Zweiter Abschnitt.
Historische Theologie.

78.

Es ist eine überaus lehrreiche Beschäftigung, dem Gange nachzuforschen, welchen die Religion in der Welt, bei so verschiedenen Fähigkeiten, Hülfsmitteln, Neigungen, Sitten und Verbindungen der Menschen unter einander, genommen hat, man betrachte sie nun als Erkenntniß Gottes und des Verhältnisses zwischen ihm und den Menschen, oder als Dienst desselben, d. i. als Verehrung Gottes durch Gesinnungen oder äußere Handlungen, die auf Religion gegründet sind. Eine allgemeine Geschichte der Religion müßte, in Rücksicht auf die Erkenntniß Gottes, lehren, |c89| was nach und nach und hie und da, unter den Menschen, in Absicht auf diesen Gegenstand, für Wahrheiten oder Irrthümer, Ueberzeugungen, Vorurtheile und Zweifel geherrscht, aus was für Quellen, oder durch welche Veranlassung sie entsprungen, und wodurch sie befördert oder vermindert sind; was für merkwürdige Veränderungen dadurch in der Denkungsart, dem Charakter, den Sitten der Menschen und ganzer Völker, selbst in ihren äußerlichen Einrichtungen und Schicksalen, allmählig hervorgebracht worden; – in Rücksicht aber auf den Dienst oder die Verehrung Gottes, oder die Wirkungen dieser Begriffe auf Empfindungen und Handlungen, wie sich diese Empfindungen geäußert, durch was für Anstalten und Mittel das Wachsthum oder die Abnahme religiöser Gesinnungen und Handlungen, auch des äußerlichen Gottesdienstes, befördert worden; und wie sie auf den äußern Gottesdienst (Cultus) gewirkt, und umgekehrt , welche gottesdienstlichen Handlungen auf die Veränderung der Erkenntniß Gottes, wie und auf welche Theile derselben sie Einfluß gehabt haben.Es ist eine überaus lehrreiche Beschäftigung, dem Gange nachzuforschen, welchen die Religion in der Welt, bei so verschiedenen Fähigkeiten, Hülfsmitteln, Neigungen, Sitten und Verbindungen der Menschen unter einander, genommen hat, man betrachte sie nun als Erkenntniß Gottes und des Verhältnisses zwischen ihm und den Menschen, oder als Dienst desselben, d. i. als Verehrung Gottes durch Gesinnungen oder äußere Handlungen, die auf Religion gegründet sind. Eine allgemeine Geschichte der Religion müßte, in Rücksicht auf die Erkenntniß Gottes, lehren, |c89| was nach und nach und hie und da, unter den Menschen, in Absicht auf diesen Gegenstand, für Wahrheiten oder Irrthümer, Ueberzeugungen, Vorurtheile und Zweifel geherrscht, aus was für Quellen, oder durch welche Veranlassung sie entsprungen, und wodurch sie befördert oder vermindert sind; was für merkwürdige Veränderungen dadurch in der Denkungsart, dem Charakter, den Sitten der Menschen und ganzer Völker, selbst in ihren äußerlichen Einrichtungen und Schicksalen, allmählig hervorgebracht worden; – in Rücksicht aber auf den Dienst oder die Verehrung Gottes, oder die Wirkungen dieser Begriffe auf Empfindungen und Handlungen, wie sich diese Empfindungen geäußert, durch was für Anstalten und Mittel das Wachsthum oder die Abnahme religiöser Gesinnungen und Handlungen, auch des äußerlichen Gottesdienstes, befördert worden; und wie sie auf den äußern Gottesdienst (Cultus) gewirkt, und umgekehrt , welche gottesdienstlichen Handlungen auf die Veränderung der Erkenntniß Gottes, wie und auf welche Theile derselben sie Einfluß gehabt haben.

79.

Alle Kenntnisse, welche diese Geschichte der Religion betreffen, rechnet man zur historischen Theologie, nach dem weitern Begriff, den man dem Namen der Theologie untergelegt hat (§. 2. und 3. ): und so würde dieser Theil der Theologie, als eine Wissenschaft betrachtet, nichts anders seyn, als Geschichte der Religion in ihrem ganzen Umfange , die alle merkwürdigere Veränderungen der Erkenntniß und des Dienstes Gottes aller Zeiten und Völker begreifen müßte. Weil aber diese Wissenschaft von einem unübersehlichen Umfang seyn würde, wenn sie |c90| nur einigermaßen das leisten sollte, was der Name einer solchen allgemeinen Geschichte verspricht, und uns von den meisten, wenigstens allen barbarischen Völkern, Jahrtausende hindurch die Nachrichten dieser Art entweder ganz fehlen, oder so mangelhaft und unsicher sind, daß sich keine eigentliche zusammenhängende Geschichte davon liefern läßt: so schränkt man sich gemeiniglich nur auf die Geschichte der in der Bibel enthaltenen Religion und der darauf gegründeten Gesellschaften, d. i. auf die Kirchengeschichte, ein; zumal da es gewöhnlich ist, das Wort Theologie vornehmlich und eigentlich von der biblischen zu verstehen.Alle Kenntnisse, welche diese Geschichte der Religion betreffen, rechnet man zur historischen Theologie, nach dem weitern Begriff, den man dem Namen der Theologie untergelegt hat (§. 2. und 3. ): und so würde dieser Theil der Theologie, als eine Wissenschaft betrachtet, nichts anders seyn, als Geschichte der Religion in ihrem ganzen Umfange , die alle merkwürdigere Veränderungen der Erkenntniß und des Dienstes Gottes aller Zeiten und Völker begreifen müßte. Weil aber diese Wissenschaft von einem unübersehlichen Umfang seyn würde, wenn sie |c90| nur einigermaßen das leisten sollte, was der Name einer solchen allgemeinen Geschichte verspricht, und uns von den meisten, wenigstens allen barbarischen Völkern, Jahrtausende hindurch die Nachrichten dieser Art entweder ganz fehlen, oder so mangelhaft und unsicher sind, daß sich keine eigentliche zusammenhängende Geschichte davon liefern läßt: so schränkt man sich gemeiniglich nur auf die Geschichte der in der Bibel enthaltenen Religion und der darauf gegründeten Gesellschaften, d. i. auf die Kirchengeschichte, ein; zumal da es gewöhnlich ist, das Wort Theologie vornehmlich und eigentlich von der biblischen zu verstehen.
Anm. 1. Diejenigen, welche eine Geschichte der Religionen, auch derer, die sich nicht auf die heilige Schrift gründen, zu entwerfen unternommen haben, geben doch eigentlich nur eine Religionsgeschichte einiger bekannten Völker, die noch dazu sehr dürftig und unzuverlässig ist, wie man sich leicht überzeugen kann, wenn man die in der Anweisung zur Kenntniß der theologischen Bücher §. 293. und 294. angeführten Schriften vergleicht. Alle übrige (daselbst §. 296 f.) sind nur, zum Theil vortreffliche, Beiträge zur Religionsgeschichte. Selbst der Grundriß der Geschichte aller Religionen, von C. Meiners, Lemgo 1785. 8., schränkt sich nur auf einige Religionsbegriffe und Gebräuche ein, die unter den Menschen am gangbarsten gewesen sind, betrifft eigentlich nur den religiösen Aberglauben, und läßt sich auf gar keine Geschichte der Völker und Gesellschaften ein, so fern sie sich über Religionsbegriffe und davon abhängende Uebungen getrennt und unterschieden haben. {Lindemann's Geschichte der Meinungen alter und neuer Völker von Gott, in 7 Theilen, 1784–1795., ist zwar eine ziemlich reiche, aber zu wenig geordnete und gesichtete Sammlung von Materialien. Eine kurze Uebersicht der Religionen der wichtigsten Völker findet man in meinem Lehrbuch der Religion für |c91| Schulen, 1ste Abth., verglichen mit den erläuternden Anmerkungen.
A. d. H.}
Anm. 2. In einem engern Verstande wird historische Theologie nur von der Geschichte oder dem Fortgang und den Veränderungen der verschiedenen Begriffe der Menschen von besondern Religionslehren genommen, oder gar nur, theils auf Vorstellungen selbst, theils nur auf die verschiedenen Begriffe von den in der Bibel geoffenbarten Lehren eingeschränkt. In der engsten Bedeutung wird dieses Wort von denen gebraucht, welche darunter die angeblich christlichen Lehren verstehen, sofern ihr Beweis, oder doch der Beweis ihres Alterthums in der christlichen Kirche, auf Nachrichten und Aussprüchen angesehener Kirchenlehrer, oder auf Decreten der sogenannten Kirche darüber, mit Einem Wort, auf Tradition beruht.

80.

Die Geschichte der verschiedenen Religionen unter den Menschen, verdient es von vielen Seiten, daß man sie mit aller Sorgfalt studiere. Denn sie ist einer der wichtigsten Theile der Geschichte der Menschheit, und überall zeigt sich der mächtige Einfluß der Religion auf die übrigen Arten der menschlichen Kultur. Ueberall, wo man das Christenthum zuerst predigte, schmiegte man entweder diesen Unterricht den vorhandenen Religionen an, oder es ging natürlich Vieles aus diesen in das Christenthum über, das sich nach ihnen in solchen Gegenden bildete. Insofern kann selbst die christliche Kirchengeschichte dieser Kenntniß anderer Religionen nicht entbehren. Außer den Fragmenten von dieser allgemeinern Religionsgeschichte, die sich in der bekannten Völkergeschichte finden, sind zuverlässige Reisebeschreibungen, sofern sie sich auch auf Sitten und Verfassungen der Völ|c92|ker eingelassen haben, eine unentbehrliche Quelle solcher Kenntnisse.Die Geschichte der verschiedenen Religionen unter den Menschen, verdient es von vielen Seiten, daß man sie mit aller Sorgfalt studiere. Denn sie ist einer der wichtigsten Theile der Geschichte der Menschheit, und überall zeigt sich der mächtige Einfluß der Religion auf die übrigen Arten der menschlichen Kultur. Ueberall, wo man das Christenthum zuerst predigte, schmiegte man entweder diesen Unterricht den vorhandenen Religionen an, oder es ging natürlich Vieles aus diesen in das Christenthum über, das sich nach ihnen in solchen Gegenden bildete. Insofern kann selbst die christliche Kirchengeschichte dieser Kenntniß anderer Religionen nicht entbehren. Außer den Fragmenten von dieser allgemeinern Religionsgeschichte, die sich in der bekannten Völkergeschichte finden, sind zuverlässige Reisebeschreibungen, sofern sie sich auch auf Sitten und Verfassungen der Völ|c92|ker eingelassen haben, eine unentbehrliche Quelle solcher Kenntnisse.
Anm. Ein Verzeichniß der wichtigsten steht hinter Meiners Grundriß der Gesch. aller Rel. (s. §. 79. Anm. 1.) und in der Anweisung zur theologischen Bücherkenntniß, §. 297 folg.

81.

Aus diesen Quellen hat man sich nach und nach einzelne Nachrichten zu sammeln, und sie entweder nach den verschiedenen Ländern und Völkern zu ordnen, oder nach den merkwürdigsten Lehren, Einrichtungen und Gewohnheiten, die nach den besondern Religionsbegriffen getroffen, oder angenommen worden. Bei der ersten Methode kann man etwa die anderwärts schon erwähnte Gatterersche Weltgeschichte, oder die ohngefähr da gemachte Anlage, bei der andern den eben genannten Abriß von Meiners zum Grunde legen. Nächstdem muß man, sowohl nach der auffallenden Aehnlichkeit der Religionen verschiedener Völker mit einander, als nach den Nachrichten der Geschichte über den Ursprung eines Volks aus dem andern, und über den Einfluß des einen aus dem andern, zu entdecken suchen, welche Völker, auch in Absicht auf Religion originell sind, oder welche sich nach andern gebildet haben, und bei dem, was jedes Volk in seiner Religion Eignes hat, nach den natürlichen und sittlichen Ursachen forschen, aus welchen sich dieses Eigene, der Geschichte gemäß, erklären läßt. Bei Befolgung dieser Regel werden auch einzelne Untersuchungen gelehrter Männer über diese Religionsgeschichte mit Nutzen verglichen werden können.Aus diesen Quellen hat man sich nach und nach einzelne Nachrichten zu sammeln, und sie entweder nach den verschiedenen Ländern und Völkern zu ordnen, oder nach den merkwürdigsten Lehren, Einrichtungen und Gewohnheiten, die nach den besondern Religionsbegriffen getroffen, oder angenommen worden. Bei der ersten Methode kann man etwa die anderwärts schon erwähnte Gatterersche Weltgeschichte, oder die ohngefähr da gemachte Anlage, bei der andern den eben genannten Abriß von Meiners zum Grunde legen. Nächstdem muß man, sowohl nach der auffallenden Aehnlichkeit der Religionen verschiedener Völker mit einander, als nach den Nachrichten der Geschichte über den Ursprung eines Volks aus dem andern, und über den Einfluß des einen aus dem andern, zu entdecken suchen, welche Völker, auch in Absicht auf Religion originell sind, oder welche sich nach andern gebildet haben, und bei dem, was jedes Volk in seiner Religion Eignes hat, nach den natürlichen und sittlichen Ursachen forschen, aus welchen sich dieses Eigene, der Geschichte gemäß, erklären läßt. Bei Befolgung dieser Regel werden auch einzelne Untersuchungen gelehrter Männer über diese Religionsgeschichte mit Nutzen verglichen werden können.
Anm. Der Versuch über die Religionsgeschichte der ältesten Völker, besonders der Egyptier, von Chr. Meiners, |c93| Göttingen 1775., 8., kann, wenigstens einen Theil des Gesagten, deutlicher, und auf die Vorsichtigkeit bei solchen Sammlungen und Untersuchungen aufmerksam machen.

82.

Unter allen Theilen der Religionsgeschichte ist die Geschichte der christlichen Kirche am bekanntesten, und am meisten bearbeitet. Das Wort Kirche (Ἐκκλησία), welches in der gewöhnlichen Bedeutung nur erst unter Christen aufgekommen ist, und bei diesen nur von solchen gesagt wird, die der in der heiligen Schrift liegenden, oder überhaupt von einer wahren nähern göttlichen Offenbarung abhängenden Lehre folgen, bezeichnet vornehmlich die Christen zusammengenommen, oder den ganzen Inbegriff derer, welche die von Christo und seinen Aposteln bekannt gemachte Religion für wahr annehmen, und, sofern man es von einer äußerlichen Gesellschaft nimmt, alle die zusammengenommen, welche sich zu dieser Religion, durch Theilnehmung an den darauf gegründeten äußerlichen Gottesdienst, bekennen. Kirchengeschichte, oder bestimmter zu reden, christliche Kirchengeschichte, heißt daher die Erzählung der merkwürdigern Veränderungen dieser Gesellschaft im Zusammenhang.Unter allen Theilen der Religionsgeschichte ist die Geschichte der christlichen Kirche am bekanntesten, und am meisten bearbeitet. Das Wort Kirche (Ἐκκλησία), welches in der gewöhnlichen Bedeutung nur erst unter Christen aufgekommen ist, und bei diesen nur von solchen gesagt wird, die der in der heiligen Schrift liegenden, oder überhaupt von einer wahren nähern göttlichen Offenbarung abhängenden Lehre folgen, bezeichnet vornehmlich die Christen zusammengenommen, oder den ganzen Inbegriff derer, welche die von Christo und seinen Aposteln bekannt gemachte Religion für wahr annehmen, und, sofern man es von einer äußerlichen Gesellschaft nimmt, alle die zusammengenommen, welche sich zu dieser Religion, durch Theilnehmung an den darauf gegründeten äußerlichen Gottesdienst, bekennen. Kirchengeschichte, oder bestimmter zu reden, christliche Kirchengeschichte, heißt daher die Erzählung der merkwürdigern Veränderungen dieser Gesellschaft im Zusammenhang.

83.

Es versteht sich von selbst, daß diese Geschichte nicht bloß auf die christliche Gesellschaft und deren Schicksale eingeschränkt werden müsse. Denn da sich diese Gesellschaft auf besondere Religionsbegriffe gründet, und dadurch sowohl als durch den Gottesdienst von andern unterscheidet; da diese Begriffe und die darauf beruhenden Gesinnungen durch Sprachen und äußerliche Handlungen ausgedruckt, diese |c94| durch jene Begriffe und Gesinnungen gestimmt werden, und hinwiederum Sprachen und Gebräuche, bei ihrer besondern Modification, einen großen Einfluß in die Bestimmung und Richtung religiöser Vorstellungen und Gesinnungen äußern (Theil 1. §. 60 67 ); da endlich einzelne merkwürdigere Personen und ihre Schriften, oder besondere Gesellschaften, durch ihr erlangtes Ansehen, Gelegenheit zu großen Veränderungen in Lehrvorstellungen, in deren Ausdruck und in gemachten Einrichtungen unter den Christen gegeben haben: so muß die christliche Kirchengeschichte nicht bloß die Veränderungen der Kirche, als Gesellschaft betrachtet, sondern auch die Beschaffenheit und Geschichte der Lehre und des Gottesdienstes, der Ausdrücke, der Einrichtungen und Gebräuche, der merkwürdigern Personen, Schriften und besondern Gesellschaften erzählen, welche jene Veränderungen bewirkt haben.Es versteht sich von selbst, daß diese Geschichte nicht bloß auf die christliche Gesellschaft und deren Schicksale eingeschränkt werden müsse. Denn da sich diese Gesellschaft auf besondere Religionsbegriffe gründet, und dadurch sowohl als durch den Gottesdienst von andern unterscheidet; da diese Begriffe und die darauf beruhenden Gesinnungen durch Sprachen und äußerliche Handlungen ausgedruckt, diese |c94| durch jene Begriffe und Gesinnungen gestimmt werden, und hinwiederum Sprachen und Gebräuche, bei ihrer besondern Modification, einen großen Einfluß in die Bestimmung und Richtung religiöser Vorstellungen und Gesinnungen äußern (Theil 1. §. 60 67 ); da endlich einzelne merkwürdigere Personen und ihre Schriften, oder besondere Gesellschaften, durch ihr erlangtes Ansehen, Gelegenheit zu großen Veränderungen in Lehrvorstellungen, in deren Ausdruck und in gemachten Einrichtungen unter den Christen gegeben haben: so muß die christliche Kirchengeschichte nicht bloß die Veränderungen der Kirche, als Gesellschaft betrachtet, sondern auch die Beschaffenheit und Geschichte der Lehre und des Gottesdienstes, der Ausdrücke, der Einrichtungen und Gebräuche, der merkwürdigern Personen, Schriften und besondern Gesellschaften erzählen, welche jene Veränderungen bewirkt haben.
Anm. Die Geschichte der Lehren von Dreieinigkeit Gottes, Freiheit des menschlichen Willens, Erbsünde, Prädestination, Transsubstantiation u. dergl. – der verschiedenen Liturgieen, besonders der römischen, die so eifrig als die Lehre selbst ausgebreitet worden, des Bilderdienstes, der Kindertaufe, der Kelchsverweigerung bei dem heiligen Abendmahl, – die Geschichte der lateinischen Sprache in der Kirche, und der Wörter ὁμοούσιος, ὑπόστασις, φύσις, fides, bona opera, satisfactio u. a. – der bischöflichen und übrigen hierarchischen Einrichtung, der Concilien und Synoden, der Bullen in Coena Domini und Unigenitus, der Kirchenbuße und des Beichtwesens – der Gebräuche über die sich oft allein einzelne Gesellschaften getrennt haben, als über gesäuertes Brod bei dem heiligen Abendmahl, über Kindertaufe und Untertauchung oder Besprengung – die Geschichte des Athanasius, Hieronymus, Augustinus, Huß, Luthers, Melanchthons u. A. – der |c95| Schriften des Dionysius Areopag., der Vulgata, des falschen Isidorus, der Weißagungen des Abts Joachim, der Formulae Concordiae u. dergl. – der verschiedenen Orden u. s. f. kann hier zum Beweise dienen.

84.

Alles, was im ersten Theil dieses Buchs von dem großen Nutzen der Geschichte überhaupt gesagt wurde, gilt auch von der Religions- und Kirchengeschichte insbesondere, und macht dem, der ein würdiger Lehrer der Religion und des Christenthums seyn will, das Studium dieses Theils der Geschichte zur ganz besondern Pflicht : man mag entweder auf die Bildung seines Charakters, als eines solchen sehen, der die Religion lehren und empfehlen soll, auf welche Bildung dieses Studium einen so großen Einfluß hat, oder auf die einzelnen Theile der Theologie, womit er sich, nach dem ganzen Umfang seines Berufs, beschäftigen muß.Alles, was im ersten Theil dieses Buchs von dem großen Nutzen der Geschichte überhaupt gesagt wurde, gilt auch von der Religions- und Kirchengeschichte insbesondere, und macht dem, der ein würdiger Lehrer der Religion und des Christenthums seyn will, das Studium dieses Theils der Geschichte zur ganz besondern Pflicht : man mag entweder auf die Bildung seines Charakters, als eines solchen sehen, der die Religion lehren und empfehlen soll, auf welche Bildung dieses Studium einen so großen Einfluß hat, oder auf die einzelnen Theile der Theologie, womit er sich, nach dem ganzen Umfang seines Berufs, beschäftigen muß.
Anm. Der Nutzen der Kirchengeschichte reicht zwar viel weiter, als hier angegeben ist. Kein Christ, der wahre Aufklärung, der anschauende Ueberzeugung in der Religion sucht, und nach erleuchteter Frömmigkeit trachtet, sollte dieses Studium vernachlässigen, wenn er irgend Gelegenheit und Hülfsmittel dazu haben könnte; noch weniger irgend jemand, der als Obrigkeit dereinst, auch durch sein Betragen in Absicht auf die Beförderung und Leitung der Religion, vieler Menschen Glück oder Elend befördern kann, weil Beides so sehr vom Einfluß wahrer oder falscher Religion, von Achtung oder Gleichgültigkeit dagegen, von den weisen und unweisen Mitteln, ihren Einfluß zu befördern oder zu hindern, abhängt. Und daß verschiedene Wissenschaften, Geschichte z. B., Staatskunst, Rechtsgelehrsamkeit, vornehmlich die geistliche, das Licht der Kirchengeschichte gar nicht entbehren können, bedarf keines Bewei|c96|ses. Nach der Absicht dieses Buchs kommt indeß hier nur die Nothwendigkeit dieses Studiums der Kirchengeschichte, in Absicht auf den Lehrer der Religion, in Anschlag.

85.

Der große Einfluß einer rechten Kenntniß der Kirchengeschichte auf die gründliche Erlernung der theologischen Wissenschaften, zeigt sich in allen Theilen der Theologie. In der exegetischen 1) ganz eigentlich: bei Erklärung derjenigen Stellen neuen Testaments, welche historische Umstände zur Zeit der Apostel enthalten, um in dieselbe mehr Licht zu bringen, oder falsches Licht davon zu entfernen; zur Kenntniß der Geschichte der neutestamentlichen Bücher; und zur Kenntniß mancher merkwürdigen Bücher der ältesten Zeiten, die, wenn sie gleich apokryphisch genannt werden, doch, wegen der darin liegenden Vorstellungen vieler unter den ältesten Christen oder Juden, auch wegen mancher Fragmente der historischen Tradition, noch einen reichen Schatz von historischen Erläuterungen des neuen Testaments enthalten, und dazu gebraucht werden können, sobald erst durch Hülfe der genauern Kirchengeschichte die wahre Zeit, wohin sie gehören, und andere historische Umstände derselben bestimmt sind. 2) Bei der Kritik des neuen Testaments, wo ohne genaue Kenntniß der Kirchengeschichte nicht einmal die Geschichte des heiligen Textes klar ist, so wenig als das Alterthum und der Werth gewisser Lesearten, ohne diese Kenntniß beurtheilt werden kann. 1) 3) Um sich gegen manche sehr schädliche Vorurtheile in der eigentlichen Theologie zu verwahren, um ihren Ungrund aufzudecken. Denn viele Irrthümer in der Theologie, so wie viele Beweise auch richtiger Lehren, beruhen auf bloßem Mißverstande der heiligen Schrift, oder gar |c97| ihrer Uebersetzungen, hinter den man ohne diese Kenntniß nicht wohl kommen kann, 2) oder sie gar für apostolische Tradition hält; so wie man sich oft nicht gegen gewisse richtigere Erklärungen der heiligen Schrift sträuben würde, wenn man ihr Alterthum und den neuern Ursprung falscher herrschender Erklärungen kennte. 3) Ueberhaupt würde man bald hierin von Irrthümern zurückkommen, wenn man die Genealogie und die Chronologie einiger berühmten Erklärungen, die von Hand in Hand gegangen sind, fleißiger aus der Kirchengeschichte aufsuchte, und sich aus dieser überzeugte, daß die angebliche exegetische Tradition und fortgepflanzte sogenannte Erklärung der Kirche oft anders nichts ist, als Privaterklärung eines, oft ohne sein Verdienst, berühmt gewordenen alten Auslegers, die durch zufällige Umstände gangbar wurde, oder in häufig gelesene Commentarien überging, und hernach, ohne weitere Untersuchung, als ausgemachte Wahrheit, von Kirche zu Kirche, und Jahrhundert zu Jahrhundert nachgesagt wurde, zumal wenn sie gewissen herrschenden Meinungen in der Theologie günstig war. 4) Der große Einfluß einer rechten Kenntniß der Kirchengeschichte auf die gründliche Erlernung der theologischen Wissenschaften, zeigt sich in allen Theilen der Theologie. In der exegetischen 1) ganz eigentlich: bei Erklärung derjenigen Stellen neuen Testaments, welche historische Umstände zur Zeit der Apostel enthalten, um in dieselbe mehr Licht zu bringen, oder falsches Licht davon zu entfernen; zur Kenntniß der Geschichte der neutestamentlichen Bücher; und zur Kenntniß mancher merkwürdigen Bücher der ältesten Zeiten, die, wenn sie gleich apokryphisch genannt werden, doch, wegen der darin liegenden Vorstellungen vieler unter den ältesten Christen oder Juden, auch wegen mancher Fragmente der historischen Tradition, noch einen reichen Schatz von historischen Erläuterungen des neuen Testaments enthalten, und dazu gebraucht werden können, sobald erst durch Hülfe der genauern Kirchengeschichte die wahre Zeit, wohin sie gehören, und andere historische Umstände derselben bestimmt sind. 2) Bei der Kritik des neuen Testaments, wo ohne genaue Kenntniß der Kirchengeschichte nicht einmal die Geschichte des heiligen Textes klar ist, so wenig als das Alterthum und der Werth gewisser Lesearten, ohne diese Kenntniß beurtheilt werden kann. 1) 3) Um sich gegen manche sehr schädliche Vorurtheile in der eigentlichen Theologie zu verwahren, um ihren Ungrund aufzudecken. Denn viele Irrthümer in der Theologie, so wie viele Beweise auch richtiger Lehren, beruhen auf bloßem Mißverstande der heiligen Schrift, oder gar |c97| ihrer Uebersetzungen, hinter den man ohne diese Kenntniß nicht wohl kommen kann, 2) oder sie gar für apostolische Tradition hält; so wie man sich oft nicht gegen gewisse richtigere Erklärungen der heiligen Schrift sträuben würde, wenn man ihr Alterthum und den neuern Ursprung falscher herrschender Erklärungen kennte. 3) Ueberhaupt würde man bald hierin von Irrthümern zurückkommen, wenn man die Genealogie und die Chronologie einiger berühmten Erklärungen, die von Hand in Hand gegangen sind, fleißiger aus der Kirchengeschichte aufsuchte, und sich aus dieser überzeugte, daß die angebliche exegetische Tradition und fortgepflanzte sogenannte Erklärung der Kirche oft anders nichts ist, als Privaterklärung eines, oft ohne sein Verdienst, berühmt gewordenen alten Auslegers, die durch zufällige Umstände gangbar wurde, oder in häufig gelesene Commentarien überging, und hernach, ohne weitere Untersuchung, als ausgemachte Wahrheit, von Kirche zu Kirche, und Jahrhundert zu Jahrhundert nachgesagt wurde, zumal wenn sie gewissen herrschenden Meinungen in der Theologie günstig war. 4)
Anm. 1) Wie bei 1 Timoth. 3, 16; 1 Joh. 5, 7; Röm. 8, 11, διὰ τοῦ ἐνοικοῦντος πνεύματος, statt διὰ τὸ ἐνοικοῦν πνεῦμα; Matth. 27, 49. der Zusatz aus Joh. 19, 34. in einigen Handschriften.
2) Wie die Vorstellungen in der lateinischen Kirche von praedestinatio, poenitentia, sacramentum; die alten Deutungen von Sprüchw. 8, 22. Psalm. 110, 3. Matth. 16, 18. Joh. 16, 26. und eine neuere von Apostelgesch. 3, 21.
3) Als Röm. 12, 6. 1 Kor. 2, 14.
4) Wie viel ist z. B. aus dem Origenes in lateinische Ausleger, aus den afrikanischen Kirchenvätern, sonderlich dem Augustinus, in eben dieselbe, aus solchen la|c98|teinischen Auslegern hernach, vermittelst des Ambrosiasters, oder Hilarius Diaconus, und später durch die Glossam ordinarium, in alle Exegeten der lateinischen Kirche übergegangen? Eben so in der griechischen Kirche; s. Ernesti Opuscula philol. crit. p. 317 seq.

86.

Die Kirchengeschichte giebt 4) erst die recht anschauliche Ueberzeugung, wie sehr die ganze Theologie an ihrer Lauterkeit und wahrhaften praktischen Brauchbarkeit gewonnen oder gelitten habe, je nachdem man die wahren Hülfsmittel zur Einsicht des Sinnes der heiligen Schrift recht kannte, schätzte und gebrauchte, oder nicht (§. 19. ); und, indem sie uns so deutlich zeigt, welchen unsäglichen Schaden die Herrschaft des menschlichen Ansehens in der Kirche gestiftet habe, so macht sie uns die göttlichen Schriften nur desto werther. Und, weil auch die Menschen über den Sinn dieser göttlichen Belehrungen wieder so verschieden urtheilen, diese Verschiedenheit und Uneinigkeit aber immer größer und unvereinbarer wird, wenn man nicht hierin mit Gewalt und offenbarem Gewissenszwang eine äußerliche Einigkeit befördern will: so lehrt sie uns sehr einleuchtend die Nothwendigkeit fester exegetischer Grundsätze, und des Fleißes, den man auf die deutliche eigene Ueberzeugung von dem wahren Sinn der heiligen Schrift und die klare Darlegung desselben wenden muß. Und wenn denn auch nur 5) die Kirchengeschichte, wie sie es wirklich thut, uns mit der so sehr verschiedenen Denkungsart, den Fähigkeiten, vorzüglichen Hülfsmitteln und Sitten, und den dadurch geleiteten mannichfaltigen Vorstellungen und Neigungen der Menschen in so verschiedenen Zeiten und so besondern Lagen, bekannt machte: so könnte sie uns wenigstens mehr gewöhnen, uns |c99| in fremde Zeiten und Umstände hinein zu denken, welches zur Bildung des wahren Auslegers so viel beitragen kann.Die Kirchengeschichte giebt 4) erst die recht anschauliche Ueberzeugung, wie sehr die ganze Theologie an ihrer Lauterkeit und wahrhaften praktischen Brauchbarkeit gewonnen oder gelitten habe, je nachdem man die wahren Hülfsmittel zur Einsicht des Sinnes der heiligen Schrift recht kannte, schätzte und gebrauchte, oder nicht (§. 19. ); und, indem sie uns so deutlich zeigt, welchen unsäglichen Schaden die Herrschaft des menschlichen Ansehens in der Kirche gestiftet habe, so macht sie uns die göttlichen Schriften nur desto werther. Und, weil auch die Menschen über den Sinn dieser göttlichen Belehrungen wieder so verschieden urtheilen, diese Verschiedenheit und Uneinigkeit aber immer größer und unvereinbarer wird, wenn man nicht hierin mit Gewalt und offenbarem Gewissenszwang eine äußerliche Einigkeit befördern will: so lehrt sie uns sehr einleuchtend die Nothwendigkeit fester exegetischer Grundsätze, und des Fleißes, den man auf die deutliche eigene Ueberzeugung von dem wahren Sinn der heiligen Schrift und die klare Darlegung desselben wenden muß. Und wenn denn auch nur 5) die Kirchengeschichte, wie sie es wirklich thut, uns mit der so sehr verschiedenen Denkungsart, den Fähigkeiten, vorzüglichen Hülfsmitteln und Sitten, und den dadurch geleiteten mannichfaltigen Vorstellungen und Neigungen der Menschen in so verschiedenen Zeiten und so besondern Lagen, bekannt machte: so könnte sie uns wenigstens mehr gewöhnen, uns |c99| in fremde Zeiten und Umstände hinein zu denken, welches zur Bildung des wahren Auslegers so viel beitragen kann.

87.

Noch ausgebreiteter ist der Nutzen dieses Studiums in der eigentlich sogenannten Theologie. – In der dogmatischen und elenchtischen, so fern 1) diese doppelte Wissenschaft nicht bloß die Religionslehren selbst, sondern auch die verschiedenen Vorstellungen davon vorlegen soll, ist ja die Geschichte dieser Lehren und der verschiedenen Begriffe davon, ein Haupttheil der Kirchengeschichte, der uns die Veranlassung der verschiedenen Vorstellungen, das Interesse dabei, und den Zusammenhang mit andern Lehren und Vorstellungen, zum Theil die zu ihrer Unterstützung gebrauchten Gründe, und die eingetretenen Umstände lehrt, welche gewissen Meinungen Ansehen verschafft, oder Widerspruch gegen sie veranlaßt haben. 2) Indem sie dieses thut, unterrichtet sie uns von dem wahren Sinn derer, die über gewisse Lehren der Religion, über gewisse Vorstellungen davon, oder über gewisse davon gebrauchte Ausdrücke verschiedener Meinung waren. Dadurch wird vielfältiger Mißverstand gehoben, viel unnützer Streit abgeschnitten, und unnöthige, parteiische, oder gar gehässige Beurtheilung verhütet.Noch ausgebreiteter ist der Nutzen dieses Studiums in der eigentlich sogenannten Theologie. – In der dogmatischen und elenchtischen, so fern 1) diese doppelte Wissenschaft nicht bloß die Religionslehren selbst, sondern auch die verschiedenen Vorstellungen davon vorlegen soll, ist ja die Geschichte dieser Lehren und der verschiedenen Begriffe davon, ein Haupttheil der Kirchengeschichte, der uns die Veranlassung der verschiedenen Vorstellungen, das Interesse dabei, und den Zusammenhang mit andern Lehren und Vorstellungen, zum Theil die zu ihrer Unterstützung gebrauchten Gründe, und die eingetretenen Umstände lehrt, welche gewissen Meinungen Ansehen verschafft, oder Widerspruch gegen sie veranlaßt haben. 2) Indem sie dieses thut, unterrichtet sie uns von dem wahren Sinn derer, die über gewisse Lehren der Religion, über gewisse Vorstellungen davon, oder über gewisse davon gebrauchte Ausdrücke verschiedener Meinung waren. Dadurch wird vielfältiger Mißverstand gehoben, viel unnützer Streit abgeschnitten, und unnöthige, parteiische, oder gar gehässige Beurtheilung verhütet.

88.

Sie legt 3) zugleich den unsäglichen Schaden vor Augen, den die Vermischung dieser Meinungen über Religionslehren mit diesen letztern selbst, der gleiche Werth, den man auf jene, wie auf diese gelegt hat, das Bestreben, durch alle, auch unerlaubte Mittel, jene eben so wie diese geltend zu machen, gestiftet hat; und befördert dadurch |c100| nicht nur die Billigkeit in Beurtheilung verschiedener Vorstellungen, sondern auch die Vorsichtigkeit, um nicht durch Zweideutigkeit, Unbestimmtheit, Vermengung der Hauptsache mit Nebensachen, und unzeitigen Eifer für unsere Meinungen, Gelegenheit zu Zwistigkeiten zu geben, und der Hauptsache selbst dadurch zu schaden. Sie allein zeigt 4) wie manche Lehren oder Meinungen davon nicht früher in Gang gekommen, oder Aufsehen und Widerspruch erregt, als bis gewisse äußerliche Umstände, z. B. Eifersucht oder Herrschsucht angesehener Kirchen und Bischöfe, außerordentliche Achtung gegen einen berühmten Mann u. d. gl. dazu gekommen, und diese zufälligen Umstände erst die Sache wichtig, oder der weit um sich gegriffene Streit sie zu einer Quelle großer Revolutionen gemacht habe (wovon die Geschichte der pelagianischen, nestorianischen, monophysitischen und Sacramentstreitigkeiten u. d. gl. traurige Beispiele liefert); wie daher die Wichtigkeit einer solchen Lehre, Meinung oder eines solchen Ausdrucks gar nicht, oder lange nicht so sehr in der Natur der Sache selbst, und ihrem Zusammenhange mit den Lehren des eigentlichen Christenthums, und mit praktischen Folgen, liege, als vielmehr in gewissen Zufälligkeiten, welche die Religion gar nichts angingen.Sie legt 3) zugleich den unsäglichen Schaden vor Augen, den die Vermischung dieser Meinungen über Religionslehren mit diesen letztern selbst, der gleiche Werth, den man auf jene, wie auf diese gelegt hat, das Bestreben, durch alle, auch unerlaubte Mittel, jene eben so wie diese geltend zu machen, gestiftet hat; und befördert dadurch |c100| nicht nur die Billigkeit in Beurtheilung verschiedener Vorstellungen, sondern auch die Vorsichtigkeit, um nicht durch Zweideutigkeit, Unbestimmtheit, Vermengung der Hauptsache mit Nebensachen, und unzeitigen Eifer für unsere Meinungen, Gelegenheit zu Zwistigkeiten zu geben, und der Hauptsache selbst dadurch zu schaden. Sie allein zeigt 4) wie manche Lehren oder Meinungen davon nicht früher in Gang gekommen, oder Aufsehen und Widerspruch erregt, als bis gewisse äußerliche Umstände, z. B. Eifersucht oder Herrschsucht angesehener Kirchen und Bischöfe, außerordentliche Achtung gegen einen berühmten Mann u. d. gl. dazu gekommen, und diese zufälligen Umstände erst die Sache wichtig, oder der weit um sich gegriffene Streit sie zu einer Quelle großer Revolutionen gemacht habe (wovon die Geschichte der pelagianischen, nestorianischen, monophysitischen und Sacramentstreitigkeiten u. d. gl. traurige Beispiele liefert); wie daher die Wichtigkeit einer solchen Lehre, Meinung oder eines solchen Ausdrucks gar nicht, oder lange nicht so sehr in der Natur der Sache selbst, und ihrem Zusammenhange mit den Lehren des eigentlichen Christenthums, und mit praktischen Folgen, liege, als vielmehr in gewissen Zufälligkeiten, welche die Religion gar nichts angingen.

89.

So zeigt denn die Kirchengeschichte einem jeden Unbefangenen augenscheinlich, wie es zu keiner Zeit eine völlige innere Einigkeit in Meinungen gegeben habe, und alle äußerliche Uebereinstimmung, weder durch öffentliche Religionsgespräche, noch Friedens- oder Glaubensformeln, sondern nur durch Zwang oder durch blinden Glauben bewirkt worden. Sie zeigt, daß der Triumph gewisser |c101| Meinungen über andere, höchst selten durch Ueberzeugung, und gemeiniglich nur durch Anschmiegen an Vorurtheile des großen Haufens, oder an eingeführte Gewohnheiten, und noch öfter durch größere Macht und Kühnheit ihrer Vertheidiger, durch Ansehen großer Kirchenlehrer, oder berühmterer Kirchen, durch geschlossene Verbindungen der Bischöfe, durch Beistand der Fürsten, erfochten worden; – daß zu Einer Zeit und in Einem Lande das wieder verdammt worden, was zu einer andern Zeit und anderwärts als Lehre und Befehl der Kirche, aus angeblicher Eingebung des heiligen Geistes, festgesetzt worden war; – daß Bischöfe, Päpste und Concilien einander selbst widersprochen, und ihre vorigen Aussprüche wieder zerstört haben. Sie lehrt, daß die vorgegebene bessere Einsicht oft bloß durch Einfluß der Höfe und mächtigerer Parteien gestimmt worden sei; daß die sogenannte Kirche sich sehr oft herausgenommen habe, über das Gewissen und die Seligkeit, selbst über und wider Christi und seiner Apostel eigene Lehren und Verordnungen, zu entscheiden; daß aber, wenn sich die unterdrückte Partei nur entschließen konnte, um des Gewissens willen zu leiden, oder schweigend durch solche Belehrungen in der Stille zu wirken, keine Macht je im Stande gewesen sei, den Fortgang der Wahrheit zu verhindern, so wirkt sie 5) die innigste Ueberzeugung, daß überall kein menschliches Ansehen und kein Ansehen der sogenannten Kirche und Tradition eine den Verstand und das Gewissen verpflichtende Kraft habe, sondern höchstens ein Vorurtheil errege, das uns zur nähern Untersuchung der Sachen auffordert; daß vielmehr schlechterdings eigene Untersuchung in der Religion nothwendig sei, und eigener Glaube frei bleibe; und daß man nur Glauben an Gott, und Muth, die Wahrheit zu untersuchen, |c102| und mit Weisheit zu bekennen, festhalten dürfe, um gewiß zu seyn, bei veränderten Umständen, die in Gottes Hand sind, werde die Wahrheit doch durchdringen, und die Ehre des Gewissens gerettet werden. Eine solche Ueberzeugung ist aber, bei gewissenhafter Untersuchung der Religionslehren und der verschiedenen Meinungen darüber, unumgänglich nöthig , und kann die Auffindung der Wahrheit ungemein befördern.So zeigt denn die Kirchengeschichte einem jeden Unbefangenen augenscheinlich, wie es zu keiner Zeit eine völlige innere Einigkeit in Meinungen gegeben habe, und alle äußerliche Uebereinstimmung, weder durch öffentliche Religionsgespräche, noch Friedens- oder Glaubensformeln, sondern nur durch Zwang oder durch blinden Glauben bewirkt worden. Sie zeigt, daß der Triumph gewisser |c101| Meinungen über andere, höchst selten durch Ueberzeugung, und gemeiniglich nur durch Anschmiegen an Vorurtheile des großen Haufens, oder an eingeführte Gewohnheiten, und noch öfter durch größere Macht und Kühnheit ihrer Vertheidiger, durch Ansehen großer Kirchenlehrer, oder berühmterer Kirchen, durch geschlossene Verbindungen der Bischöfe, durch Beistand der Fürsten, erfochten worden; – daß zu Einer Zeit und in Einem Lande das wieder verdammt worden, was zu einer andern Zeit und anderwärts als Lehre und Befehl der Kirche, aus angeblicher Eingebung des heiligen Geistes, festgesetzt worden war; – daß Bischöfe, Päpste und Concilien einander selbst widersprochen, und ihre vorigen Aussprüche wieder zerstört haben. Sie lehrt, daß die vorgegebene bessere Einsicht oft bloß durch Einfluß der Höfe und mächtigerer Parteien gestimmt worden sei; daß die sogenannte Kirche sich sehr oft herausgenommen habe, über das Gewissen und die Seligkeit, selbst über und wider Christi und seiner Apostel eigene Lehren und Verordnungen, zu entscheiden; daß aber, wenn sich die unterdrückte Partei nur entschließen konnte, um des Gewissens willen zu leiden, oder schweigend durch solche Belehrungen in der Stille zu wirken, keine Macht je im Stande gewesen sei, den Fortgang der Wahrheit zu verhindern, so wirkt sie 5) die innigste Ueberzeugung, daß überall kein menschliches Ansehen und kein Ansehen der sogenannten Kirche und Tradition eine den Verstand und das Gewissen verpflichtende Kraft habe, sondern höchstens ein Vorurtheil errege, das uns zur nähern Untersuchung der Sachen auffordert; daß vielmehr schlechterdings eigene Untersuchung in der Religion nothwendig sei, und eigener Glaube frei bleibe; und daß man nur Glauben an Gott, und Muth, die Wahrheit zu untersuchen, |c102| und mit Weisheit zu bekennen, festhalten dürfe, um gewiß zu seyn, bei veränderten Umständen, die in Gottes Hand sind, werde die Wahrheit doch durchdringen, und die Ehre des Gewissens gerettet werden. Eine solche Ueberzeugung ist aber, bei gewissenhafter Untersuchung der Religionslehren und der verschiedenen Meinungen darüber, unumgänglich nöthig , und kann die Auffindung der Wahrheit ungemein befördern.

90.

Wodurch lassen sich aber auch 6) Meinungen, die man fälschlich für christliche Lehren ausgiebt, und die keine andere Gründe für sich haben, als Ansehen der Kirche, überzeugender widerlegen, als wenn man aus der Kirchengeschichte darthun kann, wie spät ihr Ursprung, und wie wenig die Kirche aller Zeiten darüber einig gewesen sei? Gegen solche Gemeinden, die ihre Unterscheidungslehren auf das Ansehen der ältern christl. Kirche gründen, giebt es kein wirksameres Mittel zur Widerlegung, als gerade diese Geschichte; und die Casaubon's, Saumaisen, Blondel's, Daillés, Richer's und andere gründliche Kenner derselben, haben allezeit mehr ausgerichtet, als die ganze Polemik bloß scholastischer Theologen. Wem das Studium der Kirchengeschichte, selbst für den Volkslehrer, gleichgültig scheint, der muß entweder den immer regen, auch in Geheim wirkenden Bekehrungsgeist der römisch-katholischen Kirche und die daher unserer Gewissensfreiheit drohende Gefahr, oder die wirksame Macht religiöser Vorurtheile und des menschlichen Ansehens auf die Gemüther nicht kennen. Eben von beiden giebt die Kirchengeschichte die überzeugendsten Beweise.Wodurch lassen sich aber auch 6) Meinungen, die man fälschlich für christliche Lehren ausgiebt, und die keine andere Gründe für sich haben, als Ansehen der Kirche, überzeugender widerlegen, als wenn man aus der Kirchengeschichte darthun kann, wie spät ihr Ursprung, und wie wenig die Kirche aller Zeiten darüber einig gewesen sei? Gegen solche Gemeinden, die ihre Unterscheidungslehren auf das Ansehen der ältern christl. Kirche gründen, giebt es kein wirksameres Mittel zur Widerlegung, als gerade diese Geschichte; und die Casaubon's, Saumaisen, Blondel's, Daillés, Richer's und andere gründliche Kenner derselben, haben allezeit mehr ausgerichtet, als die ganze Polemik bloß scholastischer Theologen. Wem das Studium der Kirchengeschichte, selbst für den Volkslehrer, gleichgültig scheint, der muß entweder den immer regen, auch in Geheim wirkenden Bekehrungsgeist der römisch-katholischen Kirche und die daher unserer Gewissensfreiheit drohende Gefahr, oder die wirksame Macht religiöser Vorurtheile und des menschlichen Ansehens auf die Gemüther nicht kennen. Eben von beiden giebt die Kirchengeschichte die überzeugendsten Beweise.

|c103| 91.

Mitten in einer solchen Fluth menschlicher Meinungen, unter allen Verderbnissen dieser Religion, und den mannichfaltigen Versuchen, sie nach menschlicher Willkür abzuändern, oder gar zu verdrängen, hat sich denn doch 7) das eigentliche Christenthum seinem wahren Wesen nach immer erhalten und bewährt . Alle, nicht bei Uebelunterrichteten, Leichtsinnigen und Leichtgläubigen, sondern bei wahrhaftig aufgeklärten und gründlich untersuchenden Köpfen, wirksamen und siegenden Angriffe auf das, was sie Christenthum nannten, haben nie dieses an sich selbst, sondern nur die falschen Zusätze und Vorstellungen zernichtet. Selbst in den verderbtesten Zeiten und Kirchen hat sich das Ansehen der heil. Schrift und Jesu Christi, hat sich das wahrhaftig allgemein Trostreiche und wahrhaftig Bessernde seiner Lehre überhaupt erhalten. Diese Ueberzeugung macht dasselbe und seinen inneren Werth sehr achtungswürdig, und nichts ist so geschickt, sie zu befördern, als das fleißige Studium der Kirchengeschichte. Nicht weniger wird dasselbe 8) zur rechten eigenen Ueberzeugung von der wahren Beschaffenheit, Echtheit, Glaubwürdigkeit und Unverdorbenheit der biblischen Bücher im Wesentlichen, worauf die Ueberzeugung von der Wahrheit und Verbindlichkeit der daraus geschöpften Lehren mit beruht, eben sowohl erfordert , als zur Beschämung der Vorwürfe gegen diese Religion und deren wohlthätige Wirkungen. Denn alle Scheinbarkeit dieser Vorwürfe gründet sich lediglich darauf, daß man entweder nur das Gehässige oder die nachtheilige Seite hervorzieht, auf der sich das sogenannte Christenthum leider oft genug gezeigt hat, und daß man nicht mit eben dem ehrlichen Fleiß dem Guten nachspürt, welches das |c104| echte, selbst bei so mancherlei unläugbaren Verderbnissen, gestiftet hat; oder daß man das Christenthum selbst nicht von den ihm aufgehängten Zusätzen und Vorstellungen darüber unterscheidet; oder daß man das auf die Rechnung desselben setzt, was doch bloßer Ausbruch von Leidenschaften war, die überall, nicht bloß in Verbindung mit der Religion, die menschliche Glückseligkeit zerstören. Eben dieser Unterschied, der so traurigen und ungerechten Mißverstand veranlaßt, und eben jene unläugbar heilsamen Einflüsse des Christenthums auf die Glückseligkeit der Welt, kann nur der rechte Fleiß in der Kirchengeschichte klar machen.Mitten in einer solchen Fluth menschlicher Meinungen, unter allen Verderbnissen dieser Religion, und den mannichfaltigen Versuchen, sie nach menschlicher Willkür abzuändern, oder gar zu verdrängen, hat sich denn doch 7) das eigentliche Christenthum seinem wahren Wesen nach immer erhalten und bewährt . Alle, nicht bei Uebelunterrichteten, Leichtsinnigen und Leichtgläubigen, sondern bei wahrhaftig aufgeklärten und gründlich untersuchenden Köpfen, wirksamen und siegenden Angriffe auf das, was sie Christenthum nannten, haben nie dieses an sich selbst, sondern nur die falschen Zusätze und Vorstellungen zernichtet. Selbst in den verderbtesten Zeiten und Kirchen hat sich das Ansehen der heil. Schrift und Jesu Christi, hat sich das wahrhaftig allgemein Trostreiche und wahrhaftig Bessernde seiner Lehre überhaupt erhalten. Diese Ueberzeugung macht dasselbe und seinen inneren Werth sehr achtungswürdig, und nichts ist so geschickt, sie zu befördern, als das fleißige Studium der Kirchengeschichte. Nicht weniger wird dasselbe 8) zur rechten eigenen Ueberzeugung von der wahren Beschaffenheit, Echtheit, Glaubwürdigkeit und Unverdorbenheit der biblischen Bücher im Wesentlichen, worauf die Ueberzeugung von der Wahrheit und Verbindlichkeit der daraus geschöpften Lehren mit beruht, eben sowohl erfordert , als zur Beschämung der Vorwürfe gegen diese Religion und deren wohlthätige Wirkungen. Denn alle Scheinbarkeit dieser Vorwürfe gründet sich lediglich darauf, daß man entweder nur das Gehässige oder die nachtheilige Seite hervorzieht, auf der sich das sogenannte Christenthum leider oft genug gezeigt hat, und daß man nicht mit eben dem ehrlichen Fleiß dem Guten nachspürt, welches das |c104| echte, selbst bei so mancherlei unläugbaren Verderbnissen, gestiftet hat; oder daß man das Christenthum selbst nicht von den ihm aufgehängten Zusätzen und Vorstellungen darüber unterscheidet; oder daß man das auf die Rechnung desselben setzt, was doch bloßer Ausbruch von Leidenschaften war, die überall, nicht bloß in Verbindung mit der Religion, die menschliche Glückseligkeit zerstören. Eben dieser Unterschied, der so traurigen und ungerechten Mißverstand veranlaßt, und eben jene unläugbar heilsamen Einflüsse des Christenthums auf die Glückseligkeit der Welt, kann nur der rechte Fleiß in der Kirchengeschichte klar machen.

92.

Wenn die Geschichte überhaupt die beste Schule der Weisheit und Tugend werden kann, wo man die Menschen erblickt, wie sie wirklich sind, und was aus ihnen werden könne; wo man sie unter und nach ihren jedesmaligen besondern Umständen handeln sieht, wo man sich von dem Werth und Einfluß ihrer moralischen Grundsätze und Gesinnungen in das Verhalten und in die Glückseligkeit der Gesellschaft überzeugen kann: so gewährt die Kirchengeschichte ganz vorzüglich auch diesen Nutzen, theils, weil sie, ihrer Natur nach, so vieles enthält, wobei sich die Menschen in ihrem eigentlich sittlichen Charakter und Verhalten zeigen, theils, weil sich gerade da die besondern Wirkungen wahrer und falscher Vorstellungen in der Religion und des rechten und unrechten Gebrauchs offenbaren, den man von ihr bei dem sittlichen Betragen macht. Auf der einen Seite stellt sie uns Beispiele von religiöser Schwärmerei und Aberglauben, von Leidenschaften unter der Larve der Religion, von Irreligiosität und höchstem Sittenverderbniß, auf |c105| der andern, nicht weniger Beispiele von erleuchteter, reiner Frömmigkeit, von der Macht der Religion über die Schwäche des Herzens, und über die Stärke der Leidenschaften, in mancherlei Lagen und Gestalten auf; und einem aufmerksamen Beobachter, der zugleich das von den wirklichen Handlungen und ihren durchschimmernden Triebfedern zu scheiden versteht, was Parteilichkeit Gutes oder Böses hinzu gedichtet hat, kann es selten schwer fallen, zu entdecken, woraus beiderlei Arten von Handlungen entsprungen sind, wodurch sie Nahrung bekommen, was für wohlthätige oder schädliche Wirkungen sie hervorgebracht haben. Wie viel Gewinn kann also die christliche Sittenlehre aus der Kirchengeschichte ziehen, da diese Geschichte so viele Belege enthält, die den Inhalt dieser Sittenlehre bewähren, anschaulich darstellen, und eine so reiche Quelle feiner Beobachtungen über das menschliche Herz oder genauerer Bestimmungen der Sittenlehre eröffnen!Wenn die Geschichte überhaupt die beste Schule der Weisheit und Tugend werden kann, wo man die Menschen erblickt, wie sie wirklich sind, und was aus ihnen werden könne; wo man sie unter und nach ihren jedesmaligen besondern Umständen handeln sieht, wo man sich von dem Werth und Einfluß ihrer moralischen Grundsätze und Gesinnungen in das Verhalten und in die Glückseligkeit der Gesellschaft überzeugen kann: so gewährt die Kirchengeschichte ganz vorzüglich auch diesen Nutzen, theils, weil sie, ihrer Natur nach, so vieles enthält, wobei sich die Menschen in ihrem eigentlich sittlichen Charakter und Verhalten zeigen, theils, weil sich gerade da die besondern Wirkungen wahrer und falscher Vorstellungen in der Religion und des rechten und unrechten Gebrauchs offenbaren, den man von ihr bei dem sittlichen Betragen macht. Auf der einen Seite stellt sie uns Beispiele von religiöser Schwärmerei und Aberglauben, von Leidenschaften unter der Larve der Religion, von Irreligiosität und höchstem Sittenverderbniß, auf |c105| der andern, nicht weniger Beispiele von erleuchteter, reiner Frömmigkeit, von der Macht der Religion über die Schwäche des Herzens, und über die Stärke der Leidenschaften, in mancherlei Lagen und Gestalten auf; und einem aufmerksamen Beobachter, der zugleich das von den wirklichen Handlungen und ihren durchschimmernden Triebfedern zu scheiden versteht, was Parteilichkeit Gutes oder Böses hinzu gedichtet hat, kann es selten schwer fallen, zu entdecken, woraus beiderlei Arten von Handlungen entsprungen sind, wodurch sie Nahrung bekommen, was für wohlthätige oder schädliche Wirkungen sie hervorgebracht haben. Wie viel Gewinn kann also die christliche Sittenlehre aus der Kirchengeschichte ziehen, da diese Geschichte so viele Belege enthält, die den Inhalt dieser Sittenlehre bewähren, anschaulich darstellen, und eine so reiche Quelle feiner Beobachtungen über das menschliche Herz oder genauerer Bestimmungen der Sittenlehre eröffnen!

93.

Die sogenannte symbolische Theologie, wenn sie ihrem Namen treu bleibt, und nicht in das Gebiet der Dogmatik und Polemik schweift, ist selbst nichts anders als ein Theil der Kirchengeschichte, man mag auf die Geschichte der Symbolen und symbolischen Bücher, oder auf die Geschichte der darin vorkommenden Lehren und Vorstellungen davon sehen, die sowohl selbst, als die Nothwendigkeit, sie zu behaupten, zu vertheidigen oder zu widerlegen, schlechterdings ohne christliche Kirchengeschichte nicht verstanden werden kann.Die sogenannte symbolische Theologie, wenn sie ihrem Namen treu bleibt, und nicht in das Gebiet der Dogmatik und Polemik schweift, ist selbst nichts anders als ein Theil der Kirchengeschichte, man mag auf die Geschichte der Symbolen und symbolischen Bücher, oder auf die Geschichte der darin vorkommenden Lehren und Vorstellungen davon sehen, die sowohl selbst, als die Nothwendigkeit, sie zu behaupten, zu vertheidigen oder zu widerlegen, schlechterdings ohne christliche Kirchengeschichte nicht verstanden werden kann.

|c106| 94.

Weniger scheinen diejenigen Wissenschaften, welche die Amtsführung des Predigers betreffen, die Kenntniß der Kirchengeschichte, als der bisher erwähnten Theile der Theologie, zu erfordern. Denn – die Kenntniß der geistlichen Rechte abgerechnet, wobei freilich diese Geschichte unentbehrlich bleibt, die aber zur Theologie eigentlich nicht gehört – so würde es zwar nützlich seyn, auch in Predigten und Katechisationen den Vortrag durch wohlgewählte Beispiele aus der christlichen Geschichte anschaulicher und eindrücklicher zu machen, wie denn auch sehr zu wünschen wäre, daß selbst dem gemeinen Christen und den Kindern recht frühzeitig ein Begriff von dem für sie lehrreichen Inhalt der Kirchen, sonderlich der Reformations- und übrigen Geschichte ihrer Kirche, beigebracht werden möchte. Es sind jedoch jene Beispiele nur unzusammenhängende Bruchstücke, die man, auch ohne eigentliches Studieren der Kirchengeschichte, sich bekannt machen könnte. Ueberdieß gehört viel Vorsicht und weise Wahl dazu, um nicht den Vortrag, der für die Religion bestimmt ist, mit Nebensachen, oder gar solchen Dingen anzufüllen, die für viele Zuhörer unnütz, vielleicht selbst, wegen des zu leichten Mißverstandes, schädlich werden könnten. Das wirklich für sie Nützliche könnte ihnen auch anderwärts wohl bequemer und vollständiger, als bei dem Gottesdienst selbst, beigebracht werden. – Aber es giebt dennoch einen andern sehr wesentlichen Nutzen, welchen der Prediger aus der Kirchengeschichte ziehen kann – die so unentbehrliche Klugheit bei Mittheilung der Religion und bei seinem ganzen Betragen, ja überhaupt die Bildung seines ganzen Charakters dadurch, die doch überall das Wichtigste ist, wornach er zu trachten hat, und die so |c107| sehr durch das rechte Studieren der Kirchengeschichte gefördert werden kann. – Dieß führt uns auf den zweiten (§. 84. ) höchst wichtigen Vortheil, welchen der hierauf gewendete Fleiß, wenn er nur rechter Art ist, und nicht ein bloßes Gedächtnißwerk bleibt, unfehlbar gewähren wird.Weniger scheinen diejenigen Wissenschaften, welche die Amtsführung des Predigers betreffen, die Kenntniß der Kirchengeschichte, als der bisher erwähnten Theile der Theologie, zu erfordern. Denn – die Kenntniß der geistlichen Rechte abgerechnet, wobei freilich diese Geschichte unentbehrlich bleibt, die aber zur Theologie eigentlich nicht gehört – so würde es zwar nützlich seyn, auch in Predigten und Katechisationen den Vortrag durch wohlgewählte Beispiele aus der christlichen Geschichte anschaulicher und eindrücklicher zu machen, wie denn auch sehr zu wünschen wäre, daß selbst dem gemeinen Christen und den Kindern recht frühzeitig ein Begriff von dem für sie lehrreichen Inhalt der Kirchen, sonderlich der Reformations- und übrigen Geschichte ihrer Kirche, beigebracht werden möchte. Es sind jedoch jene Beispiele nur unzusammenhängende Bruchstücke, die man, auch ohne eigentliches Studieren der Kirchengeschichte, sich bekannt machen könnte. Ueberdieß gehört viel Vorsicht und weise Wahl dazu, um nicht den Vortrag, der für die Religion bestimmt ist, mit Nebensachen, oder gar solchen Dingen anzufüllen, die für viele Zuhörer unnütz, vielleicht selbst, wegen des zu leichten Mißverstandes, schädlich werden könnten. Das wirklich für sie Nützliche könnte ihnen auch anderwärts wohl bequemer und vollständiger, als bei dem Gottesdienst selbst, beigebracht werden. – Aber es giebt dennoch einen andern sehr wesentlichen Nutzen, welchen der Prediger aus der Kirchengeschichte ziehen kann – die so unentbehrliche Klugheit bei Mittheilung der Religion und bei seinem ganzen Betragen, ja überhaupt die Bildung seines ganzen Charakters dadurch, die doch überall das Wichtigste ist, wornach er zu trachten hat, und die so |c107| sehr durch das rechte Studieren der Kirchengeschichte gefördert werden kann. – Dieß führt uns auf den zweiten (§. 84. ) höchst wichtigen Vortheil, welchen der hierauf gewendete Fleiß, wenn er nur rechter Art ist, und nicht ein bloßes Gedächtnißwerk bleibt, unfehlbar gewähren wird.

95.

Man muß sich sehr wenig auf die rechte Schätzung des Werths der Dinge verstehen, wenn man sich einbilden kann, die Hauptsache, oder gar Alles, komme bei dem Lehrer der Religion auf das an, was er Andern wieder vortrage; dies müsse er eigentlich und vornehmlich, und nächstdem die Kunst lernen, es deutlich und lebhaft Andern mitzutheilen. Der Vortrag ist doch nur ein Theil seines Berufs; für manche Arten desselben und manche Gemeinden bedürfte es nicht einmal studierter Prediger; es bedürfte nur einiger äußerlichen Gaben, eines gesunden schlichten Menschenverstandes, eines guten Gedächtnisses, des fleißigen Lesens guter, der Klasse der Zuhörer, vor welcher man reden soll, angemessener Predigten, oder einiger Aufmerksamkeit auf die Manier beliebter Prediger im Vortrage: so könnte ein solcher Geistlicher immer schon recht viel Nutzen stiften. Wenn aber das übrige schlechte, oder wenigstens gleichgültige oder unvorsichtige Betragen des Predigers das Gute, so etwa durch Predigten gestiftet werden könnte, verhindert, oder wieder zerstört, oder doch schwächt; wenn die Kraft des ganzen Beispiels weit mehr wirkt als alles Predigen, und diesem erst den rechten Nachdruck giebt; wenn der Prediger durch sein ganzes Benehmen zum Guten wirksam, wahrer Vater und Seelsorger der ihm Anvertraueten seyn soll; wenn er so nicht reden und handeln |c108| kann, ohne eigene innige Ueberzeugung von dem, was er empfehlen, ohne eigene herzliche Gesinnung und Liebe, die er dagegen einflößen will, ohne wahrhaftige Weisheit in der Wahl und in der Art, wie er redet und handelt: so möchte doch wohl auf seine eigene ganze Bildung weit mehr ankommen, als auf seinen Vortrag, der ohnehin mit jener in einem genauern Zusammenhange steht.Man muß sich sehr wenig auf die rechte Schätzung des Werths der Dinge verstehen, wenn man sich einbilden kann, die Hauptsache, oder gar Alles, komme bei dem Lehrer der Religion auf das an, was er Andern wieder vortrage; dies müsse er eigentlich und vornehmlich, und nächstdem die Kunst lernen, es deutlich und lebhaft Andern mitzutheilen. Der Vortrag ist doch nur ein Theil seines Berufs; für manche Arten desselben und manche Gemeinden bedürfte es nicht einmal studierter Prediger; es bedürfte nur einiger äußerlichen Gaben, eines gesunden schlichten Menschenverstandes, eines guten Gedächtnisses, des fleißigen Lesens guter, der Klasse der Zuhörer, vor welcher man reden soll, angemessener Predigten, oder einiger Aufmerksamkeit auf die Manier beliebter Prediger im Vortrage: so könnte ein solcher Geistlicher immer schon recht viel Nutzen stiften. Wenn aber das übrige schlechte, oder wenigstens gleichgültige oder unvorsichtige Betragen des Predigers das Gute, so etwa durch Predigten gestiftet werden könnte, verhindert, oder wieder zerstört, oder doch schwächt; wenn die Kraft des ganzen Beispiels weit mehr wirkt als alles Predigen, und diesem erst den rechten Nachdruck giebt; wenn der Prediger durch sein ganzes Benehmen zum Guten wirksam, wahrer Vater und Seelsorger der ihm Anvertraueten seyn soll; wenn er so nicht reden und handeln |c108| kann, ohne eigene innige Ueberzeugung von dem, was er empfehlen, ohne eigene herzliche Gesinnung und Liebe, die er dagegen einflößen will, ohne wahrhaftige Weisheit in der Wahl und in der Art, wie er redet und handelt: so möchte doch wohl auf seine eigene ganze Bildung weit mehr ankommen, als auf seinen Vortrag, der ohnehin mit jener in einem genauern Zusammenhange steht.

96.

Eben diese vollendete Bildung des ganzen Menschen ists, die durch das rechte Studieren der Kirchengeschichte in so hohem Grade befördert werden kann. Denn sie zeigt ja in einem lebendigen Bilde das Schicksal und die Wirkungen der Religion, nach den verschiedenen Umständen der Menschen und dem verschiedenen Gebrauch, den sie davon machten. Kann man gleich diese Wirkungen auch aus Beobachtungen seiner selbst und Anderer, mit denen wir leben, lernen : so zeigt uns doch die Kirchengeschichte eine viel größere Verschiedenheit der Menschen, eine viel größere Mannigfaltigkeit des moralischen Verhaltens derselben, viel mehr verschiedene Umstände, in die sie, in Absicht auf die Religion, kommen können, und ersetzt das durch ihren Reichthum, was unserer sehr eingeschränkten Erfahrung abgeht. – Sie bildet und befestigt 1) unsre eigne Ueberzeugung vom Christenthum durch die Vorstellung des Fortgangs, der wunderbaren Erhaltung und Entwickelung der wahren Religion unter so mancherlei Hindernissen und Angriffen, und ihrer für einzelne Menschen und die ganze Gesellschaft so heilsamen Wirkungen; durch die ausgezeichnetsten Spuren der göttlichen Vorsehung, die so sehr für die Erkenntniß Gottes und für wahre Gottseligkeit einnehmen, |c109| so sehr das Vertrauen auf ihn auch unter den mißlichsten Umständen, nebst dem Muth, Gutes zu thun, und nicht müde zu werden, stärken; durch die so deutlichen Anzeigen des Unterschieds zwischen dem echten und daher unveränderlich bleibenden Christenthum, und zwischen den falschen Zusätzen oder nicht allgemein nothwendigen Vorstellungen davon; durch die ganz besondere Fürsorge Gottes für die besondere Lehre und die besondere Kirche, zu der wir uns bekennen, durch die, im Ganzen genommen, geringere Mängel derselben, oder durch mehrere Gewissensfreiheit, sichrere Grundsätze und Glückseligkeit überhaupt, die sie uns gewährt.Eben diese vollendete Bildung des ganzen Menschen ists, die durch das rechte Studieren der Kirchengeschichte in so hohem Grade befördert werden kann. Denn sie zeigt ja in einem lebendigen Bilde das Schicksal und die Wirkungen der Religion, nach den verschiedenen Umständen der Menschen und dem verschiedenen Gebrauch, den sie davon machten. Kann man gleich diese Wirkungen auch aus Beobachtungen seiner selbst und Anderer, mit denen wir leben, lernen : so zeigt uns doch die Kirchengeschichte eine viel größere Verschiedenheit der Menschen, eine viel größere Mannigfaltigkeit des moralischen Verhaltens derselben, viel mehr verschiedene Umstände, in die sie, in Absicht auf die Religion, kommen können, und ersetzt das durch ihren Reichthum, was unserer sehr eingeschränkten Erfahrung abgeht. – Sie bildet und befestigt 1) unsre eigne Ueberzeugung vom Christenthum durch die Vorstellung des Fortgangs, der wunderbaren Erhaltung und Entwickelung der wahren Religion unter so mancherlei Hindernissen und Angriffen, und ihrer für einzelne Menschen und die ganze Gesellschaft so heilsamen Wirkungen; durch die ausgezeichnetsten Spuren der göttlichen Vorsehung, die so sehr für die Erkenntniß Gottes und für wahre Gottseligkeit einnehmen, |c109| so sehr das Vertrauen auf ihn auch unter den mißlichsten Umständen, nebst dem Muth, Gutes zu thun, und nicht müde zu werden, stärken; durch die so deutlichen Anzeigen des Unterschieds zwischen dem echten und daher unveränderlich bleibenden Christenthum, und zwischen den falschen Zusätzen oder nicht allgemein nothwendigen Vorstellungen davon; durch die ganz besondere Fürsorge Gottes für die besondere Lehre und die besondere Kirche, zu der wir uns bekennen, durch die, im Ganzen genommen, geringere Mängel derselben, oder durch mehrere Gewissensfreiheit, sichrere Grundsätze und Glückseligkeit überhaupt, die sie uns gewährt.

97.

Durch diese einleuchtende Darstellung der wunderbaren und allezeit herrlichen Wege Gottes sowohl, als durch so viele gute und böse Beispiele und des ganzen Ganges, den das verschiedene Betragen der Menschen genommen hat, kann sie 2) sehr die ganze gute Gesinnung des Religionslehrers bilden. Welche Achtung gegen Wahrheit und Gewissen, welche Zufriedenheit mit Gott bei so mannichfaltigen verschiedenen Vorstellungen vom Christenthum, die auf so verschiedenen Wegen doch alle zu Einem Hauptzweck führen, und bei oft so sehr gegen einander laufenden Mitteln, die doch alle zu Beförderung der Absichten Gottes mitwirken müssen; welche Werthschätzung der Vernunft, der heiligen Schrift, der eignen Untersuchung, nützlicher Wissenschaften und guter Anstalten; welche Ueberzeugung von dem großen Umfang von Kenntnissen und Eigenschaften und ihrer Nothwendigkeit, um ganz dem Beruf eines Lehrers der Religion, nach den Bedürfnissen seiner Zeit und seiner Zu|c110|hörer ein Genüge zu thun; und welchen regen Trieb darnach, welche Standhaftigkeit gegen diejenigen, die dieses Gute stören wollen, und welche Geduld, Mitleiden, Billigkeit gegen Irrende, oder die so von uns verschieden denken; welche Achtung und Liebe gegen unsern eignen, so weit und mannigfaltig zum Besten der Menschen wirkenden Beruf; wie viel Selbsterkenntniß und Ermunterung zu allen Tugenden kann dieses Studium wirken, wenn man, durch fleißige Beobachtung dieser Vorgänge in der Kirchengeschichte und ihrer Ursachen und Folgen, sie sich zu einer lehrreichen Schule der Bildung unsers eignen Herzens macht!Durch diese einleuchtende Darstellung der wunderbaren und allezeit herrlichen Wege Gottes sowohl, als durch so viele gute und böse Beispiele und des ganzen Ganges, den das verschiedene Betragen der Menschen genommen hat, kann sie 2) sehr die ganze gute Gesinnung des Religionslehrers bilden. Welche Achtung gegen Wahrheit und Gewissen, welche Zufriedenheit mit Gott bei so mannichfaltigen verschiedenen Vorstellungen vom Christenthum, die auf so verschiedenen Wegen doch alle zu Einem Hauptzweck führen, und bei oft so sehr gegen einander laufenden Mitteln, die doch alle zu Beförderung der Absichten Gottes mitwirken müssen; welche Werthschätzung der Vernunft, der heiligen Schrift, der eignen Untersuchung, nützlicher Wissenschaften und guter Anstalten; welche Ueberzeugung von dem großen Umfang von Kenntnissen und Eigenschaften und ihrer Nothwendigkeit, um ganz dem Beruf eines Lehrers der Religion, nach den Bedürfnissen seiner Zeit und seiner Zu|c110|hörer ein Genüge zu thun; und welchen regen Trieb darnach, welche Standhaftigkeit gegen diejenigen, die dieses Gute stören wollen, und welche Geduld, Mitleiden, Billigkeit gegen Irrende, oder die so von uns verschieden denken; welche Achtung und Liebe gegen unsern eignen, so weit und mannigfaltig zum Besten der Menschen wirkenden Beruf; wie viel Selbsterkenntniß und Ermunterung zu allen Tugenden kann dieses Studium wirken, wenn man, durch fleißige Beobachtung dieser Vorgänge in der Kirchengeschichte und ihrer Ursachen und Folgen, sie sich zu einer lehrreichen Schule der Bildung unsers eignen Herzens macht!

98.

Wie viel dieses Studium 3) zur Beförderung der wahren Klugheit eines Lehrers der Religion beitrage, können z. B. folgende Bemerkungen lehren. – Der vernachlässigte Unterschied zwischen Christenthum und Theologie bei dem Unterricht des Volks thut unsäglichen Schaden; die einleuchtendsten Beweise davon stellt die Kirchengeschichte fast bei allen (arianischen, nestorianischen, monophysitischen und andern) Streitigkeiten auf, an welchen selbst das Volk Theil nahm; und sie zeigt auch, welche Lehren von jeher unter den Christen und unbestritten gewesen, welche hingegen erst nach und nach entstanden, oder nie auf einstimmige Art von allen behauptet worden sind. – Nichts ist dem immer mehrern Wachsthum des Guten in der Kirche nachtheiliger, als die zu hohen Begriffe von gewissen Heiligen, angesehenen Lehrern, Anstalten, und der Untrüglichkeit der Kirche, so wie die Furcht vor der Gefahr, die aus Allem, was neu scheint, entsteht. Dies verhindert alle weitere und eigne |c111| Untersuchung, und giebt selbst Mängeln und Ausschweifungen ein unverletzliches Ansehn. Nichts ist, auf der andern Seite, der Erhaltung des wahrhaftig Guten, der Festigkeit der Grundsätze, und der gemeinschaftlichen Liebe gefährlicher, als das unzeitige und unvorsichtige Reformiren; nichts empört so sehr auch gegen gute neue Anstalten und Untersuchungen, als die unterlassene Schonung, die man dem Gewissen, der Freiheit der Menschen, und nützlichen, wenigstens unschädlichen, Vorurtheilen oder Dingen schuldig ist, an welche ein Theil von Menschen einmal seine Ueberzeugung von wichtigen Wahrheiten, seine Gemüthsruhe, oder seine Andacht und die Ausübung seiner Pflichten geknüpft hat. – Die Einigkeit in Meinungen über Religionssachen, in wie fern, und durch welche Mittel und unter welchen Umständen sie könne hervorgebracht werden, oder nicht, und was aus solchen Versuchen für Folgen entstehen? was kann alle diese Fragen besser beantworten, als die Geschichte der Conföderationen, der öffentlichen Religionsgespräche, der Glaubens- und Vereinigungsformeln? 1) was mehr die nöthige Vorsichtigkeit, auch in Einführung und Aenderung bloß äußerlicher Anstalten und der Nebendinge in der Religion, lehren? 2) was aufmerksamer auf Erhaltung der Freiheit, selbst in gleichgültigen Dingen? 3) was billiger in Beurtheilung hartnäckig- oder zu nachgiebigscheinender Dissentienten? 4) was geneigter in Schätzung jedes Guten in seiner Art 5) machen u. dergl., als die Geschichte solcher Personen oder Unternehmungen? – Kurz, es giebt keine lehrreichere Schule zur Bildung kluger und bescheidener Lehrer der Religion, als die Kirchengeschichte, und immer haben sich in dieser Absicht diejenigen durch wahre |c112| Klugheit, und in dem Maaß ausgezeichnet, welche und in welchem Maaß sie mit Fleiß und unbefangenem Gemüth diese Geschichte studiert hatten.Wie viel dieses Studium 3) zur Beförderung der wahren Klugheit eines Lehrers der Religion beitrage, können z. B. folgende Bemerkungen lehren. – Der vernachlässigte Unterschied zwischen Christenthum und Theologie bei dem Unterricht des Volks thut unsäglichen Schaden; die einleuchtendsten Beweise davon stellt die Kirchengeschichte fast bei allen (arianischen, nestorianischen, monophysitischen und andern) Streitigkeiten auf, an welchen selbst das Volk Theil nahm; und sie zeigt auch, welche Lehren von jeher unter den Christen und unbestritten gewesen, welche hingegen erst nach und nach entstanden, oder nie auf einstimmige Art von allen behauptet worden sind. – Nichts ist dem immer mehrern Wachsthum des Guten in der Kirche nachtheiliger, als die zu hohen Begriffe von gewissen Heiligen, angesehenen Lehrern, Anstalten, und der Untrüglichkeit der Kirche, so wie die Furcht vor der Gefahr, die aus Allem, was neu scheint, entsteht. Dies verhindert alle weitere und eigne |c111| Untersuchung, und giebt selbst Mängeln und Ausschweifungen ein unverletzliches Ansehn. Nichts ist, auf der andern Seite, der Erhaltung des wahrhaftig Guten, der Festigkeit der Grundsätze, und der gemeinschaftlichen Liebe gefährlicher, als das unzeitige und unvorsichtige Reformiren; nichts empört so sehr auch gegen gute neue Anstalten und Untersuchungen, als die unterlassene Schonung, die man dem Gewissen, der Freiheit der Menschen, und nützlichen, wenigstens unschädlichen, Vorurtheilen oder Dingen schuldig ist, an welche ein Theil von Menschen einmal seine Ueberzeugung von wichtigen Wahrheiten, seine Gemüthsruhe, oder seine Andacht und die Ausübung seiner Pflichten geknüpft hat. – Die Einigkeit in Meinungen über Religionssachen, in wie fern, und durch welche Mittel und unter welchen Umständen sie könne hervorgebracht werden, oder nicht, und was aus solchen Versuchen für Folgen entstehen? was kann alle diese Fragen besser beantworten, als die Geschichte der Conföderationen, der öffentlichen Religionsgespräche, der Glaubens- und Vereinigungsformeln? 1) was mehr die nöthige Vorsichtigkeit, auch in Einführung und Aenderung bloß äußerlicher Anstalten und der Nebendinge in der Religion, lehren? 2) was aufmerksamer auf Erhaltung der Freiheit, selbst in gleichgültigen Dingen? 3) was billiger in Beurtheilung hartnäckig- oder zu nachgiebigscheinender Dissentienten? 4) was geneigter in Schätzung jedes Guten in seiner Art 5) machen u. dergl., als die Geschichte solcher Personen oder Unternehmungen? – Kurz, es giebt keine lehrreichere Schule zur Bildung kluger und bescheidener Lehrer der Religion, als die Kirchengeschichte, und immer haben sich in dieser Absicht diejenigen durch wahre |c112| Klugheit, und in dem Maaß ausgezeichnet, welche und in welchem Maaß sie mit Fleiß und unbefangenem Gemüth diese Geschichte studiert hatten.
Anm. 1) Z. B. der Omousianer, Eusebianer und Anomöer; der Vertheidiger und Gegner der chalcedonischen Kirchenversammlung; der Streitigkeiten über den Origenes und über die drei Kapitel u. dergl. – der Religionsgespräche zwischen Katholiken und Protestanten, und der letztern unter einander; der wittenbergischen Concordie, der kryptocalvinistischen Händel, des sendomirischen Vereins, der Concordienformel, der jansenistischen Streitigkeiten etc.
2) Geschichte der Feyer des Pascha unter den ersten Christen, des Τρισαγιον, der Streitigkeiten über Verehrung der Bilder, über den Gebrauch des gesäuerten und ungesäuerten Brods im heiligen Abendmahl u. dergl.
3) S. die Geschichte der päpstlichen Obergewalt, z. B. der eingeführten Krönung der römischen Kaiser von den Päpsten, der falschen Decretalien, der Eingriffe der Päpste in die bischöflichen Rechte, der Immunitäten und Privilegien der Bettelorden, des Benehmens der Päpste und der Concilien zu Costnitz und Basel gegen die Hussiten, wie des zu Trident gegen die Protestanten, der Künste der Jesuiten, diese zu überlisten oder zu unterdrücken, und evangelische Landesherren zu Proselyten zu machen u. s. w.
4) Geschichte der pelagianischen Streitigkeiten und der aus dem Interim entstandenen Händel.
5) Geschichte der bei allen Mängeln, Fehlern und Irrthümern sehr mächtig und heilsam auf Verbesserung der Kirche wirkenden Priscillianisten, Paulicianer, Henrichianer, Waldenser, böhmischen Brüder und sogenannten Pietisten. Vergleichung zwischen Luther, Melanchthon und Erasmus. Vergleichung der sich einander balancirenden Gewalt der Päpste und Geistlichkeit auf einer, und der Landesherren und des befehdenden Adels, auch zum Theil der Bischöfe, auf der andern Seite.
|c113| Anm. Zu dem, was von dem Verfasser über die große Wichtigkeit kirchenhistorischer Kenntnisse, auch namentlich für den praktischen Religionslehrer, gesagt ist, kann man hinzusetzen, daß für den Mann, der in seiner theologischen Bildung und seinen Studien fortschreitet, kaum ein Studium bis in die spätesten Jahre so viel Interesse behalten kann, als Geschichte überhaupt und Religionsgeschichte insonderheit. Wenn so manche andere Studien, je länger man sie besonders als praktische Arbeiten betreibt, immer weniger befriedigen, weil man einsieht, daß man entweder nicht merklich weiter darin kommt, oder wenigen Gebrauch davon im Leben und in seiner amtlichen Wirksamkeit machen kann; wenn die Grübeleien der höhern Philosophie, der theologischen Metaphysik oder Dogmatik, der höhern und niedern Kritik, nach und nach ermüden und wenigstens dem Gemüth keinen Genuß gewähren, so liefert dagegen die Geschichte einen immer neuen, und je mehr man ins Einzelne geht, immer anziehendern Stoff für das Nachdenken, und afficirt das Gefühl auf die verschiedenartigste Weise. Wer mit offenen Augen vor dem großen Drama der Geschichte steht – wer könnte da ermüden? – Wie viel Lehre, wie viel Trost der denkende Prediger, namentlich aus der Geschichte der Kirche Jesu schöpfen, wie er seinen sinkenden Muth durch sie beleben, wie er sich in den drückendsten Zeiten an dem Bilde derer, die das Bessere gefunden und erwählt hatten, erquicken, mit welcher Beschämung er von der Betrachtung derer, die unter unendlichen Schwierigkeiten lange vor uns, für uns gearbeitet haben, zurückkommen werde, das ist schon oben berührt, kann aber nicht oft genug wiederholt werden.
A. d. H.

99.

Es ist indeß kaum nöthig zu erinnern, daß dieser große und mannigfaltige Nutzen der Kirchengeschichte nur dann erreicht werden könne, wenn sie die im ersten Theil |c114| erwähnten Eigenschaften einer guten Geschichte hat, und wenn man sie so studiert, daß man beständig diese vor Augen behält, und mit möglichstem Fleiße sie zu erreichen sucht. Dadurch fällt der Vorwurf der Unwissenden von selbst weg, daß sie ein bloßes Gedächtnißwerk, mit unnützen und unfruchtbaren Kleinigkeiten überhäuft, und zur Zubereitung eines künftigen Lehrers der Religion sehr entbehrlich sei. Eine flüchtige und oberflächliche Bekanntschaft mit derselben ist so viel wie gar keine, und schwerlich giebts irgend eine Art von akademischen Vorlesungen für einen künftigen Theologen, die er, wenn er Gelegenheit hätte, sie ausführlich und auf die angezeigte Art zu hören, weniger versäumen, und öfter hören sollte, als solche historische. Denn zuerst ist den Meisten darin Alles ganz neu und fremd; Vieles unverständlich, weil so manche andre Kenntnisse dabei vorausgesetzt, oder beigebracht werden müssen, die schlechterdings sich in der Kürze nicht abfertigen lassen, sondern umständliche Auseinandersetzung erfordern; und Vieles muß, wenn dem Zuhörer fast Alles noch unbekannt ist, seiner Aufmerksamkeit entgehen. Hiernächst kann er kaum den Abgang dieser versäumten Gelegenheit durch eignen Fleiß ersetzen, weil es ein gar zu weitläufiges Studium ist, das sehr viele Hülfsmittel erfordert, die selten jemand haben kann, so wenig wie hernach Geduld und Muße genug, um in seinem künftigen Beruf dieses nachzuholen; zumal da es so sehr an guten Handbüchern fehlt, woraus man sich selbst helfen könnte. Denn alle diese sind entweder zu unvollständig, oder unzuverlässig, selten aus den rechten Quellen geschöpft, und gar nicht so bearbeitet, daß sie sich durch die vorhin gedachten Eigenschaften empfehlen; oder sie enthalten treffliche Materialien, die aber nicht genug geordnet, nicht lehr|c115|reich und überzeugend genug zusammengestellt sind, und für den Anfänger noch zu viel Dunkles und Unerläutertes enthalten; oder sie sind nicht vollendet, nicht auf die neuesten Zeiten fortgeführt. Ausführlichere Werke aber sind zu kostbar, und keines faßt den ganzen Umfang der Kirchengeschichte in sich.Es ist indeß kaum nöthig zu erinnern, daß dieser große und mannigfaltige Nutzen der Kirchengeschichte nur dann erreicht werden könne, wenn sie die im ersten Theil |c114| erwähnten Eigenschaften einer guten Geschichte hat, und wenn man sie so studiert, daß man beständig diese vor Augen behält, und mit möglichstem Fleiße sie zu erreichen sucht. Dadurch fällt der Vorwurf der Unwissenden von selbst weg, daß sie ein bloßes Gedächtnißwerk, mit unnützen und unfruchtbaren Kleinigkeiten überhäuft, und zur Zubereitung eines künftigen Lehrers der Religion sehr entbehrlich sei. Eine flüchtige und oberflächliche Bekanntschaft mit derselben ist so viel wie gar keine, und schwerlich giebts irgend eine Art von akademischen Vorlesungen für einen künftigen Theologen, die er, wenn er Gelegenheit hätte, sie ausführlich und auf die angezeigte Art zu hören, weniger versäumen, und öfter hören sollte, als solche historische. Denn zuerst ist den Meisten darin Alles ganz neu und fremd; Vieles unverständlich, weil so manche andre Kenntnisse dabei vorausgesetzt, oder beigebracht werden müssen, die schlechterdings sich in der Kürze nicht abfertigen lassen, sondern umständliche Auseinandersetzung erfordern; und Vieles muß, wenn dem Zuhörer fast Alles noch unbekannt ist, seiner Aufmerksamkeit entgehen. Hiernächst kann er kaum den Abgang dieser versäumten Gelegenheit durch eignen Fleiß ersetzen, weil es ein gar zu weitläufiges Studium ist, das sehr viele Hülfsmittel erfordert, die selten jemand haben kann, so wenig wie hernach Geduld und Muße genug, um in seinem künftigen Beruf dieses nachzuholen; zumal da es so sehr an guten Handbüchern fehlt, woraus man sich selbst helfen könnte. Denn alle diese sind entweder zu unvollständig, oder unzuverlässig, selten aus den rechten Quellen geschöpft, und gar nicht so bearbeitet, daß sie sich durch die vorhin gedachten Eigenschaften empfehlen; oder sie enthalten treffliche Materialien, die aber nicht genug geordnet, nicht lehr|c115|reich und überzeugend genug zusammengestellt sind, und für den Anfänger noch zu viel Dunkles und Unerläutertes enthalten; oder sie sind nicht vollendet, nicht auf die neuesten Zeiten fortgeführt. Ausführlichere Werke aber sind zu kostbar, und keines faßt den ganzen Umfang der Kirchengeschichte in sich.
Anm. Wahr ists, der akademische Unterricht darüber bleibt immer noch kurz genug; und wer sich selbst mit eignem Fleiß auf dieses Studium legen, und aus den Quellen schöpfen will, kann es freilich darin weiter bringen, und diese Geschichte sichrer und überzeugter lernen. Aber wer darum dergleichen Vorlesungen nicht auf Universitäten hören wollte, der würde nicht überlegen, daß, nach diesem Grundsatz, überall der akademische Unterricht auch in andern Wissenschaften entbehrlich wäre; daß es doch besser sei, wenigstens das Nothdürftigste von einer solchen nützlichen Wissenschaft, als gar nichts davon zu lernen; daß ein solcher Unterricht eine gute Grundlage für das künftige eigne Studieren sei; und daß man doch schon viel gewonnen habe, wenn man auch nur auf das aufmerksam gemacht würde, worauf man bei diesem Studium hauptsächlich sehen muß, wenn man endlich dem Lehrer die wahre Art ablernte, wie die Kirchengeschichte studiert werden müsse. {Uebrigens ist wohl nicht zu läugnen, daß bei der Kürze eines gewöhnlichen Triennii, selbst die besten Vorlesungen der Krichengeschichte doch nur Skizzen, Uebersichten und Andeutungen seyn können, und gerade dieß Studium einen fortgesetzten Fleiß erfordert. Die im Vorigen angegebenen Schwierigkeiten sind indeß nicht unüberwindlich. Wem nur recht daran liegt, der wird sich die Hülfsmittel schon zu verschaffen und es zu sparen wissen, weiß auch schon, wohin er sich wenden kann, um sie zu benutzen. Auch haben wir seit dem Tode des Verfassers gar manche Bereicherung in diesem Fach erhalten.
A. d. H.[}]

|c116| 100.

Gemeiniglich stellt sich der Anfänger die Schwierigkeiten bei diesem Studium größer und unüberwindlicher vor, als sie sind, nicht nur wegen der Menge und Mannichfaltigkeit der Sachen, sondern auch, weil man sich in der Geschichte und in allen Wissenschaften, wo nicht der Verstand das Meiste thun muß, weniger selbst helfen kann, sondern von Andern lernen muß; weil fast Alles in dieser Geschichte dem Anfänger ganz fremd ist; und weil wenige Arten von den einem Studierenden nöthigen Kenntnissen so sehr auf Schulen versäumt werden, als die Kenntniß der Geschichte. Indessen lassen sie sich durch die Beobachtung folgender Vorschläge gar wohl überwinden, die zugleich auch zeigen, wie man dergleichen Vorlesungen über die Kirchengeschichte mit dem meisten Nutzen hören könne.Gemeiniglich stellt sich der Anfänger die Schwierigkeiten bei diesem Studium größer und unüberwindlicher vor, als sie sind, nicht nur wegen der Menge und Mannichfaltigkeit der Sachen, sondern auch, weil man sich in der Geschichte und in allen Wissenschaften, wo nicht der Verstand das Meiste thun muß, weniger selbst helfen kann, sondern von Andern lernen muß; weil fast Alles in dieser Geschichte dem Anfänger ganz fremd ist; und weil wenige Arten von den einem Studierenden nöthigen Kenntnissen so sehr auf Schulen versäumt werden, als die Kenntniß der Geschichte. Indessen lassen sie sich durch die Beobachtung folgender Vorschläge gar wohl überwinden, die zugleich auch zeigen, wie man dergleichen Vorlesungen über die Kirchengeschichte mit dem meisten Nutzen hören könne.

101.

Weil Wahrheit die Seele der Geschichte, Zuverlässigkeit der Erzählung der Grund aller andern aus der Geschichte zu ziehenden Vortheile ist, und der Anfänger sich hier vornehmlich auf die Kenntniß, Genauigkeit und Deutlichkeit des Docenten sowohl, als auf seine gute Wahl des Nützlichsten, und auf die lehrreichste Behandlung der Geschichte von ihm, muß verlassen können: so sei man 1) vor allen Dingen, wenn man die Wahl unter mehrern Docenten haben kann, in dieser Wahl sehr vorsichtig , und beurtheile sie nach dem , was unten darüber gesagt werden soll. Dann sollte man auch 2) nie Kirchengeschichte studieren wollen, ehe man sich nicht die Universalgeschichte seit Christi Geburt, und 3) die ältere und neuere Geographie wenigstens so weit bekannt gemacht hätte, um sich mit Hülfe guter Landcharten in vorkommenden Fällen helfen zu können. |c117| Ohne diese beiderlei Vorerkenntnisse wird man sich auf dem großen Felde schwerlich zurecht finden .Weil Wahrheit die Seele der Geschichte, Zuverlässigkeit der Erzählung der Grund aller andern aus der Geschichte zu ziehenden Vortheile ist, und der Anfänger sich hier vornehmlich auf die Kenntniß, Genauigkeit und Deutlichkeit des Docenten sowohl, als auf seine gute Wahl des Nützlichsten, und auf die lehrreichste Behandlung der Geschichte von ihm, muß verlassen können: so sei man 1) vor allen Dingen, wenn man die Wahl unter mehrern Docenten haben kann, in dieser Wahl sehr vorsichtig , und beurtheile sie nach dem , was unten darüber gesagt werden soll. Dann sollte man auch 2) nie Kirchengeschichte studieren wollen, ehe man sich nicht die Universalgeschichte seit Christi Geburt, und 3) die ältere und neuere Geographie wenigstens so weit bekannt gemacht hätte, um sich mit Hülfe guter Landcharten in vorkommenden Fällen helfen zu können. |c117| Ohne diese beiderlei Vorerkenntnisse wird man sich auf dem großen Felde schwerlich zurecht finden .
Anm. Es wäre sehr zu wünschen, daß man einige recht gute allgemeine Landcharten bekäme, welche ganz eigentlich für die Kirchengeschichte wären, und welche die verschiedenen Diöcesen in den christlichen Ländern zu verschiedenen Zeiten vorstellten, ungefähr so, wie die christlichen Patriarchate von d'Anville in le Quien Oriens Christianus, und die afrikanische Diöces von de l'Isle vor Du Pin (Ausgabe des Optatus Milev.), woran es jetzt noch eben so, wie an einem guten Handbuch der Kirchengeographie fehlt. Friedrich Spanheim's Introductio ad Geographiam sacram ist fast das einzige, obgleich sehr dürftige, Handbuch, das man ziemlich leicht haben kann, und doch sind nur erst in der Ausgabe im ersten Tomo seiner Werke Landcharten beigefügt, die zum Theil einerlei, zum Theil nicht viel besser sind, als die in Caroli a S. Paulo Geographia S. Amstel. 1703. fol.; auch gehen beiderlei Werke und Charten nur die ältere Kirchengeographie bis ins 6te Jahrhundert an. Die oben schon empfohlenen d'Anvillischen Charten und übrigen Hülfsmittel bleiben doch überhaupt, auch bei der Kirchengeschichte, unentbehrlich. {Seit dem dieß geschrieben ist, hat K. F. Stäudlin's kirchliche Geographie und Statistik, Erlangen 1804., 2 Bände, dem Bedürfniß sehr glücklich abgeholfen.}

102.

Dem Gedächtniß, wegen der vielen Namen und Jahrzahlen, zu Hülfe zu kommen, sich überall mehr zu orientiren, und immer einen Faden zu haben, woran man die Kenntnisse reihe, die man in der Kirchengeschichte erlangt hat, hat man sich 4) an ein gutes Handbuch zu gewöhnen, worin, nebst einer verhältnißmäßigen allgemeinen Vollständigkeit, eine gleichförmige Ordnung herrscht, 1) sodann 5) sich gewisse Epochen und Hauptbegebenheiten genau und |c118| fest mit ihren Umständen einzudrücken, 2) und 6) entweder selbst synchronistische Tabellen anzulegen, oder dergleichen immer vor Augen zu haben; 3) überall aber 7) nicht bloß das Gedächtniß zu beschäftigen, sondern stets auf eine solche Kenntniß der Kirchengeschichte bedacht zu seyn, welche die schon im ersten Theil angegebenen Eigenschaften einer guten Geschichte hat. Dem Gedächtniß, wegen der vielen Namen und Jahrzahlen, zu Hülfe zu kommen, sich überall mehr zu orientiren, und immer einen Faden zu haben, woran man die Kenntnisse reihe, die man in der Kirchengeschichte erlangt hat, hat man sich 4) an ein gutes Handbuch zu gewöhnen, worin, nebst einer verhältnißmäßigen allgemeinen Vollständigkeit, eine gleichförmige Ordnung herrscht, 1) sodann 5) sich gewisse Epochen und Hauptbegebenheiten genau und |c118| fest mit ihren Umständen einzudrücken, 2) und 6) entweder selbst synchronistische Tabellen anzulegen, oder dergleichen immer vor Augen zu haben; 3) überall aber 7) nicht bloß das Gedächtniß zu beschäftigen, sondern stets auf eine solche Kenntniß der Kirchengeschichte bedacht zu seyn, welche die schon im ersten Theil angegebenen Eigenschaften einer guten Geschichte hat.
Anm. 1) In dieser Absicht scheint die Methode, die Kirchengeschichte nach den Jahrhunderten abzuhandeln, und bei jedem Alles unter einerlei Hauptrubriken zu bringen, so manche Unvollkommenheit sie auch sonst mit sich führt, für den Anfänger die zuträglichste zu seyn; zumal da er sich bei längern Perioden zu leicht aus einer Zeit in die andere verirrt, und den Synchronismus aus den Augen verliert, auch einmal das Rechnen nach Jahrhunderten üblich ist, und die synchronistischen Tabellen darnach eingerichtet sind. Mosheim's Institutiones Hist. Eccles. verdienen deswegen, bei allen etwanigen Mängeln, noch immer Empfehlung, selbst auch mit darum, weil der Anfänger an zwei vermehrten deutschen Uebersetzungen, von Schlegel und von Einem, einen kleinen Commentar über das Buch haben kann. Unter den Handbüchern, die, ohne sich an einzelne Jahrhunderte zu binden, die Zeitfolge zum Grunde legen, ist die Allgemeine Geschichte der christl. Kirche, von H. P. C. Henke, Braunschweig 1800–1806., 1ster bis 6ter Theil, 4te Auflage, deren Beendigung von Vater erwartet wird, unstreitig das beste und reichhaltigste. {Kürzer zwar, aber von mehrern Seiten nicht minder empfehlungswerth, ist C. F. Stäudlin's Universalgeschichte der christlichen Kirche. Bremen 1816., 2te Ausg. in einem Bande.}
{Der selige Nößelt blieb der Methode nach Jahrhunderten getreu, welche seit den Magdeburgischen Centuriatoren, die Hauptschriftsteller, wie Spanheim, Tillemont, Natalis Alexander, Weisman, |c119| Pfaff, Mosheim, Baumgarten, W. E. Walch u. a. befolgt hatten. Indeß ist man doch vorzüglich jetzt ganz einverstanden, daß die Eintheilung in größere Perioden vorzuziehen sei, wenn diese nur nicht zu ungleich werden, sich stets mit einer besonders wichtigen und universellen Begebenheit eröffnen, auch die Zahl derselben nicht zu sehr vermehrt wird. Man vergleiche Plank's Einleitung in die theologischen Wissenschaften, Theil 2. S. 223 fg.
A. d. H.}
2) Hierin sowohl als in der pragmatischen Behandlung, hat der Spittlerische Grundriß der Geschichte der christlichen Kirche, 3te Aufl. Göttingen 1791. 8. entschiedene Vorzüge, zumal wenn er etwas mehr mit Begebenheiten und Literatur bereichert, auch der Gesichtspunkt, so wie bei der Geschichte der Hierarchie, eben so in andern merkwürdigen Rücksichten erweitert würde. Wer sich gewisse Hauptvorfälle mit ihren Umständen bemerkt, kann dadurch leicht, vermittelst der Association, auch andere Merkwürdigkeiten an ihren Ort stellen, wie z. B. wenn man einmal die Geschichte der zweiten ökumenischen Kirchenversammlung sich eingedrückt hat, den arianischen, macedonianischen, apollinarischen Händeln, dem Ursprung des constantinopolitanischen Patriarchats, der Regierung Theodosii des Großen, dem Gregorius Nazianz. und somit mehrern Andern, ihr Platz angewiesen wird.
3) Wenn man dergleichen nicht schon bei dem gewählten Handbuch hat, ist für den Anfänger der Seiler- und Rosenmüllersche kurze Inbegriff der Kirchengeschichte des N. T. in Tabellen, 7te Ausgabe, Erlangen 1796. 4. sehr brauchbar. {Uebertroffen aber ist dieß Werk durch J. S. Vater's synchronistische Tafeln der Kirchengeschichte. 3te Auflage, Halle 1818.}

103.

Wenn man sich auf die gedachte Art entweder durch gute Vorlesungen, oder durch den Gebrauch eines guten |c120| Handbuchs der Kirchengeschichte eine allgemeinere Kenntniß derselben erworben hat, und dieses Studium, wegen seines großen Nutzens, weiter fortsetzen, 1) und mit eigenen Untersuchungen verbinden will, so dürfen, in Beziehung auf die oben im ersten Theil angegebenen nothwendigen Eigenschaften einer wahren und nützlichen Geschichtskunde, folgende Regeln nie aus der Acht gelassen werden. 1) Weil bei Geschichte Alles auf Nachrichten und Zeugnisse ankommt, und es, bei der ungeheuren Menge derselben, die oft in Denkmahlen und Schriften, wo man sie gar nicht sucht, nur beiläufig vorkommen, unmöglich ist, daß auch der fleißigste Mann Alles wissen kann, was hier einiges Licht verbreiten möchte, so muß man sich vor allen Dingen sowohl um die Quellen aller Art, als um die, welche sie schon benutzt, und darnach irgend einen Theil der Kirchengeschichte untersucht haben, bekümmern.Wenn man sich auf die gedachte Art entweder durch gute Vorlesungen, oder durch den Gebrauch eines guten |c120| Handbuchs der Kirchengeschichte eine allgemeinere Kenntniß derselben erworben hat, und dieses Studium, wegen seines großen Nutzens, weiter fortsetzen, 1) und mit eigenen Untersuchungen verbinden will, so dürfen, in Beziehung auf die oben im ersten Theil angegebenen nothwendigen Eigenschaften einer wahren und nützlichen Geschichtskunde, folgende Regeln nie aus der Acht gelassen werden. 1) Weil bei Geschichte Alles auf Nachrichten und Zeugnisse ankommt, und es, bei der ungeheuren Menge derselben, die oft in Denkmahlen und Schriften, wo man sie gar nicht sucht, nur beiläufig vorkommen, unmöglich ist, daß auch der fleißigste Mann Alles wissen kann, was hier einiges Licht verbreiten möchte, so muß man sich vor allen Dingen sowohl um die Quellen aller Art, als um die, welche sie schon benutzt, und darnach irgend einen Theil der Kirchengeschichte untersucht haben, bekümmern.
Anm. 1) Es wäre allerdings sehr gut, vor der eigenen Untersuchung, ein oder anderes größeres Werk über diese Geschichte zu studieren. Man würde dadurch nicht nur jene erste Grundlage, sondern auch die verschiedenen Gesichtspunkte erweitern, aus der man die zur Kirchengeschichte gehörigen Sachen ansehen kann. Denn die Verfasser der Handbücher schränken sich gemeiniglich nur auf gewisse Gesichtspunkte, und oft zu sehr, ein, z. B. auf Geschichte der Kirche, ohne eben so genau der Geschichte der Lehre nachzuforschen, auf Geschichte der Hierarchie, ohne die Geschichte der religiösen Kultur und der sie befördernden Mittel u. d. gl., eben so fleißig darzustellen. Jeder läßt bei der nothwendigen Kürze und in Rücksicht auf seine Leser oder Zuhörer vieles Nützliche weg, der Theologe z. B. die Geschichte der Kirchengesetze, der Protestant Manches, was ihn weniger als den Katholiken interessirt, und das doch auch für ihn in mancher Absicht sehr nothwendig werden kann. – Aber noch kenne ich kein ausführlicheres und |c121| mit gehöriger Kenntniß der Quellen und Untersuchungsgeist geschriebenes Werk, das ganz vollständig wäre. Sonst würde ich, obgleich in verschiedener Rücksicht, für den, der weiter gehen will, die Bossuet-Cramersche Einleitung, die Semlerschen Selecta capita, Versuch eines fruchtbaren Auszugs der Kirchengeschichte, und Versuch christlicher Jahrbücher, Halle 1785. und 86., 2 Theile, gr. 8., nebst der Schröckhischen christlichen Kirchengeschichte (bis zur Reformation 34 Theile, seit der Reformation 9 Theile), vor allen andern empfehlen. Ueber die neuesten Zeiten geben die in der Bücherkenntniß §. 501. 386. 337. genannten Bücher hinlängliche Auskunft.
2) Nirgends ist Literargeschichte (s. den ersten Theil) und die Sammlung brauchbarer Excerpte unentbehrlicher, als beim Studium der Geschichte. Die Bücher, welche ganz eigentlich für die Kirchengeschichte und deren Aufklärung bestimmt sind, allgemeinere und besondere, kann man in der Anweisung zur Kenntniß der besten Bücher in der Theologie, Theil 1. Abschnitt 3. und in den daselbst §. 289. angezeigten Werken, desgleichen in der Bibliothek für Prediger, 2ter und 4ter Theil, finden. Andere, die kleine Theile der Kirchengeschichte, oder einzelne Umstände betreffen, muß man sich aus denenjenigen bekannt machen, welche diese mit Zeugnissen belegt, oder in ihren Schriften über besondere Gegenstände die gebrauchten Quellen angegeben haben. Es giebt auch Bücher, wo man die wichtigsten Quellen und Schriften über die besondersten Umstände angezeigt findet, z. B. in dem Catalog. Biblioth. Bunavianae, Tom. 1. Vol. 2. lib. VI. c. 1., die, welche von einzeln berühmten Schriftstellern, Tom. III. Vol. II. p. 597 seq., die, so von einzelnen Heiligen und Märtyrern geschrieben haben. Wenn man über die Kirchengeschichte ein solches, aber noch viel mehr erweitertes Buch hätte, wie Hamberger's Directorium historicum – post Marq. Freherum et iteratas Io. Dav. Koeleri curas, Göttingen 1772. 4., ist: so würde dem, der die Quellen der besondern Kirchengeschichte will kennen lernen, viele Mühe und |c122| Zeit, nebst dem Abgang vieler wichtigen Quellen, erspart werden. {In Plank's Einleitung in das Studium der Theologie, 2 Theile, sind die allgemeinern und besondern Schriften ebenfalls sehr vollständig angegeben.}

104.

Weil aber angebliche Quellen diesen Namen nicht immer verdienen, und nicht aus der Zeit, noch von den Verfassern sind, welchen sie zugeschrieben werden: so muß man, 2) ehe man sie gebraucht, von ihrer Echtheit überzeugt seyn, oder wissen, wie fern sie Quellen seyn können. Diese Kritik ist vielleicht nirgends nöthiger, als gerade bei den Quellen der Kirchengeschichte, weil bei der früh entstandenen Einbildung von Rechtmäßigkeit des sogenannten frommen Betrugs, bei der so bald unter Christen eingerissenen Gewohnheit, nach menschlichem Ansehen und Tradition Wahrheit und Pflicht zu bestimmen, und dem daher entstandenen Interesse, die Echtheit gewisser berühmten Denkmahle zu behaupten, endlich bei dem bis gegen die Zeiten der Reformation fast gänzlichen Mangel der hierbei gebrauchten Kritik und dem blinden Glauben, selbst an herrschend gewordene Sagen, so viele unechte Schriften und Denkmahle ein sehr unverdientes Ansehen erlangt haben.Weil aber angebliche Quellen diesen Namen nicht immer verdienen, und nicht aus der Zeit, noch von den Verfassern sind, welchen sie zugeschrieben werden: so muß man, 2) ehe man sie gebraucht, von ihrer Echtheit überzeugt seyn, oder wissen, wie fern sie Quellen seyn können. Diese Kritik ist vielleicht nirgends nöthiger, als gerade bei den Quellen der Kirchengeschichte, weil bei der früh entstandenen Einbildung von Rechtmäßigkeit des sogenannten frommen Betrugs, bei der so bald unter Christen eingerissenen Gewohnheit, nach menschlichem Ansehen und Tradition Wahrheit und Pflicht zu bestimmen, und dem daher entstandenen Interesse, die Echtheit gewisser berühmten Denkmahle zu behaupten, endlich bei dem bis gegen die Zeiten der Reformation fast gänzlichen Mangel der hierbei gebrauchten Kritik und dem blinden Glauben, selbst an herrschend gewordene Sagen, so viele unechte Schriften und Denkmahle ein sehr unverdientes Ansehen erlangt haben.
Anm. 1) Da so viel darauf ankommt, den Werth der Quellen recht zu würdigen: so ist zur Kenntniß derselben und ihrer rechten Beurtheilung überhaupt, C. W. F. Walch's kritische Nachricht von den Quellen der Kirchenhistorie, Leipzig 1770. gr. 8., ein unentbehrliches Buch. Wie sehr wäre zu wünschen, daß man in Absicht auf die ganze Kirchengeschichte ein solches Werk hätte, wie der Semlersche Versuch, den Gebrauch der Quellen in der Staats- und Kirchengeschichte zu erleichtern, Halle 1761. 8., in Absicht auf einen kleinern Theil der mittlern Geschichte ist! Mehrere in der Anweisung etc. §. 409. genannte Schriftstel|c123|ler, und außer diesen, in Rücksicht auf einzelne Schriften, manche Herausgeber der Schriften der Kirchenväter und alter Denkmahle, sonderlich die Benedictiner von der Congregation des heil. Maurus, desgleichen Jac. Sirmond, Joh. Launoi, Joh. Daillé, Anton Pagi, Tillemont, J. S. Semler, C. T. Spittler, und einige wenige Andere, haben auch hierin um die Kirchengeschichte sehr große Verdienste.
2) Wie man hierbei nicht auf die bloßen Urtheile, sondern auf die Gründe sehen muß, womit man jene unterstützt hat; denn der Zweifel geht sehr oft, nicht minder wie der blinde Glaube, über die Gränzen: so ist deswegen ein Denkmahl nicht gleich unbrauchbar, wenn es gleich fälschlich in eine gewisse Zeit gesetzt, oder einem Verfasser beigelegt worden ist; es kann, wie viele unechte Schriften, doch in der Zeit, wohin es wirklich gehört, und deren Spur es trägt, großes Licht geben, und unter vielem Unechten, doch schätzbare historische Fragmente enthalten, wie die sogenannten Apocrypha N. T., die Ignatianischen Briefe, Canones und Constitut. Apostolicae, Recognitiones Clementis, viele unechte Schriften vom Chrysostomus, Ambrosius, Augustinus u. a., wenn man nur vorher ihren Ursprung und ihr Alter ausfindig machen kann.

105.

Eben diese Kritik muß 3) bei einzelnen Stellen und deren Lesearten angewendet werden, wo, nach den Quellen, die zur richtigen Darstellung eines Textes dienen, oder nach andern wahrscheinlichen Spuren, Verdacht des Unechten entstehen kann, auch hernach 4) bei Bestimmung des richtigen Sinnes, wozu die Kenntniß des, besonders kirchlichen, Sprachgebrauchs, der in verschiedenen Gegenden und Zeiten sehr verschieden ist, unumgänglich erfordert wird, zumal da er, durch Vernachlässigung dieses Unterschieds, durch Un|c124|wissenheit und Vorurtheile, die durch mancherlei Interesse geleitet wurden, sehr verdunkelt worden ist.Eben diese Kritik muß 3) bei einzelnen Stellen und deren Lesearten angewendet werden, wo, nach den Quellen, die zur richtigen Darstellung eines Textes dienen, oder nach andern wahrscheinlichen Spuren, Verdacht des Unechten entstehen kann, auch hernach 4) bei Bestimmung des richtigen Sinnes, wozu die Kenntniß des, besonders kirchlichen, Sprachgebrauchs, der in verschiedenen Gegenden und Zeiten sehr verschieden ist, unumgänglich erfordert wird, zumal da er, durch Vernachlässigung dieses Unterschieds, durch Un|c124|wissenheit und Vorurtheile, die durch mancherlei Interesse geleitet wurden, sehr verdunkelt worden ist.
Anm. Bei der dritten Regel s. die Theil 1. §. 90. erwähnten Schriftsteller, und wegen der vierten die, welche in der Anweisung zur Bücherkenntniß §. 410. genannt worden sind. Casaubon's, Salmasii, Blondel's und einiger Andern Schriften, unter den Neuern J. A. Ernesti Antimuratorius, Rößler's Bibliothek der Kirchenväter etc. enthalten sehr schätzbare Aufklärungen über diesen Sprachgebrauch.

106.

Wenn man von dem wahren Sinn in einer echten Stelle eines solchen Denkmahls oder Schriftstellers überzeugt ist, bleibt noch 5) die Prüfung der Glaubwürdigkeit des Zeugnisses übrig. Es ist hier der Ort nicht, zu zeigen, wie diese Prüfung, und nach welchen Regeln, sie anzustellen sei; 1) aber Vorsichtigkeit kann bei dieser Geschichte, die durch Unwissenheit, Parteigeist und Hang zum Außerordentlichen so sehr verdorben ist, nicht genug empfohlen, der angehende Geschichtschreiber nicht oft genug erinnert werden, eher nicht zu urtheilen, als bis und so weit er sich das Zeugniß geben kann, eben die Eigenschaften bei dieser Prüfung mitzubringen, die bei dem Zeugen seyn müssen, den man prüfen soll, nämlich in Absicht auf die Eigenschaften unsrer Erkenntniß, hinlängliche Bekanntschaft mit der Geographie, Chronologie, der bürgerlichen und Völker-, der Literar-, auch der übrigen gleichzeitigen Kirchengeschichte, Philosophie, Kritik und genaue Sprachkenntniß, alles dieses verbunden mit gesundem Verstande, treuem Gedächtniß, feiner Menschen- und Weltkenntniß, scharfsinnigem Beobachtungsgeist, und Fähigkeit, selbst kleine Umstände, nach |c125| den Spuren, die uns die Geschichte zeigt, geschickt zu verbinden; und in Absicht auf den guten Willen, theils strenge Unparteilichkeit, die sich weder durch Liebe gegen das, wofür wir eingenommen sind, es sei Religion, oder Partei, oder eigne Entdeckung und Einfall, es sei Neues, das wir sagen, oder Altes, was wir vertheidigen wollen, noch durch Abneigung von Personen, Gesellschaften oder Sachen, verführen läßt, theils unermüdeten Fleiß, dem selbst anscheinende Kleinigkeiten nicht zu gering sind, weil und wenn sie auf die Spur der so versteckten Wahrheit leiten können. 2) Wenn man von dem wahren Sinn in einer echten Stelle eines solchen Denkmahls oder Schriftstellers überzeugt ist, bleibt noch 5) die Prüfung der Glaubwürdigkeit des Zeugnisses übrig. Es ist hier der Ort nicht, zu zeigen, wie diese Prüfung, und nach welchen Regeln, sie anzustellen sei; 1) aber Vorsichtigkeit kann bei dieser Geschichte, die durch Unwissenheit, Parteigeist und Hang zum Außerordentlichen so sehr verdorben ist, nicht genug empfohlen, der angehende Geschichtschreiber nicht oft genug erinnert werden, eher nicht zu urtheilen, als bis und so weit er sich das Zeugniß geben kann, eben die Eigenschaften bei dieser Prüfung mitzubringen, die bei dem Zeugen seyn müssen, den man prüfen soll, nämlich in Absicht auf die Eigenschaften unsrer Erkenntniß, hinlängliche Bekanntschaft mit der Geographie, Chronologie, der bürgerlichen und Völker-, der Literar-, auch der übrigen gleichzeitigen Kirchengeschichte, Philosophie, Kritik und genaue Sprachkenntniß, alles dieses verbunden mit gesundem Verstande, treuem Gedächtniß, feiner Menschen- und Weltkenntniß, scharfsinnigem Beobachtungsgeist, und Fähigkeit, selbst kleine Umstände, nach |c125| den Spuren, die uns die Geschichte zeigt, geschickt zu verbinden; und in Absicht auf den guten Willen, theils strenge Unparteilichkeit, die sich weder durch Liebe gegen das, wofür wir eingenommen sind, es sei Religion, oder Partei, oder eigne Entdeckung und Einfall, es sei Neues, das wir sagen, oder Altes, was wir vertheidigen wollen, noch durch Abneigung von Personen, Gesellschaften oder Sachen, verführen läßt, theils unermüdeten Fleiß, dem selbst anscheinende Kleinigkeiten nicht zu gering sind, weil und wenn sie auf die Spur der so versteckten Wahrheit leiten können. 2)
Anm. 1) Siehe J. A. Ernesti vortreffliche Bemerkungen und Regeln in der Diss. de fide historica recte aestimanda in den Opuscul. phil. crit. p. 64 seqq.
2) Kein bescheidner Mann, und wer irgend die Menschen kennt, wird sich oder Andre für ganz frei von allen Leidenschaften halten. Aber Beispiele von einzelnen hier erwähnten Eigenschaften, auch mehrere zusammen, wird man doch vorzüglich in Ant. Pagi Critica in Annal. Baronii, in einigen Mosheimischen Werken über die Kirchengeschichte, in Beausobre Hist. crit. du Manicheisme, in den Semlerschen hierher gehörigen Schriften, in C. W. F. Walch's Entwurf einer vollständigen Historie der Ketzereien, in der Plankischen Geschichte des protestantischen Lehrbegriffs, und in einigen Andern finden.

107.

Der große Einfluß, welchen die einzelnen Theile der Geschichte, und besonders der Kirchengeschichte, auf einander haben, macht es uns 6) besonders zur Pflicht, so sehr wir unsre Ursachen haben können, und so sehr uns der ungemein große Umfang der Geschichte nöthigen kann, uns auf die Untersuchung gewisser Theile einzuschränken, keinen |c126| gering zu achten, oder ganz zu vernachlässigen. Die geringfügigsten Umstände haben oft die größten Revolutionen hervorgebracht; oft ist nicht die Sache, oder die Art wichtig, wie man sich dabei benommen hat; und oft findet sich über die Ursachen merkwürdiger Veränderungen in gewissen Theilen der Geschichte allein, oder doch mehr Aufschluß als in dem, welchen man bearbeitet.Der große Einfluß, welchen die einzelnen Theile der Geschichte, und besonders der Kirchengeschichte, auf einander haben, macht es uns 6) besonders zur Pflicht, so sehr wir unsre Ursachen haben können, und so sehr uns der ungemein große Umfang der Geschichte nöthigen kann, uns auf die Untersuchung gewisser Theile einzuschränken, keinen |c126| gering zu achten, oder ganz zu vernachlässigen. Die geringfügigsten Umstände haben oft die größten Revolutionen hervorgebracht; oft ist nicht die Sache, oder die Art wichtig, wie man sich dabei benommen hat; und oft findet sich über die Ursachen merkwürdiger Veränderungen in gewissen Theilen der Geschichte allein, oder doch mehr Aufschluß als in dem, welchen man bearbeitet.
Die Geschichte der sogenannten drei Kapitel, der Zänkereien der Patriarchen unter einander, der Nestorianischen besonders und der Monophysitischen Händel, des Bilderstreits, des Einflusses der Höfe, und wiederum einzelner Personen auf diese, bei solchen Streitigkeiten, auch verschiedner merkwürdigen, sonderlich Bettelorden, kann das zur Genüge lehren.

108.

Die Wahrheit einer bezeugten Begebenheit ist nicht bloß nach Zeugnissen, sie ist auch nach der Natur der Sache und nach dem ganzen Umfang ihrer Umstände zu beurtheilen, und wenn die Nachrichten über diese von einander abweichen oder einander widersprechen, so müssen sie mit einander verglichen, und in den wahrscheinlichsten Zusammenhang gebracht werden. Deswegen ists 7) nicht genug, viele Thatsachen oder Ereignisse zu sammeln; man muß alle Umstände derselben zusammennehmen, sie ordnen, oder sehen, was bei der Vergleichung übrig bleibt. Dieß giebt der Geschichte und unsern Begriffen davon mehr Deutlichkeit, und verhütet zugleich, daß man die Thatsachen nicht gleich verwirft, weil man sie verschieden oder widersprechend angegeben findet; nicht einen Zusammenhang oder Vorfälle und Absichten erdichtet, die nie gewesen sind, und dadurch die Wahrheit der Geschichte verdirbt, indem man sie reini|c127|gen oder unterhaltend machen will. Wiefern man sich hier Vermuthungen erlauben dürfe, ist schon im ersten Theil, bei der Geschichte überhaupt, gesagt worden.Die Wahrheit einer bezeugten Begebenheit ist nicht bloß nach Zeugnissen, sie ist auch nach der Natur der Sache und nach dem ganzen Umfang ihrer Umstände zu beurtheilen, und wenn die Nachrichten über diese von einander abweichen oder einander widersprechen, so müssen sie mit einander verglichen, und in den wahrscheinlichsten Zusammenhang gebracht werden. Deswegen ists 7) nicht genug, viele Thatsachen oder Ereignisse zu sammeln; man muß alle Umstände derselben zusammennehmen, sie ordnen, oder sehen, was bei der Vergleichung übrig bleibt. Dieß giebt der Geschichte und unsern Begriffen davon mehr Deutlichkeit, und verhütet zugleich, daß man die Thatsachen nicht gleich verwirft, weil man sie verschieden oder widersprechend angegeben findet; nicht einen Zusammenhang oder Vorfälle und Absichten erdichtet, die nie gewesen sind, und dadurch die Wahrheit der Geschichte verdirbt, indem man sie reini|c127|gen oder unterhaltend machen will. Wiefern man sich hier Vermuthungen erlauben dürfe, ist schon im ersten Theil, bei der Geschichte überhaupt, gesagt worden.

109.

Dieß giebt auch 8) den Stoff zum wahren Pragmatischen, ohne welches die Geschichte bloß ein Gegenstand der Neugier und ein Spiel der Einbildungskraft, wenigstens nicht nutzbar zur Bildung des Verstandes und Herzens, wird. Nur muß man wirklich aus der Geschichte durch fleißige Beobachtung lernen, nicht bloß unsre Meinungen oder Vorurtheile bestätigen zu wollen; man muß die gute und schlechte Seite der Dinge mit gleicher Sorgfalt beobachten. So wird sie uns ein lehrreicher Schauplatz der göttlichen Vorsehung, die auch das Schlecht- und Bösescheinende zu ihren Absichten braucht, eine Schule, wo man eben sowohl aus Andrer Fehlern als ihrem guten Betragen lernen kann.Dieß giebt auch 8) den Stoff zum wahren Pragmatischen, ohne welches die Geschichte bloß ein Gegenstand der Neugier und ein Spiel der Einbildungskraft, wenigstens nicht nutzbar zur Bildung des Verstandes und Herzens, wird. Nur muß man wirklich aus der Geschichte durch fleißige Beobachtung lernen, nicht bloß unsre Meinungen oder Vorurtheile bestätigen zu wollen; man muß die gute und schlechte Seite der Dinge mit gleicher Sorgfalt beobachten. So wird sie uns ein lehrreicher Schauplatz der göttlichen Vorsehung, die auch das Schlecht- und Bösescheinende zu ihren Absichten braucht, eine Schule, wo man eben sowohl aus Andrer Fehlern als ihrem guten Betragen lernen kann.
Anm. Sehr Wenige haben die Kirchengeschichte eigentlich pragmatisch erzählt. Weismann in den Memorabilibus H. E. hat sie praktisch und zur Erbauung anwendbar machen wollen. Fleury und Racine haben auf eben den Zweck hingearbeitet. Eigentlich pragmatisch aber, in dem oben angegebnen Sinn, sind vorzüglich die Spittlerschen und Schmidtschen Handbücher, und, unter den etwas größern Werken, der Cramersche Bossuet und die Schröckhsche christliche Kirchengeschichte, auch zum Theil die Semlerschen Anmerkungen, wie in Absicht auf einzelne Theile der Kirchengeschichte die oben (§. 106. Anm. 2.) genannten Werke.

110.

Wer sich mit recht eigentlichem Fleiß auf die Kirchengeschichte legen wollte, müßte sich nicht bloß auf dieselbe |c128| im Ganzen und dessen allgemeine Uebersicht einschränken, sondern auch die einzelnen Theile besonders studieren. Denn diese Geschichte ist von einem so gar weitläufigen Umfang, daß man überaus viel Wichtiges gar nicht kennen lernt, wenn man sich bloß an die Universalkirchengeschichte hält, ja daß man diese nicht einmal recht gründlich, deutlich und pragmatisch machen kann, ohne sich eine genauere Kenntniß jener einzelnen Theile erworben zu haben. Daher werden in der allgemeinen Kirchengeschichte viele sehr wichtige Gegenstände (z. B. Geschichte der Lehren und des mannichfaltigen Aberglaubens, Geschichte des Jesuitismus in seiner allmähligen Entwickelung und seines geheimen Einflusses u. dergl.) ganz und gar nicht, oder nur sehr wenig berührt, oder nicht richtig und vollständig genug aufgeklärt; ja von manchen wichtigen Umständen weiß man die Zeit nicht genau, oder man betrachtet gewisse Begebenheiten nur nach ihrem Ausbruch, nicht nach den lange verborgenen Vorbereitungen; *) oder die Geschichte merkwürdiger Veränderungen wird bei der Abtheilung in gewisse Perioden so sehr zerstückelt, daß man sie wenigstens nicht so gut übersehen kann, als wenn man die Geschichte der einzelnen Lehren oder Parteien besonders untersuchte.Wer sich mit recht eigentlichem Fleiß auf die Kirchengeschichte legen wollte, müßte sich nicht bloß auf dieselbe |c128| im Ganzen und dessen allgemeine Uebersicht einschränken, sondern auch die einzelnen Theile besonders studieren. Denn diese Geschichte ist von einem so gar weitläufigen Umfang, daß man überaus viel Wichtiges gar nicht kennen lernt, wenn man sich bloß an die Universalkirchengeschichte hält, ja daß man diese nicht einmal recht gründlich, deutlich und pragmatisch machen kann, ohne sich eine genauere Kenntniß jener einzelnen Theile erworben zu haben. Daher werden in der allgemeinen Kirchengeschichte viele sehr wichtige Gegenstände (z. B. Geschichte der Lehren und des mannichfaltigen Aberglaubens, Geschichte des Jesuitismus in seiner allmähligen Entwickelung und seines geheimen Einflusses u. dergl.) ganz und gar nicht, oder nur sehr wenig berührt, oder nicht richtig und vollständig genug aufgeklärt; ja von manchen wichtigen Umständen weiß man die Zeit nicht genau, oder man betrachtet gewisse Begebenheiten nur nach ihrem Ausbruch, nicht nach den lange verborgenen Vorbereitungen; *) oder die Geschichte merkwürdiger Veränderungen wird bei der Abtheilung in gewisse Perioden so sehr zerstückelt, daß man sie wenigstens nicht so gut übersehen kann, als wenn man die Geschichte der einzelnen Lehren oder Parteien besonders untersuchte.
Anm. *) So wird z. B. in den gewöhnlichen Abhandlungen der Kirchengeschichte die Lehre vom heiligen Abendmahl und von der Versöhnung Christi, so verschiedne Vorstellungen es auch darüber immer gab, erstere kaum vor dem Ursprung der Radbertschen Streitigkeiten im 9ten, diese kaum vor dem Ursprung der antitrinitarischen Aeußerungen im 16ten Jahrhundert, berührt. Seit dem 7ten Jahrhundert verschwinden die Antitrinitarier fast ganz aus der Geschichte, und kommen erst im 16ten wieder zum Vorschein, ungeachtet nicht zu läugnen ist, daß der Saame davon in Spanien, dem südlichen Frankreich und Italien, immer geblie|c129|ben, und nur erst spät öffentlich ausgebrochen ist. Ueberhaupt, wenn die verschiedenen Meinungen über eine Lehre keinen merklichen Einfluß in gewisse große Revolutionen in der Kirche geäußert haben, so herrscht in der allgemeinen Kirchengeschichte, indem man bloß diese verfolgt, das tiefste Stillschweigen von jenen unmerklichern Veränderungen. Daher selbst die entsetzlichen Lücken in der Geschichte der Lehren, wenn man diese bloß aus der allgemeinen Kirchengeschichte zusammengetragen hat, wie man sich z. B. aus Priestley's Geschichte der Verfälschungen des Christenthums leicht durch den Augenschein überzeugen kann. {Durch die neuern Bearbeitungen der Dogmengeschichte, für welche Münscher zu früh gestorben ist, sind jedoch schon viele dieser Lücken ausgefüllt.
A. d. H.}

111.

Zu diesen besondern Haupttheilen der christlichen Kirchengeschichte gehört zuerst die Geschichte der Schicksale der christlichen Religion, selbst in ihrer Echtheit und Entstellung, und, mit derselben, der christlichen Kirche , d. i. der Ausbreitung und Einschränkung, des Verfalls, oder gar des Aussterbens beider in gewissen Ländern. Bei dieser Geschichte muß nun untersucht werden: von woher die Werkzeuge dieser Ausbreitung gekommen? unter welchem Einfluß sie gestanden? in welchem Geist sie das Christenthum ausgebreitet haben? was für eine Art der Religion sie in solchen Ländern vorgefunden? wie weit sie sie ausgerottet, oder geschwächt, oder mit der neuen Lehre verschmolzen haben? wie weit sich in solchen Gegenden diese Fortpflanzung erstreckt? ob über eine ganze Nation oder nicht? und über welchen Theil derselben? ob sie sich der Gewalt oder gelinderer Mittel zu ihren Zwecken bedient, und von welchen Ursachen der größere oder geringere |c130| Fortgang abgehangen? welche Wirkungen diese fortgepflanzte Erkenntniß auf die Kultur solcher Länder gehabt, wie weit sie durch sie gehemmt und vermindert sei? welche Veränderungen daraus in der ganzen Verfassung solcher Völker entstanden? besonders wie und wonach die Verfassung einer neuentstandenen Kirche gebildet worden , und in welchem Verhältnisse sie in der Folge gegen die Staats- und übrige Verfassung gestanden habe? Auf eben diese Fragen müßte ungefähr auch bei dem äußerlichen Verfall und Untergang des Christenthums in gewissen Gegenden gesehen werden. – Hierzu gehört eine sehr genaue Kenntniß der Völker- und Ländergeschichte und Verfassung zu verschiedenen Zeiten. Diese wird aber, wegen des großen Einflusses der Religion, eben so sehr durch jene Untersuchungen aufgeklärt werden, als die Geschichte der innern Veränderungen der christlichen Kirche Licht aus diesen äußerlichen Umständen bekommen muß, in welchem unstreitig der Grund von vielen besondern Veränderungen und Einrichtungen gewisser Kirchen oder des Fortgangs und der Hindernisse derselben, gelegen hat. *) Zu diesen besondern Haupttheilen der christlichen Kirchengeschichte gehört zuerst die Geschichte der Schicksale der christlichen Religion, selbst in ihrer Echtheit und Entstellung, und, mit derselben, der christlichen Kirche , d. i. der Ausbreitung und Einschränkung, des Verfalls, oder gar des Aussterbens beider in gewissen Ländern. Bei dieser Geschichte muß nun untersucht werden: von woher die Werkzeuge dieser Ausbreitung gekommen? unter welchem Einfluß sie gestanden? in welchem Geist sie das Christenthum ausgebreitet haben? was für eine Art der Religion sie in solchen Ländern vorgefunden? wie weit sie sie ausgerottet, oder geschwächt, oder mit der neuen Lehre verschmolzen haben? wie weit sich in solchen Gegenden diese Fortpflanzung erstreckt? ob über eine ganze Nation oder nicht? und über welchen Theil derselben? ob sie sich der Gewalt oder gelinderer Mittel zu ihren Zwecken bedient, und von welchen Ursachen der größere oder geringere |c130| Fortgang abgehangen? welche Wirkungen diese fortgepflanzte Erkenntniß auf die Kultur solcher Länder gehabt, wie weit sie durch sie gehemmt und vermindert sei? welche Veränderungen daraus in der ganzen Verfassung solcher Völker entstanden? besonders wie und wonach die Verfassung einer neuentstandenen Kirche gebildet worden , und in welchem Verhältnisse sie in der Folge gegen die Staats- und übrige Verfassung gestanden habe? Auf eben diese Fragen müßte ungefähr auch bei dem äußerlichen Verfall und Untergang des Christenthums in gewissen Gegenden gesehen werden. – Hierzu gehört eine sehr genaue Kenntniß der Völker- und Ländergeschichte und Verfassung zu verschiedenen Zeiten. Diese wird aber, wegen des großen Einflusses der Religion, eben so sehr durch jene Untersuchungen aufgeklärt werden, als die Geschichte der innern Veränderungen der christlichen Kirche Licht aus diesen äußerlichen Umständen bekommen muß, in welchem unstreitig der Grund von vielen besondern Veränderungen und Einrichtungen gewisser Kirchen oder des Fortgangs und der Hindernisse derselben, gelegen hat. *)
Anm. *) Z. B. des Wachsthums oder der Schwächung der kirchlichen, sonderlich päpstlichen Gewalt, bei schwachen oder bessern Einrichtungen der Staatsverfassung; der sogenannten Orthodoxie oder Heterodoxie, und ihrer Schicksale nach der politischen Verfassung, oder den Umständen und Absichten eines Staats oder Regenten u. d. gl. Die Geschichte des Arianismus und Pelagianismus unter verschiedenen Herrschaften und in verschiedenen Zeiten kann hier vorzüglich zum Beispiel dienen.

112.

Ein anderer, aber auch wohl der wichtigste, obgleich schwerste, und am wenigsten mit rechter Genauigkeit bear|c131|beitete Theil der Kirchengeschichte, 1) ist die Geschichte der christlichen Lehre, und überhaupt der Vorstellungen in der Religion. Diese Geschichte müßte sich 1) nicht bloß auf die in der heiligen Schrift bekannt gemachten Lehren, sondern auf alle Meinungen erstrecken, die wenigstens bei einem Theil der Christen geherrscht haben, sofern sie in die Religion schlagen, oder dahin gezogen worden sind, sie mögen zur natürlichen oder geoffenbarten Kenntniß der Religion gehören, es mögen davon vermeintliche Spuren in der Bibel aufgefunden, oder sie anderwärts her genommen seyn. 2) 2) Sie müßte nicht nur das Schicksal der Lehren der heiligen Schrift selbst in der christlichen Kirche, sondern auch der verschiedenen Vorstellungen , die man sich unter den Christen davon gemacht hat, und die Schicksale dieser Vorstellungen 3) enthalten.Ein anderer, aber auch wohl der wichtigste, obgleich schwerste, und am wenigsten mit rechter Genauigkeit bear|c131|beitete Theil der Kirchengeschichte, 1) ist die Geschichte der christlichen Lehre, und überhaupt der Vorstellungen in der Religion. Diese Geschichte müßte sich 1) nicht bloß auf die in der heiligen Schrift bekannt gemachten Lehren, sondern auf alle Meinungen erstrecken, die wenigstens bei einem Theil der Christen geherrscht haben, sofern sie in die Religion schlagen, oder dahin gezogen worden sind, sie mögen zur natürlichen oder geoffenbarten Kenntniß der Religion gehören, es mögen davon vermeintliche Spuren in der Bibel aufgefunden, oder sie anderwärts her genommen seyn. 2) 2) Sie müßte nicht nur das Schicksal der Lehren der heiligen Schrift selbst in der christlichen Kirche, sondern auch der verschiedenen Vorstellungen , die man sich unter den Christen davon gemacht hat, und die Schicksale dieser Vorstellungen 3) enthalten.
Anm. 1) Mit so großem Fleiß einige Stücke dieser Geschichte untersucht worden sind (s. die Anweisung zur theologischen Bücherkenntniß, §. 392–402.), so ist es doch meistens nur aus polemischen Absichten und zur Beantwortung der Frage über das Alterthum gewisser Lehren und Vorstellungen geschehen. Dieser Umstand hat nicht nur die Unparteilichkeit bei dieser Untersuchung oft verhindert, und das, was Geschichte seyn sollte, in eine polemische Abhandlung verwandelt; sie hat auch verursacht, daß fast nur die Geschichte solcher Lehren untersucht worden, über welche sich ganze Parteien unter den Christen getrennt haben (namentlich der zwischen der römischen und andern Kirchen streitigen Lehren), dagegen die Geschichte der übrigen Lehren meistens unbearbeitet liegen geblieben ist. Daher ist auch die Geschichte einer Lehre in neuern Zeiten fast nie mitgenommen worden, so wie man auch noch gar keine auch nur einigermaßen ganz vollständige Geschichte der christlichen Lehre hat.
|c132| 2) Hierher gehört die ganze Geschichte philosophischer Hypothesen und des religiösen Aberglaubens unter den Christen, die aus dem Juden- oder Heidenthum in die Kirche übergingen; die ganze Emanationslehre, die von der Seelenwanderung, von den Schutzengeln, von den Wirkungen der bösen Geister, von Zauberern und Hexen, deren Gemeinschaft mit bösen Geistern, selbst dem Tanzen mit ihnen auf Bergen (wovon schon im vierten Jahrhundert Spuren in den Morgenländern sind) u. d. gl.
3) So hat es nicht nur verschiedene Vorstellungen vom Verdienst Christi und guten Werken, vom Gesetz und Evangelium, gegeben, sondern es ist auch eine dieser Lehren durch übertriebenen Werth der andern, oft vernachlässigt, und durch ganz fremde und unbiblische Vorstellungen verdunkelt, zu gewissen Zeiten und in gewissen Parteien darin gar nichts näher, oft wieder nur zu viel bestimmt worden.

113.

Da die verschiedenen Vorstellungen von einer Lehre entweder aus verschiedenen Erklärungen der heiligen Schrift, oder aus verschiedenen Grundsätzen der Philosophie und deren verschiedenen Anwendung, oder aus verschieden angenommener Tradition, oder nach verschiedenem innern Gefühl, entstanden sind: so werden ferner 3) die verschiedenen Meinungen über die Gültigkeit, den Werth und die rechte Anwendung dieser Quellen, und die Schicksale, welche diese Meinungen gehabt haben, mit in Anschlag kommen müssen; auch 4) die verschiedenen Vorstellungen von dem Werth gewisser Bestimmungen einer Lehre, ihrem Einfluß in andere Lehren, und der Nothwendigkeit, sie von einem Christen zu fordern, mithin zugleich 5) der Ursprung und das Schicksal vorher unbekannter und ungewöhnlicher Meinungen, auf die man erst gefallen ist, um andere Lehren oder |c133| Vorstellungen zu vertheidigen. Hiermit sind 6) die neuen Erklärungen gewisser Schriftstellen und neue versuchte Beweise für gewisse Meinungen, so wie umgekehrt das Verschwinden oder Verdächtigwerden anderer Erklärungen darüber zu verbinden. Auch darf man 7) die eingeführte Terminologie und den verschiedenen oder veränderten Sprachgebrauch in der Theologie, und überhaupt 8) nichts von den Umständen übersehen, die zu solchen Vorstellungen, ihren Abwechselungen, ihrer behaupteten Nothwendigkeit, oder ihren Beweisen u. d. gl. Gelegenheit gegeben haben.Da die verschiedenen Vorstellungen von einer Lehre entweder aus verschiedenen Erklärungen der heiligen Schrift, oder aus verschiedenen Grundsätzen der Philosophie und deren verschiedenen Anwendung, oder aus verschieden angenommener Tradition, oder nach verschiedenem innern Gefühl, entstanden sind: so werden ferner 3) die verschiedenen Meinungen über die Gültigkeit, den Werth und die rechte Anwendung dieser Quellen, und die Schicksale, welche diese Meinungen gehabt haben, mit in Anschlag kommen müssen; auch 4) die verschiedenen Vorstellungen von dem Werth gewisser Bestimmungen einer Lehre, ihrem Einfluß in andere Lehren, und der Nothwendigkeit, sie von einem Christen zu fordern, mithin zugleich 5) der Ursprung und das Schicksal vorher unbekannter und ungewöhnlicher Meinungen, auf die man erst gefallen ist, um andere Lehren oder |c133| Vorstellungen zu vertheidigen. Hiermit sind 6) die neuen Erklärungen gewisser Schriftstellen und neue versuchte Beweise für gewisse Meinungen, so wie umgekehrt das Verschwinden oder Verdächtigwerden anderer Erklärungen darüber zu verbinden. Auch darf man 7) die eingeführte Terminologie und den verschiedenen oder veränderten Sprachgebrauch in der Theologie, und überhaupt 8) nichts von den Umständen übersehen, die zu solchen Vorstellungen, ihren Abwechselungen, ihrer behaupteten Nothwendigkeit, oder ihren Beweisen u. d. gl. Gelegenheit gegeben haben.
Anm. 1) Einen merkwürdigen Beleg zum 4ten und den übrigen Stücken dieses §. giebt z. B. die Lehre vom heiligen Abendmahl. Unstreitig enthalten sowohl Kirchenväter, als alte Liturgieen, Stellen, die für die Vorstellung von einer reellen Gegenwart, oder gar einer Verwandlung des Brods und Weins, zu stimmen scheinen, so wie andere für bloße Zeichen und Bilder. Erst im 7ten Jahrhundert fing man in den Morgenländern an, die Ausdrücke, σημειον, συμβολον, τυπος etc. weniger, und dagegen jene gröberen Vorstellungen und Ausdrücke zu brauchen, um den wahren Körper Christi, gegen Manichäer und Aphtartodoketen, festzustellen. Nachdem Karl der Große (im 2ten Buch de cultu imag. c. 27.) den Ausdruck Bild Christi verworfen hatte, um den Beweis des zweiten nicäischen Concilii für den Bilderdienst zu widerlegen, den dieses daher genommen hatte, daß Brod im heiligen Abendmahl ein Bild Christi würde, auch der Mißverstand jener derbern Ausdrücke von Verwandlung u. s. f. dazu gekommen war, fing die Vorstellung von Zeichen an, auch in der lateinischen Kirche zu sinken, und Radbert konnte schon im 9ten Jahrhundert mit seiner Meinung einiges Glück machen, die, alles damaligen Widerspruchs ungeachtet, in der Mitte des 11ten Jahrhunderts schon so überhand genommen hatte, daß Berengar die gegenseitige Meinung als eine Ketze|c134|rei abschwören mußte. Und doch legte selbst Papst Gregor VII. noch keinen so großen Werth auf die herrschende Meinung, daß er anfänglich Berengar's Beweis aus dem Alterthum für gültig erkannte, und hernach selbst mit seiner Erklärung zufrieden war. (S. Berengarii Stelle in Leßing's Berengar. Turonens. S. 152 f. und Martene nov. thesaur. anecdot. Tom. IV. p. 103.) Erst der Widerspruch der Albigenser etc. etc. gegen die nun immer mehr um sich greifende Lehre von der Brodverwandlung bewog den Papst Innocenz III. auf der lateranensischen Kirchenversammlung im Jahr 1215, diese Lehre zur Lehre der Kirche zu machen, und die Verfolgung der anders Denkenden, als Ketzerei, zu gebieten. – Wer Luther's Lehre über das heilige Abendmahl in seinen vom N. Test. und von dem babylonischen Gefängniß 1520. herausgegebenen Schriften, mit den folgenden, nach entstandenem Streit mit den Schweitzern, sein Benehmen beim Marburger Religionsgespräch, wieder etwas anders bei der wittenbergischen Concordie, und wieder auf die erste Art seit Erscheinung der Zwingli'schen Werke im Jahr 1543, so wie das Betragen einiger seiner Schüler seit der Erscheinung des Zürcher Consensus im Jahr 1549, und noch mehr bei der Concordienformel, nach entstandenen kryptocalvinischen Händeln in Sachsen, vergleicht, der wird sich sehr leicht diese Abwechselungen in den Vorstellungen vom heiligen Abendmahl, und den verschiedenen Werth, den man darauf gelegt hat, erklären können.
2) Bei der 5ten Bemerkung des §. dient die Lehre von der Concomitanz zum Beispiel, welche durch die von der Transsubstantiation veranlaßt worden ist, und wieder die von der Entbehrlichkeit des Kelchs im heiligen Abendmahl erzeugt hat, so wie man auf die Lehre von der Ubiquität der Menschheit Christi zuerst durch die Lehre von der wesentlichen Gegenwart des Leibes Christi im heiligen Abendmahl geleitet wurde; – bei der 6ten, die Erklärung der Stelle Joh. 14, 28. von der ἀγεννησια des Vaters; Rö|c135|mer 9. und anderer gleichlautenden von der augustinianischen Prädestination; Ephes. 5, 32. von der Ehe als einem Sakrament; Ebr. 2, 16. von Vereinigung beider Naturen in Christo; und die Bedenklichkeit, Apgesch. 3, 21. durch quem oportuit coelo capi zu übersetzen, aus Furcht der Ubiquität zu nahe zu treten; – bei der 7ten die verschiednen Bedeutungen der ὁμοουσιας vor und nach dem ersten nicäischen Concilium, desgleichen der Wörter ὑποστασις, φυσις, φυσικη ἑνωσις, συγκρασις, φθαρτον u. a. bei den arianischen, nestorianischen und monophysitischen Streitigkeiten.

114.

Schon der große Umfang dieser Geschichte macht die Untersuchung derselben sehr schwer, und vielleicht ist bei keinem Theil der Kirchenhistorie, außer den andern oben angegebenen Wissenschaften (§. 104. fg.) eine ausgebreitete Kenntniß der historischen Denkmahle und der Religionsschriften aller christlichen Völker und Zeiten, eine genaue Bekanntschaft mit dem mannichfaltigen kirchlichen Sprachgebrauch und der Geschichte der Philosophie nöthiger, fast bei keinem ist auch strenge Unparteilichkeit zu beobachten schwerer, als bei diesem. Aber es belohnt sich auch der darauf gewandte Fleiß genug durch große Vortheile, die schon oben bei dem Nutzen der Kirchengeschichte angegeben sind, und die vorzüglich aus dieser Lehrgeschichte gezogen werden können. Unsere Einsichten in die Religion bleiben immer sehr eingeschränkt, wenn man die verschiedenen Gestalten und Seiten nicht kennt, in und auf welchen sich eine Sache dem menschlichen Verstande darstellt. Man bleibt um so mehr auf seinen Meinungen ersessen, und taub gegen alle bessere Einsichten, je weniger Seiten einer Sache, und je weniger man die Gründe kennt, die Andere, an|c136|ders zu urtheilen, oder sich auszudrucken, bewogen haben. Nur alsdann kann man dem Mißverstand und den Wortstreitigkeiten vorbeugen, die so ganz alle richtige Entscheidung verhindern, Irrthümern und Zweideutigkeiten auf den Grund kommen, richtiger und billiger von Anderer Meinungen und ihrer Unschuld oder ihrem Werth urtheilen, und selbst bestimmter denken und sich ausdrucken lernen, wenn man hinlänglich mit der Geschichte dieser Lehren und der verschiedenen Vorstellungen davon bekannt ist.Schon der große Umfang dieser Geschichte macht die Untersuchung derselben sehr schwer, und vielleicht ist bei keinem Theil der Kirchenhistorie, außer den andern oben angegebenen Wissenschaften (§. 104. fg.) eine ausgebreitete Kenntniß der historischen Denkmahle und der Religionsschriften aller christlichen Völker und Zeiten, eine genaue Bekanntschaft mit dem mannichfaltigen kirchlichen Sprachgebrauch und der Geschichte der Philosophie nöthiger, fast bei keinem ist auch strenge Unparteilichkeit zu beobachten schwerer, als bei diesem. Aber es belohnt sich auch der darauf gewandte Fleiß genug durch große Vortheile, die schon oben bei dem Nutzen der Kirchengeschichte angegeben sind, und die vorzüglich aus dieser Lehrgeschichte gezogen werden können. Unsere Einsichten in die Religion bleiben immer sehr eingeschränkt, wenn man die verschiedenen Gestalten und Seiten nicht kennt, in und auf welchen sich eine Sache dem menschlichen Verstande darstellt. Man bleibt um so mehr auf seinen Meinungen ersessen, und taub gegen alle bessere Einsichten, je weniger Seiten einer Sache, und je weniger man die Gründe kennt, die Andere, an|c136|ders zu urtheilen, oder sich auszudrucken, bewogen haben. Nur alsdann kann man dem Mißverstand und den Wortstreitigkeiten vorbeugen, die so ganz alle richtige Entscheidung verhindern, Irrthümern und Zweideutigkeiten auf den Grund kommen, richtiger und billiger von Anderer Meinungen und ihrer Unschuld oder ihrem Werth urtheilen, und selbst bestimmter denken und sich ausdrucken lernen, wenn man hinlänglich mit der Geschichte dieser Lehren und der verschiedenen Vorstellungen davon bekannt ist.
Anm. Der Eifer, mit dem Nestorius und die Morgenländer sich dem Ausdruck Mutter Gottes (Θεοτόκος) wiedersetzten, hingegen auf stete Unterscheidung der beiden Naturen in Christo drangen, und umgekehrt des Cyrillus Eifer für jenen und wider diese, gründete sich bei jenen auf die Furcht vor dem Apollinarismus, der in Syrien, und bei diesem auf den Eifer gegen den Arianismus, der in Aegypten mehr herrschte. Dieses Beispiel, so wie Jovinian's Satz: omnia peccata paria esse; der dem Johannes Philoponus Schuld gegebene Tritheismus; Joh. Agricola und der Antinomer Eifer wider das Gesetz; der Streit über den Satz: ob gute Werke zur Seligkeit nöthig sind? und tausend andere Beispiele, erläutern das hier Gesagte.
Vergleiche J. A. Ernesti Opuscula theologica, 13te Abhandlung und J. W. F. Walch Gedanken von der Geschichte der Glaubenslehre, zweite Ausgabe, Göttingen 1764. 8.

115.

Unter den Quellen der christlichen Lehrgeschichte haben die Schriften dererjenigen den ausgebreitetsten Nutzen, welche über christliche Lehren geschrieben haben, es sei daß sie ihre eigenen Gedanken darüber äußerten, oder verschiedene Meinungen darüber, oder wenigstens eine Er|c137|klärung und einen bestimmten Sinn einer christlichen Lehre erwähnten. Durch sie wird man nicht nur mit mehrern Vorstellungen über einen Lehrpunkt, man wird auch zum Theil mit den Gründen bekannt, wodurch man jene unterstützt hat, oder mit den Meinungen, die auf jene geführt, oder ihr ein gewisses Ansehen verschafft haben; welchen Nutzen andere Denkmahle, selbst öffentliche Bekenntnißschriften, nicht leisten, wenn sie nicht zugleich Schutz- und Vertheidigungsschriften sind. Diejenigen christlichen Schriftsteller, welche bei der in gewissen christlichen Ländern herrschenden Lehrpartei ein vorzügliches Ansehen erlangt haben, entweder als Zeugen und treue Fortpflanzer derjenigen Vorstellung von einer Lehre, die dergleichen Partei für die richtigste hält, oder als solche, welche die richtige Vorstellung getroffen haben, sind in so fern die wichtigsten, als ihr Ansehen bei solchen Parteien die Kraft eines Beweises erlangt hat, und man aus ihrer Geschichte sieht, wie und warum sie, wenigstens in gewisser Absicht, dieses Ansehen erhalten haben. In diesem Ansehen stehen die sogenannten Kirchenväter (Patres) bei allen denen, welche eine historische Lehrtradition als verbindlich zum Glauben ansehen, bei Andern aber als Zeugen der Vorstellungen, die in den herrschenden Kirchen für die richtigsten gehalten worden sind, oder wenigstens jetzt gehalten werden.Unter den Quellen der christlichen Lehrgeschichte haben die Schriften dererjenigen den ausgebreitetsten Nutzen, welche über christliche Lehren geschrieben haben, es sei daß sie ihre eigenen Gedanken darüber äußerten, oder verschiedene Meinungen darüber, oder wenigstens eine Er|c137|klärung und einen bestimmten Sinn einer christlichen Lehre erwähnten. Durch sie wird man nicht nur mit mehrern Vorstellungen über einen Lehrpunkt, man wird auch zum Theil mit den Gründen bekannt, wodurch man jene unterstützt hat, oder mit den Meinungen, die auf jene geführt, oder ihr ein gewisses Ansehen verschafft haben; welchen Nutzen andere Denkmahle, selbst öffentliche Bekenntnißschriften, nicht leisten, wenn sie nicht zugleich Schutz- und Vertheidigungsschriften sind. Diejenigen christlichen Schriftsteller, welche bei der in gewissen christlichen Ländern herrschenden Lehrpartei ein vorzügliches Ansehen erlangt haben, entweder als Zeugen und treue Fortpflanzer derjenigen Vorstellung von einer Lehre, die dergleichen Partei für die richtigste hält, oder als solche, welche die richtige Vorstellung getroffen haben, sind in so fern die wichtigsten, als ihr Ansehen bei solchen Parteien die Kraft eines Beweises erlangt hat, und man aus ihrer Geschichte sieht, wie und warum sie, wenigstens in gewisser Absicht, dieses Ansehen erhalten haben. In diesem Ansehen stehen die sogenannten Kirchenväter (Patres) bei allen denen, welche eine historische Lehrtradition als verbindlich zum Glauben ansehen, bei Andern aber als Zeugen der Vorstellungen, die in den herrschenden Kirchen für die richtigsten gehalten worden sind, oder wenigstens jetzt gehalten werden.
Anm. 1) Bekanntlich ist der Begriff von Kirchenvätern sehr schwankend, und muß es, nach dem bisher Gesagten, seyn. Denn da es 1) mehrere herrschende Parteien giebt, worunter sich jede für die rechtgläubigste hält, und jede in ihren Meinungen, zumal in denen, worin sie sich von andern unterscheidet, von gewissen Schriftstellern gestimmt worden ist: so hat Mancher in einer den ehrwürdigen Namen eines Vaters bekommen, der in der andern als Ketzer |c138| angesehen, oder nicht geachtet wird; wie Theodor von Mopsveste in der chaldäischen, Cyrill von Alexandrien in der jakobitischen Ambrosius, Hieronymus, Augustin, Papst Leo III. und Gregor der Große in der lateinischen Kirche etc. 2) Manche, Tertullian z. B. und Origenes, haben, durch irgend eine Ursach, entweder kein entscheidendes dogmatisches Ansehen erlangt oder es verloren, und werden nur als Zeugen oder Erhalter der Tradition geachtet. 3) In einer herrschenden Kirche ist nicht immer eine Vorstellung die herrschende, z. B. die Augustinianische Vorstellung von Prädestination, den Kräften des Menschen und der Gnade, die Lehre von der Brodverwandlung und der Kelchsverweigerung; daher (der sehr pelagianisirende) Hilarius von Poitiers und Cassian lange nicht das Ansehen erlangt oder erhalten haben, das sich Augustin erwarb. Ueberhaupt, so wie durch besondere Zufälle und Zeitumstände gewisse Vorstellungen herrschend, und durch Kirchengesetze bestätigt, folglich die Freiheit im Glauben gehemmt worden; so wie herrschende Kirchen sich von andern herrschenden Kirchen getrennt haben, jede sich auf Tradition berufen, und jede gesehen hat, mit welchen Schriftstellern ihr Lehrbegriff am meisten einstimmte, oder von ihnen am deutlichsten war vorgetragen worden: so hat sie diese erhoben, zumal wenn sie von ihrer Kirche waren, und die andern sinken oder liegen lassen. So gelten, außer den erwähnten, der heilige Bernhard und Thomas von Aquino in der lateinischen Kirche überhaupt mehr, als Clemens von Alexandrien und Johann von Damascus, Hieronymus mehr als Origenes, Ambrosius mehr als Basilius, – so sehr auch Hieronymus und Ambrosius die beiden andern ausgeschrieben haben.
2) So wie das dogmatische Ansehen der Kirchenschriftsteller den Begriff der Kirchenväter sehr schwankend macht: so auch die Gewohnheit, diesen Namen nur auf Schriftsteller einer gewissen Zeit einzuschränken. Manche |c139| rechnen dahin nur Schriftsteller der sechs ersten Jahrhunderte; Andere dehnen den Namen bis auf den Ursprung der Scholastiker, oder vielmehr bis auf die Zeit aus, wo im 12ten Jahrhundert Peter der Lombarde in der lateinischen Kirche angefangen hat, ein theologisches System aus den Aussprüchen der Kirchenväter zusammenzusetzen. Noch Andere geben diesen Namen auch Andern bis gegen die Zeiten der Reformation. Vielleicht rührt der erste gewöhnlichste Begriff daher, daß seit dem 7ten Jahrhundert Isidorus von Seville, und nach ihm Mehrere in der lateinischen Kirche angefangen, die Sentenzen vorhergehender Schriftsteller unter gewisse Rubriken zusammenzutragen, so wie es Johann von Damascus im 8ten in der griechischen Kirche that, und daß seit der Synodo Trullana im Jahr 692, noch mehr aber seit der Trennung der Päpste von der griechischen Herrschaft, und des griechischen und abendländischen Kaiserthums im 8ten Jahrhundert, und vollends der griechischen und lateinischen Kirche im 9ten, jede Kirche ihre Tradition und Kirchengesetze vor sich gehabt, also keine Schriftsteller mehr von da an ein dogmatisches Ansehen, außer ihrer besondern Kirche, bekommen haben, zumal da seitdem theils in beiden Kirchen fast alle Schriftsteller die vorhergehenden ausgeschrieben, und sich selbst dadurch das Ansehen der Orthodoxie zu geben gesucht, theils die römischen Bischöfe eine beinahe ausschließende gesetzgebende Gewalt erlangt haben. Die zweite Bedeutung, die der lateinischen Kirche eigen ist, rührt ohne Zweifel vom Ursprung der compilirten Sentenzen Peter's des Lombarden her, die seitdem das allgemeine Lehrbuch wurden, und von der gedachten entscheidenden Gewalt der Päpste in allen Streitigkeiten über noch nicht bestimmte Lehrfragen. Die dritte ist die ungewöhnlichste, und hat einigen wenigen Schriftstellern, als dem heiligen Thomas, Gerson u. a., bloß wegen ihres großen Ansehens diesen Namen zuwege gebracht.

|c140| 116.

Nach dem Namen der Kirchenväter (Patrum) nennt man die Erklärungen derselben über die christlichen Lehren zusammengenommen, oder den Inbegriff ihrer Vorstellungen von dem, was zur christlichen Lehre gerechnet wird, Patristik im engern Verstande, oder besser patristische Theologie. Im weitern Verstande aber begreift man unter Patristik nicht nur dieses, sondern auch zugleich mit alle Kenntnisse, die zur Verständlichkeit und zum Gebrauch ihrer Schriften nöthig sind. Nun ist, wie schon bemerkt, der Begriff, der mit dem Namen der Kirchenväter verbunden wird, vieldeutig (§. 115. Anm. 2.); Protestanten aber erkennen kein dogmatisches, sondern bloß historisches Ansehen derselben, welches die Kirchenväter mit jedem christlichen Schriftsteller gemein haben. Daher könnte man Patristik, wie patristische Theologie, auch in dem weitesten Verstande, von der Bekanntschaft mit den Umständen und dem Lehrbegriff christlicher Schriftsteller nehmen. Wenigstens gilt das, was im Folgenden davon gesagt wird, von allen Schriftstellern über christliche Lehre, obwohl insbesondere von denen, deren entscheidendes dogmatisches Ansehn in denjenigen Kirchen anerkannt wird, welche sich an eine gewisse dogmatische Tradition, als Erkenntnißgrund der rechten christlichen Lehre, halten.Nach dem Namen der Kirchenväter (Patrum) nennt man die Erklärungen derselben über die christlichen Lehren zusammengenommen, oder den Inbegriff ihrer Vorstellungen von dem, was zur christlichen Lehre gerechnet wird, Patristik im engern Verstande, oder besser patristische Theologie. Im weitern Verstande aber begreift man unter Patristik nicht nur dieses, sondern auch zugleich mit alle Kenntnisse, die zur Verständlichkeit und zum Gebrauch ihrer Schriften nöthig sind. Nun ist, wie schon bemerkt, der Begriff, der mit dem Namen der Kirchenväter verbunden wird, vieldeutig (§. 115. Anm. 2.); Protestanten aber erkennen kein dogmatisches, sondern bloß historisches Ansehen derselben, welches die Kirchenväter mit jedem christlichen Schriftsteller gemein haben. Daher könnte man Patristik, wie patristische Theologie, auch in dem weitesten Verstande, von der Bekanntschaft mit den Umständen und dem Lehrbegriff christlicher Schriftsteller nehmen. Wenigstens gilt das, was im Folgenden davon gesagt wird, von allen Schriftstellern über christliche Lehre, obwohl insbesondere von denen, deren entscheidendes dogmatisches Ansehn in denjenigen Kirchen anerkannt wird, welche sich an eine gewisse dogmatische Tradition, als Erkenntnißgrund der rechten christlichen Lehre, halten.
Anm. Diese Kenntnisse machen also einen Theil der Kirchengeschichte aus, und, wenn Patristik im engern Sinn genommen wird, einen Theil der Geschichte christlicher Lehre.

|c141| 117.

Wer diese Kenntnisse besitzen will, der muß nicht nur die Schriftsteller selbst, wenigstens die merkwürdigern, kennen, die sich über die christliche Lehre entweder selbst erklärt, oder Erklärung Anderer darüber erwähnt haben; er muß auch wissen, was sie darüber für Schriften bekannt gemacht haben? ob diese Schriften und die dahin gehörigen Stellen und Lesearten wirklich ihnen, oder wem sie sonst angehören? und welchen Werth oder wenigstens Ansehen sie und ihre Schriften erlangt, besonders was sie für Veränderungen dadurch in der Kirche hervorgebracht haben?Wer diese Kenntnisse besitzen will, der muß nicht nur die Schriftsteller selbst, wenigstens die merkwürdigern, kennen, die sich über die christliche Lehre entweder selbst erklärt, oder Erklärung Anderer darüber erwähnt haben; er muß auch wissen, was sie darüber für Schriften bekannt gemacht haben? ob diese Schriften und die dahin gehörigen Stellen und Lesearten wirklich ihnen, oder wem sie sonst angehören? und welchen Werth oder wenigstens Ansehen sie und ihre Schriften erlangt, besonders was sie für Veränderungen dadurch in der Kirche hervorgebracht haben?

118.

Die Mühe, welche man auf das Studium der Schriften der eigentlichen Kirchenväter (im gewöhnlichsten und engsten Verstande) wendet, belohnt sich zwar sehr wenig durch wirkliche Aufklärung der christlichen Erkenntniß, oder durch wahre Erbauung, weil es den Meisten unter ihnen an gründlicher Kenntniß des Sprachgebrauchs der heiligen Schrift und an gesunder Philosophie fehlte, sie sich unglaublich viel willkürliche Einfälle zu gute hielten, und sie meistens – die wenigstens, welche eben das meiste Ansehen der Rechtgläubigkeit erlangt haben – die hergebrachte Lehrvorstellung fortpflanzten, oder derselben ihre Erklärungen anpaßten. Auch waren sie so wenig unfehlbar, als der ältern Vorstellungen von den christlichen Lehren unter Christen und des wahren Sinnes derselben hinlänglich kundig, noch uneingenommen genug für und wider die Wahrheit dieser Vorstellungen, als daß sie nicht hätten mehr nach dem Herkommen, als nach reinen Gründen, Wahrheit und Echtheit der Tradition entscheiden sollen. Sie können daher für |c142| uns, die wir diese Fehler an ihnen erkennen, und den Widerspruch sehen, in welchen sie theils oft mit sich selbst, theils mit andern eben so angesehenen, wenigstens eben so achtungswürdigen, Kirchenvätern stehen, keine Quelle der Erkenntniß wahrer christlichen Lehre seyn.Die Mühe, welche man auf das Studium der Schriften der eigentlichen Kirchenväter (im gewöhnlichsten und engsten Verstande) wendet, belohnt sich zwar sehr wenig durch wirkliche Aufklärung der christlichen Erkenntniß, oder durch wahre Erbauung, weil es den Meisten unter ihnen an gründlicher Kenntniß des Sprachgebrauchs der heiligen Schrift und an gesunder Philosophie fehlte, sie sich unglaublich viel willkürliche Einfälle zu gute hielten, und sie meistens – die wenigstens, welche eben das meiste Ansehen der Rechtgläubigkeit erlangt haben – die hergebrachte Lehrvorstellung fortpflanzten, oder derselben ihre Erklärungen anpaßten. Auch waren sie so wenig unfehlbar, als der ältern Vorstellungen von den christlichen Lehren unter Christen und des wahren Sinnes derselben hinlänglich kundig, noch uneingenommen genug für und wider die Wahrheit dieser Vorstellungen, als daß sie nicht hätten mehr nach dem Herkommen, als nach reinen Gründen, Wahrheit und Echtheit der Tradition entscheiden sollen. Sie können daher für |c142| uns, die wir diese Fehler an ihnen erkennen, und den Widerspruch sehen, in welchen sie theils oft mit sich selbst, theils mit andern eben so angesehenen, wenigstens eben so achtungswürdigen, Kirchenvätern stehen, keine Quelle der Erkenntniß wahrer christlichen Lehre seyn.
Anm. S. die in der Anweisung zur Kenntniß der Bücher in der Theologie §. 28. und 389. angeführten Schriften, nebst den daselbst §. 393. bis 402. erwähnten protestantischen Schriftstellern über die Geschichte der christlichen Lehre.

119.

Dennoch hat auch dieses Studium, und überhaupt die Bekanntschaft mit denen, welche über die christliche Lehre geschrieben haben, seinen großen Nutzen. 1) Je weniger entfernt diese Kirchenväter von den Zeiten der Apostel waren, *) oder je mehr sie in ihrem Vortrag einzelne Ausdrücke und Redensarten der heiligen Schrift in einem deutlichern Zusammenhang brauchen, oder statt derselben deutlichere setzen, oder je mehr sie Volksmeinungen erwähnen, auf welche auch in der heiligen Schrift angespielt wird: desto brauchbarer sind sie zur Kenntniß des eigentlichen Sprachgebrauchs und Sinnes der Bibel; so wie sie 2) dadurch, daß sie uns so viele Stellen der heiligen Schrift aufbehalten haben, zur Kritik des Textes des neuen Testaments unentbehrlich bleiben. 3) Sind es wirklich selbst denkende, und wenigstens da, wo sie nicht durch hergebrachte kirchliche Vorstellungen oder Meinungen ihrer besondern Philosophie gehindert wurden, untersuchende Männer: so führen sie uns auf manche nützliche Aussichten und Entdeckungen, auf die wir selbst, bei einem gewissen gewohnten Gesichtskreise, nicht gerathen seyn würden, und tragen in so fern viel wenigstens zur Erweiterung unserer Erkenntniß der christlichen |c143| Lehre bei; verhindern wenigstens, daß wir nicht so leicht in die gewöhnlichen Fehler derjenigen, die nur für sich untersuchen, d. i. auf einseitige Vorstellungen und auf die Einbildung, daß unsre Zeiten allein aufgeklärt sind, verfallen. Hauptsächlich aber sind sie 4) die vornehmsten Quellen bei allen Theilen der Kirchengeschichte, vornehmlich bei Geschichte der christlichen Lehre, aus welchen wir nicht nur die Kenntniß der Veränderungen in der Kirche und Lehre, nebst deren Ursachen und Folgen, sondern auch die Kenntniß der kirchlichen Sprache schöpfen können; und sofern gewähren sie auch 5) den Nutzen, der oben der Kirchengeschichte in Absicht auf die systematische Theologie beigelegt wurde. Finden sich 6) in ihnen Aeußerungen, die von den jetzt herrschenden Vorstellungen in der Kirche abgehen, so dienen deren Kenntnisse uns alsdann wenigstens zur Schutzwehr gegen unglimpfliche Beurtheilungen oder Verketzerungen, und machen doch eher harte Richter in Glaubenssachen geneigt, Meinungen, die von den hergebrachten abgehen, mit mehrerer Mäßigung anzusehen, oder erst zu untersuchen.Dennoch hat auch dieses Studium, und überhaupt die Bekanntschaft mit denen, welche über die christliche Lehre geschrieben haben, seinen großen Nutzen. 1) Je weniger entfernt diese Kirchenväter von den Zeiten der Apostel waren, *) oder je mehr sie in ihrem Vortrag einzelne Ausdrücke und Redensarten der heiligen Schrift in einem deutlichern Zusammenhang brauchen, oder statt derselben deutlichere setzen, oder je mehr sie Volksmeinungen erwähnen, auf welche auch in der heiligen Schrift angespielt wird: desto brauchbarer sind sie zur Kenntniß des eigentlichen Sprachgebrauchs und Sinnes der Bibel; so wie sie 2) dadurch, daß sie uns so viele Stellen der heiligen Schrift aufbehalten haben, zur Kritik des Textes des neuen Testaments unentbehrlich bleiben. 3) Sind es wirklich selbst denkende, und wenigstens da, wo sie nicht durch hergebrachte kirchliche Vorstellungen oder Meinungen ihrer besondern Philosophie gehindert wurden, untersuchende Männer: so führen sie uns auf manche nützliche Aussichten und Entdeckungen, auf die wir selbst, bei einem gewissen gewohnten Gesichtskreise, nicht gerathen seyn würden, und tragen in so fern viel wenigstens zur Erweiterung unserer Erkenntniß der christlichen |c143| Lehre bei; verhindern wenigstens, daß wir nicht so leicht in die gewöhnlichen Fehler derjenigen, die nur für sich untersuchen, d. i. auf einseitige Vorstellungen und auf die Einbildung, daß unsre Zeiten allein aufgeklärt sind, verfallen. Hauptsächlich aber sind sie 4) die vornehmsten Quellen bei allen Theilen der Kirchengeschichte, vornehmlich bei Geschichte der christlichen Lehre, aus welchen wir nicht nur die Kenntniß der Veränderungen in der Kirche und Lehre, nebst deren Ursachen und Folgen, sondern auch die Kenntniß der kirchlichen Sprache schöpfen können; und sofern gewähren sie auch 5) den Nutzen, der oben der Kirchengeschichte in Absicht auf die systematische Theologie beigelegt wurde. Finden sich 6) in ihnen Aeußerungen, die von den jetzt herrschenden Vorstellungen in der Kirche abgehen, so dienen deren Kenntnisse uns alsdann wenigstens zur Schutzwehr gegen unglimpfliche Beurtheilungen oder Verketzerungen, und machen doch eher harte Richter in Glaubenssachen geneigt, Meinungen, die von den hergebrachten abgehen, mit mehrerer Mäßigung anzusehen, oder erst zu untersuchen.
Anm. Wären nur gerade die, welche dem Ursprunge des Christenthums am nächsten stehen, bessere Sprachkenner, bessere Kritiker, bessere Hermeneuten gewesen! – Hätten die Gelehrtern nur nicht so viel fremde Ideen zum Christenthum mitgebracht! Hätte es nur nicht unter ihnen so vielen an rechtem philosophischem Geist gefehlt, – dann würden sie doch noch weit wichtiger für uns seyn.
A. d. H.

120.

Wer Muße genug und Neigung hätte, die Kirchenväter und Kirchenschriftsteller zu studieren, würde doch 1) wegen ihrer großen Menge, und weil so viele einander ausgeschrieben, oder doch wenig oder nichts Eignes haben, was |c144| man nicht in Andern schon besser fände, eine vorsichtige Wahl unter ihnen beobachten, und die vorzüglich ausheben müssen, welche theils für Andre den Ton angegeben, und durch ihr erlangtes Ansehen Andere nach sich gezogen, theils gewisse Lehrpunkte oder Theile der Kirchengeschichte am deutlichsten und ausführlichsten abgehandelt haben; 2) eben daher, und um sie recht verstehen zu können, sich vorher wohl von ihren Umständen und Schriften vorläufig unterrichten, und sowohl alle oben (§. 104. ) angegebene Hülfsmittel mitbringen, als die daselbst bemerkten Regeln beobachten; und 3) um den Hauptnutzen zu erreichen, den man aus dieser Lectüre in Absicht auf die Kirchengeschichte und den Ursprung und Fortgang der verschiedenen Vorstellungen von der christlichen Lehre ziehen kann, die Kirchenschriftsteller nach der Zeitordnung, ihre einzelnen Schriften aber nach ihren verschiedenen Arten oder Klassen, lesen, und dabei die correctesten und mit den zweckmäßigsten Erläuterungen versehenen Ausgaben zu gebrauchen suchen, unter welchen sich die, welche die Benedictiner von der Congregation des heiligen Maurus besorgt haben, besonders auszeichnen.
Anm. Wer sich diesem Studium nicht mit besonderm Fleiß widmen könnte, thäte wenigstens wohl, die treffliche Bibliothek der Kirchenväter in Uebersetzungen und Auszügen von Rößler, Leipzig 1776–1786, 10 Theile, zu studieren, aus denen auch die, welche weiter gehen wollen, das lernen können, worauf sie vornehmlich bei Lesung dieser Schriftsteller ihre Aufmerksamkeit zu richten haben. Die übrigen hier nöthigen Schriften s. in der Anweisung etc. §. 409 folg.

|c145| 121.

Zunächst mit der Geschichte der Lehre ist die Geschichte der theologischen Wissenschaften verbunden, die man, auch wie jene, Historiam doctrinae (der Gelehrsamkeit) genannt hat; denn von der Versäumniß oder der Aufklärung gewisser Arten von Kenntnissen, der Sprachkunde, Kritik, Philosophie, Geschichte und der schönen Wissenschaften, mußte freilich die Gestalt der theologischen Wissenschaften, und somit auch der Vorstellungen von christlichen Lehren, abhängen. Doch kann diese Geschichte eben sowohl für einen Theil der Literar- als der Kirchengeschichte angesehen werden. Sie müßte zeigen: wie die theologischen und die dazu diensamen Wissenschaften, oder doch Kenntnisse, von Zeit zu Zeit und in verschiedenen Gegenden, unter den Christen beschaffen gewesen, und wodurch sie zu- oder abgenommen? Wer, wie weit, und wodurch er auf diesen Fortgang oder Verfall Einfluß gehabt habe? Dadurch würden alle Theile der Kirchengeschichte gewinnen, und man würde auf manche oft verkannte oder nicht genug erkannte Hindernisse und Hülfsmittel derselben aufmerksam gemacht werden.Zunächst mit der Geschichte der Lehre ist die Geschichte der theologischen Wissenschaften verbunden, die man, auch wie jene, Historiam doctrinae (der Gelehrsamkeit) genannt hat; denn von der Versäumniß oder der Aufklärung gewisser Arten von Kenntnissen, der Sprachkunde, Kritik, Philosophie, Geschichte und der schönen Wissenschaften, mußte freilich die Gestalt der theologischen Wissenschaften, und somit auch der Vorstellungen von christlichen Lehren, abhängen. Doch kann diese Geschichte eben sowohl für einen Theil der Literar- als der Kirchengeschichte angesehen werden. Sie müßte zeigen: wie die theologischen und die dazu diensamen Wissenschaften, oder doch Kenntnisse, von Zeit zu Zeit und in verschiedenen Gegenden, unter den Christen beschaffen gewesen, und wodurch sie zu- oder abgenommen? Wer, wie weit, und wodurch er auf diesen Fortgang oder Verfall Einfluß gehabt habe? Dadurch würden alle Theile der Kirchengeschichte gewinnen, und man würde auf manche oft verkannte oder nicht genug erkannte Hindernisse und Hülfsmittel derselben aufmerksam gemacht werden.
Anm. Man denke nur an die aus dem Judenthum und der Hieroglyphik anderer Völker ins Christenthum übergegangene Allegoriesucht; an die aus der morgenländischen, griechischen und neuplatonischen Philosophie herübergeleiteten Principien; an den Einfluß der theologischen Streitigkeiten seit dem 4ten Jahrhundert, und das dabei emporgekommene Ansehen menschlicher gesetzmäßig gemachter Entscheidungen; an die Wirkungen des ausgebreiteten Mönchsgeistes auf die Cultur; an den Einfluß des Origenes, Chrysostomus, Augustins, Gregorius des Großen, der Scholastiker, der sogenannten Pietisten, Methodisten etc. auf Andre. – Einige Versuche in dieser Geschichte sind in der Anweisung etc. §. 389. angezeigt.

|c146| 122.

Wenn die Verschiedenheit der Vorstellungen über gewisse Lehren, oder der daher entstandenen Einrichtungen und Gebräuche, für so wichtig angesehen wurde, daß man, wenigstens von der Einen Seite, *) glaubte, nicht mehr mit den hier anders Denkenden oder Handelnden äußerliche Kirchengemeinschaft unterhalten zu dürfen: so bildeten sich besondere Gesellschaften oder Religionsparteien, in welchen, durch eine entstandene eben so beurtheilte Verschiedenheit, wieder neue erzeugt wurden. Aller Nutzen, den die Geschichte der Lehre haben kann, findet auch bei der Geschichte der Religionsparteien Statt; ja der Nutzen dieser letztern ist gewissermaßen noch größer, und diese Geschichte unterhaltender und lehrreicher, weil sie große, durch solche Trennungen in der Kirche entstandene Revolutionen, und keine bloßen Gegenstände der Speculation, sondern Thatsachen mit ihren Ursachen und Folgen darstellt.Wenn die Verschiedenheit der Vorstellungen über gewisse Lehren, oder der daher entstandenen Einrichtungen und Gebräuche, für so wichtig angesehen wurde, daß man, wenigstens von der Einen Seite, *) glaubte, nicht mehr mit den hier anders Denkenden oder Handelnden äußerliche Kirchengemeinschaft unterhalten zu dürfen: so bildeten sich besondere Gesellschaften oder Religionsparteien, in welchen, durch eine entstandene eben so beurtheilte Verschiedenheit, wieder neue erzeugt wurden. Aller Nutzen, den die Geschichte der Lehre haben kann, findet auch bei der Geschichte der Religionsparteien Statt; ja der Nutzen dieser letztern ist gewissermaßen noch größer, und diese Geschichte unterhaltender und lehrreicher, weil sie große, durch solche Trennungen in der Kirche entstandene Revolutionen, und keine bloßen Gegenstände der Speculation, sondern Thatsachen mit ihren Ursachen und Folgen darstellt.
Anm. *) Meistens lag die Schuld der Trennung nicht an denen, die etwas Neues oder von den herrschenden Meinungen und Einrichtungen Abgehendes einzuführen schienen, sondern an der herrschenden Partei, die dergleichen nicht dulden wollte, und die anders Denkenden ausstieß. So wollten sich weder die Pelagianer noch Jansenisten von der Kirche trennen; selbst, ausgestoßen durch Anathemen, haben sie keinen abgesonderten Gottesdienst oder andre Einrichtungen eingeführt, und wo es gewissermaßen, wie bei den holländischen Jansenisten, geschehen müssen, haben sie doch immer sich für Glieder der Kirche erklärt, die sie ausgestoßen hatte. Blieb die Verschiedenheit nur in Meinungen, so entstand keine besondere äußerliche Partei, wie man bei den Streitigkeiten in unsrer Kirche, den synkretistischen , pietistischen u. dergl. sieht; wohl aber, wenn die Verschiedenheit äußerlicher Einrichtungen dazu |c147| kam, oder die Verschiedenheit in Meinungen keine äußerliche Gemeinschaft zuzulassen schien, wie bei den Trennungen der Taufgesinnten.

123.

In einer solchen Geschichte muß nun der Ursprung und Fortgang einer solchen Partei; ihr eigentlicher Unterschied von der Partei, von der sie getrennt worden, und von Andern, sowohl in Lehren und Lehrvorstellungen, als auch in äußerlichen Einrichtungen; besonders aber die genauern Bestimmungen in der Lehre, die sie entweder eingeführt, wenigstens mehr und als erheblicher hervorgezogen, oder nicht hatte zulassen, noch jedermann aufgedrungen wissen wollen, sowohl nach den Erklärungen, die sie selbst, als die ihnen ihre Gegner gegeben, nebst der Wichtigkeit, die beide auf den Unterschied gelegt haben; desgleichen ihre Bekenntnißschriften und deren genau bestimmte Absicht, und weiter oder enger ausgedehnte Verbindlichkeit; die wieder in dieser Partei enstandenen verschiedenen Erklärungen eben derselben gemeinschaftlichen Lehre; die dadurch erzeugten Zwistigkeiten, oder gar Trennungen; und, auf eben die gedachte Art, die Geschichte, die Lehrvorstellungen und Einrichtungen dieser neuen Abtheilungen der Partei; endlich die Annäherung an andre Parteien, oder Zusammenschmelzung mit denselben, wenigstens die zu einer solchen Vereinigung gemachten Versuche, deutlich auseinandergesetzt, und Alles so zusammenhängend vorgelegt werden, daß man dadurch von den Mitteln, sich auszubreiten oder zu erhalten, den Ursachen und Folgen aller ihrer Meinungen, Unternehmungen und Einrichtungen eine deutliche Einsicht bekomme.In einer solchen Geschichte muß nun der Ursprung und Fortgang einer solchen Partei; ihr eigentlicher Unterschied von der Partei, von der sie getrennt worden, und von Andern, sowohl in Lehren und Lehrvorstellungen, als auch in äußerlichen Einrichtungen; besonders aber die genauern Bestimmungen in der Lehre, die sie entweder eingeführt, wenigstens mehr und als erheblicher hervorgezogen, oder nicht hatte zulassen, noch jedermann aufgedrungen wissen wollen, sowohl nach den Erklärungen, die sie selbst, als die ihnen ihre Gegner gegeben, nebst der Wichtigkeit, die beide auf den Unterschied gelegt haben; desgleichen ihre Bekenntnißschriften und deren genau bestimmte Absicht, und weiter oder enger ausgedehnte Verbindlichkeit; die wieder in dieser Partei enstandenen verschiedenen Erklärungen eben derselben gemeinschaftlichen Lehre; die dadurch erzeugten Zwistigkeiten, oder gar Trennungen; und, auf eben die gedachte Art, die Geschichte, die Lehrvorstellungen und Einrichtungen dieser neuen Abtheilungen der Partei; endlich die Annäherung an andre Parteien, oder Zusammenschmelzung mit denselben, wenigstens die zu einer solchen Vereinigung gemachten Versuche, deutlich auseinandergesetzt, und Alles so zusammenhängend vorgelegt werden, daß man dadurch von den Mitteln, sich auszubreiten oder zu erhalten, den Ursachen und Folgen aller ihrer Meinungen, Unternehmungen und Einrichtungen eine deutliche Einsicht bekomme.

|c148| 124.

Es verdient diese Geschichte gewiß eine recht genaue Bearbeitung; sie ist aber auch sehr schwer, weil sie eine ungemein ausgebreitete Kenntniß, selbst von der politischen und Literargeschichte, selbst von vielen kleinen, an Orten, wo man sie nicht sucht, zerstreuten Nachrichten erfordert; weil, zumal von unterdrückten oder ausgestorbenen Parteien, entweder wenig Nachrichten bekannt, oder diese unterdrückt worden, oder diese Parteien sich nicht deutlich erklärt, oder ihre Gegner die Vorstellungen solcher Parteien zu sehr nach ihren eignen Vorstellungen genommen haben; nirgends aber der Parteigeist mehr als hier die Sachen verstellt hat, entweder eigne Fehler zu bedecken und unsichtbar zu machen, oder die Fehler der Andern in einem gehässigen Lichte vorzustellen. Auf ein genaues und unparteiisches Zeugenverhör, das den Werth und die Beschaffenheit der Nachrichten bis auf seine kleinsten Falten entwickelt, kommt hier das Meiste an; aber oft fehlt es an Zeugen, oder sie widersprechen einander, oder sind sonst verdächtig. Daher ist die Auffindung und wahrscheinliche Zusammensetzung kleiner Spuren, Berücksichtigung der Denk- und Handlungsart der Menschen überhaupt, noch mehr aber der dabei Interessirten, und was von ihren Umständen sonst bekannt ist, oder aus den Sitten der Zeit, des Landes und der Gesellschaft hervorgeht, eben so nothwendig.Es verdient diese Geschichte gewiß eine recht genaue Bearbeitung; sie ist aber auch sehr schwer, weil sie eine ungemein ausgebreitete Kenntniß, selbst von der politischen und Literargeschichte, selbst von vielen kleinen, an Orten, wo man sie nicht sucht, zerstreuten Nachrichten erfordert; weil, zumal von unterdrückten oder ausgestorbenen Parteien, entweder wenig Nachrichten bekannt, oder diese unterdrückt worden, oder diese Parteien sich nicht deutlich erklärt, oder ihre Gegner die Vorstellungen solcher Parteien zu sehr nach ihren eignen Vorstellungen genommen haben; nirgends aber der Parteigeist mehr als hier die Sachen verstellt hat, entweder eigne Fehler zu bedecken und unsichtbar zu machen, oder die Fehler der Andern in einem gehässigen Lichte vorzustellen. Auf ein genaues und unparteiisches Zeugenverhör, das den Werth und die Beschaffenheit der Nachrichten bis auf seine kleinsten Falten entwickelt, kommt hier das Meiste an; aber oft fehlt es an Zeugen, oder sie widersprechen einander, oder sind sonst verdächtig. Daher ist die Auffindung und wahrscheinliche Zusammensetzung kleiner Spuren, Berücksichtigung der Denk- und Handlungsart der Menschen überhaupt, noch mehr aber der dabei Interessirten, und was von ihren Umständen sonst bekannt ist, oder aus den Sitten der Zeit, des Landes und der Gesellschaft hervorgeht, eben so nothwendig.
Anm. 1) Wie viel auch gegen G. Arnold's unparteiische Kirchen- und Ketzergeschichte bis aufs Jahr 700, Frankfurt 1700, zu sagen seyn mag – er hat viel dazu beigetragen, den Blick freier, das Urtheil unbefangener zu machen, und manchen verdienten Ketzer zu Ehren zu bringen.
A. d. H.
|c419[!]| 2) Die bisherigen Versuche in diesem Fache s. in der Anweisung etc. §. 472 fg. J. S. Baumgarten's Geschichte der Religionsparteien bleibt noch immer sehr brauchbar. Doch ist C. W. F. Walch's Entwurf einer vollständigen Historie der Ketzereien etc., Leipzig 1762–1785., 11 Theile, gr. 8. das musterhafteste Werk dieser Art, wenigstens in Absicht auf das Zeugenverhör, hauptsächlich vom 5ten Theil an. Aber wer giebt uns eine eben so gute Fortsetzung über die folgende, größtentheils noch dürftigere oder verwirrtere Geschichte solcher Parteien? In Absicht auf einen Theil der Geschichte der evangelisch-lutherischen Kirche ist es die (Plankische) Geschichte der Entstehung, der Veränderungen und der Bildung des protestantischen Lehrbegriffs, 6 Bände, Leipzig 1781–1800.

125.

Man kann nicht sagen, daß man eine Gesellschaft kenne, wenn man nicht die Absicht kennt, wozu sie zusammengetreten ist, oder vereinigt bleibt, und wenn man der Einrichtungen unkundig ist, die zur Beförderung und Erhaltung dieser Absicht gemacht worden sind; ja selbst darum ist die Kenntniß ihrer Geschichte nothwendig, um solche Absichten und die deswegen eingeführten Anstalten, nebst deren Abänderungen zu begreifen. Diese Anstalten und Einrichtungen zusammengenommen, nennt man die Verfassung einer solchen Gesellschaft, dergleichen auch bei der christlichen Kirche, als einer Gesellschaft betrachtet, stattfinden muß; und so fällt in die Augen, daß ihre Kenntniß eben so nothwendig sei, als die Kenntniß der christlichen Kirchengeschichte, wiewohl sie auf einander ein wohlthätiges Licht werfen. Billig sollte man also diese Kenntniß der christlichen Kirchenverfassung von der christlichen Kirchengeschichte selbst absondern, ohngefähr so, wie man |c150| die Statistik von der Staatengeschichte getrennt hat. Weil aber dieses noch nicht, wenigstens nicht nach dem ganzen Umfange der kirchlichen Verfassung, geschehen ist, und doch die Kenntniß der einen von der andern abhängt: so betrachten wir sie hier als einen Theil der christlichen Kirchengeschichte.Man kann nicht sagen, daß man eine Gesellschaft kenne, wenn man nicht die Absicht kennt, wozu sie zusammengetreten ist, oder vereinigt bleibt, und wenn man der Einrichtungen unkundig ist, die zur Beförderung und Erhaltung dieser Absicht gemacht worden sind; ja selbst darum ist die Kenntniß ihrer Geschichte nothwendig, um solche Absichten und die deswegen eingeführten Anstalten, nebst deren Abänderungen zu begreifen. Diese Anstalten und Einrichtungen zusammengenommen, nennt man die Verfassung einer solchen Gesellschaft, dergleichen auch bei der christlichen Kirche, als einer Gesellschaft betrachtet, stattfinden muß; und so fällt in die Augen, daß ihre Kenntniß eben so nothwendig sei, als die Kenntniß der christlichen Kirchengeschichte, wiewohl sie auf einander ein wohlthätiges Licht werfen. Billig sollte man also diese Kenntniß der christlichen Kirchenverfassung von der christlichen Kirchengeschichte selbst absondern, ohngefähr so, wie man |c150| die Statistik von der Staatengeschichte getrennt hat. Weil aber dieses noch nicht, wenigstens nicht nach dem ganzen Umfange der kirchlichen Verfassung, geschehen ist, und doch die Kenntniß der einen von der andern abhängt: so betrachten wir sie hier als einen Theil der christlichen Kirchengeschichte.

126.

In ihrem ganzen Umfang müßte diese Geschichte vorstellen: 1) den äußerlichen Unterschied der Christen, d. i. anfänglich nur zwischen Unterrichtenden und Zuhörern, mit gleichen Rechten bei öffentlichen Angelegenheiten; hernach in schon geordneten Gemeinden, bei zunehmenden Vorzügen der an eine Gemeinde gebundenen Lehrer, zwischen Klerikern und Laikern, so wie unter jenen, zwischen Bischöfen, Aeltesten, Diakonen und den niedrigern Kirchendienern, nebst allen erst nach und nach entstandenen Abtheilungen dieser Arten, unter diesen aber zwischen Katechumenen, Gläubigen und Gefallenen, mit Einschluß der Mönche und Orden, als einer Mittelgattung, seit dem 4ten Jahrhundert; den Unterschied zwischen einzelnen Gemeinden und nach und nach entstandenen engern und weitern Diökesen; die eingeführte Kirchenzucht und nachmals aufgekommene, sehr mannigfaltig abgeänderte, Gerichtsbarkeit; die verschiedenen Arten von bloßen Lehranstalten, Synoden oder Concilien von sehr verschiedenem Umfang und Ansehen, Kirchengesetze und Kirchenordnungen, als Mittel, den Wohlstand der Gemeinden, und nachher die Gerichtsbarkeit, zu erhalten; die bei dem Gottesdienst und kirchlichen Handlungen eingeführten Gebräuche, und darüber gemachte Ordnungen in Liturgieen, Pönitentialbüchern u. dergl. 2) Alles |c151| dieses in seiner ganzen Verschiedenheit in verschiedenen Kirchen und Ländern sowohl als Zeiten, und 3) bei entstandenen verschiedenen, keine Kirchengemeinschaft mehr mit den andern unterhaltenden, Kirchenparteien; 4) das hiernach sehr verschiedene Verhältniß der Kirchen gegen nicht christliche, und hernach gegen christliche Obrigkeiten, der Gemeinden und Diökesen gegen einander, und eben so der verschiedenen Kirchenparteien gegen einander (z. B. in Absicht auf Wiedertaufe der Uebergetretenen); endlich 5) die jedesmaligen Ursachen und Folgen des Aufkommens oder der verschiedenen Einrichtungen aller solcher Anstalten, besonders in Absicht auf die mannichfaltige Gestalt und den dadurch sehr verschieden gebildeten Charakter der Christen.In ihrem ganzen Umfang müßte diese Geschichte vorstellen: 1) den äußerlichen Unterschied der Christen, d. i. anfänglich nur zwischen Unterrichtenden und Zuhörern, mit gleichen Rechten bei öffentlichen Angelegenheiten; hernach in schon geordneten Gemeinden, bei zunehmenden Vorzügen der an eine Gemeinde gebundenen Lehrer, zwischen Klerikern und Laikern, so wie unter jenen, zwischen Bischöfen, Aeltesten, Diakonen und den niedrigern Kirchendienern, nebst allen erst nach und nach entstandenen Abtheilungen dieser Arten, unter diesen aber zwischen Katechumenen, Gläubigen und Gefallenen, mit Einschluß der Mönche und Orden, als einer Mittelgattung, seit dem 4ten Jahrhundert; den Unterschied zwischen einzelnen Gemeinden und nach und nach entstandenen engern und weitern Diökesen; die eingeführte Kirchenzucht und nachmals aufgekommene, sehr mannigfaltig abgeänderte, Gerichtsbarkeit; die verschiedenen Arten von bloßen Lehranstalten, Synoden oder Concilien von sehr verschiedenem Umfang und Ansehen, Kirchengesetze und Kirchenordnungen, als Mittel, den Wohlstand der Gemeinden, und nachher die Gerichtsbarkeit, zu erhalten; die bei dem Gottesdienst und kirchlichen Handlungen eingeführten Gebräuche, und darüber gemachte Ordnungen in Liturgieen, Pönitentialbüchern u. dergl. 2) Alles |c151| dieses in seiner ganzen Verschiedenheit in verschiedenen Kirchen und Ländern sowohl als Zeiten, und 3) bei entstandenen verschiedenen, keine Kirchengemeinschaft mehr mit den andern unterhaltenden, Kirchenparteien; 4) das hiernach sehr verschiedene Verhältniß der Kirchen gegen nicht christliche, und hernach gegen christliche Obrigkeiten, der Gemeinden und Diökesen gegen einander, und eben so der verschiedenen Kirchenparteien gegen einander (z. B. in Absicht auf Wiedertaufe der Uebergetretenen); endlich 5) die jedesmaligen Ursachen und Folgen des Aufkommens oder der verschiedenen Einrichtungen aller solcher Anstalten, besonders in Absicht auf die mannichfaltige Gestalt und den dadurch sehr verschieden gebildeten Charakter der Christen.

127.

Hier ist ein in der That noch sehr unbebautes Feld, das Wenige ausgenommen, was hierüber in den Kirchengeschichten sehr im Allgemeinen gesagt wird, oder in Absicht auf besondere Theile dieser Verfassung in einigen gelehrten Werken geschehen ist. Zwar hat man daraus unter dem Namen der christlichen Alterthümer eine besondere Wissenschaft zu machen gesucht (s. die Anweisung zur theol. Bücherkenntniß, §. 435 f.), aber in den meisten allgemeinern Werken dieser Art, dem Bingham z. B. und seinen Ausschreibern, wird man fast durchaus die so sehr verschiedenen Zeiten und Kirchen in verschiedenen Gegenden unter einander geworfen, und Einrichtungen der ältern christlichen Kirche beigelegt finden, die nur hier und da oder dann und wann üblich waren. Sie gehen bei weitem nicht über die ganze Kirche, zumal der neuern Zeiten, gemeiniglich nicht über das vierte und sechste Jahrhundert hinaus; |c152| zeigen meistens nur gewisse vorhandene Einrichtungen an, ohne ihren Ursprung, Absicht und Fortgang zu untersuchen, und erstrecken sich nur auf Einrichtungen der herrschenden Kirche, unbekümmert um die Einrichtung der verschiedenen Parteien.Hier ist ein in der That noch sehr unbebautes Feld, das Wenige ausgenommen, was hierüber in den Kirchengeschichten sehr im Allgemeinen gesagt wird, oder in Absicht auf besondere Theile dieser Verfassung in einigen gelehrten Werken geschehen ist. Zwar hat man daraus unter dem Namen der christlichen Alterthümer eine besondere Wissenschaft zu machen gesucht (s. die Anweisung zur theol. Bücherkenntniß, §. 435 f.), aber in den meisten allgemeinern Werken dieser Art, dem Bingham z. B. und seinen Ausschreibern, wird man fast durchaus die so sehr verschiedenen Zeiten und Kirchen in verschiedenen Gegenden unter einander geworfen, und Einrichtungen der ältern christlichen Kirche beigelegt finden, die nur hier und da oder dann und wann üblich waren. Sie gehen bei weitem nicht über die ganze Kirche, zumal der neuern Zeiten, gemeiniglich nicht über das vierte und sechste Jahrhundert hinaus; |c152| zeigen meistens nur gewisse vorhandene Einrichtungen an, ohne ihren Ursprung, Absicht und Fortgang zu untersuchen, und erstrecken sich nur auf Einrichtungen der herrschenden Kirche, unbekümmert um die Einrichtung der verschiedenen Parteien.

128.

Gleichwohl ist die Kenntniß dieser Verfassung theils unentbehrlich, theils wenigstens sehr nützlich, 1) weil weder die Denkmahle, noch die Schriften, worauf sich die Kenntniß der Kirchengeschichte gründet, noch irgend ein Theil der Kirchengeschichte selbst, ohne diese Kenntniß verstanden werden kann. – Denn, so wie falsche Meinungen oder Mißverstand richtiger Lehren Gelegenheit zu gewissen Kircheneinrichtungen gegeben haben: so, umgekehrt, wurden diese wieder eine Veranlassung zu Irrthümern. 1) Aeußerliche Einrichtungen gaben eben sowohl Gelegenheit zu Spaltungen und besondern Parteien, als der Unterschied in Lehren und Vorstellungen. 2) – Ausbreitung des Christenthums wurde immer mehr Ausbreitung der Kirche, und der kirchlichen mehr als der christlichen Lehren. 3) – Und überhaupt läßt sich schlechterdings nicht erklären, wie gewisse Lehren, Vorstellungen oder Gewohnheit herrschend geworden sind, und mit den wesentlichen Lehren des Christenthums einerlei Rang oder gar Vorrang bekommen haben; wie das sanfte und leichte Joch Christi in das eiserne Joch der Kirche verwandelt, das innere Christenthum durch das äußerliche verdrängt worden, der Geist des Christenthums, der nur durch Ueberzeugung und Liebe wirken soll, in Zwang und Unterdrückung ausgeartet, aus einer Gesellschaft, wo wir alle Brüder, und nur Einer, Christus, unser Herr seyn soll, ein geist|c153|licher Staat entstanden sei, als aus der nach und nach entsprungenen und umgebildeten Verfassung der Kirche. 4) Gleichwohl ist die Kenntniß dieser Verfassung theils unentbehrlich, theils wenigstens sehr nützlich, 1) weil weder die Denkmahle, noch die Schriften, worauf sich die Kenntniß der Kirchengeschichte gründet, noch irgend ein Theil der Kirchengeschichte selbst, ohne diese Kenntniß verstanden werden kann. – Denn, so wie falsche Meinungen oder Mißverstand richtiger Lehren Gelegenheit zu gewissen Kircheneinrichtungen gegeben haben: so, umgekehrt, wurden diese wieder eine Veranlassung zu Irrthümern. 1) Aeußerliche Einrichtungen gaben eben sowohl Gelegenheit zu Spaltungen und besondern Parteien, als der Unterschied in Lehren und Vorstellungen. 2) – Ausbreitung des Christenthums wurde immer mehr Ausbreitung der Kirche, und der kirchlichen mehr als der christlichen Lehren. 3) – Und überhaupt läßt sich schlechterdings nicht erklären, wie gewisse Lehren, Vorstellungen oder Gewohnheit herrschend geworden sind, und mit den wesentlichen Lehren des Christenthums einerlei Rang oder gar Vorrang bekommen haben; wie das sanfte und leichte Joch Christi in das eiserne Joch der Kirche verwandelt, das innere Christenthum durch das äußerliche verdrängt worden, der Geist des Christenthums, der nur durch Ueberzeugung und Liebe wirken soll, in Zwang und Unterdrückung ausgeartet, aus einer Gesellschaft, wo wir alle Brüder, und nur Einer, Christus, unser Herr seyn soll, ein geist|c153|licher Staat entstanden sei, als aus der nach und nach entsprungenen und umgebildeten Verfassung der Kirche. 4)
Anm. 1) So gab die Einbildung vom Fegfeuer oder Reinigung nach dem Tode und die übertriebene Achtung gegen Heilige und Märtyrer, Gelegenheit zu Einführung der Seelmessen, zur Kanonisation und Verehrung der Heiligen und ihrer Reliquien, den Wallfahrten nach heiligen Orten u. d. gl.; und umgekehrt, veranlaßten Kircheneinrichtungen, z. B. die ungebührliche Erhebung der Geistlichen über die Laien, daß der Gebrauch des Brods im heiligen Abendmahl allein Dogma der Kirche wurde; die Einführung der Beichte und der von Priestern geweihten Dinge, daß die Lehre von den sieben Sakramenten, und von der Kraft aufkam, die sie erst von dem Priester bekommen; unbestimmte und grob verstandene Kirchenformeln, z. B. Meßkanon, daß die Lehre vom Meßopfer, der Brodverwandlung u. s. f. entstand.
2) Wie die Geschichte der Montanisten, Novatianer, Meletianer, Quartodecimaner, Luciferianer, der Gegner der chalcedonischen Kirchenversammlung, der Trennung der griechischen von der lateinischen Kirche seit dem 9ten Jahrhundert, der Bogomilen, der Hussiten u. a. von der römischen Kirche, lehrt.
3) Geschichte der Bekehrung der Angelsachsen im 6ten, der Deutschen und Sachsen durch Bonifacius u. a. im 8ten, der Bulgaren im 9ten Jahrhundert.
4) Die ganze Geschichte der Concilien, der Patriarchen, Metropolitanen und Bischöfe, und ihrer Streitigkeiten unter einander, sonderlich der Päpste und des Papstthums, ist ein Commentar hierüber.

129.

Und sonach kann ohne diese Kenntniß 2) kein Lehrsatz, der, außer den klaren Sätzen der Vernunft und den ausdrücklichen Aussprüchen der heiligen Schrift, in die Theo|c154|logie aufgenommen worden, gründlich, und für die, welche kirchliche Tradition als Quelle der christlichen Wahrheit annehmen, überzeugend beurtheilt, noch die Unverbindlichkeit besonderer Vorstellungen von einer christlichen Lehre für jeden Christen, deutlich dargethan, noch 3) zur Aufrechterhaltung der christlichen Freiheit hinlänglich gezeigt werden, daß gewisse positive Kirchenrechte uns gar nicht verbinden. 1) Sehr nützlich ist endlich diese Kenntniß, 4) um den Ursprung und die Absichten solcher Einrichtungen kennen zu lernen, die wir noch in unsern Kirchen haben, wohin sie aus dem frühern oder spätern Alterthum gekommen sind, und danach ihren wahren Werth oder Verbindlichkeit zu beurtheilen. 2) Und sonach kann ohne diese Kenntniß 2) kein Lehrsatz, der, außer den klaren Sätzen der Vernunft und den ausdrücklichen Aussprüchen der heiligen Schrift, in die Theo|c154|logie aufgenommen worden, gründlich, und für die, welche kirchliche Tradition als Quelle der christlichen Wahrheit annehmen, überzeugend beurtheilt, noch die Unverbindlichkeit besonderer Vorstellungen von einer christlichen Lehre für jeden Christen, deutlich dargethan, noch 3) zur Aufrechterhaltung der christlichen Freiheit hinlänglich gezeigt werden, daß gewisse positive Kirchenrechte uns gar nicht verbinden. 1) Sehr nützlich ist endlich diese Kenntniß, 4) um den Ursprung und die Absichten solcher Einrichtungen kennen zu lernen, die wir noch in unsern Kirchen haben, wohin sie aus dem frühern oder spätern Alterthum gekommen sind, und danach ihren wahren Werth oder Verbindlichkeit zu beurtheilen. 2)
Anm. 1) Z. B. alles das, was auf der angeblich göttlichen Einführung der bischöflichen Würde und dem sogenannten Primat des römischen Bischofs beruht. S. das unschätzbare Werk de la Primauté en l'Eglise, par D. Blondel, und andere in der Anweisung etc. §. 453. genannte Werke.
2) So hat der Exorcismus in der Taufe, wenn er ja schon zu Cyprian's Zeit im dritten Jahrhundert in Afrika üblich war, (wie man aus dessen 76stem Brief S. 157 nach Baluze Ausgabe, geschlossen hat), sicherlich aus der Einbildung (die Tertullian de anima, c. 39 und 57 erwähnt), daß der Satan in den Heidenkindern wohnte, und durch die Anrufung der Götzen bei der Niederkunft der Weiber eingeladen würde, solche Kinder zu bewohnen, oder aus einer ähnlichen Grille, seinen Ursprung. – Der unter uns noch herrschende unbiblische, und gewiß aus der spätern römischen Kirche herübergeleitete Begriff von Consecration des heiligen Abendmahls, wodurch Brod und Wein der Leib und das Blut Christi werden, und die Kraft desselben bekommen sollen, ist ganz gegen den Sprachgebrauch der ältesten christlichen Kirche (s. Pfaff's Disp. de consecr. Euchar. vet. in s. Syntagm. Diss. p. 407 sq. und Ernesti Antimur. p. 24 sq.), die das Wort nicht anders als 1 Tim. 4, 5. nahm. – So ist der Gebrauch |c155| unserer evangelischen und epistolischen Texte (Pericopen), die man billig mit meistens weit lehrreichern Stellen der Bibel vertauschen sollte, lange nicht so alt, als man sich gemeiniglich einbildet, wie man sich aus dem alten römischen Calendario in Martene und Durand thesauro novo anecdot. Tom. V. p. 65 seq. leicht überzeugen kann. – Und der in unsern Formeln bei der Taufe der Kinder übliche (selbst gegen die Apolog. Aug. Confess. p. 51 laufende) Ausdruck: „was ihm von Adam angeboren ist, und er selbst dazu gethan hat,“ war in alten Agenden nur auf den Rand gesetzt, als ein Ausdruck, der bei der Taufe erwachsener Personen sollte hinzugefügt werden, und ist aus Unverstand oder Irrthum hernach in den Text gezogen, und allgemein gemacht worden. (S. Hartknoch's preußische Kirchenhistorie, S. 637.)

130.

Um die Ursachen sowohl der Einführung als der Veränderungen solcher besondern Einrichtungen in gewissen Kirchen zu entdecken, ist, außer den andern allgemeinern Hülfsmitteln und Kenntnissen bei der Kirchengeschichte, vorzüglich nöthig, die bürgerlichen Verfassungen zu der Zeit und an dem Ort, wo sie entstanden, die Beschaffenheit des Klima's, die Volksmeinungen sowohl, als die unter den Gelehrtern herrschenden philosophischen Hypothesen, auch Kirchentheologie, und überhaupt die Meinungen, Gebräuche und andere Einrichtungen, die unter Juden und Heiden, da, wo Kirchen gepflanzt worden, üblich gewesen, und wonach man sich bei den Einrichtungen der Kirchen sehr gerichtet hat, nebst den Verbindungen zu kennen, in welchen solche Kirchen mit andern gestanden, und was in diesen für Einrichtungen getroffen worden.Um die Ursachen sowohl der Einführung als der Veränderungen solcher besondern Einrichtungen in gewissen Kirchen zu entdecken, ist, außer den andern allgemeinern Hülfsmitteln und Kenntnissen bei der Kirchengeschichte, vorzüglich nöthig, die bürgerlichen Verfassungen zu der Zeit und an dem Ort, wo sie entstanden, die Beschaffenheit des Klima's, die Volksmeinungen sowohl, als die unter den Gelehrtern herrschenden philosophischen Hypothesen, auch Kirchentheologie, und überhaupt die Meinungen, Gebräuche und andere Einrichtungen, die unter Juden und Heiden, da, wo Kirchen gepflanzt worden, üblich gewesen, und wonach man sich bei den Einrichtungen der Kirchen sehr gerichtet hat, nebst den Verbindungen zu kennen, in welchen solche Kirchen mit andern gestanden, und was in diesen für Einrichtungen getroffen worden.

|c156| 131.

Einige Theile dieser Verfassung, oder die Geschichte besonderer Arten von kirchlichen Einrichtungen, sind schon einzeln bearbeitet worden, als: die Hierarchie, die religiösen Orden, die Kirchengesetze allerlei Art, die Kirchenversammlungen, und was zur Liturgie gehört; wenigstens fehlt es nicht an Hülfsmitteln dazu, 1) in welchen noch große Schätze unbearbeitet liegen. Es wäre, nach dem, was bisher schon gesagt worden, überflüssig, den Nutzen des Studiums dieser besondern Theile, oder die Art, wie sie studiert werden müssen, anzugeben. Ob jemand diese Theile? welche? und in welcher Rücksicht? er sie besonders zu treiben habe, muß jeden sein eigenes Bedürfniß lehren. Für den künftigen Lehrer der Religion unter uns, möchte das besondere Studium der Geschichte der Hierarchie überhaupt, und besonders der Päpste und des Papstthums, 2) so wie unsrer evangelisch-lutherischen Kircheneinrichtungen, sie mögen erst durch die Reformation eingeführt, oder aus der Kirche vor der Reformation genommen seyn, die meiste Wichtigkeit haben.Einige Theile dieser Verfassung, oder die Geschichte besonderer Arten von kirchlichen Einrichtungen, sind schon einzeln bearbeitet worden, als: die Hierarchie, die religiösen Orden, die Kirchengesetze allerlei Art, die Kirchenversammlungen, und was zur Liturgie gehört; wenigstens fehlt es nicht an Hülfsmitteln dazu, 1) in welchen noch große Schätze unbearbeitet liegen. Es wäre, nach dem, was bisher schon gesagt worden, überflüssig, den Nutzen des Studiums dieser besondern Theile, oder die Art, wie sie studiert werden müssen, anzugeben. Ob jemand diese Theile? welche? und in welcher Rücksicht? er sie besonders zu treiben habe, muß jeden sein eigenes Bedürfniß lehren. Für den künftigen Lehrer der Religion unter uns, möchte das besondere Studium der Geschichte der Hierarchie überhaupt, und besonders der Päpste und des Papstthums, 2) so wie unsrer evangelisch-lutherischen Kircheneinrichtungen, sie mögen erst durch die Reformation eingeführt, oder aus der Kirche vor der Reformation genommen seyn, die meiste Wichtigkeit haben.
Anm. 1) S. Anweisung zur Kenntniß der Bücher etc. §. 423–447. und 451–469.
2) Papstthum heißt manchmal der Inbegriff derjenigen Lehren, die durch das Ansehen der römischen Bischöfe eingeführt worden sind; und so wäre dessen Geschichte ein Theil der Geschichte christlicher Lehre. Bisweilen aber begreift man darunter den ganzen Umfang der päpstlichen Macht, oder der angeblichen Rechte der römischen Bischöfe, und ihren Einfluß auf die Veränderungen der Lehre und der Kirche; und die Geschichte desselben würde den Ursprung, Fortgang und Abfall dieser Macht, nebst den Ursachen derselben, oder den dazu gebrauchten Mitteln, und die dadurch entstandenen Wirkungen, in sich fassen müssen.