|c8| Erster Abschnitt.
Exegetische Theologie.
5.
Es ist für den künftigen Lehrer der Religion nichts weniger als überflüssig, sich zu überzeugen, wie nothwendig es sei, die Bibel mit dem angestrengtesten Fleiße zu studieren, und bei der Erforschung ihres Verstandes, und alles dessen, was dazu erfordert wird, mit eigenen Augen zu sehen. Wenn es noch, selbst unter denen, die Lehrer seyn wollen, so viele giebt, die sie gar nicht einmal, als in einzelnen Fällen Amts wegen, lesen; die ihre Theologie lieber aus den Cisternen oder den trüben Wassern der Compendien und Systeme, als aus der Quelle selbst schöpfen wollen; die zufrieden sind, hergebrachte Texte der Bibel, worüber sie die Religion vortragen sollen, nothdürftig zu verstehen, ohne sich um den übrigen Inhalt der heiligen Schrift zu bekümmern, oft auch mit noch wenigerm, mit jedem guten Gedanken, sich begnügen, der ihnen bei einem solchen Texte beifällt, ohne sich zu fragen, ob dies gerade das sei, was in dem Texte liege; die, wenn sie ja auch das Uebrige in der Bibel lesen, statt eigenen Fleißes, auf den bloßen Uebersetzungen oder Commentarien Anderer ausruhen; die ihre Zuhörer lieber mit ihren eigenen Einfällen, als mit dem Inhalt der Bibel unterhalten; die selbst gegen die zügellosesten Mißhandlungen der Bibel gleichgültig sind, sich |c9| selbst die unredlichsten Vorstellungen ihres Inhalts gefallen lassen, wenn diese nur ihrer Einbildungskraft ein angenehmes Spiel geben: so dürfte doch wohl jene Ueberzeugung von der Pflicht, die heilige Schrift, und zwar mit eigenem Fleiße zu studieren, selten genug, es dürften doch wohl der Vorurtheile nicht wenig seyn, welche die Lust zu dieser Beschäftigung ersticken, und denen man jene Ueberzeugung entgegenzusetzen nöthig finden möchte.Es ist für den künftigen Lehrer der Religion nichts weniger als überflüssig, sich zu überzeugen, wie nothwendig es sei, die Bibel mit dem angestrengtesten Fleiße zu studieren, und bei der Erforschung ihres Verstandes, und alles dessen, was dazu erfordert wird, mit eigenen Augen zu sehen. Wenn es noch, selbst unter denen, die Lehrer seyn wollen, so viele giebt, die sie gar nicht einmal, als in einzelnen Fällen Amts wegen, lesen; die ihre Theologie lieber aus den Cisternen oder den trüben Wassern der Compendien und Systeme, als aus der Quelle selbst schöpfen wollen; die zufrieden sind, hergebrachte Texte der Bibel, worüber sie die Religion vortragen sollen, nothdürftig zu verstehen, ohne sich um den übrigen Inhalt der heiligen Schrift zu bekümmern, oft auch mit noch wenigerm, mit jedem guten Gedanken, sich begnügen, der ihnen bei einem solchen Texte beifällt, ohne sich zu fragen, ob dies gerade das sei, was in dem Texte liege; die, wenn sie ja auch das Uebrige in der Bibel lesen, statt eigenen Fleißes, auf den bloßen Uebersetzungen oder Commentarien Anderer ausruhen; die ihre Zuhörer lieber mit ihren eigenen Einfällen, als mit dem Inhalt der Bibel unterhalten; die selbst gegen die zügellosesten Mißhandlungen der Bibel gleichgültig sind, sich |c9| selbst die unredlichsten Vorstellungen ihres Inhalts gefallen lassen, wenn diese nur ihrer Einbildungskraft ein angenehmes Spiel geben: so dürfte doch wohl jene Ueberzeugung von der Pflicht, die heilige Schrift, und zwar mit eigenem Fleiße zu studieren, selten genug, es dürften doch wohl der Vorurtheile nicht wenig seyn, welche die Lust zu dieser Beschäftigung ersticken, und denen man jene Ueberzeugung entgegenzusetzen nöthig finden möchte.
6.
Wenn die Bibel auch nur als ein bloß menschliches Werk betrachtet wird, so muß sie doch jedem, der unbefangen den Werth eines Buchs zu schätzen weiß, höchst achtungswerth seyn. Ein Werk, das, häufiger als irgend ein anderes in der Welt, gelesen worden ist, mehr als irgend ein anderes gewirkt, indem es Jahrtausende hindurch ganze Nationen, und gerade die aufgeklärtesten und gesittetsten, gebildet hat; das in einigen Theilen eine Geschichte enthält, dergleichen es in Absicht auf Alterthum, Nachrichten von sonst ganz unbekannten Theilen, zumal der ältesten Geschichte des menschlichen Geschlechts, und zugleich der Glaubwürdigkeit, sonst gar nicht giebt; das in andern seiner Bücher zuerst Aufschlüsse von Religion und Sittenlehre ertheilt, wie sie vor diesen Büchern nirgends waren – Aufschlüsse, die, bei allem dem, was sie von dem Gepräge der Zeit und der Nation, in der sie zuerst gegeben wurden, tragen – doch so sehr alle Merkmale der reinsten Lauterkeit haben, und mit einer unübertreffbaren Einfalt, Faßlichkeit, Fruchtbarkeit und Würde ausgedruckt sind – sollte nicht die größte Aufmerksamkeit, sollte nicht vor allen andern studiert zu werden verdienen? – Ist nun die Bibel gerade das Werkzeug, dessen sich die göttliche |c10| Vorsehung bedient hat, jene reinen Religionsbegriffe auszubreiten, und dadurch erweislich zuerst die allgemein herrschende und unüberwindlich scheinende Macht des Aberglaubens und Götzendienstes zu stürzen; kann man also die so besondere Fürsorge Gottes bei ihrer Veranstaltung und Erhaltung nicht läugnen; bekennen wir uns für überzeugt, daß das Christenthum von Gott, daß es der zuverlässigste Weg sei, der zu ihm und zur wahren Seligkeit führt; und ist die Bibel das einzige Werk, woraus wir, was Christenthum sei, allein mit Sicherheit lernen können: so ist unbegreiflich, wie einem verständigen und ehrlichen Manne, der dieses Alles glaubt, wie zumal einem Lehrer des Christenthums das Studium der Bibel gleichgültig, oder unwichtiger als irgend etwas anders, seyn könne; man mag diese Sache in Absicht auf die Erkenntniß ansehen, die er selbst besitzen, oder die er Andern mittheilen soll.Wenn die Bibel auch nur als ein bloß menschliches Werk betrachtet wird, so muß sie doch jedem, der unbefangen den Werth eines Buchs zu schätzen weiß, höchst achtungswerth seyn. Ein Werk, das, häufiger als irgend ein anderes in der Welt, gelesen worden ist, mehr als irgend ein anderes gewirkt, indem es Jahrtausende hindurch ganze Nationen, und gerade die aufgeklärtesten und gesittetsten, gebildet hat; das in einigen Theilen eine Geschichte enthält, dergleichen es in Absicht auf Alterthum, Nachrichten von sonst ganz unbekannten Theilen, zumal der ältesten Geschichte des menschlichen Geschlechts, und zugleich der Glaubwürdigkeit, sonst gar nicht giebt; das in andern seiner Bücher zuerst Aufschlüsse von Religion und Sittenlehre ertheilt, wie sie vor diesen Büchern nirgends waren – Aufschlüsse, die, bei allem dem, was sie von dem Gepräge der Zeit und der Nation, in der sie zuerst gegeben wurden, tragen – doch so sehr alle Merkmale der reinsten Lauterkeit haben, und mit einer unübertreffbaren Einfalt, Faßlichkeit, Fruchtbarkeit und Würde ausgedruckt sind – sollte nicht die größte Aufmerksamkeit, sollte nicht vor allen andern studiert zu werden verdienen? – Ist nun die Bibel gerade das Werkzeug, dessen sich die göttliche |c10| Vorsehung bedient hat, jene reinen Religionsbegriffe auszubreiten, und dadurch erweislich zuerst die allgemein herrschende und unüberwindlich scheinende Macht des Aberglaubens und Götzendienstes zu stürzen; kann man also die so besondere Fürsorge Gottes bei ihrer Veranstaltung und Erhaltung nicht läugnen; bekennen wir uns für überzeugt, daß das Christenthum von Gott, daß es der zuverlässigste Weg sei, der zu ihm und zur wahren Seligkeit führt; und ist die Bibel das einzige Werk, woraus wir, was Christenthum sei, allein mit Sicherheit lernen können: so ist unbegreiflich, wie einem verständigen und ehrlichen Manne, der dieses Alles glaubt, wie zumal einem Lehrer des Christenthums das Studium der Bibel gleichgültig, oder unwichtiger als irgend etwas anders, seyn könne; man mag diese Sache in Absicht auf die Erkenntniß ansehen, die er selbst besitzen, oder die er Andern mittheilen soll.
7.
Ist die Bibel die Quelle, woraus die christliche Lehre allein sicher geschöpft werden kann, und enthält sie die Anzeige, wie und wodurch Gott selbst die Menschen nach und nach zu reinern Religionskenntnissen und göttlichen Gesinnungen erzogen hat; so müßte schon deswegen jeder, der auch nur vorerst wissen wollte, ob er sich für oder wider das Christenthum zu erklären habe, und bei dieser Frage ehrlich verfahren wollte, selbst die Bibel studieren. Weit mehr müßte er es also noch, wenn er sie für das Archiv hält, darin Gott seine Belehrungen der Menschen über die wahre Religion niedergelegt hat; und noch mehr, wenn er ein Lehrer dieser Religion seyn will, auf dessen Untersuchungen und Treue sich Andere sollen verlassen können. (1 Kor. 4, 1. 2.)Ist die Bibel die Quelle, woraus die christliche Lehre allein sicher geschöpft werden kann, und enthält sie die Anzeige, wie und wodurch Gott selbst die Menschen nach und nach zu reinern Religionskenntnissen und göttlichen Gesinnungen erzogen hat; so müßte schon deswegen jeder, der auch nur vorerst wissen wollte, ob er sich für oder wider das Christenthum zu erklären habe, und bei dieser Frage ehrlich verfahren wollte, selbst die Bibel studieren. Weit mehr müßte er es also noch, wenn er sie für das Archiv hält, darin Gott seine Belehrungen der Menschen über die wahre Religion niedergelegt hat; und noch mehr, wenn er ein Lehrer dieser Religion seyn will, auf dessen Untersuchungen und Treue sich Andere sollen verlassen können. (1 Kor. 4, 1. 2.)
|c11| 8.
Zwar könnte er sich auf Andere verlassen, die bereits diesen Unterricht und diese Lehre aus der heiligen Schrift gezogen, oder den Sinn der Bibel sorgfältig untersucht haben; aber doch nur alsdann, wenn er selbst keine Fähigkeit, Beides zu thun, oder wichtigere Beschäftigungen, als diese, hätte, und wenn er völlig sicher seyn könnte, daß diese Andern nichts übersehen, keine Fehler dabei begangen hätten. Mit jenen kann er sich nicht entschuldigen; denn was kann für ihn wichtiger seyn, als vorerst Gottes Willen aus den reinsten, echtesten Urkunden seines Willens zu schöpfen? Und wer nicht einmal die Kenntnisse erwerben kann oder will, die zur überzeugenden Einsicht des wahren Verstandes dieser Urkunden nöthig sind, mit welchem Recht will der sich Andern zum Wegweiser anbieten? Sicher, ohne eigene Untersuchung, kann er eben so wenig seyn, daß die, denen er folgen will, ihn vollständig und richtig von dem Christenthum belehrt haben. Denn jeder, der, bei dem Gebrauch der dazu dienlichen Hülfsmittel, selbst forscht, findet gewiß Manches in der Bibel, was Andere nicht gesehen haben; findet, wo nicht neue Aussichten über ihren richtigern Verstand und die darin enthaltenen Sachen, doch neue Beweise, neue Beziehungen der Lehren, neue Arten sie faßlicher und eindrücklicher zu machen. Und wäre auch alles dies nicht, so kann er sich doch Andern, die ihm vorgearbeitet haben, eher nicht sicher anvertrauen, als bis er geprüft hat, ob sie mit hinlänglicher Einsicht und Unparteilichkeit dabei verfuhren. Dies kann er bei Menschen, die fehlen, Manches nicht wissen, Manches übersehen können, schlechterdings nicht mit Gewißheit annehmen, wenn er die Kenntnisse nicht selbst mit allem Fleiß zu erlangen |c12| sucht, oder nicht aufs gewissenhafteste anwendet, die zur Bestimmung des Verstandes der heiligen Schrift und zur Prüfung der verschiedenen Meinungen darüber nöthig sind; kann am allerwenigsten dann entscheiden, wenn die Ausleger der Bibel über den Verstand gewisser Stellen oder über gewisse Punkte, welche die Bibel angehen, unter sich uneins sind.Zwar könnte er sich auf Andere verlassen, die bereits diesen Unterricht und diese Lehre aus der heiligen Schrift gezogen, oder den Sinn der Bibel sorgfältig untersucht haben; aber doch nur alsdann, wenn er selbst keine Fähigkeit, Beides zu thun, oder wichtigere Beschäftigungen, als diese, hätte, und wenn er völlig sicher seyn könnte, daß diese Andern nichts übersehen, keine Fehler dabei begangen hätten. Mit jenen kann er sich nicht entschuldigen; denn was kann für ihn wichtiger seyn, als vorerst Gottes Willen aus den reinsten, echtesten Urkunden seines Willens zu schöpfen? Und wer nicht einmal die Kenntnisse erwerben kann oder will, die zur überzeugenden Einsicht des wahren Verstandes dieser Urkunden nöthig sind, mit welchem Recht will der sich Andern zum Wegweiser anbieten? Sicher, ohne eigene Untersuchung, kann er eben so wenig seyn, daß die, denen er folgen will, ihn vollständig und richtig von dem Christenthum belehrt haben. Denn jeder, der, bei dem Gebrauch der dazu dienlichen Hülfsmittel, selbst forscht, findet gewiß Manches in der Bibel, was Andere nicht gesehen haben; findet, wo nicht neue Aussichten über ihren richtigern Verstand und die darin enthaltenen Sachen, doch neue Beweise, neue Beziehungen der Lehren, neue Arten sie faßlicher und eindrücklicher zu machen. Und wäre auch alles dies nicht, so kann er sich doch Andern, die ihm vorgearbeitet haben, eher nicht sicher anvertrauen, als bis er geprüft hat, ob sie mit hinlänglicher Einsicht und Unparteilichkeit dabei verfuhren. Dies kann er bei Menschen, die fehlen, Manches nicht wissen, Manches übersehen können, schlechterdings nicht mit Gewißheit annehmen, wenn er die Kenntnisse nicht selbst mit allem Fleiß zu erlangen |c12| sucht, oder nicht aufs gewissenhafteste anwendet, die zur Bestimmung des Verstandes der heiligen Schrift und zur Prüfung der verschiedenen Meinungen darüber nöthig sind; kann am allerwenigsten dann entscheiden, wenn die Ausleger der Bibel über den Verstand gewisser Stellen oder über gewisse Punkte, welche die Bibel angehen, unter sich uneins sind.
Anm. 1. Der Wahn, daß es irgend einen oder mehrere Menschen gebe, die in Bestimmung des Sinnes der heiligen Schrift untrüglich wären, verdient weder Aufmerksamkeit noch Widerlegung. Er stößt zu sehr gegen den schlichten Menschenverstand und gegen die allgemeine Erfahrung an; ist Widerspruch gegen die göttliche Weisheit, die nichts vergeblich thut, und geradezu solchen Menschen Aufschluß in der Religion geben könnte, ohne erst durch einen Umweg Aufschluß über den Verstand eines Buchs zu geben, das Aufschluß über die Religion enthalten soll; und noch hat seit den Zeiten, da das Christenthum zuerst schriftlich in diesen Büchern verfaßt wurde, keiner, der sich dieser untrüglichen Erklärungen rühmte, den Beweis für diese seine Einbildung führen, oder das göttliche Creditiv dazu aufweisen können.
Anm. 2. Daß jeder, der die Bibel und ihren Verstand untersuchen soll, eben so, wie Andere, irren könne, ist freilich wahr; aber es bleibt doch jedem kein anderes Mittel, möglichst sicher zu gehen, als eigene Untersuchung, und deswegen möglichstes Streben nach den Mitteln, die ihn dazu in den Stand setzen können. (Röm. 14, 12. 22. 4. 5.) Mehr, als das Mögliche thun, mehr, als alle Mittel dazu sich bekannt machen, und treu gebrauchen, fordert Gott nicht. Wenn uns unser Herz, auch hierin, nicht verdammt, so haben wir Freudigkeit vor Gott; und was wir bitten, werden wir von ihm empfangen, denn wir thun was vor ihm recht ist. (1 Joh. 3, 22.)
|c13| 9.
Dieser eigene Fleiß in Forschung der heiligen Schrift ist zwar zunächst und vornehmlich wegen der darin enthaltenen Lehren nöthig, aber nicht minder wegen der darin enthaltenen Geschichte und der historischen Kenntnisse, welche zur Einsicht in den Verstand der Bibel nothwendig sind, aber oft deswegen, wie die biblische Geschichte selbst, verachtet, oder für entbehrlich gehalten werden, weil sie keinen Theil des Christenthums selbst ausmachten, und die Geschichte mehr zur zufälligen Einkleidung, als zum Wesen des biblischen Unterrichts gehöre; weil, durch die fleißige Beschäftigung damit, die Aufmerksamkeit von dem Wichtigern, von der Lehre selbst, abgelenkt, oder diese historischen Umstände wichtiger, als die Lehre selbst, gemacht würden; weil der größte Theil dieser Geschichte die Christen, wenigstens die jetzigen, gar nichts angehe; weil endlich der Lehrer des Christenthums das Volk nur in den Lehren, nicht in den beiläufig erzählten Geschichten, zu unterrichten habe. – Allein, von auswärtigen historischen Kenntnissen, d. i. von solchen, welche zur Kritik, zur Sprach- und Geschichtskunde gehören, welche zum voraus da seyn müssen, ehe man sich an die Erklärung der Bibel wagen kann: von diesen ist hier die Rede noch nicht; davon wird sich hernach bei den einzelnen Kenntnissen, die ein Ausleger der Bibel mitbringen muß, besser reden lassen. Diese gehören zwar in den Unterricht des Volks nicht; aber sie gehören zum Unterricht und zur Ueberzeugung des Lehrers selbst; ohne sie kann er weder den Verstand der heiligen Schrift, noch die Echtheit und Göttlichkeit der Bibel mit eigener Ueberzeugung einsehen.Dieser eigene Fleiß in Forschung der heiligen Schrift ist zwar zunächst und vornehmlich wegen der darin enthaltenen Lehren nöthig, aber nicht minder wegen der darin enthaltenen Geschichte und der historischen Kenntnisse, welche zur Einsicht in den Verstand der Bibel nothwendig sind, aber oft deswegen, wie die biblische Geschichte selbst, verachtet, oder für entbehrlich gehalten werden, weil sie keinen Theil des Christenthums selbst ausmachten, und die Geschichte mehr zur zufälligen Einkleidung, als zum Wesen des biblischen Unterrichts gehöre; weil, durch die fleißige Beschäftigung damit, die Aufmerksamkeit von dem Wichtigern, von der Lehre selbst, abgelenkt, oder diese historischen Umstände wichtiger, als die Lehre selbst, gemacht würden; weil der größte Theil dieser Geschichte die Christen, wenigstens die jetzigen, gar nichts angehe; weil endlich der Lehrer des Christenthums das Volk nur in den Lehren, nicht in den beiläufig erzählten Geschichten, zu unterrichten habe. – Allein, von auswärtigen historischen Kenntnissen, d. i. von solchen, welche zur Kritik, zur Sprach- und Geschichtskunde gehören, welche zum voraus da seyn müssen, ehe man sich an die Erklärung der Bibel wagen kann: von diesen ist hier die Rede noch nicht; davon wird sich hernach bei den einzelnen Kenntnissen, die ein Ausleger der Bibel mitbringen muß, besser reden lassen. Diese gehören zwar in den Unterricht des Volks nicht; aber sie gehören zum Unterricht und zur Ueberzeugung des Lehrers selbst; ohne sie kann er weder den Verstand der heiligen Schrift, noch die Echtheit und Göttlichkeit der Bibel mit eigener Ueberzeugung einsehen.
|c14| 10.
Aber die historischen Stellen selbst, die einen großen Theil des Inhalts der biblischen Bücher ausmachen, verdienen eben auch, und zum Theil eben so sehr, Aufmerksamkeit und Untersuchung des Lehrers, als die eigentlichen Lehrstellen. Wahr ists, die einzelnen Theile der biblischen Geschichte sind weder in gleichem Grade beglaubt noch wichtig; die Geschichte ist um der Lehren willen aufgezeichnet, und diese also der wichtigste Theil der Bibel; bei dieser ganzen Geschichte muß man sich mehr an den Geist als an den Buchstaben halten, d. i. mehr an Handlungen als an Ereignisse, mehr an Gottes Absichten bei dem Geschehenen als an das Geschehene selbst, mehr an das Allgemeine, was für uns darin liegt, als an einzelne Umstände der Begebenheiten. Schon dadurch fallen die meisten Vorurtheile wider diese Geschichte (§.
9. ) weg, und der Mißbrauch wird, wenn man dieses immer vor Augen hat, verhütet. Noch mehr, wenn man Folgendes erwägt, was den großen Werth der biblischen Geschichte und die Nothwendigkeit begreiflich machen kann, sie mit aller Sorgfalt zu studieren.Aber die historischen Stellen selbst, die einen großen Theil des Inhalts der biblischen Bücher ausmachen, verdienen eben auch, und zum Theil eben so sehr, Aufmerksamkeit und Untersuchung des Lehrers, als die eigentlichen Lehrstellen. Wahr ists, die einzelnen Theile der biblischen Geschichte sind weder in gleichem Grade beglaubt noch wichtig; die Geschichte ist um der Lehren willen aufgezeichnet, und diese also der wichtigste Theil der Bibel; bei dieser ganzen Geschichte muß man sich mehr an den Geist als an den Buchstaben halten, d. i. mehr an Handlungen als an Ereignisse, mehr an Gottes Absichten bei dem Geschehenen als an das Geschehene selbst, mehr an das Allgemeine, was für uns darin liegt, als an einzelne Umstände der Begebenheiten. Schon dadurch fallen die meisten Vorurtheile wider diese Geschichte (§.
9. ) weg, und der Mißbrauch wird, wenn man dieses immer vor Augen hat, verhütet. Noch mehr, wenn man Folgendes erwägt, was den großen Werth der biblischen Geschichte und die Nothwendigkeit begreiflich machen kann, sie mit aller Sorgfalt zu studieren.
11.
Einmal müssen wir doch 1) die Bibel so nehmen, wie sie ist, und in der Gestalt, wie sie uns Gott hat zukommen lassen. Gesetzt, die Geschichte in derselben hinge mit den Lehren darin gar nicht zusammen, welches freilich von einigen Begebenheiten nicht zu läugnen ist: so nimmt sie doch einen beträchtlichen Theil der Bibel ein, ist entweder aus eben der Feder, wie das Uebrige, geflossen, oder, so weit unsere Kenntniß von der Geschichte einzelner Bücher, oder dieser ganzen Sammlung reicht, durch einerlei Kanal |c15| zu uns gekommen. Und, da es, wie bei einer jeden sehr alten Schrift oder Text, wo nicht unmöglich, doch sehr schwer fällt, die Gränzlinie zwischen dem mehr oder minder Authentischen zu ziehen, oder sie Andern fühlbar zu machen: so kann man in Absicht auf die allermeisten, auch unter nachdenkenden Lesern der Bibel, annehmen, daß sie dieselbe als ein Ganzes ansehen werden, welches in dem Maaß ihnen verdächtig und zweifelhaft wird, in welchem man Schwierigkeiten und Einwürfe gegen einzelne Theile nicht zu ihrer Befriedigung auflösen kann. Selbst die Geschichte der feindseligen Angriffe auf die Bibel lehrt es zur Genüge, daß, wenn man ihre Lehre umzustoßen verzweifeln mußte, man es für das Wirksamste hielt, seine Angriffe auf ihre Geschichte zu richten, in der Absicht, indem man diese verdächtig machte, um jene, und überhaupt das Ansehen der Bibel, zu stürzen, oder wenigstens verdächtig zu machen. Der Erfolg hat auch gezeigt, daß man diese Wirkung nicht übel berechnet habe. Wenn also Fälle genug vorkommen, wo der Lehrer des Christenthums über historische Schwierigkeiten in der Bibel, entweder von nachdenkenden, redlichen und mit Zweifeln kämpfenden Lesern, die Ruhe und Ueberzeugung suchen, befragt wird, oder sich in die Nothwendigkeit versetzt sieht, feindselige Einwürfe dagegen zu beantworten: wäre es denn da und deswegen nicht Pflicht, auch diese Geschichte genau zu studieren, um selbst das Ansehen der Bibel und der darauf sich gründenden Lehre zu retten?Einmal müssen wir doch 1) die Bibel so nehmen, wie sie ist, und in der Gestalt, wie sie uns Gott hat zukommen lassen. Gesetzt, die Geschichte in derselben hinge mit den Lehren darin gar nicht zusammen, welches freilich von einigen Begebenheiten nicht zu läugnen ist: so nimmt sie doch einen beträchtlichen Theil der Bibel ein, ist entweder aus eben der Feder, wie das Uebrige, geflossen, oder, so weit unsere Kenntniß von der Geschichte einzelner Bücher, oder dieser ganzen Sammlung reicht, durch einerlei Kanal |c15| zu uns gekommen. Und, da es, wie bei einer jeden sehr alten Schrift oder Text, wo nicht unmöglich, doch sehr schwer fällt, die Gränzlinie zwischen dem mehr oder minder Authentischen zu ziehen, oder sie Andern fühlbar zu machen: so kann man in Absicht auf die allermeisten, auch unter nachdenkenden Lesern der Bibel, annehmen, daß sie dieselbe als ein Ganzes ansehen werden, welches in dem Maaß ihnen verdächtig und zweifelhaft wird, in welchem man Schwierigkeiten und Einwürfe gegen einzelne Theile nicht zu ihrer Befriedigung auflösen kann. Selbst die Geschichte der feindseligen Angriffe auf die Bibel lehrt es zur Genüge, daß, wenn man ihre Lehre umzustoßen verzweifeln mußte, man es für das Wirksamste hielt, seine Angriffe auf ihre Geschichte zu richten, in der Absicht, indem man diese verdächtig machte, um jene, und überhaupt das Ansehen der Bibel, zu stürzen, oder wenigstens verdächtig zu machen. Der Erfolg hat auch gezeigt, daß man diese Wirkung nicht übel berechnet habe. Wenn also Fälle genug vorkommen, wo der Lehrer des Christenthums über historische Schwierigkeiten in der Bibel, entweder von nachdenkenden, redlichen und mit Zweifeln kämpfenden Lesern, die Ruhe und Ueberzeugung suchen, befragt wird, oder sich in die Nothwendigkeit versetzt sieht, feindselige Einwürfe dagegen zu beantworten: wäre es denn da und deswegen nicht Pflicht, auch diese Geschichte genau zu studieren, um selbst das Ansehen der Bibel und der darauf sich gründenden Lehre zu retten?
12.
Und verdient denn 2) diese Geschichte nicht den darauf verwendeten Fleiß, da sie zum Theil in die ältesten Zeiten |c16| hinein reicht, wo uns alle andere Denkmale und Urkunden entgehen, und sich alle andere Nachrichten in ein undurchdringliches Dunkel verlieren, oder in die abgeschmacktesten Fabeln übergehen? Verdient nicht wenigstens die Geschichte der Religion und der göttlichen Vorsehung, in der nach und nach veranstalteten Entwickelung wahrer Religionsbegriffe, verdienen nicht wenigstens die so unverkennbar wahren Züge der Sitten und Begriffe aus Zeiten, wo selbst Kultur noch wenig verdorben hatte, die Achtung und den Fleiß des Freundes der Menschen- und Religionskenntniß? Mag's doch seyn, daß diese Geschichte, daß selbst der Vortrag der Lehren die Farbe roher jüdischer Begriffe trage: so wäre doch diese so oft verachtete Geschichte schon darum der Untersuchung werth, damit man sichere Spuren finden könnte, um dieses Nationelle von dem allgemein Wahren und Brauchbaren absondern, um einsehen zu lernen, ob sich der Vortrag der Lehren bloß nach diesen jüdischen Begriffen und Bedürfnissen gerichtet habe, oder ob sich bei diesem, zwar in vieler Absicht rohen, aber gewiß in Absicht der Religion weit mehr, als andere gleichzeitige, aufgeklärten Volke, Religionsbegriffe fänden, die werth wären, ihm abgelernt zu werden?Und verdient denn 2) diese Geschichte nicht den darauf verwendeten Fleiß, da sie zum Theil in die ältesten Zeiten |c16| hinein reicht, wo uns alle andere Denkmale und Urkunden entgehen, und sich alle andere Nachrichten in ein undurchdringliches Dunkel verlieren, oder in die abgeschmacktesten Fabeln übergehen? Verdient nicht wenigstens die Geschichte der Religion und der göttlichen Vorsehung, in der nach und nach veranstalteten Entwickelung wahrer Religionsbegriffe, verdienen nicht wenigstens die so unverkennbar wahren Züge der Sitten und Begriffe aus Zeiten, wo selbst Kultur noch wenig verdorben hatte, die Achtung und den Fleiß des Freundes der Menschen- und Religionskenntniß? Mag's doch seyn, daß diese Geschichte, daß selbst der Vortrag der Lehren die Farbe roher jüdischer Begriffe trage: so wäre doch diese so oft verachtete Geschichte schon darum der Untersuchung werth, damit man sichere Spuren finden könnte, um dieses Nationelle von dem allgemein Wahren und Brauchbaren absondern, um einsehen zu lernen, ob sich der Vortrag der Lehren bloß nach diesen jüdischen Begriffen und Bedürfnissen gerichtet habe, oder ob sich bei diesem, zwar in vieler Absicht rohen, aber gewiß in Absicht der Religion weit mehr, als andere gleichzeitige, aufgeklärten Volke, Religionsbegriffe fänden, die werth wären, ihm abgelernt zu werden?
13.
Halten wir uns 3) an die Lehrart, welche fast durchaus in der Bibel bei dem Vortrage der Lehre herrscht, und trauen es der Weisheit Gottes zu, daß er diese als die beste bei dieser einzigen Ertheilung seiner nähern Aufschlüsse befunden habe: so ist augenscheinlich, daß im alten und neuen Testament, bei Mose, David, den Propheten und Aposteln, Lehre an Geschichte geknüpft, daß sogar die eigentliche christliche Lehre durchaus und so auf die Geschichte |c17| Jesu gebaut ist, daß die Apostel behaupten, es werde jene und die Ueberzeugung davon wanken, wenn diese verkannt würde, 1 Kor. 15, 1 f. Joh. 20, 30. 31. Apostelg. 4, 9 f. 18–20 etc. etc. Und wirklich ist 4) die Geschichte in der Bibel Beleg zu den Lehren. Beruht das, was wir christliche Lehre nennen, darauf, daß Jesus Christus dieß und nichts anderes, als Gottes Gesandter, gesagt hat, daß nach ihm seine vertrauten Schüler eben dieß und noch mehr gesagt haben: woher wissen wir dieses anders zuverlässig, woher, daß sie, indem sie diese Lehre für göttlich ausgeben, glaubwürdig, dieser Lehre kundig, in Ueberlieferung derselben aufrichtig waren, als eben aus der biblischen Geschichte? Und was erweckt ein gegründeteres Vorurtheil, daß die Bücher, die wir unter ihrem Namen besitzen, echt sind, als eben die Uebereinstimmung des Inhalts derselben mit dem, was wir aus andern Theilen der Bibel von ihrer und ihrer Zeitgenossen Geschichte wissen?Halten wir uns 3) an die Lehrart, welche fast durchaus in der Bibel bei dem Vortrage der Lehre herrscht, und trauen es der Weisheit Gottes zu, daß er diese als die beste bei dieser einzigen Ertheilung seiner nähern Aufschlüsse befunden habe: so ist augenscheinlich, daß im alten und neuen Testament, bei Mose, David, den Propheten und Aposteln, Lehre an Geschichte geknüpft, daß sogar die eigentliche christliche Lehre durchaus und so auf die Geschichte |c17| Jesu gebaut ist, daß die Apostel behaupten, es werde jene und die Ueberzeugung davon wanken, wenn diese verkannt würde, 1 Kor. 15, 1 f. Joh. 20, 30. 31. Apostelg. 4, 9 f. 18–20 etc. etc. Und wirklich ist 4) die Geschichte in der Bibel Beleg zu den Lehren. Beruht das, was wir christliche Lehre nennen, darauf, daß Jesus Christus dieß und nichts anderes, als Gottes Gesandter, gesagt hat, daß nach ihm seine vertrauten Schüler eben dieß und noch mehr gesagt haben: woher wissen wir dieses anders zuverlässig, woher, daß sie, indem sie diese Lehre für göttlich ausgeben, glaubwürdig, dieser Lehre kundig, in Ueberlieferung derselben aufrichtig waren, als eben aus der biblischen Geschichte? Und was erweckt ein gegründeteres Vorurtheil, daß die Bücher, die wir unter ihrem Namen besitzen, echt sind, als eben die Uebereinstimmung des Inhalts derselben mit dem, was wir aus andern Theilen der Bibel von ihrer und ihrer Zeitgenossen Geschichte wissen?
14.
Ist denn nicht auch 5) Geschichte gerade das, was bei dem Menschen die meiste Aufmerksamkeit erregt und unterhält, allgemeine Wahrheiten, vornehmlich moralische, am deutlichsten macht, und aufs anschaulichste darstellt? Allgemeine moralische Sätze wirken nicht nur an sich bei weitem so stark nicht als Erfahrungen und Beispiele. Sie wirken eigentlich gar nicht auf Herz und Leben, als sofern wir das, was sie ausdrucken, mit dessen seligen oder unseligen Folgen, an uns oder Andern, als wirklich vorhanden, als jetzt, oder vorhin, oder künftig vorhanden, denken. Geschichte ist Moral in Wirklichkeit verwandelt; von wirklichen, nicht von möglichen Dingen hängt unser körperliches und |c18| geistiges Leben ab. Darum spricht Gott in der Natur zu uns durch Thaten. Dadurch hält er uns gleich weit von Grübelei und Empfindelei, vom Unglauben und von Schwärmerei ab. Darum sprachen Jesus und seine Schüler, nachdem heidnische und jüdische Weisen lange genug dogmatisirt, und damit so wenig zur wirklichen Besserung und vernünftigen Gemüthsruhe gewirkt hatten, so viel sie konnten, durch Beispiele; sie predigten aufs wirksamste Besserung, indem sie nach ihren Grundsätzen handelten, Gemüthsruhe und fröhliche Aussicht in die Zukunft, indem sie für den Glauben und die Hoffnung ihrer Lehre mit Ruhe und Freudigkeit litten. Und dieß ihr Betragen, die Geschichte der Folgen ihrer Lehre, sollte weniger Aufmerksamkeit verdienen, als ihre Lehre selbst? Ihre vortreffliche Art, durch Geschichte zu lehren, sollte nicht Muster für uns, nicht eben so werth seyn, studirt und nachgeahmt zu werden?Ist denn nicht auch 5) Geschichte gerade das, was bei dem Menschen die meiste Aufmerksamkeit erregt und unterhält, allgemeine Wahrheiten, vornehmlich moralische, am deutlichsten macht, und aufs anschaulichste darstellt? Allgemeine moralische Sätze wirken nicht nur an sich bei weitem so stark nicht als Erfahrungen und Beispiele. Sie wirken eigentlich gar nicht auf Herz und Leben, als sofern wir das, was sie ausdrucken, mit dessen seligen oder unseligen Folgen, an uns oder Andern, als wirklich vorhanden, als jetzt, oder vorhin, oder künftig vorhanden, denken. Geschichte ist Moral in Wirklichkeit verwandelt; von wirklichen, nicht von möglichen Dingen hängt unser körperliches und |c18| geistiges Leben ab. Darum spricht Gott in der Natur zu uns durch Thaten. Dadurch hält er uns gleich weit von Grübelei und Empfindelei, vom Unglauben und von Schwärmerei ab. Darum sprachen Jesus und seine Schüler, nachdem heidnische und jüdische Weisen lange genug dogmatisirt, und damit so wenig zur wirklichen Besserung und vernünftigen Gemüthsruhe gewirkt hatten, so viel sie konnten, durch Beispiele; sie predigten aufs wirksamste Besserung, indem sie nach ihren Grundsätzen handelten, Gemüthsruhe und fröhliche Aussicht in die Zukunft, indem sie für den Glauben und die Hoffnung ihrer Lehre mit Ruhe und Freudigkeit litten. Und dieß ihr Betragen, die Geschichte der Folgen ihrer Lehre, sollte weniger Aufmerksamkeit verdienen, als ihre Lehre selbst? Ihre vortreffliche Art, durch Geschichte zu lehren, sollte nicht Muster für uns, nicht eben so werth seyn, studirt und nachgeahmt zu werden?
15.
Endlich ist ja doch 6) die in der heil. Schrift vorgetragene Lehre immer von Jesu, den Propheten und Aposteln, unter dem Charakter göttlicher Gesandten, vorgetragen; fast nie, höchstens nur bei ungelehrigen Zuhörern oder hartnäckigen Widersprechern, führen sie Beweise; sie rechtfertigen ihren Charakter nur durch Thaten, und sonach verlangen sie Glauben. Beruhet also der Glaube, den sie fordern, auf dem Ansehen desjenigen, und auf dem Vertrauen zu dem, dem man glauben soll, so ist die Geschichte derselben, die uns die heil. Schrift liefert, von großer Wichtigkeit, da sie nur uns lehren kann, ob und wie viel Glauben sie verdienen, wie überschwenglich viel sie, namentlich und vornehmlich Jesus, der Stifter des Christenthums, |c19| zum Besten der Menschen gethan und gelitten, wie viel sie Liebe und Nachahmung verdienen; und es ist daher sehr zu fürchten, daß sie in dem Maaß aufhören, uns werth und unser Muster zu seyn, in welchem wir gleichgültig gegen ihre Geschichte sind.Endlich ist ja doch 6) die in der heil. Schrift vorgetragene Lehre immer von Jesu, den Propheten und Aposteln, unter dem Charakter göttlicher Gesandten, vorgetragen; fast nie, höchstens nur bei ungelehrigen Zuhörern oder hartnäckigen Widersprechern, führen sie Beweise; sie rechtfertigen ihren Charakter nur durch Thaten, und sonach verlangen sie Glauben. Beruhet also der Glaube, den sie fordern, auf dem Ansehen desjenigen, und auf dem Vertrauen zu dem, dem man glauben soll, so ist die Geschichte derselben, die uns die heil. Schrift liefert, von großer Wichtigkeit, da sie nur uns lehren kann, ob und wie viel Glauben sie verdienen, wie überschwenglich viel sie, namentlich und vornehmlich Jesus, der Stifter des Christenthums, |c19| zum Besten der Menschen gethan und gelitten, wie viel sie Liebe und Nachahmung verdienen; und es ist daher sehr zu fürchten, daß sie in dem Maaß aufhören, uns werth und unser Muster zu seyn, in welchem wir gleichgültig gegen ihre Geschichte sind.
Anm. Man vergl. Ioh. A. Christoph. Döderlein Vier Abhandl. de historiae Iesu tenendae tradendaeque necessitate in dessen Opusculis theologicis, Ienae 1789. gr. 8. S. 1 folgg[.]; desgleichen die Hessischen Schriften über die biblische Geschichte.
16.
Eben so sehr, als um sein selbst willen, sollte der Lehrer des Christenthums die Bibel um seiner Zuhörer willen (§.
6. ) mit ganz eigenem Fleiß studiren. 1)
Ueberzeugen könnte er sie von den Lehren auch wohl durch andere Gründe, als durch das Ansehen der Bibel; und freilich ist jede Wahrheit Gottes Wort, sie stehe in der Bibel, und werde aus ihr genommen, oder nicht. Aber, wenn wir als Christen glauben, daß die heilige Schrift gewiß
Gottes Wort enthalte, so haben wir es nicht weit zu suchen, und wir brauchen dabei weniger besorgt zu seyn, daß wir unsere eigenen Einfälle, die nicht gleich Gottes Gedanken sind, statt dieser unterschieben möchten; es bedarf weiter nichts, als uns vorher durch Fleiß und gebrauchte rechte Hülfsmittel zu überzeugen, daß wir den rechten Sinn der Stellen, woraus wir schöpfen, getroffen haben, und ihnen hernach diesen so faßlich und einleuchtend zu machen, als es die Kenntnisse, die sie haben, oder, ohne Gelehrsamkeit, bekommen können, erlauben. – Und da Zweifel der Zuhörer an diesem richtigen Sinn diese ihre Ueberzeu
|c20|gung aus der Bibel hindern, also die Pflicht des Lehrers seyn würde, diesen, wo er sie fürchten muß, zuvorzukommen, oder, wenn sie sie ihm entdecken, zu heben: so versteht sich von selbst, daß er deswegen fleißig und mit eigenem Nachforschen die Bibel gelesen haben müsse.Eben so sehr, als um sein selbst willen, sollte der Lehrer des Christenthums die Bibel um seiner Zuhörer willen (§.
6. ) mit ganz eigenem Fleiß studiren. 1)
Ueberzeugen könnte er sie von den Lehren auch wohl durch andere Gründe, als durch das Ansehen der Bibel; und freilich ist jede Wahrheit Gottes Wort, sie stehe in der Bibel, und werde aus ihr genommen, oder nicht. Aber, wenn wir als Christen glauben, daß die heilige Schrift gewiß
Gottes Wort enthalte, so haben wir es nicht weit zu suchen, und wir brauchen dabei weniger besorgt zu seyn, daß wir unsere eigenen Einfälle, die nicht gleich Gottes Gedanken sind, statt dieser unterschieben möchten; es bedarf weiter nichts, als uns vorher durch Fleiß und gebrauchte rechte Hülfsmittel zu überzeugen, daß wir den rechten Sinn der Stellen, woraus wir schöpfen, getroffen haben, und ihnen hernach diesen so faßlich und einleuchtend zu machen, als es die Kenntnisse, die sie haben, oder, ohne Gelehrsamkeit, bekommen können, erlauben. – Und da Zweifel der Zuhörer an diesem richtigen Sinn diese ihre Ueberzeu
|c20|gung aus der Bibel hindern, also die Pflicht des Lehrers seyn würde, diesen, wo er sie fürchten muß, zuvorzukommen, oder, wenn sie sie ihm entdecken, zu heben: so versteht sich von selbst, daß er deswegen fleißig und mit eigenem Nachforschen die Bibel gelesen haben müsse.
17.
Soll er zugleich 2) die göttlichen Lehren zu ihrer Besserung und Beruhigung anwenden, so hat es auch da seine großen Vortheile, die Bibel zu diesem Zweck zu benutzen. Ansehen wirkt bei den meisten Menschen aufs kürzeste und kräftigste; und hat einmal jemand die Ueberzeugung, daß Gott in der Bibel redet, daß sie die Lehren Jesu Christi enthält, so wirkt dieses: Gott, Christus hat's gesagt, es wirkt die Liebe, das Vertrauen, zu dem, der so viel für uns gethan hat, der Wunsch, ihm ähnlich zu werden, gewiß stärker als alle andere Gründe. Solche kurze, kräftige, fruchtbare Aussprüche, wie die Bibel enthält, behalten sich leicht, bleiben der Seele gegenwärtiger, fallen uns wieder leicht da ein, wo wir sie brauchen, erinnern leicht wieder an das Gute, was man darüber gehört, an die seligen Erfahrungen, die man darnach gemacht hat. Durch öftere, mannigfaltigere Anwendungen dieser Aussprüche auf das Beste der Zuhörer, bekommt die Bibel für sie einen großen Werth, weil sie immer darin die Geschichte ihres Herzens lesen, Rath für ihre Bedürfnisse, Belehrung, Ermunterung und Trost über ihre innersten Angelegenheiten finden. Was könnte man doch, da die wenigsten Menschen über unsichtbare Dinge selbst zu denken, und Weisheit aus sich selbst zu schöpfen verstehen, und auch die, welche dieses können, Veranlassung zum Nach|c21|denken, Hülfe da brauchen, wo sie oft nicht zu Gedanken kommen, sie sich nicht interessant und eindrücklich machen können: was könnte man da ihnen für ein besseres, immer offen liegendes Handbuch empfehlen, als die Bibel? – Daß der Lehrer nur auf diese Art die Bibel nutzbar zu machen, selbst mit ihr sehr bekannt seyn müsse, um, nach Jedes Bedürfnissen, mit Jedem zu rechter Zeit zu reden, das Allgemeine in der Bibel auf die besondern Umstände der Zuhörer anzuwenden, und das Besondere in ihr ins Allgemeine, mit Weisheit, zu verwandeln, bedarf keiner Erinnerung.Soll er zugleich 2) die göttlichen Lehren zu ihrer Besserung und Beruhigung anwenden, so hat es auch da seine großen Vortheile, die Bibel zu diesem Zweck zu benutzen. Ansehen wirkt bei den meisten Menschen aufs kürzeste und kräftigste; und hat einmal jemand die Ueberzeugung, daß Gott in der Bibel redet, daß sie die Lehren Jesu Christi enthält, so wirkt dieses: Gott, Christus hat's gesagt, es wirkt die Liebe, das Vertrauen, zu dem, der so viel für uns gethan hat, der Wunsch, ihm ähnlich zu werden, gewiß stärker als alle andere Gründe. Solche kurze, kräftige, fruchtbare Aussprüche, wie die Bibel enthält, behalten sich leicht, bleiben der Seele gegenwärtiger, fallen uns wieder leicht da ein, wo wir sie brauchen, erinnern leicht wieder an das Gute, was man darüber gehört, an die seligen Erfahrungen, die man darnach gemacht hat. Durch öftere, mannigfaltigere Anwendungen dieser Aussprüche auf das Beste der Zuhörer, bekommt die Bibel für sie einen großen Werth, weil sie immer darin die Geschichte ihres Herzens lesen, Rath für ihre Bedürfnisse, Belehrung, Ermunterung und Trost über ihre innersten Angelegenheiten finden. Was könnte man doch, da die wenigsten Menschen über unsichtbare Dinge selbst zu denken, und Weisheit aus sich selbst zu schöpfen verstehen, und auch die, welche dieses können, Veranlassung zum Nach|c21|denken, Hülfe da brauchen, wo sie oft nicht zu Gedanken kommen, sie sich nicht interessant und eindrücklich machen können: was könnte man da ihnen für ein besseres, immer offen liegendes Handbuch empfehlen, als die Bibel? – Daß der Lehrer nur auf diese Art die Bibel nutzbar zu machen, selbst mit ihr sehr bekannt seyn müsse, um, nach Jedes Bedürfnissen, mit Jedem zu rechter Zeit zu reden, das Allgemeine in der Bibel auf die besondern Umstände der Zuhörer anzuwenden, und das Besondere in ihr ins Allgemeine, mit Weisheit, zu verwandeln, bedarf keiner Erinnerung.
18.
Und sollte denn der Lehrer 3) nicht Jesu und den übrigen Lehrern in der Bibel Herablassung, Klugheit, Herzlichkeit bei seinem Vortrage ablernen können, worin diese so große Muster sind? Wo herrscht selbst eine einfältigere, würdigere, so ganz den Lehren und seligen Eindrücken von Gott angemeßnere Sprache mehr, als in der Bibel; und wie viel trägt ein solcher Ausdruck zur Erregung wahrhaftig göttlicher Empfindungen bei? Freilich nur, wenn man ihn versteht. Aber eben darum muß der Lehrer ihren Sprachgebrauch studiren; darum lernen, ihn, wo er dunkel oder zweideutig ist, gegen deutlichere Ausdrücke, die sich diesem so sehr als möglich nähern, zu vertauschen; gelegentlich den Zuhörern dieses Dunkle im biblischen Ausdruck erklären: und so kann er, ohne Unsinn oder Mißverstand zu besorgen, alsdann selbst diese biblischen Arten zu reden behalten, die darum beibehalten zu werden verdienten, weil theils die Idee des durch die Bibel geheiligten Gebrauchs daran hängt, theils solche zu diesen religiösen Vorstellungen ganz eigen gewidmete und sonst nicht von gleichgültigen oder gar schlech|c22|ten Dingen gebrauchten Ausdrücke mehr Würde behalten, auch leichter die guten Gedanken und Empfindungen wieder erwecken, die man ehedem bei dem Gebrauch der biblischen Aussprüche gehabt hat.Und sollte denn der Lehrer 3) nicht Jesu und den übrigen Lehrern in der Bibel Herablassung, Klugheit, Herzlichkeit bei seinem Vortrage ablernen können, worin diese so große Muster sind? Wo herrscht selbst eine einfältigere, würdigere, so ganz den Lehren und seligen Eindrücken von Gott angemeßnere Sprache mehr, als in der Bibel; und wie viel trägt ein solcher Ausdruck zur Erregung wahrhaftig göttlicher Empfindungen bei? Freilich nur, wenn man ihn versteht. Aber eben darum muß der Lehrer ihren Sprachgebrauch studiren; darum lernen, ihn, wo er dunkel oder zweideutig ist, gegen deutlichere Ausdrücke, die sich diesem so sehr als möglich nähern, zu vertauschen; gelegentlich den Zuhörern dieses Dunkle im biblischen Ausdruck erklären: und so kann er, ohne Unsinn oder Mißverstand zu besorgen, alsdann selbst diese biblischen Arten zu reden behalten, die darum beibehalten zu werden verdienten, weil theils die Idee des durch die Bibel geheiligten Gebrauchs daran hängt, theils solche zu diesen religiösen Vorstellungen ganz eigen gewidmete und sonst nicht von gleichgültigen oder gar schlech|c22|ten Dingen gebrauchten Ausdrücke mehr Würde behalten, auch leichter die guten Gedanken und Empfindungen wieder erwecken, die man ehedem bei dem Gebrauch der biblischen Aussprüche gehabt hat.
Anm. Ueber einige gewöhnliche Vorurtheile gegen die Nothwendigkeit des eigenen Fleißes bei dem Studium der Bibel, nebst Empfehlungen desselben, s. Sixtini Amama Antibarbarus biblicus (der vermehrtern Ausgabe, Franecker 1656. 4.) in der vorgesetzten Rede de barbarie und in dem ersten Buche.
19.
Die Nothwendigkeit der fleißigen Beschäftigung mit der Bibel, einer gründlichen Kenntniß der Hülfmittel zur Entdeckung ihres wahren Verstandes, und eines treuen Gebrauchs derselben, wie zu diesem Zweck, so zur Herleitung der Religionslehren aus ihr, wird durch die Geschichte bestätigt, welche augenscheinlich zeigt, daß die Lauterkeit der christlichen Lehre immer mit diesem gelehrten und gewissenhaften Fleiß gleichen Schritt gehalten, daß Steigen und Fallen dieses Fleißes immer den Fortgang oder Rückgang des wahren Christenthums nach sich gezogen habe. Unkunde des wahren biblischen Sprachgebrauchs; Vorliebe zu einer schwärmenden Philosophie; einreißende Gewohnheit, die christliche Wahrheit mehr nach dem Herkommen und den Meinungen angesehener Gemeinden und Lehrer, als nach der Bibel, und wenn man ja die letztere brauchte, den Werth ihrer Erklärung mehr nach der Uebereinkunft eines zufälligen Sinnes mit gewissen herrschenden Lieblingsideen, oder nach dem Ansehen einer Erklärung, zu entscheiden, gab dem menschlichen Ansehn, in Sachen des Christenthums, das erste Uebergewicht über die Bibel, und die Entscheidung |c23| der angesehensten Bischöfe und Concilien befestigte dieses. Mehr bekannt mit der Sprache des neuen Testaments, waren die ältern griechischen Ausleger bis ins 5te Jahrhundert den lateinischen unläugbar in der Erklärung überlegen; das Gute der Letztern, wenige ausgenommen, war entweder errathen, oder von jenen entlehnt. Selbst da man seitdem in der griechischen Kirche sich mit Sammlungen älterer Erklärungen behalf, blieb immer durch die Catenen, wie man diese Sammlungen von Excerpten aus mehrern frühern Exegeten nannte, eine bessere Erklärungsart herrschender als in der lateinischen, die, eben wegen Unbekanntschaft mit der Sprache, von jeher fruchtbarer an neuen Dogmen war, welche die übrige Kirche weder kannte noch billigte. So lange diese noch nicht in die Erklärung eingemischt wurden, so lange man nur noch die Bibel erklärte ohne zu allegorisiren, und noch einiges Gute der ältern Ausleger benutzen konnte, blieb in den Abendländern die Auslegung noch erträglich; sobald aber jene Gewohnheiten die Oberhand gewonnen, Augustins Ansehen die andern verdunkelte, und die Glossa ordinaria des 9ten Jahrhunderts alles Andere verschlang, so war sie so gut als verloren. Jetzt trat menschliches Ansehen und angebliche Tradition ganz an die Stelle der Bibel; von Rom aus entschied man statt der heiligen Schrift, man sprach sogar gegen sie, und diese Aussprüche schlugen die nieder, welche nach der Bibel entscheiden wollten. Die Scholastiker, mehr darauf bedacht, Kirchenmeinungen zu befestigen und sie durch Philosophie aufzuklären, verloren die Bibel fast ganz aus dem Gesichte; die Mystiker suchten Licht in sich, statt es in der Bibel zu suchen; immer zwangen die Paulizianer, Katharer, Waldenser und ähnliche, mehr einfältig die Bibel, als |c24| die Kirche, befragende Parteien, selbst ihren Gegnern das Bekenntniß ab, daß sie, bei allen Irrthümern, reicher am thätigen Christenthum wären. Mit der Wiederbildung der Wissenschaften seit dem 15ten Jahrhundert, und noch mehr mit der Reformation in dem folgenden, wachte die Liebe zur Bibel, und der Fleiß sie zu forschen, wieder auf, und das menschliche Ansehen fing an zu sinken; letzteres erhob sich unter den gereinigtern Kirchen wieder, als gegen das Ende des 16ten Jahrhunderts Kenntniß der Sprachen und Nachforschen in der Bibel der wieder zunehmenden dogmatischen Grübelei weichen mußte. Es gewann aber wieder Boden, als einige treffliche Sprachkundige, gegen die Mitte des 17ten, die richtige Art der Bibelerklärung, und, gegen das Ende desselben, die hallischen Theologen mit ihren Schülern, Liebe zur Bibel durch Wort und Beispiel empfahlen. Der Eifer, die Bibel zu forschen, und die exegetische Theologie nach allen ihren Theilen zu bearbeiten, stieg sichtbar seit der Mitte des 18ten Jahrhunderts; daneben eine gründlichere Kenntniß der Kritik, der Grundsprachen, der alten Geschichte und des Morgenlandes; zugleich mehr Geschmack und Drang, die biblische Auslegung von hineingetragenen Begriffen zu reinigen, sicherlich auch, – bei allem Verfall auf Extreme, wovon keine Zeit frei ist – die Reinigkeit der christlichen Lehre und deren vernünftigere und fruchtbarere Anwendung.Die Nothwendigkeit der fleißigen Beschäftigung mit der Bibel, einer gründlichen Kenntniß der Hülfmittel zur Entdeckung ihres wahren Verstandes, und eines treuen Gebrauchs derselben, wie zu diesem Zweck, so zur Herleitung der Religionslehren aus ihr, wird durch die Geschichte bestätigt, welche augenscheinlich zeigt, daß die Lauterkeit der christlichen Lehre immer mit diesem gelehrten und gewissenhaften Fleiß gleichen Schritt gehalten, daß Steigen und Fallen dieses Fleißes immer den Fortgang oder Rückgang des wahren Christenthums nach sich gezogen habe. Unkunde des wahren biblischen Sprachgebrauchs; Vorliebe zu einer schwärmenden Philosophie; einreißende Gewohnheit, die christliche Wahrheit mehr nach dem Herkommen und den Meinungen angesehener Gemeinden und Lehrer, als nach der Bibel, und wenn man ja die letztere brauchte, den Werth ihrer Erklärung mehr nach der Uebereinkunft eines zufälligen Sinnes mit gewissen herrschenden Lieblingsideen, oder nach dem Ansehen einer Erklärung, zu entscheiden, gab dem menschlichen Ansehn, in Sachen des Christenthums, das erste Uebergewicht über die Bibel, und die Entscheidung |c23| der angesehensten Bischöfe und Concilien befestigte dieses. Mehr bekannt mit der Sprache des neuen Testaments, waren die ältern griechischen Ausleger bis ins 5te Jahrhundert den lateinischen unläugbar in der Erklärung überlegen; das Gute der Letztern, wenige ausgenommen, war entweder errathen, oder von jenen entlehnt. Selbst da man seitdem in der griechischen Kirche sich mit Sammlungen älterer Erklärungen behalf, blieb immer durch die Catenen, wie man diese Sammlungen von Excerpten aus mehrern frühern Exegeten nannte, eine bessere Erklärungsart herrschender als in der lateinischen, die, eben wegen Unbekanntschaft mit der Sprache, von jeher fruchtbarer an neuen Dogmen war, welche die übrige Kirche weder kannte noch billigte. So lange diese noch nicht in die Erklärung eingemischt wurden, so lange man nur noch die Bibel erklärte ohne zu allegorisiren, und noch einiges Gute der ältern Ausleger benutzen konnte, blieb in den Abendländern die Auslegung noch erträglich; sobald aber jene Gewohnheiten die Oberhand gewonnen, Augustins Ansehen die andern verdunkelte, und die Glossa ordinaria des 9ten Jahrhunderts alles Andere verschlang, so war sie so gut als verloren. Jetzt trat menschliches Ansehen und angebliche Tradition ganz an die Stelle der Bibel; von Rom aus entschied man statt der heiligen Schrift, man sprach sogar gegen sie, und diese Aussprüche schlugen die nieder, welche nach der Bibel entscheiden wollten. Die Scholastiker, mehr darauf bedacht, Kirchenmeinungen zu befestigen und sie durch Philosophie aufzuklären, verloren die Bibel fast ganz aus dem Gesichte; die Mystiker suchten Licht in sich, statt es in der Bibel zu suchen; immer zwangen die Paulizianer, Katharer, Waldenser und ähnliche, mehr einfältig die Bibel, als |c24| die Kirche, befragende Parteien, selbst ihren Gegnern das Bekenntniß ab, daß sie, bei allen Irrthümern, reicher am thätigen Christenthum wären. Mit der Wiederbildung der Wissenschaften seit dem 15ten Jahrhundert, und noch mehr mit der Reformation in dem folgenden, wachte die Liebe zur Bibel, und der Fleiß sie zu forschen, wieder auf, und das menschliche Ansehen fing an zu sinken; letzteres erhob sich unter den gereinigtern Kirchen wieder, als gegen das Ende des 16ten Jahrhunderts Kenntniß der Sprachen und Nachforschen in der Bibel der wieder zunehmenden dogmatischen Grübelei weichen mußte. Es gewann aber wieder Boden, als einige treffliche Sprachkundige, gegen die Mitte des 17ten, die richtige Art der Bibelerklärung, und, gegen das Ende desselben, die hallischen Theologen mit ihren Schülern, Liebe zur Bibel durch Wort und Beispiel empfahlen. Der Eifer, die Bibel zu forschen, und die exegetische Theologie nach allen ihren Theilen zu bearbeiten, stieg sichtbar seit der Mitte des 18ten Jahrhunderts; daneben eine gründlichere Kenntniß der Kritik, der Grundsprachen, der alten Geschichte und des Morgenlandes; zugleich mehr Geschmack und Drang, die biblische Auslegung von hineingetragenen Begriffen zu reinigen, sicherlich auch, – bei allem Verfall auf Extreme, wovon keine Zeit frei ist – die Reinigkeit der christlichen Lehre und deren vernünftigere und fruchtbarere Anwendung.
Anm. Wer blind gegen die Fortschritte der Wissenschaften in unserer Zeit, oder undankbar gegen Gottes allezeit weise Vorsehung, dieses letzte läugnen will, sieht gewiß nicht, wie sehr die hier und da nicht zu läugnende schnöde Verachtung der Religion und des Christenthums, gewöhnlich, wo nicht Gleichgültigkeit oder Haß gegen die Bibel, doch Unkunde einer gründlichen Auslegung derselben zur |c25| Seite haben; wie die, welche die Bibel jetzt verstellen, eben aus Mangel dazu nothwendiger Kenntnisse, und aus Unfähigkeit, sich den alterthümlichen Geist derselben hinein zu denken, durch fremde Einkleidung nach ihrer Phantasie umschmelzen. Eben jene unläugbaren Fortschritte in exegetischen Hülfsmitteln sind dagegen ein Damm , den die göttliche Vorsehung solchen Mißhandlungen der Bibel und der Religion vorzieht.
20.
Der bisher empfohlene angelegentliche und eigene Fleiß ist um so nöthiger, je mannichfaltiger die Kenntnisse und Beschäftigungen sind, welche erfordert werden, um die heilige Schrift recht verstehen und gebrauchen zu lernen, und mit je mehrern Schwierigkeiten man dabei zu kämpfen hat. – Bei allen den Wissenschaften, wo es auf vielerlei und ausgebreitete Kenntnisse ankommt, wo der Fleiß sehr ins Kleine gehen muß, und wo Manches sogar auf einem sichern Gefühl beruht, das erst durch lange Uebung erworben oder befestigt wird, ist es gar nicht zu verwundern, daß der Unwissende oder Anfänger sie sich leichter vorstellt, als sie sind, und als er sie hinterher findet. Wenn man auch weiß, daß zu einer Wissenschaft viel gehöre, daß man dieß eben nur lernen, nicht selbst erfinden, oder nur alsdann erfinden könne, wo man erst Vieles vorher Andern abgelernt und gesammelt hat – wie dieses der Fall bei allen historischen Wissenschaften ist: – da verläßt man sich gar zu leicht auf Anderer Vorarbeit, forscht nicht selbst nach, und beruhigt sich ohne Prüfung bei dem, was man vorfindet. Dieses sind wohl einige Hauptursachen, die das Vorurtheil erzeugen, als wenn bei dem exegetischen Studium wenig von uns selbst zu thun, oder Alles leicht zu er|c26|lernen sei, so wie man sich auf der andern Seite die Schwierigkeiten oft zu groß vorstellt, wenn und weil man so viele subsidiarische Kenntnisse bei sich vermißt, oder nicht weiß, wo man sie hernehmen soll.Der bisher empfohlene angelegentliche und eigene Fleiß ist um so nöthiger, je mannichfaltiger die Kenntnisse und Beschäftigungen sind, welche erfordert werden, um die heilige Schrift recht verstehen und gebrauchen zu lernen, und mit je mehrern Schwierigkeiten man dabei zu kämpfen hat. – Bei allen den Wissenschaften, wo es auf vielerlei und ausgebreitete Kenntnisse ankommt, wo der Fleiß sehr ins Kleine gehen muß, und wo Manches sogar auf einem sichern Gefühl beruht, das erst durch lange Uebung erworben oder befestigt wird, ist es gar nicht zu verwundern, daß der Unwissende oder Anfänger sie sich leichter vorstellt, als sie sind, und als er sie hinterher findet. Wenn man auch weiß, daß zu einer Wissenschaft viel gehöre, daß man dieß eben nur lernen, nicht selbst erfinden, oder nur alsdann erfinden könne, wo man erst Vieles vorher Andern abgelernt und gesammelt hat – wie dieses der Fall bei allen historischen Wissenschaften ist: – da verläßt man sich gar zu leicht auf Anderer Vorarbeit, forscht nicht selbst nach, und beruhigt sich ohne Prüfung bei dem, was man vorfindet. Dieses sind wohl einige Hauptursachen, die das Vorurtheil erzeugen, als wenn bei dem exegetischen Studium wenig von uns selbst zu thun, oder Alles leicht zu er|c26|lernen sei, so wie man sich auf der andern Seite die Schwierigkeiten oft zu groß vorstellt, wenn und weil man so viele subsidiarische Kenntnisse bei sich vermißt, oder nicht weiß, wo man sie hernehmen soll.
21.
Bei der heiligen Schrift kommen noch manche besondere Umstände dazu, welche das Vorurtheil verstärken, daß, sie zu verstehen, so gar schwer nicht seyn könne. Man hat sie von Jugend auf gelesen und erläutern gehört, und glaubt, weil uns ihre Geschichten und Lehren, den Worten und Sachen nach, geläufig sind, so wäre sie uns auch verständlich genug. Man hat selbst gehört, daß unsere Theologen gegen die römische Kirche die Deutlichkeit der heiligen Schrift, als eine Unterscheidungslehre, vertheidigen und beweisen. Wie sollten auch, denkt man, Bücher schwer zu verstehen, die Echtheit derselben nicht ausgemacht seyn, worin Gott seinen Willen für jedermann, selbst deutlicher als durch die Natur, geoffenbart hat? man dürfe sich nur an den ersten einfältigsten Sinn halten, der sich uns darin darstellt, mit Einfalt und Lernbegierde lesen, und Gott um Erleuchtung bitten. Wenn man denn auch in einzelnen Stellen nicht gerade den eigentlichen Sinn treffe, so stoße man doch gewiß auf Wahrheiten, die zu unserer Erbauung dienten. Und wo uns irgend Schwierigkeiten aufstießen: über welches Buch in der Welt sei mehr geschrieben, mehr gedacht, mehr Nutzbares schon ausgezogen und außer Zweifel gesetzt worden? Nach so vielen und zum Theil vortrefflichen Arbeiten könne schwerlich noch etwas unserm eigenen Fleiß überlassen seyn.Bei der heiligen Schrift kommen noch manche besondere Umstände dazu, welche das Vorurtheil verstärken, daß, sie zu verstehen, so gar schwer nicht seyn könne. Man hat sie von Jugend auf gelesen und erläutern gehört, und glaubt, weil uns ihre Geschichten und Lehren, den Worten und Sachen nach, geläufig sind, so wäre sie uns auch verständlich genug. Man hat selbst gehört, daß unsere Theologen gegen die römische Kirche die Deutlichkeit der heiligen Schrift, als eine Unterscheidungslehre, vertheidigen und beweisen. Wie sollten auch, denkt man, Bücher schwer zu verstehen, die Echtheit derselben nicht ausgemacht seyn, worin Gott seinen Willen für jedermann, selbst deutlicher als durch die Natur, geoffenbart hat? man dürfe sich nur an den ersten einfältigsten Sinn halten, der sich uns darin darstellt, mit Einfalt und Lernbegierde lesen, und Gott um Erleuchtung bitten. Wenn man denn auch in einzelnen Stellen nicht gerade den eigentlichen Sinn treffe, so stoße man doch gewiß auf Wahrheiten, die zu unserer Erbauung dienten. Und wo uns irgend Schwierigkeiten aufstießen: über welches Buch in der Welt sei mehr geschrieben, mehr gedacht, mehr Nutzbares schon ausgezogen und außer Zweifel gesetzt worden? Nach so vielen und zum Theil vortrefflichen Arbeiten könne schwerlich noch etwas unserm eigenen Fleiß überlassen seyn.
|c27| 22.
Geräth aber, auf der andern Seite, jemand über die verschiedenen Folgen und Lehren, die aus der heiligen Schrift gezogen seyn sollen, und welche bei verschiedenen Parteien und Menschen einander so sehr widersprechen; merkt er die Abweichungen der Ausleger von einander, und wird verlegen, was er unter so verschiedenen Erklärungen als das Wahre wählen soll; befriedigen sie oder ihre Gründe ihn nicht; fällt er selbst auf einen Sinn, der ihm einleuchtend scheint, den er aber zu beweisen nicht genug Kenntnisse hat; oder ist er zu ängstlich, um seinen eigenen Einsichten zu trauen, um einen Sinn annehmlich zu finden, der von herrschenden Erklärungen abgeht, oder gegen Meinungen anzustoßen scheint, die er für wahre Religionslehren hält; oder zu gewissenhaft in göttlichen Dingen, als daß er mit einem Sinn, der sich hören läßt, ohne überzeugende Beweise zufrieden seyn sollte; oder hat jemand auf Schulen durch eine schlechte und ihm durch manche Nebenumstände verleidete Erklärungsart der Bibel oder alter Schriftsteller, einen Widerwillen gegen alle Auslegung gefaßt; oder ist er zu sehr versäumt, als daß er hoffen sollte, das viele Versäumte noch nachholen zu können; und hat er nach und nach mehr Geschmack an sogenannten Realkenntnissen bekommen, und sich an solche gewöhnt; oder hält er diese für weit wichtiger, als daß er die darauf zu verwendende Zeit noch sogenannten Wortkenntnissen und Beschäftigungen des Gedächtnisses aufopfern sollte; und wird er vollends in seinem Ekel dagegen und in dem Wahn von ihrer Entbehrlichkeit durch Andere bestärkt, die ihm Sprache, Bibel und die Geschichte in derselben verächtlich machen, seinen Stolz auf die Fähigkeit, selbst zu denken, nähren, oder ihn bereden, |c28| daß das Wesentliche der Bibel in sehr Wenigem bestehe und schon ganz aufs Reine gebracht sei: so ist es sehr begreiflich, wie leicht er dadurch und durch das Gefühl der mancherlei Schwierigkeiten dahin gebracht werden könne, das Studium der Bibel selbst, oder doch eigenen, ausharrenden Fleiß, ganz aufzugeben.Geräth aber, auf der andern Seite, jemand über die verschiedenen Folgen und Lehren, die aus der heiligen Schrift gezogen seyn sollen, und welche bei verschiedenen Parteien und Menschen einander so sehr widersprechen; merkt er die Abweichungen der Ausleger von einander, und wird verlegen, was er unter so verschiedenen Erklärungen als das Wahre wählen soll; befriedigen sie oder ihre Gründe ihn nicht; fällt er selbst auf einen Sinn, der ihm einleuchtend scheint, den er aber zu beweisen nicht genug Kenntnisse hat; oder ist er zu ängstlich, um seinen eigenen Einsichten zu trauen, um einen Sinn annehmlich zu finden, der von herrschenden Erklärungen abgeht, oder gegen Meinungen anzustoßen scheint, die er für wahre Religionslehren hält; oder zu gewissenhaft in göttlichen Dingen, als daß er mit einem Sinn, der sich hören läßt, ohne überzeugende Beweise zufrieden seyn sollte; oder hat jemand auf Schulen durch eine schlechte und ihm durch manche Nebenumstände verleidete Erklärungsart der Bibel oder alter Schriftsteller, einen Widerwillen gegen alle Auslegung gefaßt; oder ist er zu sehr versäumt, als daß er hoffen sollte, das viele Versäumte noch nachholen zu können; und hat er nach und nach mehr Geschmack an sogenannten Realkenntnissen bekommen, und sich an solche gewöhnt; oder hält er diese für weit wichtiger, als daß er die darauf zu verwendende Zeit noch sogenannten Wortkenntnissen und Beschäftigungen des Gedächtnisses aufopfern sollte; und wird er vollends in seinem Ekel dagegen und in dem Wahn von ihrer Entbehrlichkeit durch Andere bestärkt, die ihm Sprache, Bibel und die Geschichte in derselben verächtlich machen, seinen Stolz auf die Fähigkeit, selbst zu denken, nähren, oder ihn bereden, |c28| daß das Wesentliche der Bibel in sehr Wenigem bestehe und schon ganz aufs Reine gebracht sei: so ist es sehr begreiflich, wie leicht er dadurch und durch das Gefühl der mancherlei Schwierigkeiten dahin gebracht werden könne, das Studium der Bibel selbst, oder doch eigenen, ausharrenden Fleiß, ganz aufzugeben.
23.
Beiden Vorurtheilen entgegen zu arbeiten, und auf der einen Seite die Trägheit, auf der andern Muthlosigkeit zu verhüten, ist es sehr nothwendig, sich frühzeitig theils den großen Umfang und die Nutzbarkeit der für das Studium der Bibel nöthigen Kenntnisse, theils die Mittel bekannt zu machen, wie man die Schwierigkeiten dabei heben, erleichtern, und sich eine Fertigkeit erwerben könne, die heilige Schrift und ihren Sinn gründlich zu erforschen. Den Werth der Bibel vorausgesetzt, kann man sie anders nicht benutzen, als wenn und sofern man überzeugt ist, daß, was man daraus zieht, wirklich darin enthalten sei. Diese Ueberzeugung erfordert, wie bei jedem Gesetz oder jeder Urkunde, daraus man etwas lernen will, zweierlei: erstlich, daß man mit Ueberzeugung wisse, was man zur heiligen Schrift rechne, sei wirklich, wenigstens im Wesentlichen, dasselbe, was die Verfasser niedergeschrieben haben; hernach, daß man den Sinn gefunden, und Grund angeben könne, daß und warum der Sinn, den wir gefunden haben, der einzige wahre, oder doch wahrscheinlichste sei. Der Inbegriff der Kenntnisse, welche die Echtheit der biblischen Bücher und des biblischen Textes betreffen, ist die biblische Kritik (Critica sacra), so wie der Inbegriff dererjenigen, welche die Auslegung desselben angehen, die eigentliche Exegetik.Beiden Vorurtheilen entgegen zu arbeiten, und auf der einen Seite die Trägheit, auf der andern Muthlosigkeit zu verhüten, ist es sehr nothwendig, sich frühzeitig theils den großen Umfang und die Nutzbarkeit der für das Studium der Bibel nöthigen Kenntnisse, theils die Mittel bekannt zu machen, wie man die Schwierigkeiten dabei heben, erleichtern, und sich eine Fertigkeit erwerben könne, die heilige Schrift und ihren Sinn gründlich zu erforschen. Den Werth der Bibel vorausgesetzt, kann man sie anders nicht benutzen, als wenn und sofern man überzeugt ist, daß, was man daraus zieht, wirklich darin enthalten sei. Diese Ueberzeugung erfordert, wie bei jedem Gesetz oder jeder Urkunde, daraus man etwas lernen will, zweierlei: erstlich, daß man mit Ueberzeugung wisse, was man zur heiligen Schrift rechne, sei wirklich, wenigstens im Wesentlichen, dasselbe, was die Verfasser niedergeschrieben haben; hernach, daß man den Sinn gefunden, und Grund angeben könne, daß und warum der Sinn, den wir gefunden haben, der einzige wahre, oder doch wahrscheinlichste sei. Der Inbegriff der Kenntnisse, welche die Echtheit der biblischen Bücher und des biblischen Textes betreffen, ist die biblische Kritik (Critica sacra), so wie der Inbegriff dererjenigen, welche die Auslegung desselben angehen, die eigentliche Exegetik.
|c29| Anm. Bei beiden Wissenschaften soll im Folgenden zugleich von ihrem Umfang, ihrer Nothwendigkeit, Schwierigkeit, und den Mitteln, diese zu heben, oder gründliche Kenntnisse und Fertigkeiten darin zu erlangen, überhaupt gehandelt werden. Dadurch werden die Vorurtheile von dem zu Leichten oder zu Schweren bei dem biblischen Studium von selbst wegfallen, daß sie dann keiner weitern Widerlegung bedürfen.
24.
So sehr die Kritik von jeher der Verachtung und noch mehr der Verleumdung der Unwissenden ausgesetzt gewesen ist, die alle kritische Versuche wohl gar für Anfälle auf Gottes Wort angesehen haben, ohne zu bedenken, daß biblische Kritik nur eine Revision des auf uns gekommenen geschriebenen oder gedruckten
Textes der Bibel, nicht der
Bibel selbst, ist: so ist sie doch nicht nur eine unschädliche, sondern sogar auch nothwendige Wissenschaft. Soll 1) eine Lehre oder Begebenheit aus einem Zeugniß der heiligen Schrift dargethan, oder eine Redensart als schriftmäßig gerechtfertigt werden (wie bei 1 Joh. 5, 7. oder 1 Tim. 3, 16. bei Joh. 7, 53.–8, 11. und bei Apostelgesch. 20, 28): so muß bewiesen werden können, daß das Buch, die Stelle und der Ausdruck echt sei, die man als ein Zeugniß anführt (Th. 1. §.
74. ); und so bodenlos sonst der Beweis seyn würde, so vergeblich wäre die Erklärung einer Stelle oder eines Ausdrucks, um einen Schluß daraus zu ziehen, ehe noch ausgemacht wäre, daß sie von den heiligen Schriftstellern selbst herrührten, und sich daraus etwas, als von ihnen gesagt, ziehen ließe.So sehr die Kritik von jeher der Verachtung und noch mehr der Verleumdung der Unwissenden ausgesetzt gewesen ist, die alle kritische Versuche wohl gar für Anfälle auf Gottes Wort angesehen haben, ohne zu bedenken, daß biblische Kritik nur eine Revision des auf uns gekommenen geschriebenen oder gedruckten
Textes der Bibel, nicht der
Bibel selbst, ist: so ist sie doch nicht nur eine unschädliche, sondern sogar auch nothwendige Wissenschaft. Soll 1) eine Lehre oder Begebenheit aus einem Zeugniß der heiligen Schrift dargethan, oder eine Redensart als schriftmäßig gerechtfertigt werden (wie bei 1 Joh. 5, 7. oder 1 Tim. 3, 16. bei Joh. 7, 53.–8, 11. und bei Apostelgesch. 20, 28): so muß bewiesen werden können, daß das Buch, die Stelle und der Ausdruck echt sei, die man als ein Zeugniß anführt (Th. 1. §.
74. ); und so bodenlos sonst der Beweis seyn würde, so vergeblich wäre die Erklärung einer Stelle oder eines Ausdrucks, um einen Schluß daraus zu ziehen, ehe noch ausgemacht wäre, daß sie von den heiligen Schriftstellern selbst herrührten, und sich daraus etwas, als von ihnen gesagt, ziehen ließe.
25.
Sehr oft werden 2) gewisse Bücher, Stellen und Lesearten der Bibel bestritten, und müssen, wenn sie können, |c30| gerechtfertigt werden. Es ist auch unwidersprechlich, daß von jeher an der Echtheit einiger Bücher gezweifelt worden, und der Text in verschiedenen Handschriften, Uebersetzungen und Anführungen, mit vieler Verschiedenheit durch Nachlässigkeit oder willkürliche Aenderungen, zu uns gekommen ist. Anders als nach sichern Regeln und Gründen kann doch jene Rechtfertigung nicht geführt, willkürliche Aenderung können anders nicht entdeckt und abgelehnt, und überhaupt keine Fehler in diesem Text anders klar gemacht werden. Und ist es eben so unverantwortlich, etwas zu der heil. Schrift hinzu, als davon zu thun, etwas Unechtes gelten zu lassen, als etwas Echtes zu verwerfen: so bleibt schlechterdings kein anderes Mittel, sich gegen diese beiden Abwege zu verwahren, als kritische Untersuchung.Sehr oft werden 2) gewisse Bücher, Stellen und Lesearten der Bibel bestritten, und müssen, wenn sie können, |c30| gerechtfertigt werden. Es ist auch unwidersprechlich, daß von jeher an der Echtheit einiger Bücher gezweifelt worden, und der Text in verschiedenen Handschriften, Uebersetzungen und Anführungen, mit vieler Verschiedenheit durch Nachlässigkeit oder willkürliche Aenderungen, zu uns gekommen ist. Anders als nach sichern Regeln und Gründen kann doch jene Rechtfertigung nicht geführt, willkürliche Aenderung können anders nicht entdeckt und abgelehnt, und überhaupt keine Fehler in diesem Text anders klar gemacht werden. Und ist es eben so unverantwortlich, etwas zu der heil. Schrift hinzu, als davon zu thun, etwas Unechtes gelten zu lassen, als etwas Echtes zu verwerfen: so bleibt schlechterdings kein anderes Mittel, sich gegen diese beiden Abwege zu verwahren, als kritische Untersuchung.
Anm. Es ist also widersinnig, zu behaupten, durch die Kritik würde die heilige Schrift der Willkür und dem Muthwillen der Menschen Preis gegeben; da eben die Kritik das Mittel ist, um zu entdecken, ob hierbei etwas willkürlich und widerrechtlich geschehen sei oder nicht, und um diesem zu steuern, oder es zu Schanden zu machen.
26.
Selbst 3) von den Vorwürfen der erlittenen Verfälschung, die man so oft der heiligen Schrift gemacht, und dadurch ihr Ansehen zu schwächen gesucht hat, kann sie auf keine andere Art befreiet werden. Wer der wahren Kritik kundig ist, erschrickt vor allen solchen Beschuldigungen nicht. Er findet sie, nach angestellter Untersuchung, entweder gegründet oder nicht; verlangt, in jenem Fall, das nicht zu vertheidigen, was nicht zu den heiligen Büchern gehört, und schneidet so die Gelegenheit ab, das Ansehen der Bibel zu |c31| erschüttern; weiß hingegen, in dem andern Falle, zu zeigen, wie sehr dergleichen Angriffe auf Unwissenheit oder falschen Schlüssen beruhen. Wer aber bei diesen Vorwürfen von Verfälschung ängstlich thut, und seine Furcht vor Gefahr verräth, die der Bibel bevorstehe, bestätigt die Gegner in ihrem Verdacht. Er könnte es ja sonst nur der ruhigen Untersuchung überlassen.Selbst 3) von den Vorwürfen der erlittenen Verfälschung, die man so oft der heiligen Schrift gemacht, und dadurch ihr Ansehen zu schwächen gesucht hat, kann sie auf keine andere Art befreiet werden. Wer der wahren Kritik kundig ist, erschrickt vor allen solchen Beschuldigungen nicht. Er findet sie, nach angestellter Untersuchung, entweder gegründet oder nicht; verlangt, in jenem Fall, das nicht zu vertheidigen, was nicht zu den heiligen Büchern gehört, und schneidet so die Gelegenheit ab, das Ansehen der Bibel zu |c31| erschüttern; weiß hingegen, in dem andern Falle, zu zeigen, wie sehr dergleichen Angriffe auf Unwissenheit oder falschen Schlüssen beruhen. Wer aber bei diesen Vorwürfen von Verfälschung ängstlich thut, und seine Furcht vor Gefahr verräth, die der Bibel bevorstehe, bestätigt die Gegner in ihrem Verdacht. Er könnte es ja sonst nur der ruhigen Untersuchung überlassen.
27.
Zu besorgen ist auch nicht, daß 4) durch kritische Untersuchungen die Bibel ungewiß und zweifelhaft gemacht werde, und manches treffliche Zeugniß aus derselben wegfalle. So lange nichts untersucht wird, kann Zweifel und Verdacht nie gehoben werden; die bloße Entdeckung der Verschiedenheit aber macht so wenig die Bücher und ihren Text zweifelhaft, als die Verschiedenheit der Erklärungen einer Stelle den Sinn ungewiß macht; Gründe müssen in beiden Fällen zeigen, auf welcher Seite die Wahrheit sei. Wenn diese die Echtheit eines Buchs, einer Stelle oder Leseart darthun, so bleibt ihr Zeugniß erhalten; beweisen sie hingegen, sie sei untergeschoben, so verlieren wir weiter nichts als einen falschen Beweis, durch den die Wahrheit nie gewinnt, sondern unwiderleglichen Angriffen ausgesetzt wird: und darüber sich beschweren, was wäre das anders, als mit Gott rechten, daß er uns nicht mehr Bücher und Beweise für eine Wahrheit gegeben habe? – Kurz, alle Klagen und Besorgnisse bei der Kritik selbst – nicht bei ihrem Mißbrauch, den eben sichere Regeln und Gründe verhüten müssen – beruhen entweder auf Unwissenheit, wenn man Verschiedenheit in den Meinungen und Zeugnissen, die Bücher und den Text der Bibel betreffend, abläugnet, oder |c32| keine kritischen Grundsätze und Entdeckungen gelten lassen will, oder bei aller Einbildung von Liebe und Eifer für die Bibel, auf Gleichgültigkeit gegen sie; wodurch man nicht nur selbst die ihr schuldige Untersuchung vernachlässigt, sondern auch die Arbeiten Anderer, die mehr Kenntnisse und besseren Willen haben, unbenutzt läßt, oder sie gar abschreckt, sie an unserer Stelle zu unternehmen.Zu besorgen ist auch nicht, daß 4) durch kritische Untersuchungen die Bibel ungewiß und zweifelhaft gemacht werde, und manches treffliche Zeugniß aus derselben wegfalle. So lange nichts untersucht wird, kann Zweifel und Verdacht nie gehoben werden; die bloße Entdeckung der Verschiedenheit aber macht so wenig die Bücher und ihren Text zweifelhaft, als die Verschiedenheit der Erklärungen einer Stelle den Sinn ungewiß macht; Gründe müssen in beiden Fällen zeigen, auf welcher Seite die Wahrheit sei. Wenn diese die Echtheit eines Buchs, einer Stelle oder Leseart darthun, so bleibt ihr Zeugniß erhalten; beweisen sie hingegen, sie sei untergeschoben, so verlieren wir weiter nichts als einen falschen Beweis, durch den die Wahrheit nie gewinnt, sondern unwiderleglichen Angriffen ausgesetzt wird: und darüber sich beschweren, was wäre das anders, als mit Gott rechten, daß er uns nicht mehr Bücher und Beweise für eine Wahrheit gegeben habe? – Kurz, alle Klagen und Besorgnisse bei der Kritik selbst – nicht bei ihrem Mißbrauch, den eben sichere Regeln und Gründe verhüten müssen – beruhen entweder auf Unwissenheit, wenn man Verschiedenheit in den Meinungen und Zeugnissen, die Bücher und den Text der Bibel betreffend, abläugnet, oder |c32| keine kritischen Grundsätze und Entdeckungen gelten lassen will, oder bei aller Einbildung von Liebe und Eifer für die Bibel, auf Gleichgültigkeit gegen sie; wodurch man nicht nur selbst die ihr schuldige Untersuchung vernachlässigt, sondern auch die Arbeiten Anderer, die mehr Kenntnisse und besseren Willen haben, unbenutzt läßt, oder sie gar abschreckt, sie an unserer Stelle zu unternehmen.
Anm. Erasmi Apologia und dessen Capita argumentorum contra morosos quosdam ac indoctos, vor der 2ten Ausgabe seines griechischen neuen Testaments (1519.), und in dessen folgenden Ausgaben, nebst verschiedenen seiner Apologieen im 9ten Bande seiner Werke nach le Clerc's Ausgabe; Rich. Bentley Anmerkungen über das Buch: Freiheit zu denken, nach der deutschen Uebersetzung, Halle 1745. 8. S. 200 f.; und in bündigster Kürze die Griesbachische Vorrede zum zweiten Bande seiner Ausgabe des neuen Testaments, sind sehr dienlich, um gleich im Anfang diese Vorurtheile niederzuschlagen.
28.
Und diesen Fleiß in der biblischen Kritik sollte man um so weniger schwächen, da diese Kritik ein überaus schweres Studium ist, und nur äußerst Wenige wahren Beruf dazu haben. Zuerst hält es schon sehr schwer, die beiden Abwege hierbei, Aengstlichkeit und Verwegenheit, zu vermeiden. Der Kranke befindet sich gleich übel dabei, wenn der Arzt Alles, und wenn er nichts wagt, nach gar keinen festen Grundsätzen verfährt, oder auch nicht einmal nach solchen etwas unternimmt. Auch der aufgeklärteste Mann, wenn er gewissenhaft ist, rührt das ungern an, was einmal das – gegründete oder ungegründete – Vorurtheil des Göttlichen oder auch nur durch das Alterthum Geheiligten vor |c33| sich hat; und wer einmal einzureißen anfängt, reißt oft auch das Gute und Haltbare mit ab, und braucht, verleitet vom Gefühl seiner Kraft, nur zu oft gewaltsame und verzweifelte Mittel. Wahrer Muth und wahre Bescheidenheit sind gleich selten.Und diesen Fleiß in der biblischen Kritik sollte man um so weniger schwächen, da diese Kritik ein überaus schweres Studium ist, und nur äußerst Wenige wahren Beruf dazu haben. Zuerst hält es schon sehr schwer, die beiden Abwege hierbei, Aengstlichkeit und Verwegenheit, zu vermeiden. Der Kranke befindet sich gleich übel dabei, wenn der Arzt Alles, und wenn er nichts wagt, nach gar keinen festen Grundsätzen verfährt, oder auch nicht einmal nach solchen etwas unternimmt. Auch der aufgeklärteste Mann, wenn er gewissenhaft ist, rührt das ungern an, was einmal das – gegründete oder ungegründete – Vorurtheil des Göttlichen oder auch nur durch das Alterthum Geheiligten vor |c33| sich hat; und wer einmal einzureißen anfängt, reißt oft auch das Gute und Haltbare mit ab, und braucht, verleitet vom Gefühl seiner Kraft, nur zu oft gewaltsame und verzweifelte Mittel. Wahrer Muth und wahre Bescheidenheit sind gleich selten.
29.
Doch selbst der, welcher hierbei mit der größten Vorsicht und Entschlossenheit, also mit wahrer Gewissenhaftigkeit, verfährt, wird doch bei der Unternehmung selbst ausnehmende Schwierigkeiten finden, sowohl in Wegräumung der Hindernisse, welche Unwissenheit, Vorurtheile und Irrthümer in diesem Fach in den Weg legen, als in Aufführung des Bessern. Denn erstlich bedarf man sicherer Regeln , wonach man zu verfahren hat; – diese aber setzen sichere Kenntnisse, von den Büchern und deren Text sowohl als von den Hülfsmitteln, voraus, die zur Berichtigung des Streitigen unentbehrlich sind. – Wäre Beides denn auch sicherer als es in den meisten Fällen ist, so würden sich in der Anwendung der Grundsätze noch immer neue Schwierigkeiten zeigen.Doch selbst der, welcher hierbei mit der größten Vorsicht und Entschlossenheit, also mit wahrer Gewissenhaftigkeit, verfährt, wird doch bei der Unternehmung selbst ausnehmende Schwierigkeiten finden, sowohl in Wegräumung der Hindernisse, welche Unwissenheit, Vorurtheile und Irrthümer in diesem Fach in den Weg legen, als in Aufführung des Bessern. Denn erstlich bedarf man sicherer Regeln , wonach man zu verfahren hat; – diese aber setzen sichere Kenntnisse, von den Büchern und deren Text sowohl als von den Hülfsmitteln, voraus, die zur Berichtigung des Streitigen unentbehrlich sind. – Wäre Beides denn auch sicherer als es in den meisten Fällen ist, so würden sich in der Anwendung der Grundsätze noch immer neue Schwierigkeiten zeigen.
30.
Wie wenig Sicheres wissen wir 1) von den vorläufigen Kenntnissen? Von der Geschichte der biblischen Bücher, der Sammlung ihrer Theile (z. B. der Psalmen, der einzelnen Weissagungen in den Propheten etc. etc.) und der Sammlung dieser Bücher in ein Ganzes? von der Geschichte ihres Textes, und der oft so unerklärlichen Art, wie die Verschiedenheit des Textes in den Quellen entstanden ist? von der Geschichte der Handschriften und der al|c34|ten Uebersetzungen, des Textes in beiden und dessen Veränderungen? von der Fähigkeit, den Hülfsmitteln und der Treue, welche diejenigen hatten oder bewiesen, die uns Stücke dieses Textes in ihren Büchern aufbehalten haben? selbst von der Geschichte der Ausgaben, und der Art des Verfahrens dabei? Wie vieler feinen historischen, literarischen und philologischen Kenntnisse und Bemerkungen bedarf es, um nur erst einiges Land zu gewinnen; und wie wenig ist das, was wir hier mit einiger Sicherheit kennen, gegen das, was wir noch erst entdecken müßten, um die hierbei vorkommenden Lücken auszufüllen, und alle Schwierigkeiten befriedigend zu beantworten.Wie wenig Sicheres wissen wir 1) von den vorläufigen Kenntnissen? Von der Geschichte der biblischen Bücher, der Sammlung ihrer Theile (z. B. der Psalmen, der einzelnen Weissagungen in den Propheten etc. etc.) und der Sammlung dieser Bücher in ein Ganzes? von der Geschichte ihres Textes, und der oft so unerklärlichen Art, wie die Verschiedenheit des Textes in den Quellen entstanden ist? von der Geschichte der Handschriften und der al|c34|ten Uebersetzungen, des Textes in beiden und dessen Veränderungen? von der Fähigkeit, den Hülfsmitteln und der Treue, welche diejenigen hatten oder bewiesen, die uns Stücke dieses Textes in ihren Büchern aufbehalten haben? selbst von der Geschichte der Ausgaben, und der Art des Verfahrens dabei? Wie vieler feinen historischen, literarischen und philologischen Kenntnisse und Bemerkungen bedarf es, um nur erst einiges Land zu gewinnen; und wie wenig ist das, was wir hier mit einiger Sicherheit kennen, gegen das, was wir noch erst entdecken müßten, um die hierbei vorkommenden Lücken auszufüllen, und alle Schwierigkeiten befriedigend zu beantworten.
Anm. Was hier und in dem Folgenden gesagt ist, fühlt schwerlich jemand, der nicht bei Untersuchungen dieser Art hergekommen ist, und selbst Versuche gemacht hat. Die wunderbaren Erscheinungen in der alexandrinischen Uebersetzung des A. Test. und in griechisch-lateinischen Handschriften des neuen, können hier zu einigen Beispielen dienen; und wer die kritische Literatur kennt, wie sie sich ungefähr seit den letzten dreißig Jahren gebildet hat, kann einigermaaßen sehen, wie viel sich in diesem noch so unbekannten Lande, durch Aufsuchung bisher verborgen gewesener Hülfsmittel und durch regelmäßigen Fleiß entdecken lasse, und noch zu entdecken übrig sei. Traurig ists nur immer, daß, wenn man einigen Schutt weggeräumt hat, um diese verborgenen Schätze zu entdecken, so manche unberufene Arbeiter wieder neuen Schutt aufhäufen, und, unter Vorspiegelung einer höhern Kritik, die guten Gänge zuwerfen, um andere zu graben, die statt des Erzes nur Kohlen enthalten.
{Was würde der selige Verfasser erst gesagt haben, wenn er erlebt hätte, wie wenig zuletzt diese sogenannte höhere Kritik noch als echt an den biblischen, besonders den Schriften des neuen Testaments, möchte gelten lassen!
A. d. H.}
|c35| 31.
Nach diesen großentheils noch so unvollständigen Kenntnissen, können 2) schwerlich
Grundsätze entworfen werden, denen man eine absolute Allgemeinheit und Sicherheit zuschreiben könnte. Wenn es nicht schon gewissermaßen die meisten bisherigen Versuche solcher Regeln bewiesen, die entweder auf ganz falsche Einbildungen gegründet sind,
1) oder sich durch ihre Unbestimmtheit selbst zerstören:
2) so müßte es die Natur der Sache selbst lehren. Manche Regeln sind noch viel zu früh; weil uns die Geschichte der Quellen oder Zeugen fehlt, wonach man erst ihr Ansehen beurtheilen könnte, und weil das Ansehen dieser Zeugen meistens erst durch fleißige Untersuchung der Art ihres Textes, und durch sorgfältige Zusammenhaltung desselben mit dem Text anderer Handschriften, Uebersetzungen u. s. w. erkannt werden kann.
3) Wo man es aber auch so weit gebracht hat, daß man den Werth gewisser Handschriften u. s. w. kennt: so können ja die Regeln,
theils, wenn sie
allgemeine Regeln seyn sollen, nur erst nach Vergleichung mehrerer solcher Handschriften etc. etc. unter einander und mit andern Quellen gemacht, mit Einem Wort, nur aus mehrern uns gleich gut bekannten Quellen zusammen, abgezogen werden;
4) theils, zeigen sich dabei so viele einander entgegenlaufende Erscheinungen, die für und wider einen angenommenen Grundsatz streiten, daß sich etwas ganz Allgemeines, ohne viele feinere Bestimmungen, nicht festsetzen läßt.
5) Nach diesen großentheils noch so unvollständigen Kenntnissen, können 2) schwerlich
Grundsätze entworfen werden, denen man eine absolute Allgemeinheit und Sicherheit zuschreiben könnte. Wenn es nicht schon gewissermaßen die meisten bisherigen Versuche solcher Regeln bewiesen, die entweder auf ganz falsche Einbildungen gegründet sind,
1) oder sich durch ihre Unbestimmtheit selbst zerstören:
2) so müßte es die Natur der Sache selbst lehren. Manche Regeln sind noch viel zu früh; weil uns die Geschichte der Quellen oder Zeugen fehlt, wonach man erst ihr Ansehen beurtheilen könnte, und weil das Ansehen dieser Zeugen meistens erst durch fleißige Untersuchung der Art ihres Textes, und durch sorgfältige Zusammenhaltung desselben mit dem Text anderer Handschriften, Uebersetzungen u. s. w. erkannt werden kann.
3) Wo man es aber auch so weit gebracht hat, daß man den Werth gewisser Handschriften u. s. w. kennt: so können ja die Regeln,
theils, wenn sie
allgemeine Regeln seyn sollen, nur erst nach Vergleichung mehrerer solcher Handschriften etc. etc. unter einander und mit andern Quellen gemacht, mit Einem Wort, nur aus mehrern uns gleich gut bekannten Quellen zusammen, abgezogen werden;
4) theils, zeigen sich dabei so viele einander entgegenlaufende Erscheinungen, die für und wider einen angenommenen Grundsatz streiten, daß sich etwas ganz Allgemeines, ohne viele feinere Bestimmungen, nicht festsetzen läßt.
5)
1) Z. B. die Regeln: welche Leseart die meisten Zeugnisse vor sich hat, ist die beste; – die lateinischen Lesearten sind der Verfälschung verdächtig u. d. gl.
2) Z. B. wenn Alles gleich ist, ist die ältere Leseart |c36| der neuern vorzuziehen; die schwierigere oder ungewöhnlichere Leseart ist echter als die leichtere etc. etc.
3) So ist das allerdings gewiß, was ehedem niemand sah, daß es verschiedene sogenannte Recensionen oder Arten des Textes im neuen Testament giebt, und daß unter diesen eine alexandrinische ist; aber welche Handschriften, Uebersetzungen und dergleichen diese Recension enthalten, kann man zum Theil wohl aus äußerlichen Umständen, z. B. dem Texte, wie er bei ägyptischen Kirchenvätern, in der koptischen Version etc. etc. vorkommt, schließen, noch weit mehr aber aus Vergleichung solcher Lesearten, die gewisse Handschriften vor andern auszeichnen. Und doch hält es wieder schwer, den allgemeinen Charakter dieser Recension zu bestimmen, da manche Handschriften in einigen Büchern dieser, in andern einer andern folgen, wie z. B. die sogenannte alexandrinische in den Briefen Pauli, nicht so in den Evangelisten; auch noch bis jetzt kein Text in irgend einer solchen Handschrift aufgefunden ist, der nicht auch Lesearten enthielte, die einer andern Recension eigen sind.
4) Wenn also nicht die Geschichte aller dieser Quellen bekannt ist, können die Regeln unmöglich richtig oder bestimmt genug werden – ein Fehler, dessen sich bei dem hebräischen Text diejenigen eben sowohl schuldig machen, die den sogenannten masorethischen Text schlechthin verwerfen, als die, so ihn geradezu vorziehen.
5) So sind es sehr gute Regeln bei dem griechischen Text des neuen Testaments: „Unter mehrern Lesearten ist diejenige wahrscheinlicher, die mit der sonstigen Art zu reden ebendesselben Schriftstellers am meisten übereinstimmt; ein härterer, ungriechischer Ausdruck ist weniger verdächtig, als der leichtere und sonst gewöhnlichere, und: die Leseart ist die verdächtigere, deren Ursprung aus der andern gezeigt werden kann.“ Aber eben sowohl kann der Parallelismus zur Veränderung einer Leseart verführt haben: der ungriechische Ausdruck kann aus einem Schreibfehler solcher Abschreiber herrühren, die des Griechischen unkundig waren; |c37| und die eine Leseart läßt sich bisweilen eben sowohl aus der andern, wie diese aus jener ableiten.
32.
Die Hauptsache kommt also 3) immer auf den selbst an, der das Echte von dem Unechten unterscheiden will; und selbst die sichersten Regeln helfen nichts, wo es an der geschickten und vorsichtigen Anwendung fehlt. Fleißiges Nachforschen auch nach Kleinigkeiten, welche die Geschichte und den Charakter der Quellen aufklären können, viele feine Sprachkenntniß der Grundsprachen überhaupt und des Charakters eines biblischen Schriftstellers insbesondere; Vorsichtigkeit in der Vergleichung und Anwendung aller solcher Kenntnisse; und ein feines Gefühl oder kritisches Genie, das erst durch lange Uebung reif und sicher wird, müssen beisammen seyn. Denn es kommen hierbei so unendlich viele Collisionen gemachter Bemerkungen und abgezogener Regeln vor, und diese Collisionen werden nicht einmal bemerkt, vielweniger mit benutzt, wo nicht sehr viele feine Beobachtungen vorhergegangen sind, daß von der Geschicklichkeit und Gewissenhaftigkeit des Kritikers selbst zuletzt Alles abhängen muß. Selbst da, wo in allen jetzt bekannten Quellen ein sehr alter Fehler allgemein ist – ein sehr möglicher und glaublicher Fall – könnte nur das feinere Gefühl ihn entdecken, ob es gleich, um nicht nach bloßer Willkür zu verfahren, durch irgend einige Spur in den bekannten Quellen geleitet werden müßte.Die Hauptsache kommt also 3) immer auf den selbst an, der das Echte von dem Unechten unterscheiden will; und selbst die sichersten Regeln helfen nichts, wo es an der geschickten und vorsichtigen Anwendung fehlt. Fleißiges Nachforschen auch nach Kleinigkeiten, welche die Geschichte und den Charakter der Quellen aufklären können, viele feine Sprachkenntniß der Grundsprachen überhaupt und des Charakters eines biblischen Schriftstellers insbesondere; Vorsichtigkeit in der Vergleichung und Anwendung aller solcher Kenntnisse; und ein feines Gefühl oder kritisches Genie, das erst durch lange Uebung reif und sicher wird, müssen beisammen seyn. Denn es kommen hierbei so unendlich viele Collisionen gemachter Bemerkungen und abgezogener Regeln vor, und diese Collisionen werden nicht einmal bemerkt, vielweniger mit benutzt, wo nicht sehr viele feine Beobachtungen vorhergegangen sind, daß von der Geschicklichkeit und Gewissenhaftigkeit des Kritikers selbst zuletzt Alles abhängen muß. Selbst da, wo in allen jetzt bekannten Quellen ein sehr alter Fehler allgemein ist – ein sehr möglicher und glaublicher Fall – könnte nur das feinere Gefühl ihn entdecken, ob es gleich, um nicht nach bloßer Willkür zu verfahren, durch irgend einige Spur in den bekannten Quellen geleitet werden müßte.
Anm. So möchte z. B. Valkenaer in den Adnott. crit. in loca quaedam libr. novi foederis, hinter Tib. Hemsterhusii Orationibus (Lugd. Bat. 1784. 8.) p. 365 seq. wohl Recht haben, daß Luc. 19, 38 statt εἰρήνη ἐν οὐρανῷ, |c38| zu lesen sei, εἰρ. ἐν ἀνθρώποις. Denn die gemeine Leseart hat keinen schicklichen Sinn; die ähnliche Stelle Kap. 2, 14. erforderte ἐν ἀνθρώποις, oder etwas Aehnliches; die alexandrinische Handschrift hat οὐρανοῖς, aus der Abkürzung ανοις (ἀνθρώποις) konnte leicht οὐνοις (οὐρανοῖς) entstehen, wie Apokalyps. 16, 18. wirklich geschehen ist, und dieß in das gewöhnlichere οὐρανῷ frühzeitig übergehen.
33.
Diese großen Schwierigkeiten, welche mit der biblischen Kritik verknüpft sind, beweisen, daß es nicht jedem, der sich auf das gelehrte Studium der Bibel legt, zur Pflicht gemacht werden könne, sich selbst auf diese Kritik einzulassen; welches aber keinesweges die Pflicht ausschließt, sich mit den nothwendigsten Kenntnissen, die dazu gehören, bekannt zu machen, und das zu benutzen, was uns Kenner darin vorgearbeitet haben. Denn wer 1) gar keine Kenntniß davon hat, kann ja nicht beurtheilen, wie weit sie und die Uebungen in dergleichen Arbeiten ihm doch nöthig seyn möchten, und wie weit er Fähigkeit dazu habe, oder erlangen könne? als woraus er erst abnehmen kann, ob und wie weit es für ihn Pflicht sei, sich damit zu beschäftigen. Er kann 2) sonst gewisse oft sehr herrschende und scheinbare Vorurtheile nicht vermeiden, die ihm in der rechten Auslegung sowohl als in dem Gebrauch, den er von der Bibel macht, ungemein hinderlich fallen, und auf Irrthümer führen; wovon die bekannte Streitigkeit über das Alterthum und die Authentie der Punkte und Accente im hebräischen Texte des alten Testaments, und die oben (§.
24. ) angeführten Stellen der Bibel zum Beispiel dienen können. Er kann 3) viele Schwierigkeiten bei der heil. Schrift nicht
|c39| auflösen, und viele Angriffe auf dieselbe nicht widerlegen, die aus der fälschlich angenommenen Echtheit gewisser Bücher, oder deren Stellen und Lesearten, entstehen, oder hergenommen werden, noch das, was echt ist, gegen ungegründete Vorwürfe oder Eingriffe vertheidigen. Und 4) selbst in die Erklärung des Sinnes der heil. Schrift hat diese Kritik so vielen Einfluß, daß oft weder der rechte, noch auch einmal ein erträglicher Sinn gefunden werden kann, wenn man der Kritik ganz unkundig ist. Es ist doch ein großes Glück, wenn wir bei eigenem Unvermögen uns auf Kenner und ihre Untersuchungen verlassen können. Nur die unverzeihlichste Gleichgültigkeit kann solche Vorarbeiten unbenutzt lassen, und nur der einfältigste Stolz kann sich den Trotz auf Dinge zu gut halten, die man nie gründlich untersucht hat, oder auch nur untersuchen kann, oder das verachten, was über unsere Fähigkeiten und Begriffe ist.Diese großen Schwierigkeiten, welche mit der biblischen Kritik verknüpft sind, beweisen, daß es nicht jedem, der sich auf das gelehrte Studium der Bibel legt, zur Pflicht gemacht werden könne, sich selbst auf diese Kritik einzulassen; welches aber keinesweges die Pflicht ausschließt, sich mit den nothwendigsten Kenntnissen, die dazu gehören, bekannt zu machen, und das zu benutzen, was uns Kenner darin vorgearbeitet haben. Denn wer 1) gar keine Kenntniß davon hat, kann ja nicht beurtheilen, wie weit sie und die Uebungen in dergleichen Arbeiten ihm doch nöthig seyn möchten, und wie weit er Fähigkeit dazu habe, oder erlangen könne? als woraus er erst abnehmen kann, ob und wie weit es für ihn Pflicht sei, sich damit zu beschäftigen. Er kann 2) sonst gewisse oft sehr herrschende und scheinbare Vorurtheile nicht vermeiden, die ihm in der rechten Auslegung sowohl als in dem Gebrauch, den er von der Bibel macht, ungemein hinderlich fallen, und auf Irrthümer führen; wovon die bekannte Streitigkeit über das Alterthum und die Authentie der Punkte und Accente im hebräischen Texte des alten Testaments, und die oben (§.
24. ) angeführten Stellen der Bibel zum Beispiel dienen können. Er kann 3) viele Schwierigkeiten bei der heil. Schrift nicht
|c39| auflösen, und viele Angriffe auf dieselbe nicht widerlegen, die aus der fälschlich angenommenen Echtheit gewisser Bücher, oder deren Stellen und Lesearten, entstehen, oder hergenommen werden, noch das, was echt ist, gegen ungegründete Vorwürfe oder Eingriffe vertheidigen. Und 4) selbst in die Erklärung des Sinnes der heil. Schrift hat diese Kritik so vielen Einfluß, daß oft weder der rechte, noch auch einmal ein erträglicher Sinn gefunden werden kann, wenn man der Kritik ganz unkundig ist. Es ist doch ein großes Glück, wenn wir bei eigenem Unvermögen uns auf Kenner und ihre Untersuchungen verlassen können. Nur die unverzeihlichste Gleichgültigkeit kann solche Vorarbeiten unbenutzt lassen, und nur der einfältigste Stolz kann sich den Trotz auf Dinge zu gut halten, die man nie gründlich untersucht hat, oder auch nur untersuchen kann, oder das verachten, was über unsere Fähigkeiten und Begriffe ist.
34.
Es sollte daher jeder, der, als Gelehrter, die heilige Schrift studieren will, wenigstens 1) bei solchen biblischen Untersuchungen eine Ausgabe des Grundtextes zum Grunde legen, die einen mit kritischem Fleiß und Gewissenhaftigkeit behandelten Text enthält, zumal wenn die, wenigstens erheblichen, Lesearten mit ihren Zeugnissen beigefügt sind, wovon wir im neuen Testamente ein vortreffliches Muster an der Griesbachischen und Knappischen Ausgabe haben; so wie die Döderlein-Meisnersche Besorgung der Ausgabe von Reineccius dieß für das alte Testament leistet; 2) sich die besten Bücher bekannt machen, welche theils historische Kenntnisse sowohl von der Geschichte der biblischen Bücher als von den allgemeinern Ver|c40|änderungen ihres Textes und von den Quellen, woraus ihre Kenntniß geschöpft werden kann, theils bewährte Regeln der biblischen Kritik, oder doch geprüfte Vorschläge von dem rechten und vorsichtigen Verfahren bei Beurtheilung des biblischen Textes, enthalten. Es sollte daher jeder, der, als Gelehrter, die heilige Schrift studieren will, wenigstens 1) bei solchen biblischen Untersuchungen eine Ausgabe des Grundtextes zum Grunde legen, die einen mit kritischem Fleiß und Gewissenhaftigkeit behandelten Text enthält, zumal wenn die, wenigstens erheblichen, Lesearten mit ihren Zeugnissen beigefügt sind, wovon wir im neuen Testamente ein vortreffliches Muster an der Griesbachischen und Knappischen Ausgabe haben; so wie die Döderlein-Meisnersche Besorgung der Ausgabe von Reineccius dieß für das alte Testament leistet; 2) sich die besten Bücher bekannt machen, welche theils historische Kenntnisse sowohl von der Geschichte der biblischen Bücher als von den allgemeinern Ver|c40|änderungen ihres Textes und von den Quellen, woraus ihre Kenntniß geschöpft werden kann, theils bewährte Regeln der biblischen Kritik, oder doch geprüfte Vorschläge von dem rechten und vorsichtigen Verfahren bei Beurtheilung des biblischen Textes, enthalten.
Anm. {Von den Untersuchungen über die Echtheit oder Unechtheit der biblischen Bücher, findet man in den Einleitungen die beste Auskunft. Unter denen über das alte Testament, zeichnet sich die Eichhornsche und die kürzere Bauersche, über das neue Testament die Michaelisische mit Marsh Zusätzen, die Hänleinsche, daß gleiche die Eichhornsche, und vorzüglich auch die Hugsche aus. Ueber die sämmtlichen biblischen Schriften verbreiten sich die Einleitungen von Berthold und de Wette.}
35.
Findet man nun bei dem eigenen Studium der Bibel selbst Geschmack an kritischen Untersuchungen; fühlt man sich dazu vorzüglich aufgelegt – welches man daraus abnehmen kann, wenn man bei angestellten eigenen Versuchen in der Kritik fühlt, daß sein Urtheil über Lesearten, und die Art, wie man dabei verfährt, mit dem Urtheil und Verfahren der besten Kenner übereintrifft; – hat man Gelegenheit die hier nothwendigen Hülfsmittel und Sammlungen zu gebrauchen; und wird man durch dergleichen Untersuchungen nicht von wichtigern, weit näher zum Beruf gehörigen Beschäftigungen abgehalten: so mag man sich diesem Studium auch recht eigentlich hingeben und auf der Bahn der glücklichsten Vorgänger fortschreiten.Findet man nun bei dem eigenen Studium der Bibel selbst Geschmack an kritischen Untersuchungen; fühlt man sich dazu vorzüglich aufgelegt – welches man daraus abnehmen kann, wenn man bei angestellten eigenen Versuchen in der Kritik fühlt, daß sein Urtheil über Lesearten, und die Art, wie man dabei verfährt, mit dem Urtheil und Verfahren der besten Kenner übereintrifft; – hat man Gelegenheit die hier nothwendigen Hülfsmittel und Sammlungen zu gebrauchen; und wird man durch dergleichen Untersuchungen nicht von wichtigern, weit näher zum Beruf gehörigen Beschäftigungen abgehalten: so mag man sich diesem Studium auch recht eigentlich hingeben und auf der Bahn der glücklichsten Vorgänger fortschreiten.
Anm. 1. Wer schon mit kritischem Auge die Werke der alten griechischen und lateinischen Schriftsteller |c41| gelesen hat, wird viel zuverlässiger urtheilen können, ob er auch Beruf zur Kritik des biblischen Textes habe; nur versteht sich's, daß er bei der letztern sich vorher mit der eigenthümlichen Sprache desselben, die von jener sehr abgeht, und zum Theil auch andere kritische Regeln erfordert, und mit der Geschichte der Bücher und des Textes wohl bekannt gemacht haben müsse. Je schwerer die biblische Kritik ist, und je wichtiger der Inhalt der Bibel, desto weniger sollte man sich an jene wagen, wenn man nicht dazu schon durch das kritische Lesen der sogenannten Profanskribenten wäre gebildet worden.
Anm. 2. Für allgemeine Kritik, ohne besondere Rücksicht auf die biblische, bleibt Clerici ars critica ein schätzbares Werk. Die biblische (critica sacra) ist theoretisch von
Bauer, Wettstein, Griesbach, Semler behandelt. Die Hauptsammlungen der Lesearten aus den Handschriften und Uebersetzungen sind bei dem alten Testament von
Kennicot und
de Rossi, bei dem neuen Testament von
Mill, Bengel, Wettstein, Griesbach, Matthäi veranstaltet worden.
A. d. H.
36.
Unentbehrlicher als die
Kritik ist freilich die biblische
Exegetik, oder der Inbegriff der zur Einsicht in den
Verstand der heiligen Schrift nöthigen Kenntnisse, und alles desjenigen, was dazu dient, eine Fertigkeit in Anwendung dieser Kenntnisse auf die Erklärung der heiligen Schrift zu erlangen. (§.
23. ) Eine jede Schrift, welche nicht bloß allgemeine Sätze, sondern auch Geschichte enthält, oder welche jene in Rücksicht auf die Denkungsart, Kenntnisse, Bedürfnisse und besondern Umstände gewisser Leser vorträgt – und dieß ist augenscheinlich der Fall bei den biblischen Büchern –, erfordert nicht nur, wenn sie
|c42| recht verstanden werden soll,
Kenntniß der Sprache, worin sie abgefaßt ist, sondern auch
historische Kenntnisse, und, wie jede Beschäftigung, wovon man sich oder Andern Rechenschaft geben soll,
Regeln, wonach man in ihrer Anwendung verfährt, um den Sinn zu finden, und ihn Andern überzeugend mitzutheilen, so wie fleißige
Uebung, nach diesen Regeln zu verfahren, um die nöthige Fertigkeit in der Erklärung zu erlangen.Unentbehrlicher als die
Kritik ist freilich die biblische
Exegetik, oder der Inbegriff der zur Einsicht in den
Verstand der heiligen Schrift nöthigen Kenntnisse, und alles desjenigen, was dazu dient, eine Fertigkeit in Anwendung dieser Kenntnisse auf die Erklärung der heiligen Schrift zu erlangen. (§.
23. ) Eine jede Schrift, welche nicht bloß allgemeine Sätze, sondern auch Geschichte enthält, oder welche jene in Rücksicht auf die Denkungsart, Kenntnisse, Bedürfnisse und besondern Umstände gewisser Leser vorträgt – und dieß ist augenscheinlich der Fall bei den biblischen Büchern –, erfordert nicht nur, wenn sie
|c42| recht verstanden werden soll,
Kenntniß der Sprache, worin sie abgefaßt ist, sondern auch
historische Kenntnisse, und, wie jede Beschäftigung, wovon man sich oder Andern Rechenschaft geben soll,
Regeln, wonach man in ihrer Anwendung verfährt, um den Sinn zu finden, und ihn Andern überzeugend mitzutheilen, so wie fleißige
Uebung, nach diesen Regeln zu verfahren, um die nöthige Fertigkeit in der Erklärung zu erlangen.
37.
Wie nothwendig es sei, gute
Kenntnisse in Sprachen mitzubringen, ehe man zur Erklärung der heiligen Schrift schreiten will, und in welchen Sprachen, dieß ist schon oben gezeigt worden. (Th. 1. §.
113 –
120. §.
150 fgg.) Wer sie nicht schon, wenigstens nothdürftig, besitzt, wenn er sich auch der Anweisung eines Andern in wirklicher Erklärung der heiligen Schrift bedient, der wird ihm wohl nachsprechen lernen, wird allenfalls die Gründe fassen, womit jener die Erklärung unterstützt; aber selbst Ausleger wird er nie werden. Er wird vielmehr Alles, wozu nicht bloßes Nachdenken zureicht, bloß auf Glauben seines Vorgängers annehmen müssen; es sei denn, daß er nun noch erst anfange, sich auf die bisher versäumten Sprachen mit einem Fleiße zu legen, der kaum zu erwarten ist, wenn man so lange dieses Sprachstudium hat anstehen lassen, und der Geschmack an andern unterhaltenderen Kenntnissen, den Geschmack an jenem kaum noch aufkommen läßt. Setzt sein Lehrer ohnehin billig jene Kenntnisse und einige Fertigkeit in solchen Sprachen voraus, als etwas, das man schon auf Schulen sollte erworben haben, und hält sich nur bei dem Schwerern, sonderlich in Absicht
|c43| der in der Bibel vorkommenden Sachen, auf: so muß ein solcher versäumter Zuhörer vollends zurückbleiben, und das Studium der Bibel wird ihm eben dadurch verleidet werden, weil er, wegen Unwissenheit des Bekannten, nirgends fortkommen kann. – Worauf übrigens zu sehen sei, wenn man die heil. Schrift so fern verstehen lernen will, als sie durch Sprachkenntniß aufgeklärt wird, ist auch oben (Theil 1. §.
77. –
81. ) bemerkt worden; das Uebrige muß eine gute Hermeneutik der heil. Schrift lehren.Wie nothwendig es sei, gute
Kenntnisse in Sprachen mitzubringen, ehe man zur Erklärung der heiligen Schrift schreiten will, und in welchen Sprachen, dieß ist schon oben gezeigt worden. (Th. 1. §.
113 –
120. §.
150 fgg.) Wer sie nicht schon, wenigstens nothdürftig, besitzt, wenn er sich auch der Anweisung eines Andern in wirklicher Erklärung der heiligen Schrift bedient, der wird ihm wohl nachsprechen lernen, wird allenfalls die Gründe fassen, womit jener die Erklärung unterstützt; aber selbst Ausleger wird er nie werden. Er wird vielmehr Alles, wozu nicht bloßes Nachdenken zureicht, bloß auf Glauben seines Vorgängers annehmen müssen; es sei denn, daß er nun noch erst anfange, sich auf die bisher versäumten Sprachen mit einem Fleiße zu legen, der kaum zu erwarten ist, wenn man so lange dieses Sprachstudium hat anstehen lassen, und der Geschmack an andern unterhaltenderen Kenntnissen, den Geschmack an jenem kaum noch aufkommen läßt. Setzt sein Lehrer ohnehin billig jene Kenntnisse und einige Fertigkeit in solchen Sprachen voraus, als etwas, das man schon auf Schulen sollte erworben haben, und hält sich nur bei dem Schwerern, sonderlich in Absicht
|c43| der in der Bibel vorkommenden Sachen, auf: so muß ein solcher versäumter Zuhörer vollends zurückbleiben, und das Studium der Bibel wird ihm eben dadurch verleidet werden, weil er, wegen Unwissenheit des Bekannten, nirgends fortkommen kann. – Worauf übrigens zu sehen sei, wenn man die heil. Schrift so fern verstehen lernen will, als sie durch Sprachkenntniß aufgeklärt wird, ist auch oben (Theil 1. §.
77. –
81. ) bemerkt worden; das Uebrige muß eine gute Hermeneutik der heil. Schrift lehren.
Anm. Die Hauptschriften zur eigenthümlichen Kenntniß des Sprachgebrauchs, hat der Verfasser in seiner Anweisung zur Kenntniß der besten Bücher in der Theologie, §. 95–98. 100–107. angeführt. Für den angehenden Ausleger reichen die besten Wörterbücher, wie das hebräische von Gesenius, das griechische von Schleußner, nebst den besten homiletischen Commentaren über die einzelnen Schriften, völlig aus.
38.
Ein Schriftsteller, der, wie die biblischen, zunächst für seine Zeitgenossen und seine Nation schreibt, kann bei Erzählungen und einem nach den Umständen damaliger Leser eingerichteten Lehrvortrag, vieles als ihnen bekannt voraussetzen, das er bloß zu berühren braucht, oder worauf er anspielt, was sich aber mit der Zeit ändert, oder vergessen wird, oder Lesern aus späteren Zeiten und Ländern unbekannt ist. Die heiligen Schriftsteller beziehen sich, wie vorhin schon gesagt worden ist, sehr oft auf dergleichen zufällige Umstände, und der Ausleger kann sie daher gar nicht ganz verstehen, oder sich in diese Umstände hinein denken, wenn er sich nicht eine möglichst genaue Kenntniß dieser historischen Umstände erworben hat.Ein Schriftsteller, der, wie die biblischen, zunächst für seine Zeitgenossen und seine Nation schreibt, kann bei Erzählungen und einem nach den Umständen damaliger Leser eingerichteten Lehrvortrag, vieles als ihnen bekannt voraussetzen, das er bloß zu berühren braucht, oder worauf er anspielt, was sich aber mit der Zeit ändert, oder vergessen wird, oder Lesern aus späteren Zeiten und Ländern unbekannt ist. Die heiligen Schriftsteller beziehen sich, wie vorhin schon gesagt worden ist, sehr oft auf dergleichen zufällige Umstände, und der Ausleger kann sie daher gar nicht ganz verstehen, oder sich in diese Umstände hinein denken, wenn er sich nicht eine möglichst genaue Kenntniß dieser historischen Umstände erworben hat.
|c44| Anm. Diese Kenntniß hat außer dem, daß sie den Sinn der heiligen Schrift aufklärt, noch einen andern Nutzen, nämlich, die Ueberzeugung von der Echtheit und Glaubwürdigkeit der biblischen Bücher besser zu bewirken. Denn diese Ueberzeugung hängt sehr davon ab, daß die Denk- und Schreibart in diesen Büchern, und die darin vorkommenden Umstände, dem Charakter der Zeit, des Landes, der nächsten Leser, für die sie bestimmt waren, der Personen, welche für die Verfasser gehalten werden, und den übrigen Umständen, gemäß sind, die darin vorkommen. {Hug hat sie in der Einleitung in das Neue Test. trefflich benutzt.}
39.
Zu diesen historischen Kenntnissen gehört 1) die Kenntniß der alten Geographie, so weit sie in der heiligen Schrift vorkommende Sachen betrifft. Diese muß sich 1) auf die Lage, die Beschaffenheit, die Abtheilung und das natürliche oder durch Revolutionen der Völker entstandene Verhältniß der Oerter und Länder gegen einander erstrecken, und zwar nach verschiedenen Zeiten, in welche die biblischen Nachrichten gehören, welche Zeiten oft nicht genug unterschieden zu werden pflegen. Sie muß zugleich auch Kenntniß der natürlichen Producte dieser Oerter, nach den verschiedenen Naturreichen, und der aus der natürlichen Beschaffenheit dieser Länder entstehenden Zufälle, als der Witterung, der Krankheiten u. d. gl. umfassen. Eine solche Kenntniß wird 2) sehr ins Kleine gehen müssen, und viele feine Bemerkungen erfordern, weil sich die heilige Schrift auf dergleichen sehr besondere und kleine Umstände bezieht. Eben daher ist dieses Studium 3) mit großen Schwierigkeiten verknüpft, weil es sehr ausgebreitete und genaue Kenntnisse erfordert, weil es sich, wegen Ungewißheit der Sprache, und besonders der bestimmten Bedeutung der Namen und Wörter, |c45| wegen Entfernung der Zeiten und Oerter und Mangel der Nachrichten, sonderlich in Absicht auf Topographie, in große Dunkelheit verliert, und weil man selbst erst durch eine fleißige Beschäftigung mit der Bibel lernen muß, was hier einer Untersuchung bedarf oder nicht.Zu diesen historischen Kenntnissen gehört 1) die Kenntniß der alten Geographie, so weit sie in der heiligen Schrift vorkommende Sachen betrifft. Diese muß sich 1) auf die Lage, die Beschaffenheit, die Abtheilung und das natürliche oder durch Revolutionen der Völker entstandene Verhältniß der Oerter und Länder gegen einander erstrecken, und zwar nach verschiedenen Zeiten, in welche die biblischen Nachrichten gehören, welche Zeiten oft nicht genug unterschieden zu werden pflegen. Sie muß zugleich auch Kenntniß der natürlichen Producte dieser Oerter, nach den verschiedenen Naturreichen, und der aus der natürlichen Beschaffenheit dieser Länder entstehenden Zufälle, als der Witterung, der Krankheiten u. d. gl. umfassen. Eine solche Kenntniß wird 2) sehr ins Kleine gehen müssen, und viele feine Bemerkungen erfordern, weil sich die heilige Schrift auf dergleichen sehr besondere und kleine Umstände bezieht. Eben daher ist dieses Studium 3) mit großen Schwierigkeiten verknüpft, weil es sehr ausgebreitete und genaue Kenntnisse erfordert, weil es sich, wegen Ungewißheit der Sprache, und besonders der bestimmten Bedeutung der Namen und Wörter, |c45| wegen Entfernung der Zeiten und Oerter und Mangel der Nachrichten, sonderlich in Absicht auf Topographie, in große Dunkelheit verliert, und weil man selbst erst durch eine fleißige Beschäftigung mit der Bibel lernen muß, was hier einer Untersuchung bedarf oder nicht.
Anm. Die allgemeinen Hauptwerke sind im ersten Theil §.
140. bereits genannt. Ueber
biblische Geographie sind die Hauptschriftsteller
Bochart, Bachiene, Ysbrand von Hamelsfeld, und neuerlich
E. K. Rosenmüller's altes und neues Morgenland, Leipzig 1818., bis jetzt 1ster und 2ter Band. Die nähere Anzeige findet man in des Verfassers Anweisung zur theologischen Bücherkenntniß, und in der
Niemeyer-Wagnitzischen Bibliothek für Prediger. 2te Ausgabe. 1ster und 4ter Theil.
A. d. H.
40.
Nicht minder wichtig ist 2) die Kenntniß alles dessen, was man gemeiniglich unter dem Namen der Alterthümer begreift, wohin man Alles rechnen kann, was die Verfassung der Völker und ihrer verschiedenen Stände, nebst dem auf Convention beruhendem Verhältniß derselben gegen einander angeht, als Religions-, bürgerliche und militärische Verfassung, häusliches Leben, Handel und Gewerbe, Abhängigkeit und Bündnisse von und mit einander, und die bei allem diesen eingeführten Gewohnheiten. Ein wieder sehr weitläufiges und schweres Studium, weil es so mannichfaltige in der Bibel erwähnte Völker, aus sehr verschiedenen Zeiten, umfassen muß, deren Einrichtungen und Gewohnheiten, eben weil sie auf Willkür beruheten, und sich darum auch leicht veränderten, zumal aus den ältern Zeiten, schwerer zu entdecken sind, als natürliche Einrichtungen, die in jedem Lande sich weit seltner ändern, und sich meistens bis auf unsre Zeit erhalten haben. Eben da|c46|durch wird das Eindringen in den Geist solcher Verfassungen und in die Ursachen derselben, die in dem Klima und den daraus entstehenden Bedürfnissen, in gewissen politischen Revolutionen, oft auch in der Begierde nachzuahmen, oder gar in einem bloßen Zufall, liegen können, erschwert, oder gar unmöglich gemacht, wenn auch derer mehr wären, als sie wirklich sind, die mit so vielfältiger Gelehrsamkeit und philosophischem Blick jene Ursachen und Absichten untersuchen, als Spencer, Goguet, Michaelis, Gatterer, Heeren, bei den Einrichtungen der Israeliten und einiger andern Völker versucht haben. Und doch hat diese philosophische Behandlung solcher Verfassungen und Einrichtungen ihren unentbehrlichen Nutzen, selbst bei Erklärung der heiligen Schrift. Sie macht diese Einrichtungen begreiflich, hebt das Befremdliche derselben, und befestigt dadurch die Glaubwürdigkeit der Bibel. Sie zeigt die Weisheit Gottes und seiner Vorsehung in Einführung gewisser Anstalten unter seinem Volk, die sich auf jene Verfassung und Gewohnheiten gründete, oder diese einführte, um dadurch wahre Religion, nach den Bedürfnissen solcher Menschen, zu befördern. Sie beschämt dadurch viele Vorwürfe gegen die heilige Schrift, und falsche Vorstellungen von ihrem Inhalt, die auf Unbekanntschaft mit diesen Einrichtungen, auf Unkunde ihrer Ursachen und Absichten, und auf einer übel angebrachten Philosophie, beruhen, welche, unerleuchtet durch das Licht der Geschichte, sich über den Kreis unserer Sitten und Verfassungen nicht hinaus denken kann.Nicht minder wichtig ist 2) die Kenntniß alles dessen, was man gemeiniglich unter dem Namen der Alterthümer begreift, wohin man Alles rechnen kann, was die Verfassung der Völker und ihrer verschiedenen Stände, nebst dem auf Convention beruhendem Verhältniß derselben gegen einander angeht, als Religions-, bürgerliche und militärische Verfassung, häusliches Leben, Handel und Gewerbe, Abhängigkeit und Bündnisse von und mit einander, und die bei allem diesen eingeführten Gewohnheiten. Ein wieder sehr weitläufiges und schweres Studium, weil es so mannichfaltige in der Bibel erwähnte Völker, aus sehr verschiedenen Zeiten, umfassen muß, deren Einrichtungen und Gewohnheiten, eben weil sie auf Willkür beruheten, und sich darum auch leicht veränderten, zumal aus den ältern Zeiten, schwerer zu entdecken sind, als natürliche Einrichtungen, die in jedem Lande sich weit seltner ändern, und sich meistens bis auf unsre Zeit erhalten haben. Eben da|c46|durch wird das Eindringen in den Geist solcher Verfassungen und in die Ursachen derselben, die in dem Klima und den daraus entstehenden Bedürfnissen, in gewissen politischen Revolutionen, oft auch in der Begierde nachzuahmen, oder gar in einem bloßen Zufall, liegen können, erschwert, oder gar unmöglich gemacht, wenn auch derer mehr wären, als sie wirklich sind, die mit so vielfältiger Gelehrsamkeit und philosophischem Blick jene Ursachen und Absichten untersuchen, als Spencer, Goguet, Michaelis, Gatterer, Heeren, bei den Einrichtungen der Israeliten und einiger andern Völker versucht haben. Und doch hat diese philosophische Behandlung solcher Verfassungen und Einrichtungen ihren unentbehrlichen Nutzen, selbst bei Erklärung der heiligen Schrift. Sie macht diese Einrichtungen begreiflich, hebt das Befremdliche derselben, und befestigt dadurch die Glaubwürdigkeit der Bibel. Sie zeigt die Weisheit Gottes und seiner Vorsehung in Einführung gewisser Anstalten unter seinem Volk, die sich auf jene Verfassung und Gewohnheiten gründete, oder diese einführte, um dadurch wahre Religion, nach den Bedürfnissen solcher Menschen, zu befördern. Sie beschämt dadurch viele Vorwürfe gegen die heilige Schrift, und falsche Vorstellungen von ihrem Inhalt, die auf Unbekanntschaft mit diesen Einrichtungen, auf Unkunde ihrer Ursachen und Absichten, und auf einer übel angebrachten Philosophie, beruhen, welche, unerleuchtet durch das Licht der Geschichte, sich über den Kreis unserer Sitten und Verfassungen nicht hinaus denken kann.
Anm. Die biblischen Alterthümer (Anthologie) haben in neuern Zeiten besonders
Warnekroß, Jahn, Bauer, de Wette am glücklichsten bearbeitet. S. die
Nößeltsche Bücherkenntniß und die Bibliothek für Prediger, 1ster
|c47| und 4ter Theil. Eine allgemeine Uebersicht der Realkenntnisse giebt
Hezel's biblisches Reallexicon;
Leun's biblische Encyklopädie.
A. d. H.
41.
Dieses Eigene der Völker und Personen, die in der heiligen Schrift erwähnt werden, an welche die biblischen Bücher gerichtet, oder von welchen sie verfertigt sind, richtete sich ohne Zweifel 3) nach ihrer Denkungsart, ihren Kenntnissen und Meinungen, nach ihrem Charakter und ihren Sitten, und hatte umgekehrt wieder in diese einen nothwendigen Einfluß. Danach bildeten sich auch ihre Künste und Wissenschaften, die wieder jene bildeten, ihnen ihre Richtung gaben, Einrichtungen und Gewohnheiten veranlaßten. Ganz vorzüglich nothwendig ist also auch diese Art von Kenntnissen, sowohl zu richtiger Erklärung der heiligen Schrift, als zur richtigern Beurtheilung der darin vorkommenden Sachen, und des Werthes der Bibel selbst. Zu beiden Absichten ist es unumgänglich nothwendig, sich in jene Art zu denken, in jene Meinungen, Sitten u. d. gl. zu versetzen; sonst muß man offenbar den rechten Gesichtspunkt verfehlen, so gewiß wie man den Sinn verfehlt, wenn man ihn nach unserm, nicht nach dem biblischen Gebrauch, bestimmen will. Denn jeder Schriftsteller schreibt zunächst und eigentlich für seine Zeit, nach den Bedürfnissen, Fähigkeiten und Meinungen derer, an die er schreibt, nach seiner Denkungsart, seinen Begriffen und nach seinem Charakter; kann dann auch, wenn er wahr erzählen will, seine Personen anders nicht aufführen, als sie wirklich waren.Dieses Eigene der Völker und Personen, die in der heiligen Schrift erwähnt werden, an welche die biblischen Bücher gerichtet, oder von welchen sie verfertigt sind, richtete sich ohne Zweifel 3) nach ihrer Denkungsart, ihren Kenntnissen und Meinungen, nach ihrem Charakter und ihren Sitten, und hatte umgekehrt wieder in diese einen nothwendigen Einfluß. Danach bildeten sich auch ihre Künste und Wissenschaften, die wieder jene bildeten, ihnen ihre Richtung gaben, Einrichtungen und Gewohnheiten veranlaßten. Ganz vorzüglich nothwendig ist also auch diese Art von Kenntnissen, sowohl zu richtiger Erklärung der heiligen Schrift, als zur richtigern Beurtheilung der darin vorkommenden Sachen, und des Werthes der Bibel selbst. Zu beiden Absichten ist es unumgänglich nothwendig, sich in jene Art zu denken, in jene Meinungen, Sitten u. d. gl. zu versetzen; sonst muß man offenbar den rechten Gesichtspunkt verfehlen, so gewiß wie man den Sinn verfehlt, wenn man ihn nach unserm, nicht nach dem biblischen Gebrauch, bestimmen will. Denn jeder Schriftsteller schreibt zunächst und eigentlich für seine Zeit, nach den Bedürfnissen, Fähigkeiten und Meinungen derer, an die er schreibt, nach seiner Denkungsart, seinen Begriffen und nach seinem Charakter; kann dann auch, wenn er wahr erzählen will, seine Personen anders nicht aufführen, als sie wirklich waren.
|c48| 42.
Es ist fast unglaublich, was die an sich sehr wahre Vorstellung von der Bibel, als einer Sammlung göttlicher Bücher, durch Mißverstand und eine höchst verkehrte Anwendung, für Schaden gestiftet hat; wie sehr man sich dadurch um den Nutzen, den man daraus schöpfen könnte, gebracht; wie sehr sie sich der Verachtung und Spöttereien ausgesetzt hat. Als göttliche Bücher sollen sie, sagt man, nicht wie irgend ein vernünftiges menschliches Buch, verstanden und gebraucht werden; Gott soll sie durchaus für alle Zeiten und Menschen, nicht zum Theil allein für die ersten Leser, haben aufzeichnen lassen; sie sollen aufhören, allgemein nützlich zu seyn, und sollen zu Irrthümern verleiten, wenn man annähme, daß sich darin Sätze und Wörter befänden, welche auf damalige Meinungen oder gar Vorurtheile und Irrthümer gingen. – Alle diese Einbildungen entspringen 1) aus der üblen Gewohnheit, nicht Gott aus seinen Werken abzulernen, was gewiß das Beste gewesen seyn muß, sondern aus einer vorausgesetzten Idee, den Plan auszuspinnen, den Gott nach unsrer Meinung habe befolgen müssen, wenn er es hätte recht machen wollen: eine Thorheit, von der und von deren Schaden uns schon die Wahrnehmung des wirklich Bösen in der Welt überzeugen könnte, das, nach unserer Voraussetzung, auch nicht in der Welt seyn sollte, und das wir so schwer mit Gottes allgemeiner Weisheit und Güte zu reimen wissen. 2) Man spanne denn bei der Bibel den Begriff von einem göttlichen Buche so hoch als man will – ihn hier zu bestimmen, ist der Ort nicht –: so muß er doch nicht den Augenschein gegen sich haben. Denn gegen diesen kann keine Theorie bestehen, und man treibt sonst Andere noth|c49|wendig dahin, daß sie, zu Folge unserer falschen Begriffe von den Erfordernissen eines göttlichen Werks, der Bibel diese Ehre absprechen müssen, wenn sie gleichwohl darin das wahrnehmen, was man mit einem göttlichen Werke unverträglich hält. Der Augenschein zeigt es aber, daß Jesus und die heiligen Schriftsteller, in unzählichen Stellen Redensarten und Sätze brauchen, die sich auf menschliche, selbst irrige, Vorstellungen und Gewohnheiten dererjenigen gründen, mit welchen sie zu thun hatten, wie z. B. Hiob 1, 6 fgg. Matth. 12, 43–45. vergl. mit Tob. 8, 3. Gal. 4, 24 f., und die sie selbst in vielen Fällen brauchen mußten, wenn sie allgemeiner, aber, vor der Hand wenigstens, unschädlicher Volksglaube waren, wollten sie anders verstanden werden, ihre Glaubwürdigkeit nicht verdächtig machen, ihre Zuhörer oder Leser, nach deren Fähigkeiten und Bedürfnissen, überzeugen, oder ihnen etwas anschaulich darstellen. – Mindestens muß da, wo sie erzählen, oder, wie Matth. 12, 27. und Luc. 24, 37–40., den Meinungen Anderer widersprechen, auch der eingenommenste Leser Anspielungen auf besondere menschliche Meinungen anerkennen, die denn doch von dem Ausleger verständlich gemacht werden müssen.Es ist fast unglaublich, was die an sich sehr wahre Vorstellung von der Bibel, als einer Sammlung göttlicher Bücher, durch Mißverstand und eine höchst verkehrte Anwendung, für Schaden gestiftet hat; wie sehr man sich dadurch um den Nutzen, den man daraus schöpfen könnte, gebracht; wie sehr sie sich der Verachtung und Spöttereien ausgesetzt hat. Als göttliche Bücher sollen sie, sagt man, nicht wie irgend ein vernünftiges menschliches Buch, verstanden und gebraucht werden; Gott soll sie durchaus für alle Zeiten und Menschen, nicht zum Theil allein für die ersten Leser, haben aufzeichnen lassen; sie sollen aufhören, allgemein nützlich zu seyn, und sollen zu Irrthümern verleiten, wenn man annähme, daß sich darin Sätze und Wörter befänden, welche auf damalige Meinungen oder gar Vorurtheile und Irrthümer gingen. – Alle diese Einbildungen entspringen 1) aus der üblen Gewohnheit, nicht Gott aus seinen Werken abzulernen, was gewiß das Beste gewesen seyn muß, sondern aus einer vorausgesetzten Idee, den Plan auszuspinnen, den Gott nach unsrer Meinung habe befolgen müssen, wenn er es hätte recht machen wollen: eine Thorheit, von der und von deren Schaden uns schon die Wahrnehmung des wirklich Bösen in der Welt überzeugen könnte, das, nach unserer Voraussetzung, auch nicht in der Welt seyn sollte, und das wir so schwer mit Gottes allgemeiner Weisheit und Güte zu reimen wissen. 2) Man spanne denn bei der Bibel den Begriff von einem göttlichen Buche so hoch als man will – ihn hier zu bestimmen, ist der Ort nicht –: so muß er doch nicht den Augenschein gegen sich haben. Denn gegen diesen kann keine Theorie bestehen, und man treibt sonst Andere noth|c49|wendig dahin, daß sie, zu Folge unserer falschen Begriffe von den Erfordernissen eines göttlichen Werks, der Bibel diese Ehre absprechen müssen, wenn sie gleichwohl darin das wahrnehmen, was man mit einem göttlichen Werke unverträglich hält. Der Augenschein zeigt es aber, daß Jesus und die heiligen Schriftsteller, in unzählichen Stellen Redensarten und Sätze brauchen, die sich auf menschliche, selbst irrige, Vorstellungen und Gewohnheiten dererjenigen gründen, mit welchen sie zu thun hatten, wie z. B. Hiob 1, 6 fgg. Matth. 12, 43–45. vergl. mit Tob. 8, 3. Gal. 4, 24 f., und die sie selbst in vielen Fällen brauchen mußten, wenn sie allgemeiner, aber, vor der Hand wenigstens, unschädlicher Volksglaube waren, wollten sie anders verstanden werden, ihre Glaubwürdigkeit nicht verdächtig machen, ihre Zuhörer oder Leser, nach deren Fähigkeiten und Bedürfnissen, überzeugen, oder ihnen etwas anschaulich darstellen. – Mindestens muß da, wo sie erzählen, oder, wie Matth. 12, 27. und Luc. 24, 37–40., den Meinungen Anderer widersprechen, auch der eingenommenste Leser Anspielungen auf besondere menschliche Meinungen anerkennen, die denn doch von dem Ausleger verständlich gemacht werden müssen.
43.
Und warum soll denn 3) Alles, was in den biblischen Büchern vorkommt, für alle Leser geschrieben, warum schlechterdings allgemeinnützlich seyn? Kann es je ein Buch geben, das diese Eigenschaft hätte, ohne alsdann manchen Lesern entbehrlich, oder nicht unterhaltend genug zu werden? Ists denn nicht oft wohlthätiger gegen Alle, Mannichfaltigkeit hinein zu bringen, und einen Theil des Inhalts für |c50| Alle oder doch Viele, einen andern Theil nur für Einige oder Andere zu bestimmen, um Allen, nach ihrem Bedürfniß, Alles zu werden? Ists nicht in den heiligen Büchern wirklich so? Könnten Weißagungen wohl für die ersten Leser, die jüdischen Geschlechtsregister für uns, bestimmt seyn? Können die mosaischen Gesetze alle Christen, oder vielmehr nur die Gelehrten interessiren? Wenn aber 4) in der heiligen Schrift nicht Allen Alles gleich nützlich und verständlich seyn mußte, so war es schon natürlicher, mehr für die ersten, als für die spätern Leser zu sorgen, sich also nach den, auch noch so rohen und selbst irrigen Begriffen derselben zu richten. Eben dieses giebt einem Buche den Charakter der Zeit, aus der es ist, des Schriftstellers, der es geschrieben hat, der nächsten Bestimmung, wozu es aufgesetzt wurde. Auf diesen unverkennbaren Merkmalen beruht die Ueberzeugung, daß es authentisch und glaubwürdig sei; und auf diese Ueberzeugung gründet sich alles Andere. Sie mußte also ein wichtigerer Zweck seyn , als die Befriedigung unserer eigensüchtigen Forderungen.Und warum soll denn 3) Alles, was in den biblischen Büchern vorkommt, für alle Leser geschrieben, warum schlechterdings allgemeinnützlich seyn? Kann es je ein Buch geben, das diese Eigenschaft hätte, ohne alsdann manchen Lesern entbehrlich, oder nicht unterhaltend genug zu werden? Ists denn nicht oft wohlthätiger gegen Alle, Mannichfaltigkeit hinein zu bringen, und einen Theil des Inhalts für |c50| Alle oder doch Viele, einen andern Theil nur für Einige oder Andere zu bestimmen, um Allen, nach ihrem Bedürfniß, Alles zu werden? Ists nicht in den heiligen Büchern wirklich so? Könnten Weißagungen wohl für die ersten Leser, die jüdischen Geschlechtsregister für uns, bestimmt seyn? Können die mosaischen Gesetze alle Christen, oder vielmehr nur die Gelehrten interessiren? Wenn aber 4) in der heiligen Schrift nicht Allen Alles gleich nützlich und verständlich seyn mußte, so war es schon natürlicher, mehr für die ersten, als für die spätern Leser zu sorgen, sich also nach den, auch noch so rohen und selbst irrigen Begriffen derselben zu richten. Eben dieses giebt einem Buche den Charakter der Zeit, aus der es ist, des Schriftstellers, der es geschrieben hat, der nächsten Bestimmung, wozu es aufgesetzt wurde. Auf diesen unverkennbaren Merkmalen beruht die Ueberzeugung, daß es authentisch und glaubwürdig sei; und auf diese Ueberzeugung gründet sich alles Andere. Sie mußte also ein wichtigerer Zweck seyn , als die Befriedigung unserer eigensüchtigen Forderungen.
44.
Mit alle dem können 5) Bücher, die zunächst und hauptsächlich für die ersten Leser geschrieben sind, es kann selbst das, was in denselben auf besondere Zeit- und Volksmeinungen geht, immer auch uns, in unserer Art, nützlich werden, so daß, wegen jenes nächsten eingeschränkten Zwecks, die Bücher selbst oder diese Theile derselben keineswegs unsere Geringschätzung oder Gleichgültigkeit verdienen. Es ist doch wenigstens schätzbarer Beitrag zur Geschichte des menschlichen Geistes und der Religion. Je mehr wir diese besondere Vorstellungen studieren, die zu der Zeit herrschten, |c51| wo die biblischen Bücher geschrieben wurden, oder wo die darin enthaltenen Begebenheiten und Reden vorfielen, und uns auch um anderweitige Spuren derselben bekümmern: desto mehr wächst die Ueberzeugung von ihrem Alter, ihrer Echtheit und Glaubwürdigkeit. Man lernt alsdann auch tiefer in die weisen Anstalten Gottes zur Erziehung des menschlichen Geschlechts eindringen; öffnet sich neue Quellen der Zufriedenheit mit den Wegen Gottes, der für jeden nach seinen Bedürfnissen sorgt, das Unvollkommene allmählich reifen läßt, und auch das Schlechtere zu seinen guten Absichten zu wenden weiß; man lernt das Glück mehr schätzen, in aufgeklärtern Zeiten zu leben, und weitere, nähere Aufschlüsse zu haben, die ehemaligen Zeiten versagt, oder durch Vorurtheile und Irrthümer erschwert waren. Und liegt denn, bei allem Eigenen gewisser Beispielen in der heiligen Schrift, in allen nach den Umständen jener Zeiten und Völker eingekleideten Lehren nichts allgemein Lehrreiches für uns, das nur bei jenen Menschen durch ihre Umstände eine nähere Bestimmung für sie bekam? das der Verständigere wie Gold aus den Schlacken zu schmelzen weiß? woraus er, wie aus allen Beobachtungen in der Welt, das Allgemeine herausziehen, und sich für seine besonderen Umstände nutzbar machen kann? Es sei Paulus, oder Kephas, oder Apollos, oder die Welt – Alles ist unser! 1 Kor. 3, 22. – Aber 6) scheiden müssen wir es lernen, und eben darum das näher kennen lernen, was zu jenen Ort- und Zeitkenntnissen gehört, was Hülle und nicht Wesen ist, was Gott in der Bibel nach bloßer Herablassung, und was er nach strengster Wahrheit hat sagen lassen. Dafür muß es sowohl Regeln geben als für das Echte oder Unechte in Lesearten, für den wahren oder falschen Sinn der heiligen Schrift; und alsdann wird |c52| auch die Besorgniß wegfallen, daß man durch solche eingemischte Vorstellungen {nothwendig müßte auf Irrthümer geleitet werden.}Mit alle dem können 5) Bücher, die zunächst und hauptsächlich für die ersten Leser geschrieben sind, es kann selbst das, was in denselben auf besondere Zeit- und Volksmeinungen geht, immer auch uns, in unserer Art, nützlich werden, so daß, wegen jenes nächsten eingeschränkten Zwecks, die Bücher selbst oder diese Theile derselben keineswegs unsere Geringschätzung oder Gleichgültigkeit verdienen. Es ist doch wenigstens schätzbarer Beitrag zur Geschichte des menschlichen Geistes und der Religion. Je mehr wir diese besondere Vorstellungen studieren, die zu der Zeit herrschten, |c51| wo die biblischen Bücher geschrieben wurden, oder wo die darin enthaltenen Begebenheiten und Reden vorfielen, und uns auch um anderweitige Spuren derselben bekümmern: desto mehr wächst die Ueberzeugung von ihrem Alter, ihrer Echtheit und Glaubwürdigkeit. Man lernt alsdann auch tiefer in die weisen Anstalten Gottes zur Erziehung des menschlichen Geschlechts eindringen; öffnet sich neue Quellen der Zufriedenheit mit den Wegen Gottes, der für jeden nach seinen Bedürfnissen sorgt, das Unvollkommene allmählich reifen läßt, und auch das Schlechtere zu seinen guten Absichten zu wenden weiß; man lernt das Glück mehr schätzen, in aufgeklärtern Zeiten zu leben, und weitere, nähere Aufschlüsse zu haben, die ehemaligen Zeiten versagt, oder durch Vorurtheile und Irrthümer erschwert waren. Und liegt denn, bei allem Eigenen gewisser Beispielen in der heiligen Schrift, in allen nach den Umständen jener Zeiten und Völker eingekleideten Lehren nichts allgemein Lehrreiches für uns, das nur bei jenen Menschen durch ihre Umstände eine nähere Bestimmung für sie bekam? das der Verständigere wie Gold aus den Schlacken zu schmelzen weiß? woraus er, wie aus allen Beobachtungen in der Welt, das Allgemeine herausziehen, und sich für seine besonderen Umstände nutzbar machen kann? Es sei Paulus, oder Kephas, oder Apollos, oder die Welt – Alles ist unser! 1 Kor. 3, 22. – Aber 6) scheiden müssen wir es lernen, und eben darum das näher kennen lernen, was zu jenen Ort- und Zeitkenntnissen gehört, was Hülle und nicht Wesen ist, was Gott in der Bibel nach bloßer Herablassung, und was er nach strengster Wahrheit hat sagen lassen. Dafür muß es sowohl Regeln geben als für das Echte oder Unechte in Lesearten, für den wahren oder falschen Sinn der heiligen Schrift; und alsdann wird |c52| auch die Besorgniß wegfallen, daß man durch solche eingemischte Vorstellungen {nothwendig müßte auf Irrthümer geleitet werden.}
45.
Wenn man diese aus bloßem Mißverstande herrührende Vorurtheile von dem Nutzen der Bibel, der vermindert werden, und von dem Schaden, der ihrem richtigen Verstand und Anwendung drohen würde, bei Seite setzt: so wird man sich bald überzeugen können, wie unumgänglich nothwendig es sei, sich, so viel man immer kann, ganz in die Lage hineinzudenken, welche die Bibel voraussetzt, und sich dazu die §.
41. erwähnten Kenntnisse mit möglichstem Fleiße zu erwerben. Nur dadurch werden wir verhüten, – daß wir nicht nach dem Maaßstab
unsrer, oder überhaupt späterer, Kenntnisse und Meinungen die in der heiligen Schrift liegenden abmessen, und dadurch uns den Gesichtspunkt verrücken, wonach wir Alles nehmen müssen, wenn wir von ihr
lernen wollen, nicht die darin liegenden Begriffe, wider die Wahrheit, ausdehnen oder einschränken, nicht Dinge darin suchen und finden, an welche die heiligen Schriftsteller oder die darin aufgeführten Personen nie haben denken können, nicht ihre Beweise falsch beurtheilen, oder eine Ordnung, oder einen Zusammenhang, oder Künste erdichten, wonach sie sollten verfahren haben, kurz, nicht den
wahren Sinn derselben verfehlen.Wenn man diese aus bloßem Mißverstande herrührende Vorurtheile von dem Nutzen der Bibel, der vermindert werden, und von dem Schaden, der ihrem richtigen Verstand und Anwendung drohen würde, bei Seite setzt: so wird man sich bald überzeugen können, wie unumgänglich nothwendig es sei, sich, so viel man immer kann, ganz in die Lage hineinzudenken, welche die Bibel voraussetzt, und sich dazu die §.
41. erwähnten Kenntnisse mit möglichstem Fleiße zu erwerben. Nur dadurch werden wir verhüten, – daß wir nicht nach dem Maaßstab
unsrer, oder überhaupt späterer, Kenntnisse und Meinungen die in der heiligen Schrift liegenden abmessen, und dadurch uns den Gesichtspunkt verrücken, wonach wir Alles nehmen müssen, wenn wir von ihr
lernen wollen, nicht die darin liegenden Begriffe, wider die Wahrheit, ausdehnen oder einschränken, nicht Dinge darin suchen und finden, an welche die heiligen Schriftsteller oder die darin aufgeführten Personen nie haben denken können, nicht ihre Beweise falsch beurtheilen, oder eine Ordnung, oder einen Zusammenhang, oder Künste erdichten, wonach sie sollten verfahren haben, kurz, nicht den
wahren Sinn derselben verfehlen.
46.
Nur dadurch wird zugleich der falschen Beurtheilung und Anwendung der heiligen Schrift vorgebeugt, oder Beides berichtigt werden. Denn nur durch die Kenntniß desjenigen, was in ihr jeder erwähnten Zeit, jedem Ort |c53| und Jedes Umständen gemäß ist, ergiebt sich die hohe Glaubwürdigkeit, das Alterthum und die Echtheit ihrer Bücher. – Nur dadurch entsteht wahre Ueberzeugung von der göttlichen Weisheit des darin gebrauchten Vortrags und der gemachten Anstalten, wenn Beides gerade den jedesmaligen Umständen angemessen ist. Nur dann wird man den Charakter und die Handlungen der darin aufgestellten Personen richtig würdigen, ungegründete Kritiken darüber ablehnen, und unrichtige Nachahmung derselben verhindern können, wenn man sie nach der Lage kennt und nimmt, worin sie handelten und verfahren konnten; alsdann auch nur im Stande seyn, das, was von der Zeit und Lage herrührte, mit Einem Wort, das Zufällige von dem Wesentlichen, und bei dem Vortrage der Bibel die den Zeitumständen und Bedürfnissen entsprechende Einkleidung von den Lehren selbst, bei den aufgeführten Beispielen das ihnen Eigenthümliche von dem auch für uns Lehrreichen abzusondern, und sie so wirklich unsern Bedürfnissen gemäß zu gebrauchen.Nur dadurch wird zugleich der falschen Beurtheilung und Anwendung der heiligen Schrift vorgebeugt, oder Beides berichtigt werden. Denn nur durch die Kenntniß desjenigen, was in ihr jeder erwähnten Zeit, jedem Ort |c53| und Jedes Umständen gemäß ist, ergiebt sich die hohe Glaubwürdigkeit, das Alterthum und die Echtheit ihrer Bücher. – Nur dadurch entsteht wahre Ueberzeugung von der göttlichen Weisheit des darin gebrauchten Vortrags und der gemachten Anstalten, wenn Beides gerade den jedesmaligen Umständen angemessen ist. Nur dann wird man den Charakter und die Handlungen der darin aufgestellten Personen richtig würdigen, ungegründete Kritiken darüber ablehnen, und unrichtige Nachahmung derselben verhindern können, wenn man sie nach der Lage kennt und nimmt, worin sie handelten und verfahren konnten; alsdann auch nur im Stande seyn, das, was von der Zeit und Lage herrührte, mit Einem Wort, das Zufällige von dem Wesentlichen, und bei dem Vortrage der Bibel die den Zeitumständen und Bedürfnissen entsprechende Einkleidung von den Lehren selbst, bei den aufgeführten Beispielen das ihnen Eigenthümliche von dem auch für uns Lehrreichen abzusondern, und sie so wirklich unsern Bedürfnissen gemäß zu gebrauchen.
47.
Da die verschiedenen Veränderungen der in der heiligen Schrift erwähnten Völker, oder vorzüglich merkwürdiger Personen unter ihnen, sehr viele Veränderungen, nicht nur der Länder selbst, sondern noch mehr der Denkungsart, der Sitten, der Verfassung und Einrichtungen unter ihnen und Andern, nach sich gezogen haben: so ist schon deswegen 4) die Kenntniß ihrer Geschichte nothwendig, um diese letzteren Veränderungen, nebst ihren Ursachen und Absichten, einzusehen. Sie würde es schon an sich seyn, insofern ein großer Theil der Bibel theils diese wirkliche Geschichte, theils Anspielungen darauf, theils Weißagungen enthält, |c54| die sonst schlechterdings das nöthige Licht nicht bekommen können. Für den Ausleger der Bibel gehört freilich nur diese Kenntniß so weit, als sie zur Erklärung der Bibel nöthig ist; aber eben dazu wird auch eine sehr oft in kleine und dunkle Umstände eindringende Kenntniß erfordert.Da die verschiedenen Veränderungen der in der heiligen Schrift erwähnten Völker, oder vorzüglich merkwürdiger Personen unter ihnen, sehr viele Veränderungen, nicht nur der Länder selbst, sondern noch mehr der Denkungsart, der Sitten, der Verfassung und Einrichtungen unter ihnen und Andern, nach sich gezogen haben: so ist schon deswegen 4) die Kenntniß ihrer Geschichte nothwendig, um diese letzteren Veränderungen, nebst ihren Ursachen und Absichten, einzusehen. Sie würde es schon an sich seyn, insofern ein großer Theil der Bibel theils diese wirkliche Geschichte, theils Anspielungen darauf, theils Weißagungen enthält, |c54| die sonst schlechterdings das nöthige Licht nicht bekommen können. Für den Ausleger der Bibel gehört freilich nur diese Kenntniß so weit, als sie zur Erklärung der Bibel nöthig ist; aber eben dazu wird auch eine sehr oft in kleine und dunkle Umstände eindringende Kenntniß erfordert.
Anm. {Die Hauptwerke sind Shuckford, Prideaux und Heß Geschichte der Israeliten bis auf die Zeit Christi. Man sehe d. Bücherkenntniß, und der Predigerbibliothek 1sten und 4ten Theil.[}]
48.
Viel trägt dazu 5) die Kenntniß der biblischen Zeitrechnung bei, die doch auch wieder das unentbehrliche Licht aus der Geschichte erhält. Sie hat hier nicht nur den Nutzen, wie in der Geschichte überhaupt, daß sie ihr Ordnung mittheilt, ihre Wahrheit befestigt, und den Geschichtsforscher auf den Zusammenhang der Begebenheiten, also zur kritischen und pragmatischen Behandlung der Geschichte, führt. Sie ist auch unentbehrlich, um den scheinbaren Widerspruch mancher Stellen der heiligen Schrift gegen einander und gegen die Zeitrechnung der auswärtigen Geschichte zu heben, der so oft zu Vorwürfen gegen sie gedient hat; um auf wahre oder vorgebliche Fehler in einigen Stellen des biblischen Textes und deren richtige Beurtheilung zu leiten; und selbst, um falsche Erklärungen zu verhüten oder zu entdecken, die sich auf eine unrichtig angenommene Zeitrechnung gründen, und durch Hülfe einer richtiger bestimmten Chronologie neues Licht über manche Schriftstellen auszubreiten.Viel trägt dazu 5) die Kenntniß der biblischen Zeitrechnung bei, die doch auch wieder das unentbehrliche Licht aus der Geschichte erhält. Sie hat hier nicht nur den Nutzen, wie in der Geschichte überhaupt, daß sie ihr Ordnung mittheilt, ihre Wahrheit befestigt, und den Geschichtsforscher auf den Zusammenhang der Begebenheiten, also zur kritischen und pragmatischen Behandlung der Geschichte, führt. Sie ist auch unentbehrlich, um den scheinbaren Widerspruch mancher Stellen der heiligen Schrift gegen einander und gegen die Zeitrechnung der auswärtigen Geschichte zu heben, der so oft zu Vorwürfen gegen sie gedient hat; um auf wahre oder vorgebliche Fehler in einigen Stellen des biblischen Textes und deren richtige Beurtheilung zu leiten; und selbst, um falsche Erklärungen zu verhüten oder zu entdecken, die sich auf eine unrichtig angenommene Zeitrechnung gründen, und durch Hülfe einer richtiger bestimmten Chronologie neues Licht über manche Schriftstellen auszubreiten.
Anm. Man kann sich von diesem zuletzt angegebenen Nutzen aus der Bemerkung überzeugen, daß man sehr oft den Erzählungen bei den Evangelisten, auch manchen Weißagungen, eine falsche Deutung gegeben hat, weil man nicht bedachte oder |c55| einsah, daß die heiligen Schriftsteller in ihrer Stellung nicht immer eine genaue Zeitordnung beobachtet haben, und daß bei Sammlung solcher Bücher, die aus einzelnen Weißagungen bestehen, im Jeremias z. B., unläugbar, wenigstens in verschiedenen Abschriften, Versetzungen derselben vorgegangen sind. Es ist eben so gewiß, daß eine falsche Bestimmung der Zeit, wo gewisse biblische Bücher, als Hiob, die Psalmen, die Briefe des neuen Testaments u. a., geschrieben seyn sollen, zu falschen Erklärungen verleitet hat, und Manches heller wird, wenn man ihnen ihren rechten Platz in der Geschichte anweisen kann. S. meine beiden Versuche über den Brief an die Hebräer und den Brief Jacobi in den Opusculis, Fasc. I. und II.
49.
Zur Erwerbung aller bisher erwähnten historischen Kenntnisse würde freilich, wenn sie von eigenem Fleiß abhängen sollte, ein sehr sorgfältiges Studium sowohl der heiligen Schrift selbst, wo oft gering scheinende und kaum bemerkte Spuren zu wichtigen Entdeckungen führen können, als auch anderer alten Schriftsteller und Denkmahle, die uns irgend etwas davon aufbehalten haben, erforderlich seyn. Da auch in spätern morgenländischen Schriftstellern viele Ueberbleibsel dieser Art übrig sind, überhaupt aber sich alte Meinungen und Sitten, selbst aus den ältesten Zeiten, nirgends so lange und unverändert, als in den Morgenländern, erhalten haben: so ist das Nachforschen in solchen morgenländischen Schriftstellern und in genauen und von wirklichen Kennern herrührenden Reisebeschreibungen in jene Gegenden, von ungemeinem Nutzen. Viel ist auch bereits hierin von einigen gelehrten Männern, theils in besondern Werken über gewisse Arten dieser historischen Kenntnisse, theils bei Erklärung der heiligen Schrift, geleistet worden, woran man sich, |c56| in Ermangelung der nöthigen Hülfsmittel und Fähigkeiten, halten muß, von ihnen wenigstens schon vieles Vorgearbeitete, die dabei brauchbaren Quellen, und die rechte Art, sie zu benutzen, ablernen kann.Zur Erwerbung aller bisher erwähnten historischen Kenntnisse würde freilich, wenn sie von eigenem Fleiß abhängen sollte, ein sehr sorgfältiges Studium sowohl der heiligen Schrift selbst, wo oft gering scheinende und kaum bemerkte Spuren zu wichtigen Entdeckungen führen können, als auch anderer alten Schriftsteller und Denkmahle, die uns irgend etwas davon aufbehalten haben, erforderlich seyn. Da auch in spätern morgenländischen Schriftstellern viele Ueberbleibsel dieser Art übrig sind, überhaupt aber sich alte Meinungen und Sitten, selbst aus den ältesten Zeiten, nirgends so lange und unverändert, als in den Morgenländern, erhalten haben: so ist das Nachforschen in solchen morgenländischen Schriftstellern und in genauen und von wirklichen Kennern herrührenden Reisebeschreibungen in jene Gegenden, von ungemeinem Nutzen. Viel ist auch bereits hierin von einigen gelehrten Männern, theils in besondern Werken über gewisse Arten dieser historischen Kenntnisse, theils bei Erklärung der heiligen Schrift, geleistet worden, woran man sich, |c56| in Ermangelung der nöthigen Hülfsmittel und Fähigkeiten, halten muß, von ihnen wenigstens schon vieles Vorgearbeitete, die dabei brauchbaren Quellen, und die rechte Art, sie zu benutzen, ablernen kann.
Anm. Von den hier gemeinten Schriften, alten und neuen, insonderheit den Reisen und Beobachtungen des Orients, s. die Anweisung zur Bücherkenntniß, §. 66–92., und Predigerbibliothek, 1ster und 4ter Theil.
50.
Aber wenn man sich nicht bloß auf die Benutzung des Vorgearbeiteten einschränken, höchstens, in Absicht der Quellen, bloß an Reisebeschreibungen halten will, deren Werth, zumal bei einzelnen Nachrichten, nicht einmal gründlich beurtheilt, vielweniger vorsichtig und reichlich genug benutzt werden kann, ohne gründliche Kenntniß alter Sprachen und mehrerer Theile der alten und morgenländischen Geschichte: so hat dieses eigne Studium so viele Schwierigkeiten, und erfordert so viele zum Theil seltne Hülfsmittel, Kenntnisse, Geduld, Scharfsichtigkeit und Gabe, sich in fremde Lagen recht hineinzudenken, und aus einer Menge von Kleinigkeiten ein Ganzes zusammenzusetzen, daß nur Wenige etwas Beträchtliches in diesem Fache leisten können. Ein Anfänger zumal muß sich mit den Vorarbeiten Anderer begnügen; kann, aus Mangel der Zeit und der Hülfsmittel, auch dieß nicht einmal; würde sich wenigstens glücklich zu schätzen haben, wenn er auch nur das Nothwendigste in ein Handbuch zusammengetragen fände, was ihm zu einem allgemeinen Wegweiser bei Erlangung dieser Kenntnisse vorläufig dienen könnte.Aber wenn man sich nicht bloß auf die Benutzung des Vorgearbeiteten einschränken, höchstens, in Absicht der Quellen, bloß an Reisebeschreibungen halten will, deren Werth, zumal bei einzelnen Nachrichten, nicht einmal gründlich beurtheilt, vielweniger vorsichtig und reichlich genug benutzt werden kann, ohne gründliche Kenntniß alter Sprachen und mehrerer Theile der alten und morgenländischen Geschichte: so hat dieses eigne Studium so viele Schwierigkeiten, und erfordert so viele zum Theil seltne Hülfsmittel, Kenntnisse, Geduld, Scharfsichtigkeit und Gabe, sich in fremde Lagen recht hineinzudenken, und aus einer Menge von Kleinigkeiten ein Ganzes zusammenzusetzen, daß nur Wenige etwas Beträchtliches in diesem Fache leisten können. Ein Anfänger zumal muß sich mit den Vorarbeiten Anderer begnügen; kann, aus Mangel der Zeit und der Hülfsmittel, auch dieß nicht einmal; würde sich wenigstens glücklich zu schätzen haben, wenn er auch nur das Nothwendigste in ein Handbuch zusammengetragen fände, was ihm zu einem allgemeinen Wegweiser bei Erlangung dieser Kenntnisse vorläufig dienen könnte.
|c57| 51.
Ohne Zweifel ist dieses einigermaßen die Absicht bei solchen Büchern oder Vorlesungen gewesen, die wir unter dem Namen der
Einleitungen in das alte und neue Testament und der sogenannten
Kirchengeschichte des alten Testaments, oder (der ältern)
jüdischen Geschichte besitzen. Möchten sie nur allezeit und genugsam dieser Absicht entsprechen! Allein bis jetzt schränken sich jene
Einleitungen fast bloß auf die Geschichte der biblischen Bücher selbst und ihres Textes ein, und fügen allenfalls Einiges über die Verfassung einiger in der heiligen Schrift erwähnten Völker hinzu; in welchem Fall solche Bücher, wenn sie nicht durch neue Entdeckungen, und dieses doch mehr für den Gelehrten, als für den Anfänger, wichtig werden, mehr nicht leisten, als was Ausleger ohnehin zur Einleitung bei Erklärung einzelner biblischen Bücher, oder Andere schon in Anweisungen zur Erklärung der heiligen Schrift,
Ernesti z. B. in der Institut. interpretis N. T., oder die Verfasser der sogenannten hebräischen und christlichen Alterthümer, oder der Bücher über die biblische Kritik, gethan haben. Noch haben wir kein in seiner Art vollständiges Handbuch, wodurch man eine kurze, aber in ihrer Art zweckmäßig-vollständige Uebersicht, theils von der biblischen Geographie und Chronologie, der mit der auswärtigen Geschichte in Zusammenhang gebrachten
biblischen, und vornehmlich von der Denkungsart, den Kenntnissen, Meinungen, Sitten und der Verfassung der Völker oder Gesellschaften, die in der heiligen Schrift vorkommen oder zum Grunde liegen, auch des ganzen Tons bekäme, der in der heiligen Schrift herrscht; gesetzt, daß man auch nur das bisher darüber Entdeckte zusammentrüge, gut auswählte,
|c58| und in eine gute Ordnung brächte.
*) So lange dieses nicht geschieht, muß sich der Anfänger an den Ausleger halten, dem er sich anvertraut, oder an diejenigen Hauptbücher, welche am besten einzelne hier in Anschlag kommende Stücke aufgeklärt haben. S. §.
49. in der Anmerkung.Ohne Zweifel ist dieses einigermaßen die Absicht bei solchen Büchern oder Vorlesungen gewesen, die wir unter dem Namen der
Einleitungen in das alte und neue Testament und der sogenannten
Kirchengeschichte des alten Testaments, oder (der ältern)
jüdischen Geschichte besitzen. Möchten sie nur allezeit und genugsam dieser Absicht entsprechen! Allein bis jetzt schränken sich jene
Einleitungen fast bloß auf die Geschichte der biblischen Bücher selbst und ihres Textes ein, und fügen allenfalls Einiges über die Verfassung einiger in der heiligen Schrift erwähnten Völker hinzu; in welchem Fall solche Bücher, wenn sie nicht durch neue Entdeckungen, und dieses doch mehr für den Gelehrten, als für den Anfänger, wichtig werden, mehr nicht leisten, als was Ausleger ohnehin zur Einleitung bei Erklärung einzelner biblischen Bücher, oder Andere schon in Anweisungen zur Erklärung der heiligen Schrift,
Ernesti z. B. in der Institut. interpretis N. T., oder die Verfasser der sogenannten hebräischen und christlichen Alterthümer, oder der Bücher über die biblische Kritik, gethan haben. Noch haben wir kein in seiner Art vollständiges Handbuch, wodurch man eine kurze, aber in ihrer Art zweckmäßig-vollständige Uebersicht, theils von der biblischen Geographie und Chronologie, der mit der auswärtigen Geschichte in Zusammenhang gebrachten
biblischen, und vornehmlich von der Denkungsart, den Kenntnissen, Meinungen, Sitten und der Verfassung der Völker oder Gesellschaften, die in der heiligen Schrift vorkommen oder zum Grunde liegen, auch des ganzen Tons bekäme, der in der heiligen Schrift herrscht; gesetzt, daß man auch nur das bisher darüber Entdeckte zusammentrüge, gut auswählte,
|c58| und in eine gute Ordnung brächte.
*) So lange dieses nicht geschieht, muß sich der Anfänger an den Ausleger halten, dem er sich anvertraut, oder an diejenigen Hauptbücher, welche am besten einzelne hier in Anschlag kommende Stücke aufgeklärt haben. S. §.
49. in der Anmerkung.
Anm. *) Einen Anfang eines solchen Handbuchs haben wir an dem
Handbuch der biblischen Literatur, von
Joh. Joach. Bellermann, das, einst vollendet, für den Anfänger eine gute Encyclopädie dieser Art von Kenntnissen seyn wird. Bis jetzt sind erst vier Theile, Erfurt 1787–1790. 8. erschienen. Man sehe auch die oben bei §.
40. angeführten Schriften.
52.
Die sogenannte Kirchengeschichte des alten Testaments, die mit einer kritischen Geschichte der Bibel selbst nicht verwechselt werden muß, ist gewöhnlich die in einigen Zusammenhang gebrachte, und zum Theil mit der benachbarten Völkergeschichte verbundene Geschichte der Juden und ihrer Vorfahren, bis auf Christi Geburt, und verdient mehr den Namen eines erläuterten Auszugs aus der Geschichte des alten Testaments, ist mehr Sammlung von Erläuterungen schwerer historischer Stellen des alten Testaments, die sich nur zu oft auf unnütze und in eine Volksgeschichte gar nicht gehörige Untersuchungen (über die redende Schlange in dem Paradiese, über Dudaim und Kikajon, das Begräbniß Mose u. dergl.) erstrecken, als eine Handleitung zu dieser Geschichte selbst, wodurch diese, mit den Weißagungen auch auswärtige Völker betreffend, aufgeklärt, pragmatisch gemacht, und das andern Stellen der Bibel oder der Profangeschichte Widersprechende gehoben werden könnte. In der That verdiente sie eine solche Be|c59|arbeitung, und würde sehr nützlich erweitert werden können, wenn sie zugleich als Geschichte der stufenweise erfolgten nähern göttlichen Offenbarung und des Volks Gottes, d. i. derjenigen Menschen, eingerichtet würde, welchen sie, bis zu ihrer letzten Vollendung, mitgetheilt worden ist. Auf diese Art könnte sie die ganze biblische Geschichte alten und neuen Testaments in sich fassen, und eine nützliche Vorbereitung auf die Lesung der heiligen Schrift selbst werden.Die sogenannte Kirchengeschichte des alten Testaments, die mit einer kritischen Geschichte der Bibel selbst nicht verwechselt werden muß, ist gewöhnlich die in einigen Zusammenhang gebrachte, und zum Theil mit der benachbarten Völkergeschichte verbundene Geschichte der Juden und ihrer Vorfahren, bis auf Christi Geburt, und verdient mehr den Namen eines erläuterten Auszugs aus der Geschichte des alten Testaments, ist mehr Sammlung von Erläuterungen schwerer historischer Stellen des alten Testaments, die sich nur zu oft auf unnütze und in eine Volksgeschichte gar nicht gehörige Untersuchungen (über die redende Schlange in dem Paradiese, über Dudaim und Kikajon, das Begräbniß Mose u. dergl.) erstrecken, als eine Handleitung zu dieser Geschichte selbst, wodurch diese, mit den Weißagungen auch auswärtige Völker betreffend, aufgeklärt, pragmatisch gemacht, und das andern Stellen der Bibel oder der Profangeschichte Widersprechende gehoben werden könnte. In der That verdiente sie eine solche Be|c59|arbeitung, und würde sehr nützlich erweitert werden können, wenn sie zugleich als Geschichte der stufenweise erfolgten nähern göttlichen Offenbarung und des Volks Gottes, d. i. derjenigen Menschen, eingerichtet würde, welchen sie, bis zu ihrer letzten Vollendung, mitgetheilt worden ist. Auf diese Art könnte sie die ganze biblische Geschichte alten und neuen Testaments in sich fassen, und eine nützliche Vorbereitung auf die Lesung der heiligen Schrift selbst werden.
Anm. Weit mehr als in den frühern Werken, welche unter dem unbequemen Titel der Kirchengeschichte des alten Testaments erschienen, ist dieß von den neuern Bearbeitern der jüdischen Geschichte, namentlich den bei §.
47. angeführten geschehen. Auch die bessern Commentatoren der Geschichtsbücher des alten Testaments haben viele Beiträge hierzu geliefert.
A. d. H.
53.
Um die bisher erwähnten philologischen und historischen Kenntnisse bei Erklärung der heiligen Schrift recht zu brauchen, sind theils gewisse
Regeln, theils fast eine
Uebung nöthig, um nach diesen Regeln jene Kenntnisse zur Entdeckung und Aufklärung des Sinnes der heiligen Schrift wohl anzuwenden. (§.
36. ) Der zusammenhängende Inbegriff jener Regeln, oder die Wissenschaft, welche eine Anweisung zur gründlichen Einsicht und Darstellung dieses Sinnes giebt, ist die
biblische Hermeneutik.Um die bisher erwähnten philologischen und historischen Kenntnisse bei Erklärung der heiligen Schrift recht zu brauchen, sind theils gewisse
Regeln, theils fast eine
Uebung nöthig, um nach diesen Regeln jene Kenntnisse zur Entdeckung und Aufklärung des Sinnes der heiligen Schrift wohl anzuwenden. (§.
36. ) Der zusammenhängende Inbegriff jener Regeln, oder die Wissenschaft, welche eine Anweisung zur gründlichen Einsicht und Darstellung dieses Sinnes giebt, ist die
biblische Hermeneutik.
54.
In Würdigung dieser Wissenschaft muß man sich eben so sehr hüten, ihren Werth zu niedrig als zu hoch anzuschlagen. Regeln muß man einmal haben, wenn man bei der heiligen Schrift mit eigenen Augen sehen, nicht |c60| willkürlich handeln, und sich in ähnlichen Fällen gleich bleiben will. Auch wenn man von dem besten Ausleger geleitet wird, der seine Erklärungen durch Gründe unterstützt, kann man nicht einmal beurtheilen, mit welchem Recht er nach solchen Gründen verfahre, wenn man nicht vorher feste Regeln kennt, wonach man sein Verfahren beurtheilt; und wer sich sogleich einen Wegweiser, den Sinn der heiligen Schrift zu finden, wählt, findet gemeiniglich diese Vorarbeit so bequem, daß er sich um das eigene Aufsuchen und die dazu nöthigen Regeln wenig bekümmert. Indessen könnte ein guter Kopf, dem es so wenig an obigen Kenntnissen als an Beobachtungsgeist fehlte, sich durch fleißiges Studium der heiligen Schrift selbst diese Regeln abziehen, und, wenn er sich an Philosophie gewöhnt hätte, selbst seine Beobachtungen verdeutlichen, und sie in allgemeine, bestimmte, und mit andern Grundsätzen zusammenhängende Sätze verwandeln. Auch versteht sichs von selbst, daß Regeln allein, ohne Genie, Sprach- und historische Kenntnisse und Uebung, keinen Ausleger bilden. Aber dieses alles mit vorausgesetzt, ist es, zumal für den Anfänger, sehr nützlich, einen wissenschaftlichen Unterricht über richtige Grundsätze zur Auslegung der heiligen Schrift zu erhalten.In Würdigung dieser Wissenschaft muß man sich eben so sehr hüten, ihren Werth zu niedrig als zu hoch anzuschlagen. Regeln muß man einmal haben, wenn man bei der heiligen Schrift mit eigenen Augen sehen, nicht |c60| willkürlich handeln, und sich in ähnlichen Fällen gleich bleiben will. Auch wenn man von dem besten Ausleger geleitet wird, der seine Erklärungen durch Gründe unterstützt, kann man nicht einmal beurtheilen, mit welchem Recht er nach solchen Gründen verfahre, wenn man nicht vorher feste Regeln kennt, wonach man sein Verfahren beurtheilt; und wer sich sogleich einen Wegweiser, den Sinn der heiligen Schrift zu finden, wählt, findet gemeiniglich diese Vorarbeit so bequem, daß er sich um das eigene Aufsuchen und die dazu nöthigen Regeln wenig bekümmert. Indessen könnte ein guter Kopf, dem es so wenig an obigen Kenntnissen als an Beobachtungsgeist fehlte, sich durch fleißiges Studium der heiligen Schrift selbst diese Regeln abziehen, und, wenn er sich an Philosophie gewöhnt hätte, selbst seine Beobachtungen verdeutlichen, und sie in allgemeine, bestimmte, und mit andern Grundsätzen zusammenhängende Sätze verwandeln. Auch versteht sichs von selbst, daß Regeln allein, ohne Genie, Sprach- und historische Kenntnisse und Uebung, keinen Ausleger bilden. Aber dieses alles mit vorausgesetzt, ist es, zumal für den Anfänger, sehr nützlich, einen wissenschaftlichen Unterricht über richtige Grundsätze zur Auslegung der heiligen Schrift zu erhalten.
55.
Denn 1) jene vorausgesetzten Eigenschaften kann man bei den Wenigsten annehmen, die den Sinn der heiligen Schrift selbst finden wollen. Man müßte schon vorher eine sehr gute Anweisung und Uebung in recht genauer Erklärung alter Schriftsteller gehabt haben, die allerdings die trefflichste Vorbereitung zur Auslegung der Bibel , aber doch
|c61| allein nicht zureichend ist, weil bei dem Eigenthümlichen des Ausdrucks und der Denkart, die in diesen ganz morgenländischen Schriften der Bibel herrscht, noch zugleich andere Grundsätze erfordert werden, welche aus der Natur des
biblischen Sprachgebrauchs und der
eigenthümlichen Art ihres Vortrages abgezogen werden müssen. 2) Auch alsdann, wenn sich jemand mit jenen Eigenschaften dem Studium der heiligen Schrift näherte, würde Vieles von den Grundsätzen oder Vorurtheilen abhängen, die er mitbrächte. Sind diese falsch, so werden alle seine Beobachtungen eine falsche Richtung nehmen, eher zur Bestärkung seiner Irrthümer, als zu ihrer Berichtigung angewendet werden; sind sie aber auch wahr, nur nicht auf deutliche Gründe gebauet, so ist die ganze Art, wie er bei der Auslegung verfährt, sehr unzuverlässig. Um Beides zu verhüten, müßte er doch schon vorher, ehe er sich sichere Regeln abziehen wollte, feste Grundsätze haben, die ihn bei diesem Geschäfte leiteten. Eben diese soll die
Hermeneutik geben und klar machen, die uns schon dadurch große Dienste leisten kann, daß sie uns vor schädlichen Vorurtheilen bei der Auslegung bewahrt, oder sie ausrottet, ehe sie zu feste Wurzeln schlagen. Und wenn nun vollends 3) Andere uns die Gültigkeit der von uns befolgten Regeln abläugnen, so bleibt doch kein anderer Weg übrig, sie zu überzeugen, als der, wo man die bestrittenen Grundsätze auf solche zurückführt, die auch der Gegner nicht abläugnen kann, die sich also auf deutliche Begriffe von der Natur der Auslegung, der Sprachen überhaupt, und derjenigen Sprachen insbesondere, gründen, in welchen die heilige Schrift abgefaßt ist, (z. B. ob und wiefern man die eigentliche Bedeutung der Wörter verlassen dürfe? ob und wiefern die hebräische
|c62| Bedeutung der gutgriechischen vorzuziehen ? wie die
bestimmte Bedeutung derselben zu finden sei?) 4) Auf Manches wird man gar nicht einmal aufmerksam werden, um sich daraus Regeln zu ziehen, wenn man nicht vorher durch guten Unterricht darin erinnert worden ist, oft z. B. nicht einmal an die Möglichkeit einer Erklärung denken, die gerade die richtigste seyn kann, oft an der Bedeutung der Wörter hängen bleiben, und sich daraus einen Sinn zusammensetzen, aber darüber den wahren Sinn ganzer Sätze verlieren. Ueberhaupt aber ist 5) das eigene Auffinden richtiger und fester Grundsätze eine so mühsame Beschäftigung, und die dazu nöthigen Eigenschaften (§.
54. ) sind so selten beisammen, und erfordern so viele Kenntnisse, Scharfsinn und Fleiß in unendlich kleinen Dingen, daß der gewiß Dank und Aufmerksamkeit verdient, der uns diese Beschäftigung durch Mittheilung erprobter Regeln erleichtert, und uns vor Abwegen und Verirrungen bewahrt, wobei wir spät oder gar nicht zum Ziel kommen würden.Denn 1) jene vorausgesetzten Eigenschaften kann man bei den Wenigsten annehmen, die den Sinn der heiligen Schrift selbst finden wollen. Man müßte schon vorher eine sehr gute Anweisung und Uebung in recht genauer Erklärung alter Schriftsteller gehabt haben, die allerdings die trefflichste Vorbereitung zur Auslegung der Bibel , aber doch
|c61| allein nicht zureichend ist, weil bei dem Eigenthümlichen des Ausdrucks und der Denkart, die in diesen ganz morgenländischen Schriften der Bibel herrscht, noch zugleich andere Grundsätze erfordert werden, welche aus der Natur des
biblischen Sprachgebrauchs und der
eigenthümlichen Art ihres Vortrages abgezogen werden müssen. 2) Auch alsdann, wenn sich jemand mit jenen Eigenschaften dem Studium der heiligen Schrift näherte, würde Vieles von den Grundsätzen oder Vorurtheilen abhängen, die er mitbrächte. Sind diese falsch, so werden alle seine Beobachtungen eine falsche Richtung nehmen, eher zur Bestärkung seiner Irrthümer, als zu ihrer Berichtigung angewendet werden; sind sie aber auch wahr, nur nicht auf deutliche Gründe gebauet, so ist die ganze Art, wie er bei der Auslegung verfährt, sehr unzuverlässig. Um Beides zu verhüten, müßte er doch schon vorher, ehe er sich sichere Regeln abziehen wollte, feste Grundsätze haben, die ihn bei diesem Geschäfte leiteten. Eben diese soll die
Hermeneutik geben und klar machen, die uns schon dadurch große Dienste leisten kann, daß sie uns vor schädlichen Vorurtheilen bei der Auslegung bewahrt, oder sie ausrottet, ehe sie zu feste Wurzeln schlagen. Und wenn nun vollends 3) Andere uns die Gültigkeit der von uns befolgten Regeln abläugnen, so bleibt doch kein anderer Weg übrig, sie zu überzeugen, als der, wo man die bestrittenen Grundsätze auf solche zurückführt, die auch der Gegner nicht abläugnen kann, die sich also auf deutliche Begriffe von der Natur der Auslegung, der Sprachen überhaupt, und derjenigen Sprachen insbesondere, gründen, in welchen die heilige Schrift abgefaßt ist, (z. B. ob und wiefern man die eigentliche Bedeutung der Wörter verlassen dürfe? ob und wiefern die hebräische
|c62| Bedeutung der gutgriechischen vorzuziehen ? wie die
bestimmte Bedeutung derselben zu finden sei?) 4) Auf Manches wird man gar nicht einmal aufmerksam werden, um sich daraus Regeln zu ziehen, wenn man nicht vorher durch guten Unterricht darin erinnert worden ist, oft z. B. nicht einmal an die Möglichkeit einer Erklärung denken, die gerade die richtigste seyn kann, oft an der Bedeutung der Wörter hängen bleiben, und sich daraus einen Sinn zusammensetzen, aber darüber den wahren Sinn ganzer Sätze verlieren. Ueberhaupt aber ist 5) das eigene Auffinden richtiger und fester Grundsätze eine so mühsame Beschäftigung, und die dazu nöthigen Eigenschaften (§.
54. ) sind so selten beisammen, und erfordern so viele Kenntnisse, Scharfsinn und Fleiß in unendlich kleinen Dingen, daß der gewiß Dank und Aufmerksamkeit verdient, der uns diese Beschäftigung durch Mittheilung erprobter Regeln erleichtert, und uns vor Abwegen und Verirrungen bewahrt, wobei wir spät oder gar nicht zum Ziel kommen würden.
56.
Wie schwer es überhaupt, und wie unmöglich es für den Anfänger sei, ohne diese Anweisung bei der Bibel sicher fortzukommen, lehrt schon die Erwägung der Kenntnisse, die allen sichern Grundsätzen und Regeln zum Grunde liegen müssen. Denn die biblischen Bücher sind vernünftige Schriften, und in einer verständlichen Sprache abgefaßt – welche aber, wie jede Sprache, ihr Eigenes hat – und die heiligen Schriftsteller hatten eben so ihre eigenthümliche Denkart, Begriffe, und Art sich auszudrucken, wie sie sich in allen diesen auch nach ihren Lesern richten mußten. Daher beruhen die hermeneutischen Grundsätze und
|c63| Regeln bei Erklärung der Bibel 1) auf der Natur des vernünftigen Denkens und der Sprache überhaupt, worüber die Logik Aufschluß geben muß , und in so fern ist die biblische Hermeneutik von der allgemeinen nicht verschieden; 2) auf der Natur der in der heiligen Schrift gebrauchten Grundsprachen; und 3) auf der Kenntniß desjenigen, was die heiligen Schriftsteller und die Leser, für die sie zunächst schrieben, Eigenes hatten. Wenn auch das Erste leicht sollte zu erkennen seyn: so erfordert doch das Zweite und Dritte, wie bisher gezeigt worden, sehr ausgebreitete und feine Kenntnisse, die um so schwerer zu erwerben, um so schwerer mit Ueberzeugung zu fassen sind, je größere Vorurtheile von der ganz eigenen Art eine besondere Behandlung
heiliger aus Eingebung geflossener Bücher sich hier in den Weg legen. (§.
42 –
44. )Wie schwer es überhaupt, und wie unmöglich es für den Anfänger sei, ohne diese Anweisung bei der Bibel sicher fortzukommen, lehrt schon die Erwägung der Kenntnisse, die allen sichern Grundsätzen und Regeln zum Grunde liegen müssen. Denn die biblischen Bücher sind vernünftige Schriften, und in einer verständlichen Sprache abgefaßt – welche aber, wie jede Sprache, ihr Eigenes hat – und die heiligen Schriftsteller hatten eben so ihre eigenthümliche Denkart, Begriffe, und Art sich auszudrucken, wie sie sich in allen diesen auch nach ihren Lesern richten mußten. Daher beruhen die hermeneutischen Grundsätze und
|c63| Regeln bei Erklärung der Bibel 1) auf der Natur des vernünftigen Denkens und der Sprache überhaupt, worüber die Logik Aufschluß geben muß , und in so fern ist die biblische Hermeneutik von der allgemeinen nicht verschieden; 2) auf der Natur der in der heiligen Schrift gebrauchten Grundsprachen; und 3) auf der Kenntniß desjenigen, was die heiligen Schriftsteller und die Leser, für die sie zunächst schrieben, Eigenes hatten. Wenn auch das Erste leicht sollte zu erkennen seyn: so erfordert doch das Zweite und Dritte, wie bisher gezeigt worden, sehr ausgebreitete und feine Kenntnisse, die um so schwerer zu erwerben, um so schwerer mit Ueberzeugung zu fassen sind, je größere Vorurtheile von der ganz eigenen Art eine besondere Behandlung
heiliger aus Eingebung geflossener Bücher sich hier in den Weg legen. (§.
42 –
44. )
Anm. 1. Man sieht hieraus 1) daß die Kenntniß der allgemeinen Hermeneutik, allenfalls durch Beispiele von Schriftstellen erläutert, bei weitem nicht allein zureichend sei, da sie nur den kleinsten und leichtesten Theil der Regeln für die Erklärung der heiligen Schrift enthält; 2) daß sich schon deswegen die biblische Hermeneutik nicht, wie manche Wissenschaften, aus Einem allgemein brauchbaren Grundsatz herleiten lasse, weil sie auf so vielem beruht, das der Bibel eigen ist; und 3) daß, weil die Bücher des neuen Testaments in einer ganz andern Zeit und Sprache, von ganz andern Schriftstellern, nach ganz verschiedenen Absichten, und an ganz andere Leser geschrieben sind, als die Bücher des alten, es weit besser sei, für jedes eine besondere Hermeneutik abzufassen, als für beide eine gemeinschaftliche. Für das alte Testament haben wir in der neuen Bearbeitung von Glassii Philol. sacra von Bauer, eine Hermeneutica V. T., desgleichen von Meyers eine Hermeneutik des A. T., für das N. T. noch |c64| immer ein vortreffliches Buch an Jo. Aug. Ernesti Institutio interpretis N. T. (Edit. 3. Lips. 1775. 8.); verglichen mit Mori acroasibus super hermeneut. N. T. nach Eichstädt's Ausgabe, und Keil's Lehrbuch der reinen Hermeneutik des N. T. Die allgemeinern hermeneutischen Anweisungen oder doch schätzbaren Beiträge dazu s. in meiner Anweisung zur Kenntniß der besten Bücher in der Theol. angeführt §. 94–108.
Anm. 2. Aus andern, als den angegebnen Quellen, können keine Grundsätze und Regeln für die Erklärung hergeleitet werden. Man muß also die biblischen Bücher wie andere menschliche Bücher erklären, und kann sie anders nicht verstehen lernen, als durch rechtmäßigen Gebrauch der hermeneutischen Hülfsmittel. Denn verehren wir sie gleich als durch Gottes Veranstaltung geschriebene Bücher, so ändert doch dieses in der Natur der Bücher nichts, weil Gott darin die heiligen Schriftsteller als Menschen mit Menschen und in verständlichen menschlichen Sprachen hat reden lassen. – Die durchgängige Weisheit, Glaubwürdigkeit und Wahrheit, welche in diesen Büchern herrscht, betrifft nur die sichere Anwendung des entdeckten Sinnes, hat aber in die Entdeckung dieses Sinnes selbst keinen Einfluß. Selbst die Folge daraus, daß kein Sinn einer Stelle, welcher unläugbaren Sätzen widerspricht, der wahre seyn könne, kann nur dienen, manche falsche Erklärungen zu verwerfen, aber nicht die wahren zu treffen. – Und so wahr es ist, daß die frömmere Gesinnung, mit der man den Sinn der heil. Schrift nachforscht, allerdings auch Einfluß in die Auffindung des richtigen Sinnes haben kann: so ists doch nur in so fern wahr, als sie zu gewissenhafterm Gebrauch der natürlichen Hülfsmittel zur Erklärung der Bibel antreibt. – Irgend einen unmittelbaren Einfluß Gottes bei Entdeckung des gedachten Sinnes annehmen, hieße ja Gott beschuldigen, daß er durch unnütze Umwege dem Menschen entdecke, was er ihm geradezu entdecken könnte, ohne daß er erst die Bibel brauchte verstehen |c65| zu lernen. Es ist dieses auch eine eitle Einbildung, die eben so zur Verachtung und Gleichgültigkeit gegen jene einzigen Hülfsmittel verführt, wie falsche Begriffe von dem Göttlichen der Bibel zu den Einbildungen vom vielfachen Sinn einer Schriftstelle, vom natürlichen und übernatürlichen Verstand der heiligen Schrift u. dgl. verführt haben.
57.
Zu der Bekanntschaft mit den Grundsätzen und Regeln der Auslegung heiliger Schrift, muß nothwendig noch
Uebung in dieser Erklärung selbst kommen. (§.
36. und
53. ) Denn 1) ohne diese sind die Regeln bald vergessen; durch sie wird erst ihr Nutzen mehr klar, und die Ueberzeugung von ihrer Wahrheit anschaulich; oder, wenn uns falsche oder unnütze Regeln sollten beigebracht seyn, so kann uns die versuchte Anwendung derselben bei der Erklärung selbst, bald belehren, ob jene unbrauchbar oder unrichtig, oder einer Einschränkung, und welcher? sie bedürftig sind. 2) Bei dieser Uebung können wir immer mehrere Regeln entdecken, entweder so, daß wir selbst durch fleißiges Studieren der Bibel darauf stoßen, oder daß wir sie guten Auslegern, bei Wahrnehmung der Art, wie sie verfahren, ablernen, und dadurch den hermeneutischen Unterricht vervollständigen. 3) Nur erst durch die Uebung machen wir uns diese Grundsätze zu eigen, lernen
selbst, aus eigener Ueberzeugung, die heilige Schrift verstehen, und gewöhnen uns zum exegetischen Gefühl, das einem Ausleger so nöthig ist. Es kann auch alsdann 4) bei anhaltendem Fleiß nicht fehlen, daß wir nicht, indem wir die Schrift mit sich selbst und allen unsern anderweitigen Sprach- und historischen Kenntnissen vergleichen, Manches in derselben sollten besser, oder
|c66| doch überzeugender verstehen lernen, was der Fleiß Anderer zurückgelassen oder verfehlt hat.Zu der Bekanntschaft mit den Grundsätzen und Regeln der Auslegung heiliger Schrift, muß nothwendig noch
Uebung in dieser Erklärung selbst kommen. (§.
36. und
53. ) Denn 1) ohne diese sind die Regeln bald vergessen; durch sie wird erst ihr Nutzen mehr klar, und die Ueberzeugung von ihrer Wahrheit anschaulich; oder, wenn uns falsche oder unnütze Regeln sollten beigebracht seyn, so kann uns die versuchte Anwendung derselben bei der Erklärung selbst, bald belehren, ob jene unbrauchbar oder unrichtig, oder einer Einschränkung, und welcher? sie bedürftig sind. 2) Bei dieser Uebung können wir immer mehrere Regeln entdecken, entweder so, daß wir selbst durch fleißiges Studieren der Bibel darauf stoßen, oder daß wir sie guten Auslegern, bei Wahrnehmung der Art, wie sie verfahren, ablernen, und dadurch den hermeneutischen Unterricht vervollständigen. 3) Nur erst durch die Uebung machen wir uns diese Grundsätze zu eigen, lernen
selbst, aus eigener Ueberzeugung, die heilige Schrift verstehen, und gewöhnen uns zum exegetischen Gefühl, das einem Ausleger so nöthig ist. Es kann auch alsdann 4) bei anhaltendem Fleiß nicht fehlen, daß wir nicht, indem wir die Schrift mit sich selbst und allen unsern anderweitigen Sprach- und historischen Kenntnissen vergleichen, Manches in derselben sollten besser, oder
|c66| doch überzeugender verstehen lernen, was der Fleiß Anderer zurückgelassen oder verfehlt hat.
58.
Zu diesen Uebungen gehören: 1) der Gebrauch guter Vorlesungen über die heilige Schrift, wenn man Gelegenheit dazu hat; 2) guter Ausleger, die sie in Schriften erklärt haben; und 3) eigene Versuche. Man thut wohl, wenn es seyn kann, sich erst richtige Grundsätze und Regeln der Auslegung bekannt zu machen (§.
55. ), und alsdann sogleich zu den Uebungen fortzuschreiten, oder letztere gleich mit dem Unterricht in der Hermeneutik zu verbinden. (§.
57. ) Es ist auch rathsam, die gedachten Uebungen in der angegebenen Ordnung vorzunehmen.Zu diesen Uebungen gehören: 1) der Gebrauch guter Vorlesungen über die heilige Schrift, wenn man Gelegenheit dazu hat; 2) guter Ausleger, die sie in Schriften erklärt haben; und 3) eigene Versuche. Man thut wohl, wenn es seyn kann, sich erst richtige Grundsätze und Regeln der Auslegung bekannt zu machen (§.
55. ), und alsdann sogleich zu den Uebungen fortzuschreiten, oder letztere gleich mit dem Unterricht in der Hermeneutik zu verbinden. (§.
57. ) Es ist auch rathsam, die gedachten Uebungen in der angegebenen Ordnung vorzunehmen.
59.
Denn eben so, wie die Hermeneutik eine sehr nützliche Vorbereitung zum Studium der heiligen Schrift ist, so ist es viel besser, erst andere gute Ausleger zu hören oder zu lesen, als sogleich selbst Versuche in der Auslegung anstellen zu wollen. Jenes ist unstreitig leichter. – Bei andern guten Auslegern kann man eher mehr Bekanntschaft mit den Hülfsmitteln der Auslegung und den Entdeckungen Anderer, so wie mehr Uebung und Fertigkeit voraussetzen, als bei dem Anfänger. – Dieser übersieht zu viel, ist entweder auf Manches nicht aufmerksam, oder bildet sich ein, Manches zu verstehen, was er wirklich nicht versteht; durch Vergleichung der Ausleger lernt er erst, daß Manches ganz anders erklärt werden könne, Manches nicht so sicher sei, als er glaubte, und daß er auf Vieles Acht geben müsse, woran er nicht dachte.Denn eben so, wie die Hermeneutik eine sehr nützliche Vorbereitung zum Studium der heiligen Schrift ist, so ist es viel besser, erst andere gute Ausleger zu hören oder zu lesen, als sogleich selbst Versuche in der Auslegung anstellen zu wollen. Jenes ist unstreitig leichter. – Bei andern guten Auslegern kann man eher mehr Bekanntschaft mit den Hülfsmitteln der Auslegung und den Entdeckungen Anderer, so wie mehr Uebung und Fertigkeit voraussetzen, als bei dem Anfänger. – Dieser übersieht zu viel, ist entweder auf Manches nicht aufmerksam, oder bildet sich ein, Manches zu verstehen, was er wirklich nicht versteht; durch Vergleichung der Ausleger lernt er erst, daß Manches ganz anders erklärt werden könne, Manches nicht so sicher sei, als er glaubte, und daß er auf Vieles Acht geben müsse, woran er nicht dachte.
|c67| Anm. Selbst denken soll freilich ein jeder, d. i. Alles prüfen, und selbst aufsuchen. Aber er kann es doch nicht eher, als bis er die nöthigen Kenntnisse dazu hat; kann auch allein so weit nicht sehen, als wenn er Andere mit zu Hülfe nimmt. Schon von der Kindheit an müssen wir erst von Andern geleitet werden, und lernen, ehe wir selbst gehen oder entdecken können. Dieß ist bei solchen Kenntnissen, wie zur Auslegung der Bibel gehören, unumgänglich nöthig, indem sie sich nicht aus bloßem Nachdenken schöpfen lassen, und bei denen selbst die Beobachtung nicht auf natürliche, sondern, wie Sprachen und Geschichte, auf willkürliche oder zufällige Dinge geht.
60.
Eben so ist es besser, wenn Gelegenheit finden, Vorlesungen guter Ausleger zu benutzen, als gleich anfangs sich an Schriften der Ausleger, zumal an mehrere zugleich, zu halten. Denn außer dem, daß der größte Theil der sogenannten Commentarien schlecht, oder unsern jetzigen Bedürfnissen wenigstens denen eines Anfängers nicht angemessen ist, dieser auch nicht immer die Ausleger kennt, welche für ihn die besten sind, oder sie nicht immer haben kann: so befördert schon der mündliche Vortrag mehr die Aufmerksamkeit; man kann eher bei dem Docenten weitern Unterricht über das einziehen, was man nicht verstanden, oder was uns nicht überzeugt hat; man erspart sich mehr Zeit und Mühe, und wird durch die Abweichungen der Ausleger von einander weniger verwirrt. Der mündliche Lehrer kann seinen Vortrag mehr für das besondere Bedürfniß der Zuhörer einrichten, die er vor sich hat; und, wenn der Docent Geschicklichkeit, Fleiß und Untersuchungsgeist genug besitzt, kann man von ihm eher erwarten, daß er das Beste, und selbst das Neueste, was über die Bibel geleistet wor|c68|den, benutzt, und selbst maches Gute entdeckt haben werde, was man in den Commentarien nicht antrifft.Eben so ist es besser, wenn Gelegenheit finden, Vorlesungen guter Ausleger zu benutzen, als gleich anfangs sich an Schriften der Ausleger, zumal an mehrere zugleich, zu halten. Denn außer dem, daß der größte Theil der sogenannten Commentarien schlecht, oder unsern jetzigen Bedürfnissen wenigstens denen eines Anfängers nicht angemessen ist, dieser auch nicht immer die Ausleger kennt, welche für ihn die besten sind, oder sie nicht immer haben kann: so befördert schon der mündliche Vortrag mehr die Aufmerksamkeit; man kann eher bei dem Docenten weitern Unterricht über das einziehen, was man nicht verstanden, oder was uns nicht überzeugt hat; man erspart sich mehr Zeit und Mühe, und wird durch die Abweichungen der Ausleger von einander weniger verwirrt. Der mündliche Lehrer kann seinen Vortrag mehr für das besondere Bedürfniß der Zuhörer einrichten, die er vor sich hat; und, wenn der Docent Geschicklichkeit, Fleiß und Untersuchungsgeist genug besitzt, kann man von ihm eher erwarten, daß er das Beste, und selbst das Neueste, was über die Bibel geleistet wor|c68|den, benutzt, und selbst maches Gute entdeckt haben werde, was man in den Commentarien nicht antrifft.
61.
Vorlesungen und schriftliche Arbeiten über die heilige Schrift, sind entweder kürzer, und halten sich bloß bei Vorstellung des Wortverstandes auf, oder sie sind weitläufiger, und zeigen entweder durch die Erklärung näher die Art, wie man die Bibel auslegen müsse, oder sie zeigen die Anwendung des gefundenen Verstandes zur Bestimmung desjenigen, was wir nach der heiligen Schrift zu glauben, oder zu thun, oder zu vermeiden haben. Die erstern nennt man cursorische Vorlesungen, oder Scholien; die letztern exegetische Vorlesungen, oder Commentarien.Vorlesungen und schriftliche Arbeiten über die heilige Schrift, sind entweder kürzer, und halten sich bloß bei Vorstellung des Wortverstandes auf, oder sie sind weitläufiger, und zeigen entweder durch die Erklärung näher die Art, wie man die Bibel auslegen müsse, oder sie zeigen die Anwendung des gefundenen Verstandes zur Bestimmung desjenigen, was wir nach der heiligen Schrift zu glauben, oder zu thun, oder zu vermeiden haben. Die erstern nennt man cursorische Vorlesungen, oder Scholien; die letztern exegetische Vorlesungen, oder Commentarien.
62.
In jenen muß der Verstand der heiligen Schrift deutlich dargestellt, durch eine möglichst genaue und treue Uebersetzung, und, wo diese nicht möglich, oder nicht zureichend ist, durch dergleichen Umschreibung ausgedruckt; derselbe aus dem Sprachgebrauch der Bibel, und, wo mehrere Erklärungen möglich sind, aus andern Gründen zugleich einleuchtend gemacht; es müssen die historischen Erläuterungen, wo sie nöthig sind, beigebracht, die anscheinenden Widersprüche oder andere Schwierigkeiten des Verstandes gehoben; merkwürdigere Lesearten, zumal wo sie den Sinn ändern, erwähnt, geprüft, und die gewählte kurz gerechtfertigt; und, wo die Wahl unter mehrern Auslegungen schwerer ist, oder gewisse falsche Erklärungen sehr herrschend sind, und diese nicht schon durch richtige Vor|c69|legung des Sprachgebrauchs wegfallen, sie gegen einander gehalten und abgezogen werden, um den Vorzug des wahrscheinlichsten Sinnes zu zeigen. Auch können noch einige Winke über die Anwendung wichtiger Stellen, und über den großen Werth der Bibel und ihrer Belehrungen hinzukommen. – So eingerichtet sind solche Erläuterungen sehr nützlich, und haben – nach ihrem Zweck, den Sinn der heiligen Schrift aufzuklären – einen weit größern Nutzen, als weitläufigere Commentarien. Man erspart sich dadurch mehr Zeit, so wie unnütze Weitläufigkeit und Zerstreuung, der man in den letztern so sehr ausgesetzt ist. Man wird, bei dem langsamen Eilen, mehr mit dem Ton, Inhalt und Geist der heiligen Schrift bekannt. Man bekommt eine schnellere und mehr dem Geiste gegenwärtige bessere Uebersicht des Ganzen, zumal wenn man die ganze Bibel so durchgehen kann; dadurch zugleich eine treffliche Grundlage der ganzen Theologie; und hat, weil die meisten und besten Ausleger der Bibel in dieser Art der Erklärung gearbeitet haben, den Kern des Besten beisammen, was zur Erläuterung derselben gesagt worden ist.In jenen muß der Verstand der heiligen Schrift deutlich dargestellt, durch eine möglichst genaue und treue Uebersetzung, und, wo diese nicht möglich, oder nicht zureichend ist, durch dergleichen Umschreibung ausgedruckt; derselbe aus dem Sprachgebrauch der Bibel, und, wo mehrere Erklärungen möglich sind, aus andern Gründen zugleich einleuchtend gemacht; es müssen die historischen Erläuterungen, wo sie nöthig sind, beigebracht, die anscheinenden Widersprüche oder andere Schwierigkeiten des Verstandes gehoben; merkwürdigere Lesearten, zumal wo sie den Sinn ändern, erwähnt, geprüft, und die gewählte kurz gerechtfertigt; und, wo die Wahl unter mehrern Auslegungen schwerer ist, oder gewisse falsche Erklärungen sehr herrschend sind, und diese nicht schon durch richtige Vor|c69|legung des Sprachgebrauchs wegfallen, sie gegen einander gehalten und abgezogen werden, um den Vorzug des wahrscheinlichsten Sinnes zu zeigen. Auch können noch einige Winke über die Anwendung wichtiger Stellen, und über den großen Werth der Bibel und ihrer Belehrungen hinzukommen. – So eingerichtet sind solche Erläuterungen sehr nützlich, und haben – nach ihrem Zweck, den Sinn der heiligen Schrift aufzuklären – einen weit größern Nutzen, als weitläufigere Commentarien. Man erspart sich dadurch mehr Zeit, so wie unnütze Weitläufigkeit und Zerstreuung, der man in den letztern so sehr ausgesetzt ist. Man wird, bei dem langsamen Eilen, mehr mit dem Ton, Inhalt und Geist der heiligen Schrift bekannt. Man bekommt eine schnellere und mehr dem Geiste gegenwärtige bessere Uebersicht des Ganzen, zumal wenn man die ganze Bibel so durchgehen kann; dadurch zugleich eine treffliche Grundlage der ganzen Theologie; und hat, weil die meisten und besten Ausleger der Bibel in dieser Art der Erklärung gearbeitet haben, den Kern des Besten beisammen, was zur Erläuterung derselben gesagt worden ist.
Anm. Wenn man gute Vorlesungen dieser Art zu hören keine Gelegenheit haben sollte, so könnten unter den in der Anweisung etc. §. 110. fgg. erwähnten Büchern, in Absicht auf das neue Testament, für den Anfänger, die Rosenmüllerschen Scholia in N. T., hernach aber vorzüglich Bezä und noch vielmehr Grotii Annott. in N. T. oder das neue Testam[.] mit dem von Koppe angefangenen, von Heinrich und Pott fortgesetzten Commentario perpetuo, in Verbindung mit Erasmi Paraphrasibus, dienen; so wie bei dem alten Testament, nebst Franc. Vatabli Anmerkungen, Jo. Christ. Frid. Schulzii und Ge[.] Laur. Baueri Scholia in V. T. oder Ern. Frid. Car. Rosenmülleri Scholia in V. T., verbun|c70|den mit der Dathischen lateinischen Uebersetzung und Anmerkungen über alle Bücher des A. T. in 6 Bänden, und weiterhin der deutschen Uebersetzung und den Anmerkungen zum A. T. von Michaelis. Was über einzelne Bücher noch dienlicher zu der hier gemeinten Absicht ist, kann hier nicht angegeben, sondern muß einer nähern Anweisung zur theologischen Bücherkenntniß überlassen werden. M. s. auch hier die Bibliothek für Prediger, 1ster und 4ter Th.
63.
Ist aber dagegen bei den
biblisch-exegetischen Vorlesungen und weitläufigern
Commentarien (§.
61. ) die Hauptabsicht, die rechte Anwendung der hermeneutischen Grundsätze und Regeln zu zeigen: so muß diese deutlich genug gemacht werden, besonders durch Prüfung und Gegeneinanderhaltung verschiedener Erklärungen. Nützlich genug würde dieses, zumal für den seyn, der sich nicht selbst zu helfen wüßte; aber doch sehr aufhalten und bald ermüden; man könnte sich daher mit Proben bei einigen kürzern Büchern oder schwerern Stellen verschiedener Arten begnügen. – Will man aber, ohne doch die Untersuchung des Wortverstandes zu vernachlässigen, zum rechten
Gebrauch der heiligen Schrift Anweisung geben; so muß gezeigt werden, wie die Beweise für Grundsätze des Glaubens und Lebens ungezwungen aus der vorgetragenen Erklärung fließen, und diese müssen mit andern klaren biblischen Lehren verglichen werden, um den Grund zu einer wahrhaftig biblischen Theologie zu legen. Es können auch die in der heiligen Schrift entdeckten Sachen angewendet werden, falsche Vorstellungen zu beurtheilen, sofern sie in das Praktische einen Einfluß haben, oder herrschend, und dadurch verführerisch werden. Vornehmlich muß man an
|c71| Beispielen zeigen, wie man die aus der Bibel geschöpften Kenntnisse recht praktisch, und zur eigentlichen Erbauung für
uns anwendbar zu machen habe; und darthun, wie fruchtbar und lehrreich sowohl die historischen als die Lehrbücher der heiligen Schrift sind, um, bei dem rechten Nachdenken darüber und bei sorgfältiger Zusammenhaltung der biblischen Belehrungen
mit unsern Bedürfnissen, uns hinlänglich zur Gottseligkeit zu unterrichten. Dieß könnte zugleich eine recht gute Anweisung zu analytischen Predigten werden.Ist aber dagegen bei den
biblisch-exegetischen Vorlesungen und weitläufigern
Commentarien (§.
61. ) die Hauptabsicht, die rechte Anwendung der hermeneutischen Grundsätze und Regeln zu zeigen: so muß diese deutlich genug gemacht werden, besonders durch Prüfung und Gegeneinanderhaltung verschiedener Erklärungen. Nützlich genug würde dieses, zumal für den seyn, der sich nicht selbst zu helfen wüßte; aber doch sehr aufhalten und bald ermüden; man könnte sich daher mit Proben bei einigen kürzern Büchern oder schwerern Stellen verschiedener Arten begnügen. – Will man aber, ohne doch die Untersuchung des Wortverstandes zu vernachlässigen, zum rechten
Gebrauch der heiligen Schrift Anweisung geben; so muß gezeigt werden, wie die Beweise für Grundsätze des Glaubens und Lebens ungezwungen aus der vorgetragenen Erklärung fließen, und diese müssen mit andern klaren biblischen Lehren verglichen werden, um den Grund zu einer wahrhaftig biblischen Theologie zu legen. Es können auch die in der heiligen Schrift entdeckten Sachen angewendet werden, falsche Vorstellungen zu beurtheilen, sofern sie in das Praktische einen Einfluß haben, oder herrschend, und dadurch verführerisch werden. Vornehmlich muß man an
|c71| Beispielen zeigen, wie man die aus der Bibel geschöpften Kenntnisse recht praktisch, und zur eigentlichen Erbauung für
uns anwendbar zu machen habe; und darthun, wie fruchtbar und lehrreich sowohl die historischen als die Lehrbücher der heiligen Schrift sind, um, bei dem rechten Nachdenken darüber und bei sorgfältiger Zusammenhaltung der biblischen Belehrungen
mit unsern Bedürfnissen, uns hinlänglich zur Gottseligkeit zu unterrichten. Dieß könnte zugleich eine recht gute Anweisung zu analytischen Predigten werden.
Anm. Bei einer andern Einrichtung sind solche weitläufige Erklärungen der Bibel unnütz, und dienen mehr zur Zerstreuung und Befestigung in hergebrachten Vorurtheilen. – Uebrigens gehören dergleichen Erläuterungen der Bibel nicht eigentlich zur
exegetischen Theologie, die nur Aufsuchung und Darstellung des Sinnes der heiligen Schrift zur Absicht hat, sondern mehr zur Bildung des künftigen Lehrers
nach der heiligen Schrift. {Gewiß aber würden solche Vorlesungen mehr als die bloße Theorie der Hermeneutik nützen, wenigstens den Namen einer praktischen Homiletik verdienen. Die Collegia biblica, welche die
Spenersche Schule stiftete und empfahl, hatten diese Bestimmung; und mag auch dabei in manchen Stücken gefehlt seyn, so bleibt die Idee doch vortrefflich.
A. d. H.[}]
64.
Nach den bisher angegebenen Eigenschaften biblischer Vorlesungen und Erläuterungsschriften, kann man beurtheilen, ob und wie weit man sich einem solchen Führer anvertrauen könne. Je mehr er sich zur eigentlichen Untersuchung des Verstandes hält, ohne sich bei dem aufzuhalten, was keiner Erklärung bedarf, den Sinn nichts angeht, und zu dessen Aufklärung nichts thut; – je mehr |c72| er sich des biblischen Sprachgebrauchs kundig zeigt, und diesen, durch Hülfe genauer Kenntnisse der Grundsprachen und des feinern Parallelismus der Bibel, deutlich zu machen, und ihn bestimmt anzugeben weiß; – je mehr er sich, mit Hülfe wirklich historischer Kenntnisse, in die wahre Lage derer hinein zu denken versteht, mit und von welchen die heiligen Schriftsteller reden; – je mehr er selbst denkt und untersucht – und nichts zurückläßt, um seinen Lesern oder Zuhörern klare Begriffe von dem Verstande der Bibel, sonderlich bei Erklärung uneigentlicher und der heiligen Schrift eigenthümlicher Ausdrücke zu geben; – je bescheidener er sich zeigt, vornehmlich in Rücksicht auf den verschiedenen Grad der Gewißheit des Sinnes: desto sicherer kann man ihn, obgleich mit steter Prüfung der von ihm angegebenen Gründe, so weit sie uns möglich ist, folgen. – Und alles dieses Gute, die rechte Art der Schrifterklärung, ihm abzulernen, dieß muß eigentlich und weit mehr unser Bestreben seyn, als den jedesmaligen Sinn der einzelnen Stellen zu lernen, weil wir uns ohne dieses Ablernen nie selbst zu guten Auslegern bilden.Nach den bisher angegebenen Eigenschaften biblischer Vorlesungen und Erläuterungsschriften, kann man beurtheilen, ob und wie weit man sich einem solchen Führer anvertrauen könne. Je mehr er sich zur eigentlichen Untersuchung des Verstandes hält, ohne sich bei dem aufzuhalten, was keiner Erklärung bedarf, den Sinn nichts angeht, und zu dessen Aufklärung nichts thut; – je mehr |c72| er sich des biblischen Sprachgebrauchs kundig zeigt, und diesen, durch Hülfe genauer Kenntnisse der Grundsprachen und des feinern Parallelismus der Bibel, deutlich zu machen, und ihn bestimmt anzugeben weiß; – je mehr er sich, mit Hülfe wirklich historischer Kenntnisse, in die wahre Lage derer hinein zu denken versteht, mit und von welchen die heiligen Schriftsteller reden; – je mehr er selbst denkt und untersucht – und nichts zurückläßt, um seinen Lesern oder Zuhörern klare Begriffe von dem Verstande der Bibel, sonderlich bei Erklärung uneigentlicher und der heiligen Schrift eigenthümlicher Ausdrücke zu geben; – je bescheidener er sich zeigt, vornehmlich in Rücksicht auf den verschiedenen Grad der Gewißheit des Sinnes: desto sicherer kann man ihn, obgleich mit steter Prüfung der von ihm angegebenen Gründe, so weit sie uns möglich ist, folgen. – Und alles dieses Gute, die rechte Art der Schrifterklärung, ihm abzulernen, dieß muß eigentlich und weit mehr unser Bestreben seyn, als den jedesmaligen Sinn der einzelnen Stellen zu lernen, weil wir uns ohne dieses Ablernen nie selbst zu guten Auslegern bilden.
65.
Wenn man durch Hören oder Lesen guter Ausleger so weit gekommen ist, daß man theils die heilige Schrift, und deren Sprachgebrauch sowohl, als die nöthigsten historischen Kenntnisse zur Einsicht ihres Sinnes, überhaupt versteht, theils solchen Auslegern die rechte Art, sie zu erklären, abgelernt hat: so schreite man zur eigenen Uebung fort, um sich selbst zur Entdeckung oder Anwendung des Sinnes der Bibel zu gewöhnen. Man kann diese |c73| Uebungen für sich allein, oder, wenn man es haben kann, in Gesellschaft mit Andern vornehmen. Letzteres ist sehr zu rathen, – weil es zum anhaltenden Fleiß und zum Wetteifer ermuntert – weil man durch die Ansichten Anderer, ihre Erinnerungen und Beispiele mehr von der Einbildung, etwas zu verstehen, was man nicht versteht, von Uebereilungen, seichten und ungegründeten Erklärungen und andern Fehlern zurückgebracht wird – und weil Andere uns auf Manches, den Sinn und dessen Bestätigung betreffend, helfen, woran wir nicht gedacht hatten. Am sichersten und nützlichsten wird man es unter Aufsicht eines guten Auslegers thun, der Abschweifungen von dem Zweck dieser Uebungen, und andere diese Absicht zerstörende oder verhindernde Vorfälle verhüten, uns auf Vieles aufmerksam machen, auch Manches noch gelegentlich mittheilen kann.Wenn man durch Hören oder Lesen guter Ausleger so weit gekommen ist, daß man theils die heilige Schrift, und deren Sprachgebrauch sowohl, als die nöthigsten historischen Kenntnisse zur Einsicht ihres Sinnes, überhaupt versteht, theils solchen Auslegern die rechte Art, sie zu erklären, abgelernt hat: so schreite man zur eigenen Uebung fort, um sich selbst zur Entdeckung oder Anwendung des Sinnes der Bibel zu gewöhnen. Man kann diese |c73| Uebungen für sich allein, oder, wenn man es haben kann, in Gesellschaft mit Andern vornehmen. Letzteres ist sehr zu rathen, – weil es zum anhaltenden Fleiß und zum Wetteifer ermuntert – weil man durch die Ansichten Anderer, ihre Erinnerungen und Beispiele mehr von der Einbildung, etwas zu verstehen, was man nicht versteht, von Uebereilungen, seichten und ungegründeten Erklärungen und andern Fehlern zurückgebracht wird – und weil Andere uns auf Manches, den Sinn und dessen Bestätigung betreffend, helfen, woran wir nicht gedacht hatten. Am sichersten und nützlichsten wird man es unter Aufsicht eines guten Auslegers thun, der Abschweifungen von dem Zweck dieser Uebungen, und andere diese Absicht zerstörende oder verhindernde Vorfälle verhüten, uns auf Vieles aufmerksam machen, auch Manches noch gelegentlich mittheilen kann.
66.
Studiert man die Bibel, um immer mehr ihren wahren Verstand zu entdecken: so ist 1) vor allen Dingen nöthig, mit dem Schriftsteller recht vertraut zu werden, dessen Schrift man erklären will, und man thut daher sehr wohl, ehe man sich auf eine nähere Untersuchung des Sinnes eines Buchs einläßt, dieses hinter einander durchzulesen, so ununterbrochen als man kann, und ohne sich mit einzelnen schweren Stellen oder Ausdrücken aufzuhalten, die man fürs Künftige anzeichnen mag; damit uns die ganze Absicht, der ganze Ton des Buchs, und die dem Schriftsteller eigene Art des Ausdrucks, geläufig werde, und aus frischer Lektüre recht gegenwärtig bleibe. Aus dem, was man darüber ehedem mit Aufmerksamkeit gehört oder gelesen hat, wird man schon so viel behalten haben, daß uns das, was |c74| zur allgemeinern Einsicht des Verstandes nothwendig ist, schwerlich entgehen wird. 2) Man zeichne sich dabei gleich bei jeder Stelle (etwa am Rande seines Exemplars) die Stellen an, die, in Gedanken oder Worten, jener ähnlich sind. 3) Wenn man bei dem Lesen, wenigstens der eigentlich zusammenhängenden Bücher, wie die Briefe des neuen Testamentes sind, gefunden hat, was zusammen zu Einem Hauptgedanken gehört: so mache man sich einen kurzen Entwurf der Haupttheile des ganzen Buchs, um das Ganze hernach besser übersehen, und bei Erklärungen einzelner Stellen wissen zu können, wohin sie gehören, und nach welcher Absicht man sie erklären müsse.Studiert man die Bibel, um immer mehr ihren wahren Verstand zu entdecken: so ist 1) vor allen Dingen nöthig, mit dem Schriftsteller recht vertraut zu werden, dessen Schrift man erklären will, und man thut daher sehr wohl, ehe man sich auf eine nähere Untersuchung des Sinnes eines Buchs einläßt, dieses hinter einander durchzulesen, so ununterbrochen als man kann, und ohne sich mit einzelnen schweren Stellen oder Ausdrücken aufzuhalten, die man fürs Künftige anzeichnen mag; damit uns die ganze Absicht, der ganze Ton des Buchs, und die dem Schriftsteller eigene Art des Ausdrucks, geläufig werde, und aus frischer Lektüre recht gegenwärtig bleibe. Aus dem, was man darüber ehedem mit Aufmerksamkeit gehört oder gelesen hat, wird man schon so viel behalten haben, daß uns das, was |c74| zur allgemeinern Einsicht des Verstandes nothwendig ist, schwerlich entgehen wird. 2) Man zeichne sich dabei gleich bei jeder Stelle (etwa am Rande seines Exemplars) die Stellen an, die, in Gedanken oder Worten, jener ähnlich sind. 3) Wenn man bei dem Lesen, wenigstens der eigentlich zusammenhängenden Bücher, wie die Briefe des neuen Testamentes sind, gefunden hat, was zusammen zu Einem Hauptgedanken gehört: so mache man sich einen kurzen Entwurf der Haupttheile des ganzen Buchs, um das Ganze hernach besser übersehen, und bei Erklärungen einzelner Stellen wissen zu können, wohin sie gehören, und nach welcher Absicht man sie erklären müsse.
Anm. 1. Diese gefundenen Haupttheile lassen sich hernach leicht wieder abtheilen, wenn man zu diesen besondern Theilen kommt. Die Abtheilung derselben bis auf einzelne Sätze, oder gar Worte, ist, schwere oder verwickelte Stellen ausgenommen, ganz unnütz, und das ins Kleine gehende Zerstückeln hindert, den ganzen Gedanken deutlich aufzufassen, und das Ganze eines Buchs recht vor Augen zu behalten.
Anm. 2. Freilich muß man vom Leichtern zum Schwerern schreiten, und deswegen scheint es zuträglicher, mit einzelnen Stellen anzufangen, alsdann zu ganzen Abschnitten und so zu ganzen Büchern fortzugehen. Dieses thut man auch bei dem ersten allgemeinern Durchlesen eines Buchs. Aber um einzelne Stellen recht sicher zu verstehen, muß man sie doch im Zusammenhang mit ihrem Abschnitt, und diesen im Zusammenhange mit dem ganzen Buch ansehen. – Eben so könnte es rathsamer scheinen, leichter geschriebene Bücher eher als schwerere, historische z. B. eher als Lehrbücher, zu lesen. Aber erstere geben auch dem eignen Fleiß weniger Beschäftigung und Uebung; sie bekommen ihr Licht mehr durch nach und nach gemachte Entdeckungen erläuternder Umstände, als durch fleißiges Betrachten des Buchs |c75| selbst; Lehrbücher hingegen werden durch ihren Zusammenhang und Theile deutlicher, sind also zur Uebung im Auslegen vortheilhafter.
67.
Kommt man nach allgemeiner Durchlesung eines biblischen Buchs 4) auf einzelne Stellen, so suche man sich ja vornehmlich zu überzeugen, ob man wirklich die Stelle verstehe? Denn dieß bildet man sich gar zu leicht ein, – wenn man einen Ausdruck, oft bloß nach der Etymologie, eine Redensart nach ihren einzelnen Wörtern, übersetzen kann, – wenn uns gewisse Wörter und Formeln sonst geläufig sind; – oder wenn ein aufgefaßter Sinn möglich und denkbar scheint, und man nicht weiß, daß und was für andere Bedeutungen eben derselbe Ausdruck hat, – oder wenn man den eigenen Sprachgebrauch eines Schriftstellers nicht genau kennt.Kommt man nach allgemeiner Durchlesung eines biblischen Buchs 4) auf einzelne Stellen, so suche man sich ja vornehmlich zu überzeugen, ob man wirklich die Stelle verstehe? Denn dieß bildet man sich gar zu leicht ein, – wenn man einen Ausdruck, oft bloß nach der Etymologie, eine Redensart nach ihren einzelnen Wörtern, übersetzen kann, – wenn uns gewisse Wörter und Formeln sonst geläufig sind; – oder wenn ein aufgefaßter Sinn möglich und denkbar scheint, und man nicht weiß, daß und was für andere Bedeutungen eben derselbe Ausdruck hat, – oder wenn man den eigenen Sprachgebrauch eines Schriftstellers nicht genau kennt.
Anm. Beispiele sind vom ersten Fall: Phil. 2, 12. μετὰ φόβου κ. τρόμου τὴν ἑαυτῶν σωτηρίαν κατεργάζεσθε, d. i. nicht: schaffet eure Seligkeit mit Furcht und Zittern, sondern: „arbeitet an Andrer Wohl, doch mit Bescheidenheit (ohne euch über sie zu erheben);“ wo auch ἑαυτῶν statt ἀλλήλων steht; vergl. mit V. 3, 4, 13, 14.; – vom zweiten Fall, der Ausdruck ὑιοὶ τοῦ Θεοῦ, der ganz anders 1 Joh. 5, 1. und Philem. 10, als Matth. 5, 45. und als 1 Joh. 3, 2. steht, aus welchen mit einander verglichenen Stellen sich der allgemeine Sinn leicht abziehen läßt; – vom dritten Fall, σταυρὸς τοῦ Χριστοῦ, ganz anders (von Bedrückungen) Gal. 5, 11. vergl. mit Kap. 6, 12., als 1 Kor. 1, 17. und 18.; – vom vierten, das so mißverstandne ἁμαρτίαν οῦ ποιεῖν 1 Joh. 3, 9. sich vor Sünden zu hüten suchen, nach Johannis eigner Erklärung Kap. 5, 18.
|c76| 68.
Um zu verhüten, daß uns diese so schädliche falsche Einbildung nicht, ohne daß wir es selbst denken, verführe, muß man sich immer fragen:
erstlich, kann ich etwas Deutlicheres, es sei durch Uebersetzung, oder Paraphrase, oder Beschreibung, an dessen Stelle setzen? Kann ich dieses nicht, so verstehe ich es gewiß nicht: kann ich es aber, so folgt noch nicht, daß ich es verstehe; ich kann wenigstens nicht gewiß seyn, daß ich den Sinn getroffen habe; weil Mancher viel
über eine Sache sagen kann, was gar nicht
zur Sache gehört; weil es höchstens beweiset, daß jemand etwas bei einem Ausdruck
denkt, ohne daß er
das dabei denkt, was der Schriftsteller damit sagen wollte; und weil ich den Sinn kann
errathen haben, ohne daß ich ihn mir oder Andern begreiflich machen kann. Ich muß also
hernach Grund angeben können,
warum ich es so verstehen müsse, d. i. zeigen, es schicke sich kein anderer Sinn, oder doch keiner besser hierher, als der, den ich annehme; und diesen muß ich zugleich schlechterdings aus der Sprache rechtfertigen können. Denn ein Sinn kann zwar schicklich, aber nach der Sprache unmöglich, also gewiß nicht der seyn, den der Schriftsteller ausdrucken wollte; auch wird der Sinn weit gewisser, wenn er die Sprache vor sich hat,
1) bleibt hingegen immer etwas zweifelhaft, wenn er nach der Sprache unbegreiflich ist;
2) nicht zu gedenken, daß eine solche Aufklärung aus der Sprache noch den Vortheil gewährt, daß dadurch zugleich ähnliche dunkle Ausdrücke aufgeklärt werden können.
3) Um zu verhüten, daß uns diese so schädliche falsche Einbildung nicht, ohne daß wir es selbst denken, verführe, muß man sich immer fragen:
erstlich, kann ich etwas Deutlicheres, es sei durch Uebersetzung, oder Paraphrase, oder Beschreibung, an dessen Stelle setzen? Kann ich dieses nicht, so verstehe ich es gewiß nicht: kann ich es aber, so folgt noch nicht, daß ich es verstehe; ich kann wenigstens nicht gewiß seyn, daß ich den Sinn getroffen habe; weil Mancher viel
über eine Sache sagen kann, was gar nicht
zur Sache gehört; weil es höchstens beweiset, daß jemand etwas bei einem Ausdruck
denkt, ohne daß er
das dabei denkt, was der Schriftsteller damit sagen wollte; und weil ich den Sinn kann
errathen haben, ohne daß ich ihn mir oder Andern begreiflich machen kann. Ich muß also
hernach Grund angeben können,
warum ich es so verstehen müsse, d. i. zeigen, es schicke sich kein anderer Sinn, oder doch keiner besser hierher, als der, den ich annehme; und diesen muß ich zugleich schlechterdings aus der Sprache rechtfertigen können. Denn ein Sinn kann zwar schicklich, aber nach der Sprache unmöglich, also gewiß nicht der seyn, den der Schriftsteller ausdrucken wollte; auch wird der Sinn weit gewisser, wenn er die Sprache vor sich hat,
1) bleibt hingegen immer etwas zweifelhaft, wenn er nach der Sprache unbegreiflich ist;
2) nicht zu gedenken, daß eine solche Aufklärung aus der Sprache noch den Vortheil gewährt, daß dadurch zugleich ähnliche dunkle Ausdrücke aufgeklärt werden können.
3)
Anm. 1. So sehe ich zwar, daß ἐκένωσε Phil. 2, 7. durch ἐταπείνωσε V. 8. erklärt wird, und daß Gal. 4, 13. die στοιχεῖα τοῦ κόσμου das Judenthum oder das mosaische Gesetz seyn müssen, vergl. V. 9. mit Ebr. 9, 9. Aber |c77| nun muß ich noch jenes aus der Sprache rechtfertigen, indem die Ebräer leer (κενὸν) statt arm setzen, Luc. 1, 53. Richt. 11, 3; und dieses στοιχεῖα eben so, indem ich klar mache, στοιχ. bedeute Bilder, und κόσμος sei Gegensatz gegen das Christenthum, vergl. K. 2, 20. So sollte man auch 1 Kor. 1, 18. σωζομένους von Christen und ἀπολλυμένους von Ungläubigen verstehen, weil jene V. 21. πιστεύοντες heißen; aber man müßte auch σωζ. als das consequens pro antecedente aus Jes. 10, 21. 22. erläutern, wo σώζεσθαι, ἀναστρέφειν und πεποιθέναι ἐπὶ τὸν Θεὸν für einerlei gebraucht werden; und ἀπολλ. daraus, daß es 2 Kor. 4, 3. mit ἀπίστοις V. 4. vertauscht wird, und 1 Kor. 8, 11. jeden bedeutet, der ohne Gewissen handelt.
Anm. 2. So δυνάμεις τοῦ μέλλοντος αἰώνος Ebr. 6, 6. man verstehe es, wie man wolle. Sollte es nicht die christlichen Lehren bedeuten, und mit dem καλ. τοῦ Θεοῦ ῥήματι, vielleicht auch mit der δωρεᾶ ἐπουρανίῳ und dem πνεύματι ἁγίῳ einerlei seyn? insofern αἰὼν ὁ μέλλων, nach jüdischem Sprachgebrauch, das Christenthum ist (vergl. bei Kap. 2, 5. die Ausleger) und δύναμις wie Röm. 1, 16. eine kräftige Lehre heißen kann.
Anm. 3. So werde ich, wenn ich Kol. 3, 5.
τὰ μέλη, nach Pauli eigner Erklärung, von sinnlichen Neigungen verstehe, und es aus dem jüdischen Sprachgebrauch Matth. 5, 29. 30. aufkläre, alsdann auch das
σῶμα τ. ἁμαρτίας
Röm. 6, 6. und das
θνητὸν σῶμα V. 12. daselbst oder Kap. 8, 11. nicht von dem
Leibe, sondern von sinnlichen Neigungen verstehen, die uns ins Verderben (
θάνατον) stürzen.
{Ich lasse die Beispiele des Verfassers unverändert, wiewohl mich die Erklärung nicht überall überzeugt hat.}
69.
Hierdurch kann man sich sehr deutlich von der Nichtigkeit mancher nicht sorgfältig genug zu vermeidenden Vorur
|c78|theile überzeugen, vor welchen besonders 5) der angehende Ausleger der heiligen Schrift sich wohl verwahren muß. Es ist
erstlich ein sehr thörichter Wahn, daß man die Bibel ohne alle Gelehrsamkeit verstehen, und ihren Sinn gleichsam aus ihr selbst entziffern könne.
*) Legt man dabei nicht einmal den Grundtext, sondern eine bloße Uebersetzung, zum Grunde: so ist für sich klar, wie ungegründet diese Hoffnung sei, weil ja in der Uebersetzung der Sinn verfehlt seyn kann; oder in ihr Ausdrücke vorkommen können, die zweideutig sind, und zu falschen Nebenbegriffen verführen, welche im Original nicht liegen; Manches sich auch in einer bloßen Uebersetzung gar nicht ausdrucken läßt; und alle Dunkelheit des Originals, die nicht bloß in den Idiotismen der Grundsprachen liegt, (als welche freilich manchmal durch eine freie Uebersetzung kann gehoben werden), mit in die Uebersetzung übergeht. Hält man sich aber, wie billig, an den Grundtext: so ists ja eben so unmöglich, diesen in fremden und ausgestorbenen Sprachen aufgesetzten Text ohne gelehrte Hülfsmittel zu verstehen, als ohne diese die historischen Kenntnisse zu erlangen, die, wie oben gesagt ist, überall darin zum Grunde liegen; zumal, da diese Sprachen, selbst die griechische des neuen Testaments, so wie die Sprache fast eines jeden biblischen Schriftstellers, wieder ihr Eigenes haben, ja die ganze Sprachweise der Bibel sich so sehr auf morgenländische und jüdische Begriffe, selbst auf Begriffe sehr roher Völker, bezieht, die nothwendig von unsern ungleich mehr aufgeklärten Begriffen sehr verschieden seyn müssen, und daher ein sehr sorgfältiges, sehr ins Kleine gehendes Studium der Geschichte erfordern.Hierdurch kann man sich sehr deutlich von der Nichtigkeit mancher nicht sorgfältig genug zu vermeidenden Vorur
|c78|theile überzeugen, vor welchen besonders 5) der angehende Ausleger der heiligen Schrift sich wohl verwahren muß. Es ist
erstlich ein sehr thörichter Wahn, daß man die Bibel ohne alle Gelehrsamkeit verstehen, und ihren Sinn gleichsam aus ihr selbst entziffern könne.
*) Legt man dabei nicht einmal den Grundtext, sondern eine bloße Uebersetzung, zum Grunde: so ist für sich klar, wie ungegründet diese Hoffnung sei, weil ja in der Uebersetzung der Sinn verfehlt seyn kann; oder in ihr Ausdrücke vorkommen können, die zweideutig sind, und zu falschen Nebenbegriffen verführen, welche im Original nicht liegen; Manches sich auch in einer bloßen Uebersetzung gar nicht ausdrucken läßt; und alle Dunkelheit des Originals, die nicht bloß in den Idiotismen der Grundsprachen liegt, (als welche freilich manchmal durch eine freie Uebersetzung kann gehoben werden), mit in die Uebersetzung übergeht. Hält man sich aber, wie billig, an den Grundtext: so ists ja eben so unmöglich, diesen in fremden und ausgestorbenen Sprachen aufgesetzten Text ohne gelehrte Hülfsmittel zu verstehen, als ohne diese die historischen Kenntnisse zu erlangen, die, wie oben gesagt ist, überall darin zum Grunde liegen; zumal, da diese Sprachen, selbst die griechische des neuen Testaments, so wie die Sprache fast eines jeden biblischen Schriftstellers, wieder ihr Eigenes haben, ja die ganze Sprachweise der Bibel sich so sehr auf morgenländische und jüdische Begriffe, selbst auf Begriffe sehr roher Völker, bezieht, die nothwendig von unsern ungleich mehr aufgeklärten Begriffen sehr verschieden seyn müssen, und daher ein sehr sorgfältiges, sehr ins Kleine gehendes Studium der Geschichte erfordern.
Anm. Nach dieser höchstens nur halb wahren Meinung sind die philosophischen Vorlesungen über das sogenannte neue |c79| Testament, von K. K. S., Leipzig 1785 f., eingerichtet. {Natürlich ist von einer gelehrten Erklärung der heiligen Schrift, nicht von einer populären die Rede. Denn sehr vieles kann allerdings der bloße gesunde Menschenverstand fassen; ja er hat gewiß den Sinn der biblischen Schriftsteller oft besser gefaßt, als Manche, die ihn vor lauter Gelehrsamkeit nicht finden konnten, und lieber das Unnatürlichste wählten, um ihre Sprachkenntniß geltend zu machen.}
70.
Eben so falsch und unbestimmt ist daher
zweitens die Einbildung: man brauche sich nur immer an den Buchstaben zu halten, weil der leichteste Sinn, der sich gleich bei dem Lesen darstellt, sicherlich der beste sei.
*) Man gesteht doch a) selbst zu, daß sehr oft der sich zuerst darstellende Sinn ungereimt sei (wie z. B. in den Stellen, die Gott scheinen zur Ursach des Bösen zu machen). Man bekennt dadurch, daß die Regel trüglich sei: ist also nicht die Gefahr, durch diese Regel verführt zu werden, noch leichter, wenn der Sinn nicht ungereimt, aber dennoch falsch, von den heiligen Schriftstellern erweislich nicht gemeint ist? Man kann b) nicht läugnen, daß die heiligen Schriftsteller, für uns wenigstens, sich hätten deutlicher ausdrucken können; also ist die Einfalt und Leichtigkeit des gefundenen Sinnes kein Kennzeichen, daß er der wahre sei. Und wenn c) in jeder Sprache etwas Charakteristisches liegt, weil jedes Volk seine Sprache nach seinen besondern Begriffen formt: so kann unmöglich der wahre bestimmte Begriff, der mit solchen Ausdrücken verknüpft ist, uns, die wir in unserer Sprache an andere Begriffe gewöhnt sind, der leichteste oder gleich zuerst zu treffende seyn. Er muß also erst durch Kunst, d. i. durch den regelmäßigen Gebrauch
|c80| mancher erst zu erwerbender Hülfsmittel, gefunden werden, daher er, weil diese Einsicht
kunstmäßig erworben ist, von Unwissenden für
gekünstelt, gezwungen, oder weit hergeholt gehalten, und deswegen verworfen wird, ohne zu bemerken, daß, je ungelehrter und unbekannter jemand mit dem Eigenen der Sprachen, der fremden Sitten, Denkungsart u. d. gl. ist, desto ungewöhnlicher ihm auch der richtigste Sinn scheinen müsse.Eben so falsch und unbestimmt ist daher
zweitens die Einbildung: man brauche sich nur immer an den Buchstaben zu halten, weil der leichteste Sinn, der sich gleich bei dem Lesen darstellt, sicherlich der beste sei.
*) Man gesteht doch a) selbst zu, daß sehr oft der sich zuerst darstellende Sinn ungereimt sei (wie z. B. in den Stellen, die Gott scheinen zur Ursach des Bösen zu machen). Man bekennt dadurch, daß die Regel trüglich sei: ist also nicht die Gefahr, durch diese Regel verführt zu werden, noch leichter, wenn der Sinn nicht ungereimt, aber dennoch falsch, von den heiligen Schriftstellern erweislich nicht gemeint ist? Man kann b) nicht läugnen, daß die heiligen Schriftsteller, für uns wenigstens, sich hätten deutlicher ausdrucken können; also ist die Einfalt und Leichtigkeit des gefundenen Sinnes kein Kennzeichen, daß er der wahre sei. Und wenn c) in jeder Sprache etwas Charakteristisches liegt, weil jedes Volk seine Sprache nach seinen besondern Begriffen formt: so kann unmöglich der wahre bestimmte Begriff, der mit solchen Ausdrücken verknüpft ist, uns, die wir in unserer Sprache an andere Begriffe gewöhnt sind, der leichteste oder gleich zuerst zu treffende seyn. Er muß also erst durch Kunst, d. i. durch den regelmäßigen Gebrauch
|c80| mancher erst zu erwerbender Hülfsmittel, gefunden werden, daher er, weil diese Einsicht
kunstmäßig erworben ist, von Unwissenden für
gekünstelt, gezwungen, oder weit hergeholt gehalten, und deswegen verworfen wird, ohne zu bemerken, daß, je ungelehrter und unbekannter jemand mit dem Eigenen der Sprachen, der fremden Sitten, Denkungsart u. d. gl. ist, desto ungewöhnlicher ihm auch der richtigste Sinn scheinen müsse.
Anm. *) M. s. in den Abhandlungen über wichtige Gegenstände der Religion, von Joh. Friedr. Jacobi, Zelle 1772. die dritte.
71.
Eben dieses Eigene, das den Ungelehrten so sehr befremdet, recht kennen zu lernen, ist 6) – außer dem, was schon oben gesagt worden ist (§.
36. ) – nichts unentbehrlicher, als die Bibel mit sich selbst zu vergleichen, um zu sehen, ob und wie die heiligen Schriftsteller sich selbst, entweder ausdrücklich, oder so erklären, daß man aus fleißiger Vergleichung einer Stelle mit andern, ihren Sinn abnehmen kann. Wo dieses ist, da geht man freilich am sichersten, nur daß man nicht die philologischen und historischen Hülfsmittel vernachlässige. (§.
67 –
70. ) Einige Erinnerungen hierüber und Beispiele sind schon oben Theil 1. §.
77. –
80. gegeben worden, und die Hermeneutik muß ein Mehreres darüber lehren.Eben dieses Eigene, das den Ungelehrten so sehr befremdet, recht kennen zu lernen, ist 6) – außer dem, was schon oben gesagt worden ist (§.
36. ) – nichts unentbehrlicher, als die Bibel mit sich selbst zu vergleichen, um zu sehen, ob und wie die heiligen Schriftsteller sich selbst, entweder ausdrücklich, oder so erklären, daß man aus fleißiger Vergleichung einer Stelle mit andern, ihren Sinn abnehmen kann. Wo dieses ist, da geht man freilich am sichersten, nur daß man nicht die philologischen und historischen Hülfsmittel vernachlässige. (§.
67 –
70. ) Einige Erinnerungen hierüber und Beispiele sind schon oben Theil 1. §.
77. –
80. gegeben worden, und die Hermeneutik muß ein Mehreres darüber lehren.
72.
Weil aber die christliche Religion, wie sie Jesus und seine Apostel vorgetragen haben, auf die jüdische gegründet, und den damaligen Begriffen meist jüdischer oder aus dem
|c81| Judenthum kommenden Leser, auch angeschmiegt ist, die Ausdrücke aus dem alten Testamente entlehnt sind, und dadurch der Vortrag hebräisch-griechisch geworden ist: so ist 7) nöthig, auch das alte Testament, dessen Uebersetzungen, besonders die Alexandrinische, fleißig zu studieren, und sich sowohl das Eigene des Ausdrucks, als die Begriffe bekannt zu machen, die in dem alten Testamente liegen, und ins neue übergegangen, nachgeahmt, oder nach der Lehre des Christenthums umgekleidet worden sind. S. Theil 1. §.
162. –
64. Weil aber die christliche Religion, wie sie Jesus und seine Apostel vorgetragen haben, auf die jüdische gegründet, und den damaligen Begriffen meist jüdischer oder aus dem
|c81| Judenthum kommenden Leser, auch angeschmiegt ist, die Ausdrücke aus dem alten Testamente entlehnt sind, und dadurch der Vortrag hebräisch-griechisch geworden ist: so ist 7) nöthig, auch das alte Testament, dessen Uebersetzungen, besonders die Alexandrinische, fleißig zu studieren, und sich sowohl das Eigene des Ausdrucks, als die Begriffe bekannt zu machen, die in dem alten Testamente liegen, und ins neue übergegangen, nachgeahmt, oder nach der Lehre des Christenthums umgekleidet worden sind. S. Theil 1. §.
162. –
64.
73.
Ueberhaupt aber – um auf der einen Seite sich vor allem Gekünstelten zu hüten, und doch auf der andern, die in der Bibel wirklich da liegenden Ideen, in
der mehrern oder mindern Bestimmtheit zu finden, die ihnen die heiligen Schriftsteller gegeben haben, – lese man sie 8) mit dem einfältigen, unbefangenen Kindersinn, der nur
lernen will, was sich uns bei aller angewendeten Aufmerksamkeit darstellen wird. Man gewöhne sich immer mehr, alle unzeitig angebrachte Gelehrsamkeit, d. i. die nicht zur Aufklärung der Dunkelheit des Textes und zur nothwendigen Ueberzeugung von ihrem wahren Sinn erfordert wird, – alles Hinschielen auf theologische Theorie, auf geheimnißvolle Mystik, auf philosophische Hypothesen, – alle Verschönerung der Bibel nach alter und neuer Aesthetik und Dialektik
, – alle Sichtung und romanhafte Umkleidung der wirklich darin erzählten Geschichte, zu entfernen. Man nehme Alles für das, was es ist, und lese es als Briefe, als planlose, einfältige Erzählungen, als Fragmente von übriggebliebenen gelegentlichen Reden der göttlichen Gesandten, als fromme Ausbrüche des von Gotteswahrheit vollen Her
|c82|zens, und reinige diese Antiken nicht von dem Rost, der sie eben zu so ehrwürdigen Antiken macht, glätte nicht das Rauhe, das sie als Denkmale ihrer Zeit und ihres Volks tragen, oder vernichte nicht die natürliche Schönheit und die edle Einfalt, die dem unverdorbenen Gefühl so sehr gefällt. Wer für alles Wahre, Gute und Schöne offen ist, es sei von welcher Art es wolle, wird es gern annehmen, wo und wie er es findet.Ueberhaupt aber – um auf der einen Seite sich vor allem Gekünstelten zu hüten, und doch auf der andern, die in der Bibel wirklich da liegenden Ideen, in
der mehrern oder mindern Bestimmtheit zu finden, die ihnen die heiligen Schriftsteller gegeben haben, – lese man sie 8) mit dem einfältigen, unbefangenen Kindersinn, der nur
lernen will, was sich uns bei aller angewendeten Aufmerksamkeit darstellen wird. Man gewöhne sich immer mehr, alle unzeitig angebrachte Gelehrsamkeit, d. i. die nicht zur Aufklärung der Dunkelheit des Textes und zur nothwendigen Ueberzeugung von ihrem wahren Sinn erfordert wird, – alles Hinschielen auf theologische Theorie, auf geheimnißvolle Mystik, auf philosophische Hypothesen, – alle Verschönerung der Bibel nach alter und neuer Aesthetik und Dialektik
, – alle Sichtung und romanhafte Umkleidung der wirklich darin erzählten Geschichte, zu entfernen. Man nehme Alles für das, was es ist, und lese es als Briefe, als planlose, einfältige Erzählungen, als Fragmente von übriggebliebenen gelegentlichen Reden der göttlichen Gesandten, als fromme Ausbrüche des von Gotteswahrheit vollen Her
|c82|zens, und reinige diese Antiken nicht von dem Rost, der sie eben zu so ehrwürdigen Antiken macht, glätte nicht das Rauhe, das sie als Denkmale ihrer Zeit und ihres Volks tragen, oder vernichte nicht die natürliche Schönheit und die edle Einfalt, die dem unverdorbenen Gefühl so sehr gefällt. Wer für alles Wahre, Gute und Schöne offen ist, es sei von welcher Art es wolle, wird es gern annehmen, wo und wie er es findet.
74.
Mit eben diesem Vorsatz, nur zu
suchen, was man finden wird, und das Gefundene so
anzunehmen, wie man es gefunden hat, müßten auch die eigenen
Uebungen (§.
58. ) unternommen werden, wodurch man eine Fertigkeit erlangen will, die heilige Schrift
zur Erbauung anzuwenden, d. i. ihren Inhalt sich und Andern recht nützlich zu machen. Besondere Regeln darüber zu geben, ist hier der Ort so wenig, als zu besondern Regeln der Auslegung, die der Hermeneutik überlassen werden müssen. Vielleicht lassen sich darüber gar nicht einmal bestimmte Regeln geben, weil hierbei so vieles auf das besondere Bedürfniß eines jeden ankommt, nach dem die Anwendung sehr verschieden ausfallen muß; wenigstens sind der guten Muster dieser Anwendung, nach wirklich festen und wohlüberdachten Grundsätzen, noch so wenig vorhanden, und eine eigentliche Theorie dieser Anwendung noch gar nicht, so höchst nutzbar sie auch zur Bildung eines christlichen Religionslehrers seyn würde. Hier also nur einige allgemeinere Erinnerungen über diesen Gegenstand.Mit eben diesem Vorsatz, nur zu
suchen, was man finden wird, und das Gefundene so
anzunehmen, wie man es gefunden hat, müßten auch die eigenen
Uebungen (§.
58. ) unternommen werden, wodurch man eine Fertigkeit erlangen will, die heilige Schrift
zur Erbauung anzuwenden, d. i. ihren Inhalt sich und Andern recht nützlich zu machen. Besondere Regeln darüber zu geben, ist hier der Ort so wenig, als zu besondern Regeln der Auslegung, die der Hermeneutik überlassen werden müssen. Vielleicht lassen sich darüber gar nicht einmal bestimmte Regeln geben, weil hierbei so vieles auf das besondere Bedürfniß eines jeden ankommt, nach dem die Anwendung sehr verschieden ausfallen muß; wenigstens sind der guten Muster dieser Anwendung, nach wirklich festen und wohlüberdachten Grundsätzen, noch so wenig vorhanden, und eine eigentliche Theorie dieser Anwendung noch gar nicht, so höchst nutzbar sie auch zur Bildung eines christlichen Religionslehrers seyn würde. Hier also nur einige allgemeinere Erinnerungen über diesen Gegenstand.
|c83| 75.
Wer sich also in rechter Anwendung der heil. Schrift üben wollte – und dieses wird auch hier am vortheilhaftesten auf die §.
65. erwähnte Art geschehen können – der müßte 1) sich schlechterdings nicht hierbei bloß durch seinen frommen Sinn, seine Willkür und Phantasie leiten lassen, sondern stets auf eine richtige Auslegung der heiligen Schrift bauen, und daher auf die Grundsätze, die oben berührt worden sind; sonst
lernt er nicht wirklich aus der heiligen Schrift, und ist in Gefahr, Gedanken, die durch Lesen der Bibel allenfalls
veranlaßt worden sind, mit den
Belehrungen aus der Bibel selbst, zu verwechseln. 2) Er müßte daher nicht über seine
besonderen Angelegenheiten die Bibel gleichsam als ein Orakel befragen, und
finden wollen was er wünschte; – denn, was das Herz wünscht, glaubt der Verstand leicht auch gefunden zu haben, glaubt Manches zu sehen, woran die heiligen Schriftsteller nicht gedacht haben; – sondern er müßte, in Rücksicht auf sein Bedürfniß überhaupt, d. i. auf Belehrung zu seinem Trost und zu seiner Besserung, die heilige Schrift und deren Theile studieren, in festem Vetrauen auf Gott, er werde ihm, bei wahrer Begierde sich belehren zu lassen, und bei stets angewendetem gewissenhaften Gebrauch der rechten Hülfsmittel, gewiß das, und so viel wahrnehmen lassen, was und wie er es zu seinem Bedürfniß jedesmal gebraucht und tragen kann. Eben dieses gefühlte Bedürfniß macht gerade bei Lesung eines Buchs auf das am aufmerksamsten, was man gerade am meisten nöthig hat.Wer sich also in rechter Anwendung der heil. Schrift üben wollte – und dieses wird auch hier am vortheilhaftesten auf die §.
65. erwähnte Art geschehen können – der müßte 1) sich schlechterdings nicht hierbei bloß durch seinen frommen Sinn, seine Willkür und Phantasie leiten lassen, sondern stets auf eine richtige Auslegung der heiligen Schrift bauen, und daher auf die Grundsätze, die oben berührt worden sind; sonst
lernt er nicht wirklich aus der heiligen Schrift, und ist in Gefahr, Gedanken, die durch Lesen der Bibel allenfalls
veranlaßt worden sind, mit den
Belehrungen aus der Bibel selbst, zu verwechseln. 2) Er müßte daher nicht über seine
besonderen Angelegenheiten die Bibel gleichsam als ein Orakel befragen, und
finden wollen was er wünschte; – denn, was das Herz wünscht, glaubt der Verstand leicht auch gefunden zu haben, glaubt Manches zu sehen, woran die heiligen Schriftsteller nicht gedacht haben; – sondern er müßte, in Rücksicht auf sein Bedürfniß überhaupt, d. i. auf Belehrung zu seinem Trost und zu seiner Besserung, die heilige Schrift und deren Theile studieren, in festem Vetrauen auf Gott, er werde ihm, bei wahrer Begierde sich belehren zu lassen, und bei stets angewendetem gewissenhaften Gebrauch der rechten Hülfsmittel, gewiß das, und so viel wahrnehmen lassen, was und wie er es zu seinem Bedürfniß jedesmal gebraucht und tragen kann. Eben dieses gefühlte Bedürfniß macht gerade bei Lesung eines Buchs auf das am aufmerksamsten, was man gerade am meisten nöthig hat.
76.
Eben deswegen müßte er 3) sich, wenn er diese Absicht hat, weder bei den Stellen aufhalten, die er nicht ver|c84|steht, noch bei irgend einer Sache, die nicht zu der eben genannten allgemeinern Erbauung dient, sondern bloß Neugier oder vielmehr Vorwitz befriedigt; müßte 4) stets den großen Unterschied vor Augen behalten, zwischen seinen oder den Umständen derer, die er aus der heiligen Schrift erbauen will, und zwischen den Umständen dererjenigen, an welche, oder für deren Bedürfniß zunächst die biblischen Bücher geschrieben sind, oder die in der heiligen Schrift als redend oder handelnd aufgeführt werden; so wie den Unterschied der so sehr stufenweise in der Bibel bekannt gemachten Offenbarung Gottes, um danach die Anwendung mit Vorsicht und Weisheit zu machen; auch deswegen 5) die Bücher der heiligen Schrift und die Theile derselben am meisten studieren, welche das Allgemeine, für jedermann Nutzbare, enthalten, oder für ihn und Andere, die er aus der Bibel belehren will, die deutlichsten, lehrreichsten und eindrücklichsten sind, ohne deswegen die andern ganz bei Seite zu legen, aus welchen man, wie z. B. aus den historischen oder nach der Denkungsart damaliger Leser eingerichteten Stellen, nach der Analogie Lehrreiches genug herausziehen kann, oder worin der Gelehrtere Manches noch Lehrreichere für sich zu finden weiß, als in andern allgemeiner erbauenden Büchern . Aus eben dieser Ursach müßte er sich 6) nicht an jedes Wort, Bild oder jeden Gedanken in der Bibel halten – den Fall ausgenommen, wo dergleichen keine besondere Beziehung auf damalige Leser und deren besondere Umstände verräth, und wo es etwas für uns besonders Lehrreiches und Eindrückliches enthält – noch weniger allgemeine Lehrsätze oder ganze Theorieen darauf bauen; sondern mehr auf die Hauptvorstellung, welche in einer Stelle liegt, und auf das Verhältniß, in welchem dieses |c85| Einzelne mit dem ganzen göttlichen Unterricht in der Bibel steht; und 7) nach dem, worauf ihn der Unterricht der Bibel aufmerksam gemacht hat, sich und alle Veränderungen, die er in der Welt wahrnimmt, fleißig beobachten, um einen Schatz von Erfahrungen zu sammeln, wodurch die Ueberzeugung von der Wahrheit und Nutzbarkeit der biblischen Belehrungen befestigt, und dieser biblische Unterricht immer mehr erweitert und fühlbarer gemacht werden kann.Eben deswegen müßte er 3) sich, wenn er diese Absicht hat, weder bei den Stellen aufhalten, die er nicht ver|c84|steht, noch bei irgend einer Sache, die nicht zu der eben genannten allgemeinern Erbauung dient, sondern bloß Neugier oder vielmehr Vorwitz befriedigt; müßte 4) stets den großen Unterschied vor Augen behalten, zwischen seinen oder den Umständen derer, die er aus der heiligen Schrift erbauen will, und zwischen den Umständen dererjenigen, an welche, oder für deren Bedürfniß zunächst die biblischen Bücher geschrieben sind, oder die in der heiligen Schrift als redend oder handelnd aufgeführt werden; so wie den Unterschied der so sehr stufenweise in der Bibel bekannt gemachten Offenbarung Gottes, um danach die Anwendung mit Vorsicht und Weisheit zu machen; auch deswegen 5) die Bücher der heiligen Schrift und die Theile derselben am meisten studieren, welche das Allgemeine, für jedermann Nutzbare, enthalten, oder für ihn und Andere, die er aus der Bibel belehren will, die deutlichsten, lehrreichsten und eindrücklichsten sind, ohne deswegen die andern ganz bei Seite zu legen, aus welchen man, wie z. B. aus den historischen oder nach der Denkungsart damaliger Leser eingerichteten Stellen, nach der Analogie Lehrreiches genug herausziehen kann, oder worin der Gelehrtere Manches noch Lehrreichere für sich zu finden weiß, als in andern allgemeiner erbauenden Büchern . Aus eben dieser Ursach müßte er sich 6) nicht an jedes Wort, Bild oder jeden Gedanken in der Bibel halten – den Fall ausgenommen, wo dergleichen keine besondere Beziehung auf damalige Leser und deren besondere Umstände verräth, und wo es etwas für uns besonders Lehrreiches und Eindrückliches enthält – noch weniger allgemeine Lehrsätze oder ganze Theorieen darauf bauen; sondern mehr auf die Hauptvorstellung, welche in einer Stelle liegt, und auf das Verhältniß, in welchem dieses |c85| Einzelne mit dem ganzen göttlichen Unterricht in der Bibel steht; und 7) nach dem, worauf ihn der Unterricht der Bibel aufmerksam gemacht hat, sich und alle Veränderungen, die er in der Welt wahrnimmt, fleißig beobachten, um einen Schatz von Erfahrungen zu sammeln, wodurch die Ueberzeugung von der Wahrheit und Nutzbarkeit der biblischen Belehrungen befestigt, und dieser biblische Unterricht immer mehr erweitert und fühlbarer gemacht werden kann.
77.
In Absicht auf die Herleitung des christlichen Lehrbegriffs aus der heiligen Schrift, müßte man nicht nur auf das sehen, was zur Erweiterung unserer Kenntnisse davon, und zu mehrerer Berichtigung, Bestätigung und näherer Bestimmung unserer Begriffe von demselben dienlich ist, sondern auch stets darüber nachdenken, wie fern er zu unserer wahren Beruhigung sowohl als zur Ueberzeugung von unsern Pflichten, und der rechten Art, sie auszuüben, auch zur kräftigsten Ermunterung dazu, irgend etwas beitragen kann. – Bei allen Uebungen aber, sie mögen die Entdeckung des Sinnes der heiligen Schrift oder ihre Anwendung betreffen, müssen wir stets für immer weitere und bessere Belehrung offen, und sie anzunehmen willig bleiben, und daher auch Anderer Bemühungen zu beiderlei Zweck möglichst unparteiisch zu benutzen suchen.In Absicht auf die Herleitung des christlichen Lehrbegriffs aus der heiligen Schrift, müßte man nicht nur auf das sehen, was zur Erweiterung unserer Kenntnisse davon, und zu mehrerer Berichtigung, Bestätigung und näherer Bestimmung unserer Begriffe von demselben dienlich ist, sondern auch stets darüber nachdenken, wie fern er zu unserer wahren Beruhigung sowohl als zur Ueberzeugung von unsern Pflichten, und der rechten Art, sie auszuüben, auch zur kräftigsten Ermunterung dazu, irgend etwas beitragen kann. – Bei allen Uebungen aber, sie mögen die Entdeckung des Sinnes der heiligen Schrift oder ihre Anwendung betreffen, müssen wir stets für immer weitere und bessere Belehrung offen, und sie anzunehmen willig bleiben, und daher auch Anderer Bemühungen zu beiderlei Zweck möglichst unparteiisch zu benutzen suchen.
|c86| Zusatz des Herausgebers.
Vielleicht erwarteten manche Leser, in diesem Abschnitt über die rechte Art und Weise der Schriftauslegung, um so mehr Einiges über die durch Kant vorgeschlagene, und von Vielen allzuschnell ergriffene, ja selbst häufig mißverstandene moralische Interpretation, da der selige Nösselt sich selbt in einem eignen Programm bestimmt gegen sie erklärt hatte. Da er sie gleichwohl hier unberührt gelassen hat, so dürften folgende kurze Bemerkungen darüber nicht überflüssig seyn.Vielleicht erwarteten manche Leser, in diesem Abschnitt über die rechte Art und Weise der Schriftauslegung, um so mehr Einiges über die durch Kant vorgeschlagene, und von Vielen allzuschnell ergriffene, ja selbst häufig mißverstandene moralische Interpretation, da der selige Nösselt sich selbt in einem eignen Programm bestimmt gegen sie erklärt hatte. Da er sie gleichwohl hier unberührt gelassen hat, so dürften folgende kurze Bemerkungen darüber nicht überflüssig seyn.
Kant – überall bemüht, sein System mit dem von ihm hochgeachteten christlichen System nicht nur der Moral, sondern auch der Dogmatik, in Harmonie zu bringen – versuchte in seiner „Religion innerhalb der Gränzen der bloßen Vernunft“ unter andern auch, manche Aussprüche der heiligen Schrift auf eine solche Art zu deuten, daß dadurch eine wenigstens scheinbare Harmonie mit seinen philosophischen Begriffen und Lehren entstünde. Da es auch scheinen könnte, als ob Manches in der Bibel den Aussprüchen der Vernunft, und selbst einer strengern Moral widerspräche, so stellte er den Satz auf, über dem grammatischen Interpreten stehe der moralische Schriftausleger bei jedem Buch, das für eine göttliche Offenbarung gelten solle. Es lasse sich a priori annehmen, daß eine Offenbarung nichts enthalten könne, was der Vernunft oder der Moral zuwider sei. Dieß sei ein unumstößliches Postulat. Wenn also auch der Philologe in einer Schriftstelle einen Sinn, den dieser Vorwurf treffe, finden sollte, so könne dieß in einer heiligen Schrift nicht der wahre Sinn seyn, und unter zwei möglichen Erklärungen müsse stets die, welche am |c87| meisten moralisch sei, vorgezogen werden. (Röm. 12, 20. würden also die Worte: „so wirst du feurige Kohlen auf sein Haupt sammeln“ schon darum richtiger von der Beschämung des großmüthig Behandelten, oder von der Wärme der Liebe, als „von dem Herabziehen der göttlichen Strafen“ erklärt werden, weil jenes ein reineres Motiv und eine edlere Handlungsweise bezeichne.)Kant – überall bemüht, sein System mit dem von ihm hochgeachteten christlichen System nicht nur der Moral, sondern auch der Dogmatik, in Harmonie zu bringen – versuchte in seiner „Religion innerhalb der Gränzen der bloßen Vernunft“ unter andern auch, manche Aussprüche der heiligen Schrift auf eine solche Art zu deuten, daß dadurch eine wenigstens scheinbare Harmonie mit seinen philosophischen Begriffen und Lehren entstünde. Da es auch scheinen könnte, als ob Manches in der Bibel den Aussprüchen der Vernunft, und selbst einer strengern Moral widerspräche, so stellte er den Satz auf, über dem grammatischen Interpreten stehe der moralische Schriftausleger bei jedem Buch, das für eine göttliche Offenbarung gelten solle. Es lasse sich a priori annehmen, daß eine Offenbarung nichts enthalten könne, was der Vernunft oder der Moral zuwider sei. Dieß sei ein unumstößliches Postulat. Wenn also auch der Philologe in einer Schriftstelle einen Sinn, den dieser Vorwurf treffe, finden sollte, so könne dieß in einer heiligen Schrift nicht der wahre Sinn seyn, und unter zwei möglichen Erklärungen müsse stets die, welche am |c87| meisten moralisch sei, vorgezogen werden. (Röm. 12, 20. würden also die Worte: „so wirst du feurige Kohlen auf sein Haupt sammeln“ schon darum richtiger von der Beschämung des großmüthig Behandelten, oder von der Wärme der Liebe, als „von dem Herabziehen der göttlichen Strafen“ erklärt werden, weil jenes ein reineres Motiv und eine edlere Handlungsweise bezeichne.)
Man that Kanten Unrecht, wenn man ihn hiernach als einen Verächter der gelehrten Schriftauslegung betrachtete. Er drückte sich nur, nach seiner Weise, etwas paradox aus. Auch wollte er ja nur da so verfahren wissen, wo man die Bibel zu praktisch-religiösen Zwecken benutzte. Darin that er nichts anders, als was so viele Kirchenväter, und besonders alle allegorischen Schriftausleger gethan hatten. Wo ihnen der buchstäbliche Sinn nicht fruchtbar, wohl gar anstößig erschien, da legten sie einen andern Sinn den Worten unter, vergeistigten gleichsam das zu Sinnliche, und ahmten hierin die ältern Weltweisen nach, die auch die alten Dichter auf diesem Wege praktisch zu benutzen, und verständlich zu machen suchten. (M. s. viele Beispiele bei Plutarch de audiendis poetis.)Man that Kanten Unrecht, wenn man ihn hiernach als einen Verächter der gelehrten Schriftauslegung betrachtete. Er drückte sich nur, nach seiner Weise, etwas paradox aus. Auch wollte er ja nur da so verfahren wissen, wo man die Bibel zu praktisch-religiösen Zwecken benutzte. Darin that er nichts anders, als was so viele Kirchenväter, und besonders alle allegorischen Schriftausleger gethan hatten. Wo ihnen der buchstäbliche Sinn nicht fruchtbar, wohl gar anstößig erschien, da legten sie einen andern Sinn den Worten unter, vergeistigten gleichsam das zu Sinnliche, und ahmten hierin die ältern Weltweisen nach, die auch die alten Dichter auf diesem Wege praktisch zu benutzen, und verständlich zu machen suchten. (M. s. viele Beispiele bei Plutarch de audiendis poetis.)
Gleichwohl hat man eine solche moralische Schriftinterpretation eigentlich nicht nöthig. Sie führt doch nur zur Verwirrung, und kann nie ein festes Princip haben. Sie trägt in die Schriftstellen eigne Gedanken hinein. Sie ist höchstens erbauliche Anwendung, nicht Interpretation. Diese beruht allein auf Sprache, Logik und dem Historischen, sofern es den Sinn eines Autors erläutern kann.Gleichwohl hat man eine solche moralische Schriftinterpretation eigentlich nicht nöthig. Sie führt doch nur zur Verwirrung, und kann nie ein festes Princip haben. Sie trägt in die Schriftstellen eigne Gedanken hinein. Sie ist höchstens erbauliche Anwendung, nicht Interpretation. Diese beruht allein auf Sprache, Logik und dem Historischen, sofern es den Sinn eines Autors erläutern kann.
Was man neuerlich auch von einer hievon noch verschiedenen religiösen Auslegung geäußert hat, scheint nichts |c88| anders, als den unbestrittenen Satz auszudrücken, daß, je mehr der Ausleger Geistesverwandter seines Schriftstellers sei, desto besser werde er ihn auch verstehen und fassen. – Wie eine dichterische Natur einen Dichter, so verstehe ein religiöses Gemüth einen religiösen Autor am besten. Soll etwas anders damit gesagt werden, so öffnet es aller Schwärmerei die Thür, und jeder Fanatiker kann sich dann – wie sie pflegen – anmaßen, am tiefsten in die Geheimnisse einer heiligen Schrift einzudringen, deren Sinn den Gelehrten verborgen sei. Vor einem solchen Princip wird uns der bessere Geist der Zeit bewahren, wie sehr auch das Zeitalter sich hier und da zur Geringschätzung der Vernunft hinneigen mag.Was man neuerlich auch von einer hievon noch verschiedenen religiösen Auslegung geäußert hat, scheint nichts |c88| anders, als den unbestrittenen Satz auszudrücken, daß, je mehr der Ausleger Geistesverwandter seines Schriftstellers sei, desto besser werde er ihn auch verstehen und fassen. – Wie eine dichterische Natur einen Dichter, so verstehe ein religiöses Gemüth einen religiösen Autor am besten. Soll etwas anders damit gesagt werden, so öffnet es aller Schwärmerei die Thür, und jeder Fanatiker kann sich dann – wie sie pflegen – anmaßen, am tiefsten in die Geheimnisse einer heiligen Schrift einzudringen, deren Sinn den Gelehrten verborgen sei. Vor einem solchen Princip wird uns der bessere Geist der Zeit bewahren, wie sehr auch das Zeitalter sich hier und da zur Geringschätzung der Vernunft hinneigen mag.