|c186| Evangelium am 13 Sontage nach Trinitatis.
Lucä 10, Vers 23–37.
{v. 23. 24.} Seelig sind die Augen die da sehen was ihr sehet! Denn ich sage euch, viele Propheten und Könige begehreten zu sehen was ihr sehet, und habens nicht gesehen; und zu hören was ihr höret, und habens nicht gehöret. Seelig, nicht weil sie den Welt-Heiland und seine Wunder mit ihren Augen sahen. {Siehe Lucä 11, 27. 28.} Sondern weil sie seinen Unterricht, die Religion, die er die Menschen lehrete, zu kennen das Glück hatten. – Und in der That, welches Volk, welches Menschen-Alter hat so viel richtige und heilsame Kentnisse, so viel Kräfte zur Tugend, so viel Trost im Leiden, so viel Aufrichtung gegen den Todt gehabt, als wir Christen! Unsre Kinder wissen mehr als die grösten Weltweisen des Alterthums; und die grösten Propheten des A. T. {Math. 11, 9–11.} Der kleinste im Himmelreich, ist grösser als der gröste Prophet: „der gemeine Christ weiß mehr als Johannes der Täufer, der gröste unter den alten Propheten!“ – – Aber eben dies vorzügliche Glück der Christen vermehret auch die Strafbarkeit ihres unheiligen Lebens. {Röm. 2, 4. 5.} Solche Reichtümer der Güte Gottes nicht recht brauchen, das häufet unsre Strafe: {2 Petri 2, 20. 21.} für |c187| einen unheiligen Christen wäre es besser, daß er die christliche Religion nie erkant. Hier ist also kein Mittel. Ein Christ, ist entweder ausserordentlich glücklich, oder ausserordentlich Elend.{v. 23. 24.} Seelig sind die Augen die da sehen was ihr sehet! Denn ich sage euch, viele Propheten und Könige begehreten zu sehen was ihr sehet, und habens nicht gesehen; und zu hören was ihr höret, und habens nicht gehöret. Seelig, nicht weil sie den Welt-Heiland und seine Wunder mit ihren Augen sahen. {Siehe Lucä 11, 27. 28.} Sondern weil sie seinen Unterricht, die Religion, die er die Menschen lehrete, zu kennen das Glück hatten. – Und in der That, welches Volk, welches Menschen-Alter hat so viel richtige und heilsame Kentnisse, so viel Kräfte zur Tugend, so viel Trost im Leiden, so viel Aufrichtung gegen den Todt gehabt, als wir Christen! Unsre Kinder wissen mehr als die grösten Weltweisen des Alterthums; und die grösten Propheten des A. T. {Math. 11, 9–11.} Der kleinste im Himmelreich, ist grösser als der gröste Prophet: „der gemeine Christ weiß mehr als Johannes der Täufer, der gröste unter den alten Propheten!“ – – Aber eben dies vorzügliche Glück der Christen vermehret auch die Strafbarkeit ihres unheiligen Lebens. {Röm. 2, 4. 5.} Solche Reichtümer der Güte Gottes nicht recht brauchen, das häufet unsre Strafe: {2 Petri 2, 20. 21.} für |c187| einen unheiligen Christen wäre es besser, daß er die christliche Religion nie erkant. Hier ist also kein Mittel. Ein Christ, ist entweder ausserordentlich glücklich, oder ausserordentlich Elend.
{v. 25.} Und siehe! da stand ein Gesezgelehrter auf und versuchte Jesum. Es scheint dieser Gelehrte verstand jenen Ausspruch Jesu sehr wohl. Nun machte er sich auf, um ihn in diesem Lobspruche zu Schanden zu machen. Schon ergözte er sich im Geist daran, wie Jesus durch die vorgelegte Frage in Verlegenheit gerathen, zum Stillschweigen gebracht, oder sonst etwa in eine Falle stürzen, und damit auf einmahl als ein Prahler verachtet: er hingegen von der ganzen Versamlung als ein wahrer Gesezgelehrter mit Beifall aufgenommen werde! – So gar etwas anders ist es, Religion haben, und, über die Religion gelehrt und feurig disputiren! Viele Christen, gleich diesem Gesezgelehrten, lesen die Bibel um schriftgelehrt zu werden. Sie können über jeden Punkt der Religion mit einem grossen Fluß biblischer Ausdrücke disputiren; ja beinahe die ganze Bibel auswendig hersagen. Aber! Disputirt auch noch so fein und mit noch so viel Eifer über die Religion. In dem allen thut ihr nichts, als was dieser Gesezgelehrte that; welcher darum noch kein Religiöser, kein Mann von Religion war!{v. 25.} Und siehe! da stand ein Gesezgelehrter auf und versuchte Jesum. Es scheint dieser Gelehrte verstand jenen Ausspruch Jesu sehr wohl. Nun machte er sich auf, um ihn in diesem Lobspruche zu Schanden zu machen. Schon ergözte er sich im Geist daran, wie Jesus durch die vorgelegte Frage in Verlegenheit gerathen, zum Stillschweigen gebracht, oder sonst etwa in eine Falle stürzen, und damit auf einmahl als ein Prahler verachtet: er hingegen von der ganzen Versamlung als ein wahrer Gesezgelehrter mit Beifall aufgenommen werde! – So gar etwas anders ist es, Religion haben, und, über die Religion gelehrt und feurig disputiren! Viele Christen, gleich diesem Gesezgelehrten, lesen die Bibel um schriftgelehrt zu werden. Sie können über jeden Punkt der Religion mit einem grossen Fluß biblischer Ausdrücke disputiren; ja beinahe die ganze Bibel auswendig hersagen. Aber! Disputirt auch noch so fein und mit noch so viel Eifer über die Religion. In dem allen thut ihr nichts, als was dieser Gesezgelehrte that; welcher darum noch kein Religiöser, kein Mann von Religion war!
{v. 25–28.} Meister, dies war die allerdings wichtige Frage, womit er das ganze Ansehen Jesu zu Boden disputiren wolte, was muß ich thun, |c188| daß ich das ewige Leben (Glück) ererbe? (erlange.) Jesus aber sprach zu ihm, wie stehet im Gesez geschrieben? Was liesest du da? – Der Gelehrte antwortete, du solst lieben Gott deinen Herren von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von allen Kräften, und von ganzem Gemüte (das ist, „über alles, als Gott, lieben: aufrichtig, inbrünstig, ungetheilt, und unaufhörlich.“) Und deinen Nächsten, als (eben so wohl als) dich selbst. – – Thue das, erwiederte Jesus, so wirst du glücklich seyn. – Dankbare Liebe zu Gott, und herzliche Liebe zu Seinen Menschen ist also, der Inbegrif der wahren Religion!{v. 25–28.} Meister, dies war die allerdings wichtige Frage, womit er das ganze Ansehen Jesu zu Boden disputiren wolte, was muß ich thun, |c188| daß ich das ewige Leben (Glück) ererbe? (erlange.) Jesus aber sprach zu ihm, wie stehet im Gesez geschrieben? Was liesest du da? – Der Gelehrte antwortete, du solst lieben Gott deinen Herren von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von allen Kräften, und von ganzem Gemüte (das ist, „über alles, als Gott, lieben: aufrichtig, inbrünstig, ungetheilt, und unaufhörlich.“) Und deinen Nächsten, als (eben so wohl als) dich selbst. – – Thue das, erwiederte Jesus, so wirst du glücklich seyn. – Dankbare Liebe zu Gott, und herzliche Liebe zu Seinen Menschen ist also, der Inbegrif der wahren Religion!
{v. 29.} Er aber, dieser Gesezgelehrte, wolte sich selbst rechtfertigen; genauer, sich zeigen. Die Pharisäer hatten einen Geist der Spizfindigkeit eingefürt, welcher aus Weiß, Schwarz, und aus Licht, Finsterniß machte, und die klärsten Geseze Gottes so lange drehete und torquirte, bis sie ein Werkzeug ihres Eigennuzes und schimpflicher Neigungen wurden. Von diesem getrieben, wolte der Gesezgelehrte seine Gelehrsamkeit und Ueberlegenheit über Jesum zeigen. – Ein Hauptzug in dem gemeinen Charakter der Menschen! Sie fragen nicht, um sich zu belehren, sondern um sich zu zeigen; um ihre Kentnisse, Geschicklichkeiten zur Schau auszulegen, und sich den Weg zu glänzenden Diskursen der Eigenliebe zu bahnen. Der Weise, der diese gemeine Schwäche der Menschen kennt und recht braucht, findet dadurch allenthalben tausend Mittel, sich nüzliche Kentnisse einzu|c189|samlen. Der Listige macht sie zu einem Werkzeuge sich den Ruhm der Welt zu erschleichen. Man höre dem Redner aufmerksam und bewundernd zu, man gebe ihm durch neue Fragen neue Gelegenheit sich zu zeigen: so hat man sicher den Ruhm eines Mannes von Talenten, eines wizigen Kopfes und jeden andern Ruhm in einer Gesellschaft; und durch diese in der Stadt; und so in einem ganzen Lande erhalten; wenn man auch kein Wort von sich hören lassen. – Dies ist die wahre Geschichte des irrdischen Ruhms. Und wie sehr muß er nun, bei jedem Vernünftigen herabsinken! Ist denn so etwas, was auch der Unwissendste und Geschmackloseste erlangen, so leicht erlangen kan, und tausendmahl erlanget, werth so begierig gesucht, an andern so niedrig beneidet, mit so viel Lieblosigkeit aller Art erworben zu werden?{v. 29.} Er aber, dieser Gesezgelehrte, wolte sich selbst rechtfertigen; genauer, sich zeigen. Die Pharisäer hatten einen Geist der Spizfindigkeit eingefürt, welcher aus Weiß, Schwarz, und aus Licht, Finsterniß machte, und die klärsten Geseze Gottes so lange drehete und torquirte, bis sie ein Werkzeug ihres Eigennuzes und schimpflicher Neigungen wurden. Von diesem getrieben, wolte der Gesezgelehrte seine Gelehrsamkeit und Ueberlegenheit über Jesum zeigen. – Ein Hauptzug in dem gemeinen Charakter der Menschen! Sie fragen nicht, um sich zu belehren, sondern um sich zu zeigen; um ihre Kentnisse, Geschicklichkeiten zur Schau auszulegen, und sich den Weg zu glänzenden Diskursen der Eigenliebe zu bahnen. Der Weise, der diese gemeine Schwäche der Menschen kennt und recht braucht, findet dadurch allenthalben tausend Mittel, sich nüzliche Kentnisse einzu|c189|samlen. Der Listige macht sie zu einem Werkzeuge sich den Ruhm der Welt zu erschleichen. Man höre dem Redner aufmerksam und bewundernd zu, man gebe ihm durch neue Fragen neue Gelegenheit sich zu zeigen: so hat man sicher den Ruhm eines Mannes von Talenten, eines wizigen Kopfes und jeden andern Ruhm in einer Gesellschaft; und durch diese in der Stadt; und so in einem ganzen Lande erhalten; wenn man auch kein Wort von sich hören lassen. – Dies ist die wahre Geschichte des irrdischen Ruhms. Und wie sehr muß er nun, bei jedem Vernünftigen herabsinken! Ist denn so etwas, was auch der Unwissendste und Geschmackloseste erlangen, so leicht erlangen kan, und tausendmahl erlanget, werth so begierig gesucht, an andern so niedrig beneidet, mit so viel Lieblosigkeit aller Art erworben zu werden?
{v. 29.} Der Disputant, um sich zu zeigen, fragte Jesum, wer ist denn mein Nächster? Nichts war natürlicher als diese Frage, wenn von seiner Gemütsart die Rede war. Denn er war ein Mann von ausschweifender Eigenliebe. Und solche Menschen haben keinen Nächsten. Sie lieben ihre Neben-Menschen nicht anders als wie sie ihre Schaafe lieben, welche sie nären und pflegen, damit sie ihnen Wolle tragen.{v. 29.} Der Disputant, um sich zu zeigen, fragte Jesum, wer ist denn mein Nächster? Nichts war natürlicher als diese Frage, wenn von seiner Gemütsart die Rede war. Denn er war ein Mann von ausschweifender Eigenliebe. Und solche Menschen haben keinen Nächsten. Sie lieben ihre Neben-Menschen nicht anders als wie sie ihre Schaafe lieben, welche sie nären und pflegen, damit sie ihnen Wolle tragen.
Aber das Gesez Gottes selbst, war klar genug. Nächster, ein Genau-verbundener, ein Verwandter der uns nahe angehet, war selbst nach dem Geseze Mosis, ein jeder Mensch. Denn ein jeder Mensch ist mit uns aus einem Blut entstanden, von Einem Gott geschaffen, durch |c190| Eine Natur verknüpfet. Du solst deinen Nächsten lieben eben so wohl als dich selbst, dies Gesez wird 3 Buch Mosis 19, 18. 33. 34. und 5 Buch Mosis 10, 17–19. auch von dem der kein Israelit war, von dem Fremdlinge erklärt. Denn, sezt Moses hinzu, der Herr euer Gott ist ein Gott aller Götter, und Herr über alle Herren, der keine Person achtet, und kein Geschenk nimt; „nicht wie die Götter der Heiden, der Gott Einer Nation oder dieses und jenes Menschen, der sich durch Geschenke einnehmen läßt und seinen Favoriten alles andre aufopfert.“ Er schaft Recht den Waisen und Wittwen, und liebt die Fremdlinge. Darum solt ihr, auch die Fremdlinge lieben. Dennoch verstand der angesehenste Theil der jüdischen Theologen, die Pharisäer, durch den Nächsten den Gott zu lieben befohlen, bloß den Juden, {Math. 5, 43.} ja gar nur den Freund.Aber das Gesez Gottes selbst, war klar genug. Nächster, ein Genau-verbundener, ein Verwandter der uns nahe angehet, war selbst nach dem Geseze Mosis, ein jeder Mensch. Denn ein jeder Mensch ist mit uns aus einem Blut entstanden, von Einem Gott geschaffen, durch |c190| Eine Natur verknüpfet. Du solst deinen Nächsten lieben eben so wohl als dich selbst, dies Gesez wird 3 Buch Mosis 19, 18. 33. 34. und 5 Buch Mosis 10, 17–19. auch von dem der kein Israelit war, von dem Fremdlinge erklärt. Denn, sezt Moses hinzu, der Herr euer Gott ist ein Gott aller Götter, und Herr über alle Herren, der keine Person achtet, und kein Geschenk nimt; „nicht wie die Götter der Heiden, der Gott Einer Nation oder dieses und jenes Menschen, der sich durch Geschenke einnehmen läßt und seinen Favoriten alles andre aufopfert.“ Er schaft Recht den Waisen und Wittwen, und liebt die Fremdlinge. Darum solt ihr, auch die Fremdlinge lieben. Dennoch verstand der angesehenste Theil der jüdischen Theologen, die Pharisäer, durch den Nächsten den Gott zu lieben befohlen, bloß den Juden, {Math. 5, 43.} ja gar nur den Freund.
Jesus, ohne in diese Zänkereien hineinzugehen, wendet sich an das innere Gefül des Disputanten; welches auf eine geschickte Art erweckt, über seinen Disputir-Geist, selbst über seine Eigenliebe siegen muste. {v. 30.} Die Juden der damahligen Zeit entflammt von dem Geist der Hölle, erklärten alle andre Menschen, die keine Juden waren, für verdammt. Die {Siehe die Büch. Esrä u. Nehemiä.} Samariter insbesondre, halb Juden, halb Heiden, waren seit uralten Zeiten ihnen aufs äusserste verhaßt: {Joh. 4, 9. Kap. 8, 48.} selbst die gemeinsten Höflichkeiten und Dienstleistungen versagte man ihnen, und ein Samariter war den Juden, so wie ein Jude jenen, das Allerabscheulichste was er nur denken |c191| konte. – Selbst einen Samariter, muste ein Jude, ein Gesezgelehrter, durch sein inneres Gefül gedrungen, bewundern und loben. So unwiderstehlich war die Wahrheit in dem Munde Jesu!Jesus, ohne in diese Zänkereien hineinzugehen, wendet sich an das innere Gefül des Disputanten; welches auf eine geschickte Art erweckt, über seinen Disputir-Geist, selbst über seine Eigenliebe siegen muste. {v. 30.} Die Juden der damahligen Zeit entflammt von dem Geist der Hölle, erklärten alle andre Menschen, die keine Juden waren, für verdammt. Die {Siehe die Büch. Esrä u. Nehemiä.} Samariter insbesondre, halb Juden, halb Heiden, waren seit uralten Zeiten ihnen aufs äusserste verhaßt: {Joh. 4, 9. Kap. 8, 48.} selbst die gemeinsten Höflichkeiten und Dienstleistungen versagte man ihnen, und ein Samariter war den Juden, so wie ein Jude jenen, das Allerabscheulichste was er nur denken |c191| konte. – Selbst einen Samariter, muste ein Jude, ein Gesezgelehrter, durch sein inneres Gefül gedrungen, bewundern und loben. So unwiderstehlich war die Wahrheit in dem Munde Jesu!
{v. 30–32.} Ein Mensch gieng von Jerusalem, ein Bürger also von Jerusalem, ein Jude, gieng nach Jericho. Auf diesem Wege muste man eine lange, gefärliche Wüste paßiren, die wegen Räubereien und Mordthaten schon lange berüchtigt war. Schon beim Josua 15, 7. wird dieser Weg, {Luther hat das hebr. Wort Adummim, Blut-Vergiessungen beibehalten.} der blutige Weg genannt. Hier nun fiel der Jude von Jerusalem, unter die Räuber, welche ihn plünderten, verwundeten, und halb todt liegen liessen. Von ohngefär reisete ein Priester denselben Weg, und da er ihn sahe, gieng er an der andern Seite vorüber. Imgleichen ein Levit, als er an den Ort kam und ihn sahe, gieng gleichfalls an der andern Seite vorbei. Ohne Zweifel rürete sie dieser Anblick. An jedem andern Orte hätten sie dem Elenden, der ihr Lands-Mann war geholfen. Aber die Mordthat war ganz frisch. Die Räuber musten noch in der Nachbarschaft seyn. Bei dem Anblick dieser Gefahr starb ihr Mitleiden. Ihr Leben zu retten entferneten sie sich auf die andre Seite, und eileten vor dem Elenden hülflos vorüber.{v. 30–32.} Ein Mensch gieng von Jerusalem, ein Bürger also von Jerusalem, ein Jude, gieng nach Jericho. Auf diesem Wege muste man eine lange, gefärliche Wüste paßiren, die wegen Räubereien und Mordthaten schon lange berüchtigt war. Schon beim Josua 15, 7. wird dieser Weg, {Luther hat das hebr. Wort Adummim, Blut-Vergiessungen beibehalten.} der blutige Weg genannt. Hier nun fiel der Jude von Jerusalem, unter die Räuber, welche ihn plünderten, verwundeten, und halb todt liegen liessen. Von ohngefär reisete ein Priester denselben Weg, und da er ihn sahe, gieng er an der andern Seite vorüber. Imgleichen ein Levit, als er an den Ort kam und ihn sahe, gieng gleichfalls an der andern Seite vorbei. Ohne Zweifel rürete sie dieser Anblick. An jedem andern Orte hätten sie dem Elenden, der ihr Lands-Mann war geholfen. Aber die Mordthat war ganz frisch. Die Räuber musten noch in der Nachbarschaft seyn. Bei dem Anblick dieser Gefahr starb ihr Mitleiden. Ihr Leben zu retten entferneten sie sich auf die andre Seite, und eileten vor dem Elenden hülflos vorüber.
Ein Samariter aber kam auf seiner Reise dahin, und da er ihn sahe, bewegte sich sein Herz von Mitleiden, und gieng zu ihm, verband ihm seine Wunden und goß Oel und Wein darauf, sezte ihn auf sein Thier, fürete ihn in eine Herberge und pflegete ihn. |c192| Als er am folgenden Tage abreisete zog er zwei Denarien heraus und gab sie dem Wirth und sprach zu ihm: Pflege ihn, und alles was du aufwendest will ich dir bei meiner Rückreise bezahlen. – So half denn der Samariter demjenigen den er für einen Feind seines Volks und seiner Religion halten muste!
Er wagte sogar sein eigenes Leben, um ihm zu helfen: denn der Ort wo er sich so lange verweilete, war eine Wildniß, wo Räuber und Mörder sich aufhielten, und eben jezo diesen Elenden so mörderisch behandelt hatten; der gefärliche Ort, wo
Priester und
Levit, voll Schrecken über der nahen Todesgefahr vorbeigeeilet. Und welche
allerzärtlichste Sorgfalt trug er für ihn, den Feind seines Volks und Religion? Da er ihn sahe, wird
er bis ins Innerste gerürt. Aber nicht die Wirkung des Bluts und Temperaments war dieses schmerzliche Mitleiden: sondern die Wirkung eines an Menschen-Liebe gewönten Herzens. Alsbald – hebt er ihn auf. Verbindet seine Wunden. Sezt ihn auf sein Thier. Jezt gehet er neben ihm her, und füret ihn in die Herberge. Und scheuet keinen Aufwand, um ihm durch alle Pflege zum Leben und Gesundheit zu helfen. –
Christlicher Leser! Rürt dich dies; gefällt es dir: so –
{v. 37. } gehe hin und thue desgleichen!Ein Samariter aber kam auf seiner Reise dahin, und da er ihn sahe, bewegte sich sein Herz von Mitleiden, und gieng zu ihm, verband ihm seine Wunden und goß Oel und Wein darauf, sezte ihn auf sein Thier, fürete ihn in eine Herberge und pflegete ihn. |c192| Als er am folgenden Tage abreisete zog er zwei Denarien heraus und gab sie dem Wirth und sprach zu ihm: Pflege ihn, und alles was du aufwendest will ich dir bei meiner Rückreise bezahlen. – So half denn der Samariter demjenigen den er für einen Feind seines Volks und seiner Religion halten muste!
Er wagte sogar sein eigenes Leben, um ihm zu helfen: denn der Ort wo er sich so lange verweilete, war eine Wildniß, wo Räuber und Mörder sich aufhielten, und eben jezo diesen Elenden so mörderisch behandelt hatten; der gefärliche Ort, wo
Priester und
Levit, voll Schrecken über der nahen Todesgefahr vorbeigeeilet. Und welche
allerzärtlichste Sorgfalt trug er für ihn, den Feind seines Volks und Religion? Da er ihn sahe, wird
er bis ins Innerste gerürt. Aber nicht die Wirkung des Bluts und Temperaments war dieses schmerzliche Mitleiden: sondern die Wirkung eines an Menschen-Liebe gewönten Herzens. Alsbald – hebt er ihn auf. Verbindet seine Wunden. Sezt ihn auf sein Thier. Jezt gehet er neben ihm her, und füret ihn in die Herberge. Und scheuet keinen Aufwand, um ihm durch alle Pflege zum Leben und Gesundheit zu helfen. –
Christlicher Leser! Rürt dich dies; gefällt es dir: so –
{v. 37. } gehe hin und thue desgleichen!
Hier sehen wir denn, was ächte Menschen-Liebe? wer ein wahrer Menschen-Freund ist? Es giebt tausend von Menschen die höflich, fein, und gefällig im Umgange sind; aber ihre Untergebenen desto härter behandeln, und ihre Gläubiger |c193| desto gröber betrügen. Menschen die bei jedem Trauer Spiel weinen; aber bei dem wirklichen Elende ihrer Neben-Menschen lachen; ohne Bedenken ganze Familien und Gesellschaften, durch Handlungen der Unzucht, durch Verleumdung und Ungerechtigkeit zu Grunde richten. Menschen die zwanzig Personen durch Allmosen erfreuen, aber hundert andre durch bittren Spott betrüben. Menschen die gegen alles was ihnen nicht im Wege stehet, ganz Zärtlichkeit; aber gegen ihre Amts-Gehülfen, Beleidiger und Feinde, tygermäßig grausam sind. – Nein! So leicht erkauft man nicht den Ehren-Nahmen, die erhabene Würde eines Menschen-Freundes! Das ist die Menschenliebe des Pharisäers. Nicht aber die Menschenliebe des Samariters. – {v. 37.} Gehe hin und thue desgleichen. 1) Sey ein herzlicher Freund, jedes Menschen. Alles was Mensch ist, auch dein Mitwerber, der deinen irrdischen Ruhm und Vortheil verdunkelt und schwächet; auch dein ärgster Feind der auf die Zerstörung deines ganzen Glücks sinnt; auch der welcher dir scheint ein Feind Gottes zu seyn, muß von dir aufrichtig und herzlich geliebet werden. Denn; {v. 30–33.} so liebte der Samariter, den Juden. 2) Liebe ihn thätig. Nicht bloß mit süssen Worten, und gefälligen Reden. Sondern aus allen deinen Kräften. Mache ihn glücklich mit deinem Gelde, mit deinem Verstande, mit deinen Einsichten, mit deinem Ansehen, mit deinen mächtigen Verbindungen. Suche so viel Freude und Wohlfarth, als dir nur möglich ist, allenthalben um dich her zu verbreiten. {v. 29.} Der Gesezgelehrte, so wie der Priester und Levit, disputirten viel und |c194| gelehrt über die Nächsten-Liebe. {v. 33–38.} Der Samariter aber der darüber nicht disputiren konte, übte sie aus. 3) Thue dies, wenn es die Umstände fordern, auch mit deiner Ungemächlichkeit. So verband der Samariter dem Elenden seine Wunden, und gieng selbst zu Fusse neben ihm her. So muß auch uns, die Menschen-Liebe etwas kosten. Bald einen eigenen Vortheil aufopfern, bald eine Beschwerde übernehmen, und Ungemach dulden. 4) Ja gar, dein Leben wage, und opfere gern auf, wenn es die Menschen-Liebe – fordert. Feige flohen der Priester und Levit. Mit heldenmäßiger Grosmuth wagt sich der Samariter. Die Furcht seiner Gesundheit zu schaden, das Schrecken vor den nahen Mördern, der Anblick der Todes-Gefahr; nichts konnte ihn bewegen den halb-Sterbenden hülfloß umkommen zu lassen; nichts konnte seiner Liebe Gränzen sezen. Noch immer giebt es Fälle, wo das gemeine und besondre Wohl der Menschen, von uns durch angreifende Arbeiten, gefärliche Unternehmungen, strenge Verschwiegenheit, u. s. f. Gesundheit und Leben zum Opfer fordert. Da nun besonders, sollen wir hingehen und nach dem Muster des Samariters handeln. {1 Joh. 3, 16.} Da sollen wir für unsre Neben-Menschen auch das Leben lassen.Hier sehen wir denn, was ächte Menschen-Liebe? wer ein wahrer Menschen-Freund ist? Es giebt tausend von Menschen die höflich, fein, und gefällig im Umgange sind; aber ihre Untergebenen desto härter behandeln, und ihre Gläubiger |c193| desto gröber betrügen. Menschen die bei jedem Trauer Spiel weinen; aber bei dem wirklichen Elende ihrer Neben-Menschen lachen; ohne Bedenken ganze Familien und Gesellschaften, durch Handlungen der Unzucht, durch Verleumdung und Ungerechtigkeit zu Grunde richten. Menschen die zwanzig Personen durch Allmosen erfreuen, aber hundert andre durch bittren Spott betrüben. Menschen die gegen alles was ihnen nicht im Wege stehet, ganz Zärtlichkeit; aber gegen ihre Amts-Gehülfen, Beleidiger und Feinde, tygermäßig grausam sind. – Nein! So leicht erkauft man nicht den Ehren-Nahmen, die erhabene Würde eines Menschen-Freundes! Das ist die Menschenliebe des Pharisäers. Nicht aber die Menschenliebe des Samariters. – {v. 37.} Gehe hin und thue desgleichen. 1) Sey ein herzlicher Freund, jedes Menschen. Alles was Mensch ist, auch dein Mitwerber, der deinen irrdischen Ruhm und Vortheil verdunkelt und schwächet; auch dein ärgster Feind der auf die Zerstörung deines ganzen Glücks sinnt; auch der welcher dir scheint ein Feind Gottes zu seyn, muß von dir aufrichtig und herzlich geliebet werden. Denn; {v. 30–33.} so liebte der Samariter, den Juden. 2) Liebe ihn thätig. Nicht bloß mit süssen Worten, und gefälligen Reden. Sondern aus allen deinen Kräften. Mache ihn glücklich mit deinem Gelde, mit deinem Verstande, mit deinen Einsichten, mit deinem Ansehen, mit deinen mächtigen Verbindungen. Suche so viel Freude und Wohlfarth, als dir nur möglich ist, allenthalben um dich her zu verbreiten. {v. 29.} Der Gesezgelehrte, so wie der Priester und Levit, disputirten viel und |c194| gelehrt über die Nächsten-Liebe. {v. 33–38.} Der Samariter aber der darüber nicht disputiren konte, übte sie aus. 3) Thue dies, wenn es die Umstände fordern, auch mit deiner Ungemächlichkeit. So verband der Samariter dem Elenden seine Wunden, und gieng selbst zu Fusse neben ihm her. So muß auch uns, die Menschen-Liebe etwas kosten. Bald einen eigenen Vortheil aufopfern, bald eine Beschwerde übernehmen, und Ungemach dulden. 4) Ja gar, dein Leben wage, und opfere gern auf, wenn es die Menschen-Liebe – fordert. Feige flohen der Priester und Levit. Mit heldenmäßiger Grosmuth wagt sich der Samariter. Die Furcht seiner Gesundheit zu schaden, das Schrecken vor den nahen Mördern, der Anblick der Todes-Gefahr; nichts konnte ihn bewegen den halb-Sterbenden hülfloß umkommen zu lassen; nichts konnte seiner Liebe Gränzen sezen. Noch immer giebt es Fälle, wo das gemeine und besondre Wohl der Menschen, von uns durch angreifende Arbeiten, gefärliche Unternehmungen, strenge Verschwiegenheit, u. s. f. Gesundheit und Leben zum Opfer fordert. Da nun besonders, sollen wir hingehen und nach dem Muster des Samariters handeln. {1 Joh. 3, 16.} Da sollen wir für unsre Neben-Menschen auch das Leben lassen.
Ein – Solcher, ein christlicher Menschen-Freund, – das ist in der That der Inbegrif aller wahren Würde, der Gipfel der Grösse menschlicher Seelen! Ihr sehet ihn vielleicht nicht bey Trauer-Spielen weinen; ihr höret ihn nicht über die Menschen-Liebe disputiren und deklamiren, und |c195| immer jene erhabene Nahmen im Munde füren, und immer in flammende Lobpreisungen derselben ausbrechen. Aber desto geschäftiger treft ihr ihn allenthalben, im gemeinen Leben; hier eine Thräne abzutrocknen, dort in ein verwundetes Herz den Balsam des Trostes zu giessen, einem angehenden Handwerker Kapitale ohne Zinsen zu leihen, Waisen zur Religion zu erziehen, seine Mitwerber durch rümliche Urtheile zu empfehlen, seine Feinde vom Untergange zu retten; und wo möglich jeden Tag durch irgend ein freudiges Gesicht und Herz seiner Neben-Menschen auszuzeichnen. Fürt euch die Vorsehung auf eurem Wege, zu einem solchen Mann: o den schäzt über alles, völlig sicher leget euer Glück ganz in seine Hände. Denn ihr habt einen ächten Freund Gottes, und Seiner Menschen gefunden. Einen Menschen-Freund, nicht nach der neuen Mode; sondern nach dem uralten Exempel des Samariters!Ein – Solcher, ein christlicher Menschen-Freund, – das ist in der That der Inbegrif aller wahren Würde, der Gipfel der Grösse menschlicher Seelen! Ihr sehet ihn vielleicht nicht bey Trauer-Spielen weinen; ihr höret ihn nicht über die Menschen-Liebe disputiren und deklamiren, und |c195| immer jene erhabene Nahmen im Munde füren, und immer in flammende Lobpreisungen derselben ausbrechen. Aber desto geschäftiger treft ihr ihn allenthalben, im gemeinen Leben; hier eine Thräne abzutrocknen, dort in ein verwundetes Herz den Balsam des Trostes zu giessen, einem angehenden Handwerker Kapitale ohne Zinsen zu leihen, Waisen zur Religion zu erziehen, seine Mitwerber durch rümliche Urtheile zu empfehlen, seine Feinde vom Untergange zu retten; und wo möglich jeden Tag durch irgend ein freudiges Gesicht und Herz seiner Neben-Menschen auszuzeichnen. Fürt euch die Vorsehung auf eurem Wege, zu einem solchen Mann: o den schäzt über alles, völlig sicher leget euer Glück ganz in seine Hände. Denn ihr habt einen ächten Freund Gottes, und Seiner Menschen gefunden. Einen Menschen-Freund, nicht nach der neuen Mode; sondern nach dem uralten Exempel des Samariters!