|c157| Dritter Abschnitt .
Systematische Theologie.
132.
Wenn wir einen Blick auf die Lehren werfen, die Jesus Christus und seine Apostel ausbreiteten, und auf die Lehrart, deren sie sich dabei bedienten; so zeigt sich bald, daß sie das, was sie zu sagen hatten, immer gelegentlich und nach den Bedürfnissen ihrer jedesmaligen Zuhörer oder Leser vortrugen. – An Verständlichkeit konnte es diesem Vortrag damals nicht fehlen; denn sie richteten sich immer nach dem Sprachgebrauch derer, mit welchen sie redeten; sprachen mit dem Volke, als Volk, in Sentenzen und Bildern, die diesem vor Augen, oder geläufig waren; mit den Gelehrteren, nach ihrer Denk-, Beweis- und Sprachart. Blieb ja noch etwas dunkel, oder mußten sie, wegen Neuheit der Sachen, gewissen Ausdrücken neue Bedeutungen unterlegen: so gab der Zusammenhang, in dem sie sprachen, es gaben die Umstände, unter denen, und in Beziehung auf die sie redeten, den Ausdrücken die nöthige Deutlichkeit; und was dieser ja abgehen mochte, das konnte man bei diesen Lehrern selbst, man konnte es bei ihren Schülern leicht erfragen. – Die Gewißheit von dem, was sie als Gottes Gesandten vortrugen, gründete sich, für den Anfang, zum Theil auf die Wunder, wodurch sie sich als solche gezeigt hatten, zum Theil, und bei Allen, die sie einmal willig hören wollten, |c158| auf die Beruhigung und Besserung, als die unfehlbaren Wirkungen, wodurch sich die göttliche Wahrheit ihrer Lehren bei jedem rechtfertigte, der diesen redlich folgte. (Joh. 7, 17.) Daher führten sie auch weiter keine Beweise für ihre Wahrheit, als da, wo gewisse Vorurtheile, Zweifel, Laster oder Unachtsamkeit und Leichtsinn ihrer Zuhörer eine nähere Ueberzeugung nöthig machten; alsdann bezogen sie sich entweder auf Sätze der gesunden Vernunft, oder auf Stellen der heiligen Schrift, je nachdem es die Fähigkeit der Zuhörer zuließ, oder das Bedürfniß derselben erforderte. – Uebrigens suchten sie richtige Kenntnisse in der Religion zu gründen und eindrücklich zu machen. Die nähere Anwendung auf die jedesmaligen Angelegenheiten der Zuhörer mußten sie diesen selbst überlassen, eben so wie das Fortbauen auf diesen gelegten Grund; denn daß sie dieses Fortbauen voraussetzten und verlangten, läßt sich schon sowohl aus der Bestimmung des Christenthums für allerlei Völker und für die künftigen Zeiten, als aus den Fähigkeiten des Menschen, immer vollkommener zu werden, schließen, wenn sie auch nicht ausdrücklich darauf drängen (Matth. 13, 12. Kap. 25, 14 folg. 1 Kor. 3, 11 folg. Eph. 4, 12 f. Ebr. 5, 11 f. etc.)Wenn wir einen Blick auf die Lehren werfen, die Jesus Christus und seine Apostel ausbreiteten, und auf die Lehrart, deren sie sich dabei bedienten; so zeigt sich bald, daß sie das, was sie zu sagen hatten, immer gelegentlich und nach den Bedürfnissen ihrer jedesmaligen Zuhörer oder Leser vortrugen. – An Verständlichkeit konnte es diesem Vortrag damals nicht fehlen; denn sie richteten sich immer nach dem Sprachgebrauch derer, mit welchen sie redeten; sprachen mit dem Volke, als Volk, in Sentenzen und Bildern, die diesem vor Augen, oder geläufig waren; mit den Gelehrteren, nach ihrer Denk-, Beweis- und Sprachart. Blieb ja noch etwas dunkel, oder mußten sie, wegen Neuheit der Sachen, gewissen Ausdrücken neue Bedeutungen unterlegen: so gab der Zusammenhang, in dem sie sprachen, es gaben die Umstände, unter denen, und in Beziehung auf die sie redeten, den Ausdrücken die nöthige Deutlichkeit; und was dieser ja abgehen mochte, das konnte man bei diesen Lehrern selbst, man konnte es bei ihren Schülern leicht erfragen. – Die Gewißheit von dem, was sie als Gottes Gesandten vortrugen, gründete sich, für den Anfang, zum Theil auf die Wunder, wodurch sie sich als solche gezeigt hatten, zum Theil, und bei Allen, die sie einmal willig hören wollten, |c158| auf die Beruhigung und Besserung, als die unfehlbaren Wirkungen, wodurch sich die göttliche Wahrheit ihrer Lehren bei jedem rechtfertigte, der diesen redlich folgte. (Joh. 7, 17.) Daher führten sie auch weiter keine Beweise für ihre Wahrheit, als da, wo gewisse Vorurtheile, Zweifel, Laster oder Unachtsamkeit und Leichtsinn ihrer Zuhörer eine nähere Ueberzeugung nöthig machten; alsdann bezogen sie sich entweder auf Sätze der gesunden Vernunft, oder auf Stellen der heiligen Schrift, je nachdem es die Fähigkeit der Zuhörer zuließ, oder das Bedürfniß derselben erforderte. – Uebrigens suchten sie richtige Kenntnisse in der Religion zu gründen und eindrücklich zu machen. Die nähere Anwendung auf die jedesmaligen Angelegenheiten der Zuhörer mußten sie diesen selbst überlassen, eben so wie das Fortbauen auf diesen gelegten Grund; denn daß sie dieses Fortbauen voraussetzten und verlangten, läßt sich schon sowohl aus der Bestimmung des Christenthums für allerlei Völker und für die künftigen Zeiten, als aus den Fähigkeiten des Menschen, immer vollkommener zu werden, schließen, wenn sie auch nicht ausdrücklich darauf drängen (Matth. 13, 12. Kap. 25, 14 folg. 1 Kor. 3, 11 folg. Eph. 4, 12 f. Ebr. 5, 11 f. etc.)
133.
Was jene Stifter des Christenthums über die christlichen Lehren gesagt und geschrieben haben, ist auch für die folgenden Zeiten in den Büchern des neuen Testaments aufbehalten worden. In dieser spätern Zeit mußten sich, wie es die Sache mit sich bringt, nothwendig in der Erkenntniß der Christen große Veränderungen ereignen, man mag auf die Verständlichkeit jenes Unterrichts Christi und |c159| seiner Apostel, oder auf die Gewißheit von den in der heiligen Schrift enthaltenen Lehren, oder auf ihre Anwendung, oder auf die Erweiterung und Aufklärung dieser Erkenntniß sehen.Was jene Stifter des Christenthums über die christlichen Lehren gesagt und geschrieben haben, ist auch für die folgenden Zeiten in den Büchern des neuen Testaments aufbehalten worden. In dieser spätern Zeit mußten sich, wie es die Sache mit sich bringt, nothwendig in der Erkenntniß der Christen große Veränderungen ereignen, man mag auf die Verständlichkeit jenes Unterrichts Christi und |c159| seiner Apostel, oder auf die Gewißheit von den in der heiligen Schrift enthaltenen Lehren, oder auf ihre Anwendung, oder auf die Erweiterung und Aufklärung dieser Erkenntniß sehen.
134.
Nach dem Tode der Apostel und ihrer nächsten Schüler, traten immer weniger
Juden zum Christenthum über. Wie sie überhaupt gegen die Heiden nur die kleine Zahl überall ausmachten, so waren auch natürlich, als sich das Christenthum erst mehr ausbreitete, die neuen Christen der Mehrzahl nach bisherige
Heiden, folglich des jüdischen und morgenländischen Sprachgebrauchs unkundig. Die Kenntniß der Umstände, unter welchen jene Stifter geredet hatten, verlor sich; und nachfragen konnte man bei den ersten Lehrern nicht mehr. Die griechische Sprache litt, wie alle Sprachen, in Dingen, die ihrer Natur nach nicht nothwendig sind, viele Abänderungen. Die Begierde, was man in der Religion für wahr hielt, auch in der heiligen Schrift zu finden, verursachte, daß man einen ganz fremden Sinn hineintrug. Selbst die Uebertragung der biblischen Ausdrücke und Begriffe in andere Sprachen, und, wenn man auch nicht auf ungeschickte oder flüchtige Uebersetzer zu rechnen hätte, die Unmöglichkeit, biblische Ausdrücke ohne Mißverstand in fremde Sprachen zu übersetzen, machte die heilige Schrift zu verstehen schwerer, und die Verschiedenheit in der Auslegung nothwendig. – Auch die Art des von den Stiftern des Christenthums zu ihrer Zeit so weislich gebrauchten
gelegentlichen und
populären Vortrags, trug das Ihrige dazu bei. Der
populäre Vortrag ist faßlicher und eindrücklicher als der gelehrte, und Beides zu
|c160| werden, war die Absicht jener Stifter; aber was er an jenen Eigenschaften gewinnt, verliert er an Bestimmtheit, und ist daher eine reichere Quelle des Mißverstandes. Was man
gelegentlich sagt, das sagt man in Beziehung auf die Bedürfnisse der jedesmaligen Zuhörer. Waren diese, oder die Absicht bei ihrer Belehrung, verschieden, so erklärten sich auch jene ersten christlichen Lehrer über eben dieselbe Sache sehr verschieden; und so entstanden nothwendig scheinbare Widersprüche in der Bibel, die der Eine Leser so, der Andere anders zu heben suchte, wobei dem Einen diese, dem Andern jene Behauptung der heiligen Schrift deutlicher oder wichtiger schien.
*) So konnte es an einer großen Verschiedenheit der Vorstellungen von dem
Sinn der heiligen Schrift nicht fehlen.Nach dem Tode der Apostel und ihrer nächsten Schüler, traten immer weniger
Juden zum Christenthum über. Wie sie überhaupt gegen die Heiden nur die kleine Zahl überall ausmachten, so waren auch natürlich, als sich das Christenthum erst mehr ausbreitete, die neuen Christen der Mehrzahl nach bisherige
Heiden, folglich des jüdischen und morgenländischen Sprachgebrauchs unkundig. Die Kenntniß der Umstände, unter welchen jene Stifter geredet hatten, verlor sich; und nachfragen konnte man bei den ersten Lehrern nicht mehr. Die griechische Sprache litt, wie alle Sprachen, in Dingen, die ihrer Natur nach nicht nothwendig sind, viele Abänderungen. Die Begierde, was man in der Religion für wahr hielt, auch in der heiligen Schrift zu finden, verursachte, daß man einen ganz fremden Sinn hineintrug. Selbst die Uebertragung der biblischen Ausdrücke und Begriffe in andere Sprachen, und, wenn man auch nicht auf ungeschickte oder flüchtige Uebersetzer zu rechnen hätte, die Unmöglichkeit, biblische Ausdrücke ohne Mißverstand in fremde Sprachen zu übersetzen, machte die heilige Schrift zu verstehen schwerer, und die Verschiedenheit in der Auslegung nothwendig. – Auch die Art des von den Stiftern des Christenthums zu ihrer Zeit so weislich gebrauchten
gelegentlichen und
populären Vortrags, trug das Ihrige dazu bei. Der
populäre Vortrag ist faßlicher und eindrücklicher als der gelehrte, und Beides zu
|c160| werden, war die Absicht jener Stifter; aber was er an jenen Eigenschaften gewinnt, verliert er an Bestimmtheit, und ist daher eine reichere Quelle des Mißverstandes. Was man
gelegentlich sagt, das sagt man in Beziehung auf die Bedürfnisse der jedesmaligen Zuhörer. Waren diese, oder die Absicht bei ihrer Belehrung, verschieden, so erklärten sich auch jene ersten christlichen Lehrer über eben dieselbe Sache sehr verschieden; und so entstanden nothwendig scheinbare Widersprüche in der Bibel, die der Eine Leser so, der Andere anders zu heben suchte, wobei dem Einen diese, dem Andern jene Behauptung der heiligen Schrift deutlicher oder wichtiger schien.
*) So konnte es an einer großen Verschiedenheit der Vorstellungen von dem
Sinn der heiligen Schrift nicht fehlen.
Anm. *) Man vergl. z. B. Joh. 5, 23. mit Kap. 14, 28. Röm. 3, 23 f. mit Kap. 2, 6 f. Kap. 6. und Jak. 1, 25. auch Kap. 2. 1 Tim. 2, 4. mit Matth. 20, 16.
135.
Die Gewißheit der christlichen Erkenntniß war einer ähnlichen Revolution ausgesetzt. Es ist recht, und sogar Pflicht, nach der uns möglichsten Gewißheit zu streben, weil von der Festigkeit der Ueberzeugung auch der Eifer, nützliche Wahrheit weiter auszubreiten, und die Willigkeit, ihr zu folgen, abhängt. Nach dem Abschiede Christi und seiner nächsten Schüler, konnte man weder, wie zu ihrer Zeit, sie in der Verlegenheit befragen, noch Zeuge ihrer Wunder seyn. Man hatte freilich ihre Lehren und Thaten in der heiligen Schrift; aber daß es ihre Schriften, daß diese durchaus in der Lehre unverfälscht wären: dieß forderte, wenn es zuverlässig seyn sollte, Beweise, und das um so mehr, da es schon in den ältesten Zeiten Leute gab, die das |c161| Eine oder das Andere bezweifelten, oder selbst den Aposteln falsche Schriften unterschoben. War aber diese Echtheit ihrer Aussprüche auch gewiß genug: so konnte man doch mit Recht immer mehr Ueberzeugung von ihrer Wahrheit suchen, immer mehr eigene und fremde Erfahrungen von ihren heilsamen Wirkungen, und somit von ihrem göttlichen Werthe, sammeln; alle weitere Fortschritte in der Kritik, in Sprachen, in der Philosophie, in der Geschichte und andern Wissenschaften zur stärkern Ueberzeugung benutzen; die christlichen Lehren mit andern Grundsätzen und Kenntnissen in eine immer nähere Uebereinstimmung bringen, um dadurch die sonst aufsteigenden oder von Andern erregte Zweifel zu entkräften. Und hätte man auch alles dieses nicht selbst bedurft: so wäre es um Anderer willen nöthig gewesen, wenn man diese heilsamen Lehren, und richtige Begriffe oder Ueberzeugung von ihrer Wahrheit, mittheilen, und sie gegen falsche Vorstellungen oder Zweifel verwahren wollte.Die Gewißheit der christlichen Erkenntniß war einer ähnlichen Revolution ausgesetzt. Es ist recht, und sogar Pflicht, nach der uns möglichsten Gewißheit zu streben, weil von der Festigkeit der Ueberzeugung auch der Eifer, nützliche Wahrheit weiter auszubreiten, und die Willigkeit, ihr zu folgen, abhängt. Nach dem Abschiede Christi und seiner nächsten Schüler, konnte man weder, wie zu ihrer Zeit, sie in der Verlegenheit befragen, noch Zeuge ihrer Wunder seyn. Man hatte freilich ihre Lehren und Thaten in der heiligen Schrift; aber daß es ihre Schriften, daß diese durchaus in der Lehre unverfälscht wären: dieß forderte, wenn es zuverlässig seyn sollte, Beweise, und das um so mehr, da es schon in den ältesten Zeiten Leute gab, die das |c161| Eine oder das Andere bezweifelten, oder selbst den Aposteln falsche Schriften unterschoben. War aber diese Echtheit ihrer Aussprüche auch gewiß genug: so konnte man doch mit Recht immer mehr Ueberzeugung von ihrer Wahrheit suchen, immer mehr eigene und fremde Erfahrungen von ihren heilsamen Wirkungen, und somit von ihrem göttlichen Werthe, sammeln; alle weitere Fortschritte in der Kritik, in Sprachen, in der Philosophie, in der Geschichte und andern Wissenschaften zur stärkern Ueberzeugung benutzen; die christlichen Lehren mit andern Grundsätzen und Kenntnissen in eine immer nähere Uebereinstimmung bringen, um dadurch die sonst aufsteigenden oder von Andern erregte Zweifel zu entkräften. Und hätte man auch alles dieses nicht selbst bedurft: so wäre es um Anderer willen nöthig gewesen, wenn man diese heilsamen Lehren, und richtige Begriffe oder Ueberzeugung von ihrer Wahrheit, mittheilen, und sie gegen falsche Vorstellungen oder Zweifel verwahren wollte.
136.
Selbst bei der
Anwendung der christlichen Lehren auf sich selbst oder Andere, mußte manche Verlegenheit, mußten sehr verschiedene Meinungen eintreten. Ist dieses oder jenes (z. B. Matth. 19, 21. Apostelgesch. 15, 20 etc.) auch uns, oder ist es nur den damaligen Schülern Christi gesagt? und in jenem Fall, wie fern? Ist der mir vorkommende Fall eben der, auf den der oder jener biblische Ausspruch (z. B. Matth. 6, 25. 1 Kor. 3, 19.) geht? und wenn mehrere solche Aussprüche, die doch einander nicht wirklich widersprechen können, nicht zugleich können in einerlei Absicht wahr seyn (s. die Anmerk. zu §.
134. ), wie fern ist jeder wahr? wie lassen sie sich mit einander ver
|c162|einigen? oder, wenn zwei Gebote nicht zugleich können gehalten werden (z. B. Matth. 7, 6. und Kap. 10, 27.), welches geht vor? oder, wie weit kann man Beides beobachten? – Nun
erweiterten sich überdieß vollends, mit fortgehender Zeit, allerlei Arten der menschlichen Kenntnisse und Wissenschaften, die entweder in eine Art von Widerspruch mit den biblischen Aussprüchen zu kommen, oder diese aufzuklären und zu bestätigen schienen. Man fing an, mit eben dem Fleiß über diese Aussprüche, wie über die Sätze in andern Wissenschaften, nachzudenken. Dies machte selbst der Widerspruch gegen manche, so wie die Verschiedenheit der Vorstellungen von ihrem Sinn und ihrer Ausdehnung, nothwendig. Auch waren diese Aussprüche schon an sich einer solchen weitern Aufklärung werth , die man nicht anderwärts her, als aus dem fleißigen Studium des Sprachgebrauchs der Bibel und aus klaren Sätzen der Vernunft, nehmen konnte. Nothwendig mußten sich also auch die Kenntnisse vom Christenthum erweitern, noch mehr befestigen, und bestimmter und zusammenhängender werden. Wie endlich diese Masse von Kenntnissen immer mehr zunahm, eine Läuterung derselben zur Scheidung des Wahren und Falschen nöthig wurde, nach und nach Lehranstalten aufkamen, wo man, zumal angehenden Lehrern der Religion, eine allgemeinere Uebersicht des Ganzen geben, und diese mannichfaltigen Kenntnisse vom Christenthum durch ihren innern Zusammenhang, durch ausgesuchtere, bewährtere Beweise und die nöthigen Bestimmungen befestigen wollte: so entstand natürlich eine mehr
wissenschaftliche Form christlicher Kenntnisse.Selbst bei der
Anwendung der christlichen Lehren auf sich selbst oder Andere, mußte manche Verlegenheit, mußten sehr verschiedene Meinungen eintreten. Ist dieses oder jenes (z. B. Matth. 19, 21. Apostelgesch. 15, 20 etc.) auch uns, oder ist es nur den damaligen Schülern Christi gesagt? und in jenem Fall, wie fern? Ist der mir vorkommende Fall eben der, auf den der oder jener biblische Ausspruch (z. B. Matth. 6, 25. 1 Kor. 3, 19.) geht? und wenn mehrere solche Aussprüche, die doch einander nicht wirklich widersprechen können, nicht zugleich können in einerlei Absicht wahr seyn (s. die Anmerk. zu §.
134. ), wie fern ist jeder wahr? wie lassen sie sich mit einander ver
|c162|einigen? oder, wenn zwei Gebote nicht zugleich können gehalten werden (z. B. Matth. 7, 6. und Kap. 10, 27.), welches geht vor? oder, wie weit kann man Beides beobachten? – Nun
erweiterten sich überdieß vollends, mit fortgehender Zeit, allerlei Arten der menschlichen Kenntnisse und Wissenschaften, die entweder in eine Art von Widerspruch mit den biblischen Aussprüchen zu kommen, oder diese aufzuklären und zu bestätigen schienen. Man fing an, mit eben dem Fleiß über diese Aussprüche, wie über die Sätze in andern Wissenschaften, nachzudenken. Dies machte selbst der Widerspruch gegen manche, so wie die Verschiedenheit der Vorstellungen von ihrem Sinn und ihrer Ausdehnung, nothwendig. Auch waren diese Aussprüche schon an sich einer solchen weitern Aufklärung werth , die man nicht anderwärts her, als aus dem fleißigen Studium des Sprachgebrauchs der Bibel und aus klaren Sätzen der Vernunft, nehmen konnte. Nothwendig mußten sich also auch die Kenntnisse vom Christenthum erweitern, noch mehr befestigen, und bestimmter und zusammenhängender werden. Wie endlich diese Masse von Kenntnissen immer mehr zunahm, eine Läuterung derselben zur Scheidung des Wahren und Falschen nöthig wurde, nach und nach Lehranstalten aufkamen, wo man, zumal angehenden Lehrern der Religion, eine allgemeinere Uebersicht des Ganzen geben, und diese mannichfaltigen Kenntnisse vom Christenthum durch ihren innern Zusammenhang, durch ausgesuchtere, bewährtere Beweise und die nöthigen Bestimmungen befestigen wollte: so entstand natürlich eine mehr
wissenschaftliche Form christlicher Kenntnisse.
|c163| 137.
Aus dem allen erklärt sich nun der Ursprung der
systematischen Theologie, oder der
Theologie, im Unterschiede von der
Religion (Theil 1. §.
3. Anm. 2.) im eigentlichsten und engsten Verstande (Th. 2. §.
1. ), d. i. des zusammenhängenden Inbegriffs gelehrter Kenntnisse von der Religion. Man könnte, wenn Religion, wie hier, von der christlichen genommen wird, diese Theologie durch eine Wissenschaft (oder den Inbegriff der Wissenschaften) erklären, worin die in der heiligen Schrift zerstreuten Lehren erklärt, in einen regelmäßigen Zusammenhang gebracht, durch einander bestimmt und eingeschränkt, bestätigt, und weiter aufgeklärt werden.Aus dem allen erklärt sich nun der Ursprung der
systematischen Theologie, oder der
Theologie, im Unterschiede von der
Religion (Theil 1. §.
3. Anm. 2.) im eigentlichsten und engsten Verstande (Th. 2. §.
1. ), d. i. des zusammenhängenden Inbegriffs gelehrter Kenntnisse von der Religion. Man könnte, wenn Religion, wie hier, von der christlichen genommen wird, diese Theologie durch eine Wissenschaft (oder den Inbegriff der Wissenschaften) erklären, worin die in der heiligen Schrift zerstreuten Lehren erklärt, in einen regelmäßigen Zusammenhang gebracht, durch einander bestimmt und eingeschränkt, bestätigt, und weiter aufgeklärt werden.
Anm. Wenn mehrere Lehrsätze, die mit einander zusammenhängen, d. i. deren einer mit und durch den andern besteht (oder mit dem andern zugleich und um seinetwillen wahr ist), zusammen genommen, d. i. zu Einem Zweck verbunden werden, so entsteht ein System; und, sind dieses Lehrsätze der Religion, ein Religions-System. Folglich ist systematische Theologie der Inbegriff aller Religionslehren, die in einem solchen Zusammenhange erkannt oder vorgetragen werden. Bei ihr kommt demnach Alles auf drei Stücke an: 1) daß man die einzelnen Lehrsätze verstehe oder erkläre, 2) sie mit einander verbinde, und zwar 3) so, daß einer mit und durch den andern bestehe.
138.
Man darf nur auf die bisher beschriebene Art Acht geben, wie systematische Theologie entstanden ist, und über die Natur derselben nachdenken, um sogleich überzeugt zu werden, wie nützlich es sei, daß man die christlichen Lehren in ein solches System gebracht habe. Wer sich einer christ
|c164|lichen Kenntniß, und noch mehr einer Ueberzeugung von ihrer Wahrheit rühmen, oder sie anwenden will, muß doch 1) wenigstens sie
verstehen. Dazu ist zwar die Kenntniß des biblischen Sprachgebrauchs unentbehrlich; aber, wenn dieser Gebrauch mehr als Einen Sinn zuläßt; oder wenn ein Satz, den wir zu verstehen glauben, mit einem andern biblischen Satz nicht bestehen kann: so muß ich den Satz, von dessen Sinn die Frage ist, mit dem Zusammenhang, in dem er in der Bibel vorkommt, mit der Absicht des Schriftstellers, mit seinen anderweitigen Erklärungen, vergleichen, um zu finden, welcher Sinn, allein oder am meisten, damit übereinstimme; oder, scheinen zwei biblische Sätze einander zu widersprechen, wie fern und in welchem Sinn jeder wahr sei, und mit dem andern bestehen könne.
1) Hier ist offenbar die versuchte Verbindung eines zweideutigen Satzes mit dem Zusammenhange, der Absicht des Schriftstellers und den Parallelstellen, oder mit andern eben so biblischen Sätzen, das Mittel, hinter dessen wahren Sinn zu kommen. Ja eben dieser Versuch, einen
Zusammenhang zu finden, leitet sehr oft auf die Entdeckung des wahren Sprachgebrauchs, indem er darauf aufmerksam macht, anderweitigen Beispielen von
dem Sprachgebrauch nachzuforschen, bei dem allein der Satz als denkbar erscheint.
2) Oft finde sich auch bei dem Sinn eines biblischen Satzes gar kein Bedenken, und man kann daher einen wirklich falschen Sinn für wahr annehmen, bis man ihn erst – wie eben in dem System geschieht – mit andern biblischen Sätzen zusammenstellt, und dadurch von seinem Irrthum in der Erklärung überzeugt, dadurch genöthigt werde, sich nach einem richtigern Sinn umzusehen. Schon dieß ist also ein großer Vortheil, den ein solches Zusammenstellen und der Versuch,
|c165| die biblischen Sätze in ein System zu bringen, gewährt, daß dadurch der wahre Sinn dieser Sätze entdeckt werden kann, ohne welchen alle Erkenntniß aus der Bibel keinen festen Grund haben würde.Man darf nur auf die bisher beschriebene Art Acht geben, wie systematische Theologie entstanden ist, und über die Natur derselben nachdenken, um sogleich überzeugt zu werden, wie nützlich es sei, daß man die christlichen Lehren in ein solches System gebracht habe. Wer sich einer christ
|c164|lichen Kenntniß, und noch mehr einer Ueberzeugung von ihrer Wahrheit rühmen, oder sie anwenden will, muß doch 1) wenigstens sie
verstehen. Dazu ist zwar die Kenntniß des biblischen Sprachgebrauchs unentbehrlich; aber, wenn dieser Gebrauch mehr als Einen Sinn zuläßt; oder wenn ein Satz, den wir zu verstehen glauben, mit einem andern biblischen Satz nicht bestehen kann: so muß ich den Satz, von dessen Sinn die Frage ist, mit dem Zusammenhang, in dem er in der Bibel vorkommt, mit der Absicht des Schriftstellers, mit seinen anderweitigen Erklärungen, vergleichen, um zu finden, welcher Sinn, allein oder am meisten, damit übereinstimme; oder, scheinen zwei biblische Sätze einander zu widersprechen, wie fern und in welchem Sinn jeder wahr sei, und mit dem andern bestehen könne.
1) Hier ist offenbar die versuchte Verbindung eines zweideutigen Satzes mit dem Zusammenhange, der Absicht des Schriftstellers und den Parallelstellen, oder mit andern eben so biblischen Sätzen, das Mittel, hinter dessen wahren Sinn zu kommen. Ja eben dieser Versuch, einen
Zusammenhang zu finden, leitet sehr oft auf die Entdeckung des wahren Sprachgebrauchs, indem er darauf aufmerksam macht, anderweitigen Beispielen von
dem Sprachgebrauch nachzuforschen, bei dem allein der Satz als denkbar erscheint.
2) Oft finde sich auch bei dem Sinn eines biblischen Satzes gar kein Bedenken, und man kann daher einen wirklich falschen Sinn für wahr annehmen, bis man ihn erst – wie eben in dem System geschieht – mit andern biblischen Sätzen zusammenstellt, und dadurch von seinem Irrthum in der Erklärung überzeugt, dadurch genöthigt werde, sich nach einem richtigern Sinn umzusehen. Schon dieß ist also ein großer Vortheil, den ein solches Zusammenstellen und der Versuch,
|c165| die biblischen Sätze in ein System zu bringen, gewährt, daß dadurch der wahre Sinn dieser Sätze entdeckt werden kann, ohne welchen alle Erkenntniß aus der Bibel keinen festen Grund haben würde.
Anm. 1) So kann es scheinen, als wenn die Stelle Röm. 5, 12 f. die Lehre enthalte: daß wir selbst zugleich mit unserm ersten Stammvater, und dadurch, daß er sündigte, gefallen wären; es kann diese Stelle wenigstens eine eigentliche Zurechnung seines Falls bei seinen Nachkommen, d. i. den Satz zu enthalten scheinen, daß wir um jenes Falls willen bestraft , wohl gar mit dem ewigen Tode bestraft würden. Es ist auch bekannt genug, daß sie so sei verstanden worden. Aber eben sowohl kann ἁμαρτάνειν, auch von solchen verstanden werden, die nicht gesündigt, sondern nur ein gleiches Schicksal mit andern Verbrechern haben; θανατος kann den leiblichen Tod bedeuten; und Paulus kann eine ganz natürliche Veränderung, die auch ohne Verbrechen erfolgt seyn würde, nach einer bei den Hebräern gewöhnlichen Art zu reden, als eine Strafe beschreiben, wenn sie gleich keine, sondern ihr nur (materialiter) ähnlich ist, wie 1 Mos. 3, 14. 16. 17–19. Kap. 9, 12 f. und in vielen Stellen, die aus dem alten Testament im neuen, nicht nach ihrer eigentlichen Absicht, sondern wegen einer Aehnlichkeit, angeführt werden. Vergleiche ich nun den biblischen Ausspruch Ezech. 18, 20., den sogar der gemeine Menschenverstand als recht billigt; erkenne ich die deutliche Anspielung der Worte des Apostels auf 1 Mos. 2, 17. verglichen mit Kap. 3, 19.; finde ich, daß P. im Zusammenhang nur bloß den Tod erwähnt, und weder ihn Strafe nennt, noch von einer andern Strafe außer dem Tode redet; vornehmlich aber, daß er unser Schicksal nicht von unserer, von vieler Menschen Sünde herleitet, sondern in allen Versen von Eines Sünde V. 15. 16. 17. 18. 19.; und daß er endlich den Adam und Christum vergleicht, mit oder in wel|c166|chem letztern wir ja nicht recht gehandelt haben, sondern nur seinetwegen als Gerechte von Gott behandelt werden: so kann man vernünftiger Weise an der Richtigkeit der letztern Erklärung nicht zweifeln. – So scheint auch 1 Joh. 3, 6. und 9. mit Kap. 1, 8. zu streiten, und man hat allerlei Arten, den Sinn jener Stelle zu mildern, versucht. Johannes hebt doch selbst allen Mißverstand, da aus Kap. 5, 18. augenscheinlich wird, μὴ ἁμαρτάνειν sei so viel als τηρεῖν ἑαυτὸν, sich vor Sünden zu hüten suchen.
2) Wie bei gedachter Stelle 1 Joh. 3. und bei solchen, wo es scheint, daß Gott für die Ursach des Bösen ausgegeben werde; welcher in die Augen fallende Mißverstand gänzlich gehoben wird, wenn man aus ähnlichen Redensarten Apostelgesch. 13, 29. und Kap. 1, 18. gelernt hat, daß die Ebräer von jeder entfernten, selbst mit Mißfallen verknüpften Veranlassung einer Handlung, gerade wie von einer Ursach derselben reden.
{Ob freilich die strenge Bestimmtheit und Consequenz bei so populären und selbst im Schreiben ungeübten Schriftstellern,
ἰδιώταις λόγου, wie die V. des neuen Testaments waren, überall angenommen und vorausgesetzt werden dürfe, ist eine andere Frage.
A. d. H.}
139.
Zur Ueberzeugung von der
Wahrheit der biblischen Sätze, müssen uns zwar schon die Aussprüche der heiligen Schrift selbst zureichend seyn; aber die Gewißheit davon wächst doch noch mehr 2) dadurch, wenn wir sie mit andern Sätzen, die uns gewiß sind, in Verbindung bringen; es mögen diese andern Sätze biblische, oder anderwärtsher gewisse seyn. Denn, so wie diese Gewißheit der Sätze leidet, wenn wir sie nicht mit solchen andern zu reimen wissen: so wird sie befestigt, wenn sie aus diesen fließen,
|c167| oder diese ohne jene nicht bestehen können.
1) Indem man sie ferner mit andern Sätzen zusammenhält, so sieht man 3) wie einer den andern bestimmt und einschränkt, fügt also im System diese Einschränkungen hinzu, und verhütet dadurch theils die Mißdeutung dieser Sätze, theils Zweifel und Vorwürfe gegen sie; wodurch Irrthümer abgeschnitten werden, und der richtige Verstand derselben sowohl wieder befördert, als die Gewißheit der Sätze aufs neue verstärkt wird.
2) Zur Ueberzeugung von der
Wahrheit der biblischen Sätze, müssen uns zwar schon die Aussprüche der heiligen Schrift selbst zureichend seyn; aber die Gewißheit davon wächst doch noch mehr 2) dadurch, wenn wir sie mit andern Sätzen, die uns gewiß sind, in Verbindung bringen; es mögen diese andern Sätze biblische, oder anderwärtsher gewisse seyn. Denn, so wie diese Gewißheit der Sätze leidet, wenn wir sie nicht mit solchen andern zu reimen wissen: so wird sie befestigt, wenn sie aus diesen fließen,
|c167| oder diese ohne jene nicht bestehen können.
1) Indem man sie ferner mit andern Sätzen zusammenhält, so sieht man 3) wie einer den andern bestimmt und einschränkt, fügt also im System diese Einschränkungen hinzu, und verhütet dadurch theils die Mißdeutung dieser Sätze, theils Zweifel und Vorwürfe gegen sie; wodurch Irrthümer abgeschnitten werden, und der richtige Verstand derselben sowohl wieder befördert, als die Gewißheit der Sätze aufs neue verstärkt wird.
2)
Anm. 1) Dies ists, was vornehmlich der deutlichen und gelehrten Kenntniß vor der undeutlichen und gemeinen, dem Vortrag der erstern Art vor dem populären, den Sätzen im System vor den abgerissenen Sätzen, einen so großen Vorzug giebt. Bei Köpfen, die zum Nachdenken aufgelegt und an deutliche Begriffe gewöhnt sind, ist systematische Kenntniß der Religion unentbehrlich, und dahin, in seinem Maaß, zu trachten, Pflicht eines jeden Christen, zumal Lehrers, zumal in aufgeklärtern Zeiten. Siehe den sehr lesenswürdigen Tellerischen Excursus III. hinter Th. Burneti lib. de fide et offic. Christianorum, p. 290 sqq.
2) So wird die Lehre von Unentbehrlichkeit der Gnade Gottes zu allem Guten und von seiner schonenden Erbarmung, gewiß in dem Grade überzeugender erkannt, als die Ueberzeugung von unserer Ohnmacht und unserm Verderben auf einer, und von dem, was wir wohl könnten, wenn wir wollten, auf der andern Seite, stark ist; und die wahre Lehre der heiligen Schrift von der Versöhnung durch Christum ist bei einer richtigen Vorstellung von der Gerechtigkeit Gottes weit weniger Zweifeln ausgesetzt, als ohne diese.
3) Beispiele giebt hier die Vergleichung der biblischen Lehre, daß der Glaube ein Geschenk Gottes sei, mit anderen Stellen, die doch den Mangel des Glaubens dem Men|c168|schen selbst Schuld geben; der Lehre, die den Glauben an Jesum Christum als nothwendig zur Seligkeit fordert, mit der Lehre Röm. 2, 11–15. 26. 27.; der Lehre, die Gott als den vorstellt, der allen Menschen wolle geholfen wissen, und der durch sein Wort oder Lehre die Menschen selig mache, mit dem Erfahrungssatz, daß doch die wenigsten Menschen Gelegenheit , selbst viele nicht einmal Fähigkeit gehabt haben, die christliche Lehre, eine natürliche Religion kennen zu lernen; der Lehre von Vergebung der Sünden, und hingegen der Erfahrung, daß natürliche Strafen nach unsern Vergehungen nicht ausbleiben.
140.
Eben diese richtige und bedächtige Vergleichung der Lehren unter einander und die Bestimmung der einen durch die andere, zeigt auch 4) den verhältnißmäßigen Werth oder auch Entbehrlichkeit einer Lehre. Diese Würdigung kann sehr viel beitragen, theils zur Bestimmung, ob gewisse Lehren oder Vorstellungen eben sowohl in den gemeinen Unterricht, als für Gelehrte gehören; theils zur Beruhigung , wenn wir uns von gewissen Lehren nicht überzeugen, sie nicht so sehr, als wir es wünschten, uns aufklären, nicht alle Zweifel dagegen heben können; theils zur billigern Beurtheilung derer, die über gewisse Punkte anders denken als wir; endlich zur Absonderung unnützer oder entbehrlicherer Untersuchungen.
1) Und wie viele neue Aufschlüsse gewährt 5) eine solche Vergleichung und Zusammenstellung, die so viele Vorurtheile, Irrthümer und Zweifel verdrängen können! Denn wodurch anders gelangen wir zu solchen erweiterten und mehr geläuterten Einsichten, als durch Vergleichung mehrerer Sätze, und ihrer Bestandtheile, mit einander?
2) Eben diese richtige und bedächtige Vergleichung der Lehren unter einander und die Bestimmung der einen durch die andere, zeigt auch 4) den verhältnißmäßigen Werth oder auch Entbehrlichkeit einer Lehre. Diese Würdigung kann sehr viel beitragen, theils zur Bestimmung, ob gewisse Lehren oder Vorstellungen eben sowohl in den gemeinen Unterricht, als für Gelehrte gehören; theils zur Beruhigung , wenn wir uns von gewissen Lehren nicht überzeugen, sie nicht so sehr, als wir es wünschten, uns aufklären, nicht alle Zweifel dagegen heben können; theils zur billigern Beurtheilung derer, die über gewisse Punkte anders denken als wir; endlich zur Absonderung unnützer oder entbehrlicherer Untersuchungen.
1) Und wie viele neue Aufschlüsse gewährt 5) eine solche Vergleichung und Zusammenstellung, die so viele Vorurtheile, Irrthümer und Zweifel verdrängen können! Denn wodurch anders gelangen wir zu solchen erweiterten und mehr geläuterten Einsichten, als durch Vergleichung mehrerer Sätze, und ihrer Bestandtheile, mit einander?
2)
|c169| Anm. 1) Man denke hier an den so äußerst zweideutigen Streit über Grund- und Nebenartikel des christlichen Glaubens (articulos fundamentales primi und secundi ordinis und non fundamentales), und an den unverständigen höchst schädlichen Eifer, der menschliche Vorstellungen von christlichen Lehren mit diesen selbst, der Wichtigkeit nach, in Eine Klasse setzte, auf einer, wie auf der andern Seite, an die Kälte und Gleichgültigkeit gegen gewisse Lehren, sowohl als an den Unverstand, eine Lehre selbst zu verwerfen, wenn eine Vorstellungsart davon verwerflich ist. Die Lehren von dem göttlichen Ansehen der heiligen Schrift und ihrer unmittelbaren Eingebung; von dem moralischen Verderben der Menschen, der Erbsünde und der Zurechnung des Falles Adams, und so viele andere, mit den verschiedenen Vorstellungen davon, die keinesweges zusammen stehen und fallen, können hier zum Beispiele dienen.
2) Gute und schlechte Beispiele dieser Aufklärung christlicher Lehren sind bekannt genug. Wie ärmlich und willkürlich sieht die Lehre von der Eingebung der heiligen Schrift vor der letztern Hälfte des vorigen Jahrhunderts aus, gegen die Gestalt, die sie seitdem, zumal in den neuesten Zeiten, z. B. in Töllner's Buch von der göttlichen Eingebung, gewonnen hat? Wie ganz anders erscheinen uns jetzt die Lehren von der wahrhaftigen Göttlichkeit des Christenthums, von der Deutlichkeit der heiligen Schrift, von der göttlichen Vorhersehung der freien Handlungen der Menschen, von der göttlichen Vorsehung, von den göttlichen Strafen, von der Versöhnung Christi und seinem thätigen und leidenden Gehorsam, von der wahren Besserung des Menschen, und dem, was dabei Gottes und des Menschen ist, von dem Glauben und der möglichen Seligkeit derer, die keine Gelegenheit gehabt haben, das Christenthum kennen zu lernen, von der steten Fortdauer der Strafen nach dem Tode, und mehrere andere? die alle so laut für den Nutzen der systematischen Untersuchungen sprechen.
|c170| 141.
Alle diese Vortheile kann die systematische Theologie, zur bessern Erkenntniß des Christenthums, leisten. Sie erleichtert aber auch das gründliche Studium der Religion, besonders angehenden Theologen. Denn 6) schon für den langsamen Kopf, und eben so sehr für jeden, der noch zu wenig Bekanntschaft mit der heiligen Schrift und deren rechtem Verstande, mit Philosophie, mit Geschichte der Lehre und den so vielfältigen Versuchen gelehrter Theologen, das Christenthum aufzuklären, noch zu wenig feste Grundsätze und Uebung im Denken, und in reifer, nüchterner Prüfung, hat, ist es ein großer Vortheil, wenn ihm Andere darin mit Sammlung dessen, was am bewährtesten erfunden worden, mit eigener Untersuchung, vorarbeiten, ihm durch ihr eigenes Beispiel die rechte Art zeigen, wie er, aufs sicherste und überzeugendste, Untersuchungen über die Religion und das Christenthum anstellen müsse, ihn dadurch vor Dünkel und zu rascher Entscheidung einerseits, und andererseits vor Trägheit bei dem einmal Gelernten, verwahren. 7) Er bekommt dadurch eine allgemeinere und geschwindere Uebersicht des Ganzen, an die er hernach viel leichter seine übrigen erlangten Kenntnisse und Untersuchungen knüpfen und ordnen kann. 8) Er wird durch ein wohleingerichtetes System von dem Leichtern zum Schwerern fortgeführt, oder doch, bei der zusammenhängenden Stellung der Lehren, durch das Vorhergehende zu dem Nachfolgenden zubereitet. Er gewöhnt sich, durch einen solchen erläuternden und mit Beweisen unterstützten Commentar über die biblischen Lehren, gleich anfangs zu deutlichen und bestimmten Begriffen, die ihn gegen seichte Erkenntniß, Ausschweifungen der Phantasie, halbwahre Zweifel, und |c171| mehrere dergleichen Uebel, sichern. 9) Der stete Zusammenhang, verbunden mit solchen deutlichen Begriffen, gewährt einem Selbstdenkenden und nach gründlicher Kenntniß Durstenden ein großes Vergnügen, macht ihm das Studium der Religion selbst interessanter, und befördert dadurch zugleich seinen Fleiß. Auch drückt sich 10) das, was man so in Zusammenhang gebracht hat, viel tiefer ein, und setzt uns in den Stand, das leichter zu behalten, und sich dessen eher wieder zu erinnern, als was man nur einzeln und stückweise gelernt hat.Alle diese Vortheile kann die systematische Theologie, zur bessern Erkenntniß des Christenthums, leisten. Sie erleichtert aber auch das gründliche Studium der Religion, besonders angehenden Theologen. Denn 6) schon für den langsamen Kopf, und eben so sehr für jeden, der noch zu wenig Bekanntschaft mit der heiligen Schrift und deren rechtem Verstande, mit Philosophie, mit Geschichte der Lehre und den so vielfältigen Versuchen gelehrter Theologen, das Christenthum aufzuklären, noch zu wenig feste Grundsätze und Uebung im Denken, und in reifer, nüchterner Prüfung, hat, ist es ein großer Vortheil, wenn ihm Andere darin mit Sammlung dessen, was am bewährtesten erfunden worden, mit eigener Untersuchung, vorarbeiten, ihm durch ihr eigenes Beispiel die rechte Art zeigen, wie er, aufs sicherste und überzeugendste, Untersuchungen über die Religion und das Christenthum anstellen müsse, ihn dadurch vor Dünkel und zu rascher Entscheidung einerseits, und andererseits vor Trägheit bei dem einmal Gelernten, verwahren. 7) Er bekommt dadurch eine allgemeinere und geschwindere Uebersicht des Ganzen, an die er hernach viel leichter seine übrigen erlangten Kenntnisse und Untersuchungen knüpfen und ordnen kann. 8) Er wird durch ein wohleingerichtetes System von dem Leichtern zum Schwerern fortgeführt, oder doch, bei der zusammenhängenden Stellung der Lehren, durch das Vorhergehende zu dem Nachfolgenden zubereitet. Er gewöhnt sich, durch einen solchen erläuternden und mit Beweisen unterstützten Commentar über die biblischen Lehren, gleich anfangs zu deutlichen und bestimmten Begriffen, die ihn gegen seichte Erkenntniß, Ausschweifungen der Phantasie, halbwahre Zweifel, und |c171| mehrere dergleichen Uebel, sichern. 9) Der stete Zusammenhang, verbunden mit solchen deutlichen Begriffen, gewährt einem Selbstdenkenden und nach gründlicher Kenntniß Durstenden ein großes Vergnügen, macht ihm das Studium der Religion selbst interessanter, und befördert dadurch zugleich seinen Fleiß. Auch drückt sich 10) das, was man so in Zusammenhang gebracht hat, viel tiefer ein, und setzt uns in den Stand, das leichter zu behalten, und sich dessen eher wieder zu erinnern, als was man nur einzeln und stückweise gelernt hat.
142.
Freilich führt dieser systematische Vortrag des Christenthums auch manches Unbequeme mit sich, und veranlaßt oft genug Uebel, die der rechten Erkenntniß desselben nachtheilig werden. – Die Bequemlichkeit, die er verschafft, und das Vertrauen auf Anderer Vorarbeit, verleitet sehr leicht zur Trägheit, hemmt den Trieb zu eigener Untersuchung, und zieht blinde Anhänglichkeit an dem System nach sich. – Nur zu oft wird darüber das Schöpfen aus der Quelle, das Studium der heiligen Schrift, vernachlässigt; man begnügt sich mit Beweisen aus der Natur der Sache und aus dem Zusammenhang der Lehren, und, anstatt das System nach der heiligen Schrift zu bilden, trägt man aus jenem den Sinn in diese hinein; wenigstens hindert die stete Rücksicht auf das System, wogegen man nicht verstoßen will, das recht unbefangene Forschen in der Bibel. – Und da man in dem System, nebst den christlichen Lehren, auch menschliche Vorstellungen davon vorträgt: so wird man gar leicht verführt, einerlei Gewißheit und Wichtigkeit diesen wie jenen beizulegen; und dies verursacht wieder den Schaden, daß die oft gerechten Zweifel gegen solche |c172| menschliche Begriffe, zur Bestreitung der christlichen Lehren selbst gebraucht werden. – Endlich scheint dabei die Fruchtbarkeit und das eigentlich Praktische der Religion, nebst der Anwendung des Christenthums auf unsere Besserung und Beruhigung, zu leiden. Denn je mehr Fleiß auf die Speculation verwendet wird, desto mehr wird gemeiniglich die Anwendung, und, über dem Streben nach Deutlichkeit und Gewißheit, die Beförderung des Eindrucks, den die Lehren machen sollten, vergessen. Und, weil die Untersuchungen in dem System durch Streitigkeiten über einzelne Lehren und durch die Umstände der Zeit, wo sie für nothwendig befunden wurden, veranlaßt worden sind: so sind viele, zum Theil wichtigere, Untersuchungen ganz versäumt, viel Unnützes, wenigstens für uns Entbehrliches, in das System getragen, auf Vieles ein Gewicht gelegt worden, was ihm nur die Zeitumstände und Leidenschaften der Menschen gaben, und das Christenthum ist durch die Ideen gewisser Schulen, Völker und Zeiten so entstellt, der Vortrag so dürre, und durch den Gebrauch der Schulausdrücke so unverständlich geworden, daß man oft Mühe hat, die einfältige Lehre Christi darin wieder zu finden.Freilich führt dieser systematische Vortrag des Christenthums auch manches Unbequeme mit sich, und veranlaßt oft genug Uebel, die der rechten Erkenntniß desselben nachtheilig werden. – Die Bequemlichkeit, die er verschafft, und das Vertrauen auf Anderer Vorarbeit, verleitet sehr leicht zur Trägheit, hemmt den Trieb zu eigener Untersuchung, und zieht blinde Anhänglichkeit an dem System nach sich. – Nur zu oft wird darüber das Schöpfen aus der Quelle, das Studium der heiligen Schrift, vernachlässigt; man begnügt sich mit Beweisen aus der Natur der Sache und aus dem Zusammenhang der Lehren, und, anstatt das System nach der heiligen Schrift zu bilden, trägt man aus jenem den Sinn in diese hinein; wenigstens hindert die stete Rücksicht auf das System, wogegen man nicht verstoßen will, das recht unbefangene Forschen in der Bibel. – Und da man in dem System, nebst den christlichen Lehren, auch menschliche Vorstellungen davon vorträgt: so wird man gar leicht verführt, einerlei Gewißheit und Wichtigkeit diesen wie jenen beizulegen; und dies verursacht wieder den Schaden, daß die oft gerechten Zweifel gegen solche |c172| menschliche Begriffe, zur Bestreitung der christlichen Lehren selbst gebraucht werden. – Endlich scheint dabei die Fruchtbarkeit und das eigentlich Praktische der Religion, nebst der Anwendung des Christenthums auf unsere Besserung und Beruhigung, zu leiden. Denn je mehr Fleiß auf die Speculation verwendet wird, desto mehr wird gemeiniglich die Anwendung, und, über dem Streben nach Deutlichkeit und Gewißheit, die Beförderung des Eindrucks, den die Lehren machen sollten, vergessen. Und, weil die Untersuchungen in dem System durch Streitigkeiten über einzelne Lehren und durch die Umstände der Zeit, wo sie für nothwendig befunden wurden, veranlaßt worden sind: so sind viele, zum Theil wichtigere, Untersuchungen ganz versäumt, viel Unnützes, wenigstens für uns Entbehrliches, in das System getragen, auf Vieles ein Gewicht gelegt worden, was ihm nur die Zeitumstände und Leidenschaften der Menschen gaben, und das Christenthum ist durch die Ideen gewisser Schulen, Völker und Zeiten so entstellt, der Vortrag so dürre, und durch den Gebrauch der Schulausdrücke so unverständlich geworden, daß man oft Mühe hat, die einfältige Lehre Christi darin wieder zu finden.
143.
Alles dieses ist wahr, ob es gleich von den Feinden der systematischen Lehrart und eines besondern Systems selbst, sehr übertrieben, und zu gar zu einseitiger Beurtheilung derselben angewendet wird. – Billig fordern solche Gegner, daß sie gehört, daß die Fehler gebessert werden, die dieser Lehrart und einem besondern System ankleben. Aber eben so gerecht ist die Forderung, die großen Vortheile dieser Lehrart nicht zu verläugnen, die vorhin dargestellt wurden, und das nicht zu verkennen, was selbst die syste
|c173|matische Behandlung der christlichen Lehren zur Beförderung desjenigen beitragen kann, wovon man sich einbildet, daß es durch diese Behandlung verhindert werde.
1) Ja, diese Forderung ist bei einzelnen Systemen um so gerechter, je mehr man wahrnimmt, daß die Meisten, welche sie so schnell verurtheilen, sich nicht einmal die Mühe gegeben haben, den wahren Sinn gewisser Vorstellungen und die Einschränkungen zu studiren, mit welchen man sie in dem System behauptet;
2) als wozu eine viel ausgebreitetere Belesenheit, eine weit größere Biegsamkeit der Seele, um sich in Anderer Vorstellungen hineinzudenken, mehr bedachtsame Prüfung und weit mehr historische, philologische und philosophische Kenntnisse gehören, als diese zu raschen Richter verrathen.
3) Alles dieses ist wahr, ob es gleich von den Feinden der systematischen Lehrart und eines besondern Systems selbst, sehr übertrieben, und zu gar zu einseitiger Beurtheilung derselben angewendet wird. – Billig fordern solche Gegner, daß sie gehört, daß die Fehler gebessert werden, die dieser Lehrart und einem besondern System ankleben. Aber eben so gerecht ist die Forderung, die großen Vortheile dieser Lehrart nicht zu verläugnen, die vorhin dargestellt wurden, und das nicht zu verkennen, was selbst die syste
|c173|matische Behandlung der christlichen Lehren zur Beförderung desjenigen beitragen kann, wovon man sich einbildet, daß es durch diese Behandlung verhindert werde.
1) Ja, diese Forderung ist bei einzelnen Systemen um so gerechter, je mehr man wahrnimmt, daß die Meisten, welche sie so schnell verurtheilen, sich nicht einmal die Mühe gegeben haben, den wahren Sinn gewisser Vorstellungen und die Einschränkungen zu studiren, mit welchen man sie in dem System behauptet;
2) als wozu eine viel ausgebreitetere Belesenheit, eine weit größere Biegsamkeit der Seele, um sich in Anderer Vorstellungen hineinzudenken, mehr bedachtsame Prüfung und weit mehr historische, philologische und philosophische Kenntnisse gehören, als diese zu raschen Richter verrathen.
3)
Anm. 1) So vermindert z. B. die systematische Behandlung des Christenthums nicht nothwendig den Fleiß, den man auf das Studium der Bibel wendet. Vielmehr, wenn man aus dem System sieht, wie getheilt die Christen über gewisse Stellen und Lehren der Bibel gewesen sind: so wird man nicht nur auf manchen Sinn geführt, der uns vorher gar nicht einfiel; man wird auch ermuntert, recht genau die Bibel zu studieren, um unter so verschiedenen Vorstellungen zu entscheiden, und eine recht feste, auf allen Seiten wohl verwahrte, Ueberzeugung von dem richtigen Sinn und dessen Gründen zu erhalten. Und wenn man bei dem System findet, wie sehr ein Satz den andern einschränke, und auf wie grobe Irrthümer oder unauflösliche Zweifel man gerathen würde, wenn man die biblischen Sätze so gerade nähme, wie sie sich uns zuerst darstellen: so wird man ja viel vorsichtiger, einen gutscheinenden Sinn nicht geradezu zu billigen, und keine Ideen an gewisse Sätze der Bibel zu hängen, die hernach diese Sätze mit andern in Widerspruch bringen. Was kann uns von dem so verführerischen Vorurtheil: man müsse sich einfältig an den Buch|c174|staben der heiligen Schrift halten, und einfältig glauben – was kann uns davon abbringen, als eben die Bemerkung, die das System so augenscheinlich macht, zu was für Irrthümern und Widersprüchen uns die Befolgung dieses Grundsatzes verleite?
2) Zum Beispiel kann hier die Lehre der evangelischen Kirchen von der Versöhnung der Menschen mit Gott durch Jesum Christum, und von der Rechtfertigung allein durch den Glauben, dienen, gegen welche viele noch immer den Vorwurf erneuern, daß sie die Sicherheit der Menschen befördere, und der Nothwendigkeit der Heiligung Eintrag thue; desgleichen die Fragen: von Nothwendigkeit der guten Werke (der Tugend) zur Seligkeit, und des Glaubens an Jesum Christum zu jeder guten That; von der Seligkeit derer, die das Christenthum nie gekannt haben, und der Satz, daß ihre Tugenden splendida vitia wären (Fehler oder Mängel, die besser zu seyn scheinen, als sie sind). – In diesem Fehler liegt der Grund zu aller Verketzerung, der sich übereilte und halbgelehrte Reformatoren eben so leicht schuldig machen, als im Gegentheil Andere, die steif an den gewohnten Vorstellungen von gewissen Lehren hängen.
3) Was man System überhaupt nennt – denn die obigen Einwürfe sind ja gegen Alles gerichtet, was so heißt – ist nicht einerlei mit dem besondern System einer gewissen Kirche oder eines besondern Lehrers. Wer also einzelne Lehren, wie sie philosophisch und im Zusammenhange mit andern vorgestellt worden sind, beurtheilen will, muß nicht bloß Eine oder eine und die andere Vorstellung, sondern eigentlich alle Versuche kennen, die man zur Aufklärung einer Lehre gemacht hat; und dazu gehört keine geringe Belesenheit, Scharfsinn, Fähigkeit, sich in Anderer Gedanken zu versetzen u. dergl. Welch eine ganz andere schrift- und vernunftmäßige Gestalt haben gewisse Lehren unter den Händen gelehrter und scharfsinniger Lehrer bekommen, zumal je nachdem durch Streitigkeiten nähere Veranlassung, darüber weitere Unteruchungen anzustellen, entstanden war! |c175| Wie groß erscheint z. B. Leibnitz auch in den Erklärungen, die er über gewisse hergebrachte und angefochtene Vorstellungen in der Theologie, gelegentlich in seinen Schriften eingestreuet hat!
144.
Freilich sind alle menschliche Werke unvollkommen, und die besten Unternehmungen dem Mißbrauch ausgesetzt: soll man aber deswegen lieber nichts versuchen, weil es doch immer nur Stückwerk seyn wird? Oder haben die Gegner der systematischen Theologie nicht auch schon einmal ihre Partei genommen, ohne die Sachen auf's Neue nach der heiligen Schrift zu untersuchen? Haben sie nicht auch ihr System, das sie oft in die heilige Schrift hineintragen? Und, wenn die Natur eines Systems zu gewissen besondern Fehlern leicht verführt: giebts nicht wieder andere gleich schädliche Fehler, in die man um so eher verfällt, je weniger man gewisse Sätze im System versteht? verworrene Begriffe z. B. und daher entstehende Zweideutigkeit, falsche damit einschleichende Nebenvorstellungen, Widersprüche, welchen man die Lehren aussetzt u. d. gl. – Jenen Fehlern des Systems, nebst dessen zufälligem Mißbrauch läßt sich doch abhelfen, wenn man nur die itzt näher anzudeutenden Regeln nicht aus den Augen läßt. Sie können zugleich dienen , theils den Werth besonderer Systeme, und der Verfahrungsart bei Aufklärung einzelner Lehren zu bestimmen; theils Vorsichtigkeit zu befördern, wenn man sich selbst sein System macht – eine Pflicht, die jeder auf sich hat, wer eine gewissenhafte Erkenntniß der Religion, und wer überall eigne Ueberzeugung sucht; – theils gerechter und billiger von denen zu urtheilen, die über gewisse Lehren oder deren Erweislichkeit anders als wir denken .
|c176| 145.
Zuerst ist bei einem christlichen System überall die heilige Schrift zum Grunde zu legen. Es kommt aber dabei so viel auf die Art an,
wie dieses geschieht, und es werden dabei so manche unerkannte Fehler begangen, so manche Sätze und Beweise für biblisch ausgegeben, die nichts weniger als biblisch sind, daß es sehr der Mühe werth ist, diesen
rechten Gebrauch der heiligen Schrift zu
dieser Absicht etwas bestimmter anzugeben. Es muß 1) zuvörderst ausgemacht seyn, ob das zur heiligen Schrift, wie sie
hier gebraucht werden soll, gehöre, was man dahin rechnet. Denn es versteht sich a) von selbst, wenn eine Leseart unserer gedruckten Bibeln falsch oder unsicher, und eine Stelle unecht ist, daß man darauf auch im System nichts bauen dürfe.
1) (§.
24. ) b) Eben so viel aber, und noch weit mehr, kommt darauf an, daß man überzeugt sei, was in der heiligen Schrift als
Quelle der Belehrung für Christen angesehen werden müsse. Denn wenn man erwägt: – daß Gott seine in der heiligen Schrift erhaltenen nähern Offenbarungen nach und nach und immer stufenweise deutlicher bekannt gemacht habe; – daß Jesus und seine Apostel selbst, theils von den Offenbarungen im alten Testament, als von einem noch unvollkommenen Unterricht, sprechen, theils ganz andere Gesinnungen von Christen fordern, als sich zu den Zeiten des alten Testaments fanden (Luc. 9, 54–56. Joh. 1, 17. Gal. 3, 23–25. K. 4, 9 f. Ebr. 8, 6. 12, 18–24); – daß das alte Testament doch eigentlich für Israeliten, als ein besonderes Volk Gottes, bestimmt war, und augenscheinlich nach israelitischen Nationalumständen und Bedürfnissen eingerichtet ist;
2) – daß hingegen die eigentliche Belehrung für
Christi Schü
|c177|ler in dem Unterricht ihres Stifters und Herrn und seiner unmittelbaren Schüler gesucht werden müsse, und diese Reden in den Schriften des neuen Testamentes vorkommen: so kann der große Unterschied zwischen den Büchern neuen und alten Testamentes, als einer Erkenntnißquelle und als eines für Christen unmittelbar verbindlichen Unterrichts, nicht geläugnet werden.
Zuerst ist bei einem christlichen System überall die heilige Schrift zum Grunde zu legen. Es kommt aber dabei so viel auf die Art an,
wie dieses geschieht, und es werden dabei so manche unerkannte Fehler begangen, so manche Sätze und Beweise für biblisch ausgegeben, die nichts weniger als biblisch sind, daß es sehr der Mühe werth ist, diesen
rechten Gebrauch der heiligen Schrift zu
dieser Absicht etwas bestimmter anzugeben. Es muß 1) zuvörderst ausgemacht seyn, ob das zur heiligen Schrift, wie sie
hier gebraucht werden soll, gehöre, was man dahin rechnet. Denn es versteht sich a) von selbst, wenn eine Leseart unserer gedruckten Bibeln falsch oder unsicher, und eine Stelle unecht ist, daß man darauf auch im System nichts bauen dürfe.
1) (§.
24. ) b) Eben so viel aber, und noch weit mehr, kommt darauf an, daß man überzeugt sei, was in der heiligen Schrift als
Quelle der Belehrung für Christen angesehen werden müsse. Denn wenn man erwägt: – daß Gott seine in der heiligen Schrift erhaltenen nähern Offenbarungen nach und nach und immer stufenweise deutlicher bekannt gemacht habe; – daß Jesus und seine Apostel selbst, theils von den Offenbarungen im alten Testament, als von einem noch unvollkommenen Unterricht, sprechen, theils ganz andere Gesinnungen von Christen fordern, als sich zu den Zeiten des alten Testaments fanden (Luc. 9, 54–56. Joh. 1, 17. Gal. 3, 23–25. K. 4, 9 f. Ebr. 8, 6. 12, 18–24); – daß das alte Testament doch eigentlich für Israeliten, als ein besonderes Volk Gottes, bestimmt war, und augenscheinlich nach israelitischen Nationalumständen und Bedürfnissen eingerichtet ist;
2) – daß hingegen die eigentliche Belehrung für
Christi Schü
|c177|ler in dem Unterricht ihres Stifters und Herrn und seiner unmittelbaren Schüler gesucht werden müsse, und diese Reden in den Schriften des neuen Testamentes vorkommen: so kann der große Unterschied zwischen den Büchern neuen und alten Testamentes, als einer Erkenntnißquelle und als eines für Christen unmittelbar verbindlichen Unterrichts, nicht geläugnet werden.
Anm. 1) Z. B. Röm. 8, 11. διὰ τοῦ ἐνοικοῦντος πνεύματος ἐν ὑμῖν statt der bessern διὰ τὸ ἐνοικοῦν πνεῦμα ἐ. ὑ. Matth. 5, 22. εἰκῆ. Joh. 5, 4. u. a.
2) Mehr hierüber bei §.
147 f.
146.
Nur aus den Zeugnissen der ältern jüdischen und christlichen Kirche können wir wissen , welche Bücher von solchen Männern herrühren, die, als göttliche Gesandte, die Lehren der göttlichen Offenbarung im alten und neuen Testament zuerst bekannt gemacht haben.
1) – In dieser zwiefachen Kirche hat es aber unläugbar verschiedene Meinungen über das göttliche Ansehen einzelner Bücher gegeben, aus welchen man die erste Kenntniß jener Lehre schöpfen könne, ohne daß man jemanden, der darüber anders als Andere dachte, des Namens eines Juden oder Christen unwürdig gehalten hätte, – zumal da nie ein göttliches Zeugniß diese Frage entschieden hat. So gewiß es auch ist, daß einige Bücher der heiligen Schrift (als die Bücher Mosis, die Evangelien, und manche Briefe des neuen Testaments) in der Absicht geschrieben worden sind, die Lehren der den Juden und Christen mitgetheilten göttlichen Offenbarung zuerst schriftlich bekannt zu machen und für die Nachwelt zu erhalten: so wenig läßt sich's doch von andern, zumal historischen, bewei
|c178|sen, die aber deswegen immer glaubwürdig sind, auch in einzelnen Stellen solche Lehren enthalten, und, wenn sie auch nicht eigentlich in jener Absicht geschrieben wurden, doch von Gott als ein Mittel gebraucht werden konnten, die Aufschlüsse, die er den Menschen über die Religion geben wollte, auszubreiten und fortzupflanzen. Da aber viele dieser Bücher, oder die darin erzählten Reden der göttlichen Gesandten, an gewisse besondere Arten von Lesern oder Zuhörern gerichtet, und nach deren besondern Fähigkeiten, Kenntnissen und Bedürfnissen vorgetragen, folglich, nur dem
Inhalt nach, auch für andere Arten von Lesern, hingegen, der
Einkleidung nach, oft nur für die damaligen Leser oder Zuhörer bestimmt sind: so läßt sich hieraus, so wie aus dem Uebrigen vorher Gesagten, schließen, daß weder alle
Bücher der heiligen Schrift, noch alle
Stellen derselben, noch vielweniger alle
Worte, geradezu als ein Grund angesehen werden können, worauf sich die ungezweifelte Erkenntniß des Christenthums bauen läßt.
2) Nur aus den Zeugnissen der ältern jüdischen und christlichen Kirche können wir wissen , welche Bücher von solchen Männern herrühren, die, als göttliche Gesandte, die Lehren der göttlichen Offenbarung im alten und neuen Testament zuerst bekannt gemacht haben.
1) – In dieser zwiefachen Kirche hat es aber unläugbar verschiedene Meinungen über das göttliche Ansehen einzelner Bücher gegeben, aus welchen man die erste Kenntniß jener Lehre schöpfen könne, ohne daß man jemanden, der darüber anders als Andere dachte, des Namens eines Juden oder Christen unwürdig gehalten hätte, – zumal da nie ein göttliches Zeugniß diese Frage entschieden hat. So gewiß es auch ist, daß einige Bücher der heiligen Schrift (als die Bücher Mosis, die Evangelien, und manche Briefe des neuen Testaments) in der Absicht geschrieben worden sind, die Lehren der den Juden und Christen mitgetheilten göttlichen Offenbarung zuerst schriftlich bekannt zu machen und für die Nachwelt zu erhalten: so wenig läßt sich's doch von andern, zumal historischen, bewei
|c178|sen, die aber deswegen immer glaubwürdig sind, auch in einzelnen Stellen solche Lehren enthalten, und, wenn sie auch nicht eigentlich in jener Absicht geschrieben wurden, doch von Gott als ein Mittel gebraucht werden konnten, die Aufschlüsse, die er den Menschen über die Religion geben wollte, auszubreiten und fortzupflanzen. Da aber viele dieser Bücher, oder die darin erzählten Reden der göttlichen Gesandten, an gewisse besondere Arten von Lesern oder Zuhörern gerichtet, und nach deren besondern Fähigkeiten, Kenntnissen und Bedürfnissen vorgetragen, folglich, nur dem
Inhalt nach, auch für andere Arten von Lesern, hingegen, der
Einkleidung nach, oft nur für die damaligen Leser oder Zuhörer bestimmt sind: so läßt sich hieraus, so wie aus dem Uebrigen vorher Gesagten, schließen, daß weder alle
Bücher der heiligen Schrift, noch alle
Stellen derselben, noch vielweniger alle
Worte, geradezu als ein Grund angesehen werden können, worauf sich die ungezweifelte Erkenntniß des Christenthums bauen läßt.
2)
Anm. 1) Neben den Zeugnissen der Kirche ist allerdings auch die Kritik als Prüfungsmittel zu nennen, wiewohl neuerdings besonders die
sogenannte höhere sich oft mehr anmaßt, als sie billig sollte, besonders wo die kirchliche Ueberlieferung sie behutsam machen müßte.
A. d. H.
2) Was hier nur ganz im Allgemeinen gesagt ist, soll die Vorsichtigkeit in der Wahl des Beweises der göttlichen Lehren empfehlen, und die Zweideutigkeit des Begriffs von dem, was biblisch ist, begreiflich machen; welcher Begriff eben sowohl nur von dem gebraucht wird, was in der Bibel steht, als von dem, was uns Gott darin über seinen Willen geoffenbart hat. Die Gränzen näher zu bestimmen, wo sich Beides scheidet, verdiente gar sehr eine |c179| recht genaue und vorsichtige Bestimmung, wozu hier der Ort nicht ist.
147.
Wenn ausgemacht ist, daß etwas in dem §.
145. angegebenen Sinn zur heiligen Schrift gehöre: so tritt die zweite Hauptfrage (§.
145. ) ein: wie nun die Kenntniß der Lehren aus der heiligen Schrift zu schöpfen sei? Dieß gründet sich auf die richtige
Erklärung der heiligen Schrift, und diese lediglich auf ihren erweislichen Sprachgebrauch. Man kann daher das frühzeitige Studium der Bibel und ihres Sprachgebrauchs nicht genug empfehlen, um so mehr, als sonst auch das unbefangenste Gemüth durch einen bereits empfangenen systematischen Unterricht gar zu leicht verstimmt und verleitet werden kann, gewisse Lehren in der Bibel zu
suchen, anstatt sie, ohne Rücksicht auf ein vorgefaßtes System, so aus der Bibel
anzunehmen, wie man sie darin
findet. Was über das Auffinden des wahren biblischen Sprachgebrauchs zu sagen wäre, ist überhaupt schon oben bei der exegetischen Theologie angegeben. Hier nur einige Anmerkungen über die Auffindung
des christlichen Lehrbegriffs in der Bibel, und einige dabei gar zu oft übersehene Fehler.Wenn ausgemacht ist, daß etwas in dem §.
145. angegebenen Sinn zur heiligen Schrift gehöre: so tritt die zweite Hauptfrage (§.
145. ) ein: wie nun die Kenntniß der Lehren aus der heiligen Schrift zu schöpfen sei? Dieß gründet sich auf die richtige
Erklärung der heiligen Schrift, und diese lediglich auf ihren erweislichen Sprachgebrauch. Man kann daher das frühzeitige Studium der Bibel und ihres Sprachgebrauchs nicht genug empfehlen, um so mehr, als sonst auch das unbefangenste Gemüth durch einen bereits empfangenen systematischen Unterricht gar zu leicht verstimmt und verleitet werden kann, gewisse Lehren in der Bibel zu
suchen, anstatt sie, ohne Rücksicht auf ein vorgefaßtes System, so aus der Bibel
anzunehmen, wie man sie darin
findet. Was über das Auffinden des wahren biblischen Sprachgebrauchs zu sagen wäre, ist überhaupt schon oben bei der exegetischen Theologie angegeben. Hier nur einige Anmerkungen über die Auffindung
des christlichen Lehrbegriffs in der Bibel, und einige dabei gar zu oft übersehene Fehler.
Anm. Hier ist noch viel zu leisten übrig, und die Sache ist für den christlichen Lehrbegriff von äußerster Wichtigkeit, wenn man nicht aufs Gerathewohl handeln, oder der Bibel seine eigenen Begriffe unterschieben, und wenn man das viele willkürliche Gerede über rein-biblische Theologie gehörig sichten will. Nie können die wichtigsten Streitigkeiten über biblische Lehren aus dem Grunde gehoben werden; nie werden harte Urtheile über Dissentirende aufhören, ehe man diese Begriffe nicht vorsichtig und nach festen Regeln aus der Bibel auffindet und klar macht, wie weit, |c180| und warum man nicht weiter in Bestimmung der biblischen Begriffe gehen dürfe. Noch enthält unsre Hermeneutik keine solche hinlängliche Regeln; aber man hat einige sehr gute Versuche über einzelne biblische Begriffe. Ich muß mich sehr irren, oder ältere christliche Theologen haben hierin gar nichts geleistet; unsere älteren sprachkundigen protestantischen Theologen etwas weniges mehr, aber nur wenig, z. B. über den Begriff der δικαιωσεως; viel mehr einige Theologen unserer Zeit. Ernesti hat in seiner vortrefflichen Institutione interpretis N. T. und seiner theologischen Bibliothek zuerst die Bahn geöffnet; weiter sind nur wenige, meistens einige seiner würdigen Schüler, gegangen, besonders W. A. Teller, (zum Theil auch einige, die, wie Campe, über sein Wörterbuch geschrieben haben), Morus (selbst in Absicht auf Regeln), und Tittmann, in einzelnen kleinen Schriften, so wie Alle, die das Temporelle und Lokale in der Schriftlehre, desgleichen den Unterschied zwischen Hauptlehren und Introductionslehren des Christenthums näher erörtert haben. Ich gebe hier einen schwachen Versuch, der jedem bessern und vollständigern gern Platz machen will.
148.
Da sich die heilige Schrift so oft über unsichtbare und geistige Sachen sinnlich ausdruckt, so ist I. vor allen Dingen zu untersuchen, ob die
Wörter und
Redensarten, worauf man bauen will, eigentlich oder uneigentlich zu nehmen sind. Denn ist das Letztere, so würde man, wenn man sie eigentlich nähme, Sätze der heiligen Schrift beilegen, die gar nicht darin behauptet wären, im ersteren Fall aber Sätze übersehen, die sie wirklich hätte lehren wollen. Sehr oft läßt sich dieß gleich unterscheiden, wenn entweder die Natur der Sache die eigentliche Bedeutung nicht zuläßt,
1) oder durch beistehende Anzeigen
2) oder Anspielungen
3) zu
|c181| erkennen gegeben wird, ob es eigentlich oder uneigentlich gemeint sei. Giebt aber beiderlei Bedeutung einen denkbaren Sinn, so muß der Vorzug des einen vor dem andern entschieden werden, nach der eigenen Erklärung der heiligen Schrift in der Stelle selbst und in ihrem Zusammenhang,
4) oder in offenbar ähnlichen Stellen,
5) oder nach dem Zweck eines Ausspruchs,
6) oder nach dem Sinn des Wortes in ähnlichen Verbindungen, und dem bei den letztern üblichen eigenthümlichen Sprachgebrauch der heiligen Schriftsteller.
7) Da sich die heilige Schrift so oft über unsichtbare und geistige Sachen sinnlich ausdruckt, so ist I. vor allen Dingen zu untersuchen, ob die
Wörter und
Redensarten, worauf man bauen will, eigentlich oder uneigentlich zu nehmen sind. Denn ist das Letztere, so würde man, wenn man sie eigentlich nähme, Sätze der heiligen Schrift beilegen, die gar nicht darin behauptet wären, im ersteren Fall aber Sätze übersehen, die sie wirklich hätte lehren wollen. Sehr oft läßt sich dieß gleich unterscheiden, wenn entweder die Natur der Sache die eigentliche Bedeutung nicht zuläßt,
1) oder durch beistehende Anzeigen
2) oder Anspielungen
3) zu
|c181| erkennen gegeben wird, ob es eigentlich oder uneigentlich gemeint sei. Giebt aber beiderlei Bedeutung einen denkbaren Sinn, so muß der Vorzug des einen vor dem andern entschieden werden, nach der eigenen Erklärung der heiligen Schrift in der Stelle selbst und in ihrem Zusammenhang,
4) oder in offenbar ähnlichen Stellen,
5) oder nach dem Zweck eines Ausspruchs,
6) oder nach dem Sinn des Wortes in ähnlichen Verbindungen, und dem bei den letztern üblichen eigenthümlichen Sprachgebrauch der heiligen Schriftsteller.
7)
Anm. 1) Z. B. zur rechten Hand Gottes sitzen; theilhaftig werden der göttlichen Natur 2 Petr. 1, 4., desgl. Ephes. 5, 27 und 30.
2) Ephes. 2, 22. 4, 14. Kap. 3, 17., vergl. mit 2 Tim. 1, 15., und Koloss. 3, 16. Röm. 12, 1., und Ebr. 13, 15. Kol. 2, 11.
3) So θάνατος eigentlich Röm. 5, 12. wegen Anspielung auf 1 Mos. 2, 17. 3, 19.; hingegen Joh. 8, 44. ἀνθρωποκτόνος, und Ebr. 2, 14. τὸ κράτος ἔχων τοῦ θανάτου uneigentlich, wegen der Anspielung auf 1 Mos. 3.
4) So ist 1 Petr. 5, 8. uneigentlich zu nehmen, weil es Petrus V. 9. durch παθήματα erklärt; hingegen Joh. 5, 21 f. die Auferweckung der Todten eigentlich, wegen der Verbindung mit dem Gericht V. 22. und den V. 28. erwähnten Gräbern. Röm. 6, 8. ist so wenig als Kap. 8, 10. u. 11., oder Ephes[.] 2, 5 f. von Hoffnung unserer künftigen Auferstehung gesagt, sondern von der geistlichen Auferstehung und dem Leben zur Ehre Gottes, weil es der ganze Zusammenhang giebt. So zeigt auch die ausdrückliche Erklärung Pauli 2 Kor. 4, 6., warum Christus V. 4. εἰκὼν τοῦ Θεοῦ heiße, und daß es da im uneigentlichen Sinn zu nehmen sei, vergl. V. 3 und 4.
5) Röm. 6, 6. zum Beispiel, desgl. v. 12. und 13., und K. 7, 24. kann man unmöglich läugnen, daß da, nicht vom sterblichen Körper, sondern von den Tod bringenden |c182| (ins Verderben stürzenden) Lüsten die Rede sei, wenn man nicht nur den ganzen Zusammenhang vergleicht, sondern auch findet, daß Paulus Kol. 3, 5. τὰ μέλη durch πορνείαν u. s. w. erklärt, und damit Matth. 5, 29 und 30. zusammenhält.
6) So würde, wenn es nicht schon das so eben Gesagte lehrte, Matth. 5, 29. und 30. nicht anders als uneigentlich können genommen werden, weil, wenn man es eigentlich nehmen wollte, der Zweck, wozu dieses Mittel vorgeschlagen wird, dem Zweck dieser Regel Jesu nicht entspräche; verglichen mit Christi eignen Worten V. 28. am Ende.
7) Die Juden sprachen z. B. von allem Unglück und Sünden so, vermuthlich wegen 1 Mos. 3, als wenn der Teufel dieses alles in die Welt gebracht hätte, so wie sie alles Gute und alles Glück Gott beilegten. Diese Art zu reden behält die heilige Schrift, z. B. von Gott, 2 Kor. 8, 1 und 16. Kap. 14.; vom Teufel Ebr. 2, 14. Joh. 13, 2. Apostelgesch. 5, 3. 2 Kor. 12, 7 etc., legt ihr aber ohne Zweifel einen uneigentlichen Sinn unter, wie z. B. bei dem Tode, als einer natürlichen Veränderung des Menschen, bei den Sünden der Menschen, die sonst nicht ihnen könnten zugerechnet werden, und aus 1 Petr. 5, 8. verglichen mit V. 9. offenbar ist. Wegen dieses beständig uneigentlichen Sprachgebrauchs in solchen Redensarten, würde man sie in andern Redensarten eben derselben Art eben so uneigentlich erklären müssen, wie man im Gegentheil die Versöhnung der Menschen mit Gott durch Christum immer von seinen Leiden und Tode, nicht von seiner Lehre, also eigentlich, erklären muß, weil die heilige Schrift so beständig diese Versöhnung dem Tode und Blute Christi, niemals seiner Lehre, zuschreibt. Nach eben dieser Bemerkung würde ich Apostelgeschichte 5, 4. ἐψεύσω τῷ Θεῷ nicht eigentlich von Gott, sondern uneigentlich von den Aposteln, als Gottes Gesandten, erklären müssen, weil es in ähnlichen Redensarten so geschehen |c183| muß; z. E. Apostelgesch. 7, 51. ἀντιπίπτειν τῷ Πνεύματι, welches durch διώκειν τὰς προφήτας V. 52. erklärt wird.
{Ob ich gleich gestehe, daß mir nicht jede dieser Erklärungen einleuchtet, so habe ich doch Bedenken getragen, dem sel. Verfasser meine Ansichten unterzuschieben, oder hier darüber zu streiten. Die Hauptregel steht fest, wenn auch nicht jedes Beispiel für sie beweiset.
A. d. H.}
149.
Doch – welches ist nun
der Sinn solcher uneigentlichen Ausdrücke? – Dieser ist oft schon mitgefunden, wenn man den Grund gefunden hat, warum ein Ausdruck uneigentlich zu nehmen sei, wenigstens in den Fällen, wo man dieses Letztere aus den eigenen Erklärungen der heiligen Schriftsteller, aus dem Zusammenhang oder der Absicht eines Satzes, oder aus dem uns bekannten jüdischen Gebrauch, erkannt hat. Ueberhaupt aber darf man nur immer die eigenen Erklärungen der heiligen Schriftsteller,
1) und wo die nicht gleich dabei, oder im Zusammenhang sich finden, auf ähnliche Stellen,
2) Acht haben. Schwerlich wird sich irgend ein tropischer Ausdruck finden, der die christliche Lehre angeht, welchen man nicht auf diese Art aus der Bibel selbst könnte verstehen lernen. Indessen haben manche solcher uneigentliche Ausdrücke verschiedene Bedeutungen, aus welchen man das herausziehen muß, was sie mit einander gemein haben.
3) Hat man einmal einen Tropen verstehen gelernt, so kann man danach ähnliche,
4) und eben so die mit ihm in einer Stelle verbundenen, erklären.Doch – welches ist nun
der Sinn solcher uneigentlichen Ausdrücke? – Dieser ist oft schon mitgefunden, wenn man den Grund gefunden hat, warum ein Ausdruck uneigentlich zu nehmen sei, wenigstens in den Fällen, wo man dieses Letztere aus den eigenen Erklärungen der heiligen Schriftsteller, aus dem Zusammenhang oder der Absicht eines Satzes, oder aus dem uns bekannten jüdischen Gebrauch, erkannt hat. Ueberhaupt aber darf man nur immer die eigenen Erklärungen der heiligen Schriftsteller,
1) und wo die nicht gleich dabei, oder im Zusammenhang sich finden, auf ähnliche Stellen,
2) Acht haben. Schwerlich wird sich irgend ein tropischer Ausdruck finden, der die christliche Lehre angeht, welchen man nicht auf diese Art aus der Bibel selbst könnte verstehen lernen. Indessen haben manche solcher uneigentliche Ausdrücke verschiedene Bedeutungen, aus welchen man das herausziehen muß, was sie mit einander gemein haben.
3) Hat man einmal einen Tropen verstehen gelernt, so kann man danach ähnliche,
4) und eben so die mit ihm in einer Stelle verbundenen, erklären.
Anm. 1) So ist der innere Mensch Röm. 7, 22. gewiß anders nichts, als V. 23. ὁ νοῦς, der Verstand, so fern er Gottes Gesetze erkennt; Friede mit Gott haben, Römer 5, 1. eben so viel, als keine Strafen von ihm fürchten dürfen, V. 9.; und aus eben diesem Zusam|c184|menhang, oder vielmehr aus Pauli Erklärungen, läßt sich der wahre Begriff von Versöhnung der Menschen mit Gott durch Christum abnehmen. Denn V. 10. heißen καταλλαγέντες eben die, welche V. 9. δικαιωθέντες heißen, oder solche, die nicht mehr als Strafwürdige von Gott behandelt werden, so wie sie vor Christi Tod V. 8. und 10. ἁμαρτωλοὶ (Strafwürdige) und ἐχθροὶ (Feinde) heißen. Aus diesem Letztern ist zu ersehen, warum Paulus das Wort Versöhnen brauche, nämlich weil man dieses von denen sagt, die vorher als Feinde angesehen wurden: und demnach liegt in diesem uneigentlichen Ausdruck der Versöhnung weiter kein anderes Bild der Aehnlichkeit, als dieß, daß Gott uns, wegen des Todes Christi, nicht als Strafwürdige oder Feinde behandeln wolle.
2) Der so eben angegebene Begriff von Versöhnung z. B. wird durch ähnliche Stellen augenscheinlich bestätigt. Denn 2 Kor. 5. heißen die Versöhnten V. 19., Gerechtigkeit Gottes (Gerechte vor Gott), V. 21., und Gott versöhnte die Welt durch Christum mit sich, V. 19. erklärt Paulus gleich durch: er rechnete ihnen ihre Sünden nicht zu. Röm. 11, 15. wird καταλλαγὴ Κόσμου durch ζωὴν ἐκ νεκρῶν erklärt (d. i. vermöge dieses Gegensatzes, die Heiden waren Todeswürdige, und ihnen ist nun das Leben zugesprochen); hingegen heißen V. 28. die Juden, Feinde (gerade wie Röm. 5, 10.), im Gegensatz gegen Beliebte (denen Gott wohl will); und sie sind versöhnt, sobald dieß Wohlgefallen anders möglich ist; also können Feinde nicht seyn die Gott hassen, und Versöhnung kann nicht Besserung bedeuten; sondern Feinde sind, an welchen Gott keinen Wohlgefallen haben kann. – So sind Ephes. 2, 1. und 5. Todte nicht: ganz Unfähige zu allem Guten, sondern Strafwürdige, nicht nur, weil sie V. 3. τέκνα ὀργῆς heißen, sondern auch, weil Kol. 2, 13. Lebendigmachen durch Sünde vergeben erklärt wird.
|c185| 3) Ein Beispiel ist der Name Kinder Gottes (S. mein Programm de nomine filiorum Dei, in den Opusculis Fascicul. II. No. 13.) Dieser bedeutet bald den, der Gott gleich gesinnt ist, Matth. 5, 45. 1 Joh. 2, 29., bald den, der das für wahr annimmt, was göttliche Wahrheit ist, 1 Joh. 4, 6., bald den, der eben so selig ist wie er, 1 Joh. 3, 1. Röm. 8., 17.; also überhaupt, wer ihm ähnlich ist.
4) Nach der vorstehenden Anmerkung wäre also klar, was das sei: der göttlichen Natur theilhaftig werden, 2 Petr. 1, 4., welches selbst die beigefügte Erklärung lehrt; von oben her geboren werden, Joh. 3, 3.; das Reich Gottes als ein Kind annehmen Marc. 10, 15. – Weiß man einmal, Joh. 14, 23. heiße Gott wohnt bei uns, so viel, als: er unterrichtet, belehrt uns (wie aus V. 22 und 26., vergl. mit V. 16 und 17., desgl. aus Kap. 15, 7. Kol. 3, 16. und Ephes. 3, 17–19. offenbar ist): so weiß man auch, daß μένειν ἐν Θεῷ oder Χριστῶ, Joh. 15, 3. 7. und anderwärts, nichts anders heiße, als: sich an diese Belehrung halten; und danach ist die ganze Allegorie Joh. 15, 1 f. zu verstehen; s. das Programm über diese Stelle in meinen Opusc. Fasc. II. N. 2.
150.
Hiernächst (§.
148. ) müssen wir uns II. sowohl bei diesen uneigentlichen als überhaupt bei allen Begriffen und Sätzen der heiligen Schrift, dieß zur allgemeinen Regel machen, niemals einen Begriff unterzulegen, er sei
an sich so wahr, oder
unserm, gemeinen oder gelehrten, Sprachgebrauch so gemäß, als er wolle; wenn wir nicht beweisen können, dieser Begriff sei wirklich in der Bibel an ein gewisses Wort oder eine Redensart geknüpft, und zwar in der Stelle, wo derjenige Ausdruck vorkommt, worauf wir bauen. Denn es kann etwas wahr, und doch von jemandem nicht ge
|c186|meint; es kann eine Bedeutung in der Bibel üblich seyn, und doch ist sie in einer gewissen Stelle nicht gebraucht; es kann etwas nach unserer Sprachart gewöhnlich seyn, und ists doch in der Sprache der Apostel nicht; es kann ein Begriff sogar allen Sprachen gemein seyn, und doch kann er von einem besondern Schriftsteller eine nähere Einschränkung oder Erweiterung bekommen haben. Wenn wir von der heiligen Schrift
lernen sollen, so müssen wir auch nur
sie hören, und nicht das unterschieben, was sich zu
unserer Art zu reden und zu
unsern Urtheilen am meisten reimt. Wo diese Regel aufhört, da hört auch das
Biblische auf, da fangen
unsere Zusätze an. So ungereimt es ist, so gewöhnlich ists doch, dieß Beides zu verwechseln: dieses
steht in der Bibel, und es
steht in dem Sinn darin, wie wirs nehmen; man begnügt sich nur zu oft mit dem Erstern, und vergißt das Letztere, worauf es doch hier allein ankommt.Hiernächst (§.
148. ) müssen wir uns II. sowohl bei diesen uneigentlichen als überhaupt bei allen Begriffen und Sätzen der heiligen Schrift, dieß zur allgemeinen Regel machen, niemals einen Begriff unterzulegen, er sei
an sich so wahr, oder
unserm, gemeinen oder gelehrten, Sprachgebrauch so gemäß, als er wolle; wenn wir nicht beweisen können, dieser Begriff sei wirklich in der Bibel an ein gewisses Wort oder eine Redensart geknüpft, und zwar in der Stelle, wo derjenige Ausdruck vorkommt, worauf wir bauen. Denn es kann etwas wahr, und doch von jemandem nicht ge
|c186|meint; es kann eine Bedeutung in der Bibel üblich seyn, und doch ist sie in einer gewissen Stelle nicht gebraucht; es kann etwas nach unserer Sprachart gewöhnlich seyn, und ists doch in der Sprache der Apostel nicht; es kann ein Begriff sogar allen Sprachen gemein seyn, und doch kann er von einem besondern Schriftsteller eine nähere Einschränkung oder Erweiterung bekommen haben. Wenn wir von der heiligen Schrift
lernen sollen, so müssen wir auch nur
sie hören, und nicht das unterschieben, was sich zu
unserer Art zu reden und zu
unsern Urtheilen am meisten reimt. Wo diese Regel aufhört, da hört auch das
Biblische auf, da fangen
unsere Zusätze an. So ungereimt es ist, so gewöhnlich ists doch, dieß Beides zu verwechseln: dieses
steht in der Bibel, und es
steht in dem Sinn darin, wie wirs nehmen; man begnügt sich nur zu oft mit dem Erstern, und vergißt das Letztere, worauf es doch hier allein ankommt.
Anm. Zu den Vergehungen gegen diese Regel gehört:
- 1. wenn man den biblischen Wörtern Bedeutungen giebt, die sie überall in der Bibel nicht haben: als, daß χάρις von übernatürlichen Wirkungen Gottes in den Menschen (von gratia inhaesiva), im Gegensatz gegen natürliche Kräfte des Menschen, gebraucht werde, da doch χάρις stets in der Bibel entweder von Gottes freier Güte, Ephes. 2, 5., verglichen mit V. 4., oder von seinen Wohlthaten überhaupt gebraucht wird; desgleichen daß διαθήκη einen eigentlichen Vertrag bedeute, worauf man die ganze Föderaltheologie, die Lehre von Zurechnung des Falls Adams, von Adam, als einem Repräsentanten des menschlichen Geschlechts, u. dergl. gebaut hat; daß 1 Kor. 2, 14. πνευματικοὶ und ψυχικοὶ, Wiedergeborne und Unwiedergeborne sind etc.
- |c187| 2. Wenn man Bedeutungen in eine Stelle trägt, die sie in der Stelle nicht haben, woraus man etwas beweisen will; als in der Stelle Röm. 5, 12 f. den gewöhnlichsten Begriff die Zurechnung, worauf hernach die Lehre von einer mit und in Adam begangenen Sünde, von schon daher rührender Strafwürdigkeit der Menschen etc. gegründet wird; oder in das Wort αἰώνιος Matth. 25, 46. den Begriff von nicht immer, sondern nur lange dauernden Strafen, weil man dieses besser mit Gottes unendlicher Güte, oder vielmehr die gewöhnlichen falschen Begriffe von eigentlicher Ewigkeit der Strafen, nicht mit dieser Güte zu reimen weiß, so sehr auch für die erstere Bedeutung der Gegensatz in der Stelle selbst (ζωὴ αἰώνιος) und die Stelle Marc. 9, 46. spricht.
- 3. Wenn man einen Unterschied zwischen biblischen Ausdrücken erdichtet, den sie, wenigstens in den Stellen, wo man diesen Unterschied anbringt, nicht haben; als zwischen ἐκπορεύεσθαι und ἐξέρχεσθαι bei Joh. 15, 26., die doch Kap. 16, 28. gleichgültige Ausdrücke sind; desgleichen zwischen den Wörtern Matth. 22, 37. Gal. 5, 19 f. u. dergl.
- 4. Wenn man gewöhnliche und, der Sache selbst nach, richtige Abtheilungen in Stellen trägt, wo gar nicht zu beweisen ist, daß die heiligen Schriftsteller diese Verschiedenheit im Sinn gehabt haben; als die Abtheilung in das rituelle und moralische Gesetz bei Röm. 3, 20 f., den Unterschied zwischen Gott- und Menschheit Christi etc. den Unterschied zwischen Wieder- und Unwiedergebornen Röm. 7, 14 f. etc.
- 5. Wenn man an die Wörter Nebenbegriffe hängt, wovon keine Spur im Wort oder dem Texte liegt, als Joh. 6, 44., von unmittelbaren oder übernatürlichen Wirkungen, Röm. 5. von unserm Tode als Strafe und dergleichen.
|c188| 151.
Doch hier ist nicht sowohl die Frage, wie man den Sprachgebrauch der heiligen Schrift überhaupt entdecken könne (davon ist schon oben geredet worden), sondern wie man den bestimmten Sprachgebrauch, vornehmlich in Rücksicht auf Lehrbegriffe, d. i. wie man finde, welche Erweiterung oder Einschränkung die heiligen Schriftsteller ihren Ausdrücken gegeben haben, um weder zu wenig noch zu viel aus ihren Ausdrücken zu nehmen? Nun ist doch offenbar, daß sie dieselben nicht überall nach einerlei Umfang nehmen (z. B. πίστις, μετάνοια, βασιλεία τοῦ Θεοῦ, τοῦ Χριστοῦ, τῶν οὐρανῶν), daß sie bisweilen nur Einen Theil, Eine Eigenschaft einer Sache, Einen Gesichtspunkt erwähnen, woraus man sie ansehen kann, daß sie bisweilen genauer, bisweilen unbestimmter davon reden u. s. f. Daher müssen diese Ausdrücke erst in einzelnen Stellen untersucht, hernach diese einzelnen Stellen verglichen, und mit einander verbunden werden, um den ganzen Umfang desjenigen zu erkennen, was sie von den Lehren durch ihre Ausdrücke anzeigen wollen. In beiden Fällen würde man sowohl auf die einzelnen Wörter und Redensarten, als auf die Sätze sehen müssen, worin sie einen Begriff mit einem andern verbinden.Doch hier ist nicht sowohl die Frage, wie man den Sprachgebrauch der heiligen Schrift überhaupt entdecken könne (davon ist schon oben geredet worden), sondern wie man den bestimmten Sprachgebrauch, vornehmlich in Rücksicht auf Lehrbegriffe, d. i. wie man finde, welche Erweiterung oder Einschränkung die heiligen Schriftsteller ihren Ausdrücken gegeben haben, um weder zu wenig noch zu viel aus ihren Ausdrücken zu nehmen? Nun ist doch offenbar, daß sie dieselben nicht überall nach einerlei Umfang nehmen (z. B. πίστις, μετάνοια, βασιλεία τοῦ Θεοῦ, τοῦ Χριστοῦ, τῶν οὐρανῶν), daß sie bisweilen nur Einen Theil, Eine Eigenschaft einer Sache, Einen Gesichtspunkt erwähnen, woraus man sie ansehen kann, daß sie bisweilen genauer, bisweilen unbestimmter davon reden u. s. f. Daher müssen diese Ausdrücke erst in einzelnen Stellen untersucht, hernach diese einzelnen Stellen verglichen, und mit einander verbunden werden, um den ganzen Umfang desjenigen zu erkennen, was sie von den Lehren durch ihre Ausdrücke anzeigen wollen. In beiden Fällen würde man sowohl auf die einzelnen Wörter und Redensarten, als auf die Sätze sehen müssen, worin sie einen Begriff mit einem andern verbinden.
152.
Worauf hätte man also III. (§.
150. ) zu sehen, um zu finden, in welchem Umfang die mit biblischen Ausdrücken verbundenen Begriffe in
einzelnen Stellen genommen werden? Hier müssen wir 1) untersuchen, welche Bestimmung oder Umfang haben die von den heiligen Schriftstellern gebrauchten Ausdrücke schon in der Sprache,
|c189| der sie sich bedienten, besonders in der ebräisch-griechischen?
1) 2) Bekommen sie in einzelnen Stellen von Christo oder den heiligen Schriftstellern eine nähere Bestimmung, oder nicht? und, wenn jenes ist, welche? Denn oft gebrauchen sie, wie es in dem populären Vortrag gewöhnlich ist, die Ausdrücke nicht nach der strengen Bedeutung;
2) sie legen ihnen gereinigtere Begriffe unter;
3) sie verengen oder erweitern die mit den Ausdrücken verbundenen Begriffe;
4) sie geben nicht nur die Sachen an, sie erklären sie auch näher.
5) Wie dieses alles in einer Stelle sei, das müssen die schon oft genannten Hülfsmittel, die ausdrückliche Erklärung, der Zusammenhang, der Zweck der Rede und die eigentlichen Parallelstellen lehren.Worauf hätte man also III. (§.
150. ) zu sehen, um zu finden, in welchem Umfang die mit biblischen Ausdrücken verbundenen Begriffe in
einzelnen Stellen genommen werden? Hier müssen wir 1) untersuchen, welche Bestimmung oder Umfang haben die von den heiligen Schriftstellern gebrauchten Ausdrücke schon in der Sprache,
|c189| der sie sich bedienten, besonders in der ebräisch-griechischen?
1) 2) Bekommen sie in einzelnen Stellen von Christo oder den heiligen Schriftstellern eine nähere Bestimmung, oder nicht? und, wenn jenes ist, welche? Denn oft gebrauchen sie, wie es in dem populären Vortrag gewöhnlich ist, die Ausdrücke nicht nach der strengen Bedeutung;
2) sie legen ihnen gereinigtere Begriffe unter;
3) sie verengen oder erweitern die mit den Ausdrücken verbundenen Begriffe;
4) sie geben nicht nur die Sachen an, sie erklären sie auch näher.
5) Wie dieses alles in einer Stelle sei, das müssen die schon oft genannten Hülfsmittel, die ausdrückliche Erklärung, der Zusammenhang, der Zweck der Rede und die eigentlichen Parallelstellen lehren.
Anm. 1) So brauchen die griechischen Uebersetzer, Symmachus z. B., Hiob 36, 10. und Jes. 30, 15.
μετανοεῖν und
μετάνοια statt des hebräischen
שׁוב אל יהוה oder
שׁובה, und dieses Letztere, welches sie
ἐπιστρέφειν πρὸς τὸν Θεὸν übersetzen, wird 5 Mos. 30, 10. offenbar erklärt durch: der Stimme des Herrn gehorchen, und seine Gebote befolgen; daher heißt
μετάνοια nach dem hebräischen Sprachgebrauch gewiß die gänzliche Besserung des Menschen; und
Buße (
μετάνοια) und
Bekehrung (
ἐπιστροφὴ) ist gewiß einerlei.
Φόβος κ. τρόμος Phil. 2, 12. ist nicht
Furcht und Zittern, sondern
Achtung, Scheu, Bescheidenheit, wie 1 Petr. 3, 15. 2 Petr. 2, 10. 1 Kor. 2, 2., verglichen 2 Kor. 10, 10., fordert also keine Aengstlichkeit bei der Besserung, die ohnehin, nach Röm. 8, 15., dem Geiste des Christenthums zuwider ist.
2) Wie in den Redensarten, die Gott zum Urheber des Bösen zu machen scheinen (§.
138. Anm. 2.); in
πεπραμένος ὑπὸ τὴν ἁμαρτίαν Röm. 7, 14., verglichen mit Kap. 8, 12.; in
ἀδύνατον, was sehr schwer, nicht, was unmög
|c190|lich ist, Ebr. 6, 4., verglichen mit
κατάρας ἐγγύς, V. 8. und Matth. 19, 26., verglichen mit V. 23.
3) Z. B. der βασιλείᾳ τοῦ Χριστοῦ Joh. 18, 36. und Marc. 1, 15., wenn sie es auch nicht immer ausdrücklich sagen, wie Christus, Apostelgesch. 1, 7 f., in seiner Antwort; den jüdischen Redensarten vom Satan oder Teufel, womit sie offenbar in vielen Stellen alle Hindernisse des Guten bezeichnen, es mögen Irrthümer oder Laster, oder Unglück oder feindselige Menschen seyn, wie Joh. 14, 30. verglichen mit 16, 33. Luc. 10, 18. 19. Röm. 16, 20. verglichen mit V. 17.
4) D. i. sie geben ihnen entweder einen Nachdruck oder Nebenbegriff, den die Ausdrücke an sich nicht haben, wie dem Auferwecken, nämlich zur Seligkeit Joh. 6, 39. verglichen mit V. 37., der γνῶσει τοῦ Θεοῦ, 1 Joh. 2, 3., verglichen mit Kap. 4, 6., dem μεριμνᾶν Matth. 6, 25.; oder nehmen die mit den Worten gewöhnlich verbundenen Begriffe bald weiter, bald enger, z. B. πίστις, νόμος u. dergl.
5) So erklärt Jesus Luc. 15, 11 f. was zur μετανοίᾳ V. 10. gehöre, Joh. 3, 14., was er V. 15. und 16. für einen Glauben an sich verstehe, und Joh. 6, 44–46., daß er von keiner gewaltsamen Besserung rede, sondern von einer, die durch Unterricht, und zwar durch mittelbaren Unterricht, geschieht.
153.
Eben darauf muß man 3) bei ganzen Sätzen Acht geben, und ihre Ausdehnung darnach bestimmen. Von welchen Personen reden sie in einer Stelle?
1) wie weit legen sie ihnen etwas bei, oder fordern es von ihnen?
2) 4) Haben sie aber einen Sinn oder die Beschaffenheit und Ausdehnung eines Begriffs oder Satzes nicht näher angegeben, so muß es nach dem verstanden werden, was sie bei ihren Zuhörern oder Lesern, nach ihren Umständen, aus der ihnen
|c191| bekannten Natur der Sache, oder dem sonst bekannten Sprachgebrauch, oder Gewohnheiten, oder anderweitigen Unterricht derselben, voraussetzen konnten.
3) Indessen müßte man sich dabei bescheiden, daß, wenn dieses, was Jesus und seine Apostel bei denen, mit welchen sie sprachen, voraussetzen konnten, uns nicht ganz gewiß bekannt ist, daß alsdann, was wir dabei denken müssen, nur wahrscheinlich sei, und weder den Grad von Gewißheit noch Verbindlichkeit haben könne, als das, was sie selbst deutlich irgendwo erklärt haben.Eben darauf muß man 3) bei ganzen Sätzen Acht geben, und ihre Ausdehnung darnach bestimmen. Von welchen Personen reden sie in einer Stelle?
1) wie weit legen sie ihnen etwas bei, oder fordern es von ihnen?
2) 4) Haben sie aber einen Sinn oder die Beschaffenheit und Ausdehnung eines Begriffs oder Satzes nicht näher angegeben, so muß es nach dem verstanden werden, was sie bei ihren Zuhörern oder Lesern, nach ihren Umständen, aus der ihnen
|c191| bekannten Natur der Sache, oder dem sonst bekannten Sprachgebrauch, oder Gewohnheiten, oder anderweitigen Unterricht derselben, voraussetzen konnten.
3) Indessen müßte man sich dabei bescheiden, daß, wenn dieses, was Jesus und seine Apostel bei denen, mit welchen sie sprachen, voraussetzen konnten, uns nicht ganz gewiß bekannt ist, daß alsdann, was wir dabei denken müssen, nur wahrscheinlich sei, und weder den Grad von Gewißheit noch Verbindlichkeit haben könne, als das, was sie selbst deutlich irgendwo erklärt haben.
Anm. 1) So wird Matth. 18, 6. ganz falsch auf den Glauben der kleinen Kinder, Röm. 9. auf die Seligkeit der Menschen (s. die 1ste und 6ste Abhandlung in den Opusculis Tom. I.), Phil. 2, 12. auf die Sorge für unsere Seligkeit gezogen. So reden viele Stellen offenbar nur von den Aposteln, als Joh. 14–16. Joh. 20, 22. 23. und 2 Kor. 3, 5., die man fälschlich auch auf Andere gezogen hat, wenigstens nicht, ohne weitere Untersuchung, gleich hätte auf Andere ziehen sollen.
2) So erlaubt doch die Veranlassung der Rede Christi, Matth. 18, 3., nur an die Pflicht der Demuth zu denken; und daß Matth. 5, 3 f. von leiblicher Armuth und Traurigkeit zu verstehen sei, und die Prädicate nur von denen , die um des Christenthums willen in Dürftigkeit und traurige Umstände gerathen, zeigt die Stelle Luc. 6, 20–26. und Matth. 19, 23 und 29., so wie nach dem Matth. 19, 22. erwähnten Umstand, Christi Worte daselbst V. 21. keine allgemeine Pflicht enthalten.
3) Wie fern Paulus die heilige Schrift (A. T.) 2 Tim. 4, 16. θεόπνευστον nenne, erklärt er weiter nicht; ists also bloß einerlei mit ἱερὰ γράμματα V. 15? oder, wenn es mehr ist, geht es auf alle Bücher? (denn πᾶσα γραφὴ, nicht π. ἡ γραφὴ, heißt doch nur eine jede Schrift, die θεοπν. ist), und wenn auch dieß, wie weit dehnt P. da|c192|bei die Eingebung aus? – Schließt Matth. 28, 19. auch Kindertaufe mit in sich? V. 20. entscheidet nichts dagegen, denn sie konnten hinterdrein unterrichtet werden über Christi Gebote, wie mehrere damalige Erwachsene, Apostelgesch. 2, 37. 38., verglichen V. 42. Schwerlich aber konnten die Apostel diese Worte anders als auf die Kindertaufe auch mit ziehen, weil sie hörten, durch die Taufe sollte jemand ein Schüler Christi werden, und wußten, daß die Beschneidung, wodurch jemand unter das Volk Gottes aufgenommen wurde, auch bei Kindern befohlen war.
154.
Weil es nun aber IV. zur Entdeckung des wahren christlichen Lehrbegriffs nöthig ist, mehrere oder eigentlich alle Stellen zu Rathe zu ziehen, die darüber einiges Licht geben können (§.
152. ): so müßte man 1) alle Stellen sammeln, wo entweder eben dieselben oder gleichbedeutende Ausdrücke gebraucht werden; wo von eben den Sachen, wenn gleich mit andern Umständen, geredet, oder das Verhalten Jesu und seiner Apostel erzählt wird, welches man als einen praktischen Commentar über ihre Lehren ansehen kann.
1) 2) Fände sich überall derselbe bestimmte Begriff mit einem Ausdruck verknüpft, so müßte man auch diesen durchaus daran binden.
2) Wären aber 3) diese Begriffe in verschiedenen Stellen verschieden angegeben, so müßte diese Verschiedenheit bemerkt, und der Gesichtspunkt aufgenommen werden, unter welchen der Begriff bald diese, bald eine andere Bestimmung bekommt;
3) doch müßte man 4) das aufsuchen, was diese verschiedenen Begriffe mit einander gemein haben, und dadurch einen allgemeinen Begriff bilden, unter den sie sich alle bringen ließen;
4) und 5) nach diesen gefundenen bestimmten Begriffen das, was von ihnen gesagt wird, erklären und bestimmen;
5) 6) nirgends
|c193| aber, weder die von Jesu und seinen Aposteln erst stufenweise gegebene Aufklärung und genauere Bestimmung, noch den Unterschied dererjenigen aus den Augen lassen, mit welchen und nach deren Bedürfnissen sie reden.
6) Weil es nun aber IV. zur Entdeckung des wahren christlichen Lehrbegriffs nöthig ist, mehrere oder eigentlich alle Stellen zu Rathe zu ziehen, die darüber einiges Licht geben können (§.
152. ): so müßte man 1) alle Stellen sammeln, wo entweder eben dieselben oder gleichbedeutende Ausdrücke gebraucht werden; wo von eben den Sachen, wenn gleich mit andern Umständen, geredet, oder das Verhalten Jesu und seiner Apostel erzählt wird, welches man als einen praktischen Commentar über ihre Lehren ansehen kann.
1) 2) Fände sich überall derselbe bestimmte Begriff mit einem Ausdruck verknüpft, so müßte man auch diesen durchaus daran binden.
2) Wären aber 3) diese Begriffe in verschiedenen Stellen verschieden angegeben, so müßte diese Verschiedenheit bemerkt, und der Gesichtspunkt aufgenommen werden, unter welchen der Begriff bald diese, bald eine andere Bestimmung bekommt;
3) doch müßte man 4) das aufsuchen, was diese verschiedenen Begriffe mit einander gemein haben, und dadurch einen allgemeinen Begriff bilden, unter den sie sich alle bringen ließen;
4) und 5) nach diesen gefundenen bestimmten Begriffen das, was von ihnen gesagt wird, erklären und bestimmen;
5) 6) nirgends
|c193| aber, weder die von Jesu und seinen Aposteln erst stufenweise gegebene Aufklärung und genauere Bestimmung, noch den Unterschied dererjenigen aus den Augen lassen, mit welchen und nach deren Bedürfnissen sie reden.
6)
Anm. 1) Z. B. Christi und Pauli Beispiele Joh. 18, 23. Apostelgesch. 16, 37. Phil. 3, 4 f. um zu zeigen, wie weit Erduldung des Unrechts gehen, und man auf Ehre halten dürfe; wodurch selbst der Mißverstand allgemeiner Lehrsätze, als Matth. 5, 39 f. gehoben wird. Doch dieser (gehörig eingeschränkte) Gebrauch der Beispiele fällt von selbst in die Augen; weniger der Nutzen für Bestimmung dogmatischer Sätze. Indessen läßt sich, was z. B. zur wahren Besserung der Menschen gehört, eben so, und fast noch besser, aus dem Verhalten Jesu und seiner Apostel in Bearbeitung derselben, abnehmen, als aus eigentlichen Lehrstellen (s. allgemeine deutsche Bibliothek, Band 12. St. 2. S. 142 f.); und wer gegründete Begriffe von der Eingebung der heiligen Schrift sucht, kann sie allein aus Wahrnehmung des Verfahrens der heiligen Schriftsteller in ihren Schriften sicher erkennen, und sich z. B. dadurch überzeugen, wie ungegründet die Hypothesen sind, daß Gott ihnen Alles dictirt habe, und sie sich dabei bloß leidentlich verhalten, daß sie stets die allerbeste Ordnung und Ausdrücke gewählt haben u. dergl. Eben so bei der Lehre von der Deutlichkeit der heiligen Schrift.
2) So redet die Bibel stets von der Versöhnung, als durch Christi Tod, niemals als durch Christi Lehre, geschehen. So versteht sie unter den ἀπίστοις, denen sie die Seligkeit abspricht, niemals die, so keine Gelegenheit zur Erkenntniß der christlichen Lehre gehabt, noch sich von deren Wahrheit überzeugen können, sondern welche jene Gelegenheit und die Mittel zur Ueberzeugung nicht gebrauchen wollen, z. B. Marc. 16, 16. vergl. mit V. 11. Joh. 3, 18. vergl. V. 19. 20. 27. Apostelgesch. 19, 9. etc.
3) So der sehr verschiedene Begriff von Christo, als einem König und von seinem Reich. S. meine Abhandlung de |c194| Christo homine regnante im 2ten Bande der Opuscul. ad interpret. SS. Script. N. 14.
4) Ganz anders z. B. wird der Gegenstand des in der heiligen Schrift empfohlenen Glaubens Ebr. 11, 1., anders Marc. 1, 15. und Kap. 16. vergl. mit Matth. 28, 20., anders Matth. 21, 21., anders Matth. 8, 5 f., anders Joh. 3, 16. vergl. mit V. 14., und Röm. 3, 25. angegeben. Eben so ist Ebr. 11 in einigen Beispielen, z. B. Abrahams, gewiß der Glaube, Vertrauen, in andern nur Beifall, oder Fürwahrhalten; so wie Röm. 14, 2. 22. 23. Ueberzeugung von dem, was recht, was zu thun oder zu lassen ist. Alle diese Bedeutungen geben den allgemeinsten Begriff: Glauben sei, etwas für wahr oder recht halten, der dann in einzelnen Stellen eine nähere Bestimmung bekommt, entweder in Absicht des Gegenstandes, als Gottes, Christi, des Todes Christi für uns, solcher Dinge, die ihrer Natur nach nicht gewiß sind u. dergl., oder in Absicht der Art, die immer nach den Umständen jeder Stelle zu nehmen ist, ohne den einen, zumal häufigern Begriff, überall hinzutragen. So ist z. B. Matth. 15, 25–28. und Joh. 9, 35–38. vergl. mit V. 16. gewiß die Art des Glaubens sehr von der gewöhnlichen, in der heiligen Schrift empfohlenen, verschieden, und kann viel Licht auf die Lehre vom Glauben werfen, die gemeiniglich zu sehr verengt wird.
5) Z. B. was die sogenannte Unterwerfung Christi unter Gott 1 Kor. 15, 28. sagen wolle, oder die dunkele, oft durch Mystik verunstaltete Stelle 2 Kor. 3, 18. S. die schon erwähnte Abhandlung de Christo regnante, und eine andere über 2 Kor. 4, 6. in dem 2ten Bande der Opusculorum ad interpr. SS. Script. N. 7.
6) Denn vieles ist doch theils erst durch später aufgetretene Propheten, durch Jesum, und, da selbst Jesus noch Vieles unbestimmt ließ, Joh. 16, 12., durch seine Apostel aufgeklärt und bestimmt worden; theils erforderten die Umstände der Zuhörer und Leser, sonderlich der Juden, manche Bestimmung, die nur für sie nöthig, oder wider|c195|riethen manche nähere Bestimmung, die ihnen nicht zuträglich war. Wer also die heilige Schrift, zur Aushebung des christlichen Lehrbegriffs daraus, mit weiser Vorsichtigkeit studieren will, wird sich auf der einen Seite hüten, keine solche Bestimmung in Schriftstellen sogleich für allgemeine christliche Lehre anzunehmen, wenn sie sich nirgends als in gewissen Arten von heiligen Büchern, oder in besondern Reden an eine gewisse Art von Lesern und Zuhörern findet, und auf der andern Seite, sie von dieser Lehre für alle Christen bloß darum auszuschließen, weil sie nur in einigen Stellen oder Büchern vorkommt.
155.
Wenn man nun von dem ganzen Lehrvortrage der heiligen Schrift, nach dem bisher Gesagten, 1) alles das absondert, was entweder bloßes Bild,
1) oder aus Herablassung zu den besondern Lesern oder Zuhörern, und nach den ihnen geläufigen Vorstellungen und Ausdrücken, gesagt ist
2) – denn dieses Beides gehört doch offenbar nur zur Einkleidung der Lehre; – wenn man 2) das bei Seite, oder zur gelehrtern Untersuchung aussetzt, was die heilige Schrift selbst nicht näher angegeben und bestimmt hat;
3) und wenn man 3) gefunden hat, daß viele Ausdrücke in der That nur einerlei Begriff und Sache, und welche sie bezeichnen:
4) so gelangen wir
theils zu gewissen
Hauptbegriffen,
5) theils zu gewissen
Hauptsätzen, die aus solchen Begriffen bestehen,
6) welche das ganze in der heiligen Schrift angegebene Verhältniß zwischen Gott und uns, d. i. unser moralisches Verderben, dann die Anstalten Gottes zu unserm Besten, unsere daraus entstehenden Pflichten und Erwartungen, im Ganzen vorlegen.
7) Diese Begriffe und Sätze sind das eigentliche Christenthum, als Lehre genommen; und wer diese für wahr annimmt, der ist (seiner
|c196| Erkenntniß oder der Lehre nach) ein Christ, so sehr seine Vorstellungen von dem Uebrigen auch von den Meinungen Anderer abgehen mögen;
8) und diese Hauptbegriffe und Sätze sind es auch, nach welchen alles Andere beurtheilt, und auf eine ihnen angemessene Art erklärt werden muß.
9) Wenn man nun von dem ganzen Lehrvortrage der heiligen Schrift, nach dem bisher Gesagten, 1) alles das absondert, was entweder bloßes Bild,
1) oder aus Herablassung zu den besondern Lesern oder Zuhörern, und nach den ihnen geläufigen Vorstellungen und Ausdrücken, gesagt ist
2) – denn dieses Beides gehört doch offenbar nur zur Einkleidung der Lehre; – wenn man 2) das bei Seite, oder zur gelehrtern Untersuchung aussetzt, was die heilige Schrift selbst nicht näher angegeben und bestimmt hat;
3) und wenn man 3) gefunden hat, daß viele Ausdrücke in der That nur einerlei Begriff und Sache, und welche sie bezeichnen:
4) so gelangen wir
theils zu gewissen
Hauptbegriffen,
5) theils zu gewissen
Hauptsätzen, die aus solchen Begriffen bestehen,
6) welche das ganze in der heiligen Schrift angegebene Verhältniß zwischen Gott und uns, d. i. unser moralisches Verderben, dann die Anstalten Gottes zu unserm Besten, unsere daraus entstehenden Pflichten und Erwartungen, im Ganzen vorlegen.
7) Diese Begriffe und Sätze sind das eigentliche Christenthum, als Lehre genommen; und wer diese für wahr annimmt, der ist (seiner
|c196| Erkenntniß oder der Lehre nach) ein Christ, so sehr seine Vorstellungen von dem Uebrigen auch von den Meinungen Anderer abgehen mögen;
8) und diese Hauptbegriffe und Sätze sind es auch, nach welchen alles Andere beurtheilt, und auf eine ihnen angemessene Art erklärt werden muß.
9)
Anm. 1) S. Sam. Friedr. Nath. Morus treffliche Disp. de notionibus universis in Theologia, und, von dem großen Nutzen dieser Begriffe, dessen Programm de utilitate notionum universarum in Theologia, beide Lips. 1772. 4. Sie sind wieder aufgelegt in s. Dissertatt. theolog. et philologicis, Lips. 1787. 8.
2) Z. B. Feuer und die danach gebildeten Redensarten, brennen, nicht verlöschen u. dergl. von künftigen Strafen; Menschen sind Feinde Gottes, liegen unter seinem Zorn, sind mit ihm ausgesöhnt, von dem hergestellten guten Vernehmen mit Gott und von unserer Seligkeit; als ein Kind ins Reich Gottes gehen, ein neuer Mensch, wieder- oder von oben her geboren werden, von Besserung des Menschen u. s. f. So auch die Ausdrücke: Gott giebt die Menschen hin in einen verkehrten Sinn; giebt ihnen Augen, daß sie nicht sehen; bestimmt sie zum ewigen Leben u. dergl., von bloßer Zulassung oder Anstalten, die zu einem gewissen Verhalten der Menschen Gelegenheit geben.
3) Wie augenscheinlich Matth. 12, 43–45. verglichen mit Tob. 8, 3. und Jes. 13, 21. 22.; Matth. 8, 11. 11, 14. 18, 10.; Joh. 7, 37. 38. 14, 30. 2 Petr. 2, 4., im Brief an die Hebräer, Gal. 4. und in unzählichen andern Stellen.
4) Z. B. den Begriff von θεόπνευστος, die Beschaffenheit und Umstände der künftigen Auferstehung, das Allgemeine ausgenommen, daß wir einen wirklich bessern, als den irdischen Körper haben werden u. dergl.
5) Z. B. Θεός ἐμφανίζει ἑαυτὸν ἡμῖν, ἔρχεται πρὸς ἡμᾶς, μονὴν ποιεῖ παρ' ἡμῖν, μένει, περιπατεῖ, ἐν ἡμῖν; und |c197| von den Menschen: μένειν ἐν Θεῷ, ῥήματα αὐτοῦ ἐν ἡμ. μένουσι, θεοδίδακτοι, κοινωνίαν ἔχειν μετ' αὐτοῦ, ἄγεσθαι πνεύματι Θεοῦ; ὁ κόσμος, οἱ ἄπιστοι, τὸ σκότος, ἔχθροι; ἀντικειμενοι, ἐκ τοῦ πονηροῦ ὄντες, οὗτος ὁ αἰών; μετανοεῖν, ἐπιστρέφεσθαι, ἀνανεοῦσθαι und viele andere.
6) Als σωτὴρ und μεσίτης; ἁμαρτία und ἐπιθυμία; χάρις, σωτηρία, δικαιοσύνη, ἐπίγνωσις τοῦ Θεοῦ, πίστις, μετάνοια; ζωὴ und θάνατος, u. a.
7) Als Joh. 3, 16. Ephes. 2, 5. Röm. 3, 23. 24. Koloss. 1, 12. 13. 1 Joh. 1, 5–7. etc.
8) Daher auch die heiligen Schriftsteller in den Stellen, wo sie den Inhalt des Christenthums zusammen nehmen, mehr nicht angeben, z. B. 1 Thess. 1, 9. 10. Tit. 2, 11. 12. Kap. 3, 4. 7., und noch kürzer 1 Kor. 3, 11. und 1 Joh. 5, 1. verglichen mit Matth. 28, 20.
9) Dieß sind die wahren notiones directrices des ganzen Christenthums; und in der Uebereinstimmung damit besteht die wahre Analogia fidei oder doctrinae.
156.
Nun erst, wenn der Grund der christlichen Lehre aus der heiligen Schrift gelegt ist, kann man hernach (§.
145. ) darauf bauen, oder über diese christlichen Lehren philosophiren.
*) Und wer sich an dieses Wort oder an die Sache selbst stößt, weil er besorgt, dadurch werde das Christenthum nach Philosophie geformt und umgeändert, und der ganze Wust menschlicher Einfälle in das Christenthum gebracht: der hat zwar Beispiele genug für sich, die seine Besorgniß bestätigen, wie es bei keiner einzigen Sache in der Welt an Mißbräuchen fehlt; aber er ist entweder zu kurzsichtig, oder nicht gerecht genug. Denn nothwendig ist dieser verkehrte Gebrauch der Philosophie nicht. – Philosophie kann entweder in so fern gebraucht werden, als sie die Regeln alles
|c198| vernünftigen Denkens, oder sofern sie unwidersprechliche Vernunftsätze enthält. Jene muß man überall, muß man ja selbst bei Erklärung und Anwendung der heiligen Schrift, und bei dem Beweis ihres göttlichen Ansehens, befolgen; diese, wenn sie wirklich unwidersprechlich sind, sind die Grundlage aller richtigen Erkenntniß, und, wenn gleich nicht überall
zureichend zur Entdeckung der Wahrheit, doch in so fern der Prüfstein aller Wahrheit, als nichts wahr seyn kann, was sich nicht mit ihnen
verträgt. Wer beide nicht will für das gelten lassen, was uns bei aller Untersuchung leiten muß, und sich auf die Schwäche und Trüglichkeit der menschlichen Erkenntniß beruft, der überlegt nicht, daß man sich ja auch trügen könne, wenn man etwas für göttliche Offenbarung hält, daß man sich auch in ihrer Erklärung irren könne, daß man also entweder eine allgemeine Ungewißheit aller menschlichen Erkenntniß annehmen, oder zugeben müsse, es müssen Grundgesetze überall vorausgehen, die da zeigen,
wie und
wonach man Wahrheit, auch bei Prüfung einer angeblich göttlichen Offenbarung ihres Sinnes, zu finden sicher sei.Nun erst, wenn der Grund der christlichen Lehre aus der heiligen Schrift gelegt ist, kann man hernach (§.
145. ) darauf bauen, oder über diese christlichen Lehren philosophiren.
*) Und wer sich an dieses Wort oder an die Sache selbst stößt, weil er besorgt, dadurch werde das Christenthum nach Philosophie geformt und umgeändert, und der ganze Wust menschlicher Einfälle in das Christenthum gebracht: der hat zwar Beispiele genug für sich, die seine Besorgniß bestätigen, wie es bei keiner einzigen Sache in der Welt an Mißbräuchen fehlt; aber er ist entweder zu kurzsichtig, oder nicht gerecht genug. Denn nothwendig ist dieser verkehrte Gebrauch der Philosophie nicht. – Philosophie kann entweder in so fern gebraucht werden, als sie die Regeln alles
|c198| vernünftigen Denkens, oder sofern sie unwidersprechliche Vernunftsätze enthält. Jene muß man überall, muß man ja selbst bei Erklärung und Anwendung der heiligen Schrift, und bei dem Beweis ihres göttlichen Ansehens, befolgen; diese, wenn sie wirklich unwidersprechlich sind, sind die Grundlage aller richtigen Erkenntniß, und, wenn gleich nicht überall
zureichend zur Entdeckung der Wahrheit, doch in so fern der Prüfstein aller Wahrheit, als nichts wahr seyn kann, was sich nicht mit ihnen
verträgt. Wer beide nicht will für das gelten lassen, was uns bei aller Untersuchung leiten muß, und sich auf die Schwäche und Trüglichkeit der menschlichen Erkenntniß beruft, der überlegt nicht, daß man sich ja auch trügen könne, wenn man etwas für göttliche Offenbarung hält, daß man sich auch in ihrer Erklärung irren könne, daß man also entweder eine allgemeine Ungewißheit aller menschlichen Erkenntniß annehmen, oder zugeben müsse, es müssen Grundgesetze überall vorausgehen, die da zeigen,
wie und
wonach man Wahrheit, auch bei Prüfung einer angeblich göttlichen Offenbarung ihres Sinnes, zu finden sicher sei.
Anm. *) Töllner's theologische Untersuchungen, Band 1. St. 2. S. 264 f.
157.
Haben wir nun eine Menge
theils von Begriffen und Sätzen, die wirklich, nach richtigen Regeln der Auslegung, aus der heiligen Schrift selbst geschöpft ,
theils von vernünftigen Regeln und Sätzen, die unwidersprechlich sind: so können jene mit diesen letztern, oder unter einander, zu streiten scheinen; und daher ist das
erste bei Bildung eines theologischen Systems, die Vereinigung derselben unter einander, daß sie mit einander bestehen können. Wirk
|c199|lich unwidersprechliche Sätze der Vernunft und wirklich geoffenbarte Sätze können einander nicht wirklich widersprechen; wenn sich also ein Widerspruch zeigt, so muß
entweder ein Satz der Vernunft, den man für unwidersprechlich hält, nicht unwidersprechlich wahr,
1) oder der biblische Satz muß unrecht verstanden,
2) oder unrecht bestimmt seyn, d. i. man muß etwas hineingeschoben haben, was nicht darin liegt, oder etwas in demselben übersehen haben, was darin lag.
3) Nur durch Entdeckung eines oder mehrerer dieser Fehler kann man den Widerspruch heben, und bewirken, daß die Sätze mit einander bestehen.Haben wir nun eine Menge
theils von Begriffen und Sätzen, die wirklich, nach richtigen Regeln der Auslegung, aus der heiligen Schrift selbst geschöpft ,
theils von vernünftigen Regeln und Sätzen, die unwidersprechlich sind: so können jene mit diesen letztern, oder unter einander, zu streiten scheinen; und daher ist das
erste bei Bildung eines theologischen Systems, die Vereinigung derselben unter einander, daß sie mit einander bestehen können. Wirk
|c199|lich unwidersprechliche Sätze der Vernunft und wirklich geoffenbarte Sätze können einander nicht wirklich widersprechen; wenn sich also ein Widerspruch zeigt, so muß
entweder ein Satz der Vernunft, den man für unwidersprechlich hält, nicht unwidersprechlich wahr,
1) oder der biblische Satz muß unrecht verstanden,
2) oder unrecht bestimmt seyn, d. i. man muß etwas hineingeschoben haben, was nicht darin liegt, oder etwas in demselben übersehen haben, was darin lag.
3) Nur durch Entdeckung eines oder mehrerer dieser Fehler kann man den Widerspruch heben, und bewirken, daß die Sätze mit einander bestehen.
Anm. 1) Wenn z. B. die heilige Schrift die Anstalt Gottes, die er mit Christo und durch ihn zum Besten der Menschen gemacht hat, überall von Gottes Liebe zu uns herleitet, Joh. 3, 16., und sogar ihm diese Liebe vor der Versöhnung der Menschen durch Christum beilegt, Röm. 5, 8.; was aber aus Liebe und Gnade geschieht, nicht seiner Natur nach geschehen muß, Röm. 4, 4.: so kann es kein unwidersprechlicher Satz der Vernunft seyn, daß Gott habe die Menschen, oder einen von ihnen an ihrer Stelle, strafen müssen, so wie alle angebliche Demonstrationen dieses Satzes auf willkürlichen und undenkbaren Voraussetzungen beruhen, und mit allem ihren Gott und das Christenthum entehrenden Gefolge, von einem erzürnten und erst durch Christum befriedigten Gott u. dergl. wegfallen. Gegen wie viele Hypothesen und vermeintliche Demonstrationen a priori hätte bloß das fleißige Studium der heiligen Schrift sichern können! Wenn man z. B. zusammengenommen hätte, daß die heiligen Schriftsteller so klar in ihren Schriften, z. B. Philem. 9. 1 Kor. 2, 1 f., von sich selbst und von Gott, als einem Dritten, reden; Gebete an Gott richten; erzählen, woher sie ihre Nachrichten genommen haben, Luc. 1, 2. Joh. 19, 35.; einander scheinbar widersprechen, zusammengehörige Begebenheiten |c200| verschiedentlich stellen, z. B. Matth. 4. und Luc. 4.; einerlei Reden Christi mit ganz verschiedenen Worten ausdrucken: wie hätte man darauf fallen können, die heiligen Schriftsteller hätten sich bei Abfassung ihrer Schriften ganz leidentlich verhalten, nicht sie, sondern Gott hätte durch sie Alles geschrieben u. dergl.?
2) So scheint der Satz Röm. 3, 24. nicht nur gegen Jak. 2, 14 f., sondern auch gegen das stete Dringen der heiligen Schrift auf Heiligkeit und Tugend, Röm. 2, 7. Ephes. 2, 10., zu streiten. Letztere Stellen leiden keinen verschiedenen Sinn, also liegt Mißverstand im ersten Satz, und ἔργα oder ἔργα νόμου sind entweder nur äußerliche Beobachtungen des mosaischen Gesetzes durch Gebräuche, Opfer etc. oder, mir wahrscheinlicher, was wir nach Gottes Gesetz thun sollten, aber nicht thun, verglichen Kap. 2, 13. Röm. 8, 3. Kap. 7, 14 f.; denn dieß heißts doch Kap. 2, 15., wie ἔργον τ. Θεοῦ Joh. 6, 29.; und im ganzen Zusammenhang wird νόμος niemals vom Gesetz der Gebräuche (Ephes. 2, 15.), sondern stets von der nähern göttlichen Offenbarung gebraucht, z. B. Vers 19 und 31.
3) Wenn man es z. B. unverträglich mit Gottes allgemeiner und unparteiischer Liebe findet, Alle, die keine Gelegenheit, das Christenthum kennen zu lernen, gehabt haben, oder Alle, die nicht getauft sind, zu verdammen, wegen Apostelgesch. 4, 12. 1 Joh. 5, 12. Joh. 3, 5 u. dergl., oder es wenigstens für bescheidner hält, nichts darüber zu entscheiden (also es auch dahin gestellt seyn läßt, ob Gottes Liebe allgemein und unparteiisch sei?) so kann ja schon 1) der gemeine Menschenverstand lehren, daß alle allgemein klingende Sätze den Fall voraussetzen, daß man etwas
könne oder
wisse, wie 2 Thess. 3, 10. 2 Joh. 1 etc. 2) daß die heilige Schrift nur die
ἀπίστους verdamme, und nur die so nenne, die etwas wissen und wovon überzeugt werden
konnten (§.
154. Anm. 2.); und 3) daß sie sogar wahren Glauben denen beilege, die keine Versicherung, vielmehr das Gegentheil, vor sich hatten, wie Matth. 15, 28., ver
|c201|glichen V. 24.; keine nähere Kenntniß von ihm besaßen, Joh. 9, 16., verglichen mit V. 35–38.; und weder getauft waren, noch sich äußerlich zu den Christen hielten, Marc. 9, 38–42. Und so würde man jene zuerst angeführten Stellen nicht auf bloß des Christenthums Unkundige ausdehnen: man würde einen allgemeinern und
unentwickelten Glauben von einen
ausdrücklichen oder bestimmten unterscheiden, nicht von eben demselben Glauben im alten, wie im neuen Testament, und dessen Nothwenigkeit, reden u. s. f. – Hingegen ist ein Beispiel von
falschen, Widerspruch veranlassenden,
Bestimmungen, wenn, wider alle klare Schriftstellen, 1 Tim. 3, 4. Kap. 4, 10. 1 Joh. 2, 2 u. a., in allen Sätzen von Gottes Bereitwilligkeit,
alle Menschen selig zu machen,
alle nur
alle Auserwählte heißen sollten. Und bei dem Anstößigen, das die wirkliche Lehre der heiligen Schrift von
ewigen Strafen nach dem Tode giebt, hängt sicherlich das Anstößige davon ab, daß man sich zum Begriff der
Verdammniß, die gänzliche Unmöglichkeit der Besserung, und zu
ewig fortgehenden (protensive ewigen) Strafen, ins
Unendliche zunehmende (intensive ewige)
hinzudenkt.
158.
Außer dem (§.
157. ) bleibt noch übrig, die Begriffe durch
Erklärungen oder
Beschreibungen deutlicher und bestimmter zu machen, um allen Mißverstand und falsche Nebenvorstellungen zum voraus abzuschneiden, und dadurch die Quelle fast aller Streitigkeiten zu verstopfen – die Lehren selbst immer mehr, durch Vergleichung unter einander, und mit andern richtigen Kenntnissen, aufzuklären, und ihnen noch mehr Licht, Stärke und Anwendbarkeit zu geben – zuletzt sie so zusammen zu stellen, wie eine zur Kenntniß und Ueberzeugung von der andern vorbereiten kann. – Wie weit man hierin gehen müsse, dieß müssen die
|c202| Absicht solcher Untersuchungen, das
Maaß unserer Kräfte und Kenntnisse, und unsere eigenen oder dererjenigen
Bedürfnisse zeigen, für die wir dergleichen Untersuchungen anstellen.
Außer dem (§.
157. ) bleibt noch übrig, die Begriffe durch
Erklärungen oder
Beschreibungen deutlicher und bestimmter zu machen, um allen Mißverstand und falsche Nebenvorstellungen zum voraus abzuschneiden, und dadurch die Quelle fast aller Streitigkeiten zu verstopfen – die Lehren selbst immer mehr, durch Vergleichung unter einander, und mit andern richtigen Kenntnissen, aufzuklären, und ihnen noch mehr Licht, Stärke und Anwendbarkeit zu geben – zuletzt sie so zusammen zu stellen, wie eine zur Kenntniß und Ueberzeugung von der andern vorbereiten kann. – Wie weit man hierin gehen müsse, dieß müssen die
|c202| Absicht solcher Untersuchungen, das
Maaß unserer Kräfte und Kenntnisse, und unsere eigenen oder dererjenigen
Bedürfnisse zeigen, für die wir dergleichen Untersuchungen anstellen.
159.
Denn die Absicht dabei kann entweder Verbesserung der Erkenntniß, oder des Willens seyn, so wie das Christenthum Erkenntniß der Wahrheit zur Gottseligkeit ist. Der Hauptzweck aller solcher Untersuchungen muß also stets seyn, den Menschen glücklich zu machen, seine Besserung und Beruhigung zu befördern, und was überall dazu nicht beiträgt, ist keiner Untersuchung werth; es ist sogar schädlich, und veranlaßt, seine Kräfte unnütz zu verschwenden, die man zu etwas Besserm gebrauchen könnte. Aber ohne überzeugende Kenntniß desjenigen, was uns bessern und beruhigen kann, ist keines von Beiden möglich. Kenntniß der göttlichen Wahrheiten und Eindruck aufs Herz ist also gleich nöthig; man schadet dem Einen, wenn man es auf Kosten des Andern erhebt oder treibt.Denn die Absicht dabei kann entweder Verbesserung der Erkenntniß, oder des Willens seyn, so wie das Christenthum Erkenntniß der Wahrheit zur Gottseligkeit ist. Der Hauptzweck aller solcher Untersuchungen muß also stets seyn, den Menschen glücklich zu machen, seine Besserung und Beruhigung zu befördern, und was überall dazu nicht beiträgt, ist keiner Untersuchung werth; es ist sogar schädlich, und veranlaßt, seine Kräfte unnütz zu verschwenden, die man zu etwas Besserm gebrauchen könnte. Aber ohne überzeugende Kenntniß desjenigen, was uns bessern und beruhigen kann, ist keines von Beiden möglich. Kenntniß der göttlichen Wahrheiten und Eindruck aufs Herz ist also gleich nöthig; man schadet dem Einen, wenn man es auf Kosten des Andern erhebt oder treibt.
160.
Indessen kann nicht jeder Alles oder Beides gleich gut leisten; das Maaß der Gaben und der Kenntnisse ist sehr verschieden ausgetheilt; und der Beruf, in den Gott jeden gesetzt hat, erfordert die Anwendung der Kräfte zu gewissen Zwecken, wobei man nicht mit eben der Anstrengung das Andere eben so Nützliche treiben kann. Ein jeder muß sich daher mit der Art von Untersuchung und Uebung am meisten beschäftigen, wozu er die meiste Fähigkeit, Kenntnisse, und äusserlichen Beruf hat, und das Uebrige zwar nie vernachlässigen, aber doch vorzügliche Beschäftigungen damit denen überlassen, die dazu geschickter sind, und mehr |c203| durch die Umstände, unter welchen sie leben, dazu aufgefordert werden.Indessen kann nicht jeder Alles oder Beides gleich gut leisten; das Maaß der Gaben und der Kenntnisse ist sehr verschieden ausgetheilt; und der Beruf, in den Gott jeden gesetzt hat, erfordert die Anwendung der Kräfte zu gewissen Zwecken, wobei man nicht mit eben der Anstrengung das Andere eben so Nützliche treiben kann. Ein jeder muß sich daher mit der Art von Untersuchung und Uebung am meisten beschäftigen, wozu er die meiste Fähigkeit, Kenntnisse, und äusserlichen Beruf hat, und das Uebrige zwar nie vernachlässigen, aber doch vorzügliche Beschäftigungen damit denen überlassen, die dazu geschickter sind, und mehr |c203| durch die Umstände, unter welchen sie leben, dazu aufgefordert werden.
Anm. So viel hängt hier von den Zeitumständen ab, unter welchen gewisse Wissenschaften mehr als sonst aufgeklärt; und von unsern besondern Umständen, wodurch wir glücklicher Weise auf Entdeckungen geführt werden, an die Andere nicht dachten. Dieß sind Winke der göttlichen Vorsehung, denen wir mehr als andern folgen müssen, denn sie weisen jedem, der dazu Fähigkeit hat, gerade dasjenige an, was er bearbeiten soll. Vergl. Th. 1. §.
37.
161.
Vornehmlich ist das Gefühl desjenigen, was wir selbst, oder was die bedürfen, die wir belehren, bessern und beruhigen sollen, immer das, was uns anweiset und ermuntert, etwas vor andern aufzusuchen, und mit vorzüglicher Aufmerksamkeit zu treiben. Mag es seyn, daß der Genuß besser ist, als das Aufsuchen desjenigen, was man genißen will; daß jenes Zweck, dieses nur Mittel ist; daß also Anwendung unserer Erkenntniß zum eignen oder Anderer Besten wichtiger ist, als die Erkenntniß selbst: so ist doch jenes ohne dieses nicht möglich, und man kann entweder gar nicht, oder nicht ohne größern Schaden, genießen oder anwenden, wenn man das, was man gebrauchen will, noch nicht erlangt hat, oder es erst sichern und erhalten, oder erst wissen muß, ob es gut ist, ob man nicht über dem Genuß das , dermalen wenigstens, Nützlichere verliere. Darum kann hier, wenn die Frage von dem ist, was man jedesmal vorzüglich suchen müsse, nicht das entscheiden, was überhaupt das Nützlichste, sondern was das Dringendste ist (Matth. 26, 11.); und wenn Besserung und Beruhigung auf der Aufklärung gewisser Sätze, auf Ueber|c204|zeugung von ihrer Wahrheit, auf Wegräumung gewisser Zweifel beruht: so wird die Untersuchung auch dessen, was sehr geringfügig scheint, unter diesen Umständen, wichtiger seyn müssen, als was überhaupt wichtiger genommen seyn mag.Vornehmlich ist das Gefühl desjenigen, was wir selbst, oder was die bedürfen, die wir belehren, bessern und beruhigen sollen, immer das, was uns anweiset und ermuntert, etwas vor andern aufzusuchen, und mit vorzüglicher Aufmerksamkeit zu treiben. Mag es seyn, daß der Genuß besser ist, als das Aufsuchen desjenigen, was man genißen will; daß jenes Zweck, dieses nur Mittel ist; daß also Anwendung unserer Erkenntniß zum eignen oder Anderer Besten wichtiger ist, als die Erkenntniß selbst: so ist doch jenes ohne dieses nicht möglich, und man kann entweder gar nicht, oder nicht ohne größern Schaden, genießen oder anwenden, wenn man das, was man gebrauchen will, noch nicht erlangt hat, oder es erst sichern und erhalten, oder erst wissen muß, ob es gut ist, ob man nicht über dem Genuß das , dermalen wenigstens, Nützlichere verliere. Darum kann hier, wenn die Frage von dem ist, was man jedesmal vorzüglich suchen müsse, nicht das entscheiden, was überhaupt das Nützlichste, sondern was das Dringendste ist (Matth. 26, 11.); und wenn Besserung und Beruhigung auf der Aufklärung gewisser Sätze, auf Ueber|c204|zeugung von ihrer Wahrheit, auf Wegräumung gewisser Zweifel beruht: so wird die Untersuchung auch dessen, was sehr geringfügig scheint, unter diesen Umständen, wichtiger seyn müssen, als was überhaupt wichtiger genommen seyn mag.
162.
Dieses größere Bedürfniß eines Jeden, und auch das Bedürfniß derer, für die wir, in Absicht auf Religion, arbeiten müssen, wird offenbar durch die
Zeitumstände bestimmt. So wie jede Zeit
ihr Gutes und
ihre Mängel hat, jede in einem besondern Verhältniß gegen das Ganze und gegen Gottes Absichten steht, jedes Glied des großen Körpers in seinem Maaß und seiner Lage zum Besten des Ganzen arbeiten muß: so müssen wir für
die Zeit leben und arbeiten, in die uns Gott gesetzt hat (1 Kor. 12, 14 f.) Was diesen Zeitumständen gemäß ist, interessirt uns auch mehr, und setzt unsere Kräfte mehr in Thätigkeit, erleichtert den Gebrauch unserer Kräfte, ist für das Ganze von einem wirksamern Erfolg. Selbst unser Herr und seine Gesandten arbeiteten recht eigentlich und am meisten für
ihre Zeit und deren Bedürfnisse. (§.
132 f.) – Jede Zeit hat ihre eigenen Angelegenheiten, die am meisten zur Untersuchung anziehen, und so allgemein bei Allen, denen Religion theuer ist, der Hauptzweck, Besserung und Beruhigung der Menschen bleibt: so verschieden sind zu verschiedenen Zeiten die Beschäftigungen mit den einzelnen Sachen, die dazu als Mittel etwas beitragen können. Was Eine Zeit erfindet, das gährt in der Andern, in der folgenden setzt sichs, und das Klare scheidet sich von den Hefen. So arbeitet, nach der göttlichen, allezeit weisen Vorsehung, jede Zeit für die folgende, und diese letztere
|c205| sollte nicht das Vorbereitete benutzen, und wieder für die folgende arbeiten?Dieses größere Bedürfniß eines Jeden, und auch das Bedürfniß derer, für die wir, in Absicht auf Religion, arbeiten müssen, wird offenbar durch die
Zeitumstände bestimmt. So wie jede Zeit
ihr Gutes und
ihre Mängel hat, jede in einem besondern Verhältniß gegen das Ganze und gegen Gottes Absichten steht, jedes Glied des großen Körpers in seinem Maaß und seiner Lage zum Besten des Ganzen arbeiten muß: so müssen wir für
die Zeit leben und arbeiten, in die uns Gott gesetzt hat (1 Kor. 12, 14 f.) Was diesen Zeitumständen gemäß ist, interessirt uns auch mehr, und setzt unsere Kräfte mehr in Thätigkeit, erleichtert den Gebrauch unserer Kräfte, ist für das Ganze von einem wirksamern Erfolg. Selbst unser Herr und seine Gesandten arbeiteten recht eigentlich und am meisten für
ihre Zeit und deren Bedürfnisse. (§.
132 f.) – Jede Zeit hat ihre eigenen Angelegenheiten, die am meisten zur Untersuchung anziehen, und so allgemein bei Allen, denen Religion theuer ist, der Hauptzweck, Besserung und Beruhigung der Menschen bleibt: so verschieden sind zu verschiedenen Zeiten die Beschäftigungen mit den einzelnen Sachen, die dazu als Mittel etwas beitragen können. Was Eine Zeit erfindet, das gährt in der Andern, in der folgenden setzt sichs, und das Klare scheidet sich von den Hefen. So arbeitet, nach der göttlichen, allezeit weisen Vorsehung, jede Zeit für die folgende, und diese letztere
|c205| sollte nicht das Vorbereitete benutzen, und wieder für die folgende arbeiten?
163.
Selbst die glücklichen oder die mißlichen Zeitumstände sind eine Aufforderung Gottes, Gutes zu stiften. – Wenn die weitere Aufklärung und Ausbreitung der Wissenschaften, namentlich derer, die mit der Religion in der nächsten Verbindung stehen, auf einer Seite Untersuchungen in der Religion rege macht, und auf der andern sie befördert; wenn die Wißbegierde, auch in der Religion, allgemeiner wird, und selbst das Volk nach Aufklärung dürstet; wenn die Freiheit der Untersuchung nicht durch Einschränkung gelähmt, sondern vielmehr ermuntert wird; wenn alte heftige Streitigkeiten verraucht, und die Gemüther zur kaltblütigern Untersuchung derselben gestimmt sind; wenn der öffentliche Geschmack mehr zur Liebe des Praktischen, auch in der Religion, gebildet ist; wenn selbst die größere Gefahr für die Religion, die aus Zweifeln entsteht, diejenigen, die überall den wichtigen Einfluß der Religion zu schätzen wissen, bereitwilliger macht, auch das Neuentdeckte, das ihnen sonst bedenklich war, darum anzunehmen, weil es die Zweifel löset, und die Ehre der Religion befestigt; wenn man also auch geneigter ist, Mißverstand beizulegen, und, so weit es ohne Nachtheil der Wahrheit geschehen kann, sich zum Frieden die Hände zu bieten: – alsdann ist es Dankbarkeit gegen Gott, Pflicht gegen Wahrheit und Frieden, diese Umstände zur nähern Untersuchung zu gebrauchen, und das von uns oder Andern Gefundene mit Weisheit auszubreiten.Selbst die glücklichen oder die mißlichen Zeitumstände sind eine Aufforderung Gottes, Gutes zu stiften. – Wenn die weitere Aufklärung und Ausbreitung der Wissenschaften, namentlich derer, die mit der Religion in der nächsten Verbindung stehen, auf einer Seite Untersuchungen in der Religion rege macht, und auf der andern sie befördert; wenn die Wißbegierde, auch in der Religion, allgemeiner wird, und selbst das Volk nach Aufklärung dürstet; wenn die Freiheit der Untersuchung nicht durch Einschränkung gelähmt, sondern vielmehr ermuntert wird; wenn alte heftige Streitigkeiten verraucht, und die Gemüther zur kaltblütigern Untersuchung derselben gestimmt sind; wenn der öffentliche Geschmack mehr zur Liebe des Praktischen, auch in der Religion, gebildet ist; wenn selbst die größere Gefahr für die Religion, die aus Zweifeln entsteht, diejenigen, die überall den wichtigen Einfluß der Religion zu schätzen wissen, bereitwilliger macht, auch das Neuentdeckte, das ihnen sonst bedenklich war, darum anzunehmen, weil es die Zweifel löset, und die Ehre der Religion befestigt; wenn man also auch geneigter ist, Mißverstand beizulegen, und, so weit es ohne Nachtheil der Wahrheit geschehen kann, sich zum Frieden die Hände zu bieten: – alsdann ist es Dankbarkeit gegen Gott, Pflicht gegen Wahrheit und Frieden, diese Umstände zur nähern Untersuchung zu gebrauchen, und das von uns oder Andern Gefundene mit Weisheit auszubreiten.
|c206| 164.
Und wenn eben diese günstigen Umstände, durch eine anderwärtshin genommene Wendung, Gelegenheit zu mancherlei Angriffen auf die Religion, wenigstens zu mehrern Zweifeln, zur Beeinträchtigung der Wahrheit und zur Verminderung ihres Werthes und Einflusses auf die Menschen, geben; wenn sich gerechtscheinende Klagen der Besorgniß eines immer weiter um sich greifenden Schadens erheben; wenn diese die weitere Untersuchung, zu der selbst die anscheinende Gefahr auffordern sollte, hemmen, und durch Verdächtigung ihren Nutzen vernichten oder einschränken, den edlern Theil der nach Wahrheit und gegründeter Ruhe Durstenden des Mittels seiner Befriedigung berauben, und den Feinden der Religion, die nicht durch Klagen, sondern nur durch Untersuchung entkräftet werden können, die Freude über ihren vermeinten Sieg in die Hände spielen: – alsdann wäre es unchristliche Muthlosigkeit, Unglaube gegen Gott, oder Versuchung desselben, Verrätherei gegen die göttliche Wahrheit, offenbare Gleichgültigkeit gegen die Ruhe, die der Mensch mit so großem Rechte in der Religion sucht, nicht immer weiter untersuchen, die Ueberzeugung der Menschen von ihr nicht auf einen immer festern Grund setzen, ihren unaussprechlichen Werth nicht immer einleuchtender und dringender darlegen zu wollen.Und wenn eben diese günstigen Umstände, durch eine anderwärtshin genommene Wendung, Gelegenheit zu mancherlei Angriffen auf die Religion, wenigstens zu mehrern Zweifeln, zur Beeinträchtigung der Wahrheit und zur Verminderung ihres Werthes und Einflusses auf die Menschen, geben; wenn sich gerechtscheinende Klagen der Besorgniß eines immer weiter um sich greifenden Schadens erheben; wenn diese die weitere Untersuchung, zu der selbst die anscheinende Gefahr auffordern sollte, hemmen, und durch Verdächtigung ihren Nutzen vernichten oder einschränken, den edlern Theil der nach Wahrheit und gegründeter Ruhe Durstenden des Mittels seiner Befriedigung berauben, und den Feinden der Religion, die nicht durch Klagen, sondern nur durch Untersuchung entkräftet werden können, die Freude über ihren vermeinten Sieg in die Hände spielen: – alsdann wäre es unchristliche Muthlosigkeit, Unglaube gegen Gott, oder Versuchung desselben, Verrätherei gegen die göttliche Wahrheit, offenbare Gleichgültigkeit gegen die Ruhe, die der Mensch mit so großem Rechte in der Religion sucht, nicht immer weiter untersuchen, die Ueberzeugung der Menschen von ihr nicht auf einen immer festern Grund setzen, ihren unaussprechlichen Werth nicht immer einleuchtender und dringender darlegen zu wollen.
Anm. Es ist eines verständigen Christen ganz unwürdig, über solche Untersuchungen, und das, was dadurch entdeckt wird, als über Neuerungen zu klagen, auf seine Meinungen, weil sie alt sind, stolz zu thun, und alles Neue mit bloßer Verunglimpfung von der Hand zu weisen. – Freilich fassen alte Schläuche den neuen Wein nicht (Luc. 5, 37 f.); aber es ist doch Undank gegen Gott, Einschläferung unserer Kräfte, mit denen wir zum |c207| Guten, wenigstens durch Sichtung, mitwirken könnten, Versündigung gegen den, der Hülfe bedarf, und gegen den, der ihm helfen will, nicht nur selbst nichts zu thun, und nichts zu gebrauchen, was Andere statt unserer thun, sondern auch selbst Andere davon abzuhalten, und ununtersucht den guten Keim, den Gott aufgehen läßt, wie Unkraut zu zertreten. – Rotte das Unkraut aus, weil es Unkraut, nicht weil es neu ist; du möchtest eine sehr heilsame Pflanze vertilgen, von der du nur vorher noch nichts gehört hattest. Doch vergiß auch bei dem Ausjäten des Unkrautes das nicht, was unser Herr sagt Matth. 13, 39. – Allerdings giebts nur Einen Grund, auf den wir bauen müssen, der, daß Jesus der Christ sei. (1 Kor. 3, 11.) Auf den hat man hölzerne und steinerne Häuser gebaut. (V. 12.) Sind alle alte dieser, und alle neue jener Art? Die Zeit wirds klar machen, sagt der Apostel (V. 13.); aber wie kann sie das, wenn alles Neue, was die Zeit lehrt, schon darum das Zeichen der Verwerfung trägt, weil es neu ist? – Die Wahrheit ist ewig, aber sie wird oft erst spät erkannt. Wer das bisher Unerkannte ans Licht bringt, der sagt freilich etwas Neues; aber verdient er die schnöde Verachtung, er, den Gott vielleicht zum Werkzeug gebrauchen will, dich zu erleuchten? – Ephes. 4, 11–15. 1 Kor. 13, 9 f. Ebr. 5, 12–14. 1 Kor. 3, 21 f. – Es ist wohl kaum nöthig zu sagen, daß wer darum nicht das Neue will weggeworfen wissen, weil es neu ist, damit keinesweges alles Neue billigt, eben weil es neu ist. Ob etwas neu oder alt ist? muß gar nicht, ob es wahr sei? muß allein in Anschlag kommen.
165.
Auf die beschriebene Art sollte sich ein jeder selbstdenkender Christ, der alle dazu erforderliche Fähigkeit und Muße hätte, wenigstens jeder Lehrer, sein christliches System bilden; und alsdann wäre es Zeit, auch Ande|c208|rer Vorstellungen zu hören. Denn der bloße Selbstforscher urtheilt gar zu leicht einseitig, und läßt sich von geheimen Vorurtheilen, aufgefaßten Gesichtspunkten, wohin er Alles allein zieht, und selbst Leidenschaften, beschleichen. – Da uns über dies so viele, denen gewiß Auffindung des wahren Christenthums Herzensangelegenheit war, und denen es nicht an den nöthigen Fähigkeiten und Kenntnissen fehlte, vorgearbeitet haben: warum sollten wir ihre Vorarbeit nicht benutzen, ihnen wenigstens nicht danken, daß sie unsere Aufmerksamkeit auf Vieles lenken, was ihr entgangen ist, und uns zeigen, was und wo es noch weiterer Untersuchung bedürfe? – Wollen wir aber selbst vollends als Lehrer Anderer auftreten, so erfordert die gesellschaftliche Ordnung, uns zu einer gewissen kirchlichen Gesellschaft zu halten, deswegen die Vorstellungen in der Religion, die sie von ihren Mitgliedern erwartet, kennen zu lernen, und zu prüfen, ob wir sie mit Ueberzeugung fortpflanzen, wenigstens öffentlich unbestritten lassen können. Es erforderts auch die Gerechtigkeit gegen Andere, so wie die Lehrweisheit, unsere Kenntnisse vom Christenthum möglichst ihren Vorstellungen, wenn sie nicht schädliche Irrthümer sind, anzubequemen; ihres, wenn gleich oft irrenden, Gewissens zu schonen, und nicht durch Unvorsichtigkeit oder Allgenügsamkeit ein Mißtrauen oder eine Abneigung zu erregen, die einen Lehrer der Religion so sehr hindert, bei Andern Gutes zu stiften. Alles dieses führt die Pflicht mit sich, uns um Anderer Vorstellungen zu bekümmern, und auf diese, wenigstens eine prüfende, Rücksicht zu nehmen.Auf die beschriebene Art sollte sich ein jeder selbstdenkender Christ, der alle dazu erforderliche Fähigkeit und Muße hätte, wenigstens jeder Lehrer, sein christliches System bilden; und alsdann wäre es Zeit, auch Ande|c208|rer Vorstellungen zu hören. Denn der bloße Selbstforscher urtheilt gar zu leicht einseitig, und läßt sich von geheimen Vorurtheilen, aufgefaßten Gesichtspunkten, wohin er Alles allein zieht, und selbst Leidenschaften, beschleichen. – Da uns über dies so viele, denen gewiß Auffindung des wahren Christenthums Herzensangelegenheit war, und denen es nicht an den nöthigen Fähigkeiten und Kenntnissen fehlte, vorgearbeitet haben: warum sollten wir ihre Vorarbeit nicht benutzen, ihnen wenigstens nicht danken, daß sie unsere Aufmerksamkeit auf Vieles lenken, was ihr entgangen ist, und uns zeigen, was und wo es noch weiterer Untersuchung bedürfe? – Wollen wir aber selbst vollends als Lehrer Anderer auftreten, so erfordert die gesellschaftliche Ordnung, uns zu einer gewissen kirchlichen Gesellschaft zu halten, deswegen die Vorstellungen in der Religion, die sie von ihren Mitgliedern erwartet, kennen zu lernen, und zu prüfen, ob wir sie mit Ueberzeugung fortpflanzen, wenigstens öffentlich unbestritten lassen können. Es erforderts auch die Gerechtigkeit gegen Andere, so wie die Lehrweisheit, unsere Kenntnisse vom Christenthum möglichst ihren Vorstellungen, wenn sie nicht schädliche Irrthümer sind, anzubequemen; ihres, wenn gleich oft irrenden, Gewissens zu schonen, und nicht durch Unvorsichtigkeit oder Allgenügsamkeit ein Mißtrauen oder eine Abneigung zu erregen, die einen Lehrer der Religion so sehr hindert, bei Andern Gutes zu stiften. Alles dieses führt die Pflicht mit sich, uns um Anderer Vorstellungen zu bekümmern, und auf diese, wenigstens eine prüfende, Rücksicht zu nehmen.
{
Anm. So urtheilt auch
Fichte in dem System der Sittenlehre: „Der Diener einer Kirche muß davon ausgehen, worüber Alle einig sind, vom
Symbol. – Er muß darauf
|c209| hinausgehen, worüber Alle einig werden sollen. Er muß sonach weiter sehen, als die Einzelnen; das beste und sicherne Resultat der moralischen Cultur des Zeitalters in der Gewalt haben: und zu diesem hat er sie zu führen. – Alle sollen einig werden; sie sollen aber auch, während ihres Fortschreitens, einig bleiben; mithin muß er stets so gehen, daß man ihm folgen kann. – Sobald er in
seinem Vortrage zu sehr der Cultur seiner Zuhöhrer voreilt, sobald redet er nicht mehr zu Allen (einer Gemeinde) u. s. w.“ – Ausführlicher habe ich den Begriff und die Natur der Lehrweisheit, welche schon eine gründliche Kenntniß des Systems voraussetzt, entwickelt in den Briefen an christliche Religionslehrer, 3te Sammlung.
A. d. H.}
166.
Diese Vorstellungen Anderer, haben
entweder in einer besondern Kirche eine Art von gesetzmäßigem Ansehen erlangt ,
oder es sind bloß Privatgedanken und Resultate solcher Untersuchungen, die von einzelnen gelehrten Männern angestellt sind. Die
erstern verdienen genaue Kenntniß und Prüfung, nicht nur weil sie wenigstens das für sich haben, daß sie nach öfterer Untersuchung vieler redlichen, verständigen und gelehrten Christen bewährt befunden worden, sondern noch vielmehr, wegen der so eben (§.
165. ) erwähnten Gründe, von Seiten des öffentlichen Lehrers. Die
letztern hingegegen scheinen noch mehr wichtige Aufschlüsse über Religion und Christenthum zu versprechen, zumal wenn sie den Beifall der gelehrtesten, unermüdet forschenden Männer für sich haben. Denn bei solchen besondern Untersuchungen einzelner Lehrsätze kann man mehr eigentlichen Fleiß und neue Aufklärung erwarten; man kann erwarten, daß dergleichen Männer weniger durch die Fesseln eines Kirchensystems oder eingeschränkter Lehrfreiheit zurückgehalten worden, freie Untersuchungen anzustellen; der
|c210| Beifall, mit dem man ihre Untersuchungen aufgenommen, hat weniger den Verdacht wider sich, daß er durch kirchliches Ansehen oder Schonung des Hergebrachten gestimmt sei; und, wenn solche Untersuchungen von Gelehrten herrühren, denen man, neben wahrer Bescheidenheit, vorzügliche Bekanntschaft mit den Hülfsmitteln zur Aufklärung der Theologie, wenigstens in den Theilen, woran sie gearbeitet haben, und vorzügliche Uebung in solchen Untersuchungen
nicht absprechen kann: so kann man sicherlich mehr von ihnen lernen, als von denen, die nur der gebahnten Heerstraße folgen.Diese Vorstellungen Anderer, haben
entweder in einer besondern Kirche eine Art von gesetzmäßigem Ansehen erlangt ,
oder es sind bloß Privatgedanken und Resultate solcher Untersuchungen, die von einzelnen gelehrten Männern angestellt sind. Die
erstern verdienen genaue Kenntniß und Prüfung, nicht nur weil sie wenigstens das für sich haben, daß sie nach öfterer Untersuchung vieler redlichen, verständigen und gelehrten Christen bewährt befunden worden, sondern noch vielmehr, wegen der so eben (§.
165. ) erwähnten Gründe, von Seiten des öffentlichen Lehrers. Die
letztern hingegegen scheinen noch mehr wichtige Aufschlüsse über Religion und Christenthum zu versprechen, zumal wenn sie den Beifall der gelehrtesten, unermüdet forschenden Männer für sich haben. Denn bei solchen besondern Untersuchungen einzelner Lehrsätze kann man mehr eigentlichen Fleiß und neue Aufklärung erwarten; man kann erwarten, daß dergleichen Männer weniger durch die Fesseln eines Kirchensystems oder eingeschränkter Lehrfreiheit zurückgehalten worden, freie Untersuchungen anzustellen; der
|c210| Beifall, mit dem man ihre Untersuchungen aufgenommen, hat weniger den Verdacht wider sich, daß er durch kirchliches Ansehen oder Schonung des Hergebrachten gestimmt sei; und, wenn solche Untersuchungen von Gelehrten herrühren, denen man, neben wahrer Bescheidenheit, vorzügliche Bekanntschaft mit den Hülfsmitteln zur Aufklärung der Theologie, wenigstens in den Theilen, woran sie gearbeitet haben, und vorzügliche Uebung in solchen Untersuchungen
nicht absprechen kann: so kann man sicherlich mehr von ihnen lernen, als von denen, die nur der gebahnten Heerstraße folgen.
167.
Indessen bleibt
eigene Untersuchung doch immer das Nöthigste. Was ist wahr? was ist Christenthum? dieß ist doch eigentlich die Hauptsache,
davon muß man im System unterrichtet seyn wollen; was der oder jener, diese oder jene Kirche, geglaubt hat: dieß zu wissen, ist, wenn es nicht Gelegenheit giebt, Wahrheit zu finden, fast von gar keinem Werth. Sammlungen von Meinungen, wenn sie nicht geprüft, sondern der Wahl eines jeden überlassen werden, verwirren nur, und stimmen die Seele zum ewigen Schwanken zwischen menschlichen Einfällen. Und wie? wenn unter Allem, was bisher über eine Lehre gesagt ist, gerade die rechte Vorstellung noch fehlte?
*) – Was übrigens zur Bildung eines immer vollkommnern Systems geschehen müsse, ist schon oben gesagt. Hier nur noch etwas über den bessern Vortrag desjenigen, was man, nach oben erwähntem Verfahren, von dem Christenthum gefunden hat, oder besser, gefunden zu haben glaubt.Indessen bleibt
eigene Untersuchung doch immer das Nöthigste. Was ist wahr? was ist Christenthum? dieß ist doch eigentlich die Hauptsache,
davon muß man im System unterrichtet seyn wollen; was der oder jener, diese oder jene Kirche, geglaubt hat: dieß zu wissen, ist, wenn es nicht Gelegenheit giebt, Wahrheit zu finden, fast von gar keinem Werth. Sammlungen von Meinungen, wenn sie nicht geprüft, sondern der Wahl eines jeden überlassen werden, verwirren nur, und stimmen die Seele zum ewigen Schwanken zwischen menschlichen Einfällen. Und wie? wenn unter Allem, was bisher über eine Lehre gesagt ist, gerade die rechte Vorstellung noch fehlte?
*) – Was übrigens zur Bildung eines immer vollkommnern Systems geschehen müsse, ist schon oben gesagt. Hier nur noch etwas über den bessern Vortrag desjenigen, was man, nach oben erwähntem Verfahren, von dem Christenthum gefunden hat, oder besser, gefunden zu haben glaubt.
Anm. *) Eine
Dogmatik, die in eine bloße Dogmengeschichte verwandelt wird, hört auf, da sie ihren eigenthümlichen
|c211| Charakter,
Glaubenslehre und
Untersuchung der Lehre zu seyn, verliert,
Dogmatik zu seyn, und wird ein Theil der
historischen Theologie.
A. d. H.
168.
Allerdings bleibt Wahrheit immer Wahrheit, und man drückt sich wenigstens unbequem und unrichtig aus, wenn man sagt, daß die Wahrheit leiden, die Religion in Gefahr kommen könne, obgleich die Ueberzeugung der Menschen davon, und die Achtung und Liebe zu ihr leiden kann. Auch nutzt sich die Wahrheit nie ab, daß man auf Erfindung einer andern denken müßte. Da auch die christliche Theologie sich auf die heilige Schrift gründet, diese aber einen bestimmten Umfang hat: so lassen sich eigentlich neue Entdeckungen über christliche Lehren selbst nicht machen, wenn man nicht bessere Erklärung einzelner Stellen, die mehrere Entwickelung desjenigen, was in der heiligen Schrift liegt, die weitern Aussichten, die aus Vergleichung der christlichen Lehren unter einander, und mit natürlich bekannten Sätzen, entstehen, und die Wegräumung falscher Vorstellungen, dahin rechnen will. Aber man kann die Ueberzeugung der Menschen von der Wahrheit und von dem Christenthum, oder der rechten Vorstellung davon, durch neue Gründe, und den bessern Eindruck derselben, durch neue Anwendung befördern.Allerdings bleibt Wahrheit immer Wahrheit, und man drückt sich wenigstens unbequem und unrichtig aus, wenn man sagt, daß die Wahrheit leiden, die Religion in Gefahr kommen könne, obgleich die Ueberzeugung der Menschen davon, und die Achtung und Liebe zu ihr leiden kann. Auch nutzt sich die Wahrheit nie ab, daß man auf Erfindung einer andern denken müßte. Da auch die christliche Theologie sich auf die heilige Schrift gründet, diese aber einen bestimmten Umfang hat: so lassen sich eigentlich neue Entdeckungen über christliche Lehren selbst nicht machen, wenn man nicht bessere Erklärung einzelner Stellen, die mehrere Entwickelung desjenigen, was in der heiligen Schrift liegt, die weitern Aussichten, die aus Vergleichung der christlichen Lehren unter einander, und mit natürlich bekannten Sätzen, entstehen, und die Wegräumung falscher Vorstellungen, dahin rechnen will. Aber man kann die Ueberzeugung der Menschen von der Wahrheit und von dem Christenthum, oder der rechten Vorstellung davon, durch neue Gründe, und den bessern Eindruck derselben, durch neue Anwendung befördern.
169.
So wie sich alle Wissenschaften durch neue Entdeckungen oder gründlichere Einsicht des bereits Bekannten erweitern, namentlich Sprachkunde und Philosophie: so ist kein Zweifel, daß dadurch auch für die Religion und das Christenthum neue Bestätigung möglich wird, und daß, wenn |c212| die Aufklärung der Wissenschaften immer fortgeht, und Geschmack und Denkungsart mehr gebildet wird, allerdings auch auf neue oder neu geschärfte und einleuchtender gemachte Beweise der Lehren gedacht werden müsse. – Noch mehr findet dieses bei der Anwendung der Lehren statt. Die Willigkeit, sich an die christlichen Lehren, zur Beförderung unserer Gemüthsruhe, zu halten, und dieselben treulich zu befolgen, hängt offenbar von dem Werth ab, den man auf diese Lehren legt, d. i. auf den deutlich und lebhaft erkannten Einfluß derselben auf unsere Glückseligkeit. Diesen Einfluß müßte man vornehmlich klar machen, und diesen recht darstellen; das ists, wie mich dünkt, eigentlich, was man praktischen Vortrag nennen sollte.So wie sich alle Wissenschaften durch neue Entdeckungen oder gründlichere Einsicht des bereits Bekannten erweitern, namentlich Sprachkunde und Philosophie: so ist kein Zweifel, daß dadurch auch für die Religion und das Christenthum neue Bestätigung möglich wird, und daß, wenn |c212| die Aufklärung der Wissenschaften immer fortgeht, und Geschmack und Denkungsart mehr gebildet wird, allerdings auch auf neue oder neu geschärfte und einleuchtender gemachte Beweise der Lehren gedacht werden müsse. – Noch mehr findet dieses bei der Anwendung der Lehren statt. Die Willigkeit, sich an die christlichen Lehren, zur Beförderung unserer Gemüthsruhe, zu halten, und dieselben treulich zu befolgen, hängt offenbar von dem Werth ab, den man auf diese Lehren legt, d. i. auf den deutlich und lebhaft erkannten Einfluß derselben auf unsere Glückseligkeit. Diesen Einfluß müßte man vornehmlich klar machen, und diesen recht darstellen; das ists, wie mich dünkt, eigentlich, was man praktischen Vortrag nennen sollte.
Anm. Es ist ein sehr gewöhnlicher Mißverstand, das Praktische mit dem Moralischen zu verwechseln, und die Folge davon ist nur zu oft Verachtung oder Gleichgültigkeit gegen Alles, was nicht unmittelbar das Thun und Lassen der Menschen betrifft. Praktisch ist im Grunde Alles, was auf die menschliche Glückseligkeit anwendbar ist. Nun beruht diese Glückseligkeit 1) keinesweges bloß auf unserm Thun und Lassen, oder der Beobachtung unserer Pflichten, sondern auch auf Gemüthsruhe, die zwar auch von dem guten Gewissen abhängt, aber eben so sehr von der Ueberzeugung, daß Alles, was uns begegnet, wirklich für uns gut ist, und daß wir uns zu Gott und dessen Regierung immer des Besten versehen können. Diese letztere Ueberzeugung ist zu unserer Glückseligkeit unumgänglich nothwendig, in Absicht auf solche Veränderungen, die nicht in unserer Gewalt stehen, wohin auch diejenigen gehören, die wir nicht können ungeschehen machen, namentlich unsere vielfältigen Vergehungen, und die daher entstehenden Folgen. 2) Es kann aber der Einfluß eines Satzes auf unsere Glückseligkeit eben sowohl mittelbar als |c213| unmittelbar seyn, und wir urtheilen wie Kinder, wenn wir das Nutzbare, auch in der Religion, bloß auf das Letztere (auf das materialiter oder unmittelbar Praktische) einschränken, ungeachtet uns die ganze Einrichtung der physischen und moralischen Welt so deutlich an den auch sehr entfernten Einfluß gewisser Ursachen auf unser Wohl und Weh erinnert. Daher ist jeder noch so spekulative Satz praktisch, wenn er a) die zu unserer Gemüthsruhe unentbehrliche Ueberzeugung von Gottes allezeit weisen und gütigen Anstalten und Fügungen zu unserm Besten überhaupt und in einzelnen Fällen, auf eine nähere oder entferntere Art, befördern, irgend einen Beweis dafür geben, irgend einem Zweifel dagegen zuvorkommen, oder ihn heben; wenn er b) irgend einen Grund zu einer Pflicht enthalten, irgend eine Ermunterung dazu, irgend eine Erleichterung derselben in der Ausübung geben kann. Einen Satz praktisch machen, ist demnach nichts anders, als zeigen, welchen Einfluß derselbe auf unser Bestes haben könne, es sei auf die eine oder die andere so eben angegebene Art; welches auch dadurch geschehen kann, wenn wir ihn so erklären, so bestimmen, in eine solche Verbindung mit andern stellen, daß andere diesen Einfluß leicht einsehen, und die Anwendung desselben auf ihre Gemüthsruhe oder Besserung leicht machen können. {Dieß ist die wahre Idee, die Allen, welche die praktische Theologie im Gegensatz der Schultheologie verarbeitet haben, vorgeschwebt hat.}
170.
Zu einem guten Vortrage der systematischen Theologie gehört auch der weise Gebrauch gewisser, dem System eigenthümlicher Ausdrücke, welche man gemeiniglich mit dem Namen der
Schulsprache (termini technici) belegt, und welche viele aus dem Vortrag der Religion wollen entfernt, an ihrer Statt aber
biblische, zum Theil wohl gar
mystische, oder Ausdrücke aus der Sprache des gemeinen Le
|c214|bens, eingeführt wissen.
1) Wahr ist es, Ausdrücke sind gleichgültig, wenn sie nur die Sachen verständlich und ohne Irrthümer bezeichnen, wenn sie also nur, falls sie dunkel oder zweideutig sind, erklärt werden, daß man dadurch wirklich die Sachen verstehen lernt, und gegen falsche Vorstellungen gesichert wird; wahr ist es auch, daß, wo man bei einem Vortrage nicht sowohl deutliche und genaue Einsicht, als vielmehr Eindrücke der Religion, selbst bei undeutlicher Erkenntniß derselben, befördern will, die gelehrte Schulsprache völlig entbehrt, und der Gebrauch unbestimmter und sinnlicher Ausdrücke selbst nützlicher werden kann, weil sie durch Nebenbegriffe den Eindruck befördern; wahr ist es, daß man die Absicht der Schulsprache oft ohne sie erreichen kann;
2) wahr ist's endlich, daß die gelehrte Sprache in der Theologie manche Unbequemlichkeit mit sich führt. Denn durch sie wird die Erlernung der Theologie erschwert; der Vortrag wird trocken, und, weil sie die Sachen bloß dem Verstande, nicht der Einbildungskraft, darstellt, so wird die Anwendung der Sachen auf sich selbst und auf das Herz weniger einleuchtend oder nahe gelegt; sie ist dem größten Theil der Zuhörer entweder unverständlich, oder erweckt eben sowohl falsche Nebenbegriffe, wie andere Arten der Sprache,
3) und, was beinahe das Schlimmste ist, sie verbindet gewisse menschliche, zum Theil irrige, Vorstellungen so innig mit den eigentlichen Lehren des Christenthums, daß jene eben das Ansehn wie diese erhalten, und so lange nicht ausgerottet werden können, als man an dieser Schulsprache hängt.
4) Zu einem guten Vortrage der systematischen Theologie gehört auch der weise Gebrauch gewisser, dem System eigenthümlicher Ausdrücke, welche man gemeiniglich mit dem Namen der
Schulsprache (termini technici) belegt, und welche viele aus dem Vortrag der Religion wollen entfernt, an ihrer Statt aber
biblische, zum Theil wohl gar
mystische, oder Ausdrücke aus der Sprache des gemeinen Le
|c214|bens, eingeführt wissen.
1) Wahr ist es, Ausdrücke sind gleichgültig, wenn sie nur die Sachen verständlich und ohne Irrthümer bezeichnen, wenn sie also nur, falls sie dunkel oder zweideutig sind, erklärt werden, daß man dadurch wirklich die Sachen verstehen lernt, und gegen falsche Vorstellungen gesichert wird; wahr ist es auch, daß, wo man bei einem Vortrage nicht sowohl deutliche und genaue Einsicht, als vielmehr Eindrücke der Religion, selbst bei undeutlicher Erkenntniß derselben, befördern will, die gelehrte Schulsprache völlig entbehrt, und der Gebrauch unbestimmter und sinnlicher Ausdrücke selbst nützlicher werden kann, weil sie durch Nebenbegriffe den Eindruck befördern; wahr ist es, daß man die Absicht der Schulsprache oft ohne sie erreichen kann;
2) wahr ist's endlich, daß die gelehrte Sprache in der Theologie manche Unbequemlichkeit mit sich führt. Denn durch sie wird die Erlernung der Theologie erschwert; der Vortrag wird trocken, und, weil sie die Sachen bloß dem Verstande, nicht der Einbildungskraft, darstellt, so wird die Anwendung der Sachen auf sich selbst und auf das Herz weniger einleuchtend oder nahe gelegt; sie ist dem größten Theil der Zuhörer entweder unverständlich, oder erweckt eben sowohl falsche Nebenbegriffe, wie andere Arten der Sprache,
3) und, was beinahe das Schlimmste ist, sie verbindet gewisse menschliche, zum Theil irrige, Vorstellungen so innig mit den eigentlichen Lehren des Christenthums, daß jene eben das Ansehn wie diese erhalten, und so lange nicht ausgerottet werden können, als man an dieser Schulsprache hängt.
4)
Anm. 1) S. die, den Gegenstand sehr einseitig fassende, Schrift: Gründe für die gänzliche Abschaffung der Schulsprache des theologischen Systems, Berlin 1772. 8.
|c215| 2)
Entweder wenn man uneigentliche, sinnliche, und überhaupt unbestimmte Ausdrücke mit gemeinbekannten eigentlichen vertauscht, z. B. statt
Vergebung der Sünden Verschonung mit Strafen, statt
Wiedergeburt, gänzliche oder Herzensbesserung, oder Sinnesänderung setzt;
oder sich durch wohlgewählte Umschreibungen, Beschreibungen und Beispiele erklärt, wie Jesus in seinen Parabeln, als Luc. 15, 11 f. 18, 10 f. etc.;
oder wohlerklärte, und durch weitere Erläuterungen sonst schon den Zuhörern bekannte Hauptbegriffe und Hauptsätze (§.
155. ) beibehält.
3) Z. B. Person in der Gottheit; an welches Wort die Meisten gar nicht den metaphysischen Sinn knüpfen, worin es unsere Theologen wollen genommen wissen, und daher entweder gar nichts dabei, oder grobe Begriffe von Theilbarkeit, menschlicher Gestalt, oder, wie einige in der ältern Kirche bei dem Wort πρόσωπον, bloße Verhältnisse hinzudenken.
4) Als eben bei dem Wort Person; bei dem Ausdruck Entäußerung Christi, dem man den falschen Begriff von einem unterlassenen Gebrauch göttlicher Eigenschaften untergelegt hat; Genugthuung, wenn es nicht in gut lateinischem Verstande genommen wird; Caput morale, foederale, von Adam gebraucht u. dergl.
171.
Dieses Alles beweiset aber nur, daß dergleichen gelehrtere Sprache nicht überall nöthig, oft, und in dem gemeinen Vortrage insbesondere, unschicklich sei; daß man sich also hüten müsse, allein darin zu denken und vorzutragen; daß sie noch, besonders die eingeführte Kirchensprache, mancher Verbesserung bedürftig sei: lauter Vorwürfe, die man den andern Arten der Sprache, welche man statt dieser gebraucht wünscht, und die man jeder eigenthümlichen Sprache in irgend einer Wissenschaft und Kunst, mit eben dem Recht und Unrecht wie dieser machen kann. Hingegen beweiset |c216| alles dieses nicht, daß sie gar nicht, daß sie auch selbst nicht in dem systematischen Vortrage, daß nicht nur ihr Gebrauch nicht, sondern auch nicht einmal ihre Kenntniß nöthig sei. Vielmehr hat sie und ihre Kenntniß allerdings, in der systematischen Theologie, wenn sie nur gehörig erklärt, und mit Weisheit gebraucht wird, sehr große Vortheile, die ganz verloren gehen würden, wenn man sie abschaffen wollte. Sie ist 1) einmal da, und nicht nur in vielen, ja gerade in den gründlichsten theologischen Schriften, sondern auch selbst in öffentlichen Bekenntniß- und Lehrbüchern eingeführt, die man also ohne die Kenntniß dieser Sprache nicht verstehen, vielweniger beurtheilen kann. Und wenn man sich über seine Unbekanntschaft mit ihr damit trösten will, daß solche Schriften nicht brauchten gelesen zu werden, und bald nur noch zur Geschichte der Lehre nöthig seyn würden: so überlegt man nicht, daß doch symbolische Schriften nicht so nach eignem Gutbefinden können bei Seite gelegt werden, oder dem Lehrer, der sich zu einer gewissen Kirche bekennt, unbekannt oder unverständlich bleiben dürfen; daß mit Wegschaffung der in der Schulsprache geschriebenen Schriften ein großer Schatz von Kenntnissen und Bestimmungen verloren gehen würde ; daß die Kenntniß der Schulsprache doch immer unentbehrlich bleibe, wenigstens um theologische Streitigkeiten und Irrthümer ganzer Kirchen zu verstehen und zu beurtheilen.Dieses Alles beweiset aber nur, daß dergleichen gelehrtere Sprache nicht überall nöthig, oft, und in dem gemeinen Vortrage insbesondere, unschicklich sei; daß man sich also hüten müsse, allein darin zu denken und vorzutragen; daß sie noch, besonders die eingeführte Kirchensprache, mancher Verbesserung bedürftig sei: lauter Vorwürfe, die man den andern Arten der Sprache, welche man statt dieser gebraucht wünscht, und die man jeder eigenthümlichen Sprache in irgend einer Wissenschaft und Kunst, mit eben dem Recht und Unrecht wie dieser machen kann. Hingegen beweiset |c216| alles dieses nicht, daß sie gar nicht, daß sie auch selbst nicht in dem systematischen Vortrage, daß nicht nur ihr Gebrauch nicht, sondern auch nicht einmal ihre Kenntniß nöthig sei. Vielmehr hat sie und ihre Kenntniß allerdings, in der systematischen Theologie, wenn sie nur gehörig erklärt, und mit Weisheit gebraucht wird, sehr große Vortheile, die ganz verloren gehen würden, wenn man sie abschaffen wollte. Sie ist 1) einmal da, und nicht nur in vielen, ja gerade in den gründlichsten theologischen Schriften, sondern auch selbst in öffentlichen Bekenntniß- und Lehrbüchern eingeführt, die man also ohne die Kenntniß dieser Sprache nicht verstehen, vielweniger beurtheilen kann. Und wenn man sich über seine Unbekanntschaft mit ihr damit trösten will, daß solche Schriften nicht brauchten gelesen zu werden, und bald nur noch zur Geschichte der Lehre nöthig seyn würden: so überlegt man nicht, daß doch symbolische Schriften nicht so nach eignem Gutbefinden können bei Seite gelegt werden, oder dem Lehrer, der sich zu einer gewissen Kirche bekennt, unbekannt oder unverständlich bleiben dürfen; daß mit Wegschaffung der in der Schulsprache geschriebenen Schriften ein großer Schatz von Kenntnissen und Bestimmungen verloren gehen würde ; daß die Kenntniß der Schulsprache doch immer unentbehrlich bleibe, wenigstens um theologische Streitigkeiten und Irrthümer ganzer Kirchen zu verstehen und zu beurtheilen.
172.
Indessen mag dieses der kleinste Vortheil seyn, den wenigstens die
historische Kenntniß der theologischen Schulsprache mit sich führt; aber selbst der
Gebrauch dieser Sprache ist sehr nützlich. Denn es lassen sich 2) manche
|c217| Begriffe gar nicht, oder doch nicht so kurz ausdrucken, als durch Hülfe dieser Sprache;
1) und die reichhaltige Kürze kommt doch nicht nur dem Gedächtniß zu Hülfe, und befördert die leichtere Uebersicht der großen Menge von Sachen, sondern sie befördert auch die Schnelligkeit im Denken, und führt auf neue Begriffe. 3) Hauptsächlich ist sie zu der so unschätzbaren Bestimmtheit der Begriffe wenigstens da unentbehrlich, wo Bestimmtheit mit Kürze vereinigt werden soll. Sie hebt die Zweideutigkeit der Begriffe und Sätze, die der Grund des Mißverstandes und der daher entstehenden Streitigkeiten ist; und wenn alles dieß durch die gelehrte Sprache sogar zum voraus verhütet werden kann, wie viele unnütze Untersuchungen und Zweifel erspart sie uns? Aus wie vielerlei Verwirrung hilft sie, welche die Quelle aller Ungewißheit ist?
2) Sie befördert selbst die Einsicht des Zusammenhangs der Lehren, und giebt ihnen ein gewisses Licht und eine Stärke, die sie ohne diese Sprache würde entbehren müssen.
3) Indessen mag dieses der kleinste Vortheil seyn, den wenigstens die
historische Kenntniß der theologischen Schulsprache mit sich führt; aber selbst der
Gebrauch dieser Sprache ist sehr nützlich. Denn es lassen sich 2) manche
|c217| Begriffe gar nicht, oder doch nicht so kurz ausdrucken, als durch Hülfe dieser Sprache;
1) und die reichhaltige Kürze kommt doch nicht nur dem Gedächtniß zu Hülfe, und befördert die leichtere Uebersicht der großen Menge von Sachen, sondern sie befördert auch die Schnelligkeit im Denken, und führt auf neue Begriffe. 3) Hauptsächlich ist sie zu der so unschätzbaren Bestimmtheit der Begriffe wenigstens da unentbehrlich, wo Bestimmtheit mit Kürze vereinigt werden soll. Sie hebt die Zweideutigkeit der Begriffe und Sätze, die der Grund des Mißverstandes und der daher entstehenden Streitigkeiten ist; und wenn alles dieß durch die gelehrte Sprache sogar zum voraus verhütet werden kann, wie viele unnütze Untersuchungen und Zweifel erspart sie uns? Aus wie vielerlei Verwirrung hilft sie, welche die Quelle aller Ungewißheit ist?
2) Sie befördert selbst die Einsicht des Zusammenhangs der Lehren, und giebt ihnen ein gewisses Licht und eine Stärke, die sie ohne diese Sprache würde entbehren müssen.
3)
Anm. 1) Bei den so schwierigen Fragen, z. B. von Mitwirkung Gottes bei sündlichen Handlungen; von den Absichten, die Gott hat, und nicht erreicht; von der Seligkeit derer, die keine Gelegenheit zur Erkenntniß des Christenthums gehabt haben; welche Fragen mit Gottes Heiligkeit und Weisheit, und mit der Nothwendigkeit des Glaubens an Christum, worauf die heilige Schrift dringt, so sehr in Widerspruch zu stehen scheinen, giebt der Unterschied zwischen dem Materiellen und Formellen der freien Handlungen, der voluntate absoluta und inabsoluta Dei, dem ausdrücklichen und unentwickelten Glauben sehr kurze und bestimmte Entscheidung.
2) Man weiß, welche Unbestimmtheit und Zweideutigkeit in der gemeinen Sprache liegt, und wie oft an den Ausdrücken derselben Nebenbegriffe hängen, die mit derselben in
|c218| die Erkenntniß der Religion übergehen, und Irrthümer verursachen (Th. 1. §.
61. ), oder doch von dem festen Gesichtspunkt bei einer Untersuchung ableiten, und auf Nebensachen führen, welchem Fehler man alsdann nur durch eine bestimmtere Sprache zuvorkommen kann. – Freilich mag diese Sprache bisweilen zarten Ohren widrig klingen, und dann stehts bei jedem, sie durch besser gewählte Ausdrücke harmonischer zu machen. Sonst aber ist nicht abzusehen, warum man die Ausdrücke von fide quae und fide qua, von der Rechtfertigung durch den Glauben correlative ad Christum, mißbilligen will, wenn man die dadurch ausgedrückte Sache versteht, und sie selbst nicht mißbilligt. – Selbst durch bestimmte Ausdrücke und Erklärungen der biblischen Begriffe, wird die Abhandlung der Sachen ungemein abgekürzt und unnöthige Untersuchung verhütet; wie man aus Vergleichung derjenigen Lehrbücher sehen kann, die aus der Lehre von den sogenannten drei Aemtern Christi, von Erleuchtung, Bekehrung, Buße, Wiedergeburt, Heiligung, mystischer Vereinigung u. dergl. besondere Artikel machen, wenn man sie mit andern vergleicht, wo sie zusammengenommen sind, weil man fand, daß ein und dieselbe Sache nur durch verschiedene Tropen ausgedrückt war, die alle durch Einen bestimmten Ausdruck vereinigt werden.
3) So wird man schwerlich den Zusammenhang zwischen Gottes höchster Seligkeit, Gütigkeit, Heiligkeit und Gerechtigkeit, wenigstens schwerlich ohne Weitläufigkeit, populär zeigen können. Aber man nehme die vorher wohl erklärte Terminologie vom bono physico und morali zu Hülfe, und denke sich die Sache so: Gott will allezeit was bonum (oder vielmehr optimum) ist, bei sich und bei Andern; das bonum aber ist entweder physicum oder morale; folglich will Gott aufs höchste 1) das bonum physicum bei sich, 2) das bonum morale bei sich, 3) das bonum physicum bei Andern, und 4) das bonum morale bei Andern (es versteht sich, die dessen fähig sind). Was ist das Erste anders, als die höchste Seligkeit, das Zweite |c219| die höchste Heiligkeit, das Dritte die höchste Gütigkeit, das Vierte die höchste Gerechtigkeit? So fällt der Unterschied dieser Eigenschaften, der nothwendige Zusammenhang unter ihnen, und zugleich der wichtige Umstand in die Augen, daß Gottes Gerechtigkeit nichts anders als seine höchste Gütigkeit sei, so fern sie das bonum morale bei freien Geschöpfen als Mittel zu deren bono physico will. Wenn auch nichts als dieser allein würdige Begriff von Gottes Gerechtigkeit durch diese Terminologie gewonnen, wenigstens mehr ins Klare gebracht würde: zu wie viel herrlichen Folgen würde diese führen, sowohl uns über unser Schicksal zu beruhigen, als uns Gottes Gesetze werth, und uns zu ihrer Befolgung willig zu machen? welches bei dem gewöhnlichern Begriff von Gottes Gerechtigkeit, die man als abgesondert von der Liebe, oder als ihr entgegengesetzt denkt, gar nicht zu erhalten ist.
173.
Die Beschwerden, welche man schon längst gegen den Gebrauch der gelehrteren Sprache in der Theologie, wie gegen den gelehrteren Vortrag des Christenthums überhaupt, erhoben hat, rührten freilich wohl am meisten von der Besorgniß her, daß dadurch das Christenthum zu sehr eine Sache des Verstandes, und zu wenig Sache des Herzens werden möchte, daher sie auch häufig, wie die Geschichte der Kirche in allen Zeiträumen lehrt, gerade von denen erhoben sind, denen das Praktische in der Religion Hauptsache war, und am meisten am Herzen lag. Man darf von der Billigkeit dieser Gegner erwarten , daß sie milder geurtheilt haben würden, wenn sie mehr Bekanntschaft mit der Gelehrsamkeit, sonderlich der Philosophie und ihrem Werth, gehabt, mehr diese gelehrte Sprache und die dadurch bezeichneten Sachen verstanden, mehr aus eigner Uebung im Nachdenken über die Lehren des Christenthums und ihre Verbin|c220|dung unter einander, die großen Vortheile der philosophischen Behandlung dieser Lehren, auch in Absicht auf den Ausdruck, gekannt hätten. Diese letzteren Ursachen, nebst dem Gefühl der Unschicklichkeit des Gebrauchs dieser Sprache und Lehrart in jeder Art des Vortrags, auch vor den Ungelehrten, mögen wohl bei Andern die Beschwerden darüber veranlaßt haben; und diese Klagen mußten nothwendig mehr Eindruck machen, nachdem man hauptsächlich zu unserer Zeit angefangen hatte, die Nothwendigkeit einer Absonderung des gelehrten und gemeinen Vortrags bei dem Christenthum einzusehen.Die Beschwerden, welche man schon längst gegen den Gebrauch der gelehrteren Sprache in der Theologie, wie gegen den gelehrteren Vortrag des Christenthums überhaupt, erhoben hat, rührten freilich wohl am meisten von der Besorgniß her, daß dadurch das Christenthum zu sehr eine Sache des Verstandes, und zu wenig Sache des Herzens werden möchte, daher sie auch häufig, wie die Geschichte der Kirche in allen Zeiträumen lehrt, gerade von denen erhoben sind, denen das Praktische in der Religion Hauptsache war, und am meisten am Herzen lag. Man darf von der Billigkeit dieser Gegner erwarten , daß sie milder geurtheilt haben würden, wenn sie mehr Bekanntschaft mit der Gelehrsamkeit, sonderlich der Philosophie und ihrem Werth, gehabt, mehr diese gelehrte Sprache und die dadurch bezeichneten Sachen verstanden, mehr aus eigner Uebung im Nachdenken über die Lehren des Christenthums und ihre Verbin|c220|dung unter einander, die großen Vortheile der philosophischen Behandlung dieser Lehren, auch in Absicht auf den Ausdruck, gekannt hätten. Diese letzteren Ursachen, nebst dem Gefühl der Unschicklichkeit des Gebrauchs dieser Sprache und Lehrart in jeder Art des Vortrags, auch vor den Ungelehrten, mögen wohl bei Andern die Beschwerden darüber veranlaßt haben; und diese Klagen mußten nothwendig mehr Eindruck machen, nachdem man hauptsächlich zu unserer Zeit angefangen hatte, die Nothwendigkeit einer Absonderung des gelehrten und gemeinen Vortrags bei dem Christenthum einzusehen.
Anm. Die Vernachlässigung des Volksunterrichts überhaupt; die bald unter den Christen eingerissene Gewohnheit, das Volk mehr durch Ansehen der Kirche, als durch verständliche Lehren und durch Ueberzeugung, zu regieren; und der größre Werth, den man, auch sehr frühzeitig unter Christen, auf Beobachtung äusserlicher Disciplin, mehr als auf wirkliche Erkenntniß des Christenthums, gelegt, mögen wohl am längsten, die Nothwendigkeit dieses Unterschieds einzusehen, verhindert haben. Da nun vollends das Ansehen der Kirche eine gewisse gelehrte Sprache im Christenthum geweiht, und auf die Nothwendigkeit, diese geweiheten Ausdrücke beizubehalten, eben so sehr, als auf den rechten Glauben selbst, gedrungen hatte: wie schwer mußte es da werden, diese Sprache, selbst wenn sie unbequem, wenn sie am unrechten Orte, bei dem Volke, gebräuchlich war, mit einer schicklichern zu vertauschen?
174.
Diese eingesehene Nothwendigkeit hat den Unterschied zwischen der sogenannten scholastischen, akroamatischen oder gelehrten, und zwischen der populären oder katechetischen Theologie hervorgebracht, wel|c221|cher auf der Verschiedenheit des Vortrags der Religion beruht. – Jene ist für den Gelehrteren bestimmt. Sie braucht also alle Hülfsmittel der Gelehrsamkeit, die Lehren der heiligen Schrift, als solche, vorzulegen, und sie in einen Zusammenhang zu stellen, in welchem eine der andern noch mehr Licht und Stärke ertheilt. Sie arbeitet ganz eigentlich für den Verstand und für Deutlichkeit und Gründlichkeit der Erkenntniß, um durch eine solche Art der Ueberzeugung aufs Herz zu wirken. Sie erfordert deswegen auch eine strengere Lehrart, eine bestimmtere Sprache, und Untersuchungen, die zur weitern Aufklärung der Religion für den scharfsinnigern Denker gehören. – Diese hingegen, weil sie für den Ungelehrteren bestimmt ist, übergeht Alles, was ohne gelehrte Kenntniß nicht begreiflich gemacht werden kann; schränkt sich bloß darauf ein, aus den deutlichen Stellen der heiligen Schrift die Lehren vorzustellen, sie mehr aus der Erfahrung und aus Sätzen, die der gemeine Menschenverstand begreifen kann, als durch scharfsinnige Beweise und Erläuterungen einleuchtend zu machen, und, wo sie etwas nicht ohne alle Gelehrsamkeit deutlich machen kann, legt sie mehr das Resultat gelehrter Untersuchungen vor, als daß sie dergleichen selbst vor denen, die sie unterrichtet, anstellen sollte. Ihr Hauptzweck ist Faßlichkeit; und kann sie deutliche Vorstellungen der Lehren nicht faßlich machen, so begnügt sie sich, für die Einbildungskraft und den gemeinen Menschenverstand zu arbeiten, und dadurch den Lehren Eindruck aufs Herz zu geben. Sie enthält sich daher eben sowohl der gelehrteren Sprache, als aller Untersuchungen, die nicht nothwendig sind, um die Wahrheit und den Einfluß der Lehren auf die menschliche Glückseligkeit, auf die gedachte Art einleuchtend zu machen, und |c222| Zweifeln zuvor zu kommen, oder sie zu heben, auf die auch der nachdenkende Ungelehrte leicht gerathen kann. Kurz, beide Arten der Theologie sind nach ihrem Zweck verschieden, und nach der darnach sich richtenden Wahl der Sachen und der Art sie vorzutragen.Diese eingesehene Nothwendigkeit hat den Unterschied zwischen der sogenannten scholastischen, akroamatischen oder gelehrten, und zwischen der populären oder katechetischen Theologie hervorgebracht, wel|c221|cher auf der Verschiedenheit des Vortrags der Religion beruht. – Jene ist für den Gelehrteren bestimmt. Sie braucht also alle Hülfsmittel der Gelehrsamkeit, die Lehren der heiligen Schrift, als solche, vorzulegen, und sie in einen Zusammenhang zu stellen, in welchem eine der andern noch mehr Licht und Stärke ertheilt. Sie arbeitet ganz eigentlich für den Verstand und für Deutlichkeit und Gründlichkeit der Erkenntniß, um durch eine solche Art der Ueberzeugung aufs Herz zu wirken. Sie erfordert deswegen auch eine strengere Lehrart, eine bestimmtere Sprache, und Untersuchungen, die zur weitern Aufklärung der Religion für den scharfsinnigern Denker gehören. – Diese hingegen, weil sie für den Ungelehrteren bestimmt ist, übergeht Alles, was ohne gelehrte Kenntniß nicht begreiflich gemacht werden kann; schränkt sich bloß darauf ein, aus den deutlichen Stellen der heiligen Schrift die Lehren vorzustellen, sie mehr aus der Erfahrung und aus Sätzen, die der gemeine Menschenverstand begreifen kann, als durch scharfsinnige Beweise und Erläuterungen einleuchtend zu machen, und, wo sie etwas nicht ohne alle Gelehrsamkeit deutlich machen kann, legt sie mehr das Resultat gelehrter Untersuchungen vor, als daß sie dergleichen selbst vor denen, die sie unterrichtet, anstellen sollte. Ihr Hauptzweck ist Faßlichkeit; und kann sie deutliche Vorstellungen der Lehren nicht faßlich machen, so begnügt sie sich, für die Einbildungskraft und den gemeinen Menschenverstand zu arbeiten, und dadurch den Lehren Eindruck aufs Herz zu geben. Sie enthält sich daher eben sowohl der gelehrteren Sprache, als aller Untersuchungen, die nicht nothwendig sind, um die Wahrheit und den Einfluß der Lehren auf die menschliche Glückseligkeit, auf die gedachte Art einleuchtend zu machen, und |c222| Zweifeln zuvor zu kommen, oder sie zu heben, auf die auch der nachdenkende Ungelehrte leicht gerathen kann. Kurz, beide Arten der Theologie sind nach ihrem Zweck verschieden, und nach der darnach sich richtenden Wahl der Sachen und der Art sie vorzutragen.
Anm. 1) So, scheint es, könnte man die Gränzen am richtigsten bestimmen, ob sie gleich gemeiniglich nicht ganz, weder im mündlichen noch schriftlichen Vortrage beobachtet werden, auch es nicht immer können, weil man bei beiderlei Vortrag sehr oft Leser und Zuhörer von überaus verschiedenen Fähigkeiten und Kenntnissen in Absicht auf Gelehrsamkeit hat. Doch noch eher kann man sich in Schriften eine gewisse Klasse von Lesern denken, für die man arbeiten will, und, da man unter den sehr weit ausgedehnten Namen der Ungelehrten, eben sowohl Leser von ganz gemeinen Fähigkeiten, als solche begreifen kann, die höhere Fähigkeiten, und die sie, wo nicht durch hierher gehörige Lektüre, doch durch Nachdenken und Uebung in scharfsinnigen Untersuchungen, gebildet haben: so ist es sehr gut, für beiderlei Arten von sogenannten Ungelehrten durch besondere, nach ihren verschiedenen Bedürfnissen eingerichtete, Schriften zu sorgen. Man findet die besseren in der Anweisung zur Kenntniß der besten theologischen Bücher §. 228–230. erwähnt. Zu der letztern Art gehören vorzüglich: das Handbuch der Religion von Joh. Aug. Hermes, zweite vermehrte Ausgabe, Berlin 1780. in zwei Bänden, gr. 8.; und Johann Christoph Döderlein's christlicher Religionsunterricht nach den Bedürfnissen unserer Zeit, wovon zu Nürnberg 1785–1791. zeither erst fünf Theile in 8. erschienen sind; so wie Joh. Jak. Griesbach's Anleitung zum Studium der populären Dogmatik, zweite Ausgabe, Jena 1786. gr. 8., und A. H. Niemeyer's populäre und praktische Theologie, 5te Auflage, Halle 1805., verbunden mit Desselben Briefen an christliche Religionslehrer, als eine Art von Commentar über einzelne Materien, 1ster und 2ter Theil.
|c223| 2) Der Name der scholastischen Theologie ist daher entstanden, daß die Scholastiker der mitlern Zeit vorzüglich diese Vortragsart in Vorstellung der Theologie gebraucht haben; und der Name der akroamatischen ist aus der Schule des Aristoteles entlehnt; s. Gellii noctes Att. XX. 5. Katechetische Theologie bezeichnet die Materialien des ersten Religionsunterrichts für Anfänger, und ist nicht mit der Katechetik, oder der Anweisung zu dem Vortrage derselben zu verwechseln.
175.
Es ist ganz unnütz, über den Vorzug der einen Art vor der andern streiten zu wollen, welches Niemand in den Sinn kommen kann, der den wahren Zweck beider Arten kennt, und nicht aus Unwissenheit, aus Verwechslung zufälliger und nothwendiger Fehler, oder aus Vorliebe zu Einer Art, die seinen Fähigkeiten und Umständen angemessener ist, gegen die Vortheile der andern ungerecht wird. Die populäre Theologie ist unstreitig gemeinnütziger, und für die allermeisten zugänglicher; es ist auch nichts weniger als leicht, sich selbst zu den gemeinsten Fähigkeiten herabzulassen; es muß dem noch schwerer werden, der sich bei Treibung der Wissenschaften an die gelehrtere Art gewöhnt hat. Daher bleibt es eine sehr wichtige Pflicht für den künftigen Lehrer des Volks, sich ja mit dem ersinnlichsten Fleiß zu üben, um diese wirklich seltene Fertigkeit zu erlangen, sich die Lehren der Religion so zu denken, und sie so vorzutragen, wie es der Zweck der populären Theologie erfordert.Es ist ganz unnütz, über den Vorzug der einen Art vor der andern streiten zu wollen, welches Niemand in den Sinn kommen kann, der den wahren Zweck beider Arten kennt, und nicht aus Unwissenheit, aus Verwechslung zufälliger und nothwendiger Fehler, oder aus Vorliebe zu Einer Art, die seinen Fähigkeiten und Umständen angemessener ist, gegen die Vortheile der andern ungerecht wird. Die populäre Theologie ist unstreitig gemeinnütziger, und für die allermeisten zugänglicher; es ist auch nichts weniger als leicht, sich selbst zu den gemeinsten Fähigkeiten herabzulassen; es muß dem noch schwerer werden, der sich bei Treibung der Wissenschaften an die gelehrtere Art gewöhnt hat. Daher bleibt es eine sehr wichtige Pflicht für den künftigen Lehrer des Volks, sich ja mit dem ersinnlichsten Fleiß zu üben, um diese wirklich seltene Fertigkeit zu erlangen, sich die Lehren der Religion so zu denken, und sie so vorzutragen, wie es der Zweck der populären Theologie erfordert.
176.
Auf der andern Seite ist die
scholastische, so wie sie vorhin beschrieben wurde (§.
174. ), in ihrer Art eben so nothwendig:
erstlich, weil es eben sowohl scharfsinnige
|c224| Köpfe giebt, die anders als durch eigentlich deutliche Gründe nicht können befriedigt, und gegen Zweifel bewaffnet, oder davon befreiet werden, die auch nicht auf menschliches Ansehen und bloße Versicherung glauben, so lange die Natur der Sache erlaubt, deutliche Gründe für solche Versicherungen anzugeben;
dann, weil eine recht überzeugende Kenntniß vom Christenthum doch nicht ohne alle gelehrte Kenntnisse möglich ist.
*) Auf der andern Seite ist die
scholastische, so wie sie vorhin beschrieben wurde (§.
174. ), in ihrer Art eben so nothwendig:
erstlich, weil es eben sowohl scharfsinnige
|c224| Köpfe giebt, die anders als durch eigentlich deutliche Gründe nicht können befriedigt, und gegen Zweifel bewaffnet, oder davon befreiet werden, die auch nicht auf menschliches Ansehen und bloße Versicherung glauben, so lange die Natur der Sache erlaubt, deutliche Gründe für solche Versicherungen anzugeben;
dann, weil eine recht überzeugende Kenntniß vom Christenthum doch nicht ohne alle gelehrte Kenntnisse möglich ist.
*)
Anm. *) Schon zur eigenen Ueberzeugung, daß 1) etwas der heiligen Schrift gemäß sei, gehört Kenntniß ihres Sinnes; und Ueberzeugung von dessen Richtigkeit erfordert Sprach- und andere gelehrte Kenntnisse. 2) Eben so kann ohne alle Kenntniß von Geschichte und Philosophie nicht die Glaubwürdigkeit und Göttlichkeit der heiligen Schrift oder ihres Inhalts überzeugend und zur Wegräumung aller Zweifel dagegen eingesehen werden. Und ist jemand 3) in solchen Umständen, wo er Religionsvorstellungen verschiedener Menschen oder Parteien vergleichen muß, z. B. wenn er Religionsschriften von verschieden Denkenden gelesen hat, oder unter Leuten lebt, die ihn durch scheinbare Gründe zu ihrer Partei zu bringen suchen: so kann er wenigstens ohne alle historische Kenntnisse schwerlich, was das Beste sei, beurtheilen. – Wahr ists, wer sich geradezu an die wesentlichen Lehren des Christenthums hält, und sie durch die Erfahrung zu seiner Besserung und Gemüthsruhe bewährt findet, kann immer sicher genug seyn, daß er in der Hauptsache nicht fehlen werde; und was er ja von gelehrten Kenntnissen braucht, kann er bei Gelehrtern erfragen, wo alsdann der nothwendige Glaube an ihre Einsicht die Stelle des Beweises und der eigenen Ueberzeugung vertritt. Allein erstlich ist es doch ganz etwas anders, wenn man von etwas überzeugt, d. i. aus eigener Kenntniß und Untersuchung davon gewiß ist, und wenn man etwas auf Glauben an dasjenige annimmt, was |c225| andere Menschen wissen, oder zu wissen meinen; und es kann Fälle geben, wo ein Satz so wichtig ist, und die Zweifel dagegen so stark sind, daß man sich nicht damit begnügen kann, auf bloßes Ansehen anderer Menschen zu bauen, zumal wenn diese ganz verschiedene Einsichten äußern, und ihr Ansehen in solchen Sachen gleich groß scheint. Nächstdem ist zwar jener Weg der Erfahrung vollkommen sicher (Joh. 7, 17.), in solchen Sachen, welche durch die Erfahrung können erkannt und dadurch bestätigt werden, auch hinlänglich, wenn man bloß auf die Hauptsache des Christenthums sieht. Aber wie, wenn die Frage von Dingen ist, wo Erfahrung nichts entscheiden kann, z. B. über die Glaubwürdigkeit der Evangelisten, und die Echtheit der biblischen Bücher? oder, wo zur besondern Ueberzeugung, und sonderlich bei sehr scheinbaren Zweifeln, viel daran liegt, auch von gewissen Lehren überzeugt zu werden, die eigentlich zur Hauptsache des Christenthums nicht gehören?
177.
Für solche zu schärferem Nachdenken aufgelegte, daher auch mehr dem Zweifeln ausgesetzte, zumal durch gelehrte Lektüre gebildete, oder in Verlegenheit gesetzte Christen, ist gelehrte Kenntniß des Christenthums, und desjenigen, was dazu gehört, sehr nützlich, ja unter gewissen (am Ende der Anmerkung zum vorigen §. berührten) Umständen sogar eigentliches Bedürfniß. Ein Lehrer der Religion aber bedarf dieser gelehrteren Kenntniß eben so sehr, und überhaupt noch mehr, als andere Christen. Denn wenn er, nach seinem Beruf, für Andere denken, und untersuchen, und denen, die ihm anvertraut sind, in aller Verlegenheit, welche die Religion angeht, zu Hülfe kommen soll: so kann er, in Absicht auf nachdenkende und untersuchende Christen, solche Kenntnisse schlechterdings nicht entbehren, und, wenn sie nicht durch blinden Glauben geleitet werden sollen oder |c226| können, so muß er ihnen deutliche Rechenschaft geben, oder, wo er diese ihnen nicht geben kann, weil es ihnen an Fähigkeiten oder gelehrten Vorerkenntnissen mangelt, so muß er wenigstens sich alles nöthige Vertrauen auf seine vollkommneren Einsichten erwerben, damit dieses Vertrauen bei ihnen den Abgang der Ueberzeugung ersetzen könne; wie kann er sich aber dieses bei Verständigern erwerben, wenn er nur eine gemeine Erkenntniß der Religion hat? – Bedürft' er aber auch dazu der gelehrten Kenntniß nicht, so hätte er sie zu seiner eigenen Ueberzeugung nöthig, wozu er viel mehreres und dieß viel gründlicher wissen muß, als er es zum bloßen Vortrag vor Andern nöthig hat. Es ist daher die Pflicht eines jeden gewissenhaften Lehrers der Religion, der sich selbst und Andern ein Genüge thun will, sich mit der gelehrtern Theologie bekannt zu machen, und durch alle ihm mögliche Hülfsmittel auch auf eine gelehrte Art von der Religion zu überzeugen; er müßte denn so wenig natürliche Fähigkeiten dazu haben, daß er sich dergleichen Kenntnisse nicht erwerben könnte, oder gewiß seyn, er würde bloß mit Zuhörern von zu geringen Fähigkeiten zu thun haben, als daß er sich auch diese zu erwerben brauchte. Dieses ist nicht zu erwarten, und jenes nicht zu wünschen; auch würde es ihm keinen Beruf geben, einen Lehrer vorstellen zu wollen, außer bei bloß einfältigen und Alles mit blindem Glauben annehmenden Zuhörern, und nur dann, wenn keine geschickteren Lehrer, als er selbst, vorhanden wären.Für solche zu schärferem Nachdenken aufgelegte, daher auch mehr dem Zweifeln ausgesetzte, zumal durch gelehrte Lektüre gebildete, oder in Verlegenheit gesetzte Christen, ist gelehrte Kenntniß des Christenthums, und desjenigen, was dazu gehört, sehr nützlich, ja unter gewissen (am Ende der Anmerkung zum vorigen §. berührten) Umständen sogar eigentliches Bedürfniß. Ein Lehrer der Religion aber bedarf dieser gelehrteren Kenntniß eben so sehr, und überhaupt noch mehr, als andere Christen. Denn wenn er, nach seinem Beruf, für Andere denken, und untersuchen, und denen, die ihm anvertraut sind, in aller Verlegenheit, welche die Religion angeht, zu Hülfe kommen soll: so kann er, in Absicht auf nachdenkende und untersuchende Christen, solche Kenntnisse schlechterdings nicht entbehren, und, wenn sie nicht durch blinden Glauben geleitet werden sollen oder |c226| können, so muß er ihnen deutliche Rechenschaft geben, oder, wo er diese ihnen nicht geben kann, weil es ihnen an Fähigkeiten oder gelehrten Vorerkenntnissen mangelt, so muß er wenigstens sich alles nöthige Vertrauen auf seine vollkommneren Einsichten erwerben, damit dieses Vertrauen bei ihnen den Abgang der Ueberzeugung ersetzen könne; wie kann er sich aber dieses bei Verständigern erwerben, wenn er nur eine gemeine Erkenntniß der Religion hat? – Bedürft' er aber auch dazu der gelehrten Kenntniß nicht, so hätte er sie zu seiner eigenen Ueberzeugung nöthig, wozu er viel mehreres und dieß viel gründlicher wissen muß, als er es zum bloßen Vortrag vor Andern nöthig hat. Es ist daher die Pflicht eines jeden gewissenhaften Lehrers der Religion, der sich selbst und Andern ein Genüge thun will, sich mit der gelehrtern Theologie bekannt zu machen, und durch alle ihm mögliche Hülfsmittel auch auf eine gelehrte Art von der Religion zu überzeugen; er müßte denn so wenig natürliche Fähigkeiten dazu haben, daß er sich dergleichen Kenntnisse nicht erwerben könnte, oder gewiß seyn, er würde bloß mit Zuhörern von zu geringen Fähigkeiten zu thun haben, als daß er sich auch diese zu erwerben brauchte. Dieses ist nicht zu erwarten, und jenes nicht zu wünschen; auch würde es ihm keinen Beruf geben, einen Lehrer vorstellen zu wollen, außer bei bloß einfältigen und Alles mit blindem Glauben annehmenden Zuhörern, und nur dann, wenn keine geschickteren Lehrer, als er selbst, vorhanden wären.
Anm. Nach dem, was hier gesagt ist, bedarf es keiner Widerlegung der Ausflucht: daß der Lehrer nur
Volkslehrer seyn dürfe, nur
Religion und nicht
Theologie vorzutragen, und überall keine Gelehrsamkeit auf
|c227| die Kanzel zu bringen habe; zumal wenn man das vergleicht, was darüber schon anderwärts, sonderlich Theil 1. §.
33 –
40. Theil 2. §.
8 f. und
138 f. gesagt worden ist. – Uebrigens versteht sichs von selbst, wenn man den angegebenen Zweck erwägt, warum man sich mit
dieser gelehrten Theologie bekannt machen müsse, daß man sie nicht in ihrem weitesten Umfange zu lernen nöthig habe, der ohnehin ins Unendliche geht, weil immer neue Fragen aufgeworfen werden können, und darüber immer vielerlei Meinungen herrschen, und vielerlei Erläuterungen Statt finden werden. Es ist genug, so viel von dieser gelehrten Theologie zu wissen, als zur gründlichen Ueberzeugung seiner selbst und Anderer in solchen Sachen dient, die das praktische Christenthum (§.
169. Anm.) betreffen, und mit diesem näher zusammenhängen. In Absicht auf Kenntnisse, die erst durch besondere Umstände und individuelle Bedürfnisse nothwendig werden, kann der eigene Fleiß noch immer viel nachholen, wenn man nur erst die nothwendigsten gelehrten Kenntnisse hat, und eine hinlängliche Bücherkenntniß besitzt, um zu wissen, woraus man, bedürfenden Falls, seine Kenntnisse erweitern könne.
178.
Die von Einigen immer wieder erneuerten Vorwürfe gegen die gelehrtere Theologie, sind überhaupt schon durch das weggeräumt, was bisher für den Nutzen und die Nothwendigkeit der systematischen Theologie und der sogenannten Schulsprache gesagt worden ist (§.
142 f. und §.
171 f.), ob sie gleich noch die ehemaligen und zum Theil manche jetzige Systeme treffen. Wer sie aber gegen gelehrte Theologie überhaupt gebrauchen, deswegen das Studium derselben widerrathen, und bloß populäre Theologie zu treiben empfehlen wollte, der würde entweder verrathen, daß er die jetzige sich immer mehr ausbreitende Art, sie zu behandeln,
|c228| nicht erkennte oder nicht kennen wollte, oder sich, in seinen Beschuldigungen und Forderungen, der Ungerechtigkeit schuldig machen. Denn alle angebliche Fehler der gelehrten Theologie sind
entweder bloß zufällig,
oder es sind keine Fehler. – Man hat jene in unserer Zeit schon längst zu bessern angefangen, unnütze Untersuchungen weggelassen, und wichtigere, nach unsern Zeitbedürfnissen, aufgenommen. Man hat durch bessere Auslegung der heiligen Schrift und durch bestimmtere Erklärungen der Sachen eine große Menge von Zweifeln und Streitigkeiten abgeschnitten. Man erinnert bei dem, was zur historischen Kenntniß verschiedener Vorstellungen gesagt werden muß, daß es nur zu
diesem Zweck gesagt werde, und wie weit es höchstens noch gekannt zu werden verdiene. Man bestimmt bei dem, was allerdings gelehrte Untersuchungen erfordert, wie fern es nöthig, und warum es nicht in den Unterricht des Volks zu bringen, sondern zu seiner eigenen Ueberzeugung und zur Befriedigung nachdenkender Christen mit Weisheit zu brauchen sei. Man bedient sich einer gelehrten Sprache, aber einer verbesserten, und nicht allein der gelehrten Sprache, und nur da, wo sie, nach den oben erwähnten Umständen (§.
172. ) nützlich oder gar nothwendig ist. Andere gelehrte Theologen, wie
Griesbach, Henke u. a., haben selbst angefangen, auf Universitäten eine populäre Theologie, außer der gelehrtern, vorzutragen. Wenn von allem diesem noch nicht genug, noch nicht überall geschehen ist, so ist zu hoffen, daß die Nachwelt noch mehr thun werde. Was bereits geschehen ist, beweiset doch wenigstens, daß viele, und daß die am meisten auffallenden Fehler nicht von der gelehrten Theologie unzertrennlich sind.Die von Einigen immer wieder erneuerten Vorwürfe gegen die gelehrtere Theologie, sind überhaupt schon durch das weggeräumt, was bisher für den Nutzen und die Nothwendigkeit der systematischen Theologie und der sogenannten Schulsprache gesagt worden ist (§.
142 f. und §.
171 f.), ob sie gleich noch die ehemaligen und zum Theil manche jetzige Systeme treffen. Wer sie aber gegen gelehrte Theologie überhaupt gebrauchen, deswegen das Studium derselben widerrathen, und bloß populäre Theologie zu treiben empfehlen wollte, der würde entweder verrathen, daß er die jetzige sich immer mehr ausbreitende Art, sie zu behandeln,
|c228| nicht erkennte oder nicht kennen wollte, oder sich, in seinen Beschuldigungen und Forderungen, der Ungerechtigkeit schuldig machen. Denn alle angebliche Fehler der gelehrten Theologie sind
entweder bloß zufällig,
oder es sind keine Fehler. – Man hat jene in unserer Zeit schon längst zu bessern angefangen, unnütze Untersuchungen weggelassen, und wichtigere, nach unsern Zeitbedürfnissen, aufgenommen. Man hat durch bessere Auslegung der heiligen Schrift und durch bestimmtere Erklärungen der Sachen eine große Menge von Zweifeln und Streitigkeiten abgeschnitten. Man erinnert bei dem, was zur historischen Kenntniß verschiedener Vorstellungen gesagt werden muß, daß es nur zu
diesem Zweck gesagt werde, und wie weit es höchstens noch gekannt zu werden verdiene. Man bestimmt bei dem, was allerdings gelehrte Untersuchungen erfordert, wie fern es nöthig, und warum es nicht in den Unterricht des Volks zu bringen, sondern zu seiner eigenen Ueberzeugung und zur Befriedigung nachdenkender Christen mit Weisheit zu brauchen sei. Man bedient sich einer gelehrten Sprache, aber einer verbesserten, und nicht allein der gelehrten Sprache, und nur da, wo sie, nach den oben erwähnten Umständen (§.
172. ) nützlich oder gar nothwendig ist. Andere gelehrte Theologen, wie
Griesbach, Henke u. a., haben selbst angefangen, auf Universitäten eine populäre Theologie, außer der gelehrtern, vorzutragen. Wenn von allem diesem noch nicht genug, noch nicht überall geschehen ist, so ist zu hoffen, daß die Nachwelt noch mehr thun werde. Was bereits geschehen ist, beweiset doch wenigstens, daß viele, und daß die am meisten auffallenden Fehler nicht von der gelehrten Theologie unzertrennlich sind.
|c229| 179.
Aber die
Gegner der
gelehrten Theologie
übertreiben auch oft ihre Forderungen. – Universitäten sind nicht für Schulmeister angelegt, sondern zur Bildung künftiger Gelehrten, und wenn nicht
da für Letztere, auch in der Religion, gearbeitet werden soll, wo sollen sie dann gebildet, oder soll in der Religion wohl gar nur für den großen Haufen, nicht eben so sehr für denkendere Christen, gearbeitet werden? – Soll man den Hauptzweck der Wissenschaften, ausgebreitetere Kenntnisse und gründliche Ueberzeugung, bei Seite setzen, um nur für das Volk, das ohnehin nur einen sehr eingeschränkten Unterricht gebraucht, zu sorgen? bei der Physik nichts vortragen, als was der Kinderlehrer auch den Kindern, der Landprediger dem Landmann sagen kann? bei der Erklärung der heiligen Schrift nur auf gemeine Erbauung, nicht auf überzeugende Darstellung ihres Sinnes sehen? den Wißbegierigen, der Unterhaltung für den Verstand sucht, mit den gemeinsten Kenntnissen ermüden? oder den künftigen Lehrer gar die Form und Einkleidung der Sachen vorsagen, daß er nur nachschreiben und nachsprechen dürfe? – Wer so wenig Fähigkeiten hat, und nicht einmal so viel eigenen Fleiß anwendet, daß er den von Andern empfangenen Unterricht nach seiner eigenen Art zu denken umändern, vor seine eigene Ueberzeugung bringen, in seine eigene Sprache verwandeln, Andern nach ihren Bedürfnissen mittheilen, und was für Einen, nicht für den Andern gehört, unterscheiden kann: der ist zum Lehrer Anderer verdorben, und wird Alles, was man ihm auch vorgesagt hat, niemals mit Weisheit und nach den besondern Bedürfnissen seinen Zuhörern vorzutragen wissen. Hat jemand aber diese Fähigkeit und diese Lust, sich selbst zum Lehrer zu bilden:
|c230| so gewöhne er sich nur, Alles, was er über die Religion hört, immer mit Rücksicht auf seine und Anderer Beruhigung und Besserung, zu betrachten; alsdann wird er bald selbst finden, was dazu etwas beitrage oder nicht, und worauf er sehen müsse, um dem Gelernten Eindruck für Verstand und Herz zu verschaffen; er nutze den Unterricht, den er in der Homiletik und Katechetik haben kann; er lese fleißig wahrhaftig populäre Schriften über die Religion, und lerne ihnen die Art des Vortrags ab; er übe sich in populären Aufsätzen und Vortrag, und lasse sie von Verständigern und Geübtern streng beurtheilen. Alsdann hat er gar nicht nöthig, sich die Sachen, von denen er zum Volk reden, oder gar die Einkleidung vorsagen zu lassen, in der er sie vortragen soll.Aber die
Gegner der
gelehrten Theologie
übertreiben auch oft ihre Forderungen. – Universitäten sind nicht für Schulmeister angelegt, sondern zur Bildung künftiger Gelehrten, und wenn nicht
da für Letztere, auch in der Religion, gearbeitet werden soll, wo sollen sie dann gebildet, oder soll in der Religion wohl gar nur für den großen Haufen, nicht eben so sehr für denkendere Christen, gearbeitet werden? – Soll man den Hauptzweck der Wissenschaften, ausgebreitetere Kenntnisse und gründliche Ueberzeugung, bei Seite setzen, um nur für das Volk, das ohnehin nur einen sehr eingeschränkten Unterricht gebraucht, zu sorgen? bei der Physik nichts vortragen, als was der Kinderlehrer auch den Kindern, der Landprediger dem Landmann sagen kann? bei der Erklärung der heiligen Schrift nur auf gemeine Erbauung, nicht auf überzeugende Darstellung ihres Sinnes sehen? den Wißbegierigen, der Unterhaltung für den Verstand sucht, mit den gemeinsten Kenntnissen ermüden? oder den künftigen Lehrer gar die Form und Einkleidung der Sachen vorsagen, daß er nur nachschreiben und nachsprechen dürfe? – Wer so wenig Fähigkeiten hat, und nicht einmal so viel eigenen Fleiß anwendet, daß er den von Andern empfangenen Unterricht nach seiner eigenen Art zu denken umändern, vor seine eigene Ueberzeugung bringen, in seine eigene Sprache verwandeln, Andern nach ihren Bedürfnissen mittheilen, und was für Einen, nicht für den Andern gehört, unterscheiden kann: der ist zum Lehrer Anderer verdorben, und wird Alles, was man ihm auch vorgesagt hat, niemals mit Weisheit und nach den besondern Bedürfnissen seinen Zuhörern vorzutragen wissen. Hat jemand aber diese Fähigkeit und diese Lust, sich selbst zum Lehrer zu bilden:
|c230| so gewöhne er sich nur, Alles, was er über die Religion hört, immer mit Rücksicht auf seine und Anderer Beruhigung und Besserung, zu betrachten; alsdann wird er bald selbst finden, was dazu etwas beitrage oder nicht, und worauf er sehen müsse, um dem Gelernten Eindruck für Verstand und Herz zu verschaffen; er nutze den Unterricht, den er in der Homiletik und Katechetik haben kann; er lese fleißig wahrhaftig populäre Schriften über die Religion, und lerne ihnen die Art des Vortrags ab; er übe sich in populären Aufsätzen und Vortrag, und lasse sie von Verständigern und Geübtern streng beurtheilen. Alsdann hat er gar nicht nöthig, sich die Sachen, von denen er zum Volk reden, oder gar die Einkleidung vorsagen zu lassen, in der er sie vortragen soll.
180.
Man hat die gelehrte oder vielmehr scholastische Theologie auch noch durch eine andere Vergleichung um ihr Ansehen zu bringen gesucht, indem man ihr eine sogenannte biblische entgegengestellt hat. So schwankend die Begriffe von einer solchen biblischen Theologie zu seyn scheinen, so kommen doch die, welche sie jener entgegensetzen, darin überein, daß sie die Theologie lediglich aus der Bibel hergeleitet wissen wollen, und es mißbilligen, wenn man in die Theologie Sätze aufnimmt, die nicht in der heiligen Schrift stehen, oder nicht unmittelbar daraus, oder nicht aus bloßer Vergleichung der biblischen Sätze unter einander, fließen. Sie scheinen also unter scholastischer Theologie (oder, wie sie es bisweilen nennen, unter dem System), einen zusammenhängenden Inbegriff der (wahren oder vermeintlichen) Religionskenntnisse zu verstehen, sofern er nicht bloß auf die heil. Schrift, sondern auch auf natürlich be|c231|kannte Sätze gegründet wird. Die Abneigung von derselben scheint darauf zu beruhen, daß doch die heil. Schrift allein uns sichere Kenntniß von dem Christenthum gebe; daß die Lehren desselben über der Untersuchung natürlich bekannter Wahrheiten, oder daß die biblischen Beweise über den Beweisen aus der Vernunft zu sehr vernachlässigt, daß jene Lehren selbst durch Zusätze oder Erklärungen, über welche die heil. Schrift nichts entscheidet, sehr verstellt, oft wohl gar verdrängt worden; wiewohl auch ein Vorurtheil gegen Alles, was Gelehrsamkeit und besonders Philosophie heißt, und die Abneigung von dem System einer besondern Kirche, viel zu dieser Abneigung mit mag beigetragen haben.Man hat die gelehrte oder vielmehr scholastische Theologie auch noch durch eine andere Vergleichung um ihr Ansehen zu bringen gesucht, indem man ihr eine sogenannte biblische entgegengestellt hat. So schwankend die Begriffe von einer solchen biblischen Theologie zu seyn scheinen, so kommen doch die, welche sie jener entgegensetzen, darin überein, daß sie die Theologie lediglich aus der Bibel hergeleitet wissen wollen, und es mißbilligen, wenn man in die Theologie Sätze aufnimmt, die nicht in der heiligen Schrift stehen, oder nicht unmittelbar daraus, oder nicht aus bloßer Vergleichung der biblischen Sätze unter einander, fließen. Sie scheinen also unter scholastischer Theologie (oder, wie sie es bisweilen nennen, unter dem System), einen zusammenhängenden Inbegriff der (wahren oder vermeintlichen) Religionskenntnisse zu verstehen, sofern er nicht bloß auf die heil. Schrift, sondern auch auf natürlich be|c231|kannte Sätze gegründet wird. Die Abneigung von derselben scheint darauf zu beruhen, daß doch die heil. Schrift allein uns sichere Kenntniß von dem Christenthum gebe; daß die Lehren desselben über der Untersuchung natürlich bekannter Wahrheiten, oder daß die biblischen Beweise über den Beweisen aus der Vernunft zu sehr vernachlässigt, daß jene Lehren selbst durch Zusätze oder Erklärungen, über welche die heil. Schrift nichts entscheidet, sehr verstellt, oft wohl gar verdrängt worden; wiewohl auch ein Vorurtheil gegen Alles, was Gelehrsamkeit und besonders Philosophie heißt, und die Abneigung von dem System einer besondern Kirche, viel zu dieser Abneigung mit mag beigetragen haben.
181.
Es wird also bei Beurtheilung des Streites über den Vorzug der
biblischen vor der
scholastischen Theologie auf zwei Fragen ankommen: 1) ob es nothwendig schädlich, wenigstens unnöthig sei, in der Religion, wenigstens bei dem Christenthum, etwas auf natürlich bekannte Wahrheiten zu bauen? und 2) ob und wie fern die so eben erwähnte biblische Theologie jener vorzuziehen sei? Die
erste Frage ist für die Unschuld, den Nutzen, und in gewisser Weise Nothwendigkeit der sogenannten scholastischen und überhaupt gelehrten Theologie durch dasjenige hinlänglich entschieden, was darüber (§.
138 –
144. 176 und
177. [)] gesagt worden ist, wo immer mit auf den Gebrauch natürlich bekannter Sätze Rücksicht genommen wurde; und dieß kann zugleich die Einschränkungen lehren, unter welchen dieser Gebrauch gewiß nicht bloß unschädlich, sondern auch nothwendig ist. Die
zweite Frage läßt sich wohl am besten beantworten, wenn man die verschiedenen Vorschläge hört, wie eine
|c232| solche biblische Theologie beschaffen seyn oder ausgeführt werden soll.Es wird also bei Beurtheilung des Streites über den Vorzug der
biblischen vor der
scholastischen Theologie auf zwei Fragen ankommen: 1) ob es nothwendig schädlich, wenigstens unnöthig sei, in der Religion, wenigstens bei dem Christenthum, etwas auf natürlich bekannte Wahrheiten zu bauen? und 2) ob und wie fern die so eben erwähnte biblische Theologie jener vorzuziehen sei? Die
erste Frage ist für die Unschuld, den Nutzen, und in gewisser Weise Nothwendigkeit der sogenannten scholastischen und überhaupt gelehrten Theologie durch dasjenige hinlänglich entschieden, was darüber (§.
138 –
144. 176 und
177. [)] gesagt worden ist, wo immer mit auf den Gebrauch natürlich bekannter Sätze Rücksicht genommen wurde; und dieß kann zugleich die Einschränkungen lehren, unter welchen dieser Gebrauch gewiß nicht bloß unschädlich, sondern auch nothwendig ist. Die
zweite Frage läßt sich wohl am besten beantworten, wenn man die verschiedenen Vorschläge hört, wie eine
|c232| solche biblische Theologie beschaffen seyn oder ausgeführt werden soll.
182.
Alle diese Vorschläge scheinen auf zwei hinauszulaufen. Man empfiehlt entweder eine bloße Sammlung von Stellen der Bibel, die unter gewisse Hauptmaterien gebracht werden möchten, ohne alle Erklärung und nähere Bestimmung ihres Sinnes, so daß es jedem frei bleibe, sich das dabei zu denken, was ihm das Richtigste zu seyn scheint; oder man schlägt vor: bei jeder Lehre die davon handelnden Stellen der heiligen Schrift zum Grunde zu legen, sie sorgfältig zu erklären, bloß daraus unmittelbare Folgerungen zu ziehen, diese biblischen Aussprüche mit ihren nothwendigen Folgen unter einander zu vergleichen, und sie durch einander aufzuklären, weiter nicht, als so weit diese Sätze selbst oder deren unmittelbare Folgen leiten, hingegen alle Sätze für problematisch zu halten, die entweder auf Stellen, deren Sinn nicht ganz klar gemacht werden kann, oder auf Folgen beruhen, die nicht nothwendig aus den biblischen Sätzen fließen.Alle diese Vorschläge scheinen auf zwei hinauszulaufen. Man empfiehlt entweder eine bloße Sammlung von Stellen der Bibel, die unter gewisse Hauptmaterien gebracht werden möchten, ohne alle Erklärung und nähere Bestimmung ihres Sinnes, so daß es jedem frei bleibe, sich das dabei zu denken, was ihm das Richtigste zu seyn scheint; oder man schlägt vor: bei jeder Lehre die davon handelnden Stellen der heiligen Schrift zum Grunde zu legen, sie sorgfältig zu erklären, bloß daraus unmittelbare Folgerungen zu ziehen, diese biblischen Aussprüche mit ihren nothwendigen Folgen unter einander zu vergleichen, und sie durch einander aufzuklären, weiter nicht, als so weit diese Sätze selbst oder deren unmittelbare Folgen leiten, hingegen alle Sätze für problematisch zu halten, die entweder auf Stellen, deren Sinn nicht ganz klar gemacht werden kann, oder auf Folgen beruhen, die nicht nothwendig aus den biblischen Sätzen fließen.
183.
Der erstere Vorschlag mag bei Friedensformeln gut seyn, wo man Personen oder Parteien, die über die Lehren des Christenthums sehr verschieden denken, doch in den nothwendigsten und unstreitigen Lehren vereinigen will; und dieses scheinen diejenigen zu bezwecken, die auf ein sogenanntes Universal- oder Urchristenthum dringen. Aber außerdem, daß eine solche Sammlung ein bloßes Spruchbuch, und kein Lehrbuch seyn würde, so kann 1) ein jeder eben sowohl ganz falsche als wahre Vorstellungen damit verbinden, wie man aus dem |c233| Katechismus der Quäcker, einigen Aufsätzen der Socinianer u. a. weiß; und, wenn es nicht gleichgültig für das Christenthum ist, falsche Vorstellungen davon zu verhüten: so kann es auch nicht gleichgültig seyn, jedem bloß dergleichen Text in die Hände zu geben. Ueberdieß kann man 2) durch eine solche bloße Sammlung sogar den Lesern Irrthümer in die Hände spielen, wenn man den Text so wählt, daß man das übergeht, was man nicht will zum Christenthum gerechnet haben, und wenn man die Stellen so stellt und verbindet, daß eine auf die andere ein falsches Licht, eben vermittelst des gemachten Zusammenhangs, wirft; nicht zu gedenken, daß 3) wenn nicht vorher ausgemacht ist, ob und welche Sätze der Bibel bloß auf gewisse Leser, z. B. der damaligen Zeit, gehen, oder gar nur Vorstellungen enthalten, die Jesus und seine Apostel mehr stehen ließen als billigten, oder wohl gar aus einem gewissen Sprachgebrauch beibehielten, ohne damit eben dieselben irrigen Begriffe zu verbinden, welche die damaligen Zuhörer damit verbanden; daß alsdann sogar Sätze für biblisch gehalten werden, die zwar in der Bibel stehen, aber keineswegs in dem Sinn, wie sie die Stifter der christlichen Religion nahmen. Es ist daher ein solch reinbiblisches Christenthum, das Viele vorgeben, eine sehr zweideutige Sache; und wie oft durch das Vorgeben, sich allein an die Bibel und an die ganze Bibel zu halten, Andern Staub in die Augen gestreuet worden sei, ist so bekannt, daß es keiner besondern Beispiele bedarf.Der erstere Vorschlag mag bei Friedensformeln gut seyn, wo man Personen oder Parteien, die über die Lehren des Christenthums sehr verschieden denken, doch in den nothwendigsten und unstreitigen Lehren vereinigen will; und dieses scheinen diejenigen zu bezwecken, die auf ein sogenanntes Universal- oder Urchristenthum dringen. Aber außerdem, daß eine solche Sammlung ein bloßes Spruchbuch, und kein Lehrbuch seyn würde, so kann 1) ein jeder eben sowohl ganz falsche als wahre Vorstellungen damit verbinden, wie man aus dem |c233| Katechismus der Quäcker, einigen Aufsätzen der Socinianer u. a. weiß; und, wenn es nicht gleichgültig für das Christenthum ist, falsche Vorstellungen davon zu verhüten: so kann es auch nicht gleichgültig seyn, jedem bloß dergleichen Text in die Hände zu geben. Ueberdieß kann man 2) durch eine solche bloße Sammlung sogar den Lesern Irrthümer in die Hände spielen, wenn man den Text so wählt, daß man das übergeht, was man nicht will zum Christenthum gerechnet haben, und wenn man die Stellen so stellt und verbindet, daß eine auf die andere ein falsches Licht, eben vermittelst des gemachten Zusammenhangs, wirft; nicht zu gedenken, daß 3) wenn nicht vorher ausgemacht ist, ob und welche Sätze der Bibel bloß auf gewisse Leser, z. B. der damaligen Zeit, gehen, oder gar nur Vorstellungen enthalten, die Jesus und seine Apostel mehr stehen ließen als billigten, oder wohl gar aus einem gewissen Sprachgebrauch beibehielten, ohne damit eben dieselben irrigen Begriffe zu verbinden, welche die damaligen Zuhörer damit verbanden; daß alsdann sogar Sätze für biblisch gehalten werden, die zwar in der Bibel stehen, aber keineswegs in dem Sinn, wie sie die Stifter der christlichen Religion nahmen. Es ist daher ein solch reinbiblisches Christenthum, das Viele vorgeben, eine sehr zweideutige Sache; und wie oft durch das Vorgeben, sich allein an die Bibel und an die ganze Bibel zu halten, Andern Staub in die Augen gestreuet worden sei, ist so bekannt, daß es keiner besondern Beispiele bedarf.
184.
Die
zweite Art, biblische Theologie abzuhandeln, kommt mit der oben (§.
145 f.) beschriebenen besten Einrichtung der systematischen, wovon die gelehrte oder scholastische nur
|c234| eine besondere Art ist, darin überein, daß sie die Lehren auf Erklärung der Schriftstellen und Vergleichung ihres Inhalts unter einander gründet; nur darin geht sie, wenn man sie der scholastischen entgegengesetzt, von ihr ab, daß sie nicht auch bloß natürlich bekannte Sätze mit denen aus der Bibel gezogenen verbindet.
1) 1) In jener Rücksicht beruht der Unterschied bloß auf der Methode, so daß die
biblische von den Quellen zu den Lehren geht, die daraus fließen; die
scholastische aber – wenn sie nach den obigen Regeln eingerichtet ist – gleich die Resultate, und alsdann erst die Beweise aus der Bibel: ob man gleich in der Untersuchung selbst zu jenen durch diese gelangt war. Bei beiderlei Methoden hat man die Lehren auf einerlei Art
gefunden; sie werden nur den Lesern oder Zuhörern in verschiedener Ordnung
vorgelegt. Beiderlei Methoden haben ihre
Vorzüge. Die sogenannte
biblische nicht sowohl darin, daß man dabei viel mehr
auf die heilige Schrift sieht, aus ihr
lernt, anstatt schon vorgefaßte Meinungen darin erst zu
suchen – denn man kann ja auch schon bei Erklärungen der heiligen Schrift auf die Sätze hinblicken, die man für christliche Lehren hält, und danach, oft unvermerkt, jene erklären, – als vielmehr darin, daß sie den Zuhörern oder Lesern die rechte Art zeigt, wie sie selbst lernen sollen, aus der heiligen Schrift die christlichen Lehren herzuleiten. Aber sie hat die Unbequemlichkeit, a) daß die Lehren nur aus einzelnen Hauptstellen hergeleitet werden. Diese aber enthalten oft bloß einen meist ohnehin schon bekannten Satz, ohne den geringsten weitern Aufschluß darüber zu geben, sonderlich in moralischen oder solchen Stellen, die keine näher geoffenbarten Lehren vortragen; und, indem man sich an solche einzelne Stellen hält, vergißt man die Aufschlüsse, die uns
|c235| die Bibel nicht sowohl durch Wörter und ausdrückliche Sätze, als vielmehr durch erzählte Thaten, Einrichtungen des Vortrags, und unangezeigte Voraussetzungen giebt (s. §.
154. Anm. 1. und §.
153. Anm. 3.) Auch führt diese Methode b) zu gar zu grosser Weitläuftigkeit. Denn die meiste Zeit wird auf exegetische Untersuchungen verwendet, die man dem Ausleger überlassen könnte,
2) und dadurch wird der Zuhörer, der Resultate sucht, zerstreut; aus mehrern Stellen werden die nämlichen Sätze widerholt; und, da bei einzelnen Stellen die darin liegenden Sätze angegeben werden, so wird die allgemeine Uebersicht aller von Einer Sache redenden Stellen erschwert, oder man muß nachher wieder das vorlegen, was sie alle gemein haben, oder was nur einigen eigen ist.Die
zweite Art, biblische Theologie abzuhandeln, kommt mit der oben (§.
145 f.) beschriebenen besten Einrichtung der systematischen, wovon die gelehrte oder scholastische nur
|c234| eine besondere Art ist, darin überein, daß sie die Lehren auf Erklärung der Schriftstellen und Vergleichung ihres Inhalts unter einander gründet; nur darin geht sie, wenn man sie der scholastischen entgegengesetzt, von ihr ab, daß sie nicht auch bloß natürlich bekannte Sätze mit denen aus der Bibel gezogenen verbindet.
1) 1) In jener Rücksicht beruht der Unterschied bloß auf der Methode, so daß die
biblische von den Quellen zu den Lehren geht, die daraus fließen; die
scholastische aber – wenn sie nach den obigen Regeln eingerichtet ist – gleich die Resultate, und alsdann erst die Beweise aus der Bibel: ob man gleich in der Untersuchung selbst zu jenen durch diese gelangt war. Bei beiderlei Methoden hat man die Lehren auf einerlei Art
gefunden; sie werden nur den Lesern oder Zuhörern in verschiedener Ordnung
vorgelegt. Beiderlei Methoden haben ihre
Vorzüge. Die sogenannte
biblische nicht sowohl darin, daß man dabei viel mehr
auf die heilige Schrift sieht, aus ihr
lernt, anstatt schon vorgefaßte Meinungen darin erst zu
suchen – denn man kann ja auch schon bei Erklärungen der heiligen Schrift auf die Sätze hinblicken, die man für christliche Lehren hält, und danach, oft unvermerkt, jene erklären, – als vielmehr darin, daß sie den Zuhörern oder Lesern die rechte Art zeigt, wie sie selbst lernen sollen, aus der heiligen Schrift die christlichen Lehren herzuleiten. Aber sie hat die Unbequemlichkeit, a) daß die Lehren nur aus einzelnen Hauptstellen hergeleitet werden. Diese aber enthalten oft bloß einen meist ohnehin schon bekannten Satz, ohne den geringsten weitern Aufschluß darüber zu geben, sonderlich in moralischen oder solchen Stellen, die keine näher geoffenbarten Lehren vortragen; und, indem man sich an solche einzelne Stellen hält, vergißt man die Aufschlüsse, die uns
|c235| die Bibel nicht sowohl durch Wörter und ausdrückliche Sätze, als vielmehr durch erzählte Thaten, Einrichtungen des Vortrags, und unangezeigte Voraussetzungen giebt (s. §.
154. Anm. 1. und §.
153. Anm. 3.) Auch führt diese Methode b) zu gar zu grosser Weitläuftigkeit. Denn die meiste Zeit wird auf exegetische Untersuchungen verwendet, die man dem Ausleger überlassen könnte,
2) und dadurch wird der Zuhörer, der Resultate sucht, zerstreut; aus mehrern Stellen werden die nämlichen Sätze widerholt; und, da bei einzelnen Stellen die darin liegenden Sätze angegeben werden, so wird die allgemeine Uebersicht aller von Einer Sache redenden Stellen erschwert, oder man muß nachher wieder das vorlegen, was sie alle gemein haben, oder was nur einigen eigen ist.
Anm. 1) S. die in der Anweisung zur theologischen Bücherkenntniß §. 232. angeführten Schriftsteller. Doch haben diese oft nicht Umgang nehmen können, natürlich bekannte Sätze mit zu gebrauchen.
2) Wer als bloßer Ausleger handelt, also nur die Absicht hat, den Sinn der Schriftstellen zu finden, der wird sie im Zusammenhange, wo er sie lieset und erklärt, viel deutlicher verstehen, und den Verstand derselben darstellen können, als wer eine Schriftstelle zum dogmatischen Behuf aushebt, und den Zusammenhang nicht so ganz deutlich machen kann, wie er ihm war, wenn er sie in Verbindung des Ganzen las. Auch hat der bloße Ausleger gar kein dogmatisches Interesse, sieht also, was wirklich in der Stelle liegt, viel reiner und bestimmter, als wer sie in der Absicht lieset, sich daraus über ein Dogma zu unterrichten.
Zusatz. Es scheint mir doch, als habe der Verfasser den Begriff einer
biblischen Theologie zu einseitig aufgenommen, und ihr danach nicht volle Gerechtigkeit widerfahren lassen. Wenn nämlich bei ihrer Bearbeitung lediglich der Zweck im Auge behalten wird, das, was von Re
|c236|ligionsideen und Religionslehren erweißlich in den heiligen Schriften enthalten ist, zu ergründen, und zu zeigen, theils wie weit sie sich über gewisse Punkte ganz bestimmt erklären, oder etwas unbestimmt lassen, theils weil in ihnen selbst eine Verschiedenheit der Vorstellungsarten (
τρόπων παιδείας) Statt finden, so wird doch das Resultat von nicht geringer Wichtigkeit seyn. Denn es soll ja eine Lehre nicht aus
einer einzigen, sondern aus mehrern, ja aus
allen Stellen gezogen werden, welche davon handeln. So kann doch z. B. nur auf diesem Wege die Frage beantwortet werden, wie weit alle die in der Lehre von der
Dreieinigkeit im System enthaltenen Bestimmungen und Subtilitäten führen, in der heiligen Schrift
wörtlich oder
dem Sinne nach enthalten sind, oder was Zusatz der spätern Zeit und Erzeugniß einer über die Bibel hinaus philosophirenden Schultheologie ist. Hiermit möchte ich indeß nicht behaupten, daß in den bisherigen Bearbeitungen der
biblischen Theologie von
Hufnagel, Zachariä, Ammon, dieser Gesichtspunkt überall festgehalten sei.
D. H.
185.
Warum sollen nun aber 2) von der christlichen Theologie alle Sätze und alle Beweise ausgeschlossen werden, die nicht in heiliger Schrift liegen, sondern auch ohne sie bekannt sind? – Vieles, was doch wirklich zur Religion gehört, sonderlich von moralischen Grundsätzen, ist in der Bibel gar nicht eigentlich erwähnt, oder nur berührt, nicht ausgeführt; weil Jesus und seine Apostel es entweder als bekannte Lehre und Pflicht voraussetzten, oder sie sich in ihrem Vortrage nach den vornehmsten Bedürfnissen ihrer Zeit und Zuhörer, mit Uebergehung anderer eben so wichtiger Sachen, richteten, oder weil sie von vernünftigen Zuhörern und Lesern erwarteten, daß sie die ihnen mitgetheilten Kenntnisse (die über|c237|haupt ihren bisherigen Kenntnissen vielmehr eine bessere und heilsamere Richtung geben, als sie mit neuen bereichern sollten), mit denen, welche ihnen vorhin bekannt waren, oder ohne besondern Unterricht von Jesu den Seinen bekannt werden konnten, vergleichen, und so durch immer neue Anwendung auch auf neue Aufschlüsse kommen würden. Warum soll also dieses Mittel, das Gott jedem vernünftigen Menschen gegeben hat, nicht gebraucht werden, um die mehrere Entwickelung der christlichen Lehre zu befördern? Warum nicht, um sie noch einleuchtender und anschaulicher zu machen, ihre Gewißheit zu verstärken, Zweifel dagegen zu benehmen, ihre vielfältige mögliche Anwendung zu zeigen, und dadurch ihren Werth noch mehr zu empfehlen? – Und wie ist die so wichtige praktische Darstellung des Christenthums möglich, wenn man bloß biblische Sätze sammelt und verbindet, ohne ihren Einfluß auf unsre Glückseligkeit klar zu machen? – Hat Jesus selbst es nicht für unnöthig gehalten, seinen Zuhörern, was ihnen schon aus dem alten Testament bekannt war, vollständiger vorzulegen, und mehr zu entwickeln (Matth. 5, 17.); hat er dabei offenbar die Natur und Bestätigungen daraus zu Hülfe genommen (Matth. 6, 24 f. und anderwärts); haben dieß seine Apostel mit dem christlichen Unterricht ebenfalls gethan: warum sollen wir sie darin nicht nachahmen? Haben diese vollends Manches nur für ihre Zuhörer gesagt, und manche allgemeine Pflichten, wegen ihrer besondern Bedürfnisse, nur eingeschränkt (wie Matth. 19, 21.): wie können wir bloß aus der heiligen Schrift wissen, ob und wie weit sie für uns gehören? ob eingeschränkt ausgedruckte Pflichten, und wie fern sie für uns allgemeiner werden können, ohne hier natürlich bekannte Sätze und Betrachtun|c238|gen über die Natur der Pflichten und der Menschen zu Hülfe zu nehmen.Warum sollen nun aber 2) von der christlichen Theologie alle Sätze und alle Beweise ausgeschlossen werden, die nicht in heiliger Schrift liegen, sondern auch ohne sie bekannt sind? – Vieles, was doch wirklich zur Religion gehört, sonderlich von moralischen Grundsätzen, ist in der Bibel gar nicht eigentlich erwähnt, oder nur berührt, nicht ausgeführt; weil Jesus und seine Apostel es entweder als bekannte Lehre und Pflicht voraussetzten, oder sie sich in ihrem Vortrage nach den vornehmsten Bedürfnissen ihrer Zeit und Zuhörer, mit Uebergehung anderer eben so wichtiger Sachen, richteten, oder weil sie von vernünftigen Zuhörern und Lesern erwarteten, daß sie die ihnen mitgetheilten Kenntnisse (die über|c237|haupt ihren bisherigen Kenntnissen vielmehr eine bessere und heilsamere Richtung geben, als sie mit neuen bereichern sollten), mit denen, welche ihnen vorhin bekannt waren, oder ohne besondern Unterricht von Jesu den Seinen bekannt werden konnten, vergleichen, und so durch immer neue Anwendung auch auf neue Aufschlüsse kommen würden. Warum soll also dieses Mittel, das Gott jedem vernünftigen Menschen gegeben hat, nicht gebraucht werden, um die mehrere Entwickelung der christlichen Lehre zu befördern? Warum nicht, um sie noch einleuchtender und anschaulicher zu machen, ihre Gewißheit zu verstärken, Zweifel dagegen zu benehmen, ihre vielfältige mögliche Anwendung zu zeigen, und dadurch ihren Werth noch mehr zu empfehlen? – Und wie ist die so wichtige praktische Darstellung des Christenthums möglich, wenn man bloß biblische Sätze sammelt und verbindet, ohne ihren Einfluß auf unsre Glückseligkeit klar zu machen? – Hat Jesus selbst es nicht für unnöthig gehalten, seinen Zuhörern, was ihnen schon aus dem alten Testament bekannt war, vollständiger vorzulegen, und mehr zu entwickeln (Matth. 5, 17.); hat er dabei offenbar die Natur und Bestätigungen daraus zu Hülfe genommen (Matth. 6, 24 f. und anderwärts); haben dieß seine Apostel mit dem christlichen Unterricht ebenfalls gethan: warum sollen wir sie darin nicht nachahmen? Haben diese vollends Manches nur für ihre Zuhörer gesagt, und manche allgemeine Pflichten, wegen ihrer besondern Bedürfnisse, nur eingeschränkt (wie Matth. 19, 21.): wie können wir bloß aus der heiligen Schrift wissen, ob und wie weit sie für uns gehören? ob eingeschränkt ausgedruckte Pflichten, und wie fern sie für uns allgemeiner werden können, ohne hier natürlich bekannte Sätze und Betrachtun|c238|gen über die Natur der Pflichten und der Menschen zu Hülfe zu nehmen.
186.
Eine andere Eintheilung der systematischen Theologie, nach der man diese sogar in besondere Wissenschaften zerfället hat, beruht auf den verschiedenen Arten der Lehren, die darin sollen abgehandelt werden. Sie betreffen entweder das, was das Christenthum für wahr, oder was es für recht erkennt, was es geglaubt, oder was es gethan wissen will. Den zusammenhängenden Inbegriff jener Lehren nennt man die dogmatische, speculative, auch theoretische, den Inbegriff dieser aber, die Moral- oder praktische Theologie, auch theologische Moral. Und weil man bei beiden die Lehren entweder selbst darstellen, beweisen und erläutern, oder falsche Vorstellungen davon und deren Gründe widerlegen kann: so nennt man die Wissenschaft, worin jenes geschieht, auch die dogmatische, die thetische, auch wohl die positive oder didaktische; worin aber dieses geschieht, die antithetische, elenchtische, oder polemische Theologie.Eine andere Eintheilung der systematischen Theologie, nach der man diese sogar in besondere Wissenschaften zerfället hat, beruht auf den verschiedenen Arten der Lehren, die darin sollen abgehandelt werden. Sie betreffen entweder das, was das Christenthum für wahr, oder was es für recht erkennt, was es geglaubt, oder was es gethan wissen will. Den zusammenhängenden Inbegriff jener Lehren nennt man die dogmatische, speculative, auch theoretische, den Inbegriff dieser aber, die Moral- oder praktische Theologie, auch theologische Moral. Und weil man bei beiden die Lehren entweder selbst darstellen, beweisen und erläutern, oder falsche Vorstellungen davon und deren Gründe widerlegen kann: so nennt man die Wissenschaft, worin jenes geschieht, auch die dogmatische, die thetische, auch wohl die positive oder didaktische; worin aber dieses geschieht, die antithetische, elenchtische, oder polemische Theologie.
Anm. 1) Diese in der systematischen Theologie gemachte Absonderung ist, wie die Namen selbst, ein Werk der neuern Zeit. Ehe Abelard in einer Art von System Gebrauch von der Dialektik machte, waren alle Abhandlungen der Theologie überhaupt, anders nichts als Aphorismen, oder ein Inbegriff von Rubriken, unter die man Sätze über christliche Lehren geschichtet, und sie meistens nur durch kirchliches, zum Theil auch biblisches Ansehn unterstützt hatte. Robert Pulleyn, und noch weit mehr Peter der Lombarde, die der alten Lehrart, durch Autorität zu beweisen, aufhelfen wollten, veran|c239|laßten durch ihre Sentenzen den Gebrauch der Philosophie noch mehr, und wenn die folgenden Systematiker den Titel der Sentenzen oder Summen brauchten, so war doch Philosophie das eigentlich zur Aufklärung der Theologie gebrauchte Mittel, und die Theologie scholastisch, so wie die nach jener alten Methode abgehandelte Theologie den Namen der positiven erhielt. Auch die protestantischen Theologen brauchten noch bis gegen das jetzige Jahrhundert die allgemeinen Namen Loci theologici, Institutiones religionis Christianae oder Theologiae, Systema oder Corpus, Epitome, Compendium oder Breviarium Theol. Seit Bellarmin's Dispp. de controversiis Chr. fidei ward es in der römischen Kirche üblich, die Streitigkeiten mehr von der dogmatischen Behandlung abzusondern, und in der zweiten Hälfte des 17ten Jahrhunderts betraten protestantische Theologen eben den Weg. In dieser Zeit fing man auch unter ihnen, besonders nach Calixtus, Versuch an, die Moraltheologie besonders abzuhandeln, welches die in der römischen Kirche schon seit dem Anfang des 17ten Jahrhunderts gethan hatten.
2) Warum diese Scheidung nicht eher geschehen sei, davon liegt der Grund wohl darin, daß überall die christl. Moral zu sehr vernachlässigt, und anfänglich bloß Sammlung von ascetischen oder Mönchsmaximen war, bis Thomas von Aquino in seiner Summe anfing, ihr einen besondern Theil zu widmen; so wie die ersten protestantischen Systematiker keine andere Abhandlung als nach den 10 Geboten kannten, das Wenige ausgenommen, wozu besondere Streitigkeiten mit der römischen Kirche oder Schwärmern Gelegenheit gegeben hatten. Und da die weitere Cultur der systematischen Theologie durch Streitigkeiten veranlaßt wurde, so war es natürlich, diese anfänglich nicht von der dogmatischen Abhandlung zu trennen.
3) Nützlicher ist es allerdings, die dogmatische Theologie von der moralischen zu scheiden, weil diese nur selten |c240| Folge von jener ist, und auf einer ganz andern Art von Gründen beruht, zumal nachdem man seit der Mitte des 17ten Jahrhunderts mehr die ersten Grundsätze der Sittenlehre entwickelt, und die Moral überhaupt mehr auf die Natur gebaut hat. – Streitiger kann hingegen der Nutzen von Absonderung der dogmatischen und elenchtischen Theologie seyn, und es scheint überhaupt besser, sie beisammen zu lassen, weil sie doch einerlei Gegenstand betreffen, und die Beweise mit den Gegenbeweisen einleuchtender werden, wenn man sie sogleich einander entgegen stellt.
187.
Nach dem, was bisher von dem Nutzen der systematischen Theologie, in Absicht auf diese Art, die Theologie abzuhandeln, und von ihrer rechten Einrichtung, um diesen Nutzen zu befördern, gesagt worden ist, bedarf es über diese verschiedenen Theile derselben keiner Weitläuftigkeit; und die folgenden Anmerkungen über diese einzelnen Wissenschaften sollen sich bloß auf ihren zweckmäßigen Inhalt, den Nutzen, der aus ihrem Inhalt zu ziehen ist, und die wahre Art einschränken, sie mit Vortheil zu studieren.Nach dem, was bisher von dem Nutzen der systematischen Theologie, in Absicht auf diese Art, die Theologie abzuhandeln, und von ihrer rechten Einrichtung, um diesen Nutzen zu befördern, gesagt worden ist, bedarf es über diese verschiedenen Theile derselben keiner Weitläuftigkeit; und die folgenden Anmerkungen über diese einzelnen Wissenschaften sollen sich bloß auf ihren zweckmäßigen Inhalt, den Nutzen, der aus ihrem Inhalt zu ziehen ist, und die wahre Art einschränken, sie mit Vortheil zu studieren.
188.
Wenn also die
dogmatische Theologie oder
christliche Glaubenslehre 1) noch von den gedachten beiden andern Wissenschaften unterschieden wird, so muß sie, soll sie ihrem Zweck (§.
186. ) und dem Zweck der systematischen Theologie entsprechen, 1) Alles enthalten, was wir als Christen, abgesehen von den uns aufgelegten
Pflichten, in Absicht auf Gott und dessen Verhältniß gegen uns, für wahr zu erkennen haben, es mag zu unserer Belehrung oder Ermunterung oder Trost dienen, mag aus der heiligen Schrift oder aus unläugbaren Sätzen der Vernunft
|c241| erkennbar seyn; desgleichen 2) die verschiedenen, wenigstens wichtigern, Vorstellungen, die man sich von diesen Lehren unter Christen gemacht hat, mit Beurtheilung derselben. Diese Wichtigkeit ist nach einer doppelten Rücksicht zu bestimmen:
erstlich nach ihrem Einfluß auf die Befestigung der christlichen Erkenntniß, folglich auch danach, ob dadurch Zweifel und Widersprüche am besten abgeschnitten werden, und nach ihrem Einfluß auf die Besserung und Beruhigung der Menschen;
2) sodann auch danach, ob eine solche Vorstellung vielen Beifall gefunden hat, zumal wenn sie Unterscheidungslehre ganzer Kirchenparteien geworden ist. Und weil eine Beurtheilung derselben nöthig ist – denn wozu sollte bloß historische Kenntniß dienen, da bei der christlichen Erkenntniß Alles auf Ueberzeugung und Untersuchung des Wahren und Falschen ankommt? – so müßte auch 3) die Unrichtigkeit des Irrthums eben sowohl als die Wahrheit einer christlichen Lehre und der richtigsten Vorstellung davon, gezeigt werden.
3) Wenn also die
dogmatische Theologie oder
christliche Glaubenslehre 1) noch von den gedachten beiden andern Wissenschaften unterschieden wird, so muß sie, soll sie ihrem Zweck (§.
186. ) und dem Zweck der systematischen Theologie entsprechen, 1) Alles enthalten, was wir als Christen, abgesehen von den uns aufgelegten
Pflichten, in Absicht auf Gott und dessen Verhältniß gegen uns, für wahr zu erkennen haben, es mag zu unserer Belehrung oder Ermunterung oder Trost dienen, mag aus der heiligen Schrift oder aus unläugbaren Sätzen der Vernunft
|c241| erkennbar seyn; desgleichen 2) die verschiedenen, wenigstens wichtigern, Vorstellungen, die man sich von diesen Lehren unter Christen gemacht hat, mit Beurtheilung derselben. Diese Wichtigkeit ist nach einer doppelten Rücksicht zu bestimmen:
erstlich nach ihrem Einfluß auf die Befestigung der christlichen Erkenntniß, folglich auch danach, ob dadurch Zweifel und Widersprüche am besten abgeschnitten werden, und nach ihrem Einfluß auf die Besserung und Beruhigung der Menschen;
2) sodann auch danach, ob eine solche Vorstellung vielen Beifall gefunden hat, zumal wenn sie Unterscheidungslehre ganzer Kirchenparteien geworden ist. Und weil eine Beurtheilung derselben nöthig ist – denn wozu sollte bloß historische Kenntniß dienen, da bei der christlichen Erkenntniß Alles auf Ueberzeugung und Untersuchung des Wahren und Falschen ankommt? – so müßte auch 3) die Unrichtigkeit des Irrthums eben sowohl als die Wahrheit einer christlichen Lehre und der richtigsten Vorstellung davon, gezeigt werden.
3)
Anm. 1) Glaubenslehre – ein nicht ganz angemessener Ausdruck! denn diese Wissenschaft begreift auch Vieles, was wir wissen können, und nicht bloß auf ein Zeugniß der heiligen Schrift glauben, und sie enthält nicht bloß die christlichen Lehren, sondern auch die richtigen Vorstellungen davon.
2) Wenn auf die §.
152 f. angezeigte Art der bestimmte Begriff klar genug wird, den die heilige Schrift mit einer gewissen Lehre verbindet; und eben so, wenn durch die Vergleichung der biblischen Sätze unter einander und mit unwidersprechlichen Vernunftwahrheiten, der Begriff von einer Lehre genau bestimmt wird: so fallen viele auf Mißverstand beruhende Vorstellungen von selbst weg, und brauchen nicht einmal erzählt zu werden, wenn sie nicht durch den erlangten Beifall wichtig geworden sind.
|c242| 3) Wenn Wahrheit und Irrthum untersucht werden soll, so können 1) Beweise für die Wahrheit, und 2) gegen den Irrthum vorgelegt; so wie 3) Gründe oder Zweifel gegen die Wahrheit, und 4) Gründe für den Irrthum beantwortet werden. Ehe man die Dogmatik von der Polemik trennte, geschah alles dieses zusammen, mit Vortheil; weil nicht getrennt wurde, was zur Vollständigkeit der Untersuchung gehörte. Jetzt hat man die beiden ersten Arten zu untersuchen in die Dogmatik, und die beiden letztern in die Polemik verwiesen; und dieß mit Recht; denn Beweise für die Wahrheit sind zugleich Beweise gegen den Irrthum, und um die Wahrheit zu vertheidigen, ist sowohl nöthig, die Gründe gegen die Wahrheit, als die Gründe für das Gegentheil zu entkräften.
189.
Hiernach läßt sich der Nutzen dieser dogmatischen Theologie bestimmen, der oft übertrieben, oder zu sehr heruntergesetzt wird, und den man genau kennen sollte, um zu wissen, worauf man bei Beschäftigung mit derselben eigentlich zu sehen hätte. Sie giebt uns 1) richtige Begriffe von dem Verhältniß zwischen Gott und uns, d. i. von seiner und unserer Natur, seiner Gesinnung gegen uns, seinen zu unserm Besten gemachten moralischen Anstalten, deren uns erforderlichen Gemüthsbeschaffenheit, wenn seine Absichten mit uns erreicht werden sollen, unseren daher entstehenden sichern Erwartungen, oder den im Gegentheil gewiß zu befürchtenden Folgen. Sie enthält somit 2) Grundsätze zu den übrigen theologischen Wissenschaften, – besonders zur Polemik, indem sie uns zeigt, was wir zu vertheidigen brauchen oder nicht, und wie? denn aller Widerspruch gegen Wahrheit beruht doch zuletzt auf Mißverstand, dem eben schon in der Dogmatik vorgebeugt werden |c243| muß, – zur Moral, denn unsere Pflichten beruhen ja auf dem gedachten Verhältniß, und dieses giebt uns auch Bewegungsgründe und Ermunterung zu Ausübung der Pflichten – und zur weisen Führung des Lehramtes, damit man lerne, was für Begriffe und Ueberzeugungen man bei Andern befördern, oder welchen man entgegenarbeiten solle. Sie eröffnet uns 3) die Quellen der wahren Beruhigung, die zu unserer Glückseligkeit so unentbehrlich ist, als die Beobachtung unserer Pflichten. 4) Sie unterrichtet uns von dem richtigsten Lehrbegriff, und zeigt dadurch, wenn wir uns, wie es mehrere Gründe erfordern, zu einer vorhandenen äußerlichen Kirche zu schlagen haben, welcher wir nach der richtigsten Ueberzeugung beitreten müssen? und 5) setzt sie uns in den Stand, die verschiedenen Vorstellungen von göttlichen Lehren und ihren Werth richtig zu beurtheilen, welches sehr großen Nutzen hat.Hiernach läßt sich der Nutzen dieser dogmatischen Theologie bestimmen, der oft übertrieben, oder zu sehr heruntergesetzt wird, und den man genau kennen sollte, um zu wissen, worauf man bei Beschäftigung mit derselben eigentlich zu sehen hätte. Sie giebt uns 1) richtige Begriffe von dem Verhältniß zwischen Gott und uns, d. i. von seiner und unserer Natur, seiner Gesinnung gegen uns, seinen zu unserm Besten gemachten moralischen Anstalten, deren uns erforderlichen Gemüthsbeschaffenheit, wenn seine Absichten mit uns erreicht werden sollen, unseren daher entstehenden sichern Erwartungen, oder den im Gegentheil gewiß zu befürchtenden Folgen. Sie enthält somit 2) Grundsätze zu den übrigen theologischen Wissenschaften, – besonders zur Polemik, indem sie uns zeigt, was wir zu vertheidigen brauchen oder nicht, und wie? denn aller Widerspruch gegen Wahrheit beruht doch zuletzt auf Mißverstand, dem eben schon in der Dogmatik vorgebeugt werden |c243| muß, – zur Moral, denn unsere Pflichten beruhen ja auf dem gedachten Verhältniß, und dieses giebt uns auch Bewegungsgründe und Ermunterung zu Ausübung der Pflichten – und zur weisen Führung des Lehramtes, damit man lerne, was für Begriffe und Ueberzeugungen man bei Andern befördern, oder welchen man entgegenarbeiten solle. Sie eröffnet uns 3) die Quellen der wahren Beruhigung, die zu unserer Glückseligkeit so unentbehrlich ist, als die Beobachtung unserer Pflichten. 4) Sie unterrichtet uns von dem richtigsten Lehrbegriff, und zeigt dadurch, wenn wir uns, wie es mehrere Gründe erfordern, zu einer vorhandenen äußerlichen Kirche zu schlagen haben, welcher wir nach der richtigsten Ueberzeugung beitreten müssen? und 5) setzt sie uns in den Stand, die verschiedenen Vorstellungen von göttlichen Lehren und ihren Werth richtig zu beurtheilen, welches sehr großen Nutzen hat.
Anm. Der Nutzen dieses Letztern zeigt sich 1) in Absicht auf die Zweifel, welche die Ueberzeugung von gewissen Lehren hindern. Denn nur zu oft verwechselt man die Vorstellungen von gewissen Lehren mit den Lehren selbst, und verwirft entweder diese, weil man jene falsch befindet, oder bestehet eben so eigensinnig auf gewissen Vorstellungen, weil man gewohnt ist, die Lehren anders nicht, als nach diesen für wahr zu halten. 2) Ueberhaupt wird man von Vorurtheilen in der Religion darum nicht frei, weil man sich die Lehren auf keine andere, als auf Eine, Art denken kann; man kann also davon anders nicht zurückkommen, als durch Bekanntschaft mit mehrern Vorstellungen davon, und ihren Gründen, die uns auch oft zeigen, wie fälschlich man etwas für Vorurtheil halte, was dergleichen nicht ist. Und eben diese Kenntniß befördert 3) die Billigkeit gegen die, welche nicht unserer Meinung sind, wenn wir einsehen, daß entweder ihre Meinung die nicht sei, die wir ihnen beigemessen, oder, daß sie aus dem Gesichts|c244|punkt betrachtet, woraus sie die Sache ansehen, ihren guten Grund, oder, wenn sie auch irrig ist, den schädlichen oder nothwendigen Einfluß nicht habe, den wir uns dabei einbildeten.
190.
Bei dem Gebrauch guter Vorlesungen oder Lehrbücher über die dogmatische Theologie kommt es hauptsächlich darauf an, daß man sich 1) daraus sowohl die
Lehren als die
Vorstellungsarten von ihnen, mit ihren genauen Bestimmungen, wohl bemerkt; 2) genau auf die Beweise achtet, womit beide unterstützt werden, und
wie diese Beweise geführt sind; 3) die Lehren selbst, wie sie in der heiligen Schrift liegen, oder in der Vernunft unwidersprechlich gegründet sind, von den Vorstellungen darüber, und wo jene aufhören und diese anfangen, recht unterscheiden lernt; 4) die Beweise für beide sorgfältig prüft, ohne, aus Begierde einen Satz zu unterstützen, mit jedem Beweise zufrieden zu seyn, oder, um eines schlechten Beweises willen, die Sätze selbst zu verwerfen; 5) den wahren Werth jeder Lehre und Vorstellung davon, d. i. ihren Einfluß auf andere Lehrsätze sowohl, als auf die menschliche Glückseligkeit, recht schätzen lernt, und besonders 6) die ganze erlangte Erkenntniß sich recht praktisch zu machen sucht. (§.
169. Anm.) Je vorsichtiger man hier bei jedem Schritt ist; mit je unbefangnerm Gemüthe man Alles prüft, bereit, die Wahrheit, sie sei alt oder neu, geachtet oder verachtet, anzunehmen, wo sie sich findet; je mehr man sich vor Gleichgültigkeit auf einer, und Vorwitz, d. i. Neugier nach Entdeckungen, wozu uns Kräfte oder Hülfsmittel versagt sind, auf der andern Seite, hütet; und je mehr es dem Forscher überhaupt um wahre Besserung und Beruhigung
|c245| durch erkannte göttliche Wahrheit zu thun ist: desto sicherer, gelingender und heilsamer wird diese Beschäftigung seyn.Bei dem Gebrauch guter Vorlesungen oder Lehrbücher über die dogmatische Theologie kommt es hauptsächlich darauf an, daß man sich 1) daraus sowohl die
Lehren als die
Vorstellungsarten von ihnen, mit ihren genauen Bestimmungen, wohl bemerkt; 2) genau auf die Beweise achtet, womit beide unterstützt werden, und
wie diese Beweise geführt sind; 3) die Lehren selbst, wie sie in der heiligen Schrift liegen, oder in der Vernunft unwidersprechlich gegründet sind, von den Vorstellungen darüber, und wo jene aufhören und diese anfangen, recht unterscheiden lernt; 4) die Beweise für beide sorgfältig prüft, ohne, aus Begierde einen Satz zu unterstützen, mit jedem Beweise zufrieden zu seyn, oder, um eines schlechten Beweises willen, die Sätze selbst zu verwerfen; 5) den wahren Werth jeder Lehre und Vorstellung davon, d. i. ihren Einfluß auf andere Lehrsätze sowohl, als auf die menschliche Glückseligkeit, recht schätzen lernt, und besonders 6) die ganze erlangte Erkenntniß sich recht praktisch zu machen sucht. (§.
169. Anm.) Je vorsichtiger man hier bei jedem Schritt ist; mit je unbefangnerm Gemüthe man Alles prüft, bereit, die Wahrheit, sie sei alt oder neu, geachtet oder verachtet, anzunehmen, wo sie sich findet; je mehr man sich vor Gleichgültigkeit auf einer, und Vorwitz, d. i. Neugier nach Entdeckungen, wozu uns Kräfte oder Hülfsmittel versagt sind, auf der andern Seite, hütet; und je mehr es dem Forscher überhaupt um wahre Besserung und Beruhigung
|c245| durch erkannte göttliche Wahrheit zu thun ist: desto sicherer, gelingender und heilsamer wird diese Beschäftigung seyn.
Anm. Die hierher gehörigen allgemeinern Bücher s. in der Anweisung etc. §. 233 folg., und von der Beurtheilung ihres Werthes ebendaselbst §. 225 und 227. Für diejenigen Leser, denen zunächst das gegenwärtige Buch bestimmt ist, d. i. für solche, die, bei vorausgesetzten übrigen nothwendigen Vorerkenntnissen, nach einer gründlichern und gelehrtern Kenntniß dieser Wissenschaft trachten, und sie für sich selbst studieren wollen, würde ich unter den ältern Lehrbüchern Io. Franc. Buddei Institutiones Theologiae dogmaticae, Lips. 1723. 4.; doch noch mehr, theils an sich, theils nach den Bedürfnissen unserer Zeit, Io. Christoph. Döderlein Institutio Theologi Christiani, Edit. 6. Norimb. 1797. ; und die Epitome Theologiae Christianae von S. F. N. Morus, Lips. 1799, Ed. 4., vor allen Büchern dieser Art empfehlen.
{Eine recht gute Uebersicht des historischen, dogmatischen und polemischen Theils der
Dogmatik giebt
G. F. Seiler Theologia dogmaitico-polemica cum compendio historiae dogmatum. Erlang. 1789. Den streng kirchlichen Lehrbegriff stellt auf
C. C. Storr doctrinae christ. pars theoretica. Edit. 2. Stuttg. 1801., und deutsch von
Flatt, 1803. Unter den neuesten von demselben auf sehr verschiedenen Wegen abweichenden Systemen, sind die Lehrbücher von
Henke, Ammon, de Wette, Wegscheider und andern bemerkenswerth. Letzteres stellt am anschaulichsten die rationalistische Ansicht des christlichen Religionssystems auf.
A. d. H.}
191.
Diese dogmatische Theologie verdient billig eher als die
Polemik und
Moral getrieben zu werden, weil diese sich auf die Dogmatik gründen (§.
189 ). Mit ihr könnte das, was man der
Polemik angewiesen hat, am besten gleich verbunden werden (§.
186. Anm. 3); so wie diese auch ei
|c246|gentlich gar keine besondere Wissenschaft ist, weil sie keine Lehren im Zusammenhange vorträgt, sondern nur eine Vertheidigung des Inhalts der Dogmatik.
*) Womit sie sich eigentlich beschäftige, ist schon §.
186. gesagt. Es müßte darin 1) jede Frage, worüber man verschiedener Meinung ist, genau und bestimmt vorgetragen werden, so daß man angäbe, worin die, so darüber uneins sind, gleichwohl in Rücksicht auf unternommene Untersuchung, übereinstimmen, und alles das absonderte, was in die Untersuchung gemischt worden, ohne dazu zu gehören, mithin den eigentlichen Gesichtspunkt anzeigte, woraus die Dissentirenden die Frage angesehen, und ob sie einerlei Gesichtspunkt angenommen hätten oder nicht. Ist das Letztere, – und das ist gemeiniglich der Fall, – so fällt der ganze Streit von selbst weg; und schon in sofern ist diese Bestimmung der Streitfrage gerade das Wichtigste bei solchen Untersuchungen; sie ists aber auch deswegen, weil ohne sie der Streit nie aufs Reine kommen kann. 2) Müßte man diejenigen und ihre Schriften angeben, welche einen von uns behaupteten Satz mit der meisten Kenntniß der Sache, oder doch am scheinbarsten, bestritten haben, und, wenn der Streit mit einer ganzen Partei ist, die Schriften, wozu sie sich öffentlich bekannt hat, damit der Leser oder Zuhörer nachsehen könne, ob man die richtige Meinung der Gegner gefaßt und angegeben habe; 3) das wahre Verhältniß zeigen, worin die Frage gegen andere Lehrsätze steht, die damit stehen oder fallen, oder wenigstens an Stärke oder Werth verlieren; und sich hüten, die Folgen aus einer Meinung zu übertreiben, auch anzeigen, ob die Gegner diese Folgen anerkennten oder nicht; und alsdann 4) die Gründe der Gegner wider unsere und für ihre Meinung in völliger Deutlichkeit und Stärke vor
|c247|legen, und zeigen, daß sie entweder unsere Meinung nicht treffen, oder daß sie unrichtig oder doch unbewiesen sind.Diese dogmatische Theologie verdient billig eher als die
Polemik und
Moral getrieben zu werden, weil diese sich auf die Dogmatik gründen (§.
189 ). Mit ihr könnte das, was man der
Polemik angewiesen hat, am besten gleich verbunden werden (§.
186. Anm. 3); so wie diese auch ei
|c246|gentlich gar keine besondere Wissenschaft ist, weil sie keine Lehren im Zusammenhange vorträgt, sondern nur eine Vertheidigung des Inhalts der Dogmatik.
*) Womit sie sich eigentlich beschäftige, ist schon §.
186. gesagt. Es müßte darin 1) jede Frage, worüber man verschiedener Meinung ist, genau und bestimmt vorgetragen werden, so daß man angäbe, worin die, so darüber uneins sind, gleichwohl in Rücksicht auf unternommene Untersuchung, übereinstimmen, und alles das absonderte, was in die Untersuchung gemischt worden, ohne dazu zu gehören, mithin den eigentlichen Gesichtspunkt anzeigte, woraus die Dissentirenden die Frage angesehen, und ob sie einerlei Gesichtspunkt angenommen hätten oder nicht. Ist das Letztere, – und das ist gemeiniglich der Fall, – so fällt der ganze Streit von selbst weg; und schon in sofern ist diese Bestimmung der Streitfrage gerade das Wichtigste bei solchen Untersuchungen; sie ists aber auch deswegen, weil ohne sie der Streit nie aufs Reine kommen kann. 2) Müßte man diejenigen und ihre Schriften angeben, welche einen von uns behaupteten Satz mit der meisten Kenntniß der Sache, oder doch am scheinbarsten, bestritten haben, und, wenn der Streit mit einer ganzen Partei ist, die Schriften, wozu sie sich öffentlich bekannt hat, damit der Leser oder Zuhörer nachsehen könne, ob man die richtige Meinung der Gegner gefaßt und angegeben habe; 3) das wahre Verhältniß zeigen, worin die Frage gegen andere Lehrsätze steht, die damit stehen oder fallen, oder wenigstens an Stärke oder Werth verlieren; und sich hüten, die Folgen aus einer Meinung zu übertreiben, auch anzeigen, ob die Gegner diese Folgen anerkennten oder nicht; und alsdann 4) die Gründe der Gegner wider unsere und für ihre Meinung in völliger Deutlichkeit und Stärke vor
|c247|legen, und zeigen, daß sie entweder unsere Meinung nicht treffen, oder daß sie unrichtig oder doch unbewiesen sind.
Anm. *) Auf diese dogmatischen Sätze schränkt man sich in der Polemik ein, obgleich mit eben so vielem Recht auch Streitigkeiten über Sätze der christlichen Moral könnten und sollten hineingezogen, oder den Einwürfen dagegen eine besondere Untersuchung gewidmet werden. Daß man dieses nie in der Polemik gethan hat, rührt wohl daher, weil man sich ehedem überhaupt weit weniger um genauere Untersuchung der Moral als der Dogmatik bekümmerte, weil darüber selten Streitigkeiten mit ganzen Parteien entstanden, und weil man ehedem solche streitige Sätze der Moral, da diese von der Dogmatik noch nicht abgesondert war, mit in die Dogmatik aufnahm, daher auch nur diese wenigen Streitigkeiten über moralische Sätze, z. B. über die Rechtmäßigkeit des Eides, in die heutige Polemik mit übergegangen sind.
192.
Wenn man diese Absicht und Einrichtung der sogenannten polemischen Theologie wohl und ohne Vorurtheile überlegt, so läßt sich der große Nutzen, den sie haben kann, nicht verkennen. Schon dieß wäre 1) viel werth, daß man daraus die verschiedenen Vorstellungen von Lehren der Religion, mit ihren Bestimmungen und Gründen kennen lernt. Dadurch würden einseitige Vorstellungen verhindert, und man lernte einsehen, daß unsere eigene Vorstellung gar nicht die einzige mögliche sei, mit der die Lehre selbst stünde oder fiele, und daß, wenn wir unauflösliche Zweifel gegen unsere Vorstellung bekommen, diese uns noch keinesweges nöthige, die Lehre selbst aufzugeben . Man lernte, daß Vieles, was verschrieen ist, so gefährlich nicht sei, daß wir uns davor entsetzen, und wohl selbst die Untersuchung scheuen müßten. |c248| Man stieße selbst auf manche nicht bekannte oder verkannte und sehr nützliche Wahrheit. Man würde wenigstens zur neuen Untersuchung veranlaßt, an die man vorhin nicht gedacht hatte; und die Geschichte lehrt ja offenbar, daß nie die Kenntniß der Religion erweitert und bestimmter geworden, als durch solche Untersuchung, die fast immer erst durch Streitigkeiten erweckt worden ist. Man würde den wahren Werth einer Lehre und Vorstellung kennen lernen, und dadurch einer Seits vor Gleichgültigkeit gegen Wahrheit, auf der andern aber vor Unbilligkeit gegen anders Denkende verwahrt werden.Wenn man diese Absicht und Einrichtung der sogenannten polemischen Theologie wohl und ohne Vorurtheile überlegt, so läßt sich der große Nutzen, den sie haben kann, nicht verkennen. Schon dieß wäre 1) viel werth, daß man daraus die verschiedenen Vorstellungen von Lehren der Religion, mit ihren Bestimmungen und Gründen kennen lernt. Dadurch würden einseitige Vorstellungen verhindert, und man lernte einsehen, daß unsere eigene Vorstellung gar nicht die einzige mögliche sei, mit der die Lehre selbst stünde oder fiele, und daß, wenn wir unauflösliche Zweifel gegen unsere Vorstellung bekommen, diese uns noch keinesweges nöthige, die Lehre selbst aufzugeben . Man lernte, daß Vieles, was verschrieen ist, so gefährlich nicht sei, daß wir uns davor entsetzen, und wohl selbst die Untersuchung scheuen müßten. |c248| Man stieße selbst auf manche nicht bekannte oder verkannte und sehr nützliche Wahrheit. Man würde wenigstens zur neuen Untersuchung veranlaßt, an die man vorhin nicht gedacht hatte; und die Geschichte lehrt ja offenbar, daß nie die Kenntniß der Religion erweitert und bestimmter geworden, als durch solche Untersuchung, die fast immer erst durch Streitigkeiten erweckt worden ist. Man würde den wahren Werth einer Lehre und Vorstellung kennen lernen, und dadurch einer Seits vor Gleichgültigkeit gegen Wahrheit, auf der andern aber vor Unbilligkeit gegen anders Denkende verwahrt werden.
193.
Selbst 2) unsere Ueberzeugung von der Wahrheit, und Standhaftigkeit bei ihr würde dadurch gewinnen. Denn kennen wir, bei jener Ueberzeugung, zugleich auch die Gegenmeinungen mit ihren Gründen, so setzen sie uns nicht so sehr in Verlegenheit, als wenn wir hernach sie unerwartet erfahren. Wir gerathen alsdann nicht hinterher auf den Verdacht, daß man sie uns verheimlicht habe, aus Furcht, sie nicht widerlegen zu können; welcher Verdacht immer ein schädliches Vorurtheil gegen das bisher Geglaubte, und für das Neue giebt, welches die ruhige unparteiische Untersuchung hindert. Wir lernen durch diese Kenntniß einsehen, daß entweder diese Gegenmeinung mit unsrer bestehen könne: und so leidet unsere Ueberzeugung von der Wahrheit nicht; oder wir sehen ein, daß sie falsch ist, und werden dadurch in unserer Ueberzeugung befestigt; oder daß sie wahr sei: und so befreit sie uns von einem Irrthum.Selbst 2) unsere Ueberzeugung von der Wahrheit, und Standhaftigkeit bei ihr würde dadurch gewinnen. Denn kennen wir, bei jener Ueberzeugung, zugleich auch die Gegenmeinungen mit ihren Gründen, so setzen sie uns nicht so sehr in Verlegenheit, als wenn wir hernach sie unerwartet erfahren. Wir gerathen alsdann nicht hinterher auf den Verdacht, daß man sie uns verheimlicht habe, aus Furcht, sie nicht widerlegen zu können; welcher Verdacht immer ein schädliches Vorurtheil gegen das bisher Geglaubte, und für das Neue giebt, welches die ruhige unparteiische Untersuchung hindert. Wir lernen durch diese Kenntniß einsehen, daß entweder diese Gegenmeinung mit unsrer bestehen könne: und so leidet unsere Ueberzeugung von der Wahrheit nicht; oder wir sehen ein, daß sie falsch ist, und werden dadurch in unserer Ueberzeugung befestigt; oder daß sie wahr sei: und so befreit sie uns von einem Irrthum.
194.
In so fern wir aber 3) aus der Polemik das Verhältniß eines Irrthums gegen Andere lernen, die durch diesen |c249| Irrthum unterstützt werden, oder zu dessen Unterstützung dienen: so sehen wir ein, wie man auf einen solchen Irrthum sei geleitet worden, und lernen also, welchen Sätzen man vorbauen, oder welche man mit entkräften müsse, wenn ein Irrthum verhütet, oder er widerlegt werden solle. Und wenn 4) Zweifel unsere Ueberzeugung von der Wahrheit zerstören, wenigstens vermindern, oder uns in Zweifelsucht stürzen, worunter oft genug unsere Gemüthsruhe leidet, und die Wahl zwischen Gutem und Bösem, wenigstens die Ausführung des Guten, gehindert oder aufgehalten wird: so erfordert es die Liebe zur Wahrheit, das Streben nach gewisser Erkenntniß, die Liebe zu uns selbst und zu Andern, diese Zweifel aus dem Grunde zu heben. Da aber die Wenigsten Kenntniß genug von Irrthümern in der Religion und ihren bloß scheinbaren Gründen, so wenig wie von alle dem haben, was zur gründlichen Beurtheilung derselben erfordert wird; da die Wenigsten Scharfsinn oder Fähigkeit besitzen, das Wahre und Scheinbare zu unterscheiden, und eben so wenig Geduld und Uebung, verwirrte Untersuchungen aus einander zu wickeln: so kann die Polemik große Dienste dem leisten, der selbst noch nicht die nöthige Fähigkeit, Kenntniß und Uebung in solchen Untersuchungen hat, ja sie kann selbst für ihn eine vortreffliche Schule zu solchen Uebungen werden.In so fern wir aber 3) aus der Polemik das Verhältniß eines Irrthums gegen Andere lernen, die durch diesen |c249| Irrthum unterstützt werden, oder zu dessen Unterstützung dienen: so sehen wir ein, wie man auf einen solchen Irrthum sei geleitet worden, und lernen also, welchen Sätzen man vorbauen, oder welche man mit entkräften müsse, wenn ein Irrthum verhütet, oder er widerlegt werden solle. Und wenn 4) Zweifel unsere Ueberzeugung von der Wahrheit zerstören, wenigstens vermindern, oder uns in Zweifelsucht stürzen, worunter oft genug unsere Gemüthsruhe leidet, und die Wahl zwischen Gutem und Bösem, wenigstens die Ausführung des Guten, gehindert oder aufgehalten wird: so erfordert es die Liebe zur Wahrheit, das Streben nach gewisser Erkenntniß, die Liebe zu uns selbst und zu Andern, diese Zweifel aus dem Grunde zu heben. Da aber die Wenigsten Kenntniß genug von Irrthümern in der Religion und ihren bloß scheinbaren Gründen, so wenig wie von alle dem haben, was zur gründlichen Beurtheilung derselben erfordert wird; da die Wenigsten Scharfsinn oder Fähigkeit besitzen, das Wahre und Scheinbare zu unterscheiden, und eben so wenig Geduld und Uebung, verwirrte Untersuchungen aus einander zu wickeln: so kann die Polemik große Dienste dem leisten, der selbst noch nicht die nöthige Fähigkeit, Kenntniß und Uebung in solchen Untersuchungen hat, ja sie kann selbst für ihn eine vortreffliche Schule zu solchen Uebungen werden.
195.
Und eben in dieser Uebung besteht 5) einer der größten Vortheile, den die Polemik stiften kann. Wenn man sieht, wie die streitige Frage mit gehöriger Genauigkeit bestimmt, und bei der Beantwortung der Gegengründe bestimmt angegeben wird, wie weit und warum man sie einräumen kann oder nicht: so gewöhnt man sich an Verdeutlichung der |c250| Begriffe; man gewöhnt sich, eine Frage nicht gleich abzuurtheilen, sondern sie auf mehrern Seiten zu betrachten; verwirrte Untersuchungen aus einander zu wickeln; vorsichtig zu werden, und was man behauptet, auf allen Seiten zu befestigen, um weder Blößen zu geben, noch Zweifel und Streitigkeiten zu veranlassen; discret zu werden, um nicht mit dem verworfenen Irrthum die Wahrheit zugleich zu verwerfen, oder mit dem, was man zugeben kann, auch das Falsche zu billigen, und dem Gegner Gelegenheit zu geben, in jenem Fall die verworfene Wahrheit in Schutz zu nehmen, und den Streit von der wahren Frage abzulenken, und in diesem Fall den zugelassenen Irrthum gegen uns zu gebrauchen. Kurz, es giebt keine Art von Uebungen, wobei man so sehr könnte den Verstand schärfen, sich zur Präcision in Gedanken und Ausdrücken gewöhnen, recht nüchterne und geläuterte Untersuchungen anstellen lernen, als die Polemik, wenn sie recht eingerichtet wird.Und eben in dieser Uebung besteht 5) einer der größten Vortheile, den die Polemik stiften kann. Wenn man sieht, wie die streitige Frage mit gehöriger Genauigkeit bestimmt, und bei der Beantwortung der Gegengründe bestimmt angegeben wird, wie weit und warum man sie einräumen kann oder nicht: so gewöhnt man sich an Verdeutlichung der |c250| Begriffe; man gewöhnt sich, eine Frage nicht gleich abzuurtheilen, sondern sie auf mehrern Seiten zu betrachten; verwirrte Untersuchungen aus einander zu wickeln; vorsichtig zu werden, und was man behauptet, auf allen Seiten zu befestigen, um weder Blößen zu geben, noch Zweifel und Streitigkeiten zu veranlassen; discret zu werden, um nicht mit dem verworfenen Irrthum die Wahrheit zugleich zu verwerfen, oder mit dem, was man zugeben kann, auch das Falsche zu billigen, und dem Gegner Gelegenheit zu geben, in jenem Fall die verworfene Wahrheit in Schutz zu nehmen, und den Streit von der wahren Frage abzulenken, und in diesem Fall den zugelassenen Irrthum gegen uns zu gebrauchen. Kurz, es giebt keine Art von Uebungen, wobei man so sehr könnte den Verstand schärfen, sich zur Präcision in Gedanken und Ausdrücken gewöhnen, recht nüchterne und geläuterte Untersuchungen anstellen lernen, als die Polemik, wenn sie recht eingerichtet wird.
Anm. 1) Dieser Vortheil, den man aus ihr schöpfen kann, scheint der allerbeträchtlichste zu seyn, so wie schon oben gesagt ist, daß die Hauptsache bei dem Studieren darin bestehe, nicht sowohl immer mehr Kenntnisse zu erlangen, als vielmehr guten Lehrern und Schriftstellern die rechte Art abzulernen, wie man sie behandeln soll. Denn alle uns je vorkommende streitige Fragen in der Religion, und alle Einwürfe dagegen, können doch nicht darin abgehandelt werden, da die Möglichkeit der Entdeckungen ins Unendliche geht; also wird keine Polemik je für alle Zweifel zureichen; aber wenn sie unsern Verstand bildet, macht sie uns zu allen Religionsuntersuchungen geschickt.
2) Schon um dieses angegebenen Nutzens willen, sollte sie für einen Studierenden unschätzbar seyn; und in der Versäumung dieser Uebungen scheint eine Hauptursache zu liegen, warum seichte Kenntnisse, dreiste und oberflächige Urtheile über streitige Wahrheiten so gewöhnlich sind, Festigkeit der |c251| Ueberzeugung hingegen so selten ist, und die Seele sich von jedem scheinbaren Geschwätz so leicht hinreißen läßt. – Auch wird man finden, daß viele Untersuchungen und Bestimmungen in der Dogmatik eher nicht recht verstanden, noch weniger geschätzt werden, bis man erst in der Polemik sieht, warum etwas behauptet oder so bestimmt wurde. – Da es auch viel leichter ist, Anderer vorgefundene Gedanken zu beurtheilen, als selbst zu erfinden, so wie Fehler zu entdecken leichter, als es selbst besser zu machen: so würde es bei eigenen Uebungen viel rathsamer seyn, wenn wir nur erst die nothwendigsten Kenntnisse von einer Sache erlangt haben, und ein Geschickterer uns die Streitfrage recht bestimmt vorlegte, sich in Prüfung der Einwürfe dagegen zu üben, als selbst dogmatische Ausarbeitungen vorzunehmen.
196.
Bei so großen Vortheilen, die dieses Studium gewährt, könnte es beinahe unbegreiflich scheinen, wie Viele so verächtlich davon urtheilen oder es widerrathen könnten. Daß seichte und flüchtige Köpfe, welche Anstrengung, Mühe und bedächtige Untersuchung scheuen; daß Leute, die gegen Wahrheit sehr gleichgültig sind, oder mehr überreden als überzeugen wollen, oder bei Ueberraschung Anderer mit scheinbaren Gedanken ihre Rechnung finden; daß diese also dagegen eingenommen sind, ist nicht zu verwundern. Aber bei Verständigern und Gewissenhaftern rührten diese verächtlichen Urtheile ohne Zweifel von der Wahrnehmung her, daß gewöhnlich die Polemik voll unnützer und über die Gebühr wichtig gemachter Untersuchungen, und daß sie von jeher ein Schauplatz der bösartigen Zänkereien und Leidenschaften gewesen sei. Je lebhafter man sich die Verletzung der Billigkeit des Friedens, den Verfolgungsgeist, die Verabsäumung des praktischen Christenthums und andere Uebel denkt; je mehr Aufklärung sich ausbreitet, dadurch Mißverstand gehoben, und |c252| der Werth eines Lehrsatzes richtiger gewürdigt; je mehr das äußerliche Interesse verändert wird, welches gewissen Untersuchungen eine Wichtigkeit gab, die sie ihrer Natur nach nicht hatten; je gemeiner Liebe zur Duldung der anders Denkenden, zum Theil auch Gleichgültigkeit gegen das nicht unmittelbar Nützliche wird: je natürlicher ist diese Abneigung. Desto mehr ist hinwieder auch zu besorgen, daß man sich durch den Geschmack seiner Zeit, und durch das zu lebhafte Gefühl gewisser Uebel, zu sehr in seinem Urtheil leiten lasse, und nicht genug auf seiner Hut sei gegen die Versuchung, ungerecht zu werden.Bei so großen Vortheilen, die dieses Studium gewährt, könnte es beinahe unbegreiflich scheinen, wie Viele so verächtlich davon urtheilen oder es widerrathen könnten. Daß seichte und flüchtige Köpfe, welche Anstrengung, Mühe und bedächtige Untersuchung scheuen; daß Leute, die gegen Wahrheit sehr gleichgültig sind, oder mehr überreden als überzeugen wollen, oder bei Ueberraschung Anderer mit scheinbaren Gedanken ihre Rechnung finden; daß diese also dagegen eingenommen sind, ist nicht zu verwundern. Aber bei Verständigern und Gewissenhaftern rührten diese verächtlichen Urtheile ohne Zweifel von der Wahrnehmung her, daß gewöhnlich die Polemik voll unnützer und über die Gebühr wichtig gemachter Untersuchungen, und daß sie von jeher ein Schauplatz der bösartigen Zänkereien und Leidenschaften gewesen sei. Je lebhafter man sich die Verletzung der Billigkeit des Friedens, den Verfolgungsgeist, die Verabsäumung des praktischen Christenthums und andere Uebel denkt; je mehr Aufklärung sich ausbreitet, dadurch Mißverstand gehoben, und |c252| der Werth eines Lehrsatzes richtiger gewürdigt; je mehr das äußerliche Interesse verändert wird, welches gewissen Untersuchungen eine Wichtigkeit gab, die sie ihrer Natur nach nicht hatten; je gemeiner Liebe zur Duldung der anders Denkenden, zum Theil auch Gleichgültigkeit gegen das nicht unmittelbar Nützliche wird: je natürlicher ist diese Abneigung. Desto mehr ist hinwieder auch zu besorgen, daß man sich durch den Geschmack seiner Zeit, und durch das zu lebhafte Gefühl gewisser Uebel, zu sehr in seinem Urtheil leiten lasse, und nicht genug auf seiner Hut sei gegen die Versuchung, ungerecht zu werden.
197.
Denn alle diese Uebel beweisen doch nur, daß die Polemik, gleich der verdorbenen Justizpflege, müsse gebessert, nicht daß sie müsse ganz weggeworfen werden. Untersuchungen müssen doch seyn, und dazu gehört, daß man eine Partei wie die andere höre, und mit aller Weisheit, Vorsichtigkeit und Billigkeit richte. Wenn dieses Verhör auf die Art geschieht, wie §.
191. 159 f. und
169. Anm. angegeben wurde, und wenn man in der Polemik wie in der Dogmatik untersucht, um Wahrheit, nicht um Nahrung der Leidenschaft, zu finden: so fallen alle jene Uebel weg, welche die Polemik mit Recht in einen üblen Ruf brachten; und sie wird alsdann ein sehr heilsames Mittel, wahren Frieden ohne Nachtheil der Wahrheit zu befördern.Denn alle diese Uebel beweisen doch nur, daß die Polemik, gleich der verdorbenen Justizpflege, müsse gebessert, nicht daß sie müsse ganz weggeworfen werden. Untersuchungen müssen doch seyn, und dazu gehört, daß man eine Partei wie die andere höre, und mit aller Weisheit, Vorsichtigkeit und Billigkeit richte. Wenn dieses Verhör auf die Art geschieht, wie §.
191. 159 f. und
169. Anm. angegeben wurde, und wenn man in der Polemik wie in der Dogmatik untersucht, um Wahrheit, nicht um Nahrung der Leidenschaft, zu finden: so fallen alle jene Uebel weg, welche die Polemik mit Recht in einen üblen Ruf brachten; und sie wird alsdann ein sehr heilsames Mittel, wahren Frieden ohne Nachtheil der Wahrheit zu befördern.
198.
Wenn man das zusammennimmt, was bisher von der rechten Einrichtung dieser Art der Theologie, von dem Nutzen derselben, von den gewöhnlichen Fehlern bei Führung theologischer Streitigkeiten, und bei dem Vortrag derselben in einer besondern Wissenschaft, gesagt worden ist: so kann man |c253| von selbst leicht erkennen, wie sie müsse studiert, und worauf eigentlich Acht gegeben werden, um den versprochenen Nutzen daraus ziehen. Uebrigens ist die Methode, die Polemik nach der Ordnung der Lehren vorzutragen, überhaupt weit nützlicher, als die Ordnung nach verschiedenen Religionsparteien. Der Hauptzweck soll doch bei polemischen Untersuchungen 1) immer seyn, Wahrheit und Irrthum oder Schein unterscheiden, und sich überzeugen zu lernen, was für und wider jeden verschiedenen Lehrsatz oder Vorstellung einer Lehre gesagt werden könne, und mit welchem Grunde. Dieß kann aber am besten geschehen, wenn wir bei Untersuchung der Lehren in der Dogmatik gleich auch das Gegentheil mit, wenigstens gleich in der Polemik dasselbe in Beziehung auf jene Lehren untersuchen. 2) Man lernt auch nach dieser Methode bei jeder Lehre sogleich die verschiedenen Meinungen darüber mit Einem Male, und braucht sie nicht erst zerstreut unter den verschiedenen Parteien aufzusuchen; und eben dadurch wird 3) verhütet, daß man nicht die nämlichen Gründe, und meistens eben dieselben Antworten, bei Prüfung einer Partei zu wiederholen braucht, wenn man sie schon bei einer andern erwogen hat, welches unnöthige Weitläuftigkeiten erspart. Auch werden 4) bei Untersuchung der Meinungen einer Partei nur solche Punkte erörtert, die zwischen Parteien streitig sind; und diese sind nicht gerade der Sache nach die wichtigsten, als welche letztere oft gar nicht einmal Unterscheidungslehren ganzer Parteien ausmachen; sehr oft enthalten gewisse Privatmeinungen viel wichtigere Aufschlüsse, und Gründe einzelner gelehrten Theologen sind oft viel ausgesuchter und geschärfter, als die, so in öffentlichen Bekenntnißbüchern gebraucht sind. So nährt auch 5) die Abhandlung der Streitigkeiten nach Parteien mehr den Sektenhaß, erschwert die |c254| unparteiischere Untersuchung, und nöthigt den Untersucher 6) viele ganz unnütze Untersuchungen beizubehalten, an deren Statt viel erheblichere, und unsern Zeitbedürfnissen gemäßere, könnten aufgenommen werden.Wenn man das zusammennimmt, was bisher von der rechten Einrichtung dieser Art der Theologie, von dem Nutzen derselben, von den gewöhnlichen Fehlern bei Führung theologischer Streitigkeiten, und bei dem Vortrag derselben in einer besondern Wissenschaft, gesagt worden ist: so kann man |c253| von selbst leicht erkennen, wie sie müsse studiert, und worauf eigentlich Acht gegeben werden, um den versprochenen Nutzen daraus ziehen. Uebrigens ist die Methode, die Polemik nach der Ordnung der Lehren vorzutragen, überhaupt weit nützlicher, als die Ordnung nach verschiedenen Religionsparteien. Der Hauptzweck soll doch bei polemischen Untersuchungen 1) immer seyn, Wahrheit und Irrthum oder Schein unterscheiden, und sich überzeugen zu lernen, was für und wider jeden verschiedenen Lehrsatz oder Vorstellung einer Lehre gesagt werden könne, und mit welchem Grunde. Dieß kann aber am besten geschehen, wenn wir bei Untersuchung der Lehren in der Dogmatik gleich auch das Gegentheil mit, wenigstens gleich in der Polemik dasselbe in Beziehung auf jene Lehren untersuchen. 2) Man lernt auch nach dieser Methode bei jeder Lehre sogleich die verschiedenen Meinungen darüber mit Einem Male, und braucht sie nicht erst zerstreut unter den verschiedenen Parteien aufzusuchen; und eben dadurch wird 3) verhütet, daß man nicht die nämlichen Gründe, und meistens eben dieselben Antworten, bei Prüfung einer Partei zu wiederholen braucht, wenn man sie schon bei einer andern erwogen hat, welches unnöthige Weitläuftigkeiten erspart. Auch werden 4) bei Untersuchung der Meinungen einer Partei nur solche Punkte erörtert, die zwischen Parteien streitig sind; und diese sind nicht gerade der Sache nach die wichtigsten, als welche letztere oft gar nicht einmal Unterscheidungslehren ganzer Parteien ausmachen; sehr oft enthalten gewisse Privatmeinungen viel wichtigere Aufschlüsse, und Gründe einzelner gelehrten Theologen sind oft viel ausgesuchter und geschärfter, als die, so in öffentlichen Bekenntnißbüchern gebraucht sind. So nährt auch 5) die Abhandlung der Streitigkeiten nach Parteien mehr den Sektenhaß, erschwert die |c254| unparteiischere Untersuchung, und nöthigt den Untersucher 6) viele ganz unnütze Untersuchungen beizubehalten, an deren Statt viel erheblichere, und unsern Zeitbedürfnissen gemäßere, könnten aufgenommen werden.
Anm. 1) Zwar fällt bei der Abhandlung nach den Parteien der Zusammenhang eines Irrthums mit dem andern besser in die Augen; aber dieser kleine Vortheil ist für den Verlust der in dem §. angeführten Vortheile der andern Methode ein zu geringer Ersatz; und den Abgang dieses Vortheils kann eine Geschichte der Religionsparteien hinlänglich ersetzen, wenn darin der innere Zusammenhang der Lehrsätze dieser Partei wohl vorgelegt wird.
2) Es kann seinen guten Nutzen haben, wenn man auch die Lehrsätze einer besondern Partei besonders untersucht, in dem Fall, wenn äußerliche Verhältnisse, z. B. mit der römischen Kirche, oder die Zeitumstände, wo gewisse Arten von Irrthümern vornehmlich im Gange sind, dergleichen besondere Untersuchung nöthig machen, z. B. die Streitigkeiten mit den Deisten. – Vorzüglich nützlich würde es seyn, gerade diejenigen Streitigkeiten recht gründlich zu untersuchen, die unserer Zeit eigen sind, weil dieses unsere Bedürfnisse am meisten erfordern. Ein, wiewohl in vielerlei Absicht sehr unvollkommener Versuch davon, ist das Lehrbuch für die neueste Polemik, Halle 1782. gr. 8. Dagegen behauptet die Baumgartensche Geschichte der Religionsparteien noch immer ihren Werth.
199.
Die
christliche Moral, oder der zusammenhängende Unterricht, den uns das Christenthum über die Einrichtung unsers freien Verhaltens nach Gottes Willen, giebt, kann nicht bloß auf dasjenige eingeschränkt werden, was die heilige Schrift davon enthält, sondern muß auch Alles mit in sich fassen, was uns die Betrachtung der Natur darüber lehrt, zumal da die heilige Schrift diesen Theil des
|c255| Christenthums nicht so ausführlich vorgetragen hat, als theoretische Lehren. (S. §.
185 und
186. ) Ihr Unterschied von der
philosophischen Moral besteht daher nicht darin, daß diese, natürlich bekannte, und die christliche, geoffenbarte Pflichten enthält – denn der letztern sind nur sehr wenige, die nämlich, welche aus den dem Christenthum eingethümlichen Lehren fließen – sondern darin, daß die christliche auch noch solche Gesinnungen und Pflichten empfiehlt, die nicht aus der bloßen Natur erkennbar sind, und die natürlichen Pflichten durch neue, aus den eigentlichsten Christenthum hergenommene, Bewegungsgründe unterstützt. Da es aber bei der wahren Gottseligkeit, welche die christliche Moral lehren und empfehlen soll, nicht sowohl auf Handlungen als auf Gesinnungen ankommt, die sich nur durch gute Handlungen äußern, und das Christenthum, als eine Religion betrachtet, Alles auf unser Verhältniß gegen Gott zurückführt: so muß die christliche Moral
theils sowohl und vorzüglich auf Beförderung einer guten Gesinnung, als der Ausübung einzelner Pflichten arbeiten,
theils Beides beständig, wenigstens mit auf Gott, zurückführen.Die
christliche Moral, oder der zusammenhängende Unterricht, den uns das Christenthum über die Einrichtung unsers freien Verhaltens nach Gottes Willen, giebt, kann nicht bloß auf dasjenige eingeschränkt werden, was die heilige Schrift davon enthält, sondern muß auch Alles mit in sich fassen, was uns die Betrachtung der Natur darüber lehrt, zumal da die heilige Schrift diesen Theil des
|c255| Christenthums nicht so ausführlich vorgetragen hat, als theoretische Lehren. (S. §.
185 und
186. ) Ihr Unterschied von der
philosophischen Moral besteht daher nicht darin, daß diese, natürlich bekannte, und die christliche, geoffenbarte Pflichten enthält – denn der letztern sind nur sehr wenige, die nämlich, welche aus den dem Christenthum eingethümlichen Lehren fließen – sondern darin, daß die christliche auch noch solche Gesinnungen und Pflichten empfiehlt, die nicht aus der bloßen Natur erkennbar sind, und die natürlichen Pflichten durch neue, aus den eigentlichsten Christenthum hergenommene, Bewegungsgründe unterstützt. Da es aber bei der wahren Gottseligkeit, welche die christliche Moral lehren und empfehlen soll, nicht sowohl auf Handlungen als auf Gesinnungen ankommt, die sich nur durch gute Handlungen äußern, und das Christenthum, als eine Religion betrachtet, Alles auf unser Verhältniß gegen Gott zurückführt: so muß die christliche Moral
theils sowohl und vorzüglich auf Beförderung einer guten Gesinnung, als der Ausübung einzelner Pflichten arbeiten,
theils Beides beständig, wenigstens mit auf Gott, zurückführen.
Anm. Hiernach schließt der Name einer Sittenlehre der heiligen Schrift weniger in sich, als der Name der christlichen Sittenlehre. – Den Theil der letztern, der sich mit dem Unterricht zur Hervorbringung guter Gesinnungen beschäftigt, nennen einige die Ethicam, und den, der einzelne Pflichten vorträgt, die Jurisprudentiam divinam. – Da das Christenthum die Natur des Menschen nicht aufhebt, sondern nur verbessert, so dürfen die ihm eigenthümlichen Gesinnungen und Pflichten nie von den natürlichen getrennt werden; welche Trennung Gelegenheit gegeben hat, gemeinnützige Tugenden und Pflichten über Handlungen der bloßen Andacht zu verges|c256|sen, oder jene für unwichtiger, als diese anzusehen, oder die wahre Frömmigkeit in Schwärmerei zu verwandeln, wie unter andern das Beispiel der Mönchs-Moral beweiset.
200.
Wenn die christliche Sittenlehre ihre Absicht erfüllen soll, so muß sie dreierlei leisten. Sie muß 1) Alles, was zur wahren Gottseligkeit gehört, und den ganzen Umfang der Pflichten eines Christen vorstellen; sie muß wenigstens – da ihr Umfang ins Unendliche geht, und jede neu erlangte Kenntniß, jede neue Art von Umständen, in die wir kommen, uns neue Pflichten auflegt – so allgemeine und in vorkommenden Fällen anwendbare Grundsätze vorlegen, daß wir daraus, indem wir sie mit unsern Umständen vergleichen, unser rechtmäßiges Verhalten in einzelnen Fällen bestimmen können. Um diese Pflicht in ihrem ganzen Umfange vorzustellen, müssen nicht nur die gesammten Pflichten selbst angegeben, es muß auch bestimmt werden, wie weit sie reichen, um sie nicht zu weit auszudehnen, und Pflichten zu fordern, die dergleichen nicht sind, oder sie zu sehr einzuschränken, und Pflichten auszusschliessen, die darin mit begriffen seyn sollten; – es muß selbst die Collision der Pflichten nicht übersehen, und, durch Zusammenhaltung derselben, gezeigt werden, wie weit eine durch die andere eingeschränkt werde, oder die eine in vorkommenden Fällen der andern weichen müsse. Man sieht leicht ein, wie nöthig hier deutliche und bestimmte Begriffe sind, und wie wenig es zureiche, nur überhaupt zu wissen, was man zu thun oder zu lassen habe.Wenn die christliche Sittenlehre ihre Absicht erfüllen soll, so muß sie dreierlei leisten. Sie muß 1) Alles, was zur wahren Gottseligkeit gehört, und den ganzen Umfang der Pflichten eines Christen vorstellen; sie muß wenigstens – da ihr Umfang ins Unendliche geht, und jede neu erlangte Kenntniß, jede neue Art von Umständen, in die wir kommen, uns neue Pflichten auflegt – so allgemeine und in vorkommenden Fällen anwendbare Grundsätze vorlegen, daß wir daraus, indem wir sie mit unsern Umständen vergleichen, unser rechtmäßiges Verhalten in einzelnen Fällen bestimmen können. Um diese Pflicht in ihrem ganzen Umfange vorzustellen, müssen nicht nur die gesammten Pflichten selbst angegeben, es muß auch bestimmt werden, wie weit sie reichen, um sie nicht zu weit auszudehnen, und Pflichten zu fordern, die dergleichen nicht sind, oder sie zu sehr einzuschränken, und Pflichten auszusschliessen, die darin mit begriffen seyn sollten; – es muß selbst die Collision der Pflichten nicht übersehen, und, durch Zusammenhaltung derselben, gezeigt werden, wie weit eine durch die andere eingeschränkt werde, oder die eine in vorkommenden Fällen der andern weichen müsse. Man sieht leicht ein, wie nöthig hier deutliche und bestimmte Begriffe sind, und wie wenig es zureiche, nur überhaupt zu wissen, was man zu thun oder zu lassen habe.
Anm. Beispiele hiervon geben: die Lehre von der Demuth und Bescheidenheit, welche gleich weit von Niederträchtigkeit und Stolz entfernt bleiben soll; von dem Vertrauen |c257| auf Gott, das nicht in Unthätigkeit oder Versuchung Gottes ausarten muß; vom Diebstahl, der auch das Verfertigen schlechter Arbeit, den Andern zugefügten aber verschwiegenen Schaden, unüberlegtes Schuldenmachen und unterlassene Bezahlung derselben, und noch viele andere wenig erkannte Sünden in sich schließt; die Lehre von der Aufrichtigkeit und Verschweigung seiner Kenntnisse, Ueberzeugungen und Gesinnungen; die Pflicht, bessere Einsicht in der Religion auszubreiten, oder für sich zu behalten, und die dabei nöthige, selbst auf Menschenliebe gegründete Weisheit u. a. m.
201.
Nächstdem muß billig die christliche Moral 2) überall so abgehandelt werden, daß durch sie wirkliche Gottseligkeit befördert werde, d. i., sie muß Alles so einleuchtend, so dringend, so überwiegend angenehm machen, daß bei uns eine wahrhafte Ueberzeugung: daß wir so seyn und handeln müssen, wenn es uns wohl gehen soll, wahrhafte Neigung, so zu werden und zu verfahren, und zwar überwiegende Neigung dazu, entstehen und in wirkliche That übergehen könne. Dieses kann geschehen durch deutliche und lebhafte Darstellung – zuerst der wahren Tugend oder Gottseligkeit, theils als einer Sache, ohne die man unmöglich glücklich seyn, bei der man hingegen auf die seligsten Folgen rechnen könne, theils als eines Ganzen, d. i. als einer durchgängigen Lust an Allem, was Gottes Willen gemäß ist, und eines durchgängigen Mißfallens am Gegentheil, verbunden mit einem beständigen, immer wieder erneuerten, Bestreben, durchaus nach Gottes Willen zu handeln; sodann – aller einzelnen Pflichten im Zusammenhang, d. i. als solcher, die Gott unfehlbar von uns fordert, und die sowohl nothwendige Folgen von den anerkannten Pflichten, als neue |c258| Quellen der seligsten Folgen sind, die aus ihrer Ausübung entspringen. Die Vorlegung der wohlthätigen Absichten, die Gott bei allen seinen Gesetzen und Anstalten hat, können uns nicht nur willig machen zu Gesinnungen und Handlungen, die seinen Absichten entsprechen; sie können uns auch Aufschlüsse geben über die Verbindung einer Pflicht mit der andern, und über unsre rechte Wahl, wenn diese Pflichten mit einander in Collision kommen sollten.Nächstdem muß billig die christliche Moral 2) überall so abgehandelt werden, daß durch sie wirkliche Gottseligkeit befördert werde, d. i., sie muß Alles so einleuchtend, so dringend, so überwiegend angenehm machen, daß bei uns eine wahrhafte Ueberzeugung: daß wir so seyn und handeln müssen, wenn es uns wohl gehen soll, wahrhafte Neigung, so zu werden und zu verfahren, und zwar überwiegende Neigung dazu, entstehen und in wirkliche That übergehen könne. Dieses kann geschehen durch deutliche und lebhafte Darstellung – zuerst der wahren Tugend oder Gottseligkeit, theils als einer Sache, ohne die man unmöglich glücklich seyn, bei der man hingegen auf die seligsten Folgen rechnen könne, theils als eines Ganzen, d. i. als einer durchgängigen Lust an Allem, was Gottes Willen gemäß ist, und eines durchgängigen Mißfallens am Gegentheil, verbunden mit einem beständigen, immer wieder erneuerten, Bestreben, durchaus nach Gottes Willen zu handeln; sodann – aller einzelnen Pflichten im Zusammenhang, d. i. als solcher, die Gott unfehlbar von uns fordert, und die sowohl nothwendige Folgen von den anerkannten Pflichten, als neue |c258| Quellen der seligsten Folgen sind, die aus ihrer Ausübung entspringen. Die Vorlegung der wohlthätigen Absichten, die Gott bei allen seinen Gesetzen und Anstalten hat, können uns nicht nur willig machen zu Gesinnungen und Handlungen, die seinen Absichten entsprechen; sie können uns auch Aufschlüsse geben über die Verbindung einer Pflicht mit der andern, und über unsre rechte Wahl, wenn diese Pflichten mit einander in Collision kommen sollten.
Anm. Hieraus erhellet, wie höchst nützlich es sei, das, was zur christlichen Moral gehört, ja im Zusammenhange zu studieren, und sich nicht mit guten Maximen und Sentenzen zu behelfen.
202.
Weil aber die Ueberzeugung, daß etwas Pflicht sei, die Ueberzeugung von ihrer Möglichkeit voraussetzt, und weder Willigkeit, etwas zu werden oder zu thun, noch viel weniger That entstehen kann, wenn man nicht einsieht, wie man es anzugreifen habe, um so zu werden oder zu handeln: so muß sich die christliche Moral nicht bloß auf Vorlegung und Einschärfung guter Gesinnungen und Pflichten einschränken, sondern auch 3) die Art zeigen, wie wir jene erlangen, erhalten und verstärken, und diese ausüben, wodurch wir uns dieses erleichtern, und die Hindernisse desselben aus dem Wege räumen, oder doch vermindern können.Weil aber die Ueberzeugung, daß etwas Pflicht sei, die Ueberzeugung von ihrer Möglichkeit voraussetzt, und weder Willigkeit, etwas zu werden oder zu thun, noch viel weniger That entstehen kann, wenn man nicht einsieht, wie man es anzugreifen habe, um so zu werden oder zu handeln: so muß sich die christliche Moral nicht bloß auf Vorlegung und Einschärfung guter Gesinnungen und Pflichten einschränken, sondern auch 3) die Art zeigen, wie wir jene erlangen, erhalten und verstärken, und diese ausüben, wodurch wir uns dieses erleichtern, und die Hindernisse desselben aus dem Wege räumen, oder doch vermindern können.
203.
Ob ein solches Studium der christlichen Moral nützlich sei, darüber sollte bei vernünftigen Menschen und Christen eigentlich gar kein Zweifel entstehen, weil es eben so viel ist, als wenn jemand noch fragen wollte: ob der Mensch seine Pflicht thun, und immer recht handeln müsse, oder nicht? ob er nach Glückseligkeit streben müsse, oder nicht? |c259| ob er glücklich werden könne ohne die Mittel, die er dazu in Händen hat, und ohne seine Kräfte zu gebrauchen? ob die deutliche und lebendige Kenntniß und Ueberzeugung von seinen Pflichten und ihrer Quelle, einer guten Gesinnung, von den seligen Folgen derselben, und von der besten Art, sie zu erlangen oder auszuüben, diesen fleißigen Gebrauch jener Mittel befördere, oder hindere? Und doch haben viele, auch sehr verständige redliche Christen, wirklich dieses Studium nicht nur für entbehrlich, sondern selbst für schädlich gehalten. Oft sind sie auch in ihren Vorurtheilen dagegen durch übertriebene Lobsprüche auf diese Wissenschaft verstärkt worden. Beiderlei ausschweifende Vorurtheile rühren von unrichtigen, unvollständigen oder überspannten Begriffen her, die man sich von dem Umfang und von dem Zweck der Moral, von ihrem größeren oder geringeren Einfluß auf denselben, und von dem Werth anderer Mittel zur Glückseligkeit der Menschen macht; und diese Vorurtheile fallen weg, wenn man alle diese Begriffe berichtigt. Schon die ganze Absicht und Natur dieser Wissenschaft zeigt, daß es, nächst der christlichen Glaubenslehre, keine gebe, deren Werth und unmittelbarer Einfluß in die Glückseligkeit des Menschen mit dem ihrigen verglichen werden könne.Ob ein solches Studium der christlichen Moral nützlich sei, darüber sollte bei vernünftigen Menschen und Christen eigentlich gar kein Zweifel entstehen, weil es eben so viel ist, als wenn jemand noch fragen wollte: ob der Mensch seine Pflicht thun, und immer recht handeln müsse, oder nicht? ob er nach Glückseligkeit streben müsse, oder nicht? |c259| ob er glücklich werden könne ohne die Mittel, die er dazu in Händen hat, und ohne seine Kräfte zu gebrauchen? ob die deutliche und lebendige Kenntniß und Ueberzeugung von seinen Pflichten und ihrer Quelle, einer guten Gesinnung, von den seligen Folgen derselben, und von der besten Art, sie zu erlangen oder auszuüben, diesen fleißigen Gebrauch jener Mittel befördere, oder hindere? Und doch haben viele, auch sehr verständige redliche Christen, wirklich dieses Studium nicht nur für entbehrlich, sondern selbst für schädlich gehalten. Oft sind sie auch in ihren Vorurtheilen dagegen durch übertriebene Lobsprüche auf diese Wissenschaft verstärkt worden. Beiderlei ausschweifende Vorurtheile rühren von unrichtigen, unvollständigen oder überspannten Begriffen her, die man sich von dem Umfang und von dem Zweck der Moral, von ihrem größeren oder geringeren Einfluß auf denselben, und von dem Werth anderer Mittel zur Glückseligkeit der Menschen macht; und diese Vorurtheile fallen weg, wenn man alle diese Begriffe berichtigt. Schon die ganze Absicht und Natur dieser Wissenschaft zeigt, daß es, nächst der christlichen Glaubenslehre, keine gebe, deren Werth und unmittelbarer Einfluß in die Glückseligkeit des Menschen mit dem ihrigen verglichen werden könne.
Anm. Durch meinen Versuch: Ueber den Werth der Moral, der Tugend und der späten Besserung, zweite Ausgabe, Halle 1782. 8., hoffe ich mir den weitern Commentar über diese Sache, wie über die nächst vorhergehenden §§. erspart zu haben. M. s.
A. C. Bartels'
über den Werth der christlichen Sittenlehre, Hamburg 1788.
204.
Wie diese edle Wissenschaft mit wahrem Nutzen studiert werden könne, läßt sich aus dem leicht folgern, was bis
|c260|her §.
200 –
202. über die Erfordernisse bei derselben, ausführlicher im gedachten Buche, auch oben §.
188. gesagt worden ist. Aber nirgends ist auch das für Annehmung alles Guten offene und willige Herz so unentbehrlich als hier. – Um die rechte Behandlung der christlichen Moral nach der heil. Schrift und der Vernunft zu lernen, möchten die obigen Anmerkungen §.
145 f. und
156 f. sehr dienlich seyn.Wie diese edle Wissenschaft mit wahrem Nutzen studiert werden könne, läßt sich aus dem leicht folgern, was bis
|c260|her §.
200 –
202. über die Erfordernisse bei derselben, ausführlicher im gedachten Buche, auch oben §.
188. gesagt worden ist. Aber nirgends ist auch das für Annehmung alles Guten offene und willige Herz so unentbehrlich als hier. – Um die rechte Behandlung der christlichen Moral nach der heil. Schrift und der Vernunft zu lernen, möchten die obigen Anmerkungen §.
145 f. und
156 f. sehr dienlich seyn.
Anm. Die besten allgemeinern Schriften, welche die christliche Moral enthalten, sind in der Anweisung zur theologischen Bücherkenntniß §. 272 f. angezeigt. Seitdem man angefangen hat, mehr die Natur der menschlichen Seele zu studieren, und darauf sowohl, als auf die genauer untersuchte Natur der Sittlichkeit überhaupt, die Moral zu gründen, haben wir sehr schätzbare Versuche über die Moral überhaupt erhalten, die keinem, der die christliche Moral recht studieren will, gleichgültig seyn dürfen.
Zusatz des Herausgebers.
Die älteren wissenschaftlichen Lehrbücher der christlichen Moral, folgen doch fast sämmtlich dem Ideengange irgend eines philosophischen Systems, und zeichnen sich auch durch philosophischen Geist vor vielen Lehrbüchern der ältern Dogmatik aus. Dieß ist der Fall in den Systemen von Buddeus, Baumgarten, Canz, Crusius. Mosheim ging einen freiern Gang, ward aber auch eben daher oft mehr wortreich als gründlich.Die älteren wissenschaftlichen Lehrbücher der christlichen Moral, folgen doch fast sämmtlich dem Ideengange irgend eines philosophischen Systems, und zeichnen sich auch durch philosophischen Geist vor vielen Lehrbüchern der ältern Dogmatik aus. Dieß ist der Fall in den Systemen von Buddeus, Baumgarten, Canz, Crusius. Mosheim ging einen freiern Gang, ward aber auch eben daher oft mehr wortreich als gründlich.
Die Erscheinung der kritischen Philosophie hat auf die Wissenschaft einen sehr bedeutenden Einfluß gehabt. Ihr Stifter Kant hatte selbst behauptet, sein Moralsystem sei in seinen Hauptideen vollkommen mit den Grundsätzen des christlichen übereinstimmend. Sein Prinzip sei kein anderes, als was Christus seiner Lehre zum Grunde gelegt habe.Die Erscheinung der kritischen Philosophie hat auf die Wissenschaft einen sehr bedeutenden Einfluß gehabt. Ihr Stifter Kant hatte selbst behauptet, sein Moralsystem sei in seinen Hauptideen vollkommen mit den Grundsätzen des christlichen übereinstimmend. Sein Prinzip sei kein anderes, als was Christus seiner Lehre zum Grunde gelegt habe.
|c261| Die große Sensation, welche diese Philosophie machte, der hohe und reine Geist, welcher sich besonders in dem praktischen oder moralischen Theil aussprach, das Anschließen desselben an die Aussprüche des neuen Testaments, bewog viele Theologen, nunmehr ihre theologischen Lehrbücher ganz nach den Kantischen Ideen zu bilden, dieselben Terminologieen zu gebrauchen, und allerdings wohl vieles in das neue Testament hineinzutragen, was in einer so populären Behandlung moralischer Wahrheiten kaum zu erwarten war. Die Compendien von F. W. Schmid, Ammon, Snell, mit einigen Modificationen aber von Vogel, Stäudlin und Andern, liefern die Beweise. Andere, wie Reinhard, sträubten sich zwar Anfangs dagegen, nahmen aber doch unvermerkt immer mehr von den Kantischen Ideen auf, da sie sich von so vielen Seiten durch Würde und Consequenz empfahlen, wie dieß Garve in seiner Schrift über die Moralprincipien alter und neuer Schulen, mit großer Unparteilichkeit ins Licht gesetzt hat. Das Moralsystem Reinhard's, wovon er den letzten Theil nicht vollenden konnte, bleibt übrigens ein Hauptbuch, mehr durch seine Anordnung, die Wiederholungen unvermeidlich machte, als durch den Schatz von Kenntniß, Gründlichkeit der Exposition vieler Materien, und die reiche und gewählte Literatur.|c261| Die große Sensation, welche diese Philosophie machte, der hohe und reine Geist, welcher sich besonders in dem praktischen oder moralischen Theil aussprach, das Anschließen desselben an die Aussprüche des neuen Testaments, bewog viele Theologen, nunmehr ihre theologischen Lehrbücher ganz nach den Kantischen Ideen zu bilden, dieselben Terminologieen zu gebrauchen, und allerdings wohl vieles in das neue Testament hineinzutragen, was in einer so populären Behandlung moralischer Wahrheiten kaum zu erwarten war. Die Compendien von F. W. Schmid, Ammon, Snell, mit einigen Modificationen aber von Vogel, Stäudlin und Andern, liefern die Beweise. Andere, wie Reinhard, sträubten sich zwar Anfangs dagegen, nahmen aber doch unvermerkt immer mehr von den Kantischen Ideen auf, da sie sich von so vielen Seiten durch Würde und Consequenz empfahlen, wie dieß Garve in seiner Schrift über die Moralprincipien alter und neuer Schulen, mit großer Unparteilichkeit ins Licht gesetzt hat. Das Moralsystem Reinhard's, wovon er den letzten Theil nicht vollenden konnte, bleibt übrigens ein Hauptbuch, mehr durch seine Anordnung, die Wiederholungen unvermeidlich machte, als durch den Schatz von Kenntniß, Gründlichkeit der Exposition vieler Materien, und die reiche und gewählte Literatur.
Fast könnte man übrigens fürchten, daß die beinahe ganz philosophische Gestalt, welche die christliche Sittenlehre erhalten, ihren eigenthümlichen Charakter zu sehr in Schatten gestellt, und daß sie wohl eigentlich, um sich von der philosophischen zu unterscheiden, mehr unmittelbar aus ihrer Urkunde hergeleitet werden müßte. Eine solche Bearbeitung liegt, wenn Gott mein Leben fristet, in meinen Plänen für die Zukunft.
D. H.
Fast könnte man übrigens fürchten, daß die beinahe ganz philosophische Gestalt, welche die christliche Sittenlehre erhalten, ihren eigenthümlichen Charakter zu sehr in Schatten gestellt, und daß sie wohl eigentlich, um sich von der philosophischen zu unterscheiden, mehr unmittelbar aus ihrer Urkunde hergeleitet werden müßte. Eine solche Bearbeitung liegt, wenn Gott mein Leben fristet, in meinen Plänen für die Zukunft.
D. H.
|c262| 205.
Noch könnte man als Theile der christlichen Moral das ansehen, was Manche unter dem Namen der Casuistik, Ascetik und Mystik begreifen. – Unter dem Namen der Casuistik, oder casuistischen Theologie, versteht man eine Anweisung, die göttlichen Gesetze auf vorkommende einzelne Fälle mit Vorsicht anzuwenden. Weil aber diese weise Anwendung stets in Rücksicht auf die ins Unendliche verschiedene Umstände bei einzelnen Fällen geschehen muß, so sind der dahin gehörigen allgemeinen Regeln nur so wenige, und sie sind so allgemein, daß sie bei der wirklichen Anwendung viel zu unzureichend sind. Und dieses Wenige, z. B. über die Collision der Pflichten, kann ja in der Moral eben sowohl mit vorgetragen werden, ohne daß man nöthig hat, eine besondere Wissenschaft daraus zu machen. Der beste Unterricht in einer solchen vorsichtigen Anwendung, liegt in recht deutlichen und bestimmten Begriffen von unsern Pflichten, in genauer Aufsuchung der Absichten Gottes bei besondern Gesetzen oder ihres Geistes im Gegensatz des bloßen Buchstabens, und in genau bestimmten Gründen, die uns zu etwas verpflichten, wozu hernach eine reifliche Erwägung der jedesmaligen Umstände kommen muß. Die fleißige Uebung in praktischer Beobachtung und Beurtheilung nach gedachten Begriffen, Absichten und Gründen; das Studium der moralischen Natur des Menschen und der Geschichte, und die sorgfältige Aufmerksamkeit auf (freilich nicht häufige) Beispiele von weisen Entscheidungen solcher einzelnen Fälle, helfen hier weit mehr, als das ängstliche Studium allgemeiner Regeln. Die meisten casuistischen Schriftsteller sprechen mehr nach Herkommen, menschlichem Ansehen und Gutdünken, als nach ge|c263|dachten richtigen Grundsätzen und Beobachtungen; verlieren sich auch zum Theil so sehr in bloß abstrakten Speculationen, daß ihre Versuche, der Moral und brauchbaren Entscheidung einzelner Fälle danach, mehr schädlich als nützlich geworden sind.Noch könnte man als Theile der christlichen Moral das ansehen, was Manche unter dem Namen der Casuistik, Ascetik und Mystik begreifen. – Unter dem Namen der Casuistik, oder casuistischen Theologie, versteht man eine Anweisung, die göttlichen Gesetze auf vorkommende einzelne Fälle mit Vorsicht anzuwenden. Weil aber diese weise Anwendung stets in Rücksicht auf die ins Unendliche verschiedene Umstände bei einzelnen Fällen geschehen muß, so sind der dahin gehörigen allgemeinen Regeln nur so wenige, und sie sind so allgemein, daß sie bei der wirklichen Anwendung viel zu unzureichend sind. Und dieses Wenige, z. B. über die Collision der Pflichten, kann ja in der Moral eben sowohl mit vorgetragen werden, ohne daß man nöthig hat, eine besondere Wissenschaft daraus zu machen. Der beste Unterricht in einer solchen vorsichtigen Anwendung, liegt in recht deutlichen und bestimmten Begriffen von unsern Pflichten, in genauer Aufsuchung der Absichten Gottes bei besondern Gesetzen oder ihres Geistes im Gegensatz des bloßen Buchstabens, und in genau bestimmten Gründen, die uns zu etwas verpflichten, wozu hernach eine reifliche Erwägung der jedesmaligen Umstände kommen muß. Die fleißige Uebung in praktischer Beobachtung und Beurtheilung nach gedachten Begriffen, Absichten und Gründen; das Studium der moralischen Natur des Menschen und der Geschichte, und die sorgfältige Aufmerksamkeit auf (freilich nicht häufige) Beispiele von weisen Entscheidungen solcher einzelnen Fälle, helfen hier weit mehr, als das ängstliche Studium allgemeiner Regeln. Die meisten casuistischen Schriftsteller sprechen mehr nach Herkommen, menschlichem Ansehen und Gutdünken, als nach ge|c263|dachten richtigen Grundsätzen und Beobachtungen; verlieren sich auch zum Theil so sehr in bloß abstrakten Speculationen, daß ihre Versuche, der Moral und brauchbaren Entscheidung einzelner Fälle danach, mehr schädlich als nützlich geworden sind.
206.
Ascetik (Uebungslehre), als ein Theil der Moral genommen, wird 1) bisweilen in weiterm Verstande von der Anweisung verstanden, tugendhaft zu werden, und sich so zu beweisen. So fern die Moral überhaupt auch von den Mitteln zur Tugend handelt, und bei den einzelnen Pflichten die beste Art zeigt, wie sie ausgeübt werden müssen (§.
202. ), macht sie eine besondere Wissenschaft dieser Art entbehrlich. Es ist auch nicht rathsam, sie von der Moral zu trennen, weil gegründete und nicht willkürliche Regeln oder Rathschläge auf deutlichen und bestimmten Begriffen von der wahren Gottseligkeit und unsern Pflichten beruhen müssen. Gründet man sie darauf nicht – und das scheinen die zu thun, welche Ascetik noch von Moral unterscheiden: – so können ascetische Schriften viel Gutes enthalten, das aber nicht immer allgemein wahr und nützlich ist; sie legen auch gemeiniglich auf zufällige Dinge zu großen Werth , und mischen so manches Willkürliche und Irrige mit ein, daß man sich nicht sicher auf sie verlassen kann, ja oft, bei der besten Meinung, zu Ausschweifungen verleitet wird. – Bisweilen aber unterscheidet man auch
moralische und
ascetische Schriften 2) nachdem sie mehr auf Erkenntniß der Tugend und unserer Pflichten, oder mehr auf das Herz und zur Beförderung des Eindrucks jener Erkenntniß arbeiten. – Beides sollte nicht getrennt werden, obgleich das Eine zunächst mehr der Zweck des Un
|c264|terrichts seyn könnte, als das Andere. – Manchmal nennt man auch 3) moralische Schriften die, welche mehr durch deutliche Begriffe und Bewegungsgründe, und ascetische, die mehr durch sinnliche Vorstellungen die Gottseligkeit lehren und empfehlen sollen. Beiderlei Vortrag kann nach Beschaffenheit der Umstände nützlich seyn (§.
175 –
177. ), und müßte billig, so weit es möglich ist, verbunden werden; nur müßte man auch bei jedem das nicht aus der Acht lassen, was oben (§.
174. ) gesagt worden ist. – Wollte man aber, wie Einige gethan haben, 4)
Ascetik eine Anweisung zu einem Vortrag von der letztern Art nennen, so würde Ascetik von der
Anweisung zum populären Vortrag nicht verschieden seyn.
Ascetik (Uebungslehre), als ein Theil der Moral genommen, wird 1) bisweilen in weiterm Verstande von der Anweisung verstanden, tugendhaft zu werden, und sich so zu beweisen. So fern die Moral überhaupt auch von den Mitteln zur Tugend handelt, und bei den einzelnen Pflichten die beste Art zeigt, wie sie ausgeübt werden müssen (§.
202. ), macht sie eine besondere Wissenschaft dieser Art entbehrlich. Es ist auch nicht rathsam, sie von der Moral zu trennen, weil gegründete und nicht willkürliche Regeln oder Rathschläge auf deutlichen und bestimmten Begriffen von der wahren Gottseligkeit und unsern Pflichten beruhen müssen. Gründet man sie darauf nicht – und das scheinen die zu thun, welche Ascetik noch von Moral unterscheiden: – so können ascetische Schriften viel Gutes enthalten, das aber nicht immer allgemein wahr und nützlich ist; sie legen auch gemeiniglich auf zufällige Dinge zu großen Werth , und mischen so manches Willkürliche und Irrige mit ein, daß man sich nicht sicher auf sie verlassen kann, ja oft, bei der besten Meinung, zu Ausschweifungen verleitet wird. – Bisweilen aber unterscheidet man auch
moralische und
ascetische Schriften 2) nachdem sie mehr auf Erkenntniß der Tugend und unserer Pflichten, oder mehr auf das Herz und zur Beförderung des Eindrucks jener Erkenntniß arbeiten. – Beides sollte nicht getrennt werden, obgleich das Eine zunächst mehr der Zweck des Un
|c264|terrichts seyn könnte, als das Andere. – Manchmal nennt man auch 3) moralische Schriften die, welche mehr durch deutliche Begriffe und Bewegungsgründe, und ascetische, die mehr durch sinnliche Vorstellungen die Gottseligkeit lehren und empfehlen sollen. Beiderlei Vortrag kann nach Beschaffenheit der Umstände nützlich seyn (§.
175 –
177. ), und müßte billig, so weit es möglich ist, verbunden werden; nur müßte man auch bei jedem das nicht aus der Acht lassen, was oben (§.
174. ) gesagt worden ist. – Wollte man aber, wie Einige gethan haben, 4)
Ascetik eine Anweisung zu einem Vortrag von der letztern Art nennen, so würde Ascetik von der
Anweisung zum populären Vortrag nicht verschieden seyn.
207.
Bei den schwankenden Begriffen, die man mit dem Wort
Mystik oder
mystische Theologie verknüpft, scheint es doch, wenn man auf den Gebrauch Acht giebt, den man von diesem Namen macht, und nach diesem einen bestimmten Begriffe sucht, daß sich diese verschiedenen Begriffe auf drei zurückführen lassen: 1) Eine
Anweisung, Gott ähnlich zu werden. Alsdann ist sie, wenn es nur von einer sittlichen, nicht physischen, Aehnlichkeit verstanden wird, von der Moral eigentlich nicht verschieden, außer daß man in dieser letztern auch vieles, was recht ist, ohne Beziehung auf
Gott betrachten kann, und daß gewisse Pflichten, z. B. Erhaltung unsers Lebens durch gesunde Nahrungsmittel und gute Lebensordnung, zwar immer Gottes Willen gemäß seyn müssen, aber in Gott nichts Aehnliches haben. In einem andern Sinn versteht man darunter 2) Anweisung zu Uebungen überhaupt, wo
|c265|durch man zu dieser Aehnlichkeit mit Gott gelangen kann. Alsdann wäre sie mit der Ascetik im ersten Verstande (§.
206. ) einerlei, und ein Theil der Moral. 3) Im eigentlichsten und engsten Verstande aber, eine Anweisung zu solchen Uebungen, wodurch man, vermittelst des unmittelbaren Einflusses Gottes, dem man sich ganz überläßt, ohne ihn durch den Gebrauch eigener Kräfte oder äußerlicher Hülfsmittel zu stören, zur höchst möglichsten Aehnlichkeit mit Gott, in Gesinnungen und in Seligkeit, gelangt. Hierbei würde dann unser Betragen zu diesem Zweck, nicht auf dem Gebrauch und Befolgung weder der Vernunft, noch der heil. Schrift beruhen; wenigstens würde, was diese beide uns von Gottes Willen lehren, erst dem Ausspruch unserer innern Empfindungen unterworfen werden müssen. Dieß ist der nächste Weg zur Schwärmerei. Da nun die Verwechselung unsrer Phantasieen mit unsern Empfindungen so leicht ist, und wir außer dem Gebrauch der Vernunft und der heil. Schrift schlechterdings kein Mittel haben, Wahres vom Falschen, göttliche Weisheit von menschlicher Thorheit, zu unterscheiden: so mag immerhin die Mystik, oder was man durch ihre Anweisung lernt, viel Schätzbares enthalten, welches, nach der Vernunft und Schrift geprüft, und danach geläutert, uns wenigstens manches Gute eindrücklicher machen kann; aber trüglich bleibt sie für sich immer, und verdient ohnehin, da sie nicht auf deutlichen Begriffen beruht, auf keine Weise den Namen einer Wissenschaft .Bei den schwankenden Begriffen, die man mit dem Wort
Mystik oder
mystische Theologie verknüpft, scheint es doch, wenn man auf den Gebrauch Acht giebt, den man von diesem Namen macht, und nach diesem einen bestimmten Begriffe sucht, daß sich diese verschiedenen Begriffe auf drei zurückführen lassen: 1) Eine
Anweisung, Gott ähnlich zu werden. Alsdann ist sie, wenn es nur von einer sittlichen, nicht physischen, Aehnlichkeit verstanden wird, von der Moral eigentlich nicht verschieden, außer daß man in dieser letztern auch vieles, was recht ist, ohne Beziehung auf
Gott betrachten kann, und daß gewisse Pflichten, z. B. Erhaltung unsers Lebens durch gesunde Nahrungsmittel und gute Lebensordnung, zwar immer Gottes Willen gemäß seyn müssen, aber in Gott nichts Aehnliches haben. In einem andern Sinn versteht man darunter 2) Anweisung zu Uebungen überhaupt, wo
|c265|durch man zu dieser Aehnlichkeit mit Gott gelangen kann. Alsdann wäre sie mit der Ascetik im ersten Verstande (§.
206. ) einerlei, und ein Theil der Moral. 3) Im eigentlichsten und engsten Verstande aber, eine Anweisung zu solchen Uebungen, wodurch man, vermittelst des unmittelbaren Einflusses Gottes, dem man sich ganz überläßt, ohne ihn durch den Gebrauch eigener Kräfte oder äußerlicher Hülfsmittel zu stören, zur höchst möglichsten Aehnlichkeit mit Gott, in Gesinnungen und in Seligkeit, gelangt. Hierbei würde dann unser Betragen zu diesem Zweck, nicht auf dem Gebrauch und Befolgung weder der Vernunft, noch der heil. Schrift beruhen; wenigstens würde, was diese beide uns von Gottes Willen lehren, erst dem Ausspruch unserer innern Empfindungen unterworfen werden müssen. Dieß ist der nächste Weg zur Schwärmerei. Da nun die Verwechselung unsrer Phantasieen mit unsern Empfindungen so leicht ist, und wir außer dem Gebrauch der Vernunft und der heil. Schrift schlechterdings kein Mittel haben, Wahres vom Falschen, göttliche Weisheit von menschlicher Thorheit, zu unterscheiden: so mag immerhin die Mystik, oder was man durch ihre Anweisung lernt, viel Schätzbares enthalten, welches, nach der Vernunft und Schrift geprüft, und danach geläutert, uns wenigstens manches Gute eindrücklicher machen kann; aber trüglich bleibt sie für sich immer, und verdient ohnehin, da sie nicht auf deutlichen Begriffen beruht, auf keine Weise den Namen einer Wissenschaft .
Anm. S. noch die Anweisung zur Kenntniß der theologischen Bücher, §. 280 f.
{Mehr über diesen Gegenstand, namentlich die
Mystik unserer Zeit, im 3ten Theil bei der praktischen Theologie.
D. H.}
|c266| 208.
Ehe man zur systematischen Theologie schreitet, ist es zur deutlichen Ueberzeugung nothwendig, vorher eine feste Ueberzeugung von den Sätzen zu haben, worauf das göttliche Ansehen der heiligen Schrift und der darin erhaltenen Lehre sowohl, als der Glaubwürdigkeit ihrer Geschichte beruht, ohne welche Ueberzeugung die aus der heil. Schrift gezogenen Sätze nicht als sicher angenommen und aufgeklärt werden können. Diese vorläufig nothwendigen Sätze müssen also nicht erst aus der heil. Schrift, sondern schon anderwärtsher bekannt und erweislich seyn: und dahin gehört 1) Alles, was uns von Gott, seinen Eigenschaften, und dem daraus fließenden Verhältniß zwischen ihm und uns aus der Natur bekannt seyn kann; 2) Alles, was die Geschichte der Bibel selbst, und der darin vorgetragenen Lehre angeht, deren göttliches Ansehen mit deutlicher Ueberzeugung erkannt werden soll; folglich sowohl die Geschichte der biblischen Bücher, wenigstens der ganzen Sammlung, die wir unter dem Namen der heil. Schrift für eine Quelle der göttlichen Wahrheit ansehen, als auch die Geschichte der darin stufenweise bekannt gemachten göttlichen Offenbarungen. Und da diese letztere meistens und allein recht zuverlässig aus der Bibel selbst geschöpft, das göttliche Ansehen dieser Nachrichten aber nicht schon vorausgesetzt werden kann: so ist nicht nur eine Kenntniß der Regeln nöthig, wonach die Glaubwürdigkeit dieser Nachrichten kann erwiesen werden, sondern wir bedürfen auch historischer Kenntnisse, um darthun zu können, daß die in den biblischen Büchern vorkommenden Nachrichten von den göttlichen Lehren und ihrer Geschichte, alle Kennzeichen der Glaubwürdigkeit haben.Ehe man zur systematischen Theologie schreitet, ist es zur deutlichen Ueberzeugung nothwendig, vorher eine feste Ueberzeugung von den Sätzen zu haben, worauf das göttliche Ansehen der heiligen Schrift und der darin erhaltenen Lehre sowohl, als der Glaubwürdigkeit ihrer Geschichte beruht, ohne welche Ueberzeugung die aus der heil. Schrift gezogenen Sätze nicht als sicher angenommen und aufgeklärt werden können. Diese vorläufig nothwendigen Sätze müssen also nicht erst aus der heil. Schrift, sondern schon anderwärtsher bekannt und erweislich seyn: und dahin gehört 1) Alles, was uns von Gott, seinen Eigenschaften, und dem daraus fließenden Verhältniß zwischen ihm und uns aus der Natur bekannt seyn kann; 2) Alles, was die Geschichte der Bibel selbst, und der darin vorgetragenen Lehre angeht, deren göttliches Ansehen mit deutlicher Ueberzeugung erkannt werden soll; folglich sowohl die Geschichte der biblischen Bücher, wenigstens der ganzen Sammlung, die wir unter dem Namen der heil. Schrift für eine Quelle der göttlichen Wahrheit ansehen, als auch die Geschichte der darin stufenweise bekannt gemachten göttlichen Offenbarungen. Und da diese letztere meistens und allein recht zuverlässig aus der Bibel selbst geschöpft, das göttliche Ansehen dieser Nachrichten aber nicht schon vorausgesetzt werden kann: so ist nicht nur eine Kenntniß der Regeln nöthig, wonach die Glaubwürdigkeit dieser Nachrichten kann erwiesen werden, sondern wir bedürfen auch historischer Kenntnisse, um darthun zu können, daß die in den biblischen Büchern vorkommenden Nachrichten von den göttlichen Lehren und ihrer Geschichte, alle Kennzeichen der Glaubwürdigkeit haben.
|c267| 209.
Jene natürlichen Kenntnisse von Gott sind zwar in der natürlichen Theologie enthalten, und die andern vorläufigen historischen Kenntnisse von der Bibel und von ihrer Geschichte, findet man in den Büchern, welche die Kritik der heiligen Schrift, oder eine Einleitung in das alte und neue Testament liefern (§.
25. 34. und
51. ); auch pflegt man die nothwendigsten hierher gehörigen Kenntnisse vorläufig bei Abhandlung der dogmatischen Theologie vorzutragen. – Allein in der natürlichen Theologie nimmt man nicht immer Rücksicht auf die Möglichkeit und die Kennzeichen einer nähern göttlichen Offenbarung; es lassen sich auch von vorne her zwar wohl Merkmale angeben, woran eine fälschlich vorgegebene Offenbarung erkannt werden kann, aber keine unläugbaren Kennzeichen, woran eine wirklich wahre Offenbarung zu erkennen wäre. Ueberdieß kann man diese, jedem Menschen nothwendigen, Kenntnisse von Gott, nicht gemeinnützig und anschaulich genug machen, um lebhafte Eindrücke davon zu befördern: und daher sind Betrachtungen über die sichtbare Natur, und die in ihr unläugbar herrschende Ordnung und Absichten sehr nöthig , die unmöglich so in der Kürze vorgelegt werden können, sondern vielmehr ein besonderes Studium erfordern. – In den sogenannten Einleitungen in die heil. Schrift oder zur biblischen Kritik, sind entweder, nach ihrer eingeschränkten Absicht, nur die historischen Kenntnisse vorgetragen, ohne eine nähere Anwendung auf das göttliche Ansehen, oder auch nur auf die Glaubwürdigkeit der biblischen Bücher zu machen, oder daraus den Beweis für dieselbe deutlich zu führen; oder dieser Beweis ist mit so weniger Genauigkeit und Discretion geführt, daß man darauf keine sichere Ueberzeugung gründen kann. – Endlich, wenn man
|c268| auch den Beweis des göttlichen Ansehens dieser Bücher wohl entbehren könnte, so ist es doch sehr nöthig, die Vorurtheile wegzuräumen, und die allgemeinen Zweifel zu heben, die man mit großem Schein gegen die biblischen Bücher oder deren Inhalt machen kann, als welche weit mehr die wahre Ueberzeugung von ihrem großen Werth hindern, als der Mangel eines Beweises von ihrem göttlichen Ursprung. Denn jene hindern selbst die Aufmerksamkeit auf diese Bücher und deren Gebrauch; ist man aber erst so weit gebracht, daß man sie nur mit unbefangenem Gemüth lieset, betrachtet, und die Probe davon macht, was für selige Folgen aus der Beobachtung ihrer Lehren entstehen: so rechtfertigt sich nachher ihr göttlicher Werth von selbst. Aus allen diesen Ursachen sind besondere Vorlesungen über die Wahrheit und den Werth der Religion und des Christenthums überhaupt, oder das Studium dahin abzielender Bücher sehr zu empfehlen, zumal wenn die Umstände der Zeit dergleichen Untersuchungen noch weit nothwendiger machen als andere über besondere angebliche Lehren des Christenthums.Jene natürlichen Kenntnisse von Gott sind zwar in der natürlichen Theologie enthalten, und die andern vorläufigen historischen Kenntnisse von der Bibel und von ihrer Geschichte, findet man in den Büchern, welche die Kritik der heiligen Schrift, oder eine Einleitung in das alte und neue Testament liefern (§.
25. 34. und
51. ); auch pflegt man die nothwendigsten hierher gehörigen Kenntnisse vorläufig bei Abhandlung der dogmatischen Theologie vorzutragen. – Allein in der natürlichen Theologie nimmt man nicht immer Rücksicht auf die Möglichkeit und die Kennzeichen einer nähern göttlichen Offenbarung; es lassen sich auch von vorne her zwar wohl Merkmale angeben, woran eine fälschlich vorgegebene Offenbarung erkannt werden kann, aber keine unläugbaren Kennzeichen, woran eine wirklich wahre Offenbarung zu erkennen wäre. Ueberdieß kann man diese, jedem Menschen nothwendigen, Kenntnisse von Gott, nicht gemeinnützig und anschaulich genug machen, um lebhafte Eindrücke davon zu befördern: und daher sind Betrachtungen über die sichtbare Natur, und die in ihr unläugbar herrschende Ordnung und Absichten sehr nöthig , die unmöglich so in der Kürze vorgelegt werden können, sondern vielmehr ein besonderes Studium erfordern. – In den sogenannten Einleitungen in die heil. Schrift oder zur biblischen Kritik, sind entweder, nach ihrer eingeschränkten Absicht, nur die historischen Kenntnisse vorgetragen, ohne eine nähere Anwendung auf das göttliche Ansehen, oder auch nur auf die Glaubwürdigkeit der biblischen Bücher zu machen, oder daraus den Beweis für dieselbe deutlich zu führen; oder dieser Beweis ist mit so weniger Genauigkeit und Discretion geführt, daß man darauf keine sichere Ueberzeugung gründen kann. – Endlich, wenn man
|c268| auch den Beweis des göttlichen Ansehens dieser Bücher wohl entbehren könnte, so ist es doch sehr nöthig, die Vorurtheile wegzuräumen, und die allgemeinen Zweifel zu heben, die man mit großem Schein gegen die biblischen Bücher oder deren Inhalt machen kann, als welche weit mehr die wahre Ueberzeugung von ihrem großen Werth hindern, als der Mangel eines Beweises von ihrem göttlichen Ursprung. Denn jene hindern selbst die Aufmerksamkeit auf diese Bücher und deren Gebrauch; ist man aber erst so weit gebracht, daß man sie nur mit unbefangenem Gemüth lieset, betrachtet, und die Probe davon macht, was für selige Folgen aus der Beobachtung ihrer Lehren entstehen: so rechtfertigt sich nachher ihr göttlicher Werth von selbst. Aus allen diesen Ursachen sind besondere Vorlesungen über die Wahrheit und den Werth der Religion und des Christenthums überhaupt, oder das Studium dahin abzielender Bücher sehr zu empfehlen, zumal wenn die Umstände der Zeit dergleichen Untersuchungen noch weit nothwendiger machen als andere über besondere angebliche Lehren des Christenthums.
Anm. Die vornehmsten sind in der Anweisung etc. §. 178 bis 197. angeführt.