|b23| Zweiter Abschnitt.
Von der Empfänglichkeit und den Anlagen der Menschen zur Seligkeit.
§. 11.
Wenn wir deutlich einsehen wollen, zu welchem Grade der Seligkeit, das ist, nach der bisher erwiesenen Erklärung, zu welchem Grade des fortdaurenden Bewußtseyns von dem wachsenden Uebergewicht der Vollkommenheiten unsres gesamten Zustandes über die Unvollkommenheiten, wir theils uns selbst, theils andre im gegenwärtigen Leben bringen können, so müssen wir zweierley vorher untersuchen.
Erstlich: Ob überhaupt in der jetzigen Lage des Menschen ein Uebergewicht des Guten, besonders in Beziehung auf die Zukunft, und ein fortgehender Wachsthum desselben anzutreffen oder hervorzubringen möglich sey.
Zweytens: Was für allgemeine Hindernisse des grössern Wachsthums der Vollkommenheiten und des fortdaurenden Bewußtseyns von dem wirklichen Uebergewicht des Guten im gegenwärtigen Zustande vorhanden sind.
§. 12.
Um das Gute und Böse in dem jetzigen Zustande der Menschen gehörig gegen einander zu berechnen, wollen wir zuvörderst auf die
körperlichen Veränderungen unsrer thierischen Natur sehen. Hier fället es sogleich in die Augen, daß der weit grössere Theil der Menschen von ihrer Geburt an bis zu ihrem Tode un
|b24|bestimbar mehr Stunden in angenehmen Empfindungen, als im Gefühl lebhafter Schmerzen durchleben; und daß selbst die meisten Arten besonders langwieriger Krankheiten, den Genuß vielerley sinnlichen Vergnügens annoch verstatten. Dieses wohlthätige Loos haben wir überhaupt mit den Thieren gemein: aber die grössere Manigfaltigkeit so wol unsrer Bedürfnisse, als der sich uns darbietenden Mittel sie zu befriedigen, giebt auch schon hierin dem Menschen grosse Vorzüge vor den übrigen lebendigen Wesen. Empfänden wir nicht Hunger, nicht Durst, nicht Kälte, nicht Hitze, so würde die Körperwelt ausser uns keine Reize für uns haben, und der Aufenthalt auf der Erde uns äusserst langweilig seyn. Aber jetzt ist uns alles interessant, weil es eine Beziehung auf unsre Bedürfnisse hat; und eben dadurch, daß wir vieles bedürfen, werden wir zu Nutzungsherren der Erde. Anstatt einfacher Nahrungsmittel von einerley Gattung, welche uns, wie die meisten Thierarten, zu ernähren hinlänglich wären, bietet die Natur dem Menschen unzählbare Gattungen der Speisen und Getränke dar, sich mit dem mannigfaltigsten Wohlgeschmack zu sättigen. Mit eben so vieler Freygebigkeit ist für angenehme Empfindungen der übrigen Sinne gesorgt. Ja selbst der Schmerz ist ein wohlthätiges Erinnerungsmittel, den Zerstörungen unsres Körpers entgegen zu arbeiten; nur selten heftig, und dann von weniger Dauer; meistens erträglich, und wenn er nachläßt, eine Quelle des Frohseyns und desto lebhafterer Vorstellung des Guten in der Gesundheit. So strömen also von allen Seiten sinnliche Freuden ohne Zahl gegen wenige und kurze Leiden auf den Menschen zu, wenn wir auf die natürliche Einrichtung der Dinge sehen. Die meisten langwierigen und die schmerzhaftesten Krankheiten sind unnatürliche Uebel, die aus Zerrüttungen der Natur, welche die Menschen selbst
|b25| verursachen, entstehen. Wenn die zur Stärkung des Körpers bestimten Weine von der Gewinsucht durch Bleyzucker vergiftet werden; wenn der Krieg die festesten Theile gesunder Menschen zerschmettert; wenn junge Leute ihre Ehre darin suchen, ihre Natur mit Verachtung aller Regeln der Gesundheitslehre und aller Warnungen der Vernunft zu bestürmen; wenn Habsucht und Geitz dem Leibe die nöthige Ruhe, Erquickung und Genesungsmittel versagt: wer ist dann schuld an der Menge der physischen Uebel, welche das Leben so vieler Menschen verbittern? Nicht die Natur, sondern die Empörungen gegen ihre leicht zu erkennende wohlthätige Ordnungsgesetze. Dem ohngeachtet aber bleibt es trotz aller in der Welt herrschend gewordner unnatürlichen Uebel noch immer wahr, daß die allermehresten Menschen ungleich mehr Stunden ihres Lebens schmerzlos und im Genuß vieles sinnlichen Guten verbringen können, und also ein Uebergewicht des dem Körper bestimten Guten über die physische Uebel noch im Ganzen vorhanden ist: folglich Gründe zu einer herrschenden Zufriedenheit und Vergnügtseyn für die mehresten. Die wenigen Beklagenswürdigen
, welche mit einem siechen Körper geboren worden, oder in ihrem Beruf und durch nicht verschuldete Zufälle elend gemacht sind, so daß sie den grössern Theil ihrer Stunden unter Schmerzen verseufzen müssen, können freylich nicht, indem sie Schmerz befürchten, in dieser Beziehung Zufriedenheit empfinden; und noch weniger damit sich trösten, daß doch die meisten übrigen Menschen sich wohl befinden: allein es ist auch das körperliche und sinnliche Gute nicht dis einzige und größte Gut des Menschen, und wir werden im folgenden zeigen, daß dennoch ein Uebergewicht des Guten in andern Bestimmungen und in ihren Hofnungen vorgestellt werden kan, welches ihr Gemüth aufrichten, und getrost erhalten kan, so bald nur der etwas
|b26| nachlassende Schmerz ihnen verstattet ihre Aufmerksamkeit auf andre Gegenstände zu heften.
Es ist Undankbarkeit gegen Gott, dis Leben überhaupt ein Jammerthal zu nennen. Die Leiden und das Kreutz, wovon die Schriftsteller des N. T. und Christus selbst redeten, waren etwas ausserordentliches, welches nur die ersten Verkündiger der Lehre Jesu, in so fern sie eine neue den herrschenden Vorurtheilen entgegenstehende Religion verkündigten, zu ertragen hatten. Jetzt, da so gar mit dem Bekentniß des Christenthums in unsren Gegenden bürgerliche Vortheile verknüpft sind, befindet sich der Christ, in so fern er sich äusserlich dazu bekennet, besser als jeder Unchrist. Daß aber die gewissenhaftere Ausübung der Vorschriften des Evangeliums auch schon hier mehr glücklich als unglücklich mache, wird im folgenden ins helleste Licht gesetzet werden. Hier ist also nur zu bemerken, daß es keine Lehre der Schrift sey, daß dis Leben mehr Uebel als Gutes enthielte, wenn wir blos auf die natürliche von aussen in unserm Körper veranlaßte Empfindungen sehen. Daher Davids Aussprüche hieher gehören, die Erde ist voll der Güte des Vaters der Welt. Ps. 33, 5. 119, 64. Gottes Güte breitet sich so weit aus als der Himmel, über Menschen und Vieh, denn Gott erbarmet sich aller seiner Werke. Alle werden trunken von den reichen Gütern des göttlichen Magazins und mit Wollust als mit einem Strom getränket. Ps. 36, 7. 9. Uebrigens kan in dieser kleinen Schrift nicht füglich auf einzelne und seltene Fälle Rücksicht genommen werden, da in derselben nur überhaupt die vorhandne Quellen der Glückseligkeit angezeigt werden sollen. Ist ein oder die andre einigen Menschen vertrocknet oder verschlossen, so muß er aus den übrigen desto angelegentlicher zu schöpfen suchen.
§. 13.
Betrachten wir ferner den Menschen nach seiner
geistigen Natur, und zwar zuvörderst in so fern er
|b27| durch freye Selbstthätigkeit seiner Erkentnißkräfte die Reihen seiner Vorstellungen selbst anordnen, seine Aufmerksamkeit nach eignem Belieben von einem Gegenstande auf den andern richten, das Abwesende sich gegenwärtig machen, das Vergangne erneuern, und durch Vergleichung des Vergangnen mit dem Gegenwärtigen sich Aussichten in die Zukunft eröfnen kan; so ist es abermals in die Augen fallend, daß die kleine Anzahl der unangenehmen Vorstellungen, welche sich dem Menschen aufdringen, gegen die grosse Summe der angenehmen, die er selbst in sich hervorbringen und unterhalten kan, gar nicht in Anschlag zu bringen sey. Denn
- 1. das eigne Denken ist der Seele schon an und für sich angenehm, wie auch die Gegenstände beschaffen seyn mögen. Denn wir finden, daß so gar betrübte und melancholische Menschen sich ungern in ihren Selbstbetrachtungen unterbrechen lassen. Vermöge des Grundtriebes des Geistes seine Vorstellungen immerfort zu erweitern, bringt jede neue Entdeckung, jede Aufklärung, jede Vermehrung der Gewißheit, wenn die Gegenstände auch gleichgültig sind, Vergnügen hervor. Im Gegentheil ist jede Einschränkung des selbstthätigen Denkens, jedes Hinderniß der Erweiterung, Aufklärung, Vergewisserung unsres Erkentnisses uns unangenehm. Da aber nur selten Fälle vorkommen, wo wir gehindert werden zu denken, was wir wollen, und da es von uns selbst abhängt, unsre Aufmerksamkeit von Gegenständen, die unsern Erweitrungstrieb nicht befriedigen, auf andre zu lenken; so erhellet, daß die Summe des Vergnügens, welches aus dem Denken erwächst, überaus sehr die sich dann und wann einmischende Mißvergnügen überwiege.
- 2. Wenn wir auf die Gegenstände unsrer Erkentniß sehen, so ist theils die Anzahl derselben ganz unbegränzt, |b28| daß es dem Erweiterungstriebe der Seele nie an vergnügender Nahrung gebrechen kan; theils ist unläugbar der weit grössere Theil derselben, in Beziehung auf uns, gut; und also übertrift das aus ihrer Vorstellung entstehende mögliche Vergnügen abermals das Mißvergnügen sehr weit. Wenn aber dieses bey einzelnen Personen bisweilen nicht wirklich statt findet, so sind nicht die äussern Objekte, sondern die fehlerhafte Erkentniß von der wahren Güte derselben im Zusammenhange an dem Mangel des Vergnügens schuld.
- 3. Das Vermögen, die ehemals gehabten Vorstellungen zu erneuern, vergrössert das Uebergewicht des Vergnügens ungemein, ohne die Unannehmlichkeiten merklich zu vermehren. Denn es ist uns nicht nur die Erinnerung ehemals genossener Freuden angenehm, sondern auch der überstandnen Widerwärtigkeiten; da wir bemerken, daß jeder eben so gern seine erlittne Unglücksfälle als seine genoßne Ergötzlichkeiten erzählt.
- 4. Die Aussichten in die Zukunft gewähren ebenfals mehr angenehme als unangenehme Vorstellungen. Nicht nur in der Jugend, sondern auch in den männlichen Jahren, bis nahe an die Gränzen des hohen Alters, sind alle gesunde Menschen geneigt, mehr zu hoffen als zu fürchten. Auch ist es eine besonders wohlthätige Einrichtung unsrer Natur, daß sich das Bild des gewiß bevorstehenden Todes nur selten unsrer Einbildungskraft aufdringt, und die Vorstellung davon wegen der Ungewißheit der Zeit und der Art desselben nicht anschauend wird; folglich die Zufriedenheit und der Genuß der Annehmlichkeiten des Lebens durch Todesgedanken wenig verhindert zu werden pflegt. Eben so erfolgt die Abnahme der Kräfte im Alter so allmählig, daß das Mißvergnügen darüber |b29| nie eine grosse Intension erhalten kan, weil die Verschlimmerung des körperlichen Zustandes zu unmerklich ist. Indes ist nicht zu läugnen, daß in ruhigen Stunden der Ueberdenkung unsres gesamten Zustandes in Beziehung auf die Zukunft, die Aussicht ins Alter und Grab alle Zufriedenheit über die guten Bestimmungen unsres Daseyns unterbreche, und uns, so lange keine überwiegende Hofnung zu einem Leben nach dem Tode vorhanden ist, kleinmüthig und niedergeschlagen mache; so daß eine höhere fortdaurende Glückseligkeit bey dem Gedanken, daß nach einigen Jahren sich unser Zustand verschlimmern und endlich selbst das Daseyn auf immer verloren gehen werde, schlechterdings nicht statt finden kan.
Das Ende zu bedenken, wenn es so viel heißt, als bey allen Unternehmungen auf die Folgen und den Ausgang derselben vorher Bedacht zu nehmen, ist gut und eine vortrefliche Lehre der Weisheit: versteht man aber darunter Todesgedanken, so würde ich eben nicht anrathen, solches als ein kräftiges Hülfsmittel zur Tugend allgemein zu empfehlen; da weit reinere Beweggründe aus ihrer Liebenswürdigkeit und dadurch zu erhaltenden Aehnlichkeit mit Gott entlehnt werden können, welche auch weit fruchtbarere Mittel sind, einen willigen Gehorsam gegen göttliche Vorschriften, der nur eigentlich Tugend ist, hervorzubringen. Wen das Gespenst des Todes hofmeistern soll, der wird es in der Weisheit nicht hoch bringen, ob er gleich von groben Thorheiten und Ausschweifungen dadurch zurückgeschreckt werden kan. Es ist Wohlthat Gottes, daß wir von lebhaften unsrer Natur immer fürchterlich bleibenden Todesgedanken nicht oft geplagt werden.
§. 14.
Die
gesellschaftlichen Triebe unsrer Natur machen uns neuer mannigfaltiger Vergnügen, die ihre
|b30| Befriedigung gewähret, empfänglich. Dahin gehört,
- 1. der Trieb zum Umgange überhaupt ist allen Menschen von Kindheit an gemein, und schon mit der blossen Mittheilung unsrer Gedanken an andre ist Vergnügen verbunden.
- 2. Das Wohlwollen gegen alle andre Menschen, die wir nicht als unsrer Wohlfarth hinderliche Personen ansehen, ist ebenfals ein natürlicher Hang zur Theilnehmung an ihrem Wohl, zum Mitleiden, zur Hülfsleistung; und die Befriedigung dieses geselligen Triebes gewährt viele sanfte süsse Empfindungen. Noch mehrere und stärkere Vergnügungen bieten die höhern Grade dieses Wohlwollens dar. Ich rechne dahin
- a) die Freundschaft, welche theils aus der grössern Aehnlichkeit der Gesinnungen, theils aus fruchtbarern Gelegenheiten zu gegenseitiger Abhelfung der Bedürfnisse entsteht, und nach unzähligen Stufen der innern Zuneigung auch viele Grade geistiger Vergnügungen gewähren kan.
- b) die väterliche und mütterliche Triebe, deren Befriedigung mit einem ungemein grossen Vergnügen begleitet seyn muß, weil wir sehen, daß Aeltern die damit verknüpften Beschwerden gar nicht dagegen achten.
- c) die Liebe zwischen beyderley Geschlecht, deren Lebhaftigkeit aus dem, was zu ihrer Befriedigung oft gewagt und aufgeopfert wird, erhellet, und welche so so wol überhaupt Annehmlichkeiten über den Umgang beyder Geschlechter, als auch die feinsten Freuden der ehelichen Freundschaft erzeugt.
- d) die dankbare Liebe, wozu jeder einen natürlichen Hang hat, und die uns in jeder Bemühung, unsren Wohlthätern gefällig zu werden, ein Vergnügen empfinden läßt. |b31|
- 3. Der Trieb zu Ehre und Nacheiferung, welcher die Geschäftigkeit aller Menschen, obwol in verschiedenen Graden belebt, und gegen Lob und Achtungsbezeugung empfindsam macht. Dieser ist eine der fruchtbarsten Quellen sehr lebhafter und dauerhafter Vergnügungen.
Einen oder den andern dieser gesellschaftlichen Triebe findet man überall und täglich Gelegenheit zu befriedigen, und sich dadurch angenehme Stunden zu verschaffen; und die mehresten Menschen befinden sich in der Lage, alle daraus entstehende Freuden den größten Theil ihres Lebens hindurch zu geniessen. Der Kränkungen dieser Triebe, auch selbst des Triebes zur Ehre, sind vergleichungsweise sehr wenige. Die meisten derselben veranlassen wir uns selbst, oder könten sie doch durch Klugheit zum öftern vermeiden. Also hat auch von dieser Seite, nach den vom Urheber der Natur gemachten Anlagen, das uns zum Genuß bestimte Gute ein in die Augen fallendes Uebergewicht über die anscheinende Uebel.
Wir können auch das Verlangen geliebt zu werden, als einen allgemeinen Naturtrieb der Menschheit betrachten, dessen Befriedigung die Süssigkeiten des Lebens überaus vermehrt. Ein armer Mann hatte von dem Prediger des Dorfs, worin er sich aufhielt, wöchentlich eine gewisse Portion Brodt, die zu seiner genüglichen Sättigung zureichend war, erhalten. Nach geraumer Zeit fing er an, sich eine größre Quantität zu erbitten, und öfter als vorher wiederzukommen. Dem Prediger schien es unmöglich, daß der Arme so viel Brodt, als er sich abholte, selbst verzehren könte, und er sagte ihm daher sehr ernstlich, daß er sich der Wohlthat verlustig machen würde, wenn er solche mißbrauchte, und das Brodt anderwärts hin austheilte oder verkaufte. Der Arme bekante hierauf, daß sich ein Hund zu ihm gefunden, und sich so freundlich an ihn heran geschmeichelt hätte, daß es ihm unmöglich gewesen wäre, |b32| ihn fortzuprügeln, und mit diesem theile er sein Brodt. Ja, sagte der Prediger, das gehet aber nicht an, daß ich euch von dem blos für dürftige Menschen bestimten Brodt aus der gemeinen Armenkasse für euren Hund etwas geben kan: ihr müßt ihn schlechterdings abschaffen. Ach lieber Herr Prediger, erwiederte der Arme, und Thränen flossen von seinen Wangen herab, wenn ich den Hund von mir jagen solte, so hätte ich ja denn gar nichts mehr in der Welt, was mich liebte! Der Prediger ward gerührt, und legte dem empfindsamen Alten von seinem eignen Brodte von der Zeit an so viel zu, als er brauchte, um das Bedürfniß geliebt zu werden, zu befriedigen. Wer von meinen Lesern nicht auch gerührt wird, und nicht den Augenblick in sich selbst fühlt, daß er es eben so gemacht haben würde, wie dieser Prediger, für den habe ich diese Schrift nicht geschrieben; und hat er ein öffentlich christliches Lehramt, so lege ers nieder, und betrüge die Welt nicht durch das Vorgeben, daß er die Menschen zu höherer Glückseligkeit zu leiten verstehe. 1. Joh. 4, 8. 21.
§. 15.
Es ist noch das Wichtigste zu betrachten übrig, nemlich
die moralische Natur der Menschen. Lehrern der Glückseligkeit ist eine recht ausführliche deutliche Einsicht in die moralische Natur des Menschen, wenn sie nicht blinde Führer seyn wollen, unentbehrlich. Hier ist nur überhaupt folgendes im allgemeinen zu bemerken.
- 1. Wir nennen in Handlungen moralisch, was von der Freiheit unsres Willens abhängt, oder wobey eine Wahl nach eigner Einsicht statt findet. Nach dem Grundgesetz des Begehrens, dem alle selbstthätige Wesen unterworfen sind, können wir nur begehren und wollen, was sich uns als gut, unter mehrern Guten als das beste, unter mehrern Uebeln als das geringste und erträglichste, und zwar in dem Augenblick der Erwählung, vorstellet. |b33|
- 2. Vieles stellet sich bey dem ersten Anblick sinnlich als gut und angenehm vor, wovon aber unsre Vernunft bey weiterm Nachdenken erkennet, daß es im Zusammenhange schädliche Folgen haben würde: und eben so stellet sich vieles sinnlich als unangenehm vor, was aber von der Vernunft als ein Mittel zu grösserm Guten anerkant wird. Hieraus entstehet oft ein Streit zwischen den vernünftigen und sinnlichen Begierden, welcher in der heiligen Schrift der Streit zwischen Geist und Fleisch genennet wird.
- 3. Wenn wir nach dem sinnlichen Schein das Böse für das Gute, ein kleines vorübergehendes Vergnügen statt eines grössern dauerhaftern erwählet; oder ein erträgliches kleines Uebel nicht übernommen, und uns dadurch grössere langwierige Uebel zugezogen haben; so entsteht, wenn wir solches aus den Folgen bemerken, theils aus der Vorstellung, daß unser Zustand verschlimmert worden sey, noch mehr aber aus dem Gedanken, daß wir uns selbst betrogen haben, ein sehr lebhaftes Mißvergnügen.
- 4. Sind wir uns nun bewußt, daß wir den Selbstbetrug leichtlich hätten vermeiden können, so entstehet weiter hieraus eine starke Unzufriedenheit und Verdruß gegen uns selbst: und dis ist das moralische Mißvergnügen überhaupt, welches sehr verschiedene Grade der innern Stärke und Fortdauer haben kan.
- 5. Ein jeder im Gebrauch der Vernunft stehende Mensch kan in ruhigen Stunden des Nachdenkens sehr leicht zu der Einsicht gelangen, daß gewisse Arten des Verhaltens, wie z. B. Arbeitsamkeit, Ehrlichkeit, grade hin dazu abzielen, unser eignes und das gemeinsame Wohl der Gesellschaft, wovon wir Glieder sind, zu befördern; und daß andre Gattungen der Handlungen z. B. Betrug, Diebstal, nach ihren Folgen nothwendig Störung der gesellschaftlichen Wohlfart |b34| bewirken müssen. Hierdurch bieten sich also der Vernunft eines jeden Menschen gewisse allgemeine moralische Vorschriften über das, was rechtmässig, billig und anständig ist, dar. Die Ueberzeugung, daß man zur Beförderung seiner eignen Wohlfart dieselbe beobachten müsse, wird dadurch besonders verstärkt, daß man überall in der menschlichen Gesellschaft diejenigen tadeln hört, die sie verletzen. Daß auch die Ueberzeugung von der Verbindlichkeit sie zu befolgen allgemein sey, erhellet daraus, daß jeder, wenn er beleidigt worden ist, sich gegen andre darüber beklagt, und also voraus setzt, daß sein Beleidiger etwas gethan habe, welches nach dem Urtheil aller Menschen Tadel verdiene. Hieraus erhellet nun, daß kein Mensch ohne Erweckungen zu richtigen Erkentnissen von den in seiner Lage zu beobachtenden moralischen Vorschriften bleibe, und daß in so fern ein gewisser Grad moralischer Glückseligkeit jederman zu erhalten möglich sey.
- 6. Nun läßt sich das moralische Mißvergnügen nach seinem Entstehen und den verschiedenen Graden der innern Stärke und Fortdauer deutlicher erklären.
- 1. So oft wir gewahr werden, daß wir durch eine Handlung unsern Zustand, anstatt ihn zu verbessern, verschlimmert haben, so denken wir zurück und untersuchen, wodurch wir bewogen worden sind, die Handlung vorzunehmen. Finden wir, daß wir keine uns bekante moralische Vorschrift dabey verletzet, und überdis nach unsrer besten uns damals möglichen Erkentniß gehandelt haben; so machen wir uns selbst keinen Vorwurf, und trösten uns über den erlittenen Schaden als über einen Unglücksfall, weil wir nach unsern Einsichten nicht anders hätten handeln können. Hierbey dauert also die Selbstzufriedenheit fort, und das Mißvergnügen über |b35| die Verschlimmerung unsres Zustandes ist eigentlich kein moralisches Mißvergnügen, und gehet mit dem Entschluß, Klugheit fürs Künftige daraus zu erlernen, vorüber.
- 2. Finden wir dagegen bey angestelter Selbstprüfung, daß wir uns bey unserm Entschluß übereilt haben, und den Fehltrit durch mehre Ueberlegung hätten vermeiden können, so werden wir gegen uns selbst unzufrieden: und dieser Verdruß ist desto eindringender und fortdaurender, je mehr üble Folgen unsres Versehens uns sichtbar werden, und je leichter es uns gewesen seyn würde, solche vorher zu sehen. Eine jede Rückerinnerung davon macht uns gegen uns selbst beschämt.
- 3. Dis moralische Mißvergnügen erhält einen noch höhern Grad, wenn wir uns bewußt werden, daß wir nicht nur gegen uns selbst thöricht gehandelt, sondern auch dabey eine moralische Vorschrift in Beziehung auf andre verletzt haben. Hier entstehet in der Seele
- a) der Gedanke, daß wir die Verachtung andrer verdient haben.
- b) die Besorgniß, daß es entdeckt werden möchte; und die verworrne Vorstellung von den üblen Folgen, die es alsdenn haben könne.
- c) die fortdaurende ängstliche Bestrebung, die Entdeckung zu verhindern, und zu dieser Absicht auf unsre Minen, Worte und Handlungen bey allen Gelegenheiten aufmerksam zu bleiben, um uns nicht zu verrathen.
- d) die immer wiederkehrende Verdrüßlichkeit über uns selbst, wenn nach der Entdeckung eine üble Folge nach der andern, und die Vorwürfe unsrer Bekanten uns empfindlich fallen. |b36|
- 4. der höchste Grad der innern Stärke des moralischen Mißvergnügens entsteht, wenn die moralischen Vorschriften zugleich als göttliche Gesetze gedacht werden, und von einer göttlichen Strafgerechtigkeit zu besorgende Ahndungen sich dem Gemüth in verworrnen Vorstellungen aufdringen. Zu welchem hohen Grade die innere Beängstigungen alsdenn hinansteigen können, beweisen die Beyspiele solcher Missethäter, welche, da sie unentdeckt bleiben konten, sich selbst der Obrigkeit überliefert und Scheiterhaufen , als wohlthätige Befreyungsmittel ihrer Gewissensqualen, freywillig gewählet haben.
Um weise und glückselig zu leben ist es nicht nothwendig, von der menschlichen Freiheit die gelehrten Erklärungen der metaphysischen Lehrer einzusehen, und die zwischen den größten Philosophen darüber noch herrschende Streitfragen entscheiden zu können. Ich habe die vorhandnen Hypothesen nach allen ihren Folgen geprüft, und kenne die Schwierigkeiten, welche eine jede derselben hat. In dieser Beziehung rathe ich einem jeden, sich an sein Selbstgefühl zu halten, welches ihn in praxi weit sicherer, als irgends ein transcendentes System führen wird. Ein jeder wird durch sein eignes Bewußtseyn überzeugt, daß wir bey vielen Handlungen wahre Freiheit haben, und daß es alsdenn von uns selbst abhängt, ob wir nach vernünftiger oder sinnlicher Erkentniß handeln wollen. Dieses in jedem Menschen hinlänglich klare Erkentniß von der Moralität unsrer Handlungen ist durchaus praktisch, und führet uns sicherer als jede Theorie über die Freiheit zu mehrerer Vorsichtigkeit und mehrerem Gebrauch des Gewissens an.
§. 16.
Aus diesen Bemerkungen erhellet nun, daß alles
moralische Mißvergnügen von dem Menschen, an sich,
|b37| vermieden werden kan; weil es natürlich nur in so fern statt findet, als wir uns bewußt werden, daß wir besser hätten handeln können. Allein dem ohnerachtet werden viele Menschen, ganz wider den Plan Gottes, in die Quaalen eines moralischen Mißvergnügens ohne ihre Verschuldung versenkt, und dieses geschiehet durch den fehlerhaften Unterricht in einer positiven Religion. Hierher gehört insonderheit:
- 1. Wenn man willkührliche Regeln des Verhaltens, die wider die Naturtriebe, wider Vernunft und Billigkeit streiten, dem Gewissen der Menschen als göttlich geoffenbarte Gesetze aufbürdet.
- 2. Wenn wahre göttliche Gesetze nicht nach ihrem Zweck begrenzt, sondern die Anforderungen derselben über solche Grenzen, auch wol über die natürlichen Kräfte des Menschen, ausgedehnt werden, z. B. die Pflicht der Wahrhaftigkeit, nicht durch die Pflicht der Menschenliebe eingeschränkt, oder eine ganz reine Liebe gegen Gott, ohne Rücksicht auf wohlthätige Gesinnungen desselben gegen uns gefordert wird.
- 3. Wenn die göttliche Gerechtigkeit nicht als eine proportionirte Güte, sondern als ein der Liebe entgegengesetztes Principium vorgestellet, und die zu erwartenden willkührlichen Strafen, ohne Grenzen und Verhältniß gegen die wirkliche Moralität der Handlungen geschildert werden.
- 4. Wenn so gar das, was gar nicht vom Willen des Menschen abhängt, und blos Schwachheit der Natur ist, dem Menschen als Sünde und eigne Verschuldung angerechnet wird.
Dergleichen falsche Begriffe von der Religion verwirren die Gewissen, und verbreiten ganz wider den Plan Gottes ein unverschuldetes moralisches Elend, welches besonders alsdenn sichtbar wird, wenn gewisse Disposi|b38|tionen des Körpers einen Menschen zur applikativen Ueberdenkung dieser finstern Lehrsätze veranlassen.
§. 17.
Das moralische Vergnügen kan sich jeder Mensch überall und gewisser massen jeden Augenblick des Lebens verschaffen. Hierbey ist zu bemerken:
- 1. Schon das Bewußtseyn, daß man so denkt und zu handeln geneigt ist, wie es die moralische Vorschriften erfordern, bringt in der Seele ein Gefühl von innerer Würde hervor. Man empfindet hierbey, wenn man sich es auch nicht deutlich macht, daß man die Hochschätzung der ganzen Welt verdiene, und daß uns niemand, so bald unsre innerste Gedanken sichtbar werden könten, seine Achtung und Beyfall versagen würde.
- 2. Diese innre Selbstzufriedenheit und eigne Werthschätzung wird noch lebhafter, nach jeder Verrichtung einer gewissenhaften und mit Ueberlegung vorgenommnen Handlung, empfunden. Die angenehme Vorstellung der zu erwartenden guten Folgen, wird durch den Gedanken, daß wir selbst die Urheber unsrer vergrösserten Wohlfart sind, ungemein erhöhet.
- 3. Insonderheit haben die edlen, großmüthigen und wohlthätigen Erweisungen der Menschenliebe diese belohnende Beylage, daß der Mensch durch sie sich gleichsam zu einer höhern Gattung der Geister erhöhet fühlt. Wer jemals die reine und erhabene damit verknüpfte Freude empfunden hat, der wird keinen weitern Beweis fordern, daß es des Menschen Bestimmung sey, sich durch edelmüthige Wohlthätigkeit der Gottheit ähnlich zu machen, und dadurch einer göttlichen Seligkeit theilhaftig zu werden.
- 4. Die Intension der moralischen Vergnügen wird dadurch verstärkt, wenn wir uns bewußt werden, daß eine gewissenhafte Entschliessung uns Anstrengung der |b39| Geisteskräfte gekostet hat, und wir derselben grosse sinnliche Annehmlichkeiten aufgeopfert, oder viele sinnliche Beschwerden deshalb übernommen haben.
- 5. Das moralische Vergnügen erhält den höchsten Grad, wenn sich reine Religionsbegriffe damit verbinden, und die Vorstellung erzeugen, daß wir uns dem höchsten Wesen wohlgefällig und ähnlich gemacht, und dadurch unsere höhere Wohlfart auf immer gesichert haben: denn hier eröfnet sich uns eine Aussicht in gute Folgen ohne Ende. Insonderheit belohnen diese Gedanken uns auch wegen blosser guten Vorsätze und Wünsche, deren Ausführung durch äußre Umstände unmöglich ward, und die niemand als dem Allwissenden in dem Innern der Seele offenbar sind. Daher kan der Gerechte auch im Unglück getrost und heiter seyn.
Gute Werke erfordern äusserliche Gelegenheiten solche zu verrichten, und diese Gelegenheiten hängen oft nicht von uns selbst ab; aber gute Gesinnungen können immer in uns fortdauern. Ein Mensch im Kerker, der alles äußern
Vermögens etwas gutes zu thun, beraubt ist, kan innerlich der erhabensten moralischen Freuden im Bewußtseyn edler Gesinnungen geniessen, insonderheit wenn er seiner Unsterblichkeit und grossen Bestimmung zu immer wachsender Glückseligkeit gewiß ist.
§. 18.
Nun läßt sich ohne Schwierigkeit deutlich machen, daß alle höhere Grade menschlicher Glückseligkeit ganz eigentlich auf der Güte der moralischen Gesinnungen, oder der Fertigkeit,
nach allgemeinen Regeln der Ordnung zu handeln, beruhen; und man daher mit Recht die höhere Seligkeit schlechthin moralische Glückseligkeit nennen könne. Denn
- 1. wenn wir uns einen Menschen ohne Unterricht und Erziehung den rohen Naturtrieben allein überlassen ge|b40|denken, so wird derselbe nach der wohlthätigen Einrichtung des Schöpfers zwar auch in diesem thierischen Zustande mehr angenehme als unangenehme Empfindungen in seiner ganzen Dauer geniessen, dennoch aber bey dieser ganz unmoralischen Wohlfart von niemand selig gepriesen oder beneidet werden.
- 2. Der in der Gesellschaft erzogene Mensch wird durch jeden Grad der Kultur seiner obern Seelenkräfte zum Genuß immer feinerer und mannigfaltigerer Vergnügen fähig; in eben dem Maaß aber auch zur Erkentniß immer mehrerer allgemeinen Regeln des rechtmäßigen und anständigen Verhaltens, und zu immer genauerer Beurtheilung seiner Handlungen nach denselben geschickt gemacht und erweckt. Da nun die moralische Gesetze bestimmen, was wir zu unserm wahren Besten zu thun haben, so ist offenbar, daß jede Uebertretung derselben unsern Zustand verschlimmert, und bey jeder Vernachlässigung derselben ein grösseres Gute, welches wir hätten erhalten können, verloren geht; daß ferner die nachmalige Wahrnehmung unsres Fehltritts Mißvergnügen erweckt, und wenn wir uns bewußt werden, daß wir ihn hätten vermeiden können, noch überdis bittrer Verdruß gegen uns selbst entsteht. Je mehr moralisch gute Handlungen daher ein Mensch vollführt, desto mehr verbessert sich sein gesamter Zustand; und daher kan nur allein bey der Fertigkeit moralisch gut zu denken und zu handeln, das Bewußtseyn des wachsenden Uebergewichts der Vollkommenheiten unsres gesamten Zustandes, und das ist, höhere Glückseligkeit auf eine fortdaurende Art statt finden.
Um zu beweisen, daß lediglich von der Kultur der Vernunft der Grad der Moralität, und demnach auch
der höhern Glückseligkeit und Unglückseligkeit, deren ein Mensch empfänglich ist, abhange, ist gar nicht nöthig hier
|b41| Beyspiele von solchen Menschen, die ausser aller menschlichen Gesellschaft aufgewachsen und nachher als wilde Raubthiere eingefangen worden sind, anzuführen, oder die Glaubwürdigkeit der davon vorhandenen Erzählungen zu beweisen. Mitten unter uns finden sich bisweilen Leute, welche beym Viehhüten ohne alle absichtliche Kultur ihres Verstandes aufgewachsen sind, und sobald sie aus diesem Zirkel ihrer täglichen Geschäfte herausgezogen werden, wenig Menschenvernunft und die gröbste Unwissenheit der allgemein bekanten moralischen Gesetze der bürgerlichen Gesellschaften zeigen. Doch man darf auch nicht einmal hierauf zurück gehen, da jederman schon geneigt und gewohnt ist, einerley Vergehen bey dem einen Menschen mit seiner schlechten Erziehung und Dummheit zu entschuldigen und einem andern desto höher anzurechnen, je mehr desselben Denkart von Jugend auf kultivirt worden ist.
§. 19.
Wenn man sich ausführlich klar machen will, wie von jedem einzelnen im Gebrauch der Vernunft stehenden Menschen das nach seiner besondern Individuation ihm zu geniessen mögliche Gute, nur nach dem Maaß seiner moralisch guten Denkart, wirklich genossen werde, oder wie die gesamte extensive, intensive und protensive Grösse des Vergnügens lediglich von der Güte moralischer Fertigkeiten abhange; so muß man nicht, wie es gewöhnlich geschieht, einen im äussern Elende schmachtenden Tugendhaften und einen im Schooß des Glücks prassenden Bösewicht mit einander vergleichen, sondern 2 Personen von ähnlichen Talenten und Glücksumständen neben einander aufstellen, davon der eine leichtsinnig ohne Rücksicht auf moralische Vorschriften, ohne Ueberlegung, sich blos den sinnlichen Begierden überläßt; der andere dagegen keine Handlung von Erheblichkeit vornimt, ohne Vernunft und Gewissen zu rathe
|b42| zu ziehen. Hier wird der Einfluß der Moralität auf den Genuß aller Arten des Guten jederman sichtbar werden.
- I. In Absicht der sinnlichen oder körperlichen Vergnügen, wird
- A. der Leichtsinnige
- 1) durch übertriebnen Genuß bald an vielem Guten Eckel und Ueberdruß empfinden, folglich wird dasselbe aufhören, für ihn etwas angenehmes oder gutes zu seyn.
- 2) durch Unmäßigkeit seine Gesundheit schwächen, und sich hierdurch zum Genuß für die künftigen Tage seines Lebens unfähig machen, auch wol überdis sich schmerzhafte Krankheiten zuziehen.
- 3) durch Unbesonnenheit und Unordnung sein Vermögen schwächen, folglich sich in kurzem der Mittel zu sinnlichen Vergnügungen und endlich selbst zur Befriedigung der Bedürfnisse beraubt sehen.
- 4) selbst im Genuß der vorbeyrauschenden Freuden durch Vernunft und Gewissen beunruhigt werden, und nachher den lebhaftesten Verdruß über sich selbst empfinden, und hierdurch auf viele Stunden zu allem Vergnügen unfähig werden. Je mehr Kultur des Verstandes jemand hat, je mehr Moralität haben seine Ausschweifungen; aber desto mehr wird er auch in sich selbst darüber beunruhiget: so daß kein mit heiterm Bewußtseyn verknüpfter Genuß der unmoralischen Ergötzungen statt finden kan, sondern die Seele sich blos in einer Art der Trunkenheit dabey erhalten muß.
- B. der Weise oder nach Vernunft und Ueberlegung handelnde Mann wird dagegen
- 1) durch Mässigung im Genuß, und durch Abwechselung mit ernstlichen nützlichen Geschäften alles sinnliche Gute mit immer erneuertem Reiz geniessen. |b43|
- 2) durch sein regelmässiges Verhalten seine Gesundheit verstärken und noch bis ins Alter zum Genuß vieler sinnlichen Freuden fähig und aufgelegt bleiben.
- 3) durch Ordnung und klugen Gebrauch der Glücksgüter dieselben vermehren, und sich immer mehrere Bequemlichkeiten verschaffen können.
- 4) durch die innere Selbstzufriedenheit gegen alle äussere Vergnügen empfindsamer gemacht werden, sie mit vollem Bewußtseyn geniessen, und auch nach dem Genuß sich ihrer mit Genehmigung erinnern. Mit jemehr Ueberlegung und Cirkumspektion wir unsre sinnliche Vergnügen veranstalten, desto mehr kan die Seele auch nach ihren obern Kräften daran Theil nehmen, desto voller ist der Genuß; und je innerlich vergnügter das Gemüth durch das Bewußtseyn verrichteter edler Handlungen bereits ist, desto empfindsamer wird es gegen alle angenehme Eindrücke von aussen seyn: ja selbst der Körper erhält gewisser massen mehr Empfänglichkeit zu angenehmen Gefühlen, wenn von innen aus der Seele Freude hervorströmt. Hieraus erhellet demnach, daß von dem guten moralischen Verhalten die Menge, Mannigfaltigkeit, Dauer und Intension der sinnlichen Vergnügen bey vernünftigen Menschen abhängt.
- II. In Absicht der Vergnügen aus der Erkentniß,
- 1) der Leichtsinnige seinen körperlichen Begierden sich überlassende Mensch, ist schon überhaupt wenig aufgelegt, die Annehmlichkeiten des stillen Nachdenkens und ausgebreiteter Erkentnisse zu suchen, welche dem vernünftigen Manne ein desto reelleres Vergnügen gewähren, weil er den Nutzen der beständigen Verbesserung der Einsichten aus angenehmer Erfahrung kennet. |b44|
- 2) der Ausschweifende findet wenig Objekte der Erkentniß, die ihm angenehm wären; denn da er alles nur in Beziehung auf seine Begierden betrachtet, und überall durch die natürliche Einrichtung und Ordnung der Dinge denselben Grenzen gesetzt sind, so mißfällt ihm die Welt auf allen Seiten. Der moralisch gut Denkende findet dagegen überall Ordnung und Harmonie, und weil er diese liebt, und zur Ueberdenkung des Zusammenhanges aufgelegt ist, so findet er selbst vieles von dem, was dem ersten Anblick nach böse und schädlich zu seyn scheinet, in der allgemeinen Verknüpfung gut. Er hat also unzählig mehr angenehme Gegenstände der Erkentniß und geniesset das Vergnügen ihrer Betrachtung in einem weit grössern Maasse.
- 3) Bey der Rücksicht in das Vergangene erblickt der Ausschweifende lauter Thorheiten, die er begangen hat; und die daraus entstehende Verschlimmerung seiner Umstände nöthigt ihn solche zu verabscheuen, und sich selbst darüber Vorwürfe zu machen. Er entschlägt sich daher möglichst aller Gedanken an die vergangene Zeiten. Dagegen siehet der verdienstvolle Tugendhafte mit heiterm Blick in die verflossenen Tage zurück; jede gute moralische Handlung, deren er sich erinnert, vermehrt seine Zufriedenheit mit sich selbst, und überall findet er sich des Beyfals und der Werthschätzung würdig.
- 4) Vor der Aussicht in die Zukunft muß der Bösewicht und der Leichtsinnige zurück beben. Bange Ahndungen von den noch zu erwartenden übeln Folgen gewissenloser und thörichter Handlungen bemächtigen sich der Seele, und hier wird das moralische Elend in seiner ganzen Grösse fühlbar. Da|b45|her findet man, daß dergleichen Personen um der folternden Gedanken an die Zukunft los zu werden, sich in beständiger Zerstreuung zu erhalten, auch wol durch Saufen des Bewußtseyns zu berauben suchen, bis sie zum Vieh erniedrigt, oder in wütender Verzweiflung ein Ende mit Schrecken nehmen. Aber der Tugendhafte genießt bey den Aussichten in die Zukunft des wonnevollsten Vergnügens. Jede seiner edlen Handlungen ist eine Quelle von Hofnungen, jede derselbe hat ihre immer fortwirkende Folgen, und die Erfahrung hat nicht blos unter Christen, sondern unter allen Nationen gelehrt, daß der Gerechte auch in Gefahren, in wirklichen Bedrängnissen und selbst im Tode getrost und heiter ist. Es ist also unläugbar, daß nur die Güte der moralischen Gesinnungen die Summe der Freuden, welche aus der Erkentniß des gegenwärtigen, vergangenen und zukünftigen entstehen, bey Personen, die in aller andern Beziehung als einander gleich angenommen werden, bestimt.
- III. In Absicht des Vergnügens, welches die Befriedigung der geselligen Triebe gewährt, fället es sogleich in die Augen,
- 1) daß durch jede wider die Moral laufende Handlung gegen andre die Befriedigung der geselligen Triebe allezeit auf einer Seite gehindert wird. Selbstsucht, Stolz, Eigennutz, Betrug, Schadenfreude und alle ungerechte und lieblose Handlungsarten, machen zu aller Freundschaft und deren süssen Gefühlen unfähig. Allein nicht blos der Verlust der vorzüglichen Vergnügen, welche aus der Freundschaft, Liebe, Achtung, Dankbarkeit und Dienstbeflissenheit andrer gegen uns, und aus den daraus weiter erwachsenden Vortheile des Le|b46|bens entstehen, sondern auch unzähliges positives Mißvergnügen der Verachtung, des Spottes und der Verfolgung von allen Beleidigten, verbittern den Uebertreter der moralischen Vorschriften das Leben.
- 2) daß der ehrliche, billige, großmüthige und wohlthätige Menschenfreund sich schon hier ein himlisches Elysium bauet. Durch jede gute Handlung erwirbt er sich einen Grad der Achtung, des Vertrauens, und der Zuneigung seiner Bekanten. Er nimt an andrer Wohlergehen Theil, und vervielfältiget dadurch sein eignes Vergnügen. Er fühlt andrer Elend, aber dis Mittleiden ist nicht Pein, es ist süsse belohnende Schwermuth. Er scheint blos für andre zu sorgen, und alle vereinigen sich mit dankbarer Liebe für seinen Wohlstand wieder geschäftig zu seyn. Er findet sich, welch unschätzbares Glück! geliebt von allen, hochgeschätzt von allen, beneidet von keinem derer, die ihn näher kennen. In sich empfindet er den höchsten Grad der Werthschätzung seiner Selbst, weil er sich bewußt ist, so gesinnt zu seyn, daß jeder Gedanke seines Herzens, wenn er sichtbar werden solte, ihm Ehre bringen würde; und überdis genießt er die göttliche Wollust, womit großmüthige wohlthätige Handlungen allemal belohnen. Dis ist zum Beweise genug, daß in allen Beziehungen der Genuß des Lebens und die Grade jeder Art des Vergnügens von den moralischen Gesinnungen des Menschen, in was für Umständen er sich auch befinden mag, abhangen.
So oft jemand moralisch schlecht handelt, befriedigt er einen Naturtrieb zum Nachtheil der übrigen. Hieraus entstehet innrer Widerspruch gegen sich selbst, z. B. der Wollüstling kränkt durch jede Ausschweifung theils die Ehrliebe, |b47| theils die Begierde nach Eigenthum und damit verknüpfte Unabhängigkeit von andern, welche er doch auch natürlich zu befriedigen wünscht. Der Geitzige entzieht sich durch jede eigennützige Handlung einen Theil der Liebe und Achtung anderer, die er doch auch gern geniessen möchte. Es ist daher die Tugend eine Kunst oder Fertigkeit alle Naturtriebe harmonisch zu befriedigen.
§. 20.
Es kan kein selbstthätiges moralisches Geschöpf gedacht werden, welches in jeder Handlung seine Vernunft und Gewissen beleidigte: und mir ist es gewiß, daß der verworfenste Bösewicht unter den Menschen hundert gute Handlungen gegen eine böse vornimt; ja daß in den verschrieensten Missethaten, welche mehrentheils sehr zusammengesetzte Handlungen zu seyn pflegen, oft das Gute noch ein grosses Uebergewicht über das Böse hat. Ein allgemeiner Beweis hiervon würde zu viele tiefsinnige Entwickelungen vorauszuschicken erfordern, und von einem grossen Theil der Leser, denen ich nützlich zu werden wünsche, doch nicht völlig gefaßt werden können. Ich will mich also begnügen an einem einzigen Beyspiel zu zeigen, wie Handlungen, die im ganzen betrachtet, Abscheu erregen, doch von ihrer eigentlich moralischen Seite sehr edel und groß seyn können. Man zählet es unter die ungeheuresten Greuel und Schandthaten des Heidenthums, daß Aeltern ihre eigne unschuldige
Kinder in die Arme eines glühend gemachten Götzenbildes gelegt, und sie unter feyerlicher Musik den Göttern zum Wohlgeruch haben braten und verbrennen lassen. Wenn man aber diese sehr zusammengesetzte Handlung zergliedert, und sie von ihrer moralischen Seite betrachtet, so liegt darin so viel edles, als in wenig Handlungen der Christen, die für Heilige erklärt worden sind, zu finden ist. Wenn sich ein Fürst entschloß seinen erstgebornen vielleicht noch einzigen Sohn dem Moloch
|b48| zu opfern, so geschahe es zu Folge nachstehender Religionsprincipien:
- 1. Es giebt eine moralische Regierung der Gottheit über einzelne Menschen und ganze Völker; und die Gottheit straft die Nationen, wenn sie sich gegen ihre Gesetze gröblich vergehen. (Ein wahrer Satz.)
- 2. Aeussere allgemeine Unglücksfälle sind Beweise des Unwillens der Gottheit über Völkerschaften, und da jetzt grosse Landplagen vorhanden sind, so muß die Gottheit über unsre Nation zürnen. (Ein Satz, den die Heiden mit den Juden gemein hatten, und viele Christen annehmen.)
- 3. Der Fürst einer Familie und eines Volkes ist schuldig, sich allenfals selbst und alles was ihm das theureste und liebste ist aufzuopfern, wenn er das allgemeine Verderben seines Volks dadurch verhindern kan. (Ein grosser, edler und wahrer Grundsatz.)
- 4. Nun fordert die Gottheit reine unbefleckte Opfer und das beste was wir haben, zum Beweise unsrer Demüthigung und Ehrfurcht. Mein Kind ist noch rein und schuldlos und mir das theureste, folglich muß ich dis den Göttern opfern. Und da dis Opfer nicht anders zu den Wolken empor gebracht werden kan, als wenn es im Feuer hinauf dampft, so muß ich es zur Rettung meines Volks im Feuer aufopfern. (Auch dieses sind Sätze, welche die Juden mit den Heiden gemein hatten, und vielleicht auch die Opferung der Erstgebornen veranlaßt haben würden, wenn Moses nicht menschenfreundlich verordnet hätte, daß gewisse Thiere dafür substituirt und durch deren Schlachtung die Erstgeburt gelöset werden könne. 2 Mos. 13, 12. 15. [)]
Wenn wir nun dergleichen Handlungen von ihrer moralischen Seite betrachten, so ist unläugbar, daß diese Heiden nach ihrem obwol irrenden Gewissen religiös |b49| und patriotisch gedacht und in so fern sehr exemplarisch für Christen gehandelt haben, unter denen viele ganz geringe Gegenstände ihrer Lieblingsneigungen dem Wohl ihrer Mitmenschen aufzuopfern durch weit höhere Religionsbegriffe nicht bewogen werden können. Die Irrthümer der Erkentniß waren in ihrem Zeitalter unüberwindlich, und also die Heiden in dieser Absicht schuldlos. Apost. Gesch. 17, 30. Uebrigens kan die so gemeine Tadelsucht oder Geneigtheit der Menschen das Fehlerhafte in andrer Handlungen zu rügen, ein Beweis seyn, daß gut und vernünftig zu handeln, weit gewöhnlicher unter den Menschen sey, als Thorheiten und Laster auszuüben. Niemand redet von dem, was gewöhnlich ist, und alle Tage von vielen Menschen geschiehet: daher wird von Personen, die sich ordentlich und vernünftig betragen, wenig oder gar nicht gesprochen. So bald aber jemand eine Thorheit begeht, so wird er zum Märchen der Stadt, blos darum, weil es etwas ausserordentliches und seltenes ist, dergleichen von einem Menschen von kultivirtem Verstande zu hören. Weil daher alle Menschen ungleich mehr vernünftige und ihrem Gewissen gemässe, als unbesonnene und boshafte Handlungen vornehmen, so geniessen auch alle, die meisten Stunden ihres Lebens hindurch, einer gewissen ob wol zum Theil blos träumerischen Selbstzufriedenheit, welche nur alsdenn erst ganz wegfällt, wenn unvermuthete üble Folgen einzelner Vergehungen sie in ein Elend versetzen, aus welchem sie keinen Ausgang gewahr werden. Hieraus erhellet abermals, daß überhaupt nach den natürlichen Anlagen des Menschen, der Trieb nach moralischen Vorschriften zu handeln, mit der Kultur der Vernunft zugleich bey allen Menschen entstehe. Ueberdis aber ist die allgemeine nur bisweilen bey einzelnen Menschen zum Laster ausartende Geneigtheit andrer Menschen Handlungen strenge zu beur|b50|theilen, ein sehr wirksames Mittel, das Ansehen der Vernunft und Moral in der Gesellschaft aufrecht zu erhalten. Ein jeder, der Fehler tadelt, beruft sich auf Regeln des Rechts, der Billigkeit und des Anständigen, und erneuert also bey denen, mit welchen er spricht, das Erkentniß derselben und kläret sie durch ein neues interessantes Beyspiel auf. Hierdurch werden auch die Beweggründe zur Befolgung der moralischen Vorschriften vermehrt, indem die Furcht, in ähnlichen Tadel und üble Nachrede zu gerathen, viele zu mehrern Nachdenken und Aufmerksamkeit auf ihr Verhalten erweckt und die Reizungen zu Thorheiten besiegen hilft.
Ich bin nicht nur a priori aus den Begriffen von den göttlichen Vollkommenheiten fest überzeugt, sondern auch bisher bey allen Proben der Untersuchung a posteriori vergewissert worden, daß der Satz, welchen, so viel ich weis, Pope zuerst ausdrücklich behauptet hat: Was immer ist, ist gut, ohne Einschränkung wahr sey, nemlich im Zusammenhange mit dem Ganzen und dessen Fortdauer. Die Geneigtheit der Menschen über andrer Handlungen zu richten, welche man wohl von der Verläumdung und Schmähsucht unterscheiden muß, gehöret unter die Dinge, die immer sind. Ich habe hier gezeigt, daß sie einen vortheilhaften Einfluß auf Beförderung der Moralität hat, und ich bitte meine Leser darauf Acht zu haben, wie auch in der fernern Abhandlung sich manches in einem ganz andern Licht ihnen zeigen wird, als es aus dem Gesichtspunkt, in welchen wir durch den üblichen Unterricht gewöhnlich gestellet werden, uns erscheint. Es gehöret gar sehr zur wahren Weisheit, sich immer ausführlicher zu überzeugen, daß in dem ganzen Plan Gottes lauter Harmonie sey, und auch unsre Naturtriebe an sich keine Dissonanz veranlassen. Je mehr man dieses einsehen lernet, je angenehmer ist der Aufenthalt auf der Welt, und je leichter ist es, Gott über alles zu lieben, mit ganzem Herzen alle Regeln der Ordnung zu genehmigen, unter allen anscheinen|b51|den Mißklang der äusserlichen Veränderungen, die Auflösung in die vollkommenste Harmonie ruhig in der Zukunft zu erwarten.
§. 21.
Vermöge dieser Betrachtungen liesse sich nun vermuthen, daß es den Menschen nicht schwer werden könte, täglich weiser, vorsichtiger und tugendhafter zu werden, da ihre Vernunft durch Uebung und Erfahrung immer mehr kultivirt wird, sie auch täglich in allen Gesellschaften moralisiren hören. Die Erfahrung lehrt, daß solches nicht bey allen Menschen statt habe; daß die guten moralischen Fertigkeiten nicht immer in gleicher Proportion mit den Erkentnißkräften zunehmen; daß bey manchen so gar die Gewissenhaftigkeit wiederum abnimt; und daß auch die edelsten und besten unter den Menschen doch dann und wann sich bewußt werden, nicht so gut gehandelt zu haben, als es nach ihren Einsichten ihnen möglich gewesen wäre. Da nun nach den bisherigen Untersuchungen alle Grade der menschlichen Glückseligkeit von der Moralität der Denkungsart abhangen; so ist für einen Lehrer der Glückseligkeit nichts so wichtig, als eine deutliche Einsicht in die Schwächen des Menschen, und in die innern und äussern Hindernisse, welche uns im Fortgange moralischer Besserung aufhalten, und das Bewußtseyn des Uebergewichts der guten Bestimmungen unsres Zustandes schwächen; weil eben diese eine äussere Hülfe bey den Bestrebungen nach Glückseligkeit nothwendig machen, und diese Hülfe von der Religion und deren Lehrern erwartet wird.