 15. 16. 17. 18. 19; und daß er endlich den Adam und Christum vergleicht, mit oder in welchem letztern wir ja nicht recht gehandelt haben, sondern nur seinetwegen als Gerechte von Gott behandelt werden: so kan man vernünftiger Weise an der Richtigkeit der letztern Erklärung nicht zweifeln. – So scheint auch 1 Joh. 3, 6 und 9 mit Kap. 1, 8 zu streiten, und man hat allerley Arten, den Sinn jener Stelle zu mildern, versucht. Johannes hebt doch selbst allen Mißverstand, da aus Kap. 5, 18 augenscheinlich wird, μὴ ἁμαρτάνειν sey so viel als τηρεῖν ἑαυτὸν, sich für Sünden zu hüten suchen.
††) Wie bey gedachter Stelle 1 Joh. 3. und bey solchen, wo es scheint, daß Gott für die Ursach des Bösen ausgegeben werde; welcher in die Augen fallende Mißverstand gänzlich gehoben wird, wenn ich aus ähnlichen Redensarten Apostelgesch. 13, 29 und Kap. 1, 18 gelernt habe, daß die Ebräer von jeder entfernten, selbst mit Mißfallen verknüpften |b192| Veranlassung einer Handlung, als wie von einer Ursach derselben reden.

139.

Zur Ueberzeugung von der Wahrheit der biblischen Sätze müssen uns zwar schon die Aussprüche der heiligen Schrift selbst zureichend seyn; aber die Gewißheit davon wächst doch noch mehr 2) dadurch, wenn wir sie mit andern Sätzen, die uns gewiß sind, in Verbindung bringen; es mögen diese andern Sätze biblische, oder anderwärtsher gewisse seyn. Denn, so wie diese Gewißheit der Sätze leidet, wenn wir sie nicht mit solchen andern zu reimen wissen: so wird sie befestigt, wenn sie aus diesen fließen, oder diese ohne jene nicht bestehen können †) . Indem ich sie ferner mit andern Sätzen zusammenhalte, so sehe ich 3) wie einer den andern bestimmt und einschränkt, füge also im System diese Einschränkungen hinzu, und verhüte dadurch theils die Mißdeutung dieser Sätze, theils Zweifel und Vorwürfe gegen sie; wodurch Irrthümer abgeschnitten werden, und der richtige Verstand derselben sowohl wieder befördert, als die Gewißheit der Sätze aufs neue verstärkt wird ††) .Zur Ueberzeugung von der Wahrheit der biblischen Sätze müssen uns zwar schon die Aussprüche der heiligen Schrift selbst zureichend seyn; aber die Gewißheit davon wächst doch noch mehr 2) dadurch, wenn wir sie mit andern Sätzen, die uns gewiß sind, in Verbindung bringen; es mögen diese andern Sätze biblische, oder anderwärtsher gewisse seyn. Denn, so wie diese Gewißheit der Sätze leidet, wenn wir sie nicht mit solchen andern zu reimen wissen: so wird sie befestigt, wenn sie aus diesen fließen, oder diese ohne jene nicht bestehen können †) . Indem ich sie ferner mit andern Sätzen zusammenhalte, so sehe ich 3) wie einer den andern bestimmt und einschränkt, füge also im System diese Einschränkungen hinzu, und verhüte dadurch theils die Mißdeutung dieser Sätze, theils Zweifel und Vorwürfe gegen sie; wodurch Irrthümer abgeschnitten werden, und der richtige Verstand derselben sowohl wieder befördert, als die Gewißheit der Sätze aufs neue verstärkt wird ††) .
Dies ists, was vornehmlich der deutlichen und gelehrten Kenntniß vor der undeutlichen und gemeinen, dem Vortrag der erstern Art vor dem populären, den Sätzen im System vor den abgerissenen Sätzen, einen so großen Vorzug giebt. Bey Köpfen, die zum Nachdenken aufgelegt und an deutliche Begriffe |b193| gewöhnt sind, ist systematische Kenntniß der Religion unentbehrlich, und dahin, in seinem Maaß, zu trachten, Pflicht eines jeden Christen, zumal Lehrers, zumal in aufgeklärtern Zeiten. Siehe den sehr lesenswürdigen tellerischen Excursus III. hinter Th. Burneti lib. de fide et offic. Christianorum p. 290 sqq.
†) So wird die Lehre von Unentbehrlichkeit der Gnade Gottes zu allem Guten und von seiner schonenden Erbarmung, gewiß in dem Grade überzeugender erkannt als die Ueberzeugung von unserer Ohnmacht und unserm Verderben auf einer, und von dem, was wir wohl könnten, wenn wir wollten, auf der andern Seite, stark ist; und die wahre Lehre der heil. Schrift von der Versöhnung durch Christum ist bey einer richtigen Vorstellung von der Gerechtigkeit Gottes weit weniger Zweifeln ausgesetzt, als ohne diese.
††) Beyspiele giebt hier die Vergleichung der biblischen Lehre, daß der Glaube ein Geschenk Gottes sey, mit anderen Stellen, die doch den Mangel des Glaubens dem Menschen selbst Schuld geben; der Lehre, die den Glauben an Jesum Christum als nothwendig zur Seligkeit fordert, mit der Lehre Röm. 2, 11–15. 26. 27; der Lehre, die Gott als den vorstellt, der allen Menschen wolle geholfen wissen, und der durch sein Wort oder Lehre die Menschen selig mache, mit dem Erfahrungssatz, daß doch die wenigsten Menschen Gelegenheit gehabt haben, die christliche Lehre, selbst viele nicht einmal Fähigkeit , eine natürliche Reli|b194|gion kennen zu lernen; der Lehre von Vergebung der Sünden, und hingegen der Erfahrung, daß natürliche Strafen nach unsern Vergehungen nicht ausbleiben.

140.

Eben diese richtige und bedächtige Vergleichung der Lehren unter einander und die Bestimmung der einen durch die andre, zeigt auch 4) den verhältnißmäßigen Werth oder dergleichen Entbehrlichkeit einer Lehre. Diese Würdigung kan sehr viel beytragen zur Bestimmung, ob gewisse Lehren oder Vorstellungen auch in den gemeinen Unterricht, oder nur für Gelehrtere gehören; zur Beruhigung unsrer selbst, wenn wir uns von gewissen Lehren nicht überzeugen, sie nicht so sehr, als wir es wünschten, uns aufklären, nicht alle Zweifel dagegen heben können; zur billigern Beurtheilung derer, die über gewisse Lehren anders denken als wir; zur Absonderung unnützer oder entbehrlicherer Untersuchungen. †) Und wie viele neue Aufschlüsse gewährt 5) eine solche Vergleichung und Zusammenstellung? die so viele Vorurtheile, Irrthümer und Zweifel verdrängen können. Denn wodurch anders gelangen wir zu solchen erweiterten und mehr geläuterten Einsichten, als durch Vergleichung mehrerer Sätze, und ihrer Bestandtheile, mit einander? ††) Eben diese richtige und bedächtige Vergleichung der Lehren unter einander und die Bestimmung der einen durch die andre, zeigt auch 4) den verhältnißmäßigen Werth oder dergleichen Entbehrlichkeit einer Lehre. Diese Würdigung kan sehr viel beytragen zur Bestimmung, ob gewisse Lehren oder Vorstellungen auch in den gemeinen Unterricht, oder nur für Gelehrtere gehören; zur Beruhigung unsrer selbst, wenn wir uns von gewissen Lehren nicht überzeugen, sie nicht so sehr, als wir es wünschten, uns aufklären, nicht alle Zweifel dagegen heben können; zur billigern Beurtheilung derer, die über gewisse Lehren anders denken als wir; zur Absonderung unnützer oder entbehrlicherer Untersuchungen. †) Und wie viele neue Aufschlüsse gewährt 5) eine solche Vergleichung und Zusammenstellung? die so viele Vorurtheile, Irrthümer und Zweifel verdrängen können. Denn wodurch anders gelangen wir zu solchen erweiterten und mehr geläuterten Einsichten, als durch Vergleichung mehrerer Sätze, und ihrer Bestandtheile, mit einander? ††)
†) Man denke hier an den so äusserst zweydeutigen Streit über Grund- und Nebenartikel des christlichen Glaubens (articulos fundamentales primi und secundi ordinis und non fundamentales), und an den unverständigen höchst schädlichen Eifer, der menschliche Vorstellungen von christlichen Lehren mit |b195| diesen selbst, der Wichtigkeit nach, in eine Classe setzte, auf einer, wie auf der andern Seite, an die Kälte und Gleichgültigkeit gegen gewisse Lehren, sowohl als an den Unverstand, eine Lehre selbst zu verwerfen, wenn eine Vorstellungsart davon verwerflich ist. Die Lehren von dem göttlichen Ansehen der heiligen Schrift und ihrer göttlichen Eingebung; von dem moralischen Verderben der Menschen, der Erbsünde und der Zurechnung des Falles Adams, und so viele andre, mit den verschiednen Vorstellungen davon, die keinesweges zusammen stehen und fallen, können hier zum Beyspiele dienen.
††) Gute und schlechte Beyspiele dieser Aufklärung christlicher Lehren sind bekannt genug. Wie ärmlich und willkührlich sieht die Lehre von der Eingebung der heil. Schrift vor der letztern Zeit des vorigen Jahrhunderts aus, gegen die Gestalt, die sie seitdem , zumal in den neuesten Zeiten, als in Töllners Buch von der göttlichen Eingebung, gewonnen hat? Wie ganz anders erscheinen uns jetzt die Lehren von der wahrhaftigen Göttlichkeit des Christenthums, von der Deutlichkeit der heil. Schrift, von der göttlichen Vorhersehung der freyen Handlungen der Menschen, von der göttlichen Vorsehung, von den göttlichen Strafen, von der Versöhnung Christi und seinem thätigen und leidenden Gehorsam, von der wahren Besserung des Menschen, und dem, was dabey Gottes und des Menschen ist, von dem Glauben und der möglichen Seligkeit derer, die keine Gelegenheit gehabt haben das Christenthum kennen zu lernen, |b196| von der steten Fortdauer der Strafen nach dem Tode, und mehrere andre? die alle so laut für den Nutzen der systematischen Untersuchungen sprechen.

141.

Alle diese Vortheile kan die systematische Theologie, zur bessern Erkenntniß des Christenthums, leisten. Sie erleichtert aber auch das gründliche Studium der Religion, besonders angehenden Theologen. Denn 6) schon für den langsamen Kopf, und eben so sehr für jeden, der noch zu wenig Bekanntschaft mit der heiligen Schrift und deren rechtem Verstande, mit Philosophie, mit Geschichte der Lehre und den so vielfältigen Versuchen gelehrter Theologen, das Christenthum aufzuklären, noch zu wenig feste Grundsätze und Uebung im Denken, und in reifer, nüchterner Prüfung, hat, ist es ein großer Vortheil, wenn ihm Andre darin mit Sammlung dessen, was am bewährtesten erfunden worden, mit eigner Untersuchung, vorarbeiten, ihm durch ihr eigenes Beyspiel die rechte Art zeigen, wie er, aufs sicherste und überzeugendste, Untersuchungen über die Religion und das Christenthum anstellen müsse, ihn dadurch für Dünkel und zu rascher Entscheidung einerseits, und andererseits für Trägheit bey dem einmal Gelernten, verwahren. 7) Er bekommt dadurch eine allgemeinere und geschwindere Uebersicht des Ganzen, an die er hernach viel leichter seine übrigen erlangten Kenntnisse und Untersuchungen knüpfen und ordnen kan. 8) Er wird durch ein wohleingerichtetes |b197| System von dem Leichtern zum Schwerern fortgeführt, oder doch, bey der zusammenhängenden Stellung der Lehren, durch das Vorhergehende zu dem Nachfolgenden zubereitet . Er gewöhnt sich, durch einen solchen erläuternden und mit Beweisen unterstützten Commentar über die biblischen Lehren, gleich anfangs zu deutlichen und bestimmten Begriffen, die ihn gegen seichte Erkenntniß, Ausschweifungen der Phantasie, halbwahre Zweifel, und mehrere dergleichen Uebel, sichern. 9) Der stete Zusammenhang, verbunden mit solchen deutlichen Begriffen, gewährt einem Selbstdenkenden und nach gründlicher Kenntniß Durstenden ein großes Vergnügen, macht ihm das Studium der Religion selbst interessanter, und befördert dadurch zugleich seinen Fleiß. Auch drückt sich 10) das, was man so im Zusammenhang gebracht hat, viel tiefer ein, und setzt uns in den Stand, das leichter zu behalten, und sich dessen eher wieder zu erinnern, als was man nur einzeln und stückweise gelernt hat.Alle diese Vortheile kan die systematische Theologie, zur bessern Erkenntniß des Christenthums, leisten. Sie erleichtert aber auch das gründliche Studium der Religion, besonders angehenden Theologen. Denn 6) schon für den langsamen Kopf, und eben so sehr für jeden, der noch zu wenig Bekanntschaft mit der heiligen Schrift und deren rechtem Verstande, mit Philosophie, mit Geschichte der Lehre und den so vielfältigen Versuchen gelehrter Theologen, das Christenthum aufzuklären, noch zu wenig feste Grundsätze und Uebung im Denken, und in reifer, nüchterner Prüfung, hat, ist es ein großer Vortheil, wenn ihm Andre darin mit Sammlung dessen, was am bewährtesten erfunden worden, mit eigner Untersuchung, vorarbeiten, ihm durch ihr eigenes Beyspiel die rechte Art zeigen, wie er, aufs sicherste und überzeugendste, Untersuchungen über die Religion und das Christenthum anstellen müsse, ihn dadurch für Dünkel und zu rascher Entscheidung einerseits, und andererseits für Trägheit bey dem einmal Gelernten, verwahren. 7) Er bekommt dadurch eine allgemeinere und geschwindere Uebersicht des Ganzen, an die er hernach viel leichter seine übrigen erlangten Kenntnisse und Untersuchungen knüpfen und ordnen kan. 8) Er wird durch ein wohleingerichtetes |b197| System von dem Leichtern zum Schwerern fortgeführt, oder doch, bey der zusammenhängenden Stellung der Lehren, durch das Vorhergehende zu dem Nachfolgenden zubereitet . Er gewöhnt sich, durch einen solchen erläuternden und mit Beweisen unterstützten Commentar über die biblischen Lehren, gleich anfangs zu deutlichen und bestimmten Begriffen, die ihn gegen seichte Erkenntniß, Ausschweifungen der Phantasie, halbwahre Zweifel, und mehrere dergleichen Uebel, sichern. 9) Der stete Zusammenhang, verbunden mit solchen deutlichen Begriffen, gewährt einem Selbstdenkenden und nach gründlicher Kenntniß Durstenden ein großes Vergnügen, macht ihm das Studium der Religion selbst interessanter, und befördert dadurch zugleich seinen Fleiß. Auch drückt sich 10) das, was man so im Zusammenhang gebracht hat, viel tiefer ein, und setzt uns in den Stand, das leichter zu behalten, und sich dessen eher wieder zu erinnern, als was man nur einzeln und stückweise gelernt hat.

142.

Freylich führt dieser systematische Vortrag des Christenthums auch manches Unbequeme mit sich, und veranlaßt oft genug Uebel, die der rechten Erkenntniß desselben nachtheilig werden. – Die Bequemlichkeit, die er verschafft, und das Vertrauen auf Andrer Vorarbeit, verleitet sehr leicht zur Trägheit, hemmt den Trieb zu eigner Untersuchung, und zieht blinde Anhänglichkeit an |b198| dem System nach sich. – Nur zu oft wird darüber das Schöpfen aus der Quelle, das Studium der heiligen Schrift, vernachläßigt; man begnügt sich mit Beweisen aus der Natur der Sache und aus dem Zusammenhang der Lehren, und, anstatt das System nach der heiligen Schrift zu bilden, trägt man aus jenem den Sinn in diese hinein; wenigstens hindert die stete Rücksicht auf das System, wogegen man nicht verstoßen will, das recht unbefangne Forschen in der Bibel. – Und da man in dem System, nebst den christlichen Lehren, auch menschliche Vorstellungen davon vorträgt: so wird man gar leicht verführt, einerley Gewißheit und Wichtigkeit diesen wie jenen beyzulegen, und dies verursacht wieder den Schaden, daß die oft gerechten Zweifel gegen solche menschliche Begriffe, zur Bestreitung der christlichen Lehren selbst gebraucht werden. – Endlich scheint dabey die Fruchtbarkeit und das eigentlich Praktische der Religion, nebst der Anwendung des Christenthums auf unsre Besserung und Beruhigung, zu leiden. Denn je mehr Fleiß auf die Speculation verwendet wird, je mehr wird gemeiniglich die Anwendung, und, über dem Streben nach Deutlichkeit und Gewißheit, die Beförderung des Eindrucks, den die Lehren machen sollten, vergessen. Und, weil die Untersuchungen in dem System durch Streitigkeiten über einzelne Lehren und durch die Umstände der Zeit, wo sie für nothwendig befunden wurden, veranlaßt worden sind: so sind viele, zum Theil wichtigere, Untersuchungen ganz versäumt, viel Un|b199|nützes, wenigstens für uns Entbehrliches, in das System getragen, auf Vieles ein Gewicht gelegt worden, was ihm nur die Zeitumstände und Leidenschaften der Menschen gaben, und das Christenthum ist durch die Ideen gewisser Schulen, Völker und Zeiten so verstellt, der Vortrag so dürre, und durch den Gebrauch der Schulausdrücke so unverständlich worden, daß man oft Mühe hat, die einfältige Lehre Christi darin wieder zu finden.Freylich führt dieser systematische Vortrag des Christenthums auch manches Unbequeme mit sich, und veranlaßt oft genug Uebel, die der rechten Erkenntniß desselben nachtheilig werden. – Die Bequemlichkeit, die er verschafft, und das Vertrauen auf Andrer Vorarbeit, verleitet sehr leicht zur Trägheit, hemmt den Trieb zu eigner Untersuchung, und zieht blinde Anhänglichkeit an |b198| dem System nach sich. – Nur zu oft wird darüber das Schöpfen aus der Quelle, das Studium der heiligen Schrift, vernachläßigt; man begnügt sich mit Beweisen aus der Natur der Sache und aus dem Zusammenhang der Lehren, und, anstatt das System nach der heiligen Schrift zu bilden, trägt man aus jenem den Sinn in diese hinein; wenigstens hindert die stete Rücksicht auf das System, wogegen man nicht verstoßen will, das recht unbefangne Forschen in der Bibel. – Und da man in dem System, nebst den christlichen Lehren, auch menschliche Vorstellungen davon vorträgt: so wird man gar leicht verführt, einerley Gewißheit und Wichtigkeit diesen wie jenen beyzulegen, und dies verursacht wieder den Schaden, daß die oft gerechten Zweifel gegen solche menschliche Begriffe, zur Bestreitung der christlichen Lehren selbst gebraucht werden. – Endlich scheint dabey die Fruchtbarkeit und das eigentlich Praktische der Religion, nebst der Anwendung des Christenthums auf unsre Besserung und Beruhigung, zu leiden. Denn je mehr Fleiß auf die Speculation verwendet wird, je mehr wird gemeiniglich die Anwendung, und, über dem Streben nach Deutlichkeit und Gewißheit, die Beförderung des Eindrucks, den die Lehren machen sollten, vergessen. Und, weil die Untersuchungen in dem System durch Streitigkeiten über einzelne Lehren und durch die Umstände der Zeit, wo sie für nothwendig befunden wurden, veranlaßt worden sind: so sind viele, zum Theil wichtigere, Untersuchungen ganz versäumt, viel Un|b199|nützes, wenigstens für uns Entbehrliches, in das System getragen, auf Vieles ein Gewicht gelegt worden, was ihm nur die Zeitumstände und Leidenschaften der Menschen gaben, und das Christenthum ist durch die Ideen gewisser Schulen, Völker und Zeiten so verstellt, der Vortrag so dürre, und durch den Gebrauch der Schulausdrücke so unverständlich worden, daß man oft Mühe hat, die einfältige Lehre Christi darin wieder zu finden.

143.

Alles dieses ist wahr; ob es gleich von den Feinden der systematischen Lehrart und eines besondern Systems selbst, sehr übertrieben, und zu gar zu einseitiger Beurtheilung derselben angewendet wird. – Billig fordern solche Gegner, daß sie gehört, daß die Fehler gebessert werden, die dieser Lehrart und einem besondern System ankleben. Aber eben so gerecht ist die Forderung, die großen Vortheile dieser Lehrart nicht zu verleugnen, die vorhin dargestellt wurden, und das nicht zu verkennen, was selbst die systematische Behandlung der christlichen Lehren zur Beförderung desjenigen beytragen kan, wovon man sich einbildet, daß es durch diese Behandlung verhindert werde †) . Ja diese Forderung ist bey einzelnen Systemen um so gerechter, je mehr man wahrnimmt, daß die Meisten, welche sie so schnell verurtheilen, sich nicht einmal die Mühe gegeben haben, den wahren Sinn gewisser Vorstellungen und die Einschränkungen zu studieren, mit |b200| welchen man sie in dem System behauptet ††) ; als wozu eine viel ausgebreitetere Belesenheit, eine weit größere Biegsamkeit der Seele, um sich in Andrer Vorstellungen hineinzudenken, mehr bedachtsame Prüfung und weit mehr historische, philologische und philosophische Kenntnisse gehören, als diese zu raschen Richter verrathen. †††) Alles dieses ist wahr; ob es gleich von den Feinden der systematischen Lehrart und eines besondern Systems selbst, sehr übertrieben, und zu gar zu einseitiger Beurtheilung derselben angewendet wird. – Billig fordern solche Gegner, daß sie gehört, daß die Fehler gebessert werden, die dieser Lehrart und einem besondern System ankleben. Aber eben so gerecht ist die Forderung, die großen Vortheile dieser Lehrart nicht zu verleugnen, die vorhin dargestellt wurden, und das nicht zu verkennen, was selbst die systematische Behandlung der christlichen Lehren zur Beförderung desjenigen beytragen kan, wovon man sich einbildet, daß es durch diese Behandlung verhindert werde †) . Ja diese Forderung ist bey einzelnen Systemen um so gerechter, je mehr man wahrnimmt, daß die Meisten, welche sie so schnell verurtheilen, sich nicht einmal die Mühe gegeben haben, den wahren Sinn gewisser Vorstellungen und die Einschränkungen zu studieren, mit |b200| welchen man sie in dem System behauptet ††) ; als wozu eine viel ausgebreitetere Belesenheit, eine weit größere Biegsamkeit der Seele, um sich in Andrer Vorstellungen hineinzudenken, mehr bedachtsame Prüfung und weit mehr historische, philologische und philosophische Kenntnisse gehören, als diese zu raschen Richter verrathen. †††)
†) So vermindert z. B. die systematische Behandlung des Christenthums nicht nothwendig den Fleiß, den man auf das Studium der Bibel wendet. Vielmehr, wenn man aus dem System sieht, wie getheilt die Christen über gewisse Stellen und Lehren der Bibel gewesen sind: so wird man nicht nur auf manchen Sinn geführt, der uns vorher gar nicht einfiel; man wird auch ermuntert, recht genau die Bibel zu studieren, um unter so verschiednen Vorstellungen zu entscheiden, und eine recht feste, auf allen Seiten wohl verwahrte, Ueberzeugung von dem richtigen Sinn und dessen Gründen zu erhalten. Und wenn man bey dem System findet, wie sehr Ein Satz dem Andern einschränke, und auf wie grobe Irrthümer oder unauflösliche Zweifel man gerathen würde, wenn man die biblischen Sätze so gerade nähme, wie sie sich uns zuerst darstellen: so wird man ja viel vorsichtiger, nicht geradezu einen gutscheinenden Sinn zu billigen, und keine Ideen an gewisse Sätze der Bibel zu hängen, die hernach diese Sätze mit andern in Widerspruch bringen. Was kan uns von dem so verführerischen Vorurtheil: man müsse sich einfältig an den Buchstaben der heil. Schrift halten, |b201| und einfältig glauben, was kan uns davon abbringen, als eben die Bemerkung, die das System so augenscheinlich macht, zu was für Irrthümern und Widersprüchen uns die Befolgung dieses Grundsatzes verleite?
††) Zum Beyspiel kan hier die Lehre der evangelischen Kirchen von der Versöhnung der Menschen mit Gott durch Jesum Christum, und von der Rechtfertigung allein durch den Glauben, dienen, gegen welche viele noch immer den Vorwurf erneuern, daß sie die Sicherheit der Menschen befördre, und der Nothwendigkeit der Heiligung Eintrag thue; desgleichen die Fragen: von Nothwendigkeit der guten Werke (der Tugend) zur Seligkeit, und des Glaubens an Jesum Christum zu jeder guten That, von der Seligkeit derer, die das Christenthum nie gekannt haben, und der Satz, daß ihre Tugenden splendida vitia wären (Fehler oder Mängel, die besser zu seyn scheinen, als sie sind). – In diesem Fehler liegt der Grund zu aller Verketzerung, der sich übereilte und halbgelehrte Reformatoren eben so leicht schuldig machen, als im Gegentheil Andere, die steif an den gewohnten Vorstellungen von gewissen Lehren hängen.
†††) Denn, was man System überhaupt nennt – und die obigen Einwürfe sind ja gegen alles gerichtet, was so heißt – ist nicht einerley mit dem besondern System einer gewissen Kirche oder eines besondern Lehrers. Wer also einzelne Lehren, wie sie philosophisch und im Zusammenhange mit andern vorgestellt worden sind, beurtheilen will, muß nicht |b202| bloß Eine oder Eine und die Andre Vorstellung, sondern eigentlich alle Versuche kennen, die man zur Aufklärung einer Lehre gemacht hat; und dazu gehört keine geringe Belesenheit, Scharfsinn, Fähigkeit, sich in Andrer Gedanken zu versetzen u. d. gl. Welch eine ganz andere schrift- und vernunftmäßige Gestalt haben gewisse Lehren unter den Händen gelehrter und scharfsinniger Lehrer bekommen, zumal je nachdem durch Streitigkeiten nähere Veranlaßung, darüber weitere Unteruchungen anzustellen, entstanden war! Wie groß erscheint z. B. Leibnitz auch in den Erklärungen, die er über gewisse hergebrachte und angefochtene Vorstellungen in der Theologie, gelegentlich in seinen Schriften eingestreuet hat!

144.

Freylich sind alle menschliche Werke unvollkommen, und die besten Unternehmungen dem Mißbrauch ausgesetzt: soll man aber deswegen lieber nichts versuchen, weil es doch immer nur Stückwerk seyn wird? Oder haben die Gegner der systematischen Theologie nicht auch schon einmal ihre Partey genommen, ohne die Sachen aufs Neue nach der heiligen Schrift zu untersuchen? Haben sie nicht auch Ihr System, das sie oft in die heilige Schrift hineintragen? Und, wenn die Natur eines Systems zu gewissen besondern Fehlern leicht verführt, giebts nicht wieder andre gleich schädliche Fehler, in die man um so eher verfällt, je weniger man gewisse Sätze im System versteht? verworrne Begriffe z. B. |b203| und daher entstehende Zweydeutigkeit, falsche damit einschleichende Nebenvorstellungen, Widersprüche, welchen man die Lehren aussetzt u. d. gl. – Und jenen Fehlern des Systems, nebst dessen zufälligem Mißbrauch läßt sich doch abhelfen, wenn man folgende Regeln nicht aus den Augen läßt:Freylich sind alle menschliche Werke unvollkommen, und die besten Unternehmungen dem Mißbrauch ausgesetzt: soll man aber deswegen lieber nichts versuchen, weil es doch immer nur Stückwerk seyn wird? Oder haben die Gegner der systematischen Theologie nicht auch schon einmal ihre Partey genommen, ohne die Sachen aufs Neue nach der heiligen Schrift zu untersuchen? Haben sie nicht auch Ihr System, das sie oft in die heilige Schrift hineintragen? Und, wenn die Natur eines Systems zu gewissen besondern Fehlern leicht verführt, giebts nicht wieder andre gleich schädliche Fehler, in die man um so eher verfällt, je weniger man gewisse Sätze im System versteht? verworrne Begriffe z. B. |b203| und daher entstehende Zweydeutigkeit, falsche damit einschleichende Nebenvorstellungen, Widersprüche, welchen man die Lehren aussetzt u. d. gl. – Und jenen Fehlern des Systems, nebst dessen zufälligem Mißbrauch läßt sich doch abhelfen, wenn man folgende Regeln nicht aus den Augen läßt:
Die zugleich dienen können, theils den Werth besondrer Systeme, und der Verfahrungsart bey Aufklärung einzelner Lehren zu bestimmen; theils Vorsichtigkeit zu befördern, wenn man sich selbst sein System macht, eine Pflicht, die jeder auf sich hat, wer eine gewissenhafte Erkenntniß der Religion, und wer überall eigne Ueberzeugung sucht; theils gerechter und billiger von denen zu urtheilen, die über gewisse Lehren oder deren Erweislichkeit anders denken wie wir.

145.

Zuerst müßte man überall bey einem christlichen System die heilige Schrift zum Grunde legen. Es kommt aber dabey so viel auf die Art an, wie dieses geschieht, und es werden dabey so manche unerkannte Fehler begangen, so manche Sätze und Beweise für biblisch ausgegeben, die nichts weniger als biblisch sind, daß es sehr der Mühe werth ist, diesen rechten Gebrauch der heiligen Schrift, zu dieser Absicht etwas bestimmter anzugeben. Hier müßte 1) zuvörderst ausgemacht seyn, ob das zur heiligen Schrift, wie sie hier gebraucht werden soll, gehöre, was man dahin rechnet. Denn es versteht sich a) von selbst, wenn eine Leseart unsrer gedruckten Bi|b204|beln falsch oder unsicher, und eine Stelle unächt ist, daß man darauf auch im System nichts bauen dürfe †) (§. 24 ). b) Eben so viel aber, und noch weit mehr, kommt darauf an, daß man überzeugt sey, was in der heiligen Schrift als Quelle der Belehrung für Christen angesehen werden müsse. Denn wenn man erwegt: – daß Gott seine in der heiligen Schrift enthaltnen nähern Offenbarungen nach und nach und immer stufenweise deutlicher bekannt gemacht habe; – daß Jesus und seine Apostel selbst theils von den Offenbarungen im alten Testament als von einem noch unvollkommnen Untericht sprechen, theils ganz andre Gesinungen von Christen fordern, als sich zu den Zeiten des alten Testaments fanden (Luc. 9, 54–56. Joh. 1, 17. Gal. 3, 23–25. K. 4, 9 f. Ebr. 8, 6. 12, 18–24); – daß das alte Testament doch eigentlich für Israeliten, als ein besondres Volk Gottes, bestimmt war, und augenscheinlich nach israelitischen Nationalumständen und Bedürfnissen eingerichtet ist ††) ; – daß hingegen die eigentliche Belehrung für Christi Schüler in dem Unterricht ihres Stifters und Herrn und seiner unmittelbaren Schüler gesucht werden müsse, und diese Reden in den Schriften des neuen Testamentes vorkommen: so kan der große Unterschied zwischen den Büchern neuen und alten Testamentes, als einer Quelle und als eines für Christen unmittelbar verbindlichen Unterrichts, nicht geleugnet werden.Zuerst müßte man überall bey einem christlichen System die heilige Schrift zum Grunde legen. Es kommt aber dabey so viel auf die Art an, wie dieses geschieht, und es werden dabey so manche unerkannte Fehler begangen, so manche Sätze und Beweise für biblisch ausgegeben, die nichts weniger als biblisch sind, daß es sehr der Mühe werth ist, diesen rechten Gebrauch der heiligen Schrift, zu dieser Absicht etwas bestimmter anzugeben. Hier müßte 1) zuvörderst ausgemacht seyn, ob das zur heiligen Schrift, wie sie hier gebraucht werden soll, gehöre, was man dahin rechnet. Denn es versteht sich a) von selbst, wenn eine Leseart unsrer gedruckten Bi|b204|beln falsch oder unsicher, und eine Stelle unächt ist, daß man darauf auch im System nichts bauen dürfe †) (§. 24 ). b) Eben so viel aber, und noch weit mehr, kommt darauf an, daß man überzeugt sey, was in der heiligen Schrift als Quelle der Belehrung für Christen angesehen werden müsse. Denn wenn man erwegt: – daß Gott seine in der heiligen Schrift enthaltnen nähern Offenbarungen nach und nach und immer stufenweise deutlicher bekannt gemacht habe; – daß Jesus und seine Apostel selbst theils von den Offenbarungen im alten Testament als von einem noch unvollkommnen Untericht sprechen, theils ganz andre Gesinungen von Christen fordern, als sich zu den Zeiten des alten Testaments fanden (Luc. 9, 54–56. Joh. 1, 17. Gal. 3, 23–25. K. 4, 9 f. Ebr. 8, 6. 12, 18–24); – daß das alte Testament doch eigentlich für Israeliten, als ein besondres Volk Gottes, bestimmt war, und augenscheinlich nach israelitischen Nationalumständen und Bedürfnissen eingerichtet ist ††) ; – daß hingegen die eigentliche Belehrung für Christi Schüler in dem Unterricht ihres Stifters und Herrn und seiner unmittelbaren Schüler gesucht werden müsse, und diese Reden in den Schriften des neuen Testamentes vorkommen: so kan der große Unterschied zwischen den Büchern neuen und alten Testamentes, als einer Quelle und als eines für Christen unmittelbar verbindlichen Unterrichts, nicht geleugnet werden.
|b205| †) Z. B. Röm. 8, 11. διὰ τοῦ ἐνοικοῦντος πνεύματος ἐν ὑμῖν statt der bessern διὰ τὸ ἐνοικοῦν πνεῦμα ἐ. ὑ. Matth. 5, 22 εἰκῆ. Joh. 5, 4 u. a.
††) S. Die Schriften des A. T. nach ihrem Inhalt und Zweck bearbeitet - - von W. F. Hufnagel, Erstes Bändchen, Erlangen 1784. 8.

146.

Nur aus den Zeugnissen der ältern jüdischen und christlichen Kirche wissen wir allein, welche Bücher von solchen Männern herrühren, die, als göttliche Gesandten, die Lehren der göttlichen Offenbarung im alten und neuen Testament zuerst bekannt gemacht haben; und in dieser zwiefachen Kirche hat es unleugbar verschiedne Meinungen über das göttliche Ansehen einzelner Bücher gegeben, aus welchen man die erste Kenntniß jener Lehre schöpfen könne, ohne daß man jemanden, der darüber anders als Andre dachte, des Namens eines Juden oder Christen unwürdig gehalten hätte, – zumahl da nie ein göttliches Zeugniß diese Frage entschieden hat. So gewiß es auch ist, daß einige Bücher der heiligen Schrift (als die Bücher Mosis, die Evangelien, und manche Briefe des neuen Testaments) in der Absicht geschrieben worden sind, die Lehren der den Juden und Christen mitgetheilten göttlichen Offenbarung zuerst schriftlich bekannt zu machen, und für die Nachwelt zu erhalten: so wenig läßt sichs doch von andern, zumahl historischen, beweisen, die aber deswegen immer glaubwürdig sind, auch in |b206| einzelnen Stellen solche Lehren enthalten, und, wenn sie auch nicht eigentlich in jener Absicht geschrieben sind, doch von Gott als ein Mittel gebraucht werden konnten, die Aufschlüsse, die er den Menschen über die Religion geben wollte, auszubreiten und fortzupflanzen. Da aber viele dieser Bücher oder die darin erzählten Reden der göttlichen Gesandten, an gewisse besondre Arten von Lesern oder Zuhörern gerichtet, und nach deren besondern Fähigkeiten, Kenntnissen und Bedürfnissen vorgetragen, folglich, nur den Inhalt nach, auch für andre Arten von Lesern, hingegen, der Einkleidung nach, oft nur für die damaligen Leser oder Zuhörer bestimmt sind: so läßt sich hieraus, so wie aus dem Uebrigen vorher Gesagten, schließen, daß weder alle Bücher der heiligen Schrift, noch alle Stellen derselben, noch vielweniger alle Worte, geradezu als ein Grund angesehen werden können, worauf sich die ungezweifelte Erkenntniß des Christenthums bauen läßt. Nur aus den Zeugnissen der ältern jüdischen und christlichen Kirche wissen wir allein, welche Bücher von solchen Männern herrühren, die, als göttliche Gesandten, die Lehren der göttlichen Offenbarung im alten und neuen Testament zuerst bekannt gemacht haben; und in dieser zwiefachen Kirche hat es unleugbar verschiedne Meinungen über das göttliche Ansehen einzelner Bücher gegeben, aus welchen man die erste Kenntniß jener Lehre schöpfen könne, ohne daß man jemanden, der darüber anders als Andre dachte, des Namens eines Juden oder Christen unwürdig gehalten hätte, – zumahl da nie ein göttliches Zeugniß diese Frage entschieden hat. So gewiß es auch ist, daß einige Bücher der heiligen Schrift (als die Bücher Mosis, die Evangelien, und manche Briefe des neuen Testaments) in der Absicht geschrieben worden sind, die Lehren der den Juden und Christen mitgetheilten göttlichen Offenbarung zuerst schriftlich bekannt zu machen, und für die Nachwelt zu erhalten: so wenig läßt sichs doch von andern, zumahl historischen, beweisen, die aber deswegen immer glaubwürdig sind, auch in |b206| einzelnen Stellen solche Lehren enthalten, und, wenn sie auch nicht eigentlich in jener Absicht geschrieben sind, doch von Gott als ein Mittel gebraucht werden konnten, die Aufschlüsse, die er den Menschen über die Religion geben wollte, auszubreiten und fortzupflanzen. Da aber viele dieser Bücher oder die darin erzählten Reden der göttlichen Gesandten, an gewisse besondre Arten von Lesern oder Zuhörern gerichtet, und nach deren besondern Fähigkeiten, Kenntnissen und Bedürfnissen vorgetragen, folglich, nur den Inhalt nach, auch für andre Arten von Lesern, hingegen, der Einkleidung nach, oft nur für die damaligen Leser oder Zuhörer bestimmt sind: so läßt sich hieraus, so wie aus dem Uebrigen vorher Gesagten, schließen, daß weder alle Bücher der heiligen Schrift, noch alle Stellen derselben, noch vielweniger alle Worte, geradezu als ein Grund angesehen werden können, worauf sich die ungezweifelte Erkenntniß des Christenthums bauen läßt.
Was hier nur ganz im Allgemeinen gesagt ist, soll die Vorsichtigkeit in der Wahl des Beweises der göttlichen Lehren empfehlen, und die Zweydeutigkeit des Begriffs von dem, was biblisch ist, begreiflich machen; welcher Begriff eben sowohl nur von dem gebraucht wird, was in der Bibel steht, als von dem, was uns Gott darin über seinen Willen geoffenbart hat. Die Gränzen näher zu bestimmen, wo sich beydes scheidet, verdiente gar sehr eine recht genaue und vorsichtige Bestimmung, wozu hier der Ort nicht ist.

|b207| 147.

Wenn ausgemacht ist, daß etwas in dem §. 145 angegebnen Sinn zur heiligen Schrift gehöre: so tritt die 2te Hauptfrage (§. 145 ) ein: wie nun die Kenntniß der Lehren aus der heiligen Schrift zu schöpfen sey? Dies gründet sich auf die richtige Erklärung der heiligen Schrift, und diese lediglich auf ihren erweislichen Sprachgebrauch. Man kan daher das frühzeitige Studium der Bibel und ihres Sprachgebrauchs nicht genug empfehlen, um so mehr, als sonst auch das unbefangenste Gemüth durch einen bereits empfangenen systematischen Unterricht gar zu leicht verstimmt und verleitet werden kan, gewisse Lehren in der Bibel zu suchen, anstatt sie, ohne Rücksicht auf ein vorgefaßtes System, so aus der Bibel anzunehmen, wie man sie darin findet. Was über das Auffinden des wahren biblischen Sprachgebrauchs zu sagen wäre, ist überhaupt schon oben bey der exegetischen Theologie angegeben. Hier nur einige Anmerkungen über die Auffindung des christlichen Lehrbegriffs in der Bibel, und einige dabey gar zu oft übersehene Fehler.Wenn ausgemacht ist, daß etwas in dem §. 145 angegebnen Sinn zur heiligen Schrift gehöre: so tritt die 2te Hauptfrage (§. 145 ) ein: wie nun die Kenntniß der Lehren aus der heiligen Schrift zu schöpfen sey? Dies gründet sich auf die richtige Erklärung der heiligen Schrift, und diese lediglich auf ihren erweislichen Sprachgebrauch. Man kan daher das frühzeitige Studium der Bibel und ihres Sprachgebrauchs nicht genug empfehlen, um so mehr, als sonst auch das unbefangenste Gemüth durch einen bereits empfangenen systematischen Unterricht gar zu leicht verstimmt und verleitet werden kan, gewisse Lehren in der Bibel zu suchen, anstatt sie, ohne Rücksicht auf ein vorgefaßtes System, so aus der Bibel anzunehmen, wie man sie darin findet. Was über das Auffinden des wahren biblischen Sprachgebrauchs zu sagen wäre, ist überhaupt schon oben bey der exegetischen Theologie angegeben. Hier nur einige Anmerkungen über die Auffindung des christlichen Lehrbegriffs in der Bibel, und einige dabey gar zu oft übersehene Fehler.
Hier ist noch viel zu leisten übrig, und die Sache ist für den christlichen Lehrbegriff von äusserster Wichtigkeit, wenn man nicht auf Gerathewohl handeln, oder der Bibel seine eigene Begriffe unterschieben, und wenn man das viele willkührliche Gerede über reinbiblische Theologie gehörig sichten will. Nie können die wichtigsten Streitigkeiten |b208| über biblische Lehren aus dem Grunde gehoben werden, nie werden harte Urtheile über Dissentirende aufhören, ehe man diese Begriffe nicht vorsichtig und nach festen Regeln aus der Bibel auffindet und klar macht, wie weit, und warum man nicht weiter in Bestimmung der biblischen Begriffe gehen dürfe. Noch enthält unsre Hermenevtik keine solche hinlängliche Regeln, aber man hat einige sehr gute Versuche über einzelne biblische Begriffe. Ich muß mich sehr irren, oder ältere christliche Theologen haben hierin gar nichts geleistet; unsre ältere sprachkundige protestantische Theologen etwas weniges mehr, aber nur wenig, z. B. über den Begriff der δικαιωσεως; viel mehr einige Theologen unsrer Zeit. Ernesti hat in seiner vortreflichen Institutione interpretis N. T. und seiner theologischen Bibliothek zuerst die Bahn geöfnet; weiter sind nur wenige, meistens einige seiner würdigen Schüler, gegangen, besonders W. A. Teller, (zum Theil auch einige, die gegen sein Wörterbuch geschrieben haben,) Morus (selbst in Absicht auf Regeln) und Tittmann, in einzelnen kleinen Schriften. Ich gebe hier einen schwachen Versuch, der jedem bessern und vollständigern gern Platz machen will.

148.

Da sich die heilige Schrift so oft über unsichtbare und geistige Sachen sinnlich ausdruckt, so wäre I) vor allen Dingen zu untersuchen, ob die Wörter und Redensarten, worauf man bauen will, eigentlich oder uneigentlich zu nehmen wären. |b209| Denn wäre das Letztre, so würde man, wenn man sie eigentlich nähme, Sätze der heiligen Schrift beylegen, die gar nicht darin behauptet wären, und wäre das Erstere, Sätze übersehen, die sie wirklich hätte lehren wollen. Sehr oft läßt sich dies gleich unterscheiden, wenn entweder die Natur der Sache die eigentliche Bedeutung nicht zuläßt †) , oder durch beystehende Anzeigen ††) oder Anspielungen †††) zu erkennen gegeben wird, ob es eigentlich oder uneigentlich gemeint sey. Giebt aber beyderley Bedeutung einen denkbaren Sinn: so muß der Vorzug des einen vor dem andern entschieden werden, nach der eignen Erklärung der heiligen Schrift in der Stelle selbst und in ihrem Zusammenhang *) , oder in offenbar ähnlichen Stellen **) , oder nach dem Zweck eines Ausspruchs ***) , oder nach dem Sinn des Wortes in ähnlichen Verbindungen, und dem bey den letztern üblichen eigenthümlichen Sprachgebrauch der heiligen Schriftsteller. ****) Da sich die heilige Schrift so oft über unsichtbare und geistige Sachen sinnlich ausdruckt, so wäre I) vor allen Dingen zu untersuchen, ob die Wörter und Redensarten, worauf man bauen will, eigentlich oder uneigentlich zu nehmen wären. |b209| Denn wäre das Letztre, so würde man, wenn man sie eigentlich nähme, Sätze der heiligen Schrift beylegen, die gar nicht darin behauptet wären, und wäre das Erstere, Sätze übersehen, die sie wirklich hätte lehren wollen. Sehr oft läßt sich dies gleich unterscheiden, wenn entweder die Natur der Sache die eigentliche Bedeutung nicht zuläßt †) , oder durch beystehende Anzeigen ††) oder Anspielungen †††) zu erkennen gegeben wird, ob es eigentlich oder uneigentlich gemeint sey. Giebt aber beyderley Bedeutung einen denkbaren Sinn: so muß der Vorzug des einen vor dem andern entschieden werden, nach der eignen Erklärung der heiligen Schrift in der Stelle selbst und in ihrem Zusammenhang *) , oder in offenbar ähnlichen Stellen **) , oder nach dem Zweck eines Ausspruchs ***) , oder nach dem Sinn des Wortes in ähnlichen Verbindungen, und dem bey den letztern üblichen eigenthümlichen Sprachgebrauch der heiligen Schriftsteller. ****)
†) Z. B. zur rechten Hand Gottes sitzen; theilhaftig werden der göttlichen Natur 2 Petr. 1, 4. desgl. Ephes. 5, 27 und 30.
††) Ephes. 2, 22. 4, 14. Kap. 3, 17, vergl. mit 2 Tim. 1, 15, und Koloss. 3, 16. Röm. 12, 1, und Ebr. 13, 15. Kol. 2, 11.
†††) So θάνατος eigentlich Röm. 5, 12 wegen Anspielung auf 1 Mos. 2, 17. 3, 19; hingegen Joh. 8, 44 ἀνθρωποκτόνος, und Ebr. 2, 14 τὸ κράτος ἔχων τοῦ θανάτου uneigentlich, wegen der Anspielung auf 1 Mos. 3.
|b210| *) So ist 1 Petr. 5, 8 uneigentlich zu nehmen, weil es Petrus v. 9. durch παθήματα erklärt; hingegen Joh. 5, 21 f. die Auferweckung der Todten eigentlich, wegen der Verbindung mit dem Gericht v. 22 und den v. 28 erwähnten Gräbern. Röm. 6, 8 ist so wenig als Kap. 8, 10 und 11, oder Eph. 2, 5 f. von Hoffnung unsrer künftigen Auferstehung gesagt, sondern von der geistlichen Auferstehung und dem Leben zur Ehre Gottes, weil es der ganze Zusammenhang giebt. So zeigt auch die ausdrückliche Erklärung Pauli 2 Kor. 4, 6 warum Christus v. 4 εἰκὼν τοῦ Θεοῦ heisse, und daß es da im uneigentlichen Sinn zu nehmen sey, vergl. v. 3 und 4.
**) Röm. 6, 6 zum Beyspiel, desgl. v. 12 und 13, und K. 7, 24 kan man unmöglich leugnen, daß da, nicht vom sterblichen Körper, sondern von den Tod bringenden (ins Verderben stürzenden) Lüsten die Rede sey, wenn man nicht nur den ganzen Zusammenhang vergleicht, sondern auch findet, daß Paulus Kol. 3, 5 τὰ μέλη durch πορνείαν u. s. w. erklärt, und damit Matth. 5, 29 und 30 zusammenhält.
***) So würde, wenn es nicht schon das so eben Gesagte lehrte, Matth. 5, 29 und 30 nicht anders als uneigentlich können genommen werden, weil, wenn man es eigentlich nehmen wollte, der Zweck, wozu dieses Mittel vorgeschlagen wird, dem Zweck dieser Regel Jesu nicht entspräche, verglichen mit Christi eignen Worten v. 28 am Ende.
****) Die Juden sprachen z. B. von allem Unglück und Sünden so, vermuthlich wegen 1 Mos. 3, |b211| als wenn der Teufel dieses alles in die Welt gebracht hätte, so wie sie alles Gute und alles Glück Gott beylegten. Diese Art zu reden behält die heil. Schrift, z. B. von Gott, 2 Kor. 8, 1 und 16. Kap. 14; vom Teufel Ebr. 2, 14. Joh. 13, 2. Apostelgesch. 5, 3. 2 Kor. 12, 7 etc. legt ihr aber ohne Zweifel einen uneigentlichen Sinn unter, wie z. B. bey dem Tode, als einer natürlichen Veränderung des Menschen, bey den Sünden der Menschen, die sonst nicht ihnen könnten zugerechnet werden, und aus 1 Petr. 5, 8 verglichen mit V. 9 offenbar ist. Wegen dieses beständig uneigentlichen Sprachgebrauchs in solchen Redensarten, würde man sie in andern Redensarten eben derselben Art eben so uneigentlich erklären müssen, wie man im Gegentheil die Versöhnung der Menschen mit Gott durch Christum immer von seinen Leiden und Tode, nicht von seiner Lehre, also eigentlich, erklären muß, weil die heil. Schrift so beständig diese Versöhnung dem Tode und Blute Christi, niemals seiner Lehre, zuschreibt. Nach eben dieser Bemerkung würde ich Apostelgesch. 5, 4 ἐψεύσω τῷ Θεῶ nicht eigentlich von Gott, sondern uneigentlich von den Aposteln, als Gottes Gesandten, erklären müssen, weil es in ähnlichen Redensarten so geschehen muß, z. E. Apostelgesch. 7, 51 ἀντιπίπτειν τῷ Πνεύματι welches durch διώκειν τοὺς προφήτας v. 52 erklärt wird.

149.

Und nun den Sinn solcher uneigentlichen Ausdrücke. Dieser ist oft schon mitgefunden, |b212| wenn man den Grund gefunden hat, warum ein Ausdruck uneigentlich zu nehmen sey, wenigstens in den Fällen, wo man dieses Letztre aus den eignen Erklärungen der heiligen Schriftsteller, aus dem Zusammenhang oder der Absicht eines Satzes, oder aus dem uns bekannten jüdischen Gebrauch, erkannt hat. Ueberhaupt aber darf man nur immer auf die eignen Erklärungen der heiligen Schriftsteller †) , und, wo die nicht gleich dabey, oder im Zusammenhang sich finden, auf ähnliche Stellen ††) Acht haben. Schwerlich wird sich irgend ein tropischer Ausdruck finden, der die christliche Lehre angeht, welchen man nicht auf diese Art aus der Bibel selbst könnte verstehen lernen. Indessen haben manche solche uneigentliche Ausdrücke verschiedne Bedeutungen, aus welchen man das herausziehen muß, was sie mit einander gemein haben. †††) Hat man einmal einen Tropen verstehen gelernt: so kan man danach ähnliche *) , und eben so die mit ihm in einer Stelle verbundenen, erklären.Und nun den Sinn solcher uneigentlichen Ausdrücke. Dieser ist oft schon mitgefunden, |b212| wenn man den Grund gefunden hat, warum ein Ausdruck uneigentlich zu nehmen sey, wenigstens in den Fällen, wo man dieses Letztre aus den eignen Erklärungen der heiligen Schriftsteller, aus dem Zusammenhang oder der Absicht eines Satzes, oder aus dem uns bekannten jüdischen Gebrauch, erkannt hat. Ueberhaupt aber darf man nur immer auf die eignen Erklärungen der heiligen Schriftsteller †) , und, wo die nicht gleich dabey, oder im Zusammenhang sich finden, auf ähnliche Stellen ††) Acht haben. Schwerlich wird sich irgend ein tropischer Ausdruck finden, der die christliche Lehre angeht, welchen man nicht auf diese Art aus der Bibel selbst könnte verstehen lernen. Indessen haben manche solche uneigentliche Ausdrücke verschiedne Bedeutungen, aus welchen man das herausziehen muß, was sie mit einander gemein haben. †††) Hat man einmal einen Tropen verstehen gelernt: so kan man danach ähnliche *) , und eben so die mit ihm in einer Stelle verbundenen, erklären.
†) So ist der innre Mensch Röm. 7, 22 gewiß anders nichts, als v. 23 ὁ νοῦς, der Verstand, so fern er Gottes Gesetze erkennt; Friede mit Gott haben Römer 5, 1 eben so viel, als keine Strafen von ihm fürchten dürfen v. 9; und aus eben diesem Zusammenhang, oder vielmehr aus Pauli Erklärungen, läßt sich der wahre Begriff von Versöhnung der Menschen mit Gott durch Christum abnehmen. Denn v. 10 heissen καταλλαγέντες eben die, welche v. 9. δικαιωθέντες heissen, oder solche, die nicht mehr als Strafwürdige von Gott behandelt werden, so wie sie vor Christi Tod |b213| v. 8. und 10 ἁμαρτωλοὶ (Strafwürdige) und ἐχθροὶ (Feinde) heissen. Aus diesem Letztern ist zu ersehen, warum Paulus das Wort Versöhnen brauche, nemlich weil man dieses von denen sagt, die vorher als Feinde angesehen wurden, und demnach liegt in diesem uneigentlichen Ausdruck der Versöhnung weiter kein andres Bild und Aehnlichkeit, als dies, daß Gott uns, wegen des Todes Christi, nicht als Strafwürdige oder Feinde behandeln wolle.
††) Der so eben angegebene Begriff von Versöhnung z. B. wird durch ähnliche Stellen augenscheinlich bestätiget. Denn 2 Kor. 5. heissen die Versöhnten v. 19, Gerechtigkeit Gottes, (Gerechte vor Gott,) v. 21, und Gott versöhnte die Welt durch Christum mit sich v. 19 erklärt Paulus gleich durch: er rechnete ihnen ihre Sünden nicht zu. Röm. 11, 15 wird καταλλαγὴ Κόσμου durch ζωὴν ἐκ νεκρῶν erklärt (d. i. vermöge dieses Gegensatzes, die Heiden waren Todeswürdige, und ihnen ist nun das Leben zugesprochen); hingegen heissen v. 28 die Juden, Feinde, (gerade wie Röm. 5, 10) im Gegensatz gegen Beliebte (denen Gott wohl will); also können Feinde nicht seyn die Gott hassen, und Versöhnung kann nicht Besserung bedeuten, sondern Feinde sind, an welchen Gott keinen Wohlgefallen haben kann. – So sind Ephes. 2, 1 und 5 Todte nicht: ganz Unfähige zu allem Guten, sondern Strafwürdige, nicht nur, weil sie v. 3 τέκνα ὀργῆς heissen, sondern auch, weil Kol. 2, 13 Lebendigmachen durch Sünde vergeben erklärt wird.
†††) Ein Beyspiel ist der Name Kinder Gottes (S. mein Programm de nomine filiorum Dei, in den Opusculis Fascicul. II. No. 13.). Dieser bedeutet |b214| bald den, der Gott gleich gesinnt ist Matth. 5, 45. 1 Joh. 2, 29, bald den, der das für wahr annimmt, was göttliche Wahrheit ist 1 Joh. 4, 6, bald den, der eben so selig ist wie er 1 Joh. 3, 1. Röm. 8, 17; also überhaupt, wer ihm ähnlich ist.
*) Nach der vorstehenden Anmerkung wäre also klar, was das sey: der göttlichen Natur theilhaftig werden 2 Petr. 1, 4, welches selbst die beygefügte Erklärung lehrt; von oben her geboren werden Joh. 3, 3; das Reich Gottes als ein Kind annehmen Marc. 10, 15. – Weiß man einmal, Joh. 14, 23 heisse Gott wohnt bey uns, so viel, als: er unterrichtet, belehrt uns, (wie aus v. 22 und 26, vergl. mit v. 16 und 17, desgleichen aus Kap. 15, 7. Kol. 3, 16 und Ephes. 3, 17–19 offenbar ist): so weiß man auch, daß μένειν ἐν Θεῷ oder Χριστῶ Joh. 15, 3. 7 und anderwärts, nichts anders heisse, als: sich an diese Belehrung halten, und danach ist die ganze Allegorie Joh. 15, 1 f. zu verstehen; s. das Programm über diese Stelle in den Opusc. Fasc. II. N. 2.

150.

Hiernächst (§. 148. ) müßten wir uns II) sowohl bey diesen uneigentlichen als überhaupt bey allen Begriffen und Sätzen der heiligen Schrift dies zur allgemeinen Regel machen, niemals einen Begriff unterzulegen, er sey an sich so wahr, oder unserm, gemeinen oder gelehrten, Sprachgebrauch so gemäß, als er wolle; wenn wir nicht beweisen können, dieser Begriff sey wirklich in der Bibel an ein gewisses Wort oder Redensart |b215| geknüpft, und zwar in der Stelle, wo derjenige Ausdruck vorkommt, worauf wir bauen. Denn es kan etwas wahr, und doch von jemand nicht gemeint; es kan eine Bedeutung in der Bibel üblich seyn, und doch ist sie in einer gewissen Stelle nicht gebraucht; es kan etwas nach unsrer Sprachart gewöhnlich seyn, und ists doch in der Sprache der Apostel nicht; es kan ein Begriff sogar allen Sprachen gemein seyn, und doch kan er von einem besondern Schriftsteller eine nähere Einschränkung oder Erweiterung bekommen haben. Wenn wir von der heiligen Schrift lernen sollen: so müssen wir auch nur sie hören, und nicht das unterschieben, was sich zu unsrer Art zu reden und zu unsern Urtheilen am meisten reimt. Wo diese Regel aufhört, da hört auch das Biblische auf, da fangen unsre Zusätze an. So ungereimt es ist, so gewöhnlich ists doch, dies Beydes zu verwechseln: dieses steht in der Bibel, und es steht in dem Sinn darin, wie wirs nehmen; man begnügt sich nur zu oft mit dem Erstern, und vergißt das Letztere, worauf es doch hier allein ankommt.Hiernächst (§. 148. ) müßten wir uns II) sowohl bey diesen uneigentlichen als überhaupt bey allen Begriffen und Sätzen der heiligen Schrift dies zur allgemeinen Regel machen, niemals einen Begriff unterzulegen, er sey an sich so wahr, oder unserm, gemeinen oder gelehrten, Sprachgebrauch so gemäß, als er wolle; wenn wir nicht beweisen können, dieser Begriff sey wirklich in der Bibel an ein gewisses Wort oder Redensart |b215| geknüpft, und zwar in der Stelle, wo derjenige Ausdruck vorkommt, worauf wir bauen. Denn es kan etwas wahr, und doch von jemand nicht gemeint; es kan eine Bedeutung in der Bibel üblich seyn, und doch ist sie in einer gewissen Stelle nicht gebraucht; es kan etwas nach unsrer Sprachart gewöhnlich seyn, und ists doch in der Sprache der Apostel nicht; es kan ein Begriff sogar allen Sprachen gemein seyn, und doch kan er von einem besondern Schriftsteller eine nähere Einschränkung oder Erweiterung bekommen haben. Wenn wir von der heiligen Schrift lernen sollen: so müssen wir auch nur sie hören, und nicht das unterschieben, was sich zu unsrer Art zu reden und zu unsern Urtheilen am meisten reimt. Wo diese Regel aufhört, da hört auch das Biblische auf, da fangen unsre Zusätze an. So ungereimt es ist, so gewöhnlich ists doch, dies Beydes zu verwechseln: dieses steht in der Bibel, und es steht in dem Sinn darin, wie wirs nehmen; man begnügt sich nur zu oft mit dem Erstern, und vergißt das Letztere, worauf es doch hier allein ankommt.
Zu den Vergehungen gegen diese Regel gehört:
  • 1. wenn man den biblischen Wörtern Bedeutungen giebt, die sie überall in der Bibel nicht haben; als, daß χάρις von übernatürlichen Wirkungen Gottes in den Menschen (von gratia inhaesiva) im Gegensatz gegen natürliche Kräfte des Menschen, gebraucht werde, da doch χάρις stets in der Bibel entweder von Gottes freyer Güte, Ephes. |b216| 2, 5 verglichen mit V. 4, oder von seinen Wohlthaten überhaupt gebraucht wird; desgl. daß διαθήκη einen eigentlichen Vertrag bedeute, worauf man die ganze Föderaltheologie, die Lehre von Zurechnung des Falls Adams, von Adam als einen Repräsentanten des menschlichen Geschlechts, u. d. gl. gebaut hat; daß 1 Kor. 2, 14 πνευματικοὶ und ψυχικοὶ, Wiedergeborne und Unwiedergeborne sind etc.
  • 2. Wenn man Bedeutungen in eine Stelle trägt, die sie in der Stelle nicht haben, woraus man etwas beweisen will; als in die Stelle Röm. 5, 12 f. den gewöhnlichsten Begriff der Zurechnung, worauf hernach die Lehre von einer mit und in Adam begangnen Sünde, von schon daher rührender Strafwürdigkeit der Menschen etc. gegründet wird; oder in das Wort αἰώνιος Matth. 25, 46 den Begriff von nicht immer, sondern nur lange dauernden Strafen, weil man dieses besser mit Gottes unendlicher Güte, oder vielmehr die gewöhnlichen falschen Begriffe von eigentlicher Ewigkeit der Strafen, nicht mit dieser Güte zu reimen weiß, so sehr auch für die erstre Bedeutung der Gegensatz in der Stelle selbst (ζωὴ ἀιώνιος) und die Stelle Marc. 9, 46 spricht.
  • 3. Wenn man einen Unterschied zwischen biblischen Ausdrücken erdichtet, den sie, wenigstens in den Stellen, wo man diesen Unterschied anbringt, nicht haben; als zwischen ἐκπορεύεσθαι und ἐξέρχεσθαι bey Joh. 15, 26 die doch Kap. 16, 28 gleichgültige Ausdrücke sind; desgleichen zwischen den Wörtern Matth. 22, 37. Gal. 5, 19 f. u. d. gl.
  • |b217| 4. Wenn man gewöhnliche und, der Sache selbst nach, richtige Abtheilungen in Stellen trägt, wo gar nicht zu beweisen ist, daß die heil. Schriftsteller diese Verschiedenheit im Sinn gehabt haben; als die Abtheilung in das rituelle und moralische Gesetz bey Röm. 3, 20 f., den Unterschied zwischen Gott- und Menschheit Christi etc. den Unterschied zwischen Wieder- und Unwiedergebornen Röm. 7, 14 f. etc.
  • 5. Wenn man an die Wörter Nebenbegriffe hängt, wovon keine Spur im Wort oder dem Texte liegt; als Joh. 6, 44 von unmittelbaren oder übernatürlichen Wirkungen, Röm. 5. von unserm Tode als Strafe u. d. gl.

151.

Doch hier ist nicht sowohl die Frage, wie man hinter den Sprachgebrauch der heiligen Schrift überhaupt komme, (davon ist schon oben geredet worden), sondern wie ich den bestimmten Sprachgebrauch, vornemlich in Rücksicht auf Lehrbegriffe, d. i. wie ich finde, welche Erweiterung oder Einschränkung die heiligen Schriftsteller ihren Ausdrücken gegeben haben, um weder zu wenig noch zu viel aus ihren Ausdrücken zu nehmen? Nun ist doch offenbar, daß sie dieselben nicht überall nach einerley Umfang nehmen (z. B. πίστις, μετάνοια, βασιλεία τοῦ Θεοῦ, τοῦ Χριστοῦ, τῶν οὐρανῶν), daß sie bisweilen nur Einen Theil, Eine Eigenschaft einer Sache, Einen Gesichtspunct erwähnen, woraus man sie ansehen kan, |b218| daß sie bisweilen genauer, bisweilen unbestimmter davon reden u. s. f. Daher müssen diese Ausdrücke erst in einzelnen Stellen untersucht, hernach diese einzelne Stellen verglichen, und mit einander verbunden werden, um den ganzen Umfang desjenigen zu erkennen, was sie von den Lehren durch ihre Ausdrücke anzeigen wollen. In beyden Fällen würde man sowohl auf die einzelnen Wörter und Redensarten, als auf die Sätze sehen müßen, worin sie einen Begriff mit einem andern verbinden.Doch hier ist nicht sowohl die Frage, wie man hinter den Sprachgebrauch der heiligen Schrift überhaupt komme, (davon ist schon oben geredet worden), sondern wie ich den bestimmten Sprachgebrauch, vornemlich in Rücksicht auf Lehrbegriffe, d. i. wie ich finde, welche Erweiterung oder Einschränkung die heiligen Schriftsteller ihren Ausdrücken gegeben haben, um weder zu wenig noch zu viel aus ihren Ausdrücken zu nehmen? Nun ist doch offenbar, daß sie dieselben nicht überall nach einerley Umfang nehmen (z. B. πίστις, μετάνοια, βασιλεία τοῦ Θεοῦ, τοῦ Χριστοῦ, τῶν οὐρανῶν), daß sie bisweilen nur Einen Theil, Eine Eigenschaft einer Sache, Einen Gesichtspunct erwähnen, woraus man sie ansehen kan, |b218| daß sie bisweilen genauer, bisweilen unbestimmter davon reden u. s. f. Daher müssen diese Ausdrücke erst in einzelnen Stellen untersucht, hernach diese einzelne Stellen verglichen, und mit einander verbunden werden, um den ganzen Umfang desjenigen zu erkennen, was sie von den Lehren durch ihre Ausdrücke anzeigen wollen. In beyden Fällen würde man sowohl auf die einzelnen Wörter und Redensarten, als auf die Sätze sehen müßen, worin sie einen Begriff mit einem andern verbinden.

152.

Worauf hätte man also III) (§. 150. ) zu sehen, um zu finden, in welchem Umfang die mit biblischen Ausdrücken verbundne Begriffe in einzelnen Stellen genommen werden? Hier müßen wir 1) untersuchen, welche Bestimmung oder Umfang haben die von den heiligen Schriftstellern gebrauchten Ausdrücke schon in der Sprache, der sie sich bedienten, besonders in der ebräischgriechischen †) ? 2) Bekommen sie in einzelnen Stellen von Christo oder den heiligen Schriftstellern eine nähere Bestimmung, oder nicht? und, wenn jenes ist, welche? Denn oft brauchen sie, wie es in dem populären Vortrag gewöhnlich ist, die Ausdrücke nicht nach der strengen Bedeutung ††) ; sie legen ihnen gereinigtere Begriffe unter †††) ; sie verengen oder erweitern die mit den Ausdrücken verbundene Begriffe *) ; sie geben nicht nur die Sachen an, sie erklären sie auch näher **) . Wie dieses alles in eine Stelle sey, das müßen die |b219| schon oft genannten Hülfsmittel, die ausdrückliche Erklärung, der Zusammenhang, der Zweck der Rede und die eigentlichen Parallelstellen lehren.Worauf hätte man also III) (§. 150. ) zu sehen, um zu finden, in welchem Umfang die mit biblischen Ausdrücken verbundne Begriffe in einzelnen Stellen genommen werden? Hier müßen wir 1) untersuchen, welche Bestimmung oder Umfang haben die von den heiligen Schriftstellern gebrauchten Ausdrücke schon in der Sprache, der sie sich bedienten, besonders in der ebräischgriechischen †) ? 2) Bekommen sie in einzelnen Stellen von Christo oder den heiligen Schriftstellern eine nähere Bestimmung, oder nicht? und, wenn jenes ist, welche? Denn oft brauchen sie, wie es in dem populären Vortrag gewöhnlich ist, die Ausdrücke nicht nach der strengen Bedeutung ††) ; sie legen ihnen gereinigtere Begriffe unter †††) ; sie verengen oder erweitern die mit den Ausdrücken verbundene Begriffe *) ; sie geben nicht nur die Sachen an, sie erklären sie auch näher **) . Wie dieses alles in eine Stelle sey, das müßen die |b219| schon oft genannten Hülfsmittel, die ausdrückliche Erklärung, der Zusammenhang, der Zweck der Rede und die eigentlichen Parallelstellen lehren.
†) So brauchen die griechischen Uebersetzer, Symmachus z. B. Hiob 36, 10 und Jes. 30, 15 μετανοεῖν und μετάνοια statt des hebräischen שׁוב אל יהוה oder שׁובה, und dieses Letztre, welches sie ἐπιστρέφειν πρὸς τὸν Θεὸν übersetzen, wird 5 Mos. 30, 10 offenbar erklärt durch: der Stimme des Herrn gehorchen, und seine Gebote befolgen; daher heißt μετάνοια nach dem hebräischen Sprachgebrauch gewiß die gänzliche Besserung des Menschen; und Buße (μετανοια) und Bekehrung (ἐπιστροφὴ) ist gewiß einerley. Φόβος κ. τρόμος Phil. 2, 12. ist nicht Furcht und Zittern, sondern Achtung, Scheu, Bescheidenheit, wie 1 Petr. 3, 15 2 Petr. 2, 10 1 Kor. 2, 2 verglichen 2 Kor. 10, 10, fordert also keine Aengstlichkeit bey der Besserung, die ohnehin, nach Röm. 8, 15, dem Geiste des Christenthums zuwider ist.
††) Wie in den Redensarten, die Gott scheinen zum Urheber des Bösen zu machen, (§. 138. Anm. ††); in πεπραμένος ὑπὸ τὴν ἁμαρτίαν Röm. 7, 14 verglichen mit Kap. 8, 12; in ἀδύνατον, was sehr schwer, nicht, was unmöglich ist, Ebr. 6, 4. verglichen mit κατάρας ἐγγὺς V. 8 und Matth. 19, 26. verglichen mit V. 23.
†††) Z. B. der βασιλείᾳ τοῦ Χριστοῦ Joh. 18, 36 und Marc. 1, 15, wenn sie es auch nicht immer ausdrücklich sagen, wie Christus Apostelgesch. 1, |b220| 7 f. in seiner Antwort; den jüdischen Redensarten vom Satan oder Teufel, womit sie offenbar in vielen Stellen alle Hindernisse des Guten bezeichnen, es mögen Irrthümer oder Laster, oder Unglück, oder feindselige Menschen seyn, wie Joh. 14, 30 verglichen mit 16, 33 Luc. 10, 18. 19 Röm. 16, 20 verglichen mit V. 17.
*) D. i. sie geben ihnen entweder einen Nachdruck oder Nebenbegriff, den die Ausdrücke an sich nicht haben, wie dem Auferwecken, nämlich zur Seligkeit Joh. 6, 39 verglichen mit V. 37, der γνῶσει τοῦ Θεου 1 Joh. 2, 3 verglichen mit Kap. 4, 6, dem μεριμνᾶν Matth. 6, 25; oder nehmen die mit den Worten gewöhnlich verbundnen Begriffe bald weiter, bald enger, z. B. πίστις, νόμος u. dgl.
**) So erklärt Jesus Luc. 15, 11 f. was zur μετανοίᾳ V. 10 gehöre, Joh. 3, 14 was er V. 15 und 16 für einen Glauben an sich verstehe, und Joh. 6, 44–46 daß er von keiner gewaltsamen Besserung rede, sondern von einer die durch Unterricht, und zwar durch mittelbaren Unterricht, geschieht.

153.

Eben darauf muß man 3) bey ganzen Sätzen Acht geben, und ihre Ausdehnung darnach bestimmen. Von wem reden sie allein in einer Stelle? †) wie weit legen sie ihnen etwas bey, oder fordern es von ihnen? ††) 4) Haben sie |b221| aber einen Sinn oder die Beschaffenheit und Ausdehnung eines Begriffs oder Satzes nicht näher angegeben: so muß es nach dem verstanden werden, was sie bey ihren Zuhörern oder Lesern, nach ihren Umständen, aus der ihnen bekannten Natur der Sache, oder dem sonst bekannten Sprachgebrauch, oder Gewohnheiten, oder anderweitigen Unterricht derselben, voraussetzen konnten *) . Indessen müßte man sich dabey bescheiden, daß, wenn dieses, was Jesus und seine Apostel bey denen, mit welchen sie sprachen, voraussetzen konnten, uns nicht ganz gewiß bekannt ist, daß alsdann, was wir dabey denken müssen, nur wahrscheinlich sey, und weder den Grad von Gewißheit noch Verbindlichkeit haben könne, als das, was sie selbst deutlich irgendwo erklärt haben.Eben darauf muß man 3) bey ganzen Sätzen Acht geben, und ihre Ausdehnung darnach bestimmen. Von wem reden sie allein in einer Stelle? †) wie weit legen sie ihnen etwas bey, oder fordern es von ihnen? ††) 4) Haben sie |b221| aber einen Sinn oder die Beschaffenheit und Ausdehnung eines Begriffs oder Satzes nicht näher angegeben: so muß es nach dem verstanden werden, was sie bey ihren Zuhörern oder Lesern, nach ihren Umständen, aus der ihnen bekannten Natur der Sache, oder dem sonst bekannten Sprachgebrauch, oder Gewohnheiten, oder anderweitigen Unterricht derselben, voraussetzen konnten *) . Indessen müßte man sich dabey bescheiden, daß, wenn dieses, was Jesus und seine Apostel bey denen, mit welchen sie sprachen, voraussetzen konnten, uns nicht ganz gewiß bekannt ist, daß alsdann, was wir dabey denken müssen, nur wahrscheinlich sey, und weder den Grad von Gewißheit noch Verbindlichkeit haben könne, als das, was sie selbst deutlich irgendwo erklärt haben.
†) So wird Matth. 18, 6 ganz falsch auf den Glauben der kleinen Kinder, Röm. 9 auf die Seligkeit der Menschen (s. die 1ste und 6ste Abhandlung in den Opusculis Tom. I.), Phil. 2, 12 auf die Sorge für unsre Seligkeit gezogen. So reden viele Stellen offenbar nur von den Aposteln, als Joh. 14–16 Joh. 20, 22. 23 und 2 Kor. 3, 5, die man fälschlich auch auf Andre gezogen hat, wenigstens nicht, ohne weitere Untersuchung, gleich hätte auf Andre ziehen sollen.
††) So erlaubt doch die Veranlaßung der Rede Christi Matth. 18, 3 nur an die Pflicht der Demuth zu denken; und daß Matth. 5, 3 f. von leiblicher Armuth und Traurigkeit zu verstehn sey, |b222| und die Prädicate nur von denen , die um des Christenthums willen in Dürftigkeit und traurige Umstände gerathen, zeigt die Stelle Luc. 6, 20–26 und Matth. 19, 23 und 29; so wie nach dem Matth. 19, 22 erwähnten Umstand, Christi Worte daselbst v. 21 keine allgemeine Pflicht enthalten.
*) Wie fern Paulus die heil. Schrift (A. Test.) 2 Tim. 3, 16 θεόπνευστον nenne, erklärt er weiter nicht; ists also bloß einerley mit ἱερὰ γράμματα v. 15? oder, wenn es mehr ist, geht es auf alle Bücher? (denn πᾶσα γραφὴ, nicht π. ἡ γραφὴ, heißt doch nur eine jede Schrift, die θεοπν. ist), und wenn auch dies, wie weit dehnt P. dabey die Eingebung aus? – Schließt Matth. 28, 19 auch Kindertaufe mit in sich? V. 20 entscheidet nichts dagegen, denn sie konnten hinterdrein unterrichtet werden über Christi Gebote, wie mehrere damalige Erwachsene, Apostelgesch. 2, 37. 38 verglichen v. 42. Schwerlich aber konnten die Apostel diese Worte anders als auf die Kindertaufe auch mit ziehn, weil sie hörten, durch die Taufe sollte jemand ein Schüler Christi werden, und wußten, daß die Beschneidung, wodurch jemand unter das Volk Gottes aufgenommen wurde, auch bey Kindern befohlen war.

154.

Weil es nun aber IV) zur Entdeckung des wahren christlichen Lehrbegriffs nöthig ist, mehrere oder eigentlich alle Stellen zu Rathe zu ziehn, |b223| die darüber einiges Licht geben können (§. 152 ): so müßte man 1) alle Stellen sammlen, wo entweder eben dieselben oder gleichbedeutende Ausdrücke gebraucht werden, wo von eben den Sachen, wenn gleich mit andern Umständen, geredet, oder das Verhalten Jesu und seiner Apostel erzählt wird, welches man als einen praktischen Commentar über ihre Lehren ansehen kan †) . 2) Fände sich überall derselbe bestimmte Begriff mit einem Ausdruck verknüpft: so müßte man auch den durchaus daran binden ††) . Wären aber 3) diese Begriffe in verschiednen Stellen verschieden angegeben: so müßte diese Verschiedenheit bemerkt, und der Gesichtspunct aufgenommen werden, unter welchen der Begriff bald die, bald eine andre Bestimmung bekommt †††) ; doch müßte man 4) das aufsuchen, was diese verschiedne Begriffe mit einander gemein haben, und dadurch einen allgemeinen Begriff bilden, unter den sie sich alle bringen ließen *) ; und 5) nach diesen gefundenen bestimmten Begriffen, das, was von ihnen gesagt wird, erklären und bestimmen **) ; 6) nirgends aber, weder die von Jesu und seinen Aposteln erst stufenweise gegebne Aufklärung und genauere Bestimmung, noch den Unterschied dererjenigen aus den Augen laßen, mit welchen und nach deren Bedürfnissen sie reden ***) [.]Weil es nun aber IV) zur Entdeckung des wahren christlichen Lehrbegriffs nöthig ist, mehrere oder eigentlich alle Stellen zu Rathe zu ziehn, |b223| die darüber einiges Licht geben können (§. 152 ): so müßte man 1) alle Stellen sammlen, wo entweder eben dieselben oder gleichbedeutende Ausdrücke gebraucht werden, wo von eben den Sachen, wenn gleich mit andern Umständen, geredet, oder das Verhalten Jesu und seiner Apostel erzählt wird, welches man als einen praktischen Commentar über ihre Lehren ansehen kan †) . 2) Fände sich überall derselbe bestimmte Begriff mit einem Ausdruck verknüpft: so müßte man auch den durchaus daran binden ††) . Wären aber 3) diese Begriffe in verschiednen Stellen verschieden angegeben: so müßte diese Verschiedenheit bemerkt, und der Gesichtspunct aufgenommen werden, unter welchen der Begriff bald die, bald eine andre Bestimmung bekommt †††) ; doch müßte man 4) das aufsuchen, was diese verschiedne Begriffe mit einander gemein haben, und dadurch einen allgemeinen Begriff bilden, unter den sie sich alle bringen ließen *) ; und 5) nach diesen gefundenen bestimmten Begriffen, das, was von ihnen gesagt wird, erklären und bestimmen **) ; 6) nirgends aber, weder die von Jesu und seinen Aposteln erst stufenweise gegebne Aufklärung und genauere Bestimmung, noch den Unterschied dererjenigen aus den Augen laßen, mit welchen und nach deren Bedürfnissen sie reden ***) [.]
†) Z. B. Christi und Pauli Beyspiele Joh. 18, 23 Apostelgesch. 16, 37 Phil. 3, 4 f. um zu zeigen, wie weit Erduldung des Unrechts gehen, und man auf Ehre halten dürfe; wodurch selbst der Miß|b224|verstand allgemeiner Lehrsätze, als Matth. 5, 39 f. gehoben wird. Doch dieser (gehörig eingeschränkte) Gebrauch der Beyspiele fällt von selbst in die Augen; weniger, der Nutzen für Bestimmung dogmatischer Sätze. Indessen läßt sich, was z. B. zur wahren Besserung der Menschen gehört, eben so, und fast noch besser, aus dem Verhalten Jesu und seiner Apostel in Bearbeitung derselben, abnehmen, als aus eigentlichen Lehrstellen. (s. allgemeine deutsche Bibliothek Band 12 St. 2. S. 142 f.[)]; und wer gegründete Begriffe von der Eingebung der heil. Schrift sucht, kann sie allein aus Wahrnehmung des Verfahrens der heil. Schriftsteller in ihren Schriften sicher erkennen, und sich z. B. dadurch überzeugen, wie ungegründet die Hypothesen sind, daß Gott ihnen alles dictirt habe, und sie sich dabey bloß leidentlich verhalten, daß sie stets die allerbeste Ordnung und Ausdrücke gewählt haben u. d. gl. Eben so bey der Lehre von der Deutlichkeit der heil. Schrift.
††) So redet die Bibel stets von der Versöhnung als durch Christi Tod, niemals als durch Christi Lehre, geschehen. So versteht sie unter den ἀπίστοις, denen sie die Seligkeit abspricht, niemals die, so keine Gelegenheit zur Erkenntniß der christlichen Lehre gehabt, noch sich von deren Wahrheit überzeugen gekonnt, sondern welche jene Gelegenheit und die Mittel zur Ueberzeugung nicht brauchen wollen, z. B. Marc. 16, 16 vergl. mit v. 11. Joh. 3, 18 vergl. v. 19. 20, 27 Apostelgesch. 19, 9 etc.
|b225| †††) So der sehr verschiedne Begriff von Christo als einem König und von seinem Reich. S. meine Abhandlung de Christo homine regnante im 2ten Bande der Opuscul. ad interpret. SS. Script[.] N. 14.
*) Ganz anders z. B. wird der Gegenstand des in der heil. Schrift empfohlnen Glaubens Ebr. 11, 1, anders Marc. 1, 15 und Kap. 16 vergl. mit Matth. 28, 20, anders Matth. 21, 21, anders Matth. 8, 5 f., anders Joh. 3, 16 vergl. mit V. 14, und Röm. 3, 25 angegeben. Eben so ist Ebr. 11 in einigen Beyspielen, z. B. Abrahams, gewiß der Glaube, Vertrauen, in andern nur Beyfall, oder Für wahr halten; so wie Röm. 14, 2. 22. 23 Ueberzeugung von dem, was recht, was zu thun oder zu laßen ist. Alle diese Bedeutungen geben den allgemeinsten Begriff: Glauben sey etwas für wahr oder recht halten, der dann in einzelnen Stellen eine nähere Bestimmung bekommt, entweder in Absicht des Gegenstandes, als Gottes, Christi, des Todes Christi für uns, solcher Dinge, die ihrer Natur nach nicht gewiß sind u. d. gl., oder in Absicht der Art, die immer nach den Umständen jeder Stelle zu nehmen ist, ohne den einen, zumal häufigern Begriff, überall hinzutragen. So ist z. B. Matth. 15, 25–28 und Joh. 9, 35–38 vergl. mit V. 16 gewiß die Art des Glaubens sehr von der gewöhnlichen, in der heil. Schrift empfohlnen, verschieden, und kan viel Licht auf die Lehre vom Glauben werfen, die gemeiniglich zu sehr verengt wird.
|b226| **) Z. B. was die sogenannte Unterwerfung Christi unter Gott 1 Kor. 15, 28 sagen wolle, oder die dunkle oft durch Mystik verunstaltete Stelle 2 Kor. 3, 18. S. die schon erwähnte Abhandlung de Christo regnante, und eine andre über 2 Kor. 4, 6 in dem 2ten Bande der Opusculorum ad interpr. SS. Script. N. 7.
***) Denn vieles ist doch theils erst durch später aufgetretne Propheten, durch Jesum, und, da selbst Jesus noch viel unbestimmt ließ, Joh. 16, 12, durch seine Apostel aufgeklärt und bestimmt worden, theils erforderten die Umstände der Zuhörer und Leser, sonderlich der Juden, manche Bestimmung, die nur für sie nöthig, oder widerriethen manche nähere Bestimmung, die ihnen nicht zuträglich war. Wer also die heilige Schrift, zur Aushebung des christlichen Lehrbegriffs daraus, mit weiser Vorsichtigkeit studieren will, wird sich auf der einen Seite hüten, keine solche Bestimmung in Schriftstellen sogleich für allgemeine christliche Lehre anzunehmen, wenn sie sich nirgends als in gewissen Arten von heiligen Büchern, oder in besondern Reden an eine gewisse Art von Lesern und Zuhörern findet, und auf der andern Seite, sie von dieser Lehre für alle Christen bloß darum auszuschließen, weil sie nur in einigen Stellen oder Büchern vorkommt.

155.

Wenn man nun von dem ganzen Lehrvortrage der heiligen Schrift, nach dem bisher Ge|b227|sagten, 1) alles das absondert, was entweder bloßes Bild †) , oder aus Herablaßung zu den besondern Lesern oder Zuhörern, und nach den ihnen geläufigen Vorstellungen und Ausdrücken, gesagt ist ††) – denn dieses beydes gehört doch offenbar nur zur Einkleidung der Lehre –; wenn man 2) das bey Seite, oder zur gelehrtern Untersuchung aussetzt, was die heilige Schrift selbst nicht näher angegeben und bestimmt hat †††) ; und wenn man 3) gefunden hat, daß viele Ausdrücke in der That nur einerley Begriff und Sache, und welche sie? bezeichnen *) : so gelangen wir theils zu gewissen Hauptbegriffen **) , theils zu gewissen Hauptsätzen, die aus solchen Begriffen bestehn ***) welche das ganze in der heiligen Schrift angegebne Verhältniß zwischen Gott und uns, d. i. unser Elend und Verderben, die Anstalten Gottes zu unserm Besten, unsre daraus entstehende Pflichten und Erwartungen, im Ganzen vorlegen. Diese Begriffe und Sätze sind das eigentliche Christenthum, als Lehre genommen, und wer diese für wahr annimmt, der ist (seiner Erkenntniß oder der Lehre nach) ein Christ, so sehr seine Vorstellungen von dem Uebrigen auch von den Meinungen Andrer abgehen mögen ****) ; und diese Hauptbegriffe und Sätze sind es auch, nach welchen alles Andre beurtheilt, und auf eine ihnen angemessene Art erklärt werden muß *****) .Wenn man nun von dem ganzen Lehrvortrage der heiligen Schrift, nach dem bisher Ge|b227|sagten, 1) alles das absondert, was entweder bloßes Bild †) , oder aus Herablaßung zu den besondern Lesern oder Zuhörern, und nach den ihnen geläufigen Vorstellungen und Ausdrücken, gesagt ist ††) – denn dieses beydes gehört doch offenbar nur zur Einkleidung der Lehre –; wenn man 2) das bey Seite, oder zur gelehrtern Untersuchung aussetzt, was die heilige Schrift selbst nicht näher angegeben und bestimmt hat †††) ; und wenn man 3) gefunden hat, daß viele Ausdrücke in der That nur einerley Begriff und Sache, und welche sie? bezeichnen *) : so gelangen wir theils zu gewissen Hauptbegriffen **) , theils zu gewissen Hauptsätzen, die aus solchen Begriffen bestehn ***) welche das ganze in der heiligen Schrift angegebne Verhältniß zwischen Gott und uns, d. i. unser Elend und Verderben, die Anstalten Gottes zu unserm Besten, unsre daraus entstehende Pflichten und Erwartungen, im Ganzen vorlegen. Diese Begriffe und Sätze sind das eigentliche Christenthum, als Lehre genommen, und wer diese für wahr annimmt, der ist (seiner Erkenntniß oder der Lehre nach) ein Christ, so sehr seine Vorstellungen von dem Uebrigen auch von den Meinungen Andrer abgehen mögen ****) ; und diese Hauptbegriffe und Sätze sind es auch, nach welchen alles Andre beurtheilt, und auf eine ihnen angemessene Art erklärt werden muß *****) .
S. Sam. Friedr[.] Nath. Morus trefliche Disp. de notionibus universis in Theologia, und, von dem großen Nutzen dieser Begriffe, dessen Programm de utilitate notionum universarum in Theo|b228|logia, beyde Lips. 1772, 4. Sie sind wieder aufgelegt in s. Dissertatt. theolog. et philologicis, Lips. 1787 in 8.
†) Z. B. Feuer und die danach gebildeten Redensarten, brennen, nicht verlöschen u. d. gl. von künftigen Strafen; Menschen sind Feinde Gottes, liegen unter seinem Zorn, sind mit ihm ausgesöhnt, von dem hergestellten guten Vernehmen mit Gott und von unsrer Seligkeit, als ein Kind ins Reich Gottes gehn, ein neuer Mensch, wieder- oder von oben her geboren werden, von Besserung des Menschen u. s. f. So auch die Ausdrücke: Gott giebt die Menschen in einen verkehrten Sinn, giebt ihnen Augen, daß sie nicht sehen, bestimmt sie zum ewigen Leben u. d. gl. von bloßer Zulaßung oder Anstalten, die zu einem gewissen Verhalten der Menschen Gelegenheit geben.
††) Wie augenscheinlich Matth. 12, 43–45. verglichen mit Tob. 8, 3 und Jes. 13, 21. 22; Matth. 8, 11. 11, 14. 18, 10; Joh. 7, 37. 38. 14, 30. 2 Petr. 2, 4, im Brief an die Hebräer, Gal. 4. und in unzählichen andern Stellen.
†††) Z. B. den Begriff von θεόπνευστος, die Beschaffenheit und Umstände der künftigen Auferstehung, das Allgemeine ausgenommen daß wir einen wirklich bessern, als den irdischen, Körper haben werden u. d. gl.
*) Z. B. Θεὸς ἐμφανίζει ἑαυτὸν ἡμῖν, ἔρχεται πρὸς ἡμᾶς, μονὴν ποιεῖ παρ' ἡμῖν, μένει, περιπατεῖ, ἐν ἡμῖν; und von den Menschen: μένειν ἐν Θεῷ, ῥήματα |b229| αὐτοῦ ἐν ἡμ. μένουσι, θεοδίδακτοι, κοινωνίαν ἔχειν μετ' αὐτοῦ, ἄγεσθαι πνεύματι Θεοῦ; ὁ κόσμος, οἱ ἄπιστοι, τὸ σκότος, ἔχθροι, ἀντικείμενοι, ἐκ τοῦ πονηροῦ ὄντες, οὗτος ὁ αἰών; μετανοεῖν, ἐπιστρέφεσθαι, ἀνανεοῦσθαι und viele andre.
**) Als σωτὴρ und μεσίτης; ἁμαρτία und ἐπιθυμία; χάρις, σωτηρία, δικαιοσύνη, ἐπίγνωσις τοῦ Θεοῦ, πίστις, μετάνοια; ζωὴ und θάνατος, u. a.
***) Als Joh. 3, 16 Ephes. 2, 5 Röm. 3, 23. 24 Koloss. 1, 12. 13 1 Joh. 1, 5–7 etc.
****) Daher auch die heil. Schriftsteller in den Stellen, wo sie den Inhalt des Christenthums zusammen nehmen, mehr nicht angeben, z. B. 1 Thess. 1, 9. 10 Tit. 2, 11. 12 Kap. 3, 4. 7, und noch kürzer 1 Kor. 3, 11 und 1 Joh. 5, 1 verglichen mit Matth. 28, 20.
*****) Dies sind die wahren notiones directrices des ganzen Christenthums, und in der Uebereinstimmung damit besteht die wahre Analogia fidei oder doctrinae.

156.

Nun erst, wenn der Grund der christlichen Lehre aus der heiligen Schrift gelegt ist, kan man hernach (§. 145 ) darauf bauen, oder über diese christlichen Lehren philosophiren *) . Und wer sich an dieses Wort oder an die Sache selbst stößt, weil er besorgt, dadurch werde das Christenthum nach Philosophie geformt und umgeändert, und der ganze Wust menschlicher Einfälle in das Chri|b230|stenthum gebracht: der hat zwar Beyspiele genug für sich, die seine Besorgniß bestätigen, wie es bey keiner einzigen Sache in der Welt an Mißbräuchen fehlt; aber er ist entweder zu kurzsichtig, oder nicht gerecht genug. Denn – nothwendig ist dieser verkehrte Gebrauch der Philosophie nicht. – Philosophie kan entweder in so fern gebraucht werden, als sie die Regeln alles vernünftigen Denkens, oder so fern sie unwidersprechliche Vernunftsätze enthält. Jene muß man überall, muß man ja selbst bey Erklärung und Anwendung der heiligen Schrift, und bey dem Beweis ihres göttlichen Ansehens, befolgen; diese, wenn sie wirklich unwidersprechlich sind, sind die Grundlage aller richtigen Erkenntniß, und, wenn gleich nicht überall zureichend zur Entdeckung der Wahrheit, doch in so fern der Prüfstein aller Wahrheit, als nichts wahr seyn kan, was sich nicht mit ihnen verträgt. Wer beyde nicht für das will gelten laßen, was uns bey aller Untersuchung leiten muß, und sich auf die Schwäche und Trüglichkeit der menschlichen Erkenntniß beruft, der überlegt nicht, daß man sich ja auch trügen könne, wenn man etwas für göttliche Offenbarung hält, daß man sich auch in ihrer Erklärung irren könne, daß man also entweder eine allgemeine Ungewißheit aller menschlichen Erkenntniß annehmen, oder zugeben müsse, es müssen Grundsätze überall vorausgehen, die mir zeigen, wie und wonach ich Wahrheit, auch bey Prüfung einer angeblich göttlichen Offenbarung ihres Sinnes, finde.Nun erst, wenn der Grund der christlichen Lehre aus der heiligen Schrift gelegt ist, kan man hernach (§. 145 ) darauf bauen, oder über diese christlichen Lehren philosophiren *) . Und wer sich an dieses Wort oder an die Sache selbst stößt, weil er besorgt, dadurch werde das Christenthum nach Philosophie geformt und umgeändert, und der ganze Wust menschlicher Einfälle in das Chri|b230|stenthum gebracht: der hat zwar Beyspiele genug für sich, die seine Besorgniß bestätigen, wie es bey keiner einzigen Sache in der Welt an Mißbräuchen fehlt; aber er ist entweder zu kurzsichtig, oder nicht gerecht genug. Denn – nothwendig ist dieser verkehrte Gebrauch der Philosophie nicht. – Philosophie kan entweder in so fern gebraucht werden, als sie die Regeln alles vernünftigen Denkens, oder so fern sie unwidersprechliche Vernunftsätze enthält. Jene muß man überall, muß man ja selbst bey Erklärung und Anwendung der heiligen Schrift, und bey dem Beweis ihres göttlichen Ansehens, befolgen; diese, wenn sie wirklich unwidersprechlich sind, sind die Grundlage aller richtigen Erkenntniß, und, wenn gleich nicht überall zureichend zur Entdeckung der Wahrheit, doch in so fern der Prüfstein aller Wahrheit, als nichts wahr seyn kan, was sich nicht mit ihnen verträgt. Wer beyde nicht für das will gelten laßen, was uns bey aller Untersuchung leiten muß, und sich auf die Schwäche und Trüglichkeit der menschlichen Erkenntniß beruft, der überlegt nicht, daß man sich ja auch trügen könne, wenn man etwas für göttliche Offenbarung hält, daß man sich auch in ihrer Erklärung irren könne, daß man also entweder eine allgemeine Ungewißheit aller menschlichen Erkenntniß annehmen, oder zugeben müsse, es müssen Grundsätze überall vorausgehen, die mir zeigen, wie und wonach ich Wahrheit, auch bey Prüfung einer angeblich göttlichen Offenbarung ihres Sinnes, finde.
|b231| *) Töllners theologische Untersuchungen, Band 1. St. 2. S. 264 f.

157.

Haben wir nun eine Menge theils von Begriffen und Sätzen, die wirklich, nach richtigen Regeln der Auslegung, aus der heiligen Schrift geschöpft sind, theils von vernünftigen Regeln und Sätzen, die unwidersprechlich sind: so können jene mit diesen letztern, oder unter einander, zu streiten scheinen; und daher ist das erste bey Bildung eines theologischen Systems, die Vereinigung derselben unter einander, daß sie mit einander bestehen können. Wirklich unwidersprechliche Sätze der Vernunft und wirklich geoffenbarte Sätze können einander nicht wirklich widersprechen; wenn sich also ein Widerspruch zeigt: so muß entweder ein Satz der Vernunft, den man für unwidersprechlich hält, nicht unwidersprechlich wahr †) , oder der biblische Satz muß unrecht verstanden ††) , oder unrecht bestimmt seyn, d. i. man muß etwas hineingeschoben haben, was nicht darin liegt, oder etwas in demselben übersehen haben †††) . Nur durch Entdeckung eines oder mehrerer dieser Fehler kan man den Widerspruch heben, und bewirken, daß die Sätze mit einander bestehen.Haben wir nun eine Menge theils von Begriffen und Sätzen, die wirklich, nach richtigen Regeln der Auslegung, aus der heiligen Schrift geschöpft sind, theils von vernünftigen Regeln und Sätzen, die unwidersprechlich sind: so können jene mit diesen letztern, oder unter einander, zu streiten scheinen; und daher ist das erste bey Bildung eines theologischen Systems, die Vereinigung derselben unter einander, daß sie mit einander bestehen können. Wirklich unwidersprechliche Sätze der Vernunft und wirklich geoffenbarte Sätze können einander nicht wirklich widersprechen; wenn sich also ein Widerspruch zeigt: so muß entweder ein Satz der Vernunft, den man für unwidersprechlich hält, nicht unwidersprechlich wahr †) , oder der biblische Satz muß unrecht verstanden ††) , oder unrecht bestimmt seyn, d. i. man muß etwas hineingeschoben haben, was nicht darin liegt, oder etwas in demselben übersehen haben †††) . Nur durch Entdeckung eines oder mehrerer dieser Fehler kan man den Widerspruch heben, und bewirken, daß die Sätze mit einander bestehen.
†) Wenn z. B. die heil. Schrift die Anstalt Gottes, die er mit Christo und durch ihn zum Besten der Menschen gemacht hat, überall von Gottes Liebe zu uns herleitet, Joh. 3, 16, und sogar ihm |b232| diese Liebe vor der Versöhnung der Menschen durch Christum beylegt Röm. 5, 8; was aber aus Liebe und Gnade geschieht, nicht seiner Natur nach geschehen muß Röm. 4, 4: so kan es kein unwidersprechlicher Satz der Vernunft seyn, daß Gott habe die Menschen, oder einen von ihnen an ihrer Statt, strafen müssen, so wie alle angebliche Demonstrationen dieses Satzes auf willkührlichen und undenkbaren Voraussetzungen beruhen, und mit allem ihren Gott und das Christenthum entehrendem Gefolge von einem erzürnten und erst durch Christum befriedigten Gott u. d. gl. wegfallen. Gegen wie viele Hypothesen und vermeintliche Demonstrationen a priori hätte das bloße fleißige Studium der heil. Schrift sichern können! Wenn man z. B. zusammengenommen hätte, daß die heiligen Schriftsteller so klar in ihren Schriften z. B. Philem. 9. 1 Kor. 2, 1 f. von sich selbst und von Gott, als einem dritten, reden; Gebete an Gott richten; erzählen, woher sie ihre Nachrichten genommen haben, Luc. 1, 2 Joh. 19, 35; einander scheinbar widersprechen; zusammengehörige Begebenheiten verschiedentlich stellen, z. B. Matth. 4. und Luc. 4; einerley Reden Christi mit ganz verschiednen Worten ausdrucken: wie hätte man darauf fallen können, die heiligen Schriftsteller hätten sich bey Abfassung ihrer Schriften ganz leidentlich verhalten, nicht sie, sondern Gott durch sie alles geschrieben u. d. gl.?
††) So scheint der Satz Röm. 3, 24 nicht nur gegen Jak. 2, 14 f. sondern auch gegen das stete Dringen der heil. Schrift auf Heiligkeit und Tu|b233|gend Röm. 2, 7 Ephes. 2, 10 zu streiten. Letztre Stellen leiden keinen verschiednen Sinn, also liegt Mißverstand im ersten Satz, und ἔργα oder ἔργα νόμου sind entweder nur äusserliche Beobachtungen des mosaischen Gesetzes durch Gebräuche, Opfer etc. oder, mir wahrscheinlicher, was wir nach Gottes Gesetz thun sollten, aber nicht thun, verglichen Kap. 2, 13 Röm. 8, 3 Kap. 7, 14 f.; denn dies heißts doch Kap. 2, 15, wie ἔργον τ. Θεοῦ Joh. 6, 29; und im ganzen Zusammenhang wird νόμος niemals vom Gesetz der Gebräuche (Ephes. 2, 15), sondern stets von der nähern göttlichen Offenbarung gebraucht, z. B. Vers 19 und 31.
†††) Wenn man es z. B. unverträglich mit Gottes allgemeiner und unparteyischer Liebe findet, alle, die keine Gelegenheit, das Christenthum kennen zu lernen, gehabt haben, oder alle, die nicht getauft sind, zu verdammen, wegen Apostelgesch. 4, 12 1 Joh. 5, 12 Joh. 3, 5 u. d. gl. oder es wenigstens für bescheidner hält, nichts darüber zu entscheiden, (also es auch dahin gestellt seyn läßt, ob Gottes Liebe allgemein und unparteyisch sey?) so kan ja schon 1) der gemeine Menschenverstand lehren, daß alle allgemein klingende Sätze den Fall voraussetzen, daß man etwas könne oder wisse, wie 2 Thess. 3, 10 2 Joh. 1 etc. 2) daß die heil. Schrift nur die ἀπίστους verdamme, und nur die so nenne, die etwas wissen und wovon überzeugt werden konnten (§. 154. Anm. ††); und 3) daß sie sogar wahren Glauben denen beylege, die keine Versicherung, vielmehr das Gegen|b234|theil, vor sich hatten, wie Matth. 15, 28 verglichen V. 24; keine nähere Kenntniß von ihm besaßen, Joh. 9, 16 verglichen mit V. 35–38; und weder getauft waren, noch sich äusserlich zu den Christen hielten Marc. 9, 38–42. Und so würde man jene zuerst angeführten Stellen nicht auf bloß des Christenthums Unkundige ausdehnen , man würde einen allgemeinern und unentwickelten Glauben von einen ausdrücklichen oder bestimmten unterscheiden, nicht von eben demselben Glauben im alten, wie im neuen Testament, und dessen Nothwenigkeit, reden, u. s. f. – Hingegen ist ein Beyspiel von falschen, Widerspruch veranlassenden, Bestimmungen, wenn, wider alle klare Schriftstellen 1 Tim. 3, 4 Kap. 4, 10 1 Joh. 2, 2 u. a., in allen Sätzen von Gottes Bereitwilligkeit, alle Menschen selig zu machen, alle nur alle Auserwählte heissen sollen. Und bey dem Anstößigen, das die wirkliche Lehre der heiligen Schrift von ewigen Strafen nach dem Tode giebt, hängt sicherlich das Anstößige davon ab, daß man sich zum Begriff der Verdammniß, die gänzliche Unmöglichkeit der Besserung, und zu ewig fortgehenden (protensive ewigen) Strafen, ins unendliche zunehmende (intensive ewige) hinzudenkt.

158.

Ausser dem [(]§. 157 ) bleibt noch übrig, die Begriffe durch Erklärungen oder Beschreibungen deutlicher und bestimmter zu machen, um allen Mißverstand und falsche Nebenvorstellungen |b235| zum voraus abzuschneiden, und dadurch die Quelle fast aller Streitigkeiten zu verstopfen – die Lehren selbst immer mehr, durch Vergleichung unter einander, und mit andern richtigen Kenntnissen, aufzuklären, und ihnen noch mehr Licht, Stärke und Anwendbarkeit zu geben – zuletzt sie so zusammen zu stellen, wie eine zur Kenntniß und Ueberzeugung von der andern vorbereiten kan. – Wie weit man hierin gehen müsse, dies müssen die Absicht solcher Untersuchungen, das Maaß unsrer Kräfte und Kenntnisse, und unsre eignen oder dererjenigen Bedürfnisse zeigen, für die wir dergleichen Untersuchungen anstellen.Ausser dem [(]§. 157 ) bleibt noch übrig, die Begriffe durch Erklärungen oder Beschreibungen deutlicher und bestimmter zu machen, um allen Mißverstand und falsche Nebenvorstellungen |b235| zum voraus abzuschneiden, und dadurch die Quelle fast aller Streitigkeiten zu verstopfen – die Lehren selbst immer mehr, durch Vergleichung unter einander, und mit andern richtigen Kenntnissen, aufzuklären, und ihnen noch mehr Licht, Stärke und Anwendbarkeit zu geben – zuletzt sie so zusammen zu stellen, wie eine zur Kenntniß und Ueberzeugung von der andern vorbereiten kan. – Wie weit man hierin gehen müsse, dies müssen die Absicht solcher Untersuchungen, das Maaß unsrer Kräfte und Kenntnisse, und unsre eignen oder dererjenigen Bedürfnisse zeigen, für die wir dergleichen Untersuchungen anstellen.

159.

Denn die Absicht dabey kan entweder Verbesserung der Erkenntniß, oder des Willens seyn, so wie das Christenthum Erkenntniß der Wahrheit zur Gottseligkeit ist. Der Hauptzweck aller solcher Untersuchungen muß also stets seyn, den Menschen glücklich zu machen, seine Besserung und Beruhigung zu befördern, und was überall dazu nicht beyträgt, ist keiner Untersuchung werth; es ist sogar schädlich, und veranlaßt, seine Kräfte unnütz zu verschwenden, die man zu etwas Besserm brauchen könnte. Aber ohne überzeugende Kenntniß desjenigen, was uns bessern und beruhigen kan, ist keines von beyden möglich. Kenntniß der göttlichen Wahrheiten und Eindruck aufs Herz ist also gleich nöthig; man schadet dem Einen, wenn man es auf Kosten des Andern erhebt oder treibt.Denn die Absicht dabey kan entweder Verbesserung der Erkenntniß, oder des Willens seyn, so wie das Christenthum Erkenntniß der Wahrheit zur Gottseligkeit ist. Der Hauptzweck aller solcher Untersuchungen muß also stets seyn, den Menschen glücklich zu machen, seine Besserung und Beruhigung zu befördern, und was überall dazu nicht beyträgt, ist keiner Untersuchung werth; es ist sogar schädlich, und veranlaßt, seine Kräfte unnütz zu verschwenden, die man zu etwas Besserm brauchen könnte. Aber ohne überzeugende Kenntniß desjenigen, was uns bessern und beruhigen kan, ist keines von beyden möglich. Kenntniß der göttlichen Wahrheiten und Eindruck aufs Herz ist also gleich nöthig; man schadet dem Einen, wenn man es auf Kosten des Andern erhebt oder treibt.

|b236| 160.

Indessen kan nicht jeder alles oder beydes gleich gut leisten; das Maaß der Gaben und der Kenntnisse ist sehr verschieden ausgetheilt; und der Beruf, in den Gott jeden gesetzt hat, erfordert die Anwendung der Kräfte zu gewissen Zwecken, wobey man nicht mit eben der Anstrengung das andre eben so Nützliche treiben kan. Ein jeder muß sich daher mit der Art von Untersuchung und Uebung am meisten beschäftigen, wozu er die meiste Fähigkeit, Kenntnisse, und äusserlichen Beruf hat, und das Uebrige zwar nie vernachläßigen, aber doch vorzügliche Beschäftigungen damit denen überlaßen, die dazu geschickter sind, und mehr durch die Umstände, unter welchen sie leben, dazu aufgefordert werden.Indessen kan nicht jeder alles oder beydes gleich gut leisten; das Maaß der Gaben und der Kenntnisse ist sehr verschieden ausgetheilt; und der Beruf, in den Gott jeden gesetzt hat, erfordert die Anwendung der Kräfte zu gewissen Zwecken, wobey man nicht mit eben der Anstrengung das andre eben so Nützliche treiben kan. Ein jeder muß sich daher mit der Art von Untersuchung und Uebung am meisten beschäftigen, wozu er die meiste Fähigkeit, Kenntnisse, und äusserlichen Beruf hat, und das Uebrige zwar nie vernachläßigen, aber doch vorzügliche Beschäftigungen damit denen überlaßen, die dazu geschickter sind, und mehr durch die Umstände, unter welchen sie leben, dazu aufgefordert werden.
Sehr viel hängt hier von den Zeitumständen ab, unter welchen gewisse Wissenschaften mehr wie sonst aufgeklärt; und von unsern besondern Umständen, wodurch wir glücklicher Weise auf Entdeckungen geführt werden, an die Andre nicht dachten. Dies sind Winke der göttlichen Vorsehung, denen wir mehr als andern folgen müssen, denn sie weisen jedem, der dazu Fähigkeit hat, gerade dasjenige an, was er bearbeiten soll. Vergleiche Theil 1. §. 37.

161.

Vornemlich ist das Gefühl desjenigen, was wir selbst, oder was die bedürfen, die wir belehren, bessern und beruhigen sollen, immer das, |b237| was uns anweiset und ermuntert, etwas vor andern aufzusuchen, und mit vorzüglicher Aufmerksamkeit zu treiben. Mag es seyn, daß der Genuß besser ist, als das Aufsuchen desjenigen, was ich geniessen will, daß jenes Zweck, dieses nur Mittel ist, daß also Anwendung meiner Erkenntniß zu meinem oder Anderer Besten wichtiger ist, als die Erkenntniß selbst: so ist doch jenes ohne dieses nicht möglich, und ich kan entweder gar nicht, oder nicht ohne größern Schaden, genießen oder anwenden, wenn ich das, was ich brauchen will, noch nicht erlangt habe, oder es erst sichern und erhalten, oder erst wissen muß, ob mir es gut ist, ob ich nicht über dem Genuß das mir, dermalen wenigstens, Nützlichere verliere. Darum kan hier, wenn die Frage von dem ist, was ich jedesmal vorzüglich suchen müsse, nicht das entscheiden, was überhaupt das Nützlichste, sondern was das Dringendste ist (Matth. 26, 11); und wenn meine Besserung und Beruhigung auf der Aufklärung gewisser Sätze, auf Ueberzeugung von ihrer Wahrheit, auf Wegräumung gewisser Zweifel beruht: so wird die Untersuchung auch dessen, was sehr geringfügig scheint, mir, unter diesen Umständen, wichtiger seyn müssen, als was überhaupt wichtiger seyn mag.Vornemlich ist das Gefühl desjenigen, was wir selbst, oder was die bedürfen, die wir belehren, bessern und beruhigen sollen, immer das, |b237| was uns anweiset und ermuntert, etwas vor andern aufzusuchen, und mit vorzüglicher Aufmerksamkeit zu treiben. Mag es seyn, daß der Genuß besser ist, als das Aufsuchen desjenigen, was ich geniessen will, daß jenes Zweck, dieses nur Mittel ist, daß also Anwendung meiner Erkenntniß zu meinem oder Anderer Besten wichtiger ist, als die Erkenntniß selbst: so ist doch jenes ohne dieses nicht möglich, und ich kan entweder gar nicht, oder nicht ohne größern Schaden, genießen oder anwenden, wenn ich das, was ich brauchen will, noch nicht erlangt habe, oder es erst sichern und erhalten, oder erst wissen muß, ob mir es gut ist, ob ich nicht über dem Genuß das mir, dermalen wenigstens, Nützlichere verliere. Darum kan hier, wenn die Frage von dem ist, was ich jedesmal vorzüglich suchen müsse, nicht das entscheiden, was überhaupt das Nützlichste, sondern was das Dringendste ist (Matth. 26, 11); und wenn meine Besserung und Beruhigung auf der Aufklärung gewisser Sätze, auf Ueberzeugung von ihrer Wahrheit, auf Wegräumung gewisser Zweifel beruht: so wird die Untersuchung auch dessen, was sehr geringfügig scheint, mir, unter diesen Umständen, wichtiger seyn müssen, als was überhaupt wichtiger seyn mag.

162.

Dieses mein größres Bedürfniß , und auch das Bedürfniß derer, für die wir, in Absicht auf Religion, arbeiten müssen, wird offenbar durch |b238| die Zeitumstände bestimmt. So wie jede Zeit ihr Gutes und ihre Mängel hat, jede in einem besondern Verhältniß gegen das Ganze und gegen Gottes Absichten steht, jedes Glied des großen Körpers in seinem Maaß und seiner Lage zum Besten des Ganzen arbeiten muß: so müssen wir für die Zeit leben und arbeiten, in die uns Gott gesetzt hat (1 Kor. 12, 14 f.). Was diesen Zeitumständen gemäß ist, interessirt uns auch mehr, und setzt unsre Kräfte mehr in Thätigkeit, erleichtert den Gebrauch unsrer Kräfte, ist für das Ganze von einem wirksamern Erfolg. Selbst unser Herr und seine Gesandten arbeiteten recht eigentlich und am meisten für ihre Zeit und deren Bedürfnisse. (§. 132 f.) – Jede Zeit hat ihre eigne Angelegenheiten, die am meisten zur Untersuchung anziehn, und so allgemein bey allen, denen Religion theuer ist, der Hauptzweck, Besserung und Beruhigung der Menschen bleibt: so verschieden sind zu verschiednen Zeiten die Beschäftigungen mit den einzelnen Sachen, die dazu als Mittel etwas beytragen können. Was Eine Zeit erfindet, das gährt in der Andern, in der folgenden setzt sichs, und das Klare scheidet sich von den Hefen. So arbeitet, nach der göttlichen allezeit weisen Vorsehung, jede Zeit für die folgende, und diese letztere sollte nicht das Vorbereitete benützen, und für die wieder folgende arbeiten?Dieses mein größres Bedürfniß , und auch das Bedürfniß derer, für die wir, in Absicht auf Religion, arbeiten müssen, wird offenbar durch |b238| die Zeitumstände bestimmt. So wie jede Zeit ihr Gutes und ihre Mängel hat, jede in einem besondern Verhältniß gegen das Ganze und gegen Gottes Absichten steht, jedes Glied des großen Körpers in seinem Maaß und seiner Lage zum Besten des Ganzen arbeiten muß: so müssen wir für die Zeit leben und arbeiten, in die uns Gott gesetzt hat (1 Kor. 12, 14 f.). Was diesen Zeitumständen gemäß ist, interessirt uns auch mehr, und setzt unsre Kräfte mehr in Thätigkeit, erleichtert den Gebrauch unsrer Kräfte, ist für das Ganze von einem wirksamern Erfolg. Selbst unser Herr und seine Gesandten arbeiteten recht eigentlich und am meisten für ihre Zeit und deren Bedürfnisse. (§. 132 f.) – Jede Zeit hat ihre eigne Angelegenheiten, die am meisten zur Untersuchung anziehn, und so allgemein bey allen, denen Religion theuer ist, der Hauptzweck, Besserung und Beruhigung der Menschen bleibt: so verschieden sind zu verschiednen Zeiten die Beschäftigungen mit den einzelnen Sachen, die dazu als Mittel etwas beytragen können. Was Eine Zeit erfindet, das gährt in der Andern, in der folgenden setzt sichs, und das Klare scheidet sich von den Hefen. So arbeitet, nach der göttlichen allezeit weisen Vorsehung, jede Zeit für die folgende, und diese letztere sollte nicht das Vorbereitete benützen, und für die wieder folgende arbeiten?

163.

Selbst die glücklichen und mißlichen Zeitumstände sind eine Aufforderung Gottes, Gutes zu |b239| stiften. – Wenn die weitere Aufklärung und Ausbreitung der Wissenschaften, namentlich derer, die mit der Religion in der nächsten Verbindung stehen, auf einer Seite Untersuchungen in der Religion rege macht, und auf der andern sie befördert; wenn die Wißbegierde, auch in der Religion, allgemeiner wird, und selbst das Volk nach Aufklärung dürstet; wenn die Freyheit der Untersuchung nicht durch Einschränkung gelähmt, sondern vielmehr ermuntert wird; wenn alte heftige Streitigkeiten verraucht, und die Gemüther zur kühlblütigern Untersuchung derselben gestimmt sind; wenn der öffentliche Geschmack mehr zur Liebe des Praktischen, auch in der Religion, gebildet ist; wenn selbst die größere Gefahr für die Religion, die aus Zweifeln entsteht, diejenigen, die überall den wichtigen Einfluß der Religion zu schätzen wissen, bereitwilliger macht, auch das Neuentdeckte, das ihnen sonst bedenklich war, darum anzunehmen, weil es die Zweifel löset, und die Ehre der Religion befestigt; wenn man also auch geneigter ist, Mißverstand beyzulegen, und, so weit es ohne Nachtheil der Wahrheit geschehen kan, sich zum Frieden die Hände zu bieten: – alsdann ist es Dankbarkeit gegen Gott, Pflicht gegen Wahrheit und Frieden, diese Umstände zur nähern Untersuchung zu brauchen, und das von uns oder Andern Gefundne mit Weisheit auszubreiten.Selbst die glücklichen und mißlichen Zeitumstände sind eine Aufforderung Gottes, Gutes zu |b239| stiften. – Wenn die weitere Aufklärung und Ausbreitung der Wissenschaften, namentlich derer, die mit der Religion in der nächsten Verbindung stehen, auf einer Seite Untersuchungen in der Religion rege macht, und auf der andern sie befördert; wenn die Wißbegierde, auch in der Religion, allgemeiner wird, und selbst das Volk nach Aufklärung dürstet; wenn die Freyheit der Untersuchung nicht durch Einschränkung gelähmt, sondern vielmehr ermuntert wird; wenn alte heftige Streitigkeiten verraucht, und die Gemüther zur kühlblütigern Untersuchung derselben gestimmt sind; wenn der öffentliche Geschmack mehr zur Liebe des Praktischen, auch in der Religion, gebildet ist; wenn selbst die größere Gefahr für die Religion, die aus Zweifeln entsteht, diejenigen, die überall den wichtigen Einfluß der Religion zu schätzen wissen, bereitwilliger macht, auch das Neuentdeckte, das ihnen sonst bedenklich war, darum anzunehmen, weil es die Zweifel löset, und die Ehre der Religion befestigt; wenn man also auch geneigter ist, Mißverstand beyzulegen, und, so weit es ohne Nachtheil der Wahrheit geschehen kan, sich zum Frieden die Hände zu bieten: – alsdann ist es Dankbarkeit gegen Gott, Pflicht gegen Wahrheit und Frieden, diese Umstände zur nähern Untersuchung zu brauchen, und das von uns oder Andern Gefundne mit Weisheit auszubreiten.

164.

Und wenn eben diese günstigen Umstände, durch eine anderwärtshin genommne Wendung, |b240| Gelegenheit zu mancherley Angriffen auf die Religion, wenigstens zu mehrern Zweifeln, zur Beeinträchtigung der Wahrheit und zur Verminderung ihres Werthes und Einflusses auf die Menschen, geben; wenn sich gerechtscheinende Klagen der Besorgniß eines immer weiter um sich greifenden Schadens erheben; wenn diese die weitere Untersuchung, zu der selbst die anscheinende Gefahr auffordern sollte, hemmen, und durch Verdächtigung ihren Nutzen vernichten oder einschränken, den edlern Theil der nach Wahrheit und gegründeter Ruhe durstenden des Mittels seiner Befriedigung berauben, und den Feinden der Religion, die nicht durch Klagen, sondern nur durch Untersuchung entkräftet werden können, die Freude über ihren vermeinten Sieg in die Hände spielen: – alsdann wäre es unchristliche Muthlosigkeit, Unglaube gegen Gott, oder Versuchung desselben, Verrätherey gegen die göttliche Wahrheit, offenbare Gleichgültigkeit gegen die Ruhe, die der Mensch mit so großem Rechte in der Religion sucht, nicht immer weiter untersuchen, die Ueberzeugung der Menschen von ihr nicht auf einen immer festern Grund setzen, ihren unaussprechlichen Werth nicht immer einleuchtender und dringender darlegen zu wollen.Und wenn eben diese günstigen Umstände, durch eine anderwärtshin genommne Wendung, |b240| Gelegenheit zu mancherley Angriffen auf die Religion, wenigstens zu mehrern Zweifeln, zur Beeinträchtigung der Wahrheit und zur Verminderung ihres Werthes und Einflusses auf die Menschen, geben; wenn sich gerechtscheinende Klagen der Besorgniß eines immer weiter um sich greifenden Schadens erheben; wenn diese die weitere Untersuchung, zu der selbst die anscheinende Gefahr auffordern sollte, hemmen, und durch Verdächtigung ihren Nutzen vernichten oder einschränken, den edlern Theil der nach Wahrheit und gegründeter Ruhe durstenden des Mittels seiner Befriedigung berauben, und den Feinden der Religion, die nicht durch Klagen, sondern nur durch Untersuchung entkräftet werden können, die Freude über ihren vermeinten Sieg in die Hände spielen: – alsdann wäre es unchristliche Muthlosigkeit, Unglaube gegen Gott, oder Versuchung desselben, Verrätherey gegen die göttliche Wahrheit, offenbare Gleichgültigkeit gegen die Ruhe, die der Mensch mit so großem Rechte in der Religion sucht, nicht immer weiter untersuchen, die Ueberzeugung der Menschen von ihr nicht auf einen immer festern Grund setzen, ihren unaussprechlichen Werth nicht immer einleuchtender und dringender darlegen zu wollen.
Es ist eines verständigen Christen ganz unwürdig, über solche Untersuchungen, und das, was dadurch entdeckt wird, als über Neuerungen zu klagen, auf seine Meinungen, weil sie alt sind, stolz zu |b241| thun, und alles Neue mit bloßer Verunglimpfung von der Hand zu weisen. – Freylich fassen alte Schläuche den neuen Wein nicht (Luc. 5, 37 f.); aber es ist doch Undank gegen Gott, Einschläferung unsrer Kräfte, mit denen wir zum Guten, wenigstens durch Sichtung, mitwirken könnten, Versündigung gegen den, der Hülfe bedarf, und gegen den, der ihm helfen will, nicht nur selbst nichts zu thun, und nichts zu brauchen, was Andre statt unsrer thun, sondern auch selbst Andre davon abzuhalten, und ununtersucht den guten Keim, den Gott aufgehen läßt, wie Unkraut zu zertreten. – Rotte das Unkraut aus, weil es Unkraut, nicht weil es neu ist; du möchtest eine sehr heilsame Pflanze vertilgen, von der du nur vorher noch nichts gehört hattest. Doch vergiß auch bey dem Ausjäten des Unkrautes das nicht, was unser Herr sagt Matth. 13, 39. – Allerdings giebts nur Einen Grund, auf den wir bauen müssen, der, daß Jesus der Christ sey (1 Kor. 3, 11). Auf den hat man hölzerne und steinerne Häuser gebaut (V. 12). Sind alle alte dieser, und alle neue jener Art? Die Zeit wirds klar machen, sagt der Apostel (V. 13); aber wie kan sie dir das, wenn alles Neue, was die Zeit lehrt, schon darum das Zeichen der Verwerfung trägt, weil es neu ist? – Die Wahrheit ist ewig, aber sie wird oft erst spät erkannt. Wer das bisher Unerkannte ans Licht bringt, der sagt freylich etwas Neues; aber verdient er die schnöde Verachtung, er, den Gott vielleicht zum Werkzeug brauchen will, dich zu erleuchten? – Ephes. 4, 11–15. 1 Kor. |b242| 13, 9 f. Ebr. 5, 12–14. 1 Kor. 3, 21 f. – Es ist wohl kaum nöthig zu sagen, daß wer darum nicht das Neue will weggeworfen wissen, weil es neu ist, damit keinesweges alles Neue billigt, eben weil es neu ist. Ob etwas neu oder alt ist? muß gar nicht, ob es wahr sey? muß allein in Anschlag kommen.

165.

Auf die beschriebene Art sollte sich ein jeder selbstdenkender Christ, der alle dazu erforderliche Fähigkeit und Muße hätte, wenigstens jeder Lehrer, sein christliches System bilden; und alsdann wäre es Zeit, auch Anderer Vorstellungen zu hören. Denn – der bloße Selbstforscher urtheilt gar zu leicht einseitig, und läßt sich von geheimen Vorurtheilen, aufgefaßten Gesichtspuncten, wohin er alles allein zieht, und selbst Leidenschaften, beschleichen. – Da uns über dies so viele, denen gewiß Aufspürung des wahren Christenthums Herzensangelegenheit war, und denen es nicht an den nöthigen Fähigkeiten und Kenntnissen fehlte, vorgearbeitet haben: warum sollten wir ihre Vorarbeit nicht benutzen, ihnen wenigstens nicht danken, daß sie unsre Aufmerksamkeit auf Vieles lenken, was ihr entwischt ist, und uns zeigen, was und wo es noch weiterer Untersuchung bedürfe? – Wollen wir vollends als Lehrer Anderer auftreten: so erfordert die gesellschaftliche Ordnung, uns zu einer gewissen kirchlichen Gesellschaft zu halten, deswegen die |b243| Vorstellungen in der Religion, die sie von ihren Mitgliedern erwartet, kennen zu lernen, und zu prüfen, ob wir sie mit Ueberzeugung fortpflanzen, wenigstens öffentlich unbestritten laßen können. Es erforderts auch die Weisheit und Gerechtigkeit gegen Andre, unsre Kenntnisse vom Christenthum möglichst ihren Vorstellungen, wenn sie nicht schädliche Irrthümer sind, anzuschmiegen; ihres, wenn gleich oft irrenden, Gewissens zu schonen; und nicht durch Unvorsichtigkeit oder Allgenügsamkeit ein Mißtrauen oder Abneigung zu erregen, das einen Lehrer der Religion so sehr hindert, bey Andern Gutes zu stiften. Alles dieses führt die Pflicht mit sich, uns um Andrer Vorstellungen zu bekümmern, und auf diese, wenigstens eine prüfende, Rücksicht zu nehmen.Auf die beschriebene Art sollte sich ein jeder selbstdenkender Christ, der alle dazu erforderliche Fähigkeit und Muße hätte, wenigstens jeder Lehrer, sein christliches System bilden; und alsdann wäre es Zeit, auch Anderer Vorstellungen zu hören. Denn – der bloße Selbstforscher urtheilt gar zu leicht einseitig, und läßt sich von geheimen Vorurtheilen, aufgefaßten Gesichtspuncten, wohin er alles allein zieht, und selbst Leidenschaften, beschleichen. – Da uns über dies so viele, denen gewiß Aufspürung des wahren Christenthums Herzensangelegenheit war, und denen es nicht an den nöthigen Fähigkeiten und Kenntnissen fehlte, vorgearbeitet haben: warum sollten wir ihre Vorarbeit nicht benutzen, ihnen wenigstens nicht danken, daß sie unsre Aufmerksamkeit auf Vieles lenken, was ihr entwischt ist, und uns zeigen, was und wo es noch weiterer Untersuchung bedürfe? – Wollen wir vollends als Lehrer Anderer auftreten: so erfordert die gesellschaftliche Ordnung, uns zu einer gewissen kirchlichen Gesellschaft zu halten, deswegen die |b243| Vorstellungen in der Religion, die sie von ihren Mitgliedern erwartet, kennen zu lernen, und zu prüfen, ob wir sie mit Ueberzeugung fortpflanzen, wenigstens öffentlich unbestritten laßen können. Es erforderts auch die Weisheit und Gerechtigkeit gegen Andre, unsre Kenntnisse vom Christenthum möglichst ihren Vorstellungen, wenn sie nicht schädliche Irrthümer sind, anzuschmiegen; ihres, wenn gleich oft irrenden, Gewissens zu schonen; und nicht durch Unvorsichtigkeit oder Allgenügsamkeit ein Mißtrauen oder Abneigung zu erregen, das einen Lehrer der Religion so sehr hindert, bey Andern Gutes zu stiften. Alles dieses führt die Pflicht mit sich, uns um Andrer Vorstellungen zu bekümmern, und auf diese, wenigstens eine prüfende, Rücksicht zu nehmen.

166.

Diese Vorstellungen Andrer sind entweder solche, welche in einer besondern Kirche eine Art von gesetzmäßigem Ansehen erlangt haben, oder Privatgedanken und Resultate solcher Untersuchungen, die von einzelnen gelehrten Männern angestellt sind. Die erstern verdienen unsre Kenntniß und Prüfung, nicht nur weil sie das Vorurtheil vor sich haben, daß sie nach öftrer Untersuchung vieler redlichen, verständigen und gelehrten Christen bewährt befunden worden, sondern noch vielmehr wegen der so eben (§. 165 ) erwähnten Gründe für einen öffentlichen Lehrer. Die letztern hingegegen scheinen noch mehr wichtige Aufschlüsse |b244| über Religion und Christenthum zu versprechen, zumahl wenn sie den Beyfall der gelehrtesten und untersuchendsten Männer für sich haben. Denn bey solchen besondern Untersuchungen einzelner Lehrsätze kan man mehr eigentlichen Fleiß und neue Aufklärung erwarten; man kan erwarten, daß dergleichen Männer weniger durch die Fesseln eines Kirchensystems oder eingeschränkter Lehrfreyheit zurückgehalten worden, freye Untersuchungen anzustellen; der Beyfall, mit dem man ihre Untersuchungen aufgenommen, hat weniger den Verdacht wider sich, daß er durch kirchliches Ansehen oder Schonung des Hergebrachten gestimmt sey; und, wenn solche Untersuchungen von Männern herrühren, denen man, neben wahrer Bescheidenheit, vorzügliche Bekanntschaft mit den Hülfsmitteln zur Aufklärung der Theologie, wenigstens in den Theilen, woran sie gearbeitet haben, und vorzügliche Uebung in solchen Untersuchungen nicht absprechen kan: so kann man sicherlich mehr von ihnen lernen, als von denen, die nur der gebahnten Heerstraße folgen.Diese Vorstellungen Andrer sind entweder solche, welche in einer besondern Kirche eine Art von gesetzmäßigem Ansehen erlangt haben, oder Privatgedanken und Resultate solcher Untersuchungen, die von einzelnen gelehrten Männern angestellt sind. Die erstern verdienen unsre Kenntniß und Prüfung, nicht nur weil sie das Vorurtheil vor sich haben, daß sie nach öftrer Untersuchung vieler redlichen, verständigen und gelehrten Christen bewährt befunden worden, sondern noch vielmehr wegen der so eben (§. 165 ) erwähnten Gründe für einen öffentlichen Lehrer. Die letztern hingegegen scheinen noch mehr wichtige Aufschlüsse |b244| über Religion und Christenthum zu versprechen, zumahl wenn sie den Beyfall der gelehrtesten und untersuchendsten Männer für sich haben. Denn bey solchen besondern Untersuchungen einzelner Lehrsätze kan man mehr eigentlichen Fleiß und neue Aufklärung erwarten; man kan erwarten, daß dergleichen Männer weniger durch die Fesseln eines Kirchensystems oder eingeschränkter Lehrfreyheit zurückgehalten worden, freye Untersuchungen anzustellen; der Beyfall, mit dem man ihre Untersuchungen aufgenommen, hat weniger den Verdacht wider sich, daß er durch kirchliches Ansehen oder Schonung des Hergebrachten gestimmt sey; und, wenn solche Untersuchungen von Männern herrühren, denen man, neben wahrer Bescheidenheit, vorzügliche Bekanntschaft mit den Hülfsmitteln zur Aufklärung der Theologie, wenigstens in den Theilen, woran sie gearbeitet haben, und vorzügliche Uebung in solchen Untersuchungen nicht absprechen kan: so kann man sicherlich mehr von ihnen lernen, als von denen, die nur der gebahnten Heerstraße folgen.

167.

Indessen ist eigne Untersuchung doch immer das Nöthigste. Was ist wahr? was ist Christenthum? dies ist doch eigentlich die Hauptsache, davon muß man wollen im System unterrichtet seyn ; was der oder jener, diese oder jene Kirche, geglaubt hat, dies zu wissen, ist, wenn es nicht Gelegenheit giebt, Wahrheit zu finden, fast von |b245| gar keinem Werth. Sammlungen von Meinungen, wenn sie nicht geprüft, sondern der Wahl eines jeden überlaßen werden, verwirren nur, und stimmen die Seele zum ewigen Schwanken zwischen menschlichen Einfällen. Und wie? wenn unter allem, was bisher worüber gesagt ist, gerade die rechte Vorstellung noch fehlte? – Was übrigens zur Bildung eines immer vollkommnern Systems geschehen müsse, ist schon oben gesagt. Hier nur noch etwas über den bessern Vortrag desjenigen, was man, nach oben erwähntem Verfahren von dem Christenthum gefunden hat, oder besser, gefunden zu haben glaubt.Indessen ist eigne Untersuchung doch immer das Nöthigste. Was ist wahr? was ist Christenthum? dies ist doch eigentlich die Hauptsache, davon muß man wollen im System unterrichtet seyn ; was der oder jener, diese oder jene Kirche, geglaubt hat, dies zu wissen, ist, wenn es nicht Gelegenheit giebt, Wahrheit zu finden, fast von |b245| gar keinem Werth. Sammlungen von Meinungen, wenn sie nicht geprüft, sondern der Wahl eines jeden überlaßen werden, verwirren nur, und stimmen die Seele zum ewigen Schwanken zwischen menschlichen Einfällen. Und wie? wenn unter allem, was bisher worüber gesagt ist, gerade die rechte Vorstellung noch fehlte? – Was übrigens zur Bildung eines immer vollkommnern Systems geschehen müsse, ist schon oben gesagt. Hier nur noch etwas über den bessern Vortrag desjenigen, was man, nach oben erwähntem Verfahren von dem Christenthum gefunden hat, oder besser, gefunden zu haben glaubt.

168.

Allerdings bleibt Wahrheit immer Wahrheit, und es ist übel gesprochen, wenn man sagt, daß Wahrheit leiden, Religion in Gefahr kommen könne, obgleich die Ueberzeugung der Menschen davon, und die Achtung und Liebe zu ihr leiden kan. Auch nutzt sich die Wahrheit nie ab, daß man auf Erfindung einer andern denken müßte. Da auch die christliche Theologie sich auf die heilige Schrift gründet, diese aber einen bestimmten Umfang hat: so laßen sich eigentlich neue Entdeckungen über christliche Lehren selbst nicht machen, wenn man nicht bessere Erklärung einzelner Stellen, die mehrere Entwickelung desjenigen, was in der heiligen Schrift liegt, die weitern Aussichten, die aus Vergleichung der christlichen Lehren unter einander, und mit natür|b246|lich bekannten Sätzen, entstehen, und die Wegräumung falscher Vorstellungen, dahin rechnen will. Aber man kan die Ueberzeugung der Menschen von der Wahrheit und von dem Christenthum, oder der rechten Vorstellung davon, durch neue Gründe, und den bessern Eindruck derselben, durch neue Anwendung befördern.Allerdings bleibt Wahrheit immer Wahrheit, und es ist übel gesprochen, wenn man sagt, daß Wahrheit leiden, Religion in Gefahr kommen könne, obgleich die Ueberzeugung der Menschen davon, und die Achtung und Liebe zu ihr leiden kan. Auch nutzt sich die Wahrheit nie ab, daß man auf Erfindung einer andern denken müßte. Da auch die christliche Theologie sich auf die heilige Schrift gründet, diese aber einen bestimmten Umfang hat: so laßen sich eigentlich neue Entdeckungen über christliche Lehren selbst nicht machen, wenn man nicht bessere Erklärung einzelner Stellen, die mehrere Entwickelung desjenigen, was in der heiligen Schrift liegt, die weitern Aussichten, die aus Vergleichung der christlichen Lehren unter einander, und mit natür|b246|lich bekannten Sätzen, entstehen, und die Wegräumung falscher Vorstellungen, dahin rechnen will. Aber man kan die Ueberzeugung der Menschen von der Wahrheit und von dem Christenthum, oder der rechten Vorstellung davon, durch neue Gründe, und den bessern Eindruck derselben, durch neue Anwendung befördern.

169.

So wie sich alle Wissenschaften durch neue Entdeckungen oder gründlichere Einsicht des bereits Bekannten erweitern, namentlich Sprachkunde und Philosophie: so ist kein Zweifel, daß dadurch auch für die Religion und das Christenthum neue Bestätigung möglich wird, und daß, wenn die Aufklärung der Wissenschaften immer fortgeht, und Geschmack und Denkungsart mehr gebildet wird, allerdings auch auf neue oder neu geschärfte und einleuchtender gemachte Beweise der Lehren gedacht werden müsse. – Noch mehr findet dieses bey der Anwendung der Lehren statt. Die Willigkeit, sich an die christlichen Lehren, zur Beförderung unsrer Gemüthsruhe, zu halten, und dieselben treulich zu befolgen, hängt offenbar von dem Werth ab, den man auf diese Lehren legt, d. i. auf den deutlich und lebhaft erkannten Einfluß derselben auf unsre Glückseligkeit. Diesen Einfluß müßte man vornemlich klar machen, und diesen recht darstellen, das ists, wie mich dünkt, eigentlich, was man praktischen Vortrag nennen sollte.So wie sich alle Wissenschaften durch neue Entdeckungen oder gründlichere Einsicht des bereits Bekannten erweitern, namentlich Sprachkunde und Philosophie: so ist kein Zweifel, daß dadurch auch für die Religion und das Christenthum neue Bestätigung möglich wird, und daß, wenn die Aufklärung der Wissenschaften immer fortgeht, und Geschmack und Denkungsart mehr gebildet wird, allerdings auch auf neue oder neu geschärfte und einleuchtender gemachte Beweise der Lehren gedacht werden müsse. – Noch mehr findet dieses bey der Anwendung der Lehren statt. Die Willigkeit, sich an die christlichen Lehren, zur Beförderung unsrer Gemüthsruhe, zu halten, und dieselben treulich zu befolgen, hängt offenbar von dem Werth ab, den man auf diese Lehren legt, d. i. auf den deutlich und lebhaft erkannten Einfluß derselben auf unsre Glückseligkeit. Diesen Einfluß müßte man vornemlich klar machen, und diesen recht darstellen, das ists, wie mich dünkt, eigentlich, was man praktischen Vortrag nennen sollte.
|b247| Es ist ein sehr gewöhnlicher Mißverstand, das Praktische mit dem Moralischen zu verwechseln, und die Folge davon ist nur zu oft Verachtung oder Gleichgültigkeit gegen alles, was nicht unmittelbar das Thun und Laßen der Menschen betrift. Praktisch ist doch alles, was auf die menschliche Glückseligkeit anwendbar ist. Nun beruht diese Glückseligkeit 1) keinesweges bloß auf unserm Thun und Laßen, oder der Beobachtung unsrer Pflichten, sondern auch auf Gemüthsruhe, die zwar auch von dem guten Gewissen abhängt, aber eben so sehr von der Ueberzeugung, daß alles, was uns begegnet, wirklich für uns gut ist, und daß wir uns zu Gott und dessen Regierung immer des Besten versehen können. Diese letztre Ueberzeugung ist zu unsrer Glückseligkeit unumgänglich nothwendig, in Absicht auf solche Veränderungen, die nicht in unsrer Gewalt stehen, wohin auch diejenigen gehören, die wir nicht können ungeschehen machen, namentlich unsre vielfältigen Vergehungen, und die daher entstehenden Folgen. 2) Kan der Einfluß eines Satzes auf unsre Glückseligkeit eben sowohl mittelbar als unmittelbar seyn, und wir urtheilen wie Kinder, wenn wir das Nutzbare, auch in der Religion, bloß auf das Letztere (auf das materialiter oder unmittelbar Praktische) einschränken, ohnerachtet uns die ganze Einrichtung der physischen und moralischen Welt so deutlich an den auch sehr entfernten Einfluß gewisser Ursachen auf unser Wohl und Weh erinnert. Daher ist jeder noch so speculative Satz, praktisch, wenn er 1) die zu unsrer Gemüthsruhe unent|b248|behrliche Ueberzeugung von Gottes allezeit weisen und gütigen Anstalten und Fügungen zu unserm Besten überhaupt und in einzelnen Fällen, auf eine nähere oder entferntere Art, befördern, irgend einen Beweis dafür geben, irgend einem Zweifel dagegen zuvorkommen, oder ihn heben kan. 2) Wenn er irgend einen Grund zu einer Pflicht enthalten, irgend eine Ermunterung dazu, irgend eine Erleichterung derselben in der Ausübung, geben kan. Und einen Satz praktisch machen ist nichts anders, als zeigen, welchen Einfluß derselbe auf unser Bestes haben könne, es sey auf die eine oder die andre so eben angegebene Art; welches auch dadurch geschehen kan, wenn wir ihn so erklären, so bestimmen, in eine solche Verbindung mit andern stellen, daß andre diesen Einfluß leicht einsehen, und die Anwendung desselben auf ihre Gemüthsruhe oder Besserung leicht machen können.

170.

Zu diesem guten Vortrage der systematischen Theologie gehört auch der weise Gebrauch gewisser dem System eigenthümlichen Ausdrücke, welche man gemeiniglich mit dem Namen der Schulsprache belegt, und welche viele aus dem Vortrag der Religion wollen entfernt, an ihrer Statt aber biblische, zum Theil auch mystische, oder Ausdrücke aus der Sprache des gemeinen Lebens, eingeführt wissen †) . Wahr ist es, Ausdrücke sind gleichgültig, wenn sie nur die Sachen verständlich und ohne Irrthümer bezeichnen, wenn sie also nur, falls sie dunkel oder zweydeutig |b249| sind, erklärt werden, daß man dadurch wirklich die Sachen verstehen lernt, und gegen falsche Vorstellungen gesichert wird; wahr ist es auch, daß, wo man bey einem Vortrag nicht sowohl deutliche und genaue Einsicht, als vielmehr Eindrücke der Religion, selbst bey undeutlicher Erkenntniß derselben, befördern will, die Schulsprache völlig entbehrt, und der Gebrauch unbestimmter und sinnlicher Ausdrücke selbst nützlicher werden kan, weil sie durch Nebenbegriffe den Eindruck befördern; wahr ist es, daß man die Absicht der Schulsprache oft ohne sie erreichen kan †† ; wahr ists endlich, daß die gelehrte Sprache in der Theologie manche Unbequemlichkeit mit sich führt. Denn durch sie wird die Erlernung der Theologie erschwert; der Vortrag wird trocken, und, weil sie die Sachen bloß dem Verstande, nicht der Einbildungskraft, darstellet, so wird die Anwendung der Sachen auf sich selbst und auf das Herz weniger einleuchtend oder nahe gelegt; sie ist dem größten Theil der Zuhörer entweder unverständlich, oder erweckt eben sowohl falsche Nebenbegriffe wie andre Arten der Sprache *) , und, was beynahe das Schlimmste ist, sie verbindet gewisse menschliche, zum Theil irrige, Vorstellungen so inniglich mit den Lehren des Christenthums, daß jene eben das Ansehn wie diese erhalten, und so lange nicht ausgerottet werden können, als man an dieser Schulsprache hängt. **) Zu diesem guten Vortrage der systematischen Theologie gehört auch der weise Gebrauch gewisser dem System eigenthümlichen Ausdrücke, welche man gemeiniglich mit dem Namen der Schulsprache belegt, und welche viele aus dem Vortrag der Religion wollen entfernt, an ihrer Statt aber biblische, zum Theil auch mystische, oder Ausdrücke aus der Sprache des gemeinen Lebens, eingeführt wissen †) . Wahr ist es, Ausdrücke sind gleichgültig, wenn sie nur die Sachen verständlich und ohne Irrthümer bezeichnen, wenn sie also nur, falls sie dunkel oder zweydeutig |b249| sind, erklärt werden, daß man dadurch wirklich die Sachen verstehen lernt, und gegen falsche Vorstellungen gesichert wird; wahr ist es auch, daß, wo man bey einem Vortrag nicht sowohl deutliche und genaue Einsicht, als vielmehr Eindrücke der Religion, selbst bey undeutlicher Erkenntniß derselben, befördern will, die Schulsprache völlig entbehrt, und der Gebrauch unbestimmter und sinnlicher Ausdrücke selbst nützlicher werden kan, weil sie durch Nebenbegriffe den Eindruck befördern; wahr ist es, daß man die Absicht der Schulsprache oft ohne sie erreichen kan †† ; wahr ists endlich, daß die gelehrte Sprache in der Theologie manche Unbequemlichkeit mit sich führt. Denn durch sie wird die Erlernung der Theologie erschwert; der Vortrag wird trocken, und, weil sie die Sachen bloß dem Verstande, nicht der Einbildungskraft, darstellet, so wird die Anwendung der Sachen auf sich selbst und auf das Herz weniger einleuchtend oder nahe gelegt; sie ist dem größten Theil der Zuhörer entweder unverständlich, oder erweckt eben sowohl falsche Nebenbegriffe wie andre Arten der Sprache *) , und, was beynahe das Schlimmste ist, sie verbindet gewisse menschliche, zum Theil irrige, Vorstellungen so inniglich mit den Lehren des Christenthums, daß jene eben das Ansehn wie diese erhalten, und so lange nicht ausgerottet werden können, als man an dieser Schulsprache hängt. **)
†) S. Gründe für die gänzliche Abschaffung der Schulsprache des theologischen Systems, Berlin 1772. 8.
|b250| ††) Entweder wenn man uneigentliche, sinnliche, und überhaupt unbestimmte Ausdrücke mit gemeinbekannten eigentlichen vertauscht, z. B. statt Vergebung der Sünden, Verschonung mit Strafen, statt Wiedergeburt, gänzliche oder Herzenbesserung, setzt; oder sich durch wohlgewählte Umschreibungen, Beschreibungen und Beyspiele erklärt, wie Jesus in seinen Parabeln, als Luc. 15, 11 f. 18, 10 f. etc.; oder wohlerklärte, und durch weitre Erläuterungen sonst schon den Zuhörern bekannte Hauptbegriffe und Hauptsätze (§. 155 ) beybehält.
*) Z. B. Person in der Gottheit; an welches Wort die meisten gar nicht den metaphysischen Sinn knüpfen, worin es unsre Theologen wollen genommen wissen, und daher entweder gar nichts dabey, oder grobe Begriffe von Theilbarkeit, menschlicher Gestalt, oder, wie einige in der ältern Kirche bey dem Wort πρόσωπον, bloße Verhältnisse hinzu denken.
**) Als eben bey dem Wort Person; bey dem Ausdruck Entäusserung Christi, dem man den falschen Begriff von einem unterlaßnen Gebrauch göttlicher Eigenschaften untergelegt hat; Genugthuung wenn es nicht in gut lateinischem Verstande genommen wird; Caput morale von Adam gebraucht u. d. gl.

171.

Dieses alles beweiset aber nur: daß dergleichen gelehrtere Sprache nicht überall nöthig, oft, und in den gemeinen Vortrag insbesondre, |b251| unschicklich sey; daß man sich also hüten müsse, allein darin zu denken und vorzutragen; daß sie noch, besonders die eingeführte Kirchensprache, mancher Verbesserung bedürftig sey; lauter Vorwürfe, die man den andern Arten der Sprache, welche man statt dieser gebraucht wünscht, und die man jeder eigenthümlichen Sprache in irgend einer Wissenschaft und Kunst, mit eben dem Recht und Unrecht machen kan, wie dieser . Hingegen beweiset alles dieses nicht, daß sie gar nicht, daß sie auch selbst nicht in dem systematischen Vortrag, daß nicht nur ihr Gebrauch nicht, sondern auch nicht einmal ihre Kenntniß nöthig sey. Vielmehr hat sie und ihre Kenntniß allerdings, in der systematischen Theologie, wenn sie nur gehörig erklärt, und mit Weisheit gebraucht wird, sehr große Vortheile, die ganz verlohren gehen würden, wenn man sie abschaffen wollte. Sie ist 1) einmal da, und nicht nur in vielen, ja gerade in den gründlichsten, theologischen Schriften, sondern auch selbst in öffentlichen Bekenntniß- und Lehrbüchern eingeführt, die man also ohne die Kenntniß dieser Sprache nicht verstehen, vielweniger beurtheilen kan. Und wenn man sich über seine Unbekanntschaft mit ihr damit trösten will, daß solche Schriften nicht brauchten gelesen zu werden, und bald nur noch zur Geschichte der Lehre nöthig seyn würden: so überlegt man nicht, daß doch symbolische Schriften nicht so nach eignem Gutbefinden können bey Seite gelegt werden, oder dem Lehrer, der sich zu einer gewissen Kirche bekennt, unbekannt oder unverständlich bleiben |b252| dürfen; daß mit Wegschaffung der in der Schulsprache geschriebnen Schriften ein großer Schatz von Kenntnissen und Bestimmungen würde verlohren gehen; daß die Kenntniß der Schulsprache doch immer unentbehrlich bleibe, wenigstens theologische Streitigkeiten und Irrthümer ganzer Kirchen zu verstehen und zu beurtheilen.Dieses alles beweiset aber nur: daß dergleichen gelehrtere Sprache nicht überall nöthig, oft, und in den gemeinen Vortrag insbesondre, |b251| unschicklich sey; daß man sich also hüten müsse, allein darin zu denken und vorzutragen; daß sie noch, besonders die eingeführte Kirchensprache, mancher Verbesserung bedürftig sey; lauter Vorwürfe, die man den andern Arten der Sprache, welche man statt dieser gebraucht wünscht, und die man jeder eigenthümlichen Sprache in irgend einer Wissenschaft und Kunst, mit eben dem Recht und Unrecht machen kan, wie dieser . Hingegen beweiset alles dieses nicht, daß sie gar nicht, daß sie auch selbst nicht in dem systematischen Vortrag, daß nicht nur ihr Gebrauch nicht, sondern auch nicht einmal ihre Kenntniß nöthig sey. Vielmehr hat sie und ihre Kenntniß allerdings, in der systematischen Theologie, wenn sie nur gehörig erklärt, und mit Weisheit gebraucht wird, sehr große Vortheile, die ganz verlohren gehen würden, wenn man sie abschaffen wollte. Sie ist 1) einmal da, und nicht nur in vielen, ja gerade in den gründlichsten, theologischen Schriften, sondern auch selbst in öffentlichen Bekenntniß- und Lehrbüchern eingeführt, die man also ohne die Kenntniß dieser Sprache nicht verstehen, vielweniger beurtheilen kan. Und wenn man sich über seine Unbekanntschaft mit ihr damit trösten will, daß solche Schriften nicht brauchten gelesen zu werden, und bald nur noch zur Geschichte der Lehre nöthig seyn würden: so überlegt man nicht, daß doch symbolische Schriften nicht so nach eignem Gutbefinden können bey Seite gelegt werden, oder dem Lehrer, der sich zu einer gewissen Kirche bekennt, unbekannt oder unverständlich bleiben |b252| dürfen; daß mit Wegschaffung der in der Schulsprache geschriebnen Schriften ein großer Schatz von Kenntnissen und Bestimmungen würde verlohren gehen; daß die Kenntniß der Schulsprache doch immer unentbehrlich bleibe, wenigstens theologische Streitigkeiten und Irrthümer ganzer Kirchen zu verstehen und zu beurtheilen.

172.

Indessen mag dieses der kleinste Vortheil seyn, den wenigstens die historische Kenntniß der theologischen Schulsprache mit sich führt; aber selbst der Gebrauch dieser Sprache ist sehr nützlich. Denn 2) lassen sich manche Begriffe gar nicht, oder doch nicht so kurz ausdrucken, als durch Hülfe dieser Sprache †) ; und die reichhaltige Kürze kommt doch nicht nur dem Gedächtniß zu Hülfe, und befördert die leichtere Uebersicht der großen Menge von Sachen, sondern sie befördert auch die Schnelligkeit im Denken, und führt auf neue Begriffe. 3) Hauptsächlich ist sie zu der so unschätzbaren Bestimmtheit der Begriffe, wenigstens da unentbehrlich, wo Bestimmtheit mit Kürze vereinigt werden soll. Sie hebt die Zweydeutigkeit der Begriffe und Sätze, die der Grund des Mißverstandes und der daher entstehenden Streitigkeiten ist; und wenn alles dies durch die gelehrte Sprache sogar zum voraus kan verhütet werden , wie viele unnütze Untersuchungen und Zweifel erspart sie uns? aus wie vielerley Verwirrung hilft sie, welche die |b253| Quelle aller Ungewißheit ist? *) 4) Sie befördert selbst die Einsicht des Zusammenhangs der Lehren, und giebt ihnen ein gewisses Licht und eine Stärke, die sie ohne diese Sprache würde entbehren müssen. **) Indessen mag dieses der kleinste Vortheil seyn, den wenigstens die historische Kenntniß der theologischen Schulsprache mit sich führt; aber selbst der Gebrauch dieser Sprache ist sehr nützlich. Denn 2) lassen sich manche Begriffe gar nicht, oder doch nicht so kurz ausdrucken, als durch Hülfe dieser Sprache †) ; und die reichhaltige Kürze kommt doch nicht nur dem Gedächtniß zu Hülfe, und befördert die leichtere Uebersicht der großen Menge von Sachen, sondern sie befördert auch die Schnelligkeit im Denken, und führt auf neue Begriffe. 3) Hauptsächlich ist sie zu der so unschätzbaren Bestimmtheit der Begriffe, wenigstens da unentbehrlich, wo Bestimmtheit mit Kürze vereinigt werden soll. Sie hebt die Zweydeutigkeit der Begriffe und Sätze, die der Grund des Mißverstandes und der daher entstehenden Streitigkeiten ist; und wenn alles dies durch die gelehrte Sprache sogar zum voraus kan verhütet werden , wie viele unnütze Untersuchungen und Zweifel erspart sie uns? aus wie vielerley Verwirrung hilft sie, welche die |b253| Quelle aller Ungewißheit ist? *) 4) Sie befördert selbst die Einsicht des Zusammenhangs der Lehren, und giebt ihnen ein gewisses Licht und eine Stärke, die sie ohne diese Sprache würde entbehren müssen. **)
†) Bey den so schwierigen Fragen, z. B. von Mitwirkung Gottes bey sündlichen Handlungen; von den Absichten, die Gott hat, und nicht erreicht; von der Seligkeit derer, die keine Gelegenheit zur Erkenntniß des Christenthums gehabt haben; welche Fragen mit Gottes Heiligkeit und Weisheit, und mit der Nothwendigkeit des Glaubens an Christum, worauf die heilige Schrift dringt, so sehr in Widerspruch zu stehen scheinen, giebt der Unterschied zwischen dem Materiellen und Formellen der freyen Handlungen, dem voluntate absoluta und inabsoluta Dei, dem ausdrücklichen und unentwickelten Glauben, sehr kurze und bestimmte Entscheidung.
*) Man weiß, welche Unbestimmtheit und Zweydeutigkeit in der gemeinen Sprache liegt, und wie oft an den Ausdrücken derselben Nebenbegriffe hängen, die mit derselben in die Erkenntniß der Religion übergehen, und Irrthümer verursachen (Theil 1 §. 61 ), oder doch von dem festen Gesichtspunct bey einer Untersuchung ableiten, und auf Nebensachen führen, welchem Fehler man alsdann nur durch eine bestimmtere Sprache zuvorkommen kan. – Freylich mag diese Sprache bisweilen zarten Ohren widrig klingen, und dann stehts bey jedem, sie durch besser gewählte Ausdrücke harmonischer zu |b254| machen. Sonst aber ist nicht abzusehen, warum man die Ausdrücke von fide quae und fide qua, von der Rechtfertigung durch den Glauben correlatiue ad Christum, von der Rechtfertigung im medicinischen und juristischen Verstande, mißbilligen will, wenn man die dadurch ausgedruckte Sache versteht, und sie selbst nicht mißbilligt. – Selbst durch bestimmte Ausdrücke und Erklärungen der biblischen Begriffe wird die Abhandlung der Sachen ungemein abgekürzt, und unnöthige Untersuchung verhütet; wie man aus Vergleichung dererjenigen Lehrbücher sehen kan, die aus der Lehre von den sogenannten drey Aemtern Christi, von Erleuchtung, Bekehrung, Buße, Wiedergeburt, Heiligung, mystischer Vereinigung u. d. gl. besondre Artikel machen, wenn man sie mit andern vergleicht, wo sie zusammengenommen sind, weil man fand, daß ein und dieselbe Sache nur durch verschiedne Tropen ausgedruckt war, die alle durch Einen bestimmten Ausdruck vereinigt werden.
**) So wird man schwerlich den Zusammenhang zwischen Gottes höchster Seligkeit, Gütigkeit, Heiligkeit und Gerechtigkeit, wenigstens schwerlich ohne Weitläufigkeit, populär zeigen können. Aber man nehme die vorher wohl erklärte Terminologie vom bono physico und morali zu Hülfe, und denke sich die Sache so: Gott will allezeit was bonum (oder vielmehr optimum) ist, bey sich und bey Andern, das bonum aber ist entweder physicum oder morale; folglich will Gott aufs höchste 1) das bonum physicum bey sich, 2) das bonum mo|b255|rale bey sich, 3) das bonum physicum bey Andern, und 4) das bonum morale bey Andern (es versteht sich, die dessen fähig sind). Was ist das erste anders, als die höchste Seligkeit, das zweyte die höchste Heiligkeit, das dritte die höchste Gütigkeit, das vierte die höchste Gerechtigkeit? So fällt der Unterschied dieser Eigenschaften, der nothwendige Zusammenhang unter ihnen, und zugleich der wichtige Umstand in die Augen, daß Gottes Gerechtigkeit nichts anders als seine höchste Gütigkeit sey, so fern sie das bonum morale bey freyen Geschöpfen als Mittel zu deren bono physico will. Wenn auch nichts als dieser allein würdige Begriff von Gottes Gerechtigkeit durch diese Terminologie gewonnen würde: zu wie viel herrlichen Folgen würde diese führen, sowohl uns über unser Schicksal zu beruhigen, als uns Gottes Gesetze werth, und uns zu ihrer Befolgung willig zu machen? welches bey dem gewöhnlichern Begriff von Gottes Gerechtigkeit, die man als abgesondert von der Liebe, oder als ihr entgegengesetzt denkt, gar nicht zu erhalten ist.

173.

Die Beschwerden, welche man schon längst gegen den Gebrauch der gelehrteren Sprache in der Theologie, wie gegen den gelehrteren Vortrag des Christenthums überhaupt, erhoben hat, rührten freylich wohl am meisten von der Besorgniß her, daß dadurch das Christenthum zu sehr eine Sache des Verstandes, und zu wenig Sache des Herzens werden möchte; ob man gleich |b256| von der Billigkeit dieser Gegner erwarten kan, daß sie würden milder geurtheilt haben , wenn sie mehr Bekanntschaft mit der Gelehrsamkeit, sonderlich der Philosophie, und ihrem Werth, gehabt, mehr diese gelehrte Sprache und die dadurch bezeichneten Sachen verstanden, mehr, aus eigner Uebung im Nachdenken über die Lehren des Christenthums und ihre Verbindung unter einander, die großen Vortheile der philosophischen Behandlung dieser Lehren, auch in Absicht auf den Ausdruck, gekannt hätten. Diese letzteren Ursachen, nebst dem Gefühl der Unschicklichkeit des Gebrauchs dieser Sprache und Lehrart in jeder Art des Vortrags, auch vor den Ungelehrten, mögen wohl bey Andern die Beschwerden darüber veranlaßt haben, und diese Klagen mußten nothwendig mehr Eindruck machen, nachdem man hauptsächlich zu unsrer Zeit angefangen hatte, die Nothwendigkeit einer Absonderung des gelehrten und gemeinen Vortrags bey dem Christenthum einzusehen.Die Beschwerden, welche man schon längst gegen den Gebrauch der gelehrteren Sprache in der Theologie, wie gegen den gelehrteren Vortrag des Christenthums überhaupt, erhoben hat, rührten freylich wohl am meisten von der Besorgniß her, daß dadurch das Christenthum zu sehr eine Sache des Verstandes, und zu wenig Sache des Herzens werden möchte; ob man gleich |b256| von der Billigkeit dieser Gegner erwarten kan, daß sie würden milder geurtheilt haben , wenn sie mehr Bekanntschaft mit der Gelehrsamkeit, sonderlich der Philosophie, und ihrem Werth, gehabt, mehr diese gelehrte Sprache und die dadurch bezeichneten Sachen verstanden, mehr, aus eigner Uebung im Nachdenken über die Lehren des Christenthums und ihre Verbindung unter einander, die großen Vortheile der philosophischen Behandlung dieser Lehren, auch in Absicht auf den Ausdruck, gekannt hätten. Diese letzteren Ursachen, nebst dem Gefühl der Unschicklichkeit des Gebrauchs dieser Sprache und Lehrart in jeder Art des Vortrags, auch vor den Ungelehrten, mögen wohl bey Andern die Beschwerden darüber veranlaßt haben, und diese Klagen mußten nothwendig mehr Eindruck machen, nachdem man hauptsächlich zu unsrer Zeit angefangen hatte, die Nothwendigkeit einer Absonderung des gelehrten und gemeinen Vortrags bey dem Christenthum einzusehen.
Die Vernachläßigung des Volksunterrichts überhaupt; die bald unter den Christen eingerissene Gewohnheit, das Volk mehr durch Ansehn der Kirche, als durch verständliche Lehren und durch Ueberzeugung, zu regieren; und der größre Werth, den man, auch sehr frühzeitig unter Christen, auf Beobachtung äusserlicher Disciplin, mehr als auf wirkliche Erkenntniß des Christenthums, gelegt, mögen wohl am längsten, die Nothwendigkeit dieses Unterschieds einzusehen, verhindert haben. Da nun |b257| vollends das Ansehn der Kirche eine gewisse gelehrte Sprache im Christenthum geweyht, und auf die Nothwendigkeit, diese geweyheten Ausdrücke beyzubehalten, eben so sehr, als auf den rechten Glauben selbst, gedrungen hatte: wie schwer mußte es da werden, diese Sprache, selbst wenn sie unbequem, wenn sie am unrechten Ort, bey dem Volk, gebräuchlich war, mit einer schicklichern zu vertauschen?

174.

Diese eingesehene Nothwendigkeit hat den Unterschied zwischen der sogenannten scholastischen, akroamatischen oder gelehrten, und zwischen der populären oder katechetischen Theologie hervorgebracht, welcher auf der Verschiedenheit des Vortrags der Religion beruht. – Jene ist für den Gelehrtern bestimmt. Sie braucht also alle Hülfsmittel der Gelehrsamkeit, die Lehren der heiligen Schrift, als solche, vorzulegen, und sie in einen Zusammenhang zu stellen, in welchem eine der andern noch mehr Licht und Stärke ertheilt. Sie arbeitet ganz eigentlich für den Verstand und für Deutlichkeit und Gründlichkeit der Erkenntniß, um durch eine solche Art der Ueberzeugung aufs Herz zu wirken. Sie erfordert deswegen auch eine strengere Lehrart, eine bestimmtere Sprache, und Untersuchungen, die zur weitern Aufklärung der Religion für den scharfsinnigern Denker gehören. – Diese hingegen, weil sie für den Ungelehrtern bestimmt ist, übergeht alles, was ohne gelehrte Kenntniß nicht be|b258|greiflich gemacht werden kan; schränkt sich bloß darauf ein, aus den deutlichen Stellen der heiligen Schrift die Lehren vorzustellen, sie mehr aus der Erfahrung und aus Sätzen, die der gemeine Menschenverstand begreifen kan, als durch scharfsinnige Beweise und Erläuterungen einleuchtend zu machen, und, wo sie etwas nicht ohne alle Gelehrsamkeit deutlich machen kan, legt sie mehr das Resultat gelehrter Untersuchungen vor, als daß sie dergleichen selbst vor denen, die sie unterrichtet, anstellen sollte. Ihr Hauptzweck ist Fasslichkeit, und kan sie deutliche Vorstellungen der Lehren nicht fasslich machen: so begnügt sie sich, für die Einbildungskraft und den gemeinen Menschenverstand zu arbeiten, und dadurch den Lehren Eindruck aufs Herz zu geben. Sie enthält sich daher eben sowohl der gelehrtern Sprache, als aller Untersuchungen, die nicht nothwendig sind, um die Wahrheit und den Einfluß der Lehren auf die menschliche Glückseligkeit, auf die gedachte Art einleuchtend zu machen, und Zweifeln zuvor zu kommen, oder sie zu heben, auf die auch der nachdenkende Ungelehrte leicht gerathen kan. Kurz, beyde Arten der Theologie sind nach ihrem Zweck verschieden, und nach der darnach sich richtenden Wahl der Sachen und der Art sie vorzutragen.Diese eingesehene Nothwendigkeit hat den Unterschied zwischen der sogenannten scholastischen, akroamatischen oder gelehrten, und zwischen der populären oder katechetischen Theologie hervorgebracht, welcher auf der Verschiedenheit des Vortrags der Religion beruht. – Jene ist für den Gelehrtern bestimmt. Sie braucht also alle Hülfsmittel der Gelehrsamkeit, die Lehren der heiligen Schrift, als solche, vorzulegen, und sie in einen Zusammenhang zu stellen, in welchem eine der andern noch mehr Licht und Stärke ertheilt. Sie arbeitet ganz eigentlich für den Verstand und für Deutlichkeit und Gründlichkeit der Erkenntniß, um durch eine solche Art der Ueberzeugung aufs Herz zu wirken. Sie erfordert deswegen auch eine strengere Lehrart, eine bestimmtere Sprache, und Untersuchungen, die zur weitern Aufklärung der Religion für den scharfsinnigern Denker gehören. – Diese hingegen, weil sie für den Ungelehrtern bestimmt ist, übergeht alles, was ohne gelehrte Kenntniß nicht be|b258|greiflich gemacht werden kan; schränkt sich bloß darauf ein, aus den deutlichen Stellen der heiligen Schrift die Lehren vorzustellen, sie mehr aus der Erfahrung und aus Sätzen, die der gemeine Menschenverstand begreifen kan, als durch scharfsinnige Beweise und Erläuterungen einleuchtend zu machen, und, wo sie etwas nicht ohne alle Gelehrsamkeit deutlich machen kan, legt sie mehr das Resultat gelehrter Untersuchungen vor, als daß sie dergleichen selbst vor denen, die sie unterrichtet, anstellen sollte. Ihr Hauptzweck ist Fasslichkeit, und kan sie deutliche Vorstellungen der Lehren nicht fasslich machen: so begnügt sie sich, für die Einbildungskraft und den gemeinen Menschenverstand zu arbeiten, und dadurch den Lehren Eindruck aufs Herz zu geben. Sie enthält sich daher eben sowohl der gelehrtern Sprache, als aller Untersuchungen, die nicht nothwendig sind, um die Wahrheit und den Einfluß der Lehren auf die menschliche Glückseligkeit, auf die gedachte Art einleuchtend zu machen, und Zweifeln zuvor zu kommen, oder sie zu heben, auf die auch der nachdenkende Ungelehrte leicht gerathen kan. Kurz, beyde Arten der Theologie sind nach ihrem Zweck verschieden, und nach der darnach sich richtenden Wahl der Sachen und der Art sie vorzutragen.
Anm. 1. So, scheint es, könnte man die Gränzen am richtigsten bestimmen; ob sie gleich gemeiniglich nicht ganz, weder im mündlichen noch schriftlichen Vortrage beobachtet werden, auch es nicht immer |b259| können, weil man bey beyderley Vortrag sehr oft Leser und Zuhörer von überaus verschiednen Fähigkeiten und Kenntnissen in Absicht auf Gelehrsamkeit hat. Doch noch eher kan man sich in Schriften eine gewisse Classe von Lesern denken, für die man arbeiten will, und, da man unter den sehr weit ausgedehnten Namen der Ungelehrten eben sowohl Leser von ganz gemeinen Fähigkeiten, als solche begreifen kan, die höhere Fähigkeiten, und die sie, wo nicht durch hieher gehörige Lectüre, doch durch Nachdenken und Uebung in scharfsinnigen Untersuchungen, gebildet haben: so ist es sehr gut, für beyderley Arten von sogenannten Ungelehrten durch besondre, nach ihren verschiednen Bedürfnissen eingerichtete, Schriften zu sorgen. Man findet die besten in der Anweisung zur Kenntniß der besten theologischen Bücher §. 228–230. erwähnt. Zu der letztern Art gehören vorzüglich: das Handbuch der Religion von Joh. Aug. Hermes, zweyte vermehrte Ausgabe, Berlin 1780 in zwey Bänden in gr. 8.; und Johann Christoph Döderleins christlicher Religionsunterricht nach den Bedürfnissen unsrer Zeit, wovon zu Nürnberg 1785–1791 zeither erst fünf Theile in 8. erschienen sind; so wie Joh. Jak. Griesbachs Anleitung zum Studium der populären Dogmatik, zweyte Ausgabe Jena 1786 in gr. 8., zwar die rechte Wahl zwischen gelehrter und populärer Theologie lehren soll, zugleich aber wirkliche Darstellung der populären Dogmatik ist.
Anm. 2. Der Name der scholastischen Theologie ist daher entstanden, daß die Scholastiker der mit|b260|lern Zeit vorzüglich diese Vortragsart in Vorstellung der Theologie gebraucht haben; und der Name der akroamatischen (eigentlich akroatischen) ist aus der Schule des Aristoteles entlehnt; s. Gellii noctes Att. XX, 5. Katechetische Theologie ist nicht mit der Katechetik, oder der Anweisung zu dergleichen Vortrage, zu verwechseln.

175.

Es ist ganz unnütz, über den Vorzug der einen Art vor der andern streiten zu wollen, welches Niemand in den Sinn kommen kan, der den wahren Zweck beyder Arten kennt, und nicht aus Unwissenheit, aus Verwechslung zufälliger und nothwendiger Fehler, oder aus Vorliebe zu Einer Art, die seinen Fähigkeiten und Umständen angemessener ist, gegen die Vortheile der andern ungerecht wird. Die populäre Theologie ist unstreitig gemeinnütziger, und für die allermeisten zuträglicher; es ist auch nichts weniger als leicht, sich selbst zu den gemeinsten Fähigkeiten herabzulaßen; es muß dem noch schwerer werden, der sich bey Treibung der Wissenschaften an die gelehrtere Art gewöhnt hat. Daher bleibt es eine sehr wichtige Pflicht für den künftigen Lehrer des Volks, sich ja mit dem ersinnlichsten Fleiß zu üben, um diese wirklich seltne Fertigkeit zu erlangen, sich die Lehren der Religion so zu denken, und sie so vorzutragen, wie es der Zweck der populären Theologie erfordert.Es ist ganz unnütz, über den Vorzug der einen Art vor der andern streiten zu wollen, welches Niemand in den Sinn kommen kan, der den wahren Zweck beyder Arten kennt, und nicht aus Unwissenheit, aus Verwechslung zufälliger und nothwendiger Fehler, oder aus Vorliebe zu Einer Art, die seinen Fähigkeiten und Umständen angemessener ist, gegen die Vortheile der andern ungerecht wird. Die populäre Theologie ist unstreitig gemeinnütziger, und für die allermeisten zuträglicher; es ist auch nichts weniger als leicht, sich selbst zu den gemeinsten Fähigkeiten herabzulaßen; es muß dem noch schwerer werden, der sich bey Treibung der Wissenschaften an die gelehrtere Art gewöhnt hat. Daher bleibt es eine sehr wichtige Pflicht für den künftigen Lehrer des Volks, sich ja mit dem ersinnlichsten Fleiß zu üben, um diese wirklich seltne Fertigkeit zu erlangen, sich die Lehren der Religion so zu denken, und sie so vorzutragen, wie es der Zweck der populären Theologie erfordert.

|b261| 176.

Auf der andern Seite ist die scholastische, so wie sie vorhin beschrieben wurde (§. 174 ), in ihrer Art eben so nothwendig, erstlich, weil es eben sowohl scharfsinnige Köpfe giebt, die anders als durch eigentlich deutliche Gründe nicht können befriedigt, und gegen Zweifel bewaffnet, oder davon befreyet werden, die auch nicht auf menschliches Ansehen und bloße Versicherung glauben, so lange die Natur der Sache erlaubt, deutliche Gründe für solche Versicherungen anzugeben; hernach, weil eine recht überzeugende Kenntniß vom Christenthum doch nicht ohne alle gelehrte Kenntnisse möglich ist. †) Auf der andern Seite ist die scholastische, so wie sie vorhin beschrieben wurde (§. 174 ), in ihrer Art eben so nothwendig, erstlich, weil es eben sowohl scharfsinnige Köpfe giebt, die anders als durch eigentlich deutliche Gründe nicht können befriedigt, und gegen Zweifel bewaffnet, oder davon befreyet werden, die auch nicht auf menschliches Ansehen und bloße Versicherung glauben, so lange die Natur der Sache erlaubt, deutliche Gründe für solche Versicherungen anzugeben; hernach, weil eine recht überzeugende Kenntniß vom Christenthum doch nicht ohne alle gelehrte Kenntnisse möglich ist. †)
†) Schon zur eignen Ueberzeugung, daß 1) etwas der heiligen Schrift gemäß sey, gehört Kenntniß ihres Sinnes; und Ueberzeugung von dessen Richtigkeit erfordert Sprach- und andere gelehrte Kenntnisse. 2) Eben so kan ohne alle Kenntniß von Geschichte und Philosophie nicht die Glaubwürdigkeit und Göttlichkeit der heiligen Schrift oder ihres Inhalts überzeugend und zur Wegräumung aller Zweifel dagegen eingesehen werden. Und ist jemand 3) in solchen Umständen, wo er Religionsvorstellungen verschiedner Menschen oder Parteyen vergleichen muß, z. B. wenn er Religionsschriften von verschieden Denkenden gelesen hat, oder unter Leuten lebt, die ihn durch scheinbare Gründe zu ihrer Partey zu bringen suchen: so kan er wenigstens ohne alle historische Kenntnisse schwerlich, was das Beste sey, beurtheilen. – Wahr ists, wer |b262| sich geradezu an die wesentlichen Lehren des Christenthums hält, und sie durch die Erfahrung zu seiner Besserung und Gemüthsruhe bewähret findet, kan immer sicher genug seyn, daß er in der Hauptsache nicht fehlen werde; und was er ja von gelehrten Kenntnissen braucht, kan er bey Gelehrtern erfragen, wo alsdann der nothwendige Glaube an ihre Einsicht die Stelle des Beweises und der eignen Ueberzeugung vertritt. Allein erstlich ist es doch ganz etwas anders, wenn ich wovon überzeugt, d. i. aus eigner Kenntniß und Untersuchung davon gewiß bin, und wenn ich etwas auf Glauben an dasjenige annehme, was andre Menschen wissen, oder zu wissen meinen; und es kan Fälle geben, wo mir ein Satz so wichtig ist, und Zweifel dagegen so stark sind, daß ich mich damit nicht begnügen kan, auf bloßen Credit anderer Menschen zu bauen, zumahl wenn diese ganz verschiedne Einsichten äussern, und ihr Ansehn in solchen Sachen bey mir gleich ist. Hernach ist zwar jener Weg der Erfahrung vollkommen sicher (Joh. 7, 17) in solchen Sachen, welche durch die Erfahrung können erkannt und dadurch bestätigt werden, auch hinlänglich, wenn man bloß auf die Hauptsache des Christenthums sieht. Aber wie, wenn die Frage von Dingen ist, wo Erfahrung nichts entscheiden kan, z. B. über die Glaubwürdigkeit der Evangelisten, und die Aechtheit der biblischen Bücher? oder, wo mir zu meiner besondern Ueberzeugung, und sonderlich bey sehr scheinbaren Zweifeln, daran viel liegt, auch von gewissen Lehren überzeugt zu werden, die eigentlich zur Hauptsache des Christenthums nicht gehören?

|b263| 177.

Für solche zu schärferem Nachdenken aufgelegte, daher auch mehr dem Zweifeln ausgesetzte, zumahl durch gelehrte Lectüre gebildete, oder in Verlegenheit gesetzte Christen, ist gelehrte Kenntniß des Christenthums, und desjenigen, was dazu gehört, sehr nützlich, ja unter gewissen (am Ende der Anmerkung zum vorigen §. gemeldeten) Umständen sogar eigentliches Bedürfniß. Ein Lehrer der Religion aber bedarf dieser gelehrteren Kenntniß eben so sehr, und überhaupt noch mehr, als andre Christen. Denn wenn er, nach seinem Beruf, für andre denken, und untersuchen, und denen, die ihm anvertrauet sind, in aller Verlegenheit, welche die Religion angeht, zu Hülfe kommen soll: so kan er, in Absicht auf nachdenkende und untersuchende Christen, solche Kenntnisse schlechterdings nicht entbehren, und, wenn sie nicht durch blinden Glauben geleitet werden sollen oder können, so muß er ihnen deutliche Rechenschaft geben, oder, wo er diese ihnen nicht geben kan, weil es ihnen an Fähigkeiten oder gelehrten Vorerkenntnissen mangelt, so muß er wenigstens sich alles nöthige Vertrauen auf seine vollkommnere Einsichten erwerben, damit dieses Vertrauen bey ihnen den Abgang der Ueberzeugung ersetzen könne; wie kan er sich aber dieses bey Verständigern erwerben, wenn er nur eine gemeine Erkenntniß der Religion hat? – Bedürft' er aber auch dazu der gelehrten Kenntniß nicht: so hätte er sie zu seiner eignen Ueberzeu|b264|gung nöthig, wozu er viel mehreres und es viel gründlicher wissen muß, als er es zum bloßen Vortrag vor Andern nöthig hat. Es ist daher die Pflicht eines jeden gewissenhaften Lehrers der Religion, der sich selbst und Andern ein Genüge thun will, sich mit der gelehrtern Theologie bekannt zu machen, und sich durch alle ihm mögliche Hülfsmittel auch auf eine gelehrte Art von der Religion zu überzeugen; er müßte denn so wenig natürliche Fähigkeiten dazu haben, daß er sich dergleichen Kenntnisse nicht erwerben könnte, oder gewiß seyn, er würde bloß mit Zuhörern von ganz gemeinen Fähigkeiten zu thun haben, daß er sie nicht zu erwerben brauchte. Dieses ist nicht zu erwarten, und jenes nicht zu wünschen; auch würde es ihm keinen Beruf geben, einen Lehrer vorstellen zu wollen, ausser bey bloß einfältigen und alles mit blinden Glauben annehmenden Zuhörern, und nur dann, wo keine geschicktere Lehrer, als er selbst, vorhanden wären.Für solche zu schärferem Nachdenken aufgelegte, daher auch mehr dem Zweifeln ausgesetzte, zumahl durch gelehrte Lectüre gebildete, oder in Verlegenheit gesetzte Christen, ist gelehrte Kenntniß des Christenthums, und desjenigen, was dazu gehört, sehr nützlich, ja unter gewissen (am Ende der Anmerkung zum vorigen §. gemeldeten) Umständen sogar eigentliches Bedürfniß. Ein Lehrer der Religion aber bedarf dieser gelehrteren Kenntniß eben so sehr, und überhaupt noch mehr, als andre Christen. Denn wenn er, nach seinem Beruf, für andre denken, und untersuchen, und denen, die ihm anvertrauet sind, in aller Verlegenheit, welche die Religion angeht, zu Hülfe kommen soll: so kan er, in Absicht auf nachdenkende und untersuchende Christen, solche Kenntnisse schlechterdings nicht entbehren, und, wenn sie nicht durch blinden Glauben geleitet werden sollen oder können, so muß er ihnen deutliche Rechenschaft geben, oder, wo er diese ihnen nicht geben kan, weil es ihnen an Fähigkeiten oder gelehrten Vorerkenntnissen mangelt, so muß er wenigstens sich alles nöthige Vertrauen auf seine vollkommnere Einsichten erwerben, damit dieses Vertrauen bey ihnen den Abgang der Ueberzeugung ersetzen könne; wie kan er sich aber dieses bey Verständigern erwerben, wenn er nur eine gemeine Erkenntniß der Religion hat? – Bedürft' er aber auch dazu der gelehrten Kenntniß nicht: so hätte er sie zu seiner eignen Ueberzeu|b264|gung nöthig, wozu er viel mehreres und es viel gründlicher wissen muß, als er es zum bloßen Vortrag vor Andern nöthig hat. Es ist daher die Pflicht eines jeden gewissenhaften Lehrers der Religion, der sich selbst und Andern ein Genüge thun will, sich mit der gelehrtern Theologie bekannt zu machen, und sich durch alle ihm mögliche Hülfsmittel auch auf eine gelehrte Art von der Religion zu überzeugen; er müßte denn so wenig natürliche Fähigkeiten dazu haben, daß er sich dergleichen Kenntnisse nicht erwerben könnte, oder gewiß seyn, er würde bloß mit Zuhörern von ganz gemeinen Fähigkeiten zu thun haben, daß er sie nicht zu erwerben brauchte. Dieses ist nicht zu erwarten, und jenes nicht zu wünschen; auch würde es ihm keinen Beruf geben, einen Lehrer vorstellen zu wollen, ausser bey bloß einfältigen und alles mit blinden Glauben annehmenden Zuhörern, und nur dann, wo keine geschicktere Lehrer, als er selbst, vorhanden wären.
Anm. Nach dem, was hier gesagt ist, bedarf es keiner Widerlegung der Ausflucht: daß der Lehrer nur Volkslehrer seyn dürfe, nur Religion und nicht Theologie vorzutragen, und überall keine Gelehrsamkeit auf die Kanzel zu bringen habe; zumal wenn man das vergleicht, was darüber schon anderwärts, sonderlich Theil 1. §. 33 40. Theil 2. §. 8 f. und 138 f. gesagt worden ist. – Uebrigens versteht sichs von selbst, wenn man den angegebnen Zweck erwegt, warum man sich mit dieser gelehrten Theologie bekannt machen müsse, |b265| daß man sie nicht in ihrem weitesten Umfang zu lernen brauche, der ohnehin ins Unendliche geht, weil immer neue Fragen können aufgeworfen , und darüber immer vielerley Meinungen seyn, und vielerley Erläuterungen Statt finden werden. Es ist genug, so viel von dieser gelehrten Theologie zu wissen, als zur gründlichen Ueberzeugung seiner selbst und Andrer in solchen Sachen dient, die das praktische Christenthum (§. 169 Anm.) betreffen, und mit diesem näher zusammenhängen. In Absicht auf Kenntnisse, die erst durch besondere Umstände und individuelle Bedürfnisse nothwendig werden, kan der eigene Fleiß noch immer viel nachholen, wenn man nur erst die nothwendigsten gelehrten Kenntnisse hat, und eine hinlängliche Bücherkenntniß besitzt, um zu wissen, woraus man, bedürfenden Falls, seine Kenntnisse erweitern könne.

178.

Die von einigen immer wieder erneuerten Vorwürfe gegen die gelehrtere Theologie sind überhaupt schon durch das weggeräumt, was bisher für den Nutzen und die Nothwendigkeit der systematischen Theologie und der sogenannten Schulsprache gesagt worden ist (§. 142 f. und §. 171 f.), ob sie gleich noch die ehemaligen und zum Theil manche jetzige Systeme treffen. Wer sie aber gegen gelehrte Theologie überhaupt brauchen, deswegen das Studium derselben widerrathen, und bloß populäre Theologie zu treiben empfehlen wollte, der würde entweder verra|b266|then, daß er die jetzige sich immer mehr ausbreitende Art sie zu behandeln nicht erkennte oder nicht kennen wollte, oder sich, in seinen Beschuldigungen und Forderungen, der Ungerechtigkeit schuldig machen. Denn alle angebliche Fehler der gelehrten Theologie sind entweder bloß zufällig, oder es sind keine Fehler. – Man hat jene in unsrer Zeit schon längst zu bessern angefangen, unnütze Untersuchungen weggelaßen, und wichtigere, nach unsern Zeitbedürfnissen, aufgenommen. Man hat durch bessere Auslegung der heiligen Schrift und durch bestimmtere Erklärungen der Sachen, eine große Menge von Zweifeln und Streitigkeiten abgeschnitten. Man erinnert bey dem, was zur historischen Kenntniß verschiedner Vorstellungen gesagt werden muß, daß es nur zu diesen Zweck gesagt werde, und wie weit es höchstens noch gekannt zu werden verdiene. Man bestimmt bey dem, was allerdings gelehrte Untersuchungen erfordert, wie fern es nöthig, und warum es nicht in den Unterricht des Volks zu bringen, sondern zu seiner eignen Ueberzeugung und zur Befriedigung nachdenkender Christen mit Weisheit zu brauchen sey. Man bedienet sich einer gelehrten Sprache, aber einer verbesserten, und nicht allein der gelehrten Sprache, und nur da, wo sie, nach den oben erwähnten Umständen (§. 172 ) nützlich oder gar nothwendig ist; man hat sogar angefangen, auf Universitäten eine populäre Theologie, ausser der gelehrtern, vorzutragen. Wenn von allem diesen noch nicht genug, noch nicht überall geschehen ist, so ist zu hoffen, daß die Nachwelt |b267| noch mehr thun werde. Was bereits geschehen ist, beweiset doch wenigstens, daß viele, und daß die am meisten auffallende, Fehler nicht von der gelehrten Theologie unzertrennlich sind.Die von einigen immer wieder erneuerten Vorwürfe gegen die gelehrtere Theologie sind überhaupt schon durch das weggeräumt, was bisher für den Nutzen und die Nothwendigkeit der systematischen Theologie und der sogenannten Schulsprache gesagt worden ist (§. 142 f. und §. 171 f.), ob sie gleich noch die ehemaligen und zum Theil manche jetzige Systeme treffen. Wer sie aber gegen gelehrte Theologie überhaupt brauchen, deswegen das Studium derselben widerrathen, und bloß populäre Theologie zu treiben empfehlen wollte, der würde entweder verra|b266|then, daß er die jetzige sich immer mehr ausbreitende Art sie zu behandeln nicht erkennte oder nicht kennen wollte, oder sich, in seinen Beschuldigungen und Forderungen, der Ungerechtigkeit schuldig machen. Denn alle angebliche Fehler der gelehrten Theologie sind entweder bloß zufällig, oder es sind keine Fehler. – Man hat jene in unsrer Zeit schon längst zu bessern angefangen, unnütze Untersuchungen weggelaßen, und wichtigere, nach unsern Zeitbedürfnissen, aufgenommen. Man hat durch bessere Auslegung der heiligen Schrift und durch bestimmtere Erklärungen der Sachen, eine große Menge von Zweifeln und Streitigkeiten abgeschnitten. Man erinnert bey dem, was zur historischen Kenntniß verschiedner Vorstellungen gesagt werden muß, daß es nur zu diesen Zweck gesagt werde, und wie weit es höchstens noch gekannt zu werden verdiene. Man bestimmt bey dem, was allerdings gelehrte Untersuchungen erfordert, wie fern es nöthig, und warum es nicht in den Unterricht des Volks zu bringen, sondern zu seiner eignen Ueberzeugung und zur Befriedigung nachdenkender Christen mit Weisheit zu brauchen sey. Man bedienet sich einer gelehrten Sprache, aber einer verbesserten, und nicht allein der gelehrten Sprache, und nur da, wo sie, nach den oben erwähnten Umständen (§. 172 ) nützlich oder gar nothwendig ist; man hat sogar angefangen, auf Universitäten eine populäre Theologie, ausser der gelehrtern, vorzutragen. Wenn von allem diesen noch nicht genug, noch nicht überall geschehen ist, so ist zu hoffen, daß die Nachwelt |b267| noch mehr thun werde. Was bereits geschehen ist, beweiset doch wenigstens, daß viele, und daß die am meisten auffallende, Fehler nicht von der gelehrten Theologie unzertrennlich sind.

179.

Aber die Gegner der gelehrtern Theologie übertreiben auch oft ihre Forderungen. – Universitäten sind nicht für Schulmeister angelegt, sondern zur Bildung künftiger Gelehrten, und wenn nicht da für Letztre, auch in der Religion, gearbeitet werden soll, wo sollen sie dann gebildet, oder soll gar nur in der Religion für den großen Haufen, nicht eben so sehr für denkendere Christen, gearbeitet werden? – Soll man den Hauptzweck der Wissenschaften, ausgebreitetere Kenntnisse und gründliche Ueberzeugung, bey Seite setzen, um nur für das Volk, das ohnehin nur einen sehr eingeschränkten Unterricht braucht, zu sorgen? bey der Physik nichts vortragen, als was der Kinderlehrer auch den Kindern, der Landprediger dem Landmann sagen kan? bey Erklärung der heiligen Schrift nur auf gemeine Erbauung, nicht auf überzeugende Darstellung ihres Sinnes sehen? den Wißbegierigen, der Unterhaltung für den Verstand sucht, mit den gemeinsten Kenntnissen ermüden? oder den künftigen Lehrer gar die Form und Einkleidung der Sachen vorsagen, daß er nur nachschreiben und nachsprechen dürfe? – Wer so wenig Fähigkeiten hat, und nicht einmal so viel eignen |b268| Fleiß anwendet, daß er den von Andern empfangenen Unterricht nach seiner eignen Art zu denken umändern, vor seine eigne Ueberzeugung bringen, in seine eigne Sprache verwandeln, Andern nach ihren Bedürfnissen mittheilen, und was für Einen, nicht für den Andern gehört, unterscheiden kan, der ist zum Lehrer Andrer verdorben, und wird alles, was man ihm auch vorgesagt hat, niemals mit Weisheit und nach den besondern Bedürfnissen seinen Zuhörern vorzutragen wissen. Hat jemand aber diese Fähigkeit und diese Lust, sich selbst zum Lehrer zu bilden: so gewöhne er sich nur, alles, was er über die Religion hört, immer mit Rücksicht auf seine und Andrer Beruhigung und Besserung, zu betrachten; alsdann wird er bald selbst finden, was dazu etwas beytrage oder nicht, und worauf er sehen müsse, um dem Gelernten Eindruck für Verstand und Herz zu verschaffen; er nutze den Unterricht, den er in der Homiletik und Katechetik haben kan; er lese fleißig wahrhaftig populäre Schriften über die Religion, und lerne ihnen die Art des Vortrags ab; er übe sich in populären Aufsätzen und Vortrag, und laße sie von Verständigern und Geübtern streng beurtheilen. Alsdann hat er gar nicht nöthig, sich die Sachen, von denen er zum Volk reden, oder gar die Einkleidung, vorsagen zu laßen, in der er sie vortragen soll.Aber die Gegner der gelehrtern Theologie übertreiben auch oft ihre Forderungen. – Universitäten sind nicht für Schulmeister angelegt, sondern zur Bildung künftiger Gelehrten, und wenn nicht da für Letztre, auch in der Religion, gearbeitet werden soll, wo sollen sie dann gebildet, oder soll gar nur in der Religion für den großen Haufen, nicht eben so sehr für denkendere Christen, gearbeitet werden? – Soll man den Hauptzweck der Wissenschaften, ausgebreitetere Kenntnisse und gründliche Ueberzeugung, bey Seite setzen, um nur für das Volk, das ohnehin nur einen sehr eingeschränkten Unterricht braucht, zu sorgen? bey der Physik nichts vortragen, als was der Kinderlehrer auch den Kindern, der Landprediger dem Landmann sagen kan? bey Erklärung der heiligen Schrift nur auf gemeine Erbauung, nicht auf überzeugende Darstellung ihres Sinnes sehen? den Wißbegierigen, der Unterhaltung für den Verstand sucht, mit den gemeinsten Kenntnissen ermüden? oder den künftigen Lehrer gar die Form und Einkleidung der Sachen vorsagen, daß er nur nachschreiben und nachsprechen dürfe? – Wer so wenig Fähigkeiten hat, und nicht einmal so viel eignen |b268| Fleiß anwendet, daß er den von Andern empfangenen Unterricht nach seiner eignen Art zu denken umändern, vor seine eigne Ueberzeugung bringen, in seine eigne Sprache verwandeln, Andern nach ihren Bedürfnissen mittheilen, und was für Einen, nicht für den Andern gehört, unterscheiden kan, der ist zum Lehrer Andrer verdorben, und wird alles, was man ihm auch vorgesagt hat, niemals mit Weisheit und nach den besondern Bedürfnissen seinen Zuhörern vorzutragen wissen. Hat jemand aber diese Fähigkeit und diese Lust, sich selbst zum Lehrer zu bilden: so gewöhne er sich nur, alles, was er über die Religion hört, immer mit Rücksicht auf seine und Andrer Beruhigung und Besserung, zu betrachten; alsdann wird er bald selbst finden, was dazu etwas beytrage oder nicht, und worauf er sehen müsse, um dem Gelernten Eindruck für Verstand und Herz zu verschaffen; er nutze den Unterricht, den er in der Homiletik und Katechetik haben kan; er lese fleißig wahrhaftig populäre Schriften über die Religion, und lerne ihnen die Art des Vortrags ab; er übe sich in populären Aufsätzen und Vortrag, und laße sie von Verständigern und Geübtern streng beurtheilen. Alsdann hat er gar nicht nöthig, sich die Sachen, von denen er zum Volk reden, oder gar die Einkleidung, vorsagen zu laßen, in der er sie vortragen soll.

180.

Man hat die gelehrte oder vielmehr scholastische Theologie auch noch durch eine andere |b269| Vergleichung um ihr Ansehen zu bringen gesucht, indem man ihr eine sogenannte biblische entgegen gestellt hat. So schwankend die Begriffe von einer solchen biblischen Theologie zu seyn scheinen: so kommen doch die, welche sie jener entgegensetzen, darin überein, daß sie die Theologie lediglich wollen aus der Bibel hergeleitet wissen , und es mißbilligen, wenn man in die Theologie Sätze aufnimmt, die nicht in der heiligen Schrift stehen, oder nicht unmittelbar daraus, oder nicht aus bloßer Vergleichung der biblischen Sätze unter einander, fließen. Sie scheinen also unter scholastischer Theologie (oder, wie sie es bisweilen nennen, unter dem System) einen zusammenhängenden Inbegriff der (wahren oder vermeintlichen) Religionskenntnisse zu verstehen, so fern er nicht bloß auf die heilige Schrift, sondern auch auf natürlich bekannte Sätze gegründet wird. Die Abneigung von derselben scheint darauf zu beruhen, daß doch die heilige Schrift allein uns sichere Kenntniß von dem Christenthum gebe; daß die Lehren desselben über der Untersuchung natürlich bekannter Wahrheiten, oder daß die biblischen Beweise über den Beweisen aus der Vernunft zu sehr vernachläßigt; daß jene Lehren selbst durch Zusätze oder Erklärungen, über welche die heilige Schrift nichts entscheidet, sehr verstellt, oft wohl gar verdrängt worden; wiewohl auch ein Vorurtheil gegen alles, was Gelehrsamkeit und besonders Philosophie heißt, und die Abneigung von dem System einer besondern Kirche, viel zu dieser Abneigung mit mag beygetragen haben.Man hat die gelehrte oder vielmehr scholastische Theologie auch noch durch eine andere |b269| Vergleichung um ihr Ansehen zu bringen gesucht, indem man ihr eine sogenannte biblische entgegen gestellt hat. So schwankend die Begriffe von einer solchen biblischen Theologie zu seyn scheinen: so kommen doch die, welche sie jener entgegensetzen, darin überein, daß sie die Theologie lediglich wollen aus der Bibel hergeleitet wissen , und es mißbilligen, wenn man in die Theologie Sätze aufnimmt, die nicht in der heiligen Schrift stehen, oder nicht unmittelbar daraus, oder nicht aus bloßer Vergleichung der biblischen Sätze unter einander, fließen. Sie scheinen also unter scholastischer Theologie (oder, wie sie es bisweilen nennen, unter dem System) einen zusammenhängenden Inbegriff der (wahren oder vermeintlichen) Religionskenntnisse zu verstehen, so fern er nicht bloß auf die heilige Schrift, sondern auch auf natürlich bekannte Sätze gegründet wird. Die Abneigung von derselben scheint darauf zu beruhen, daß doch die heilige Schrift allein uns sichere Kenntniß von dem Christenthum gebe; daß die Lehren desselben über der Untersuchung natürlich bekannter Wahrheiten, oder daß die biblischen Beweise über den Beweisen aus der Vernunft zu sehr vernachläßigt; daß jene Lehren selbst durch Zusätze oder Erklärungen, über welche die heilige Schrift nichts entscheidet, sehr verstellt, oft wohl gar verdrängt worden; wiewohl auch ein Vorurtheil gegen alles, was Gelehrsamkeit und besonders Philosophie heißt, und die Abneigung von dem System einer besondern Kirche, viel zu dieser Abneigung mit mag beygetragen haben.

|b270| 181.

Es wird also bey Beurtheilung des Streites über den Vorzug der biblischen vor der scholastischen Theologie auf zwey Fragen ankommen: 1) ob es nothwendig schädlich, wenigstens unnöthig sey, in der Religion, wenigstens bey dem Christenthum, etwas auf natürlich bekannte Wahrheiten zu bauen? und 2) ob und wie fern die so eben erwähnte biblische Theologie jener vorzuziehen sey? Die erste Frage ist für die Unschuld, den Nutzen, und in gewisser Weise Nothwendigkeit der sogenannten scholastischen und überhaupt gelehrten Theologie durch dasjenige hinlänglich entschieden, was darüber §. 138 144. 176 und 177 gesagt worden ist, wo immer mit auf den Gebrauch natürlich bekannter Sätze Rücksicht genommen wurde; und dies kan zugleich die Einschränkungen lehren, unter welchen dieser Gebrauch gewiß nicht bloß unschädlich, sondern auch nothwendig ist[.] Die zweyte Frage läßt sich wohl am besten beantworten, wenn man die verschiednen Vorschläge hört, wie eine solche biblische Theologie beschaffen seyn oder ausgeführt werden soll.Es wird also bey Beurtheilung des Streites über den Vorzug der biblischen vor der scholastischen Theologie auf zwey Fragen ankommen: 1) ob es nothwendig schädlich, wenigstens unnöthig sey, in der Religion, wenigstens bey dem Christenthum, etwas auf natürlich bekannte Wahrheiten zu bauen? und 2) ob und wie fern die so eben erwähnte biblische Theologie jener vorzuziehen sey? Die erste Frage ist für die Unschuld, den Nutzen, und in gewisser Weise Nothwendigkeit der sogenannten scholastischen und überhaupt gelehrten Theologie durch dasjenige hinlänglich entschieden, was darüber §. 138 144. 176 und 177 gesagt worden ist, wo immer mit auf den Gebrauch natürlich bekannter Sätze Rücksicht genommen wurde; und dies kan zugleich die Einschränkungen lehren, unter welchen dieser Gebrauch gewiß nicht bloß unschädlich, sondern auch nothwendig ist[.] Die zweyte Frage läßt sich wohl am besten beantworten, wenn man die verschiednen Vorschläge hört, wie eine solche biblische Theologie beschaffen seyn oder ausgeführt werden soll.

182.

Alle diese Vorschläge scheinen auf zwey hinaus zu laufen. Man empfiehlt entweder eine bloße Sammlung von Stellen der Bibel, die unter gewisse Hauptmaterien gebracht werden möchten, ohne alle Erklärung und nähere Bestimmung ihres Sinnes, so daß es jedem frey bleibe, sich |b271| das dabey zu denken, was ihm das Richtigste zu seyn scheine. Oder man schlägt vor: bey jeder Lehre die davon handelnden Stellen der heiligen Schrift zum Grunde zu legen, sie sorgfältig zu erklären, bloß daraus unmittelbare Folgerungen zu ziehn, diese biblischen Aussprüche mit ihren nothwendigen Folgen unter einander zu vergleichen, und sie durch einander aufzuklären, weiter nicht, als so weit diese Sätze selbst oder deren unmittelbare Folgen leiten, hingegen alle Sätze für problematisch zu halten, die entweder auf Stellen, deren Sinn nicht ganz klar gemacht werden kan, oder auf Folgen beruhen, die nicht nothwendig aus den biblischen Sätzen fließen.Alle diese Vorschläge scheinen auf zwey hinaus zu laufen. Man empfiehlt entweder eine bloße Sammlung von Stellen der Bibel, die unter gewisse Hauptmaterien gebracht werden möchten, ohne alle Erklärung und nähere Bestimmung ihres Sinnes, so daß es jedem frey bleibe, sich |b271| das dabey zu denken, was ihm das Richtigste zu seyn scheine. Oder man schlägt vor: bey jeder Lehre die davon handelnden Stellen der heiligen Schrift zum Grunde zu legen, sie sorgfältig zu erklären, bloß daraus unmittelbare Folgerungen zu ziehn, diese biblischen Aussprüche mit ihren nothwendigen Folgen unter einander zu vergleichen, und sie durch einander aufzuklären, weiter nicht, als so weit diese Sätze selbst oder deren unmittelbare Folgen leiten, hingegen alle Sätze für problematisch zu halten, die entweder auf Stellen, deren Sinn nicht ganz klar gemacht werden kan, oder auf Folgen beruhen, die nicht nothwendig aus den biblischen Sätzen fließen.

183.

Der erstere Vorschlag mag bey Friedensformeln gut seyn, wo man Personen oder Parteyen, die über die Lehren des Christenthums sehr verschieden denken, doch in den nothwendigsten und unstreitigen Lehren vereinigen will; und dieses scheinen diejenigen zu bezwecken, die auf ein sogenanntes Universal- oder Urchristenthum dringen. Aber, ausser dem daß eine solche Sammlung ein bloßes Spruchbuch, und kein Lehrbuch seyn würde, so kan 1) ein jeder eben sowohl ganz falsche als wahre Vorstellungen damit verbinden, wie man aus dem Catechismus der Quäcker, einigen Aufsätzen der Socinianer u. a. weiß; und, wenn es nicht gleichgültig für das Christenthum ist, falsche Vorstellungen davon zu verhüten: so kan |b272| es auch nicht gleichgültig seyn, jedem bloß dergleichen Text in die Hände zu geben. Ueber dieses kan man 2) durch eine solche bloße Sammlung sogar den Lesern Irrthümer in die Hände spielen, wenn man den Text so wählt, daß man das übergeht, was man nicht will zum Christenthum gerechnet haben, und wenn man die Stellen so stellt und verbindet, daß eine auf die andre ein falsches Licht, eben vermittelst des gemachten Zusammenhangs, wirft; nicht zu gedenken, daß 3) wenn nicht vorher ausgemacht ist, ob und welche Sätze der Bibel bloß auf gewisse Leser, z. B. der damaligen Zeit, gehen, oder gar nur Vorstellungen enthalten, die Jesus und seine Apostel mehr stehen ließen als billigten, oder wohl gar aus einem gewissen Sprachgebrauch beybehielten, ohne damit eben dieselben irrigen Begriffe zu verbinden, welche die damaligen Zuhörer damit verbanden, daß alsdann sogar Sätze für biblisch gehalten werden, die zwar in der Bibel stehn, aber keineswegs in dem Sinn, wie sie die Stifter der christlichen Religion nahmen. Es ist daher ein solch reinbiblisches Christenthum, das viele vorgeben, eine sehr zweydeutige Sache; und wie oft durch das Vorgeben, sich allein an die Bibel und an die ganze Bibel zu halten, andern Staub in die Augen gestreuet worden sey, ist so bekannt, daß es keiner besondern Beyspiele bedarf.Der erstere Vorschlag mag bey Friedensformeln gut seyn, wo man Personen oder Parteyen, die über die Lehren des Christenthums sehr verschieden denken, doch in den nothwendigsten und unstreitigen Lehren vereinigen will; und dieses scheinen diejenigen zu bezwecken, die auf ein sogenanntes Universal- oder Urchristenthum dringen. Aber, ausser dem daß eine solche Sammlung ein bloßes Spruchbuch, und kein Lehrbuch seyn würde, so kan 1) ein jeder eben sowohl ganz falsche als wahre Vorstellungen damit verbinden, wie man aus dem Catechismus der Quäcker, einigen Aufsätzen der Socinianer u. a. weiß; und, wenn es nicht gleichgültig für das Christenthum ist, falsche Vorstellungen davon zu verhüten: so kan |b272| es auch nicht gleichgültig seyn, jedem bloß dergleichen Text in die Hände zu geben. Ueber dieses kan man 2) durch eine solche bloße Sammlung sogar den Lesern Irrthümer in die Hände spielen, wenn man den Text so wählt, daß man das übergeht, was man nicht will zum Christenthum gerechnet haben, und wenn man die Stellen so stellt und verbindet, daß eine auf die andre ein falsches Licht, eben vermittelst des gemachten Zusammenhangs, wirft; nicht zu gedenken, daß 3) wenn nicht vorher ausgemacht ist, ob und welche Sätze der Bibel bloß auf gewisse Leser, z. B. der damaligen Zeit, gehen, oder gar nur Vorstellungen enthalten, die Jesus und seine Apostel mehr stehen ließen als billigten, oder wohl gar aus einem gewissen Sprachgebrauch beybehielten, ohne damit eben dieselben irrigen Begriffe zu verbinden, welche die damaligen Zuhörer damit verbanden, daß alsdann sogar Sätze für biblisch gehalten werden, die zwar in der Bibel stehn, aber keineswegs in dem Sinn, wie sie die Stifter der christlichen Religion nahmen. Es ist daher ein solch reinbiblisches Christenthum, das viele vorgeben, eine sehr zweydeutige Sache; und wie oft durch das Vorgeben, sich allein an die Bibel und an die ganze Bibel zu halten, andern Staub in die Augen gestreuet worden sey, ist so bekannt, daß es keiner besondern Beyspiele bedarf.

184.

Die zweyte Art, biblische Theologie abzuhandeln, kommt mit der oben (§. 145 f.) be|b273|schriebenen besten Einrichtung der systematischen, wovon die gelehrte oder scholastische nur eine besondre Art ist, darin überein, daß sie die Lehren auf Erklärung der Schriftstellen und Vergleichung ihres Inhalts unter einander gründet; nur darin geht sie, wenn man sie der scholastischen entgegensetzt, von ihr ab, daß sie nicht auch bloß natürlich bekannte Sätze mit den aus der Bibel gezognen verbindet. *) 1) In jener Rücksicht beruht der Unterschied bloß auf der Methode, so daß die biblische von den Quellen zu den Lehren geht, die daraus fließen; die scholastische aber – wenn sie nach den obigen Regeln eingerichtet ist – gleich die Resultate, und alsdann erst die Beweise aus der Bibel; ob man gleich in der Untersuchung selbst zu jenen durch diese gelangt war. Bey beyderley Methode hat man die Lehren auf einerley Art gefunden, sie werden nur denen Lesern oder Zuhörern in verschiedner Ordnung vorgelegt. Beyderley Methoden haben ihre Vorzüge. Die sogenannte biblische, nicht sowohl darin, daß man dabey viel mehr auf die heilige Schrift sieht, aus ihr lernt, anstatt schon vorgefaßte Meinungen darin erst zu suchen – (denn man kan ja auch schon bey Erklärung der heiligen Schrift auf die Sätze schielen, die man für christliche Lehren hält, und danach, oft unvermerkt, jene erklären –), als vielmehr darin, daß sie den Zuhörern oder Lesern die rechte Art zeigt, wie sie selbst lernen sollen, aus der heiligen Schrift die christlichen Lehren herzuleiten. Aber sie hat die Unbequemlichkeit, a) daß die |b274| Lehren nur aus einzelnen Hauptstellen hergeleitet werden. Diese aber enthalten oft bloß einen meist ohnehin schon bekannten Satz, ohne den geringsten weitern Aufschluß darüber zu geben, sonderlich in moralischen oder solchen Stellen, die keine näher geoffenbarten Lehren vortragen, und, indem man sich an solche einzelne Stellen hält, vergisst man die Aufschlüsse, die uns die Bibel nicht sowohl durch Wörter und ausdrückliche Sätze, als vielmehr durch erzählte Thaten, Einrichtungen des Vortrags, und unangezeigte Voraussetzungen giebt (s. §. 154. Anm. †, und §. 153. Anm. *) Auch führt diese Methode b) zu gar zu großer Weitläuftigkeit. Denn die meiste Zeit wird auf exegetische Untersuchungen verwendet, die man dem Ausleger überlaßen könnte †) , und dadurch wird der Zuhörer, der Resultate sucht, zerstreut; aus mehrern Stellen werden die nehmlichen Sätze wiederholt; und, da bey einzelnen Stellen die darin liegenden Sätze angegeben werden, so wird die allgemeine Uebersicht aller von Einer Sache redenden Stellen erschwert, oder man muß nachher wieder das vorlegen, was sie alle gemein haben, oder was nur einigen eigen ist.Die zweyte Art, biblische Theologie abzuhandeln, kommt mit der oben (§. 145 f.) be|b273|schriebenen besten Einrichtung der systematischen, wovon die gelehrte oder scholastische nur eine besondre Art ist, darin überein, daß sie die Lehren auf Erklärung der Schriftstellen und Vergleichung ihres Inhalts unter einander gründet; nur darin geht sie, wenn man sie der scholastischen entgegensetzt, von ihr ab, daß sie nicht auch bloß natürlich bekannte Sätze mit den aus der Bibel gezognen verbindet. *) 1) In jener Rücksicht beruht der Unterschied bloß auf der Methode, so daß die biblische von den Quellen zu den Lehren geht, die daraus fließen; die scholastische aber – wenn sie nach den obigen Regeln eingerichtet ist – gleich die Resultate, und alsdann erst die Beweise aus der Bibel; ob man gleich in der Untersuchung selbst zu jenen durch diese gelangt war. Bey beyderley Methode hat man die Lehren auf einerley Art gefunden, sie werden nur denen Lesern oder Zuhörern in verschiedner Ordnung vorgelegt. Beyderley Methoden haben ihre Vorzüge. Die sogenannte biblische, nicht sowohl darin, daß man dabey viel mehr auf die heilige Schrift sieht, aus ihr lernt, anstatt schon vorgefaßte Meinungen darin erst zu suchen – (denn man kan ja auch schon bey Erklärung der heiligen Schrift auf die Sätze schielen, die man für christliche Lehren hält, und danach, oft unvermerkt, jene erklären –), als vielmehr darin, daß sie den Zuhörern oder Lesern die rechte Art zeigt, wie sie selbst lernen sollen, aus der heiligen Schrift die christlichen Lehren herzuleiten. Aber sie hat die Unbequemlichkeit, a) daß die |b274| Lehren nur aus einzelnen Hauptstellen hergeleitet werden. Diese aber enthalten oft bloß einen meist ohnehin schon bekannten Satz, ohne den geringsten weitern Aufschluß darüber zu geben, sonderlich in moralischen oder solchen Stellen, die keine näher geoffenbarten Lehren vortragen, und, indem man sich an solche einzelne Stellen hält, vergisst man die Aufschlüsse, die uns die Bibel nicht sowohl durch Wörter und ausdrückliche Sätze, als vielmehr durch erzählte Thaten, Einrichtungen des Vortrags, und unangezeigte Voraussetzungen giebt (s. §. 154. Anm. †, und §. 153. Anm. *) Auch führt diese Methode b) zu gar zu großer Weitläuftigkeit. Denn die meiste Zeit wird auf exegetische Untersuchungen verwendet, die man dem Ausleger überlaßen könnte †) , und dadurch wird der Zuhörer, der Resultate sucht, zerstreut; aus mehrern Stellen werden die nehmlichen Sätze wiederholt; und, da bey einzelnen Stellen die darin liegenden Sätze angegeben werden, so wird die allgemeine Uebersicht aller von Einer Sache redenden Stellen erschwert, oder man muß nachher wieder das vorlegen, was sie alle gemein haben, oder was nur einigen eigen ist.
*) S. die in der Anweisung zur theologischen Bücherkenntniß §. 232 angeführten Schriftsteller. Doch haben diese oft nicht Umgang nehmen können, natürlich bekannte Sätze mit zu brauchen.
†) Wer als bloßer Ausleger handelt, also nur die Absicht hat, den Sinn der Schriftstellen zu finden, |b275| der wird sie im Zusammenhange, wo er sie lieset und erkläret, viel deutlicher verstehen, und den Verstand derselben darstellen können, als wer eine Schriftstelle zum dogmatischen Behuf aushebt, und den Zusammenhang nicht so ganz deutlich machen kan, wie er ihm war, wenn er sie in Verbindung des Ganzen las. Auch hat der bloße Ausleger gar kein dogmatisches Interesse, sieht also, was wirklich in der Stelle liegt, viel reiner und bestimmter, als wer sie in der Absicht lieset, sich daraus über ein Dogma zu unterrichten.

185.

Warum sollen nun aber 2) von der christlichen Theologie alle Sätze und alle Beweise ausgeschlossen werden, die nicht in heiliger Schrift liegen, sondern auch ohne sie bekannt sind? – Vieles, was doch wirklich zur Religion gehört, sonderlich von moralischen Grundsätzen, ist in der Bibel gar nicht eigentlich erwähnt, oder nur berührt, nicht ausgeführt; weil Jesus und seine Apostel es entweder als bekannte Lehre und Pflicht voraussetzten, oder sie sich in ihrem Vortrag nach den vornehmsten Bedürfnissen ihrer Zeit und Zuhörer, mit Uebergehung andrer eben so wichtigen Sachen, richteten, oder weil sie von vernünftigen Zuhörern und Lesern erwarteten, daß sie die ihnen mitgetheilten Kenntnisse (die überhaupt ihren bisherigen Kenntnissen vielmehr eine bessere und heilsamere Richtung geben, als sie mit neuen bereichern sollten), mit denen, welche ihnen vorhin |b276| bekannt waren, oder ohne besondern Unterricht von Jesu den Seinen bekannt werden konnten, vergleichen, und so durch immer neue Anwendung auch auf neue Aufschlüsse kommen würden. Warum soll also dieses Mittel, das Gott jedem vernünftigen Menschen gegeben hat, nicht gebraucht werden, um die mehrere Entwickelung der christlichen Lehre zu befördern? – warum nicht, um sie noch einleuchtender und anschaulicher zu machen, ihre Gewißheit zu verstärken, Zweifel dagegen zu benehmen, ihre vielfältige mögliche Anwendung zu zeigen, und dadurch ihren Werth noch mehr zu empfehlen? – Und wie ist die so wichtige praktische  Darstellung des Christenthums möglich, wenn man bloß biblische Sätze sammlet und verbindet, ohne ihren Einfluß auf unsre Glückseligkeit klar zu machen? – Hat Jesus selbst es nicht für unnöthig gehalten, seinen Zuhörern, was ihnen schon aus dem alten Testament bekannt war, vollständiger vorzulegen, und mehr zu entwickeln (Matth. 5, 17); hat er dabey offenbar die Natur und Bestätigungen daraus zu Hülfe genommen (Matth. 6, 24 f. und anderwärts); haben dies seine Apostel mit dem christl. Unterricht ebenfalls gethan: warum sollen wir sie darin nicht nachahmen? – Haben diese vollends Manches nur für ihre Zuhörer gesagt, und manche allgemeine Pflichten, wegen ihrer besondern Bedürfnisse, nur eingeschränkt (wie Matth. 19, 21): wie können wir bloß aus der heiligen Schrift wissen, ob und wie weit sie für uns gehören? ob eingeschränkt ausgedruckte |b277| Pflichten, und wie sie für uns allgemeine werden können, ohne hier natürlich bekannte Sätze und Betrachtungen über die Natur der Pflichten und der Menschen zu Hülfe zu nehmen.Warum sollen nun aber 2) von der christlichen Theologie alle Sätze und alle Beweise ausgeschlossen werden, die nicht in heiliger Schrift liegen, sondern auch ohne sie bekannt sind? – Vieles, was doch wirklich zur Religion gehört, sonderlich von moralischen Grundsätzen, ist in der Bibel gar nicht eigentlich erwähnt, oder nur berührt, nicht ausgeführt; weil Jesus und seine Apostel es entweder als bekannte Lehre und Pflicht voraussetzten, oder sie sich in ihrem Vortrag nach den vornehmsten Bedürfnissen ihrer Zeit und Zuhörer, mit Uebergehung andrer eben so wichtigen Sachen, richteten, oder weil sie von vernünftigen Zuhörern und Lesern erwarteten, daß sie die ihnen mitgetheilten Kenntnisse (die überhaupt ihren bisherigen Kenntnissen vielmehr eine bessere und heilsamere Richtung geben, als sie mit neuen bereichern sollten), mit denen, welche ihnen vorhin |b276| bekannt waren, oder ohne besondern Unterricht von Jesu den Seinen bekannt werden konnten, vergleichen, und so durch immer neue Anwendung auch auf neue Aufschlüsse kommen würden. Warum soll also dieses Mittel, das Gott jedem vernünftigen Menschen gegeben hat, nicht gebraucht werden, um die mehrere Entwickelung der christlichen Lehre zu befördern? – warum nicht, um sie noch einleuchtender und anschaulicher zu machen, ihre Gewißheit zu verstärken, Zweifel dagegen zu benehmen, ihre vielfältige mögliche Anwendung zu zeigen, und dadurch ihren Werth noch mehr zu empfehlen? – Und wie ist die so wichtige praktische  Darstellung des Christenthums möglich, wenn man bloß biblische Sätze sammlet und verbindet, ohne ihren Einfluß auf unsre Glückseligkeit klar zu machen? – Hat Jesus selbst es nicht für unnöthig gehalten, seinen Zuhörern, was ihnen schon aus dem alten Testament bekannt war, vollständiger vorzulegen, und mehr zu entwickeln (Matth. 5, 17); hat er dabey offenbar die Natur und Bestätigungen daraus zu Hülfe genommen (Matth. 6, 24 f. und anderwärts); haben dies seine Apostel mit dem christl. Unterricht ebenfalls gethan: warum sollen wir sie darin nicht nachahmen? – Haben diese vollends Manches nur für ihre Zuhörer gesagt, und manche allgemeine Pflichten, wegen ihrer besondern Bedürfnisse, nur eingeschränkt (wie Matth. 19, 21): wie können wir bloß aus der heiligen Schrift wissen, ob und wie weit sie für uns gehören? ob eingeschränkt ausgedruckte |b277| Pflichten, und wie sie für uns allgemeine werden können, ohne hier natürlich bekannte Sätze und Betrachtungen über die Natur der Pflichten und der Menschen zu Hülfe zu nehmen.
S. Prüfung der philosophischen Predigten, (von Felix Heß,) 1767. in 8.

186.

Eine andre Eintheilung der systematischen Theologie, nach der man diese sogar in besondre Wissenschaften zerfället hat, ist nach den verschiednen Arten der Lehren gemacht, die darin sollen abgehandelt werden. Sie betreffen entweder das, was das Christenthum für wahr, oder was es für recht erkennt, was es geglaubt, oder was es gethan wissen will. Den zusammenhängenden Inbegriff jener Lehren nennt man die dogmatische, speculative, auch theoretische, und einen solchen Inbegriff dieser, die Moral- oder praktische Theologie, auch theologische Moral. Und weil man bey beyden die Lehren entweder selbst darstellen, beweisen und erläutern, oder falsche Vorstellungen davon und deren Gründe widerlegen kan: so nennt man die Wissenschaft, worin jenes geschieht, auch die dogmatische, die thetische, auch wohl die positive oder didaktische; worin aber dieses geschieht, die antithetische, elenchtische, oder polemische Theologie.Eine andre Eintheilung der systematischen Theologie, nach der man diese sogar in besondre Wissenschaften zerfället hat, ist nach den verschiednen Arten der Lehren gemacht, die darin sollen abgehandelt werden. Sie betreffen entweder das, was das Christenthum für wahr, oder was es für recht erkennt, was es geglaubt, oder was es gethan wissen will. Den zusammenhängenden Inbegriff jener Lehren nennt man die dogmatische, speculative, auch theoretische, und einen solchen Inbegriff dieser, die Moral- oder praktische Theologie, auch theologische Moral. Und weil man bey beyden die Lehren entweder selbst darstellen, beweisen und erläutern, oder falsche Vorstellungen davon und deren Gründe widerlegen kan: so nennt man die Wissenschaft, worin jenes geschieht, auch die dogmatische, die thetische, auch wohl die positive oder didaktische; worin aber dieses geschieht, die antithetische, elenchtische, oder polemische Theologie.
Anm. 1. Diese in der systematischen Theologie gemachte Absonderung ist, wie die Namen selbst, |b278| ein Werk der neuern Zeit. Ehe Abelard in einer Art von System Gebrauch von der Dialektik machte, waren alle Abhandlungen der Theologie überhaupt, anders nichts als Rhapsodien, oder ein Inbegriff von Rubriken, unter die man Sätze über christliche Lehren geschichtet, und sie meistens nur durch kirchliches, zum Theil auch biblisches Ansehn unterstützt hatte. Robert Pulleyn, und noch weit mehr Peter der Lombarde, die der alten Lehrart, durch Autorität zu beweisen, aufhelfen wollten, veranlaßten durch ihre Sentenzen den Gebrauch der Philosophie noch mehr, und wenn die folgenden Systematiker den Titel der Sentenzen oder Summen brauchten, so war doch Philosophie das eigentlich zur Aufklärung der Theologie gebrauchte Mittel, und die Theologie scholastisch, so wie die nach jener alten Methode abgehandelte Theologie den Namen der positiven erhielt. Auch noch die protestantischen Theologen bis gegen das jetzige Jahrhundert brauchten die allgemeinen Namen Loci theologici, Institutiones religionis Christianae oder Theologiae, Systema oder Corpus, Epitome, Compendium oder Breviarium Theol. Seit Bellarmins Dispp. de controversiis Chr. fidei ward es in der römischen Kirche üblich, die Streitigkeiten mehr von der dogmatischen Behandlung abzusondern, und in der zweyten Hälfte des 17ten Jahrhunderts betraten protestantische Theologen eben den Weg. In dieser Zeit fing man auch unter ihnen an, die Moraltheologie besonders abzuhandeln, welches die in der römischen Kirche schon seit dem Anfang des 17ten Jahrhunderts gethan hatten.
|b279| Anm. 2. Warum diese Scheidung nicht eher geschehen sey, davon liegt der Grund wohl darin, daß überall die christl. Moral zu sehr vernachläßigt, und anfänglich bloß Sammlung von asketischen oder Mönchsmaximen war, bis Thomas von Aquino in seiner Summe anfing, ihr einen besondern Theil zu widmen; so wie die ersten protestantischen Systematiker keine andre Abhandlung als nach den 10 Geboten kannten, das Wenige ausgenommen, wozu besondere Streitigkeiten mit der römischen Kirche oder Schwärmern Gelegenheit gegeben hatten. Und da die weitere Cultur der systematischen Theologie durch Streitigkeiten veranlaßt wurde, so war es natürlich, diese anfänglich nicht von der dogmatischen Abhandlung zu trennen.
Anm. 3. Nützlicher ist es allerdings, die dogmatische Theologie von der moralischen zu scheiden, weil diese nur selten Folge von jener ist, und auf einer ganz andern Art von Gründen beruht, zumal nachdem man seit der Mitte des 17ten Jahrhunderts mehr die ersten Grundsätze der Sittenlehre entwickelt, und die Moral überhaupt mehr auf die Natur gebauet hat. – Streitiger kan hingegen der Nutzen von Absonderung der dogmatischen und elenchtischen Theologie seyn, und es scheint überhaupt besser, sie beysammen zu laßen, weil sie doch einerley Gegenstand betreffen, und die Beweise mit den Gegenbeweisen einleuchtender werden, wenn man sie sogleich einander entgegen stellt.

|b280| 187.

Nach dem, was bisher von dem Nutzen der systematischen Theologie, in Absicht auf diese Art die Theologie abzuhandeln, und von ihrer rechten Einrichtung, um diesen Nutzen zu befördern, gesagt worden ist, bedarf es über diese verschiedene Theile derselben keiner Weitläuftigkeit; und die folgenden Anmerkungen über diese einzelnen Wissenschaften sollen sich bloß auf ihren zweckmäßigen Inhalt, den Nutzen, der aus ihrem Inhalt zu ziehen ist, und die wahre Art einschränken, sie mit Vortheil zu studieren.Nach dem, was bisher von dem Nutzen der systematischen Theologie, in Absicht auf diese Art die Theologie abzuhandeln, und von ihrer rechten Einrichtung, um diesen Nutzen zu befördern, gesagt worden ist, bedarf es über diese verschiedene Theile derselben keiner Weitläuftigkeit; und die folgenden Anmerkungen über diese einzelnen Wissenschaften sollen sich bloß auf ihren zweckmäßigen Inhalt, den Nutzen, der aus ihrem Inhalt zu ziehen ist, und die wahre Art einschränken, sie mit Vortheil zu studieren.

188.

Wenn also die dogmatische Theologie oder christliche Glaubenslehre †) noch von den gedachten beyden andern Wissenschaften unterschieden wird: so müßte sie, sollte sie ihrem Zweck (§. 186 ) und dem Zweck der systematischen Theologie entsprechen, 1) alles enthalten, was wir als Christen, abgesehen von den uns aufgelegten Pflichten, in Absicht auf Gott und dessen Verhältniß gegen uns, für wahr zu erkennen haben, es mag zu unsrer Belehrung oder Ermunterung oder Trost dienen, aus der heiligen Schrift oder aus unleugbaren Sätzen der Vernunft erkennbar seyn; 2) die verschiednen, wenigstens wichtigern, Vorstellungen, die man sich von diesen Lehren unter Christen gemacht hat, mit Beurtheilung derselben. Diese Wichtigkeit müßte nach einer doppelten Rücksicht bestimmt werden: erstlich nach |b281| ihrem Einfluß auf die Befestigung der christlichen Erkenntniß, folglich auch danach, ob dadurch Zweifel und Widersprüche am besten abgeschnitten werden, und nach ihrem Einfluß auf die Besserung und Beruhigung der Menschen ††) ; sodann auch danach, ob eine solche Vorstellung vielen Beyfall gefunden hat, zumahl wenn sie Unterscheidungslehre ganzer Kirchenparteyen worden ist. Und weil eine Beurtheilung derselben nöthig ist – denn wozu sollte bloß historische Kenntniß dienen, da bey der christlichen Erkenntniß alles auf Ueberzeugung und Untersuchung des Wahren und Falschen ankommt? – so müßte auch 3) die Unrichtigkeit des Irrthums eben sowohl als die Wahrheit einer christlichen Lehre und der richtigsten Vorstellung davon, gezeigt werden *) .Wenn also die dogmatische Theologie oder christliche Glaubenslehre †) noch von den gedachten beyden andern Wissenschaften unterschieden wird: so müßte sie, sollte sie ihrem Zweck (§. 186 ) und dem Zweck der systematischen Theologie entsprechen, 1) alles enthalten, was wir als Christen, abgesehen von den uns aufgelegten Pflichten, in Absicht auf Gott und dessen Verhältniß gegen uns, für wahr zu erkennen haben, es mag zu unsrer Belehrung oder Ermunterung oder Trost dienen, aus der heiligen Schrift oder aus unleugbaren Sätzen der Vernunft erkennbar seyn; 2) die verschiednen, wenigstens wichtigern, Vorstellungen, die man sich von diesen Lehren unter Christen gemacht hat, mit Beurtheilung derselben. Diese Wichtigkeit müßte nach einer doppelten Rücksicht bestimmt werden: erstlich nach |b281| ihrem Einfluß auf die Befestigung der christlichen Erkenntniß, folglich auch danach, ob dadurch Zweifel und Widersprüche am besten abgeschnitten werden, und nach ihrem Einfluß auf die Besserung und Beruhigung der Menschen ††) ; sodann auch danach, ob eine solche Vorstellung vielen Beyfall gefunden hat, zumahl wenn sie Unterscheidungslehre ganzer Kirchenparteyen worden ist. Und weil eine Beurtheilung derselben nöthig ist – denn wozu sollte bloß historische Kenntniß dienen, da bey der christlichen Erkenntniß alles auf Ueberzeugung und Untersuchung des Wahren und Falschen ankommt? – so müßte auch 3) die Unrichtigkeit des Irrthums eben sowohl als die Wahrheit einer christlichen Lehre und der richtigsten Vorstellung davon, gezeigt werden *) .
†) Ein nicht ganz angemessener Ausdruck! denn diese Wissenschaft begreift auch Vieles, was wir wissen können, und nicht bloß auf ein Zeugniß der heil. Schrift glauben, und sie enthält nicht bloß die christlichen Lehren, sondern auch die richtigen Vorstellungen davon.
††) Wenn auf die §. 152 f. angezeigte Art der bestimmte Begriff klar genug wird, den die heilige Schrift mit einer gewissen Lehre verbindet; und eben so, wenn durch die Vergleichung der biblischen Sätze unter einander und mit unwidersprechlichen Vernunftwahrheiten, der Begriff von einer Lehre genau bestimmt wird: so fallen viele auf Mißverstand beruhende Vorstellungen von selbst weg, und brauchen nicht einmal erzählt zu werden, wenn sie |b282| nicht durch den erlangten Beyfall wichtig worden sind.
*) Wenn Wahrheit und Irrthum untersucht werden soll: so können 1) Beweise für die Wahrheit, und 2) gegen den Irrthum vorgelegt; so wie 3) Gründe oder Zweifel gegen die Wahrheit, und 4) Gründe für den Irrthum beantwortet werden. Ehe man die Dogmatik von der Polemik trennte, geschahe alles dieses zusammen, mit Vortheil; weil nicht getrennt wurde, was zur Vollständigkeit der Untersuchung gehörte. Jetzt hat man die zwey ersten Arten zu untersuchen in die Dogmatik, und die zwey letztern in die Polemik verwiesen; und dies mit Recht; denn Beweise für die Wahrheit sind zugleich Beweise gegen den Irrthum, und um die Wahrheit zu vertheidigen ist sowohl nöthig die Gründe gegen die Wahrheit, als die Gründe fürs Gegentheil zu entkräften.

189.

Hiernach läßt sich der Nutzen dieser dogmatischen Theologie bestimmen, der oft übertrieben, oder zu sehr heruntergesetzt wird, und den man genau kennen sollte, um zu wissen, worauf man bey Beschäftigung mit derselben eigentlich zu sehen hätte. Sie giebt uns 1) richtige Begriffe von dem Verhältniß zwischen Gott und uns, d. i. von seiner und unsrer Natur, seiner Gesinnung gegen uns, seinen zu unserm Besten gemachten moralischen Anstalten, unsrer erforderlichen Gemüthsbeschaffenheit wenn seine Absichten mit uns |b283| erreicht werden sollen, unsren daher entstehenden sichern Erwartungen, oder den im Gegentheil gewiß zu befürchtenden Folgen. Sie enthält somit 2) Grundsätze zu den übrigen theologischen Wissenschaften, – besonders zur Polemik, indem sie uns zeigt, was wir zu vertheidigen brauchen oder nicht, und wie? denn aller Widerspruch gegen Wahrheit beruht doch zuletzt auf Mißverstand, dem eben schon in der Dogmatik vorgebeugt werden muß, – zur Moral, denn unsre Pflichten beruhen ja auf dem gedachten Verhältniß, und dieses giebt uns auch Bewegungsgründe und Ermunterung zu Ausübung der Pflichten – und zur weisen Führung des Lehramtes, damit man lerne, was für Begriffe und Ueberzeugungen man bey Andern befördern, oder welchen man entgegenarbeiten solle. Sie eröffnet uns 3) die Quellen der wahren Beruhigung, die zu unsrer Glückseligkeit so unentbehrlich ist, als die Beobachtung unsrer Pflichten. 4) Sie unterrichtet uns von dem richtigsten Lehrbegriff, und zeigt dadurch, wenn wir uns, wie es mehrere Gründe erfordern, zu einer vorhandnen äusserlichen Kirche zu schlagen haben, welcher wir nach der richtigsten Ueberzeugung beytreten müssen? und 5) setzt sie uns in den Stand, die verschiednen Vorstellungen von göttlichen Lehren und ihren Werth richtig zu beurtheilen, welches sehr großen Nutzen hat.Hiernach läßt sich der Nutzen dieser dogmatischen Theologie bestimmen, der oft übertrieben, oder zu sehr heruntergesetzt wird, und den man genau kennen sollte, um zu wissen, worauf man bey Beschäftigung mit derselben eigentlich zu sehen hätte. Sie giebt uns 1) richtige Begriffe von dem Verhältniß zwischen Gott und uns, d. i. von seiner und unsrer Natur, seiner Gesinnung gegen uns, seinen zu unserm Besten gemachten moralischen Anstalten, unsrer erforderlichen Gemüthsbeschaffenheit wenn seine Absichten mit uns |b283| erreicht werden sollen, unsren daher entstehenden sichern Erwartungen, oder den im Gegentheil gewiß zu befürchtenden Folgen. Sie enthält somit 2) Grundsätze zu den übrigen theologischen Wissenschaften, – besonders zur Polemik, indem sie uns zeigt, was wir zu vertheidigen brauchen oder nicht, und wie? denn aller Widerspruch gegen Wahrheit beruht doch zuletzt auf Mißverstand, dem eben schon in der Dogmatik vorgebeugt werden muß, – zur Moral, denn unsre Pflichten beruhen ja auf dem gedachten Verhältniß, und dieses giebt uns auch Bewegungsgründe und Ermunterung zu Ausübung der Pflichten – und zur weisen Führung des Lehramtes, damit man lerne, was für Begriffe und Ueberzeugungen man bey Andern befördern, oder welchen man entgegenarbeiten solle. Sie eröffnet uns 3) die Quellen der wahren Beruhigung, die zu unsrer Glückseligkeit so unentbehrlich ist, als die Beobachtung unsrer Pflichten. 4) Sie unterrichtet uns von dem richtigsten Lehrbegriff, und zeigt dadurch, wenn wir uns, wie es mehrere Gründe erfordern, zu einer vorhandnen äusserlichen Kirche zu schlagen haben, welcher wir nach der richtigsten Ueberzeugung beytreten müssen? und 5) setzt sie uns in den Stand, die verschiednen Vorstellungen von göttlichen Lehren und ihren Werth richtig zu beurtheilen, welches sehr großen Nutzen hat.
Der Nutzen dieses Letzten zeigt sich 1) in Absicht auf die Zweifel, welche die Ueberzeugung von gewissen Lehren hindern. Denn nur zu oft verwechselt man |b284| die Vorstellungen von gewissen Lehren mit den Lehren selbst, und verwirft entweder diese, weil man jene falsch befindet, oder bestehet eben so eigensinnig auf gewissen Vorstellungen, weil man gewohnt ist, die Lehren anders nicht, als nach diesen für wahr zu halten. 2) Ueberhaupt wird man von Vorurtheilen in der Religion darum nicht frey, weil man sich die Lehren auf keine andere, als auf Eine, Art denken kan; man kan also davon anders nicht zurückkommen, als durch Bekanntschaft mit mehrern Vorstellungen davon, und ihren Gründen, die uns auch oft zeigen, wie fälschlich man etwas für Vorurtheil halte, was dergleichen nicht ist. Und eben diese Kenntniß befördert 3) die Billigkeit gegen die, welche nicht unsrer Meinung sind, wenn wir einsehen, daß entweder ihre Meinung die nicht sey, die wir ihnen beygemessen, oder, daß sie aus den Gesichtspunct betrachtet, woraus sie die Sache ansehen, ihren guten Grund, oder, wenn sie auch irrig ist, den schädlichen oder nothwendigen Einfluß nicht habe, den wir uns dabey einbildeten.

190.

Bey dem Gebrauch guter Vorlesungen oder Lehrbücher über die dogmatische Theologie würde es hauptsächlich darauf ankommen, daß man sich 1) daraus sowohl die Lehren als die Vorstellungen davon, mit ihren genauen Bestimmungen, wohl bemerkte; 2) genau auf die Beweise Acht gäbe, womit beyde unterstützt werden, und |b285| wie diese Beweise geführt sind; 3) die Lehren selbst, wie sie in der heil. Schrift liegen, oder in der Vernunft unwidersprechlich gegründet sind, von den Vorstellungen darüber, und wo jene aufhören und diese anfangen, recht unterscheiden lernte; 4) die Beweise für beyde sorgfältig prüfte, ohne, aus Begierde einen Satz zu unterstützen, mit jedem Beweise zufrieden zu seyn, oder, um eines schlechten Beweises willen, die Sätze selbst zu verwerfen; 5) den wahren Werth jeder Lehre und Vorstellung davon, d. i. ihren Einfluß auf andre Lehrsätze sowohl, als auf die menschliche Glückseligkeit, recht schätzen zu lernen, und besonders 6) die ganze erlangte Erkenntniß sich recht praktisch zu machen suchte (§. 169. Anm.). Je vorsichtiger man hier bey jedem Schritt ist; je mit unbefangnerm Gemüthe man alles prüft, bereit, die Wahrheit, sie sey alt oder neu, geachtet oder verachtet, anzunehmen, wo sie sich findet; je mehr man sich für Gleichgültigkeit auf einer, und für Vorwitz, d. i. Neugier nach Entdeckungen, wozu uns Kräfte oder Hülfsmittel versagt sind, auf der andern Seite, hütet; und je mehr es uns um wahre Besserung und Beruhigung durch erkannte göttliche Wahrheit zu thun ist: je sichrer, glücklicher und heilsamer wird diese Beschäftigung seyn.Bey dem Gebrauch guter Vorlesungen oder Lehrbücher über die dogmatische Theologie würde es hauptsächlich darauf ankommen, daß man sich 1) daraus sowohl die Lehren als die Vorstellungen davon, mit ihren genauen Bestimmungen, wohl bemerkte; 2) genau auf die Beweise Acht gäbe, womit beyde unterstützt werden, und |b285| wie diese Beweise geführt sind; 3) die Lehren selbst, wie sie in der heil. Schrift liegen, oder in der Vernunft unwidersprechlich gegründet sind, von den Vorstellungen darüber, und wo jene aufhören und diese anfangen, recht unterscheiden lernte; 4) die Beweise für beyde sorgfältig prüfte, ohne, aus Begierde einen Satz zu unterstützen, mit jedem Beweise zufrieden zu seyn, oder, um eines schlechten Beweises willen, die Sätze selbst zu verwerfen; 5) den wahren Werth jeder Lehre und Vorstellung davon, d. i. ihren Einfluß auf andre Lehrsätze sowohl, als auf die menschliche Glückseligkeit, recht schätzen zu lernen, und besonders 6) die ganze erlangte Erkenntniß sich recht praktisch zu machen suchte (§. 169. Anm.). Je vorsichtiger man hier bey jedem Schritt ist; je mit unbefangnerm Gemüthe man alles prüft, bereit, die Wahrheit, sie sey alt oder neu, geachtet oder verachtet, anzunehmen, wo sie sich findet; je mehr man sich für Gleichgültigkeit auf einer, und für Vorwitz, d. i. Neugier nach Entdeckungen, wozu uns Kräfte oder Hülfsmittel versagt sind, auf der andern Seite, hütet; und je mehr es uns um wahre Besserung und Beruhigung durch erkannte göttliche Wahrheit zu thun ist: je sichrer, glücklicher und heilsamer wird diese Beschäftigung seyn.
Die hieher gehörigen allgemeinern Bücher s. in der Anweisung etc. §. 233 flg. und von der Beurtheilung ihres Werthes ebendaselbst §. 225 und 227. Für diejenigen Leser, denen zunächst das gegen|b286|wärtige Buch bestimmt ist, d. i. für solche, die, bey vorausgesetzten übrigen nothwendigen Vorerkenntnissen, nach einer gründlichern und gelehrtern Kenntniß dieser Wissenschaft trachten, und sie vor sich selbst studieren wollen, würde ich unter den ältern Lehrbüchern Jo. Franc. Buddei Institutiones Theologiae Dogmaticae, Lips. 1723 in 4.; doch noch mehr, theils an sich, theils nach den Bedürfnissen unsrer Zeit, Jo. Christoph. Döderlein Institutio Theologi Christiani, Edit. 2. Norimb. 1782 in 2 Bänden in gr. 8.; und die Epitome Theologiae Christianae von S. F. N. Morus, Lips. 1789 in 8., vor allen Büchern dieser Art empfehlen.

191.

Diese dogmatische Theologie verdient billig eher als die Polemik und Moral getrieben zu werden, weil diese sich auf die Dogmatik gründen (§. 189 ). Mit ihr könnte das, was man der Polemik angewiesen hat, am besten gleich verbunden werden (§. 186 Anm. 3); so wie diese auch eigentlich gar keine besondere Wissenschaft ist, weil sie keine Lehren im Zusammenhang vorträgt, sondern nur eine Vertheidigung des Inhalts der Dogmatik. †) Womit sie sich eigentlich beschäftige, ist schon §. 186 gesagt. Es müßte darin 1) jede Frage, worüber man verschiedner Meinung ist, genau und bestimmt vorgetragen werden, so daß man angäbe, worin die, so darüber uneins sind, gleichwohl in Rücksicht auf unternommene Untersuchung, übereinstim|b287|men, und alles das absonderte, was in die Untersuchung gemischt worden, ohne dazu zu gehören, mithin den eigentlichen Gesichtspunct anzeigte, woraus die Dissentirenden die Frage angesehen, und ob sie einerley Gesichtspunct genommen hätten oder nicht. Ist das Letztere, – und das ist gemeiniglich der Fall, – so fällt der ganze Streit von selbst weg; und schon in so fern ist diese Bestimmung der Streitfrage gerade das Wichtigste bey solchen Untersuchungen; sie ists aber auch deswegen, weil ohne sie der Streit nie aufs Reine kommen kan. 2) Müßte man diejenigen und ihre Schriften angeben, welche einen von uns behaupteten Satz mit der meisten Kenntniß der Sache, oder doch am scheinbarsten, bestritten haben, und, wenn der Streit mit einer ganzen Partey ist, die Schriften, wozu sie sich öffentlich bekannt hat; damit der Leser oder Zuhörer nachsehen könne, ob man die richtige Meinung der Gegner gefasst und angegeben habe; 3) das wahre Verhältniß zeigen, worin die Frage gegen andre Lehrsätze steht, die damit stehen oder fallen, oder wenigstens an Stärke oder Werth verlieren; und sich hüten, die Folgen aus einer Meinung zu übertreiben, auch anzeigen, ob die Gegner diese Folgen anerkennten oder nicht; und alsdann 4) die Gründe der Gegner wider unsre und für ihre Meinung in völliger Deutlichkeit und Stärke vorlegen, und zeigen, daß sie entweder unsre Meinung nicht treffen, oder daß sie unrichtig oder doch unbewiesen sind.Diese dogmatische Theologie verdient billig eher als die Polemik und Moral getrieben zu werden, weil diese sich auf die Dogmatik gründen (§. 189 ). Mit ihr könnte das, was man der Polemik angewiesen hat, am besten gleich verbunden werden (§. 186 Anm. 3); so wie diese auch eigentlich gar keine besondere Wissenschaft ist, weil sie keine Lehren im Zusammenhang vorträgt, sondern nur eine Vertheidigung des Inhalts der Dogmatik. †) Womit sie sich eigentlich beschäftige, ist schon §. 186 gesagt. Es müßte darin 1) jede Frage, worüber man verschiedner Meinung ist, genau und bestimmt vorgetragen werden, so daß man angäbe, worin die, so darüber uneins sind, gleichwohl in Rücksicht auf unternommene Untersuchung, übereinstim|b287|men, und alles das absonderte, was in die Untersuchung gemischt worden, ohne dazu zu gehören, mithin den eigentlichen Gesichtspunct anzeigte, woraus die Dissentirenden die Frage angesehen, und ob sie einerley Gesichtspunct genommen hätten oder nicht. Ist das Letztere, – und das ist gemeiniglich der Fall, – so fällt der ganze Streit von selbst weg; und schon in so fern ist diese Bestimmung der Streitfrage gerade das Wichtigste bey solchen Untersuchungen; sie ists aber auch deswegen, weil ohne sie der Streit nie aufs Reine kommen kan. 2) Müßte man diejenigen und ihre Schriften angeben, welche einen von uns behaupteten Satz mit der meisten Kenntniß der Sache, oder doch am scheinbarsten, bestritten haben, und, wenn der Streit mit einer ganzen Partey ist, die Schriften, wozu sie sich öffentlich bekannt hat; damit der Leser oder Zuhörer nachsehen könne, ob man die richtige Meinung der Gegner gefasst und angegeben habe; 3) das wahre Verhältniß zeigen, worin die Frage gegen andre Lehrsätze steht, die damit stehen oder fallen, oder wenigstens an Stärke oder Werth verlieren; und sich hüten, die Folgen aus einer Meinung zu übertreiben, auch anzeigen, ob die Gegner diese Folgen anerkennten oder nicht; und alsdann 4) die Gründe der Gegner wider unsre und für ihre Meinung in völliger Deutlichkeit und Stärke vorlegen, und zeigen, daß sie entweder unsre Meinung nicht treffen, oder daß sie unrichtig oder doch unbewiesen sind.
|b288| †) Auf diese dogmatischen Sätze schränkt man sich in der Polemik ein, obgleich mit eben so vielem Recht auch Streitigkeiten über Sätze der christlichen Moral könnten und sollten hineingezogen, oder den Einwürfen dagegen eine besondre Untersuchung gewidmet werden. Daß man dieses nie in der Polemik gethan hat, rührt wohl daher, weil man sich ehedem überhaupt weit weniger um genauere Untersuchung der Moral als der Dogmatik bekümmerte, weil darüber selten Streitigkeiten mit ganzen Parteyen entstanden, und weil man ehedem solche streitige Sätze der Moral, da diese von der Dogmatik noch nicht abgesondert war, mit in die Dogmatik aufnahm, daher auch nur diese wenigen Streitigkeiten über moralische Sätze, z. B. über die Rechtmäßigkeit des Eydes, in die heutige Polemik mit übergegangen sind.

192.

Wenn man diese Absicht und Einrichtung der sogenannten polemischen Theologie wohl und ohne Vorurtheile überlegt; so läßt sich der große Nutzen, den sie haben kan, nicht verkennen. Schon dies wäre 1) viel werth, daß man daraus die verschiednen Vorstellungen von Lehren der Religion, mit ihren Bestimmungen und Gründen kennen lernte. Dadurch würden einseitige Vorstellungen verhindert, und man lernte einsehen, daß unsre eigne Vorstellung gar nicht die einzige mögliche sey, mit der die Lehre selbst stünde oder fiele, und daß, wenn wir unauflösliche Zweifel gegen unsre |b289| Vorstellung bekommen, diese uns noch keinesweges nöthige, die Lehre selbst aufzugeben . Man lernte, das Vieles, was verschrieen ist, so gefährlich nicht sey, daß wir uns dafür entsetzen, und wohl selbst die Untersuchung scheuen müssten. Man stieße selbst auf manche nicht bekannte oder verkannte und sehr nützliche Wahrheit. Man würde wenigstens zur neuen Untersuchung veranlaßt, an die man vorhin nicht gedacht hatte; und die Geschichte lehrt ja offenbar, daß nie die Kenntniß der Religion erweitert und bestimmter worden, als durch solche Untersuchung, die fast immer erst durch Streitigkeiten erweckt worden ist. Man würde den wahren Werth einer Lehre und Vorstellung kennen lernen, und dadurch einer Seits für Gleichgültigkeit gegen Wahrheit, auf der andern aber für Unbilligkeit gegen anders Denkende verwahrt werden.Wenn man diese Absicht und Einrichtung der sogenannten polemischen Theologie wohl und ohne Vorurtheile überlegt; so läßt sich der große Nutzen, den sie haben kan, nicht verkennen. Schon dies wäre 1) viel werth, daß man daraus die verschiednen Vorstellungen von Lehren der Religion, mit ihren Bestimmungen und Gründen kennen lernte. Dadurch würden einseitige Vorstellungen verhindert, und man lernte einsehen, daß unsre eigne Vorstellung gar nicht die einzige mögliche sey, mit der die Lehre selbst stünde oder fiele, und daß, wenn wir unauflösliche Zweifel gegen unsre |b289| Vorstellung bekommen, diese uns noch keinesweges nöthige, die Lehre selbst aufzugeben . Man lernte, das Vieles, was verschrieen ist, so gefährlich nicht sey, daß wir uns dafür entsetzen, und wohl selbst die Untersuchung scheuen müssten. Man stieße selbst auf manche nicht bekannte oder verkannte und sehr nützliche Wahrheit. Man würde wenigstens zur neuen Untersuchung veranlaßt, an die man vorhin nicht gedacht hatte; und die Geschichte lehrt ja offenbar, daß nie die Kenntniß der Religion erweitert und bestimmter worden, als durch solche Untersuchung, die fast immer erst durch Streitigkeiten erweckt worden ist. Man würde den wahren Werth einer Lehre und Vorstellung kennen lernen, und dadurch einer Seits für Gleichgültigkeit gegen Wahrheit, auf der andern aber für Unbilligkeit gegen anders Denkende verwahrt werden.

193.

Selbst 2) unsre Ueberzeugung von der Wahrheit, und die Standhaftigkeit bey ihr, würde dadurch gewinnen. Denn kennen wir, bey jener Ueberzeugung, zugleich auch die Gegenmeinungen mit ihren Gründen, so setzen sie uns nicht so sehr in Verlegenheit, als wenn wir hernach sie unerwartet erfahren. Wir gerathen alsdann nicht hinterher auf den Verdacht, daß man sie uns verheimlicht habe, aus Furcht, sie nicht widerlegen zu können; welcher Verdacht immer ein schädlich Vorurtheil gegen das bisher Geglaubte, |b290| und für das Neue giebt, welches die ruhige unparteyische Untersuchung hindert. Wir lernen durch diese Kenntniß einsehen, daß entweder diese Gegenmeinung mit unsrer bestehen könne, und so leidet unsre Ueberzeugung von der Wahrheit nicht; oder wir sehen ein, daß sie falsch ist, und werden dadurch in unsrer Ueberzeugung befestigt; oder daß sie wahr sey, und so befreyt sie uns von einem Irrthum.Selbst 2) unsre Ueberzeugung von der Wahrheit, und die Standhaftigkeit bey ihr, würde dadurch gewinnen. Denn kennen wir, bey jener Ueberzeugung, zugleich auch die Gegenmeinungen mit ihren Gründen, so setzen sie uns nicht so sehr in Verlegenheit, als wenn wir hernach sie unerwartet erfahren. Wir gerathen alsdann nicht hinterher auf den Verdacht, daß man sie uns verheimlicht habe, aus Furcht, sie nicht widerlegen zu können; welcher Verdacht immer ein schädlich Vorurtheil gegen das bisher Geglaubte, |b290| und für das Neue giebt, welches die ruhige unparteyische Untersuchung hindert. Wir lernen durch diese Kenntniß einsehen, daß entweder diese Gegenmeinung mit unsrer bestehen könne, und so leidet unsre Ueberzeugung von der Wahrheit nicht; oder wir sehen ein, daß sie falsch ist, und werden dadurch in unsrer Ueberzeugung befestigt; oder daß sie wahr sey, und so befreyt sie uns von einem Irrthum.

194.

In so fern wir aber 3) aus der Polemik das Verhältniß eines Irrthums gegen andre lernen, die durch diesen Irrthum unterstützt werden, oder zu dessen Unterstützung dienen: so sehen wir ein, wie man auf einen solchen Irrthum sey geleitet worden, und lernen also, welchen Sätzen man vorbauen, oder welche man mitentkräften müsse, wenn ein Irrthum verhütet, oder er widerlegt werden solle. Und wenn 4) Zweifel unsre Ueberzeugung von der Wahrheit zerstören, wenigstens vermindern, oder uns in Zweifelsucht stürzen, worunter oft genug unsre Gemüthsruhe leidet, und die Wahl zwischen Gutem und Bösem, wenigstens die Ausführung des Guten, gehindert oder aufgehalten wird: so erfordert es die Liebe zur Wahrheit, das Streben nach gewisser Erkenntniß, die Liebe zu uns selbst und zu Andern, diese Zweifel aus dem Grunde zu heben. Da aber die Wenigsten Kenntniß genug von Irrthümern in der Religion und ihren bloß scheinbaren Gründen, so wenig wie von alle dem haben, was |b291| zur gründlichen Beurtheilung derselben erfordert wird; da die Wenigsten Scharfsinn oder Fähigkeit besitzen, das Wahre und Scheinbare zu unterscheiden, und eben so wenig Geduld und Uebung, verwirrte Untersuchungen aus einander zu wickeln: so kan die Polemik große Dienste dem leisten, der selbst noch nicht die nöthige Fähigkeit, Kenntniß und Uebung in solchen Untersuchungen hat, ja sie kan selbst für ihn eine vortrefliche Schule zu solchen Uebungen werden.In so fern wir aber 3) aus der Polemik das Verhältniß eines Irrthums gegen andre lernen, die durch diesen Irrthum unterstützt werden, oder zu dessen Unterstützung dienen: so sehen wir ein, wie man auf einen solchen Irrthum sey geleitet worden, und lernen also, welchen Sätzen man vorbauen, oder welche man mitentkräften müsse, wenn ein Irrthum verhütet, oder er widerlegt werden solle. Und wenn 4) Zweifel unsre Ueberzeugung von der Wahrheit zerstören, wenigstens vermindern, oder uns in Zweifelsucht stürzen, worunter oft genug unsre Gemüthsruhe leidet, und die Wahl zwischen Gutem und Bösem, wenigstens die Ausführung des Guten, gehindert oder aufgehalten wird: so erfordert es die Liebe zur Wahrheit, das Streben nach gewisser Erkenntniß, die Liebe zu uns selbst und zu Andern, diese Zweifel aus dem Grunde zu heben. Da aber die Wenigsten Kenntniß genug von Irrthümern in der Religion und ihren bloß scheinbaren Gründen, so wenig wie von alle dem haben, was |b291| zur gründlichen Beurtheilung derselben erfordert wird; da die Wenigsten Scharfsinn oder Fähigkeit besitzen, das Wahre und Scheinbare zu unterscheiden, und eben so wenig Geduld und Uebung, verwirrte Untersuchungen aus einander zu wickeln: so kan die Polemik große Dienste dem leisten, der selbst noch nicht die nöthige Fähigkeit, Kenntniß und Uebung in solchen Untersuchungen hat, ja sie kan selbst für ihn eine vortrefliche Schule zu solchen Uebungen werden.

195.

Und eben in dieser Uebung besteht 5) einer der größesten Vortheile, den die Polemik stiften kan. Wenn man sieht, wie die streitige Frage mit gehöriger Genauigkeit bestimmt, und bey der Beantwortung der Gegengründe bestimmt angegeben wird, wie weit und warum man sie einräumen kan oder nicht: so gewöhnt man sich an Verdeutlichung der Begriffe; man gewöhnt sich, eine Frage nicht gleich abzuurtheilen, sondern sie erst auf mehrern Seiten zu betrachten; verwirrte Untersuchungen aus einander zu wickeln; vorsichtig zu werden, und was man behauptet, auf allen Seiten zu befestigen, um weder Blößen zu geben, noch Zweifel und Streitigkeiten zu veranlaßen; discret zu werden, um nicht mit dem verworfnen Irrthum die Wahrheit zugleich zu verwerfen, oder mit dem, was man zugeben kan, auch das Falsche zu billigen, und dem Gegner Gelegenheit zu geben, in jenem Fall die verworfne |b292| Wahrheit in Schutz zu nehmen, und den Streit von der wahren Frage abzulenken, und in diesem Fall den zugelaßnen Irrthum gegen uns zu brauchen. Kurz, es giebt keine Art von Uebungen, wobey man so sehr könnte den Verstand schärfen, sich zur Präcision in Gedanken und Ausdrücken gewöhnen, recht nüchterne und geläuterte Untersuchungen anstellen lernen, als die Polemik, wenn sie recht eingerichtet wird.Und eben in dieser Uebung besteht 5) einer der größesten Vortheile, den die Polemik stiften kan. Wenn man sieht, wie die streitige Frage mit gehöriger Genauigkeit bestimmt, und bey der Beantwortung der Gegengründe bestimmt angegeben wird, wie weit und warum man sie einräumen kan oder nicht: so gewöhnt man sich an Verdeutlichung der Begriffe; man gewöhnt sich, eine Frage nicht gleich abzuurtheilen, sondern sie erst auf mehrern Seiten zu betrachten; verwirrte Untersuchungen aus einander zu wickeln; vorsichtig zu werden, und was man behauptet, auf allen Seiten zu befestigen, um weder Blößen zu geben, noch Zweifel und Streitigkeiten zu veranlaßen; discret zu werden, um nicht mit dem verworfnen Irrthum die Wahrheit zugleich zu verwerfen, oder mit dem, was man zugeben kan, auch das Falsche zu billigen, und dem Gegner Gelegenheit zu geben, in jenem Fall die verworfne |b292| Wahrheit in Schutz zu nehmen, und den Streit von der wahren Frage abzulenken, und in diesem Fall den zugelaßnen Irrthum gegen uns zu brauchen. Kurz, es giebt keine Art von Uebungen, wobey man so sehr könnte den Verstand schärfen, sich zur Präcision in Gedanken und Ausdrücken gewöhnen, recht nüchterne und geläuterte Untersuchungen anstellen lernen, als die Polemik, wenn sie recht eingerichtet wird.
Anm. 1. Dieser Vortheil, den man aus ihr schöpfen kan, scheint der allerbeträchtlichste zu seyn, so wie schon oben gesagt ist, daß die Hauptsache bey dem Studieren darin bestehe, nicht sowohl immer mehr Kenntnisse zu erlangen, als vielmehr guten Lehrern und Schriftstellern die rechte Art abzulernen, wie man sie behandeln soll. Denn alle uns je vorkommende streitige Fragen in der Religion, und alle Einwürfe dagegen, können doch nicht darin abgehandelt werden, da die Möglichkeit der Entdeckungen ins Unendliche geht; also wird keine Polemik je für alle Zweifel zureichen, aber wenn sie unsern Verstand bildet, macht sie uns zu allen Religionsuntersuchungen geschickt.
Anm. 2. Schon um dieses angegebnen Nutzens willen sollte sie für einen Studierenden unschätzbar seyn, und in der Versäumung dieser Uebungen scheint eine Hauptursach zu liegen, warum seichte Kenntnisse, dreuste und oberflächige Urtheile über streitige Wahrheiten so gewöhnlich sind, Festigkeit der Ueberzeugung hingegen so selten ist, und die Seele sich von jedem scheinbaren Geschwätz so leicht |b293| hinreissen läßt. – Auch wird man finden, daß viele Untersuchungen und Bestimmungen in der Dogmatik eher nicht recht verstanden, noch weniger geschätzt werden, bis man erst in der Polemik sieht, warum etwas behauptet oder so bestimmt wurde. – Da es auch viel leichter ist, Andrer vorgefundne Gedanken zu beurtheilen, als selbst zu erfinden, so wie Fehler zu entdecken leichter, als es selbst besser zu machen: so würde bey eignen Uebungen viel rathsamer seyn, wenn wir nur erst die nothwendigsten Kenntnisse von einer Sache erlangt haben, und ein Geschickterer uns die Streitfrage recht bestimmt vorlegte, sich in Prüfung der Einwürfe dagegen zu üben, als selbst dogmatische Ausarbeitungen vorzunehmen.

196.

Bey so großen Vortheilen, die dieses Studium gewährt, müßte es beynahe unbegreiflich seyn, wie Viele so verächtlich davon urtheilen oder es widerrathen könnten. Daß seichte und flüchtige Köpfe, welche Anstrengung, Mühe und bedächtige Untersuchungen scheuen, daß Leute, die gegen Wahrheit sehr gleichgültig sind, oder mehr überreden als überzeugen wollen, oder bey Ueberraschung Andrer mit scheinbaren Gedanken ihre Rechnung finden, daß diese also dagegen eingenommen sind, ist nicht zu verwundern. Aber bey Verständigern und Gewissenhaftern rührten diese verächtlichen Urtheile ohne Zweifel von der Wahrnehmung her, daß gewöhnlich die Polemik voll |b294| unnützer und über die Gebühr wichtig gemachter Untersuchungen, und daß sie von jeher ein Schauplatz der bösartigsten Zänkereyen und Leidenschaften gewesen sey. Je lebhafter man sich die Verletzung der Billigkeit und des Friedens, den Verfolgungsgeist, die Verabsäumung des praktischen Christenthums und andre Uebel denkt; je mehr Aufklärung sich ausbreitet, dadurch Mißverstand gehoben, und der Werth eines Lehrsatzes richtiger gewürdigt; je mehr das äusserliche Interesse verändert wird, welches gewissen Untersuchungen eine Wichtigkeit gab, die sie ihrer Natur nach nicht hatten; je gemeiner Liebe zur Duldung der anders Denkenden, zum Theil auch Gleichgültigkeit gegen das nicht unmittelbar Nützliche, wird: je natürlicher ist diese Abneigung. Je mehr ist hinwieder auch zu besorgen, daß man sich durch den Geschmack seiner Zeit, und durch das zu lebhafte Gefühl gewisser Uebel, zu sehr in seinem Urtheil leiten laße, und nicht genug auf seiner Hut sey gegen die Versuchung, ungerecht zu werden.Bey so großen Vortheilen, die dieses Studium gewährt, müßte es beynahe unbegreiflich seyn, wie Viele so verächtlich davon urtheilen oder es widerrathen könnten. Daß seichte und flüchtige Köpfe, welche Anstrengung, Mühe und bedächtige Untersuchungen scheuen, daß Leute, die gegen Wahrheit sehr gleichgültig sind, oder mehr überreden als überzeugen wollen, oder bey Ueberraschung Andrer mit scheinbaren Gedanken ihre Rechnung finden, daß diese also dagegen eingenommen sind, ist nicht zu verwundern. Aber bey Verständigern und Gewissenhaftern rührten diese verächtlichen Urtheile ohne Zweifel von der Wahrnehmung her, daß gewöhnlich die Polemik voll |b294| unnützer und über die Gebühr wichtig gemachter Untersuchungen, und daß sie von jeher ein Schauplatz der bösartigsten Zänkereyen und Leidenschaften gewesen sey. Je lebhafter man sich die Verletzung der Billigkeit und des Friedens, den Verfolgungsgeist, die Verabsäumung des praktischen Christenthums und andre Uebel denkt; je mehr Aufklärung sich ausbreitet, dadurch Mißverstand gehoben, und der Werth eines Lehrsatzes richtiger gewürdigt; je mehr das äusserliche Interesse verändert wird, welches gewissen Untersuchungen eine Wichtigkeit gab, die sie ihrer Natur nach nicht hatten; je gemeiner Liebe zur Duldung der anders Denkenden, zum Theil auch Gleichgültigkeit gegen das nicht unmittelbar Nützliche, wird: je natürlicher ist diese Abneigung. Je mehr ist hinwieder auch zu besorgen, daß man sich durch den Geschmack seiner Zeit, und durch das zu lebhafte Gefühl gewisser Uebel, zu sehr in seinem Urtheil leiten laße, und nicht genug auf seiner Hut sey gegen die Versuchung, ungerecht zu werden.

197.

Denn alle diese Uebel beweisen doch nur, daß die Polemik, gleich der verdorbnen Justizpflege, müsse gebessert, nicht daß sie müsse ganz weggeworfen werden. Untersuchungen müssen doch seyn, und dazu gehört, daß man eine Partey wie die andre höre, und mit aller Weisheit, Vorsichtigkeit und Billigkeit richte. Wenn dieses Verhör auf die Art geschieht, wie §. 191 , 159 f. und |b295| 169 Anm. angegeben wurde, und wenn man in der Polemik wie in der Dogmatik untersucht, um Wahrheit, nicht um Nahrung der Leidenschaft, zu finden: so fallen alle jene Uebel weg, welche die Polemik mit Recht in einen üblen Ruf brachten, und sie wird alsdann ein sehr heilsames Mittel, wahren Frieden, ohne Nachtheil der Wahrheit, zu befördern.Denn alle diese Uebel beweisen doch nur, daß die Polemik, gleich der verdorbnen Justizpflege, müsse gebessert, nicht daß sie müsse ganz weggeworfen werden. Untersuchungen müssen doch seyn, und dazu gehört, daß man eine Partey wie die andre höre, und mit aller Weisheit, Vorsichtigkeit und Billigkeit richte. Wenn dieses Verhör auf die Art geschieht, wie §. 191 , 159 f. und |b295| 169 Anm. angegeben wurde, und wenn man in der Polemik wie in der Dogmatik untersucht, um Wahrheit, nicht um Nahrung der Leidenschaft, zu finden: so fallen alle jene Uebel weg, welche die Polemik mit Recht in einen üblen Ruf brachten, und sie wird alsdann ein sehr heilsames Mittel, wahren Frieden, ohne Nachtheil der Wahrheit, zu befördern.

198.

Wenn man das zusammennimmt, was bisher von der rechten Einrichtung dieser Art der Theologie, von dem Nutzen derselben, von den gewöhnlichen Fehlern bey Führung theologischer Streitigkeiten, und bey dem Vortrag derselben in einer besondern Wissenschaft, gesagt worden ist: so kan man von selbst leicht erkennen, wie sie müsse studieret, und worauf eigentlich Acht gegeben werden, um den versprochnen Nutzen daraus zu ziehn. – Uebrigens ist die Methode, die Polemik nach der Ordnung der Lehren vorzutragen, überhaupt weit nützlicher, als die Ordnung nach verschiednen Religionsparteyen. Der Hauptzweck müßte doch bey polemischen Untersuchungen 1) immer seyn, Wahrheit und Irrthum oder Schein unterscheiden, und sich überzeugen zu lernen, was für und wider jeden verschiednen Lehrsatz oder Vorstellung einer Lehre gesagt werden könne, und mit welchem Grunde. Dies kan aber am besten geschehen, wenn wir bey Untersuchung der Lehren in der Dogmatik gleich |b296| auch das Gegentheil mit, wenigstens gleich in der Polemik dasselbe in Beziehung auf jene Lehren untersuchen. 2) Man lernt auch nach dieser Methode bey jeder Lehre sogleich die verschiednen Meinungen darüber mit Einem Mahle, und braucht sie nicht erst zerstreut unter den verschiednen Parteyen aufzusuchen; und eben dadurch wird 3) verhütet, daß man nicht die nehmlichen Gründe, und meistens eben dieselben Antworten, bey Prüfung einer Partey zu wiederholen braucht, wenn man sie schon bey einer andern erwogen hat, welches unnöthige Weitläuftigkeiten erspart. Auch werden 4) bey Untersuchung der Meinungen einer Partey nur solche Puncte erörtert, die zwischen Parteyen streitig sind, und diese sind nicht gerade der Sache nach die wichtigsten, als welche letztre oft gar nicht einmal Unterscheidungslehren ganzer Parteyen ausmachen; sehr oft enthalten gewisse Privatmeinungen viel wichtigere Aufschlüsse, und Gründe einzelner gelehrten Theologen sind oft viel ausgesuchter und geschärfter, als die, so in öffentlichen Bekenntnißbüchern gebraucht sind. So nähret auch 5) die Abhandlung der Streitigkeiten nach Parteyen mehr den Sectenhaß, erschwert die unparteyischere Untersuchung, und nöthigt den Untersucher 6) viele ganz unnütze Untersuchungen beyzubehalten, an deren Statt viel erheblichere, und unsern Zeitbedürfnissen gemäßere, könnten aufgenommen werden.Wenn man das zusammennimmt, was bisher von der rechten Einrichtung dieser Art der Theologie, von dem Nutzen derselben, von den gewöhnlichen Fehlern bey Führung theologischer Streitigkeiten, und bey dem Vortrag derselben in einer besondern Wissenschaft, gesagt worden ist: so kan man von selbst leicht erkennen, wie sie müsse studieret, und worauf eigentlich Acht gegeben werden, um den versprochnen Nutzen daraus zu ziehn. – Uebrigens ist die Methode, die Polemik nach der Ordnung der Lehren vorzutragen, überhaupt weit nützlicher, als die Ordnung nach verschiednen Religionsparteyen. Der Hauptzweck müßte doch bey polemischen Untersuchungen 1) immer seyn, Wahrheit und Irrthum oder Schein unterscheiden, und sich überzeugen zu lernen, was für und wider jeden verschiednen Lehrsatz oder Vorstellung einer Lehre gesagt werden könne, und mit welchem Grunde. Dies kan aber am besten geschehen, wenn wir bey Untersuchung der Lehren in der Dogmatik gleich |b296| auch das Gegentheil mit, wenigstens gleich in der Polemik dasselbe in Beziehung auf jene Lehren untersuchen. 2) Man lernt auch nach dieser Methode bey jeder Lehre sogleich die verschiednen Meinungen darüber mit Einem Mahle, und braucht sie nicht erst zerstreut unter den verschiednen Parteyen aufzusuchen; und eben dadurch wird 3) verhütet, daß man nicht die nehmlichen Gründe, und meistens eben dieselben Antworten, bey Prüfung einer Partey zu wiederholen braucht, wenn man sie schon bey einer andern erwogen hat, welches unnöthige Weitläuftigkeiten erspart. Auch werden 4) bey Untersuchung der Meinungen einer Partey nur solche Puncte erörtert, die zwischen Parteyen streitig sind, und diese sind nicht gerade der Sache nach die wichtigsten, als welche letztre oft gar nicht einmal Unterscheidungslehren ganzer Parteyen ausmachen; sehr oft enthalten gewisse Privatmeinungen viel wichtigere Aufschlüsse, und Gründe einzelner gelehrten Theologen sind oft viel ausgesuchter und geschärfter, als die, so in öffentlichen Bekenntnißbüchern gebraucht sind. So nähret auch 5) die Abhandlung der Streitigkeiten nach Parteyen mehr den Sectenhaß, erschwert die unparteyischere Untersuchung, und nöthigt den Untersucher 6) viele ganz unnütze Untersuchungen beyzubehalten, an deren Statt viel erheblichere, und unsern Zeitbedürfnissen gemäßere, könnten aufgenommen werden.
Anm. 1. Zwar fällt bey der Abhandlung nach den Parteyen der Zusammenhang eines Irrthums mit |b297| dem andern besser in die Augen; aber dieser kleine Vortheil ist für den Verlust der in dem §. angeführten Vortheile der andern Methode ein zu geringer Ersatz; und den Abgang dieses Vortheils kan eine Geschichte der Religionsparteyen hinlänglich ersetzen, wenn darin der innre Zusammenhang der Lehrsätze dieser Partey wohl vorgelegt wird.
Anm. 2. Es kan seinen guten Nutzen haben, wenn man auch die Lehrsätze einer besondern Partey besonders untersucht, in dem Fall, wenn äusserliche Verhältnisse, z. B. mit der römischen Kirche, oder die Zeitumstände, wo gewisse Arten von Irrthümern vornehmlich im Gang sind, dergleichen besondre Untersuchung nöthig machen, z. B. die Streitigkeiten mit den Deisten. – Vorzüglich nützlich würde es seyn, gerade diejenigen Streitigkeiten recht gründlich zu untersuchen, die unsrer Zeit eigen sind, weil dieses unsre Bedürfnisse am meisten erfordern. Ein, wiewohl in vielerley Absicht sehr unvollkommner, Versuch davon, ist das Lehrbuch für die neueste Polemik, Halle 1782 in gr. 8.

199.

Die christl. Moral, oder der zusammenhängende Unterricht, den uns das Christenthum über die Einrichtung unsers freyen Verhaltens nach Gottes Willen, giebt, kan nicht bloß auf dasjenige eingeschränkt werden, was die heil. Schrift davon enthält, sondern muß auch alles mit in sich fassen, was uns die Betrachtung der Natur darüber lehrt, zumal da die heil. Schrift diesen Theil |b298| des Christenthums nicht so ausführlich vorgetragen hat, als theoretische Lehren (S. §. 185 und 156. ) Ihr Unterschied von der philosophischen Moral besteht daher nicht darin, daß diese, natürlich bekannte, und die christliche, geoffenbarte Pflichten enthält – denn der letztern sind nur sehr wenige, die nemlich, welche aus den dem Christenthum eingethümlichen Lehren fließen – sondern darin, daß die christliche auch noch solche Gesinnungen und Pflichten empfiehlt, die nicht aus der bloßen Natur erkennbar sind, und die natürlichen Pflichten durch neue, aus den eigentlichsten Christenthum hergenommne, Bewegungsgründe unterstützt. Da es aber bey der wahren Gottseligkeit, welche die christliche Moral lehren und empfehlen soll, nicht sowohl auf Handlungen als auf Gesinnungen ankommt, die sich nur durch gute Handlungen äussern, und das Christenthum, als eine Religion betrachtet, alles auf unser Verhältniß gegen Gott zurückführt: so muß die christliche Moral theils sowohl und vorzüglich auf Beförderung einer guten Gesinnung, als der Ausübung einzelner Pflichten arbeiten, theils beydes beständig, wenigstens mit auf Gott zurückführen.Die christl. Moral, oder der zusammenhängende Unterricht, den uns das Christenthum über die Einrichtung unsers freyen Verhaltens nach Gottes Willen, giebt, kan nicht bloß auf dasjenige eingeschränkt werden, was die heil. Schrift davon enthält, sondern muß auch alles mit in sich fassen, was uns die Betrachtung der Natur darüber lehrt, zumal da die heil. Schrift diesen Theil |b298| des Christenthums nicht so ausführlich vorgetragen hat, als theoretische Lehren (S. §. 185 und 156. ) Ihr Unterschied von der philosophischen Moral besteht daher nicht darin, daß diese, natürlich bekannte, und die christliche, geoffenbarte Pflichten enthält – denn der letztern sind nur sehr wenige, die nemlich, welche aus den dem Christenthum eingethümlichen Lehren fließen – sondern darin, daß die christliche auch noch solche Gesinnungen und Pflichten empfiehlt, die nicht aus der bloßen Natur erkennbar sind, und die natürlichen Pflichten durch neue, aus den eigentlichsten Christenthum hergenommne, Bewegungsgründe unterstützt. Da es aber bey der wahren Gottseligkeit, welche die christliche Moral lehren und empfehlen soll, nicht sowohl auf Handlungen als auf Gesinnungen ankommt, die sich nur durch gute Handlungen äussern, und das Christenthum, als eine Religion betrachtet, alles auf unser Verhältniß gegen Gott zurückführt: so muß die christliche Moral theils sowohl und vorzüglich auf Beförderung einer guten Gesinnung, als der Ausübung einzelner Pflichten arbeiten, theils beydes beständig, wenigstens mit auf Gott zurückführen.
Hienach schließt der Name einer Sittenlehre der heil. Schrift weniger in sich, als der Name der christlichen Sittenlehre. – Den Theil der Letztern, der sich mit dem Unterricht zur Hervorbringung guter Gesinnungen beschäftigt, nennen einige die Ethicam, und den, der einzelne Pflichten vorträgt, die Jurisprudentiam divinam. – Da das Christen|b299|thum die Natur des Menschen nicht aufhebt, sondern nur verbessert, so dürfen die ihm eigenthümlichen Gesinnungen und Pflichten nie von den natürlichen getrennt werden; welche Trennung Gelegenheit gegeben hat, gemeinnützige Tugenden und Pflichten über Handlungen der bloßen Andacht zu vergessen, oder jene für unwichtiger, als diese anzusehen, oder die wahre Frömmigkeit in Schwärmerey zu verwandeln, wie unter andern das Beyspiel der Mönchs-Moral beweiset.

200.

Wenn die christliche Sittenlehre ihre Absicht erfüllen soll: so muß sie dreyerley leisten. Sie muß 1) alles, was zur wahren Gottseligkeit gehört, und den ganzen Umfang der Pflichten eines Christen vorstellen; sie muß wenigstens – da ihr Umfang ins Unendliche geht, und jede neu erlangte Kenntniß, jede neue Art von Umständen, in die wir kommen, uns neue Pflichten auflegt – so allgemeine und in vorkommenden Fällen anwendbare Grundsätze vorlegen, daß wir daraus, indem wir sie mit unsern Umständen vergleichen, unser rechtmäßiges Verhalten in einzelnen Fällen bestimmen können. Um diese Pflicht in ihrem ganzen Umfang vorzustellen, müssen nicht nur – die gesammten Pflichten selbst angegeben – es muß auch bestimmt werden, wie weit sie reichen, um sie nicht zu weit auszudehnen, und Pflichten zu fordern, die dergleichen nicht sind, oder sie zu sehr einzuschränken, und |b300| Pflichten auszuschließen, die darin mit begriffen seyn sollten; – es muß selbst die Collision der Pflichten nicht übersehen, und, durch Zusammenhaltung derselben, gezeigt werden, wie weit eine durch die andre eingeschränkt werde, oder die eine in vorkommenden Fällen der andern weichen müsse. Man sieht leicht ein, wie nöthig hier deutliche und bestimmte Begriffe sind, und wie wenig es zureiche, nur überhaupt zu wissen, was man zu thun oder zu laßen habe.Wenn die christliche Sittenlehre ihre Absicht erfüllen soll: so muß sie dreyerley leisten. Sie muß 1) alles, was zur wahren Gottseligkeit gehört, und den ganzen Umfang der Pflichten eines Christen vorstellen; sie muß wenigstens – da ihr Umfang ins Unendliche geht, und jede neu erlangte Kenntniß, jede neue Art von Umständen, in die wir kommen, uns neue Pflichten auflegt – so allgemeine und in vorkommenden Fällen anwendbare Grundsätze vorlegen, daß wir daraus, indem wir sie mit unsern Umständen vergleichen, unser rechtmäßiges Verhalten in einzelnen Fällen bestimmen können. Um diese Pflicht in ihrem ganzen Umfang vorzustellen, müssen nicht nur – die gesammten Pflichten selbst angegeben – es muß auch bestimmt werden, wie weit sie reichen, um sie nicht zu weit auszudehnen, und Pflichten zu fordern, die dergleichen nicht sind, oder sie zu sehr einzuschränken, und |b300| Pflichten auszuschließen, die darin mit begriffen seyn sollten; – es muß selbst die Collision der Pflichten nicht übersehen, und, durch Zusammenhaltung derselben, gezeigt werden, wie weit eine durch die andre eingeschränkt werde, oder die eine in vorkommenden Fällen der andern weichen müsse. Man sieht leicht ein, wie nöthig hier deutliche und bestimmte Begriffe sind, und wie wenig es zureiche, nur überhaupt zu wissen, was man zu thun oder zu laßen habe.
Die Lehre von der Demuth und Bescheidenheit, welche gleich weit von Niederträchtigkeit und Stolz entfernt bleiben soll; von dem Vertrauen auf Gott, das nicht in Unthätigkeit oder Versuchung Gottes ausarten muß; vom Diebstahl, der auch das Verfertigen schlechter Arbeit, den Andern zugefügten aber verschwiegnen Schaden, unüberlegtes Schuldenmachen und unterlaßne Bezahlung derselben, und noch viele andre wenig erkannte Sünden, in sich schließt; die Lehre von der Aufrichtigkeit und Verschweigung seiner Kenntnisse, Ueberzeugungen und Gesinnungen; die Pflicht, bessere Einsicht in der Religion auszubreiten, oder vor sich zu behalten, und die dabey nöthige, selbst auf Menschenliebe gegründete Weisheit, u. a. können hier zum Beyspiel dienen.

201.

Nächstdem müßte die christliche Moral 2) überall dazu eingerichtet seyn, uns würklich gottselig zu machen, d. i. es müßte uns alles so |b301| einleuchtend, so dringend, so überwiegend angenehm gemacht werden, daß bey uns – wahrhafte Ueberzeugung: so müssen wir seyn und handeln , wenn es uns wohl gehen soll – wahrhafte Neigung, so zu werden und zu verfahren – und zwar überwiegende Neigung dazu, entstehen könnte, die in wirkliche That überginge. Dieses kan geschehen durch deutliche und lebhafte Darstellung – zuerst der wahren Tugend oder Gottseligkeit, theils als einer Sache, ohne die man unmöglich glücklich seyn, bey der man hingegen auf die seligsten Folgen rechnen könne, theils als eines Ganzen, d. i. als einer durchgängigen Lust an allem, was Gottes Willen gemäß ist, und eines durchgängigen Mißfallens am Gegentheil, verbunden mit einem beständigen, immer wieder erneuerten, Bestreben, durchaus nach Gottes Willen zu handeln; hernach – aller einzelnen Pflichten im Zusammenhang, d. i. als solcher, die Gott ohnfehlbar von uns fordert, und die sowohl nothwendige Folgen von den anerkannten Pflichten, als neue Quellen der seligsten Folgen sind, die aus ihrer Ausübung entspringen. Die Vorlegung der wohlthätigen Absichten, die Gott bey allen seinen Gesetzen und Anstalten hat, können uns nicht nur willig machen zu Gesinnungen und Handlungen, die seinen Absichten entsprechen; sie können uns auch Aufschlüsse geben über die Verbindung einer Pflicht mit der andern, und über unsre rechte Wahl, wenn diese Pflichten mit einander in Collision kommen sollten.Nächstdem müßte die christliche Moral 2) überall dazu eingerichtet seyn, uns würklich gottselig zu machen, d. i. es müßte uns alles so |b301| einleuchtend, so dringend, so überwiegend angenehm gemacht werden, daß bey uns – wahrhafte Ueberzeugung: so müssen wir seyn und handeln , wenn es uns wohl gehen soll – wahrhafte Neigung, so zu werden und zu verfahren – und zwar überwiegende Neigung dazu, entstehen könnte, die in wirkliche That überginge. Dieses kan geschehen durch deutliche und lebhafte Darstellung – zuerst der wahren Tugend oder Gottseligkeit, theils als einer Sache, ohne die man unmöglich glücklich seyn, bey der man hingegen auf die seligsten Folgen rechnen könne, theils als eines Ganzen, d. i. als einer durchgängigen Lust an allem, was Gottes Willen gemäß ist, und eines durchgängigen Mißfallens am Gegentheil, verbunden mit einem beständigen, immer wieder erneuerten, Bestreben, durchaus nach Gottes Willen zu handeln; hernach – aller einzelnen Pflichten im Zusammenhang, d. i. als solcher, die Gott ohnfehlbar von uns fordert, und die sowohl nothwendige Folgen von den anerkannten Pflichten, als neue Quellen der seligsten Folgen sind, die aus ihrer Ausübung entspringen. Die Vorlegung der wohlthätigen Absichten, die Gott bey allen seinen Gesetzen und Anstalten hat, können uns nicht nur willig machen zu Gesinnungen und Handlungen, die seinen Absichten entsprechen; sie können uns auch Aufschlüsse geben über die Verbindung einer Pflicht mit der andern, und über unsre rechte Wahl, wenn diese Pflichten mit einander in Collision kommen sollten.
|b302| Hieraus erhellet, wie höchst nützlich es sey, das, was zur christlichen Moral gehört, ja im Zusammenhange zu studieren, und sich nicht mit guten Maximen und Sentenzen zu behelfen.

202.

Weil aber Ueberzeugung von einer Pflicht, Ueberzeugung von ihrer Möglichkeit voraussetzt, und weder Willigkeit, etwas zu werden oder zu thun, noch viel weniger That entstehen kan, wenn man nicht einsieht, wie man es anzugreifen habe, um so zu werden oder zu handeln: so muß sich die christliche Moral nicht bloß auf Vorlegung und Einschärfung guter Gesinnungen und Pflichten einschränken, sondern auch 3) die Art zeigen, wie wir jene erlangen, erhalten und verstärken, und diese ausüben, wodurch wir uns dieses erleichtern, und die Hindernisse desselben aus den Weg räumen, oder doch vermindern können.Weil aber Ueberzeugung von einer Pflicht, Ueberzeugung von ihrer Möglichkeit voraussetzt, und weder Willigkeit, etwas zu werden oder zu thun, noch viel weniger That entstehen kan, wenn man nicht einsieht, wie man es anzugreifen habe, um so zu werden oder zu handeln: so muß sich die christliche Moral nicht bloß auf Vorlegung und Einschärfung guter Gesinnungen und Pflichten einschränken, sondern auch 3) die Art zeigen, wie wir jene erlangen, erhalten und verstärken, und diese ausüben, wodurch wir uns dieses erleichtern, und die Hindernisse desselben aus den Weg räumen, oder doch vermindern können.

203.

Ob dieses Studium der christlichen Moral nützlich sey? – dies sollte bey vernünftigen Menschen und Christen eigentlich gar nicht einmal bezweifelt werden, weil es eben so viel ist, als wenn jemand noch fragen wollte: ob der Mensch seine Pflicht thun, und immer recht handeln müsse, oder nicht? ob er nach Glückseligkeit streben müsse, oder nicht? ob er glücklich werden könne ohne die Mittel, die er dazu in Händen hat, und ohne seine Kräfte zu gebrauchen? ob die deutliche und leben|b303|dige Kenntniß und Ueberzeugung von seinen Pflichten und ihrer Quelle, einer guten Gesinnung, von den seligen Folgen derselben, und von der besten Art, sie zu erlangen oder auszuüben, diesen fleißigen Gebrauch jener Mittel befördre, oder hindre? Und doch haben viele, auch sehr verständige redliche Christen, wirklich dieses Studium nicht nur für entbehrlich, sondern selbst für schädlich gehalten, und sind in ihren Vorurtheilen dagegen durch übertriebne Lobsprüche auf diese Wissenschaft verstärkt worden. Beyderley ausschweifende Vorurtheile rühren von unrichtigen, unvollständigen oder überspannten Begriffen her, die man sich von dem Umfang und von dem Zweck der Moral, von ihrem mehrern oder mindern Einfluß auf denselben, und von dem Werth andrer Mittel zur Glückseligkeit der Menschen macht, und diese Vorurtheile fallen weg, wenn man alle diese Begriffe berichtigt. Schon die ganze Absicht und Natur dieser Wissenschaft zeigt, daß es, nächst der christlichen Glaubenslehre, keine Wissenschaft gebe, deren Werth und unmittelbarer Einfluß in die Glückseligkeit des Menschen mit ihrem verglichen werden könne.Ob dieses Studium der christlichen Moral nützlich sey? – dies sollte bey vernünftigen Menschen und Christen eigentlich gar nicht einmal bezweifelt werden, weil es eben so viel ist, als wenn jemand noch fragen wollte: ob der Mensch seine Pflicht thun, und immer recht handeln müsse, oder nicht? ob er nach Glückseligkeit streben müsse, oder nicht? ob er glücklich werden könne ohne die Mittel, die er dazu in Händen hat, und ohne seine Kräfte zu gebrauchen? ob die deutliche und leben|b303|dige Kenntniß und Ueberzeugung von seinen Pflichten und ihrer Quelle, einer guten Gesinnung, von den seligen Folgen derselben, und von der besten Art, sie zu erlangen oder auszuüben, diesen fleißigen Gebrauch jener Mittel befördre, oder hindre? Und doch haben viele, auch sehr verständige redliche Christen, wirklich dieses Studium nicht nur für entbehrlich, sondern selbst für schädlich gehalten, und sind in ihren Vorurtheilen dagegen durch übertriebne Lobsprüche auf diese Wissenschaft verstärkt worden. Beyderley ausschweifende Vorurtheile rühren von unrichtigen, unvollständigen oder überspannten Begriffen her, die man sich von dem Umfang und von dem Zweck der Moral, von ihrem mehrern oder mindern Einfluß auf denselben, und von dem Werth andrer Mittel zur Glückseligkeit der Menschen macht, und diese Vorurtheile fallen weg, wenn man alle diese Begriffe berichtigt. Schon die ganze Absicht und Natur dieser Wissenschaft zeigt, daß es, nächst der christlichen Glaubenslehre, keine Wissenschaft gebe, deren Werth und unmittelbarer Einfluß in die Glückseligkeit des Menschen mit ihrem verglichen werden könne.
Durch meinen Versuch: Ueber den Werth der Moral, der Tugend und der späten Besserung, zweyte Ausgabe, Halle 1782 in Octav, hoffe ich mir den weitern Commentar über diese Sache, wie über die nächst vorhergehenden §§. erspart zu haben.

|b304| 204.

Wie diese edle Wissenschaft mit wahren Nutzen studieret werden könne, läßt sich aus dem leicht folgern, was bisher §. 200 202 über die Erfordernisse bey dieser Wissenschaft, ausführlicher im gedachten Buche, auch oben §. 188 gesagt worden ist. Aber nirgends ist auch das für Annehmung alles Guten offne und willige Herz so unentbehrlich als hier. – Um die rechte Behandlung der christlichen Moral nach der heil. Schrift und der Vernunft zu lernen, möchten die obigen Anmerkungen §. 145 f. und 156 f. sehr dienlich seyn.Wie diese edle Wissenschaft mit wahren Nutzen studieret werden könne, läßt sich aus dem leicht folgern, was bisher §. 200 202 über die Erfordernisse bey dieser Wissenschaft, ausführlicher im gedachten Buche, auch oben §. 188 gesagt worden ist. Aber nirgends ist auch das für Annehmung alles Guten offne und willige Herz so unentbehrlich als hier. – Um die rechte Behandlung der christlichen Moral nach der heil. Schrift und der Vernunft zu lernen, möchten die obigen Anmerkungen §. 145 f. und 156 f. sehr dienlich seyn.
Die besten allgemeinern Schriften, welche die christliche Moral enthalten, sind in der Anweisung zur theologischen Bücherkenntniß §. 272 f. angezeigt. Seitdem man angefangen hat, mehr die Natur der menschlichen Seele zu studieren, und darauf sowohl, als auf die genauer untersuchte Natur der Sittlichkeit überhaupt, die Moral zu gründen, haben wir sehr schätzbare Versuche über die Moral überhaupt erhalten, die keinem, wer die christliche Moral recht studieren will, gleichgültig seyn müssen, unter welchen die philosophischen Bemerkungen und Abhandlungen zu Cicero's Bücher von den Pflichten, von C. Garve, Breslau 1783, in drey Bänden groß Octav, vorzüglich bemerkt zu werden verdienen.

205.

Noch könnte man als Theile der christlichen Moral das ansehen, was manche unter dem Na|b305|men der Casuistik, Ascetik und Mystik begreifen. – Unter dem Namen der Casuistik, oder casuistischen Theologie, könnte man sich eine Anweisung denken, wie die göttlichen Gesetze auf vorkommende einzelne Fälle mit Vorsichtigkeit müßten angewendet werden. Weil aber diese weise Anwendung stets in Rücksicht auf die ins Unendliche verschiedne Umstände bey einzelnen Fällen geschehen muß, so sind der dahin gehörigen allgemeinen Regeln nur so wenige, und sie sind so allgemein, daß sie bey der wirklichen Anwendung viel zu unzureichend sind. Und dieses wenige, z. B. über die Collision der Pflichten, kan ja in der Moral eben sowohl mit vorgetragen werden, ohne daß man nöthig hat, eine besondere Wissenschaft daraus zu machen. Der beste Unterricht in einer solchen vorsichtigen Anwendung liegt in recht deutlichen und bestimmten Begriffen von unsern Pflichten, in genauer Aufsuchung der Absichten Gottes bey besondern Gesetzen , und in genau bestimmten Gründen, die uns wozu verpflichten, wozu hernach eine reifliche Erwegung der jedesmaligen Umstände kommen muß. Die fleißige Uebung in praktischer Beobachtung und Beurtheilung nach gedachten Begriffen, Absichten und Gründen; das Studium der moralischen Natur des Menschen und der Geschichte, und die sorgfältige Aufmerksamkeit auf (freylich nicht häufige) Beyspiele von weisen Entscheidungen solcher einzelnen Fälle, helfen hier weit mehr, als das ängstliche Studium allgemeiner Regeln. Die meisten casuistischen Schriftsteller sprechen mehr |b306| nach Herkommen, menschlichem Ansehen und Gutdünken, als nach gedachten richtigen Grundsätzen und Beobachtungen, verlieren sich auch zum Theil so sehr in bloß abstrakten Speculationen, daß ihre Versuche, der Moral und brauchbaren Entscheidung einzelner Fälle danach, mehr schädlich als nützlich worden sind.Noch könnte man als Theile der christlichen Moral das ansehen, was manche unter dem Na|b305|men der Casuistik, Ascetik und Mystik begreifen. – Unter dem Namen der Casuistik, oder casuistischen Theologie, könnte man sich eine Anweisung denken, wie die göttlichen Gesetze auf vorkommende einzelne Fälle mit Vorsichtigkeit müßten angewendet werden. Weil aber diese weise Anwendung stets in Rücksicht auf die ins Unendliche verschiedne Umstände bey einzelnen Fällen geschehen muß, so sind der dahin gehörigen allgemeinen Regeln nur so wenige, und sie sind so allgemein, daß sie bey der wirklichen Anwendung viel zu unzureichend sind. Und dieses wenige, z. B. über die Collision der Pflichten, kan ja in der Moral eben sowohl mit vorgetragen werden, ohne daß man nöthig hat, eine besondere Wissenschaft daraus zu machen. Der beste Unterricht in einer solchen vorsichtigen Anwendung liegt in recht deutlichen und bestimmten Begriffen von unsern Pflichten, in genauer Aufsuchung der Absichten Gottes bey besondern Gesetzen , und in genau bestimmten Gründen, die uns wozu verpflichten, wozu hernach eine reifliche Erwegung der jedesmaligen Umstände kommen muß. Die fleißige Uebung in praktischer Beobachtung und Beurtheilung nach gedachten Begriffen, Absichten und Gründen; das Studium der moralischen Natur des Menschen und der Geschichte, und die sorgfältige Aufmerksamkeit auf (freylich nicht häufige) Beyspiele von weisen Entscheidungen solcher einzelnen Fälle, helfen hier weit mehr, als das ängstliche Studium allgemeiner Regeln. Die meisten casuistischen Schriftsteller sprechen mehr |b306| nach Herkommen, menschlichem Ansehen und Gutdünken, als nach gedachten richtigen Grundsätzen und Beobachtungen, verlieren sich auch zum Theil so sehr in bloß abstrakten Speculationen, daß ihre Versuche, der Moral und brauchbaren Entscheidung einzelner Fälle danach, mehr schädlich als nützlich worden sind.

206.

Ascetik , als ein Theil der Moral genommen, wird 1) bisweilen in weiterm Verstande von der Anweisung verstanden, tugendhaft zu werden, und sich so zu beweisen. So fern die Moral überhaupt auch von den Mitteln zur Tugend handelt, und bey den einzelnen Pflichten die beste Art zeigt, wie sie ausgeübt werden müssen (§. 202 ), macht sie eine besondre Wissenschaft dieser Art entbehrlich. Es ist auch nicht rathsam, sie von der Moral zu trennen, weil gegründete und nicht willkürliche Regeln oder Rathschläge auf deutlichen und bestimmten Begriffen von der wahren Gottseligkeit und unsern Pflichten beruhen müssen. Gründet man sie darauf nicht – und das scheinen die zu thun, welche Ascetik noch von Moral unterscheiden: – so können ascetische Schriften viel Gutes enthalten, das aber nicht immer allgemein wahr und nützlich ist; sie legen auch gemeiniglich auf zufällige Dinge zu großen Werth , und mischen so manches Willkürliche und Irrige mit ein, daß man sich nicht sicher auf sie verlaßen kan, ja oft, bey der besten Meinung, zu Ausschweifungen ver|b307|leitet wird. – Bisweilen aber unterscheidet man auch moralische und ascetische Schriften 2) nachdem sie mehr auf Erkenntniß der Tugend und unsrer Pflichten, oder mehr auf das Herz und zur Beförderung des Eindrucks jener Erkenntniß arbeiten. – Beydes sollte nicht getrennt werden, obgleich das Eine zunächst mehr der Zweck des Unterrichts seyn könnte, als das Andre. – Manchmal nennt man auch 3) moralische Schriften, die, welche mehr durch deutliche Begriffe und Bewegungsgründe, und ascetische, die mehr durch sinnliche Vorstellungen die Gottseligkeit lehren und empfehlen sollen. Beyderley Vortrag kan nach Beschaffenheit der Umstände nützlich seyn (§. 175 177 ), und müßte billig, so weit es möglich ist, verbunden werden; nur müßte man auch bey jedem das nicht aus der Acht laßen, was oben (§. 174 ) gesagt worden ist. – Wollte man aber 4) Ascetik eine Anweisung zu einen Vortrag von der letztern Art nennen: so würde Ascetik von der Anweisung zum populären Vortrag nicht verschieden seyn.Ascetik , als ein Theil der Moral genommen, wird 1) bisweilen in weiterm Verstande von der Anweisung verstanden, tugendhaft zu werden, und sich so zu beweisen. So fern die Moral überhaupt auch von den Mitteln zur Tugend handelt, und bey den einzelnen Pflichten die beste Art zeigt, wie sie ausgeübt werden müssen (§. 202 ), macht sie eine besondre Wissenschaft dieser Art entbehrlich. Es ist auch nicht rathsam, sie von der Moral zu trennen, weil gegründete und nicht willkürliche Regeln oder Rathschläge auf deutlichen und bestimmten Begriffen von der wahren Gottseligkeit und unsern Pflichten beruhen müssen. Gründet man sie darauf nicht – und das scheinen die zu thun, welche Ascetik noch von Moral unterscheiden: – so können ascetische Schriften viel Gutes enthalten, das aber nicht immer allgemein wahr und nützlich ist; sie legen auch gemeiniglich auf zufällige Dinge zu großen Werth , und mischen so manches Willkürliche und Irrige mit ein, daß man sich nicht sicher auf sie verlaßen kan, ja oft, bey der besten Meinung, zu Ausschweifungen ver|b307|leitet wird. – Bisweilen aber unterscheidet man auch moralische und ascetische Schriften 2) nachdem sie mehr auf Erkenntniß der Tugend und unsrer Pflichten, oder mehr auf das Herz und zur Beförderung des Eindrucks jener Erkenntniß arbeiten. – Beydes sollte nicht getrennt werden, obgleich das Eine zunächst mehr der Zweck des Unterrichts seyn könnte, als das Andre. – Manchmal nennt man auch 3) moralische Schriften, die, welche mehr durch deutliche Begriffe und Bewegungsgründe, und ascetische, die mehr durch sinnliche Vorstellungen die Gottseligkeit lehren und empfehlen sollen. Beyderley Vortrag kan nach Beschaffenheit der Umstände nützlich seyn (§. 175 177 ), und müßte billig, so weit es möglich ist, verbunden werden; nur müßte man auch bey jedem das nicht aus der Acht laßen, was oben (§. 174 ) gesagt worden ist. – Wollte man aber 4) Ascetik eine Anweisung zu einen Vortrag von der letztern Art nennen: so würde Ascetik von der Anweisung zum populären Vortrag nicht verschieden seyn.

207.

Bey den schwankenden Begriffen, die man mit dem Wort Mystik oder mystische Theologie verknüpft, scheint es doch, wenn man auf den Gebrauch Acht giebt, den man von diesem Namen macht, und nach diesem einen bestimmten Begriff sucht, daß sich diese verschiedne Begriffe auf drey zurückführen laßen. 1) Eine Anwei|b308|sung, Gott ähnlich zu werden. Alsdann ist sie, wenn es nur von einer sittlichen, nicht physischen, Aehnlichkeit verstanden wird, von der Moral eigentlich nicht verschieden, ausser daß man in dieser letztern auch vieles, was recht ist, ohne Beziehung auf Gott betrachten kan, und daß gewisse Pflichten, z. B. Erhaltung unsers Lebens durch gesunde Nahrungsmittel und gute Lebensordnung, zwar immer Gottes Willen gemäß seyn müssen, aber in Gott nichts Aehnliches haben. 2) Anweisung zu Uebungen überhaupt, wodurch man zu dieser Aehnlichkeit mit Gott gelangen kan. Alsdenn wäre sie mit der Ascetik im ersten Verstande (§. 206 ) einerley, und ein Theil der Moral. 3) Im eigentlichsten und engsten Verstande aber, eine Anweisung zu solchen Uebungen, wodurch man, vermittelst des unmittelbaren Einflusses Gottes, dem man sich ganz überläßt, ohne ihn durch den Gebrauch eigner Kräfte oder äusserlicher Hülfsmittel zu stören, zur höchst möglichsten Aehnlichkeit mit Gott, in Gesinnungen und in Seligkeit, gelangt. Hiebey würde dann unser Betragen zu diesem Zweck, nicht auf dem Gebrauch und Befolgung weder der Vernunft, noch der heil. Schrift beruhen, wenigstens würde, was diese beyde uns von Gottes Willen lehren, erst dem Ausspruch unsrer innern Empfindungen unterworfen werden; welches der nächste Weg zur Schwärmerey ist. Da nun die Verwechselung unsrer Phantasien mit unsern Empfindungen so leicht ist, und wir ausser dem Gebrauch der Vernunft und der heil. Schrift schlechterdings kein Mittel haben, |b309| Wahres vom Falschen, göttliche Weisheit von menschlicher Thorheit, zu unterscheiden: so mag immerhin die Mystik, oder was man durch ihre Anweisung lernt, viel Schätzbares enthalten, welches, nach der Vernunft und Schrift geprüft, und danach geläutert, uns wenigstens manches Gute eindrücklicher machen kan, aber trüglich bleibt sie vor sich immer, und verdient ohnehin, da sie nicht auf deutlichen Begriffen beruht, den Namen einer Wissenschaft nicht.Bey den schwankenden Begriffen, die man mit dem Wort Mystik oder mystische Theologie verknüpft, scheint es doch, wenn man auf den Gebrauch Acht giebt, den man von diesem Namen macht, und nach diesem einen bestimmten Begriff sucht, daß sich diese verschiedne Begriffe auf drey zurückführen laßen. 1) Eine Anwei|b308|sung, Gott ähnlich zu werden. Alsdann ist sie, wenn es nur von einer sittlichen, nicht physischen, Aehnlichkeit verstanden wird, von der Moral eigentlich nicht verschieden, ausser daß man in dieser letztern auch vieles, was recht ist, ohne Beziehung auf Gott betrachten kan, und daß gewisse Pflichten, z. B. Erhaltung unsers Lebens durch gesunde Nahrungsmittel und gute Lebensordnung, zwar immer Gottes Willen gemäß seyn müssen, aber in Gott nichts Aehnliches haben. 2) Anweisung zu Uebungen überhaupt, wodurch man zu dieser Aehnlichkeit mit Gott gelangen kan. Alsdenn wäre sie mit der Ascetik im ersten Verstande (§. 206 ) einerley, und ein Theil der Moral. 3) Im eigentlichsten und engsten Verstande aber, eine Anweisung zu solchen Uebungen, wodurch man, vermittelst des unmittelbaren Einflusses Gottes, dem man sich ganz überläßt, ohne ihn durch den Gebrauch eigner Kräfte oder äusserlicher Hülfsmittel zu stören, zur höchst möglichsten Aehnlichkeit mit Gott, in Gesinnungen und in Seligkeit, gelangt. Hiebey würde dann unser Betragen zu diesem Zweck, nicht auf dem Gebrauch und Befolgung weder der Vernunft, noch der heil. Schrift beruhen, wenigstens würde, was diese beyde uns von Gottes Willen lehren, erst dem Ausspruch unsrer innern Empfindungen unterworfen werden; welches der nächste Weg zur Schwärmerey ist. Da nun die Verwechselung unsrer Phantasien mit unsern Empfindungen so leicht ist, und wir ausser dem Gebrauch der Vernunft und der heil. Schrift schlechterdings kein Mittel haben, |b309| Wahres vom Falschen, göttliche Weisheit von menschlicher Thorheit, zu unterscheiden: so mag immerhin die Mystik, oder was man durch ihre Anweisung lernt, viel Schätzbares enthalten, welches, nach der Vernunft und Schrift geprüft, und danach geläutert, uns wenigstens manches Gute eindrücklicher machen kan, aber trüglich bleibt sie vor sich immer, und verdient ohnehin, da sie nicht auf deutlichen Begriffen beruht, den Namen einer Wissenschaft nicht.
S. noch die Anweisung zur Kenntniß der theologischen Bücher §. 280 f.

208.

Ehe man zur systematischen Theologie schreitet, ist es zur deutlichen Ueberzeugung nothwendig, vorher eine feste Ueberzeugung von den Sätzen zu haben, worauf das göttliche Ansehn der heiligen Schrift und der darin enthaltnen Lehre sowohl, als der Glaubwürdigkeit ihrer Geschichte beruht, ohne welche Ueberzeugung die aus der heil. Schrift gezogne Sätze nicht können als sicher angenommen und aufgeklärt werden . Diese vorläufig nothwendigen Sätze müssen also nicht erst aus der heil. Schrift, sondern schon anderwärtsher bekannt und erweislich seyn; und dahin gehört 1) alles, was uns von Gott, seinen Eigenschaften, und dem daraus fließenden Verhältniß zwischen ihm und uns aus der Natur bekannt seyn kan. 2) Alles was die Geschichte der Bibel selbst, und der darin vorgetragnen Lehre angeht, deren gött|b310|liches Ansehn mit deutlicher Ueberzeugung erkannt werden soll; folglich sowohl die Geschichte der biblischen Bücher, wenigstens der ganzen Sammlung, die wir unter dem Namen der heil. Schrift für eine Quelle der göttlichen Wahrheit ansehn, als auch die Geschichte der darin stufenweise bekannt gemachten göttlichen Offenbarungen. Und da diese letztre meistens und allein recht zuverläßig aus der Bibel selbst geschöpft, das göttliche Ansehn dieser Nachrichten aber nicht schon vorausgesetzt werden kan: so ist nicht nur eine Kenntniß der Regeln nöthig, wonach die Glaubwürdigkeit dieser Nachrichten kan erwiesen werden, sondern wir bedürfen auch historischer Kenntnisse, wonach sich darthun laße, daß die in den biblischen Büchern vorkommende Nachrichten von den göttlichen Lehren und ihrer Geschichte, alle Kennzeichen der Glaubwürdigkeit haben.Ehe man zur systematischen Theologie schreitet, ist es zur deutlichen Ueberzeugung nothwendig, vorher eine feste Ueberzeugung von den Sätzen zu haben, worauf das göttliche Ansehn der heiligen Schrift und der darin enthaltnen Lehre sowohl, als der Glaubwürdigkeit ihrer Geschichte beruht, ohne welche Ueberzeugung die aus der heil. Schrift gezogne Sätze nicht können als sicher angenommen und aufgeklärt werden . Diese vorläufig nothwendigen Sätze müssen also nicht erst aus der heil. Schrift, sondern schon anderwärtsher bekannt und erweislich seyn; und dahin gehört 1) alles, was uns von Gott, seinen Eigenschaften, und dem daraus fließenden Verhältniß zwischen ihm und uns aus der Natur bekannt seyn kan. 2) Alles was die Geschichte der Bibel selbst, und der darin vorgetragnen Lehre angeht, deren gött|b310|liches Ansehn mit deutlicher Ueberzeugung erkannt werden soll; folglich sowohl die Geschichte der biblischen Bücher, wenigstens der ganzen Sammlung, die wir unter dem Namen der heil. Schrift für eine Quelle der göttlichen Wahrheit ansehn, als auch die Geschichte der darin stufenweise bekannt gemachten göttlichen Offenbarungen. Und da diese letztre meistens und allein recht zuverläßig aus der Bibel selbst geschöpft, das göttliche Ansehn dieser Nachrichten aber nicht schon vorausgesetzt werden kan: so ist nicht nur eine Kenntniß der Regeln nöthig, wonach die Glaubwürdigkeit dieser Nachrichten kan erwiesen werden, sondern wir bedürfen auch historischer Kenntnisse, wonach sich darthun laße, daß die in den biblischen Büchern vorkommende Nachrichten von den göttlichen Lehren und ihrer Geschichte, alle Kennzeichen der Glaubwürdigkeit haben.

209.

Jene natürlichen Kenntnisse von Gott sind zwar in der natürlichen Theologie enthalten, und die andern vorläufigen historischen Kenntnisse von der Bibel und von ihrer Geschichte findet man in den Büchern, welche die Kritik der heiligen Schrift, oder eine Einleitung in das alte und neue Testament liefern (§. 25. 34 und 51 ); auch pflegt man die nothwendigsten hieher gehörigen Kenntnisse vorläufig bey Abhandlung der dogmatischen Theologie vorzutragen. – Allein in der natürlichen Theologie nimmt man nicht immer Rücksicht |b311| auf die Möglichkeit und die Kennzeichen einer nähern göttlichen Offenbarung; es laßen sich auch von vorne her zwar wohl Merkmale angeben, woran eine fälschlich vorgegebne Offenbarung erkannt werden kan, aber keine unleugbare Kennzeichen, woran eine wirklich wahre Offenbarung zu erkennen wäre. Ueberdies kan man diese, jedem Menschen nothwendige, Kenntnisse von Gott nicht gemeinnützig und anschaulich genug machen, um lebhafte Eindrücke davon zu befördern, und daher sind Betrachtungen über die sichtbare Natur, und die in ihr unleugbar herrschende Ordnung und Absichten sehr nöthig , die unmöglich so in der Kürze vorgelegt werden können, sondern vielmehr ein besondres Studium erfordern. – In den sogenannten Einleitungen in die heil. Schrift oder zur biblischen Kritik, sind entweder, nach ihrer eingeschränkten Absicht, nur die historischen Kenntnisse vorgetragen, ohne eine nähere Anwendung auf das göttliche Ansehen, oder auch nur auf die Glaubwürdigkeit der biblischen Bücher zu machen, oder daraus den Beweis für dieselbe deutlich zu führen; oder dieser Beweis ist mit so weniger Genauigkeit und Discretion geführt, daß man darauf keine sichere Ueberzeugung gründen kan. – Endlich, wenn man auch den Beweis des göttlichen Ansehens dieser Bücher wohl entbehren könnte: so ist es doch sehr nöthig, die Vorurtheile wegzuräumen, und die allgemeinen Zweifel zu heben, die man mit großem Schein gegen die biblischen Bücher oder deren Inhalt machen kan, als welche weit mehr die wahre Ueber|b312|zeugung von ihrem großen Werth hindern, als der Mangel eines Beweises von ihrem göttlichen Ursprung. Denn jene hindern selbst die Aufmerksamkeit auf diese Bücher und deren Gebrauch; ist man aber erst so weit gebracht, daß man sie nur mit unbefangnem Gemüth lieset, betrachtet, und die Probe davon macht, was für selige Folgen aus der Beobachtung ihrer Lehren entstehn: so rechtfertigt sich nachher ihr göttlicher Werth von selbst. – Aus allen diesen Ursachen sind besondere Vorlesungen über die Wahrheit und den Werth der Religion und des Christenthums überhaupt, oder das Studium dahin abzielender Bücher sehr zu empfehlen; zumahl wenn die Umstände der Zeit dergleichen Untersuchungen noch weit nothwendiger machen als andre über besondre angebliche Lehren des Christenthums.Jene natürlichen Kenntnisse von Gott sind zwar in der natürlichen Theologie enthalten, und die andern vorläufigen historischen Kenntnisse von der Bibel und von ihrer Geschichte findet man in den Büchern, welche die Kritik der heiligen Schrift, oder eine Einleitung in das alte und neue Testament liefern (§. 25. 34 und 51 ); auch pflegt man die nothwendigsten hieher gehörigen Kenntnisse vorläufig bey Abhandlung der dogmatischen Theologie vorzutragen. – Allein in der natürlichen Theologie nimmt man nicht immer Rücksicht |b311| auf die Möglichkeit und die Kennzeichen einer nähern göttlichen Offenbarung; es laßen sich auch von vorne her zwar wohl Merkmale angeben, woran eine fälschlich vorgegebne Offenbarung erkannt werden kan, aber keine unleugbare Kennzeichen, woran eine wirklich wahre Offenbarung zu erkennen wäre. Ueberdies kan man diese, jedem Menschen nothwendige, Kenntnisse von Gott nicht gemeinnützig und anschaulich genug machen, um lebhafte Eindrücke davon zu befördern, und daher sind Betrachtungen über die sichtbare Natur, und die in ihr unleugbar herrschende Ordnung und Absichten sehr nöthig , die unmöglich so in der Kürze vorgelegt werden können, sondern vielmehr ein besondres Studium erfordern. – In den sogenannten Einleitungen in die heil. Schrift oder zur biblischen Kritik, sind entweder, nach ihrer eingeschränkten Absicht, nur die historischen Kenntnisse vorgetragen, ohne eine nähere Anwendung auf das göttliche Ansehen, oder auch nur auf die Glaubwürdigkeit der biblischen Bücher zu machen, oder daraus den Beweis für dieselbe deutlich zu führen; oder dieser Beweis ist mit so weniger Genauigkeit und Discretion geführt, daß man darauf keine sichere Ueberzeugung gründen kan. – Endlich, wenn man auch den Beweis des göttlichen Ansehens dieser Bücher wohl entbehren könnte: so ist es doch sehr nöthig, die Vorurtheile wegzuräumen, und die allgemeinen Zweifel zu heben, die man mit großem Schein gegen die biblischen Bücher oder deren Inhalt machen kan, als welche weit mehr die wahre Ueber|b312|zeugung von ihrem großen Werth hindern, als der Mangel eines Beweises von ihrem göttlichen Ursprung. Denn jene hindern selbst die Aufmerksamkeit auf diese Bücher und deren Gebrauch; ist man aber erst so weit gebracht, daß man sie nur mit unbefangnem Gemüth lieset, betrachtet, und die Probe davon macht, was für selige Folgen aus der Beobachtung ihrer Lehren entstehn: so rechtfertigt sich nachher ihr göttlicher Werth von selbst. – Aus allen diesen Ursachen sind besondere Vorlesungen über die Wahrheit und den Werth der Religion und des Christenthums überhaupt, oder das Studium dahin abzielender Bücher sehr zu empfehlen; zumahl wenn die Umstände der Zeit dergleichen Untersuchungen noch weit nothwendiger machen als andre über besondre angebliche Lehren des Christenthums.
Die vornehmsten sind in der Anweisung etc. §. 178 bis 197 angeführt.