|c[III]|Vorerinnerungenzur dritten Auflage.
Ich selbst habe diese Auflage als eine durchaus verbesserte und vermehrte auf dem Titel angekündiget, und halte es daher für Pflicht, hierüber sogleich die nöthige Erläuterung zu geben. Beyde die Verbesserungen und Vermehrungen sind verschiedener Art, aber auch in Beyden habe ich meinen Hauptzweck bey diesem Wörterbuch unverrückt beybehalten.
Verbesserungen sind es, wenn ich einigemal den Sinn eines Worts, wie
Satan , oder einer Redart, wie
reinesHerzensseyn , Gott suchen , ihn schauen , noch genauer bestimmt habe, häufiger meinen eigenen Ausdruck oder Fehler im Abdruck berichtiget, endlich einige unbedeutende Wortbemerkungen so wie andere mir zweifelhaft gewordene Erklärungen ganz weggelassen. Ich mag z. E. nicht weiter entscheiden, was das
Abendmahl des Lammes , das gemeinschaftliche mitChristo in der so genannten JohanneischenOffenbarung ist, weil es wohl seyn
|cIV| kann, daß der Verfasser ein eigentliches Essen und Trinken damit hat andeuten
wollen – und übrigens das ganze Ansehn des Buchs mir höchst bedenklich, noch mehr seine Bestimmung für alle Zeiten des Christenthums mir überwiegend zweifelhaft ist. Die Verbesserungen der ersten Art betreffen also nicht die Wörter und Redarten, um deren dogmatische Auslegung es mir hauptsächlich zu thun gewesen und noch ist, worüber ich mich in den Vorreden zu der ersten Auflage und den Zusätzen schon umständlich erklärt habe. Was dahin gehört, dabey habe ich es aus fortdauernder und vermehrter Ueberzeugung gelassen. Ich werde auch gleich darauf wieder zurückkommen, so angelegentlich es mir ist, auf dieß hohe Ziel des Schriftauslegers im Großen noch einmal den Blick meiner Leser zu richten. Itzt muß ich noch offenherzig gestehen, daß es aus wahrer Bescheidenheit geschehen ist, wenn ich bey diesen Verbesserungen so gar keinen Gebrauch von den Anmerkungen des Herrn Superintendenten
Lang gemacht habe, so weit er damit in dem unten angezeigten Werke
*) gekommen ist,
|cV| so groß der eigene Beyfall ist, mit welchem ich viele seiner Erinnerungen und Zurechtweisungen in Ansehung einer richtigern Erklärung oder genauern Uebersetzung annehme und so sehr überhaupt ich selbst die Einsichten des Herrn Verfassers ehre und ihm recht viele Leser wünsche. Aber um eben diesen die Fehler und Mängel, welche er an mir gerügt hat, in der neuen Auflage nicht zu verheimlichen und für sie den Werth seiner Bemühungen nicht zu verringern, überlasse ich es nun einem jeden, welchem es um die kleinsten Feinheiten der Schrifterklärung zu thun ist, bey dem Gebrauch meines Wörterbuchs seine Revision zur Hand zu nehmen und dann zwischen uns Beyden, auch da wo ich mich nicht schuldig erkenne, Richter zu seyn! Wir könnten zwar wohl Beyde uns der sauern Mühe überheben für die richtigere Verdeutschung des N. T. zu sorgen, da noch so geringer Anschein ist, daß jemals für die Luthersche Uebersetzung auch nur in einzelnen Worten, Redarten und Redverbindungen Gebrauch davon werde ge
|cVI|macht werden; es sey denn aber auch dieß, gleich allen menschlichen Unternehmungen im Gegenwärtigen, Arbeit auf Hofnung irgend eines künftigen Gewinns. Und wenn ich also selbst die Fortsetzung dieser so bescheiden angekündigten als ausgeführten gelehrten Arbeit des Herrn Superintendenten wünsche, so wünschte ich doch auch noch folgendes. Einmal daß er sich nicht so oft an die Kürze meiner Bemerkungen stossen möchte, da sie auch oft nur Winke seyn sollten, nur Anstöße an den trägen sorglosen Schriftleser für sich mehr zu denken und ich mich überhaupt so lang als möglich innerhalb der Schranken eines Gloßator erhalten wollte, der kurz für ein dunkles Hauptwort ein deutlicheres angiebt und darnach die Bestimmung der übrigen dem Leser anheimstellt. So sage ich beym Wort
Geschichte , richtiger
Begebenheit: Der Herr Superintendent bemerkt dabey – aber eine Begebenheit
sehen kann man auch nicht u. s. w. – Dieß als die Nebenidee konnte sich ja aber jeder selbst mit dem Wort
untersuchen, oder einem ähnlichen verdeutschen. Hiernächst bitte ich durchaus nicht zu vergessen, daß ich mich zu nichts gewissen verbindlich gemacht habe, was nicht den Geist und Sinn des Christenthums in der Sprache Christi und seiner
|cVII| Boten darstellen sollte, und dann wo an sich meine Bemerkung richtig ist, doch auch nicht zu sehr – zu grübeln, wie er es selbst nennt. Ich fasse sonst wahrhaftig so gleich Verdacht, er wolle ihr doch wieder von der Seite etwas anhängen aus Unlust, daß er sie nicht ganz aus dem Wege räumen kann. Er mag z. E. wohl nicht in Abrede seyn, daß das Wort
Buße für Sinnesänderung nicht so bequem sey; gleichwohl aber ist ihm dieß auch noch zweydeutig (ungeachtet ich das Ausdrückendere Sinnesbesserung zugleich vorgeschlagen hatte) und so meint er
Rükkehrzu Gott könne auch mißverstanden werden. Dieß will ich nun nicht leugnen und ich erkenne vielmehr, daß
bessereGesinnunggegen GottApostg. 20, 21. eine deutlichere Uebersetzung seyn würde. Aber immer bleibt doch Busse das unbequemste, das man wählen kann und Sinnesänderung, Sinnesbesserung führt dem Verstande sogleich eine richtigere vollere Idee zu. Ungemein angenehm wird es mir auch seyn, wenn es dem Herrn Verfasser gefallen sollte bey der Fortsetzung auf das, was ich noch in der Folge für die Allgemeinheit der Leser sagen will, seine besondre Aufmerksamkeit und scharfsinnige Beurtheilung zu richten.
*)Zur Beförderung des nützlichen Gebrauchs des Wilhelm Abraham Tellerschen Wörterbuchs des Neuen Testaments – Erster Theil. A–F. – |cV*| Anspach 1778. gr. 8.Zweyter Theil G. von George Heinrich Lang, Hochfürstl.Oetting-oettingschen Special-Superintendenten und Pfarrer zu Hohenaltheim. Anspach 1780gr. 8.
|cVIII| Ich komme nemlich auf die
Vermehrungen. Sie bestehen nicht nur in den zur zweyten Auflage besonders abgedruckten Zusätzen, welche ich nun, obschon mit vielen Abkürzungen, an den gehörigen Orten eingeschaltet habe, sondern auch hin und wieder beygefügten mehrern Schriftstellen, oder Redarten, oder Sprachbeweisen, und einigen ganz neuen Artickeln wie
Schlange ,die Sünde tragen , besonders
Melchisedeck . Nehme man diese auch nur für das an, was sie wenigstens für alle seyn können, nemlich Beweise, wie viel noch der denkende Geist bey der Schrift zu forschen übrig hat, so werde ich schon in so weit nicht ohne Nutzen geschrieben haben.
Von der Redart, die
Sünde tragen, als das
Lamm Gottes, heißt es in einer neuern Schrift, welche ich in dieser Verbindung nicht kenntlicher machen will: „
mir ist esgleichgültig ob Johannes hier auf das bey den Juden gewöhnliche tägliche Opferlamm, oder auf das Osterlamm, oder auf Jes. 53. gesehen habe. Aber so wie Grotius in seiner Anmerkung darüber darf man doch nicht exegesiren, wenn er sagt: Das griechische
tragen könne eben so wohl von Besserung des Herzens als von Erwerbung der Begnadigung verstanden wer
|cIX|den und er ziehe die erste Bedeutung vor, weil 1. Pet. 1, 18. gesagt werde, wir seyn von dem eiteln Wandel erlößt durch das Blut des unbefleckten Lammes. Das hat der allzunachgebende Mann von Crellen gelernt, welcher ihm das nemliche geantwortet hatte. Johannes, fährt der Verfasser fort, redete mit Israeliten, welche die Verbindung der Worte: Lamm und Sünde tragen, zu denken gewohnt waren – – – überhaupt aber mit der Redart:
Sündetragen aus ihren levitischenAnstalten eine
Uebertragung ihrer Sünde auf das Opferthier durch Handauflegungsich dachten
. Wenn nun der Mann Gottes auftrat und Jesum das Lamm nennte, das die Sünde trage, was konnte dabey ein Israelite anders denken,
als daß er sie wie dasOpferlammauf sich nehmen und die Welt von ihren Sünden versöhnen werde. Die Rede schickt sich auch nur hierauf. Von dieser Art hatten die Leute ein göttlich vorgängiges Institut. Aber
um die Menschen zu bessern,Jesumein Lammzu nennen, das wäre sehr wi
dersinnisch geredet; denn ein
Thier bessert, lehrt die Menschennicht, aber einen Tod kann es ausstehen und in der Absicht kann es an die Stelle des Menschen gesetzt
|cX| werden. Aber es ist als wenn gerade die
witzigsten Köpfe in dieser Sache die
unbegreiflichsten Fehler machen könnten. Harwood ein sehr modischer englischer Schriftsteller umschreibt die Rede Johannis also: Siehe das ist das liebenswürdige Object der göttlichen Liebe, welches
zurVerbesserungdes menschlichen Geschlechts bestimmt ist. Das heißt Johannem und seine Zuhörer ins sechszehnte Jahrhundert
der Welt versetzen und ihn socinianisch reden lehren.“
Ich habe mir die Mühe nicht verdrießen lassen diesen Commentar des Ungenannten zu wiederholen. Dafür sey es mir nun erlaubt mit anständigem Ernst gegen jede Zeile mich zu erklären, und damit es denn auch bescheidener Ernst bleibe will ich den Johannes selbst reden lassen. Er könnte etwa sagen: „Freund! du redest da vieles untereinander, das mir gar nicht gefällt, und wenn das socinianisch, wie ich höre, bey euch eine Vermaledeyung ist, so hast du in Wahrheit mich sehr beleidiget; denn ich muß dir nur gestehen, daß ich nichts anders habe sagen wollen, als was Grotius, wasHarwood mich sagen lassen. Ich habe denn nur es in meiner eigenen Sprache gesagt. Aber das kommt daher, daß man |cXI| euch Jüngern Christi von Jugend auf diesen meinen Zuruf an meine ehemaligen Zeitgenossen hat wiederholen lassen bey der Lehre von seinem Versöhnungstode, daß man euch dann nur das Strafübel dabey denken lehren welches freylich auf einen, als ein Lamm gelegt, von ihm getragen, nur Wegnehmung der Strafe bedeuten kann. Aber du hättest doch auch hintennach bedenken sollen, wie wenig ich etwas dergleichen nach dem Maaß meiner Erkenntniß von der Amtswürde des Meßias, nach meinen anderweitigen ausdrücklichen Bezeugungen, als ein gebohrner Jude, meynen konnte. Mir hatte Gott, nach seiner den menschlichen Verstand nur allmählich fortleitenden Offenbahrungsgnade, nichts weiter kund gethan, als daß dieser Jesus eine große wünschenswerthe Veränderung in den Gesinnungen seiner Nation bewirken sollte, ganz wie euer Harwood soll gesagt haben. Dafür kündigte ich ihn also an, ich erweckte zur willigen Annehmung seiner, als eines geistlichen Messias; verwies die Menschen von meiner Wassertaufe, einem bloßen Symbol der innern Herzensreinigung, auf seine Taufe mit dem heiligenGeist; und da ich ihn einmal von ferne sah, ergriff ich auch diese |cXII| Gelegenheit mit veränderten Worten das zu wiederholen, im gleichen Sinn auf ihn zu weisen: Siehe!das ist Gottes Lamm (der Liebling des Höchsten), welches der Welt Sünde trägt (welcher sie selbst, als das größte Uebel, durch seine kräftigen Belehrungen und Erweckungen aus dem Leben der Menschen wegschaffen wird, daß der Allsehende mit Wohlgefallen uns begegnen könne; wie jene Opferlämmer sie täglich aus dem Lande des Jehovah von seinem Angesichte wegschaffen mußten). Siehe, dieses Uebel der Sünde wurde durch Handauflegung auf das Opferthier gleichsam gelegt und mit ihm verzehrt. Du hast ganz recht, daß es widersinnig wäre zu denken, ein Thier könne bessern, lehren, aber von dem Thier ansich war mir ja auch nicht die Rede, sondern den Sünden, die es trägt, und warum, in welcher Bedeutung? Da hättest du dir also am wenigsten gleich zu Anfang sollen gleichgültig seyn lassen, auf welchen Umstand der alten Volksgeschichte ich mich bezogen. Dann würdest du bald wahrgenommen haben, daß ich den Jesaias nicht im Sinne haben konnte; denn der redet nicht von einem Lamme, welches geopfert, sondern welches geschoren wird, von einem Tragen |cXIII|der Krankheit, derSchmerzen fürandre, und das heißt denn nichts anders als, für einen sich der Krankheit und den Schmerzen unterwerfen; am wenigsten an das Osterlamm denken, dem ja nichts aufgelegt wurde, welches nur geschlachtet, gebraten und gegessen wurde, und zwar als eine Gedächtnißmahlzeit; auch eben so wenig an die Redart unserer Religionsschriften, die Missethat, die Sünde der Väter tragen; denn die können auch die Nachkommen nicht anders als nach ihren traurigen Folgen tragen. Von einem Lamm, und welches sie trägt, nicht die Strafe, sondern sie selbst, redete ich. So erkenne denn, daß Grotius und Harwood sich im Geiste weislich achtzehnhundert Jahre in meine Zeiten und Umstände zurückgesetzt haben, und wenn ihr weiter nichts gegen euren Socinus zu klagen habt, ihr ihn immer in Friede lassen könnet, oder wissen möget, daß ich in so weit vor ihm gewesen bin.[“]
So könnte, dünkt mich, Johannessagen. Und nur die Möglichkeit dieser Erklärung angenommen, mag dieß zu einem Beyspiele des Untersuchungsgeschäftes zureichend seyn, welches der unbefangene Wahrheitsforscher immer noch bey Auslegung der Schrift zu übernehmen hat. So ist es nun
|cXIV| auch wenigstens meine Absicht gewesen es selbst mit zu übernehmen, es ohne Seitenblicke auf hergebrachte Lehrformen zu thun, und geradesweges fortzugehen, ohne zu besorgen, was ich hinter mir zurückliesse; ohne zu zweifeln, daß ich auch vor mir eine bleibende Ruhestätte finden würde. Ich habe sie auch gefunden, daß ich überzeugt bin, wie ich schon in der
Vorrede zur ersten Auflage versichert habe, es sey ein noch lange nicht genug angewendeter Unterschied unter der
Lehre und
Lehrart des Christenthums von jeher gewesen, nur jene also das, was den Christen im Bekenntnisse ausmacht, und wie ich auch schon kurz in der
Vorrede zu den Zusätzen angedeutet habe, das ewige Evangelium Gottes leuchte heller am Mittage, als am Morgen, oder bey früher Dämmerung – der Christ des achtzehnten Jahrhunderts, zu einer ordentlichen großen, zahlreichen Nation aufgewachsen, müße um etwas vieles weiter seyn, als Juden und Heyden, da sie sich erst zu einem eignenChristenvolk sammelten. Doch so bin ich von den Wenigsten verstanden worden, oder man hat Ursachen gehabt mich nicht so verstehen, sich darauf nicht mit mir einlassen zu wollen. Da man in so vielerley größern und kleinern Schriften meines Wörterbuchs ge
|cXV|dacht hat, so wäre es doch wohl der Mühe werth gewesen mit mir genauer zu untersuchen, wie viel auf die besondre Vorstellungsarten derselben Lehren in den Büchern des N. T. abzurechnen sey, und was dann übrig bleibe? Aber auch in den zwey Schriften,
*) wo ich dieß am ersten erwartete, ist es nicht geschehen, und selbst der Herr Superintendent
Lang scheint nicht seinen Plan darauf angelegt zu haben. Nur was die immer weiter zu entwickelnde
Christusreligion anbelangt, läßt sich einmal der scharfsichtige Mann die Frage entfallen (S.162 des 2. Th.) „oder soll das Gerechtwerden im Paullinischen Verstande, das Nichtzurechnen der vorigen Sünden nur auf diejenigen eingeschränkt werden, welche aus dem Judenthum und Heydenthum zum Christenthum übertraten?“ So fragt er; will mir aber diese Meynung als ohnfehlbar ungegründet nicht beylegen, wenn gleich nicht zu leugnen sey, daß die Apostel die Lehre von
|cXVI| der Rechtfertigung so vorgetragen, wie es besonders den Umständen der ersten Proselyten angemessen gewesen. Eben so schien mir in der zweyten nur eben bemerkten Schrift ein ähnlicher Gedanke von dem männlichern Alter der Gottes- und Christus-Erkenntniß in der Seele des Verfassers aufzukeimen, wenn er S. 154. sagt
: „man müste freylich den Glauben für uns, die wir gleichsam
von Geburt an Christen wären, etwas genauer bestimmen,“ aber er reifte am Ende zu einer ganz andern Frucht.S. 389. „Soll man wenigstens itzt die Beschreibung des Glaubens ändern? Soll man dieser Gefahr mit Veränderung der Grundbegriffe der Lehre entgegen gehen? – – Freylich dieß nicht.“ So will ich denn noch einige Blätter dieser Vorrede zu einem Wörterbuch der Schrift anwenden, zur Probe eines theologischen Wörterbuchs und richtigern
Beurtheilung meiner Vorstellungen noch etwas über die
LehrartChristi und der
Apostel, wie über das
schon nationell gewordene Christenthum, oder
das reifere Alter desselben, zu sagen. Was es aber seyn wird, mag andern noch so schwache Vermuthung scheinen; sie werden sie doch, von Wahrheitsliebe belebt, der Prüfung nicht unwerth halten, und mir, dem es etwas
|cXVII| mehr scheint, freylassen, auch darinn die mannigfaltigeWeisheit Gottes zu finden, die auf tausenderley Wegen alles zu Einem Ziele größerer Vollkommenheit hinleitet.
*)Die wahre Lehre des heil.ApostelsPauli vom Gesetze aus dem Brief an die Römer vorgetragen und mit den neuen Deutungen derselben verglichen. Zwote vermehrte und verbesserte Aufl. Tüb. 1779.
Versuch über den eigentlichen neutestamentischen Begriff des Glaubens, dessen richtige Bestimmung u. s. w. Tübingen 1779.
Lehrart Christi und der Apostel.
Ich müßte nun sehr unwissend seyn, wenn ich glauben wollte, daß ich überhaupt damit etwas neues sagte, indem ich behaupte, es sey ein großer Unterschied zwischen derLehre des Christenthums und der verschiedenen Art des Vortrags desselben in den Unterweisungen Christi und der Apostel. Freylich hat man im Allgemeinen das längst erkannt, und wer weiß wie viel von einem Tropos Pädeias gesprochen. Nur hat es von jeher an einer eigentlichen Anweisung gefehlet, um nach sicheren Grundsätzen beurtheilen zu können, was bloß zur Lehrart gehöre und was dann die Lehre selbst sey. Nur Herr D.Semler hat sich auch hier das große Verdienst gemacht darauf in der Menge seiner Schriften aufmerksam zu machen, immer darauf zu dringen. Aber auch Er hat nie ein Urtheil darüber nach bestimmten Regeln fällen gelehrt. Und doch was ist nöthiger; wie sollte nicht darinn vor allen Dingen etwas gewisserers festgesetzt werden, man sich darüber mehr vergleichen, ehe man jeden Theil der Lehre selbst festsetzte? Ich unterfange mich nun |cXVIII| wohl nicht diesem großen Bedürfniß abzuhelfen; nur will ich versuchen zur allgemeinernPrüfung einige hieher gehörige Vergleichspuncte in Vorschlag zu bringen.
Zugestanden ist also eine
verschiedene Lehrart derselben Religionswahrheit nach Zeiten, Umständen und Personen des Schrifstellers wie der Leser, und eben so, daß sich Christus und die Apostel mit ihm in sinnlicher Darstellung der Wahrheit nach den
Fähigkeiten und der Fassungskraft ihrer Zuhörer oder Leser gerichtet haben. Weniger eingeräumet hat man, daß sie auch gewissen
Volksideen in ihren Belehrungen nachgegeben. Da ist es nun mir gar nichts bedenkliches auch diesen Schritt weiter zu thun. Giebt man es doch da zu, wo im A. T. Gott menschliche Affecten des Zorns und dergleichen zugeschrieben werden, und dieß nicht weiter eine Herablassung zu dem schwachen menschlichen Vermögen sondern Bequemung nach den Begriffen eines zu mehr geistiger Denkungsart noch nicht erhobenen Volcks war, welches den strafenden Gott sich als einen aufgebrachten Regenten vorstellte. Leidet also nur die Sache selbst nicht bey einer solchen Nachgebung im Vortrag, warum
will man sie nicht zugeben? Und sollte man sie nicht zugeben müssen, wenn sich fin
|cXIX|det, daß Christus selbst offenbar sich bey einer gewissen Gelegenheit, nach der Denkungsart seiner Zuhörer gerichtet hat? Wie und wo werde ich gleich zeigen. Das wäre also mir für mein Theil das erste
Erforderniß der auch im N. T. anzunehmenden herablassenden Lehrart zu menschlichen Vorstellungen, daß die Sache selbst dadurch nicht verlohren gehe; und dann ein zweytes, daß ein großer, wichtiger Gottes würdiger Endzweck
dadurch erhalten werde. Und so käme es nur auf sichre
Merkmale an, wo sie eigentlich anzunehmen ist, daß man sagen könne: so viel ist Zeiten und Umständen angefügte Vorstellungsart und so viel soll man sich wirklich dabey denken.
Hier scheint mir nun wieder das erste sicherste zu seyn,wenn der Redende selbst nicht undeutliche Winke giebt, er richte sich nach Umständen, füge sich nach diesem und jenem herrschenden Begriffe. Ein solcher Wink ist mir aus den eignen Unterweisungen Christi folgender. Die Juden erwarteten die Wiederkunft des Elias, ehe der Meßias selbst eintreffen würde; Christusbelehrtsieer sey schon gekommen in der Person desJohannesMatth. 17, 10–12. Dagegen versicherte JohannesselbstJoh. 1, 21.er sey nichtElias. War nun da nicht |cXX| die Erklärung Christi hierüber eine Anschmiegung an einem Volksbegrif in einer Sache, wo es darauf ankam, daß Johannes für seinen Vorläufer erkannt wurde, nicht aber darauf, bey welchem Namen man ihn etwa nennen wollte. Aber nun sehe man den deutlichen Wink! Da er bey einer andern Gelegenheit Matth. 11. zu dem Volke von der Person des Johannes redete, so versicherte er zwar ausdrücklich, er sey mehr als irgend einer der ehemaligen Propheten, ließ indeß jedem dieFreyheitihn für denEliasanzunehmen. Und so wäre denn dieß zugleich ein, wie ich denke, unwiderlegliches Beyspiel dieser von Christo selbst beobachteten Lehrweisheit.
Das zweyte Merkmal dessen, was mir besondere Vorstellungsart ist und woraus man nicht sogleich einen Lehrsatz der Religion machen sollte, würde mir das seyn, wennsie nicht angenommen, eine oder mehrere von der Schrift selbst bestätigte Vernunftwahrheiten würden aufgehoben werden; allgemeinen Grundsätzen, welche die Schrift selbst festsetzt, auf welche die Propheten, die Apostel, Christus selbst immer wieder zurückkamen, widersprochen werden. Nach einer solchen Einschränkung darf ich wohl nicht besorgen, durch den Gebrauch |cXXI| des Worts Vernunftwahrheit Jemand anstößig zu werden. Eher könnte man Bedenken tragen unter diese Wahrheiten folgende mit mir zu rechnen, obgleich ich gar nicht begreife, wie man sie aus der Reihe derselben herausheben will, wenn nicht das ganze Gebäude menschlichen Religionserkenntnisses in seinen Gründen erschüttert werden soll. Das sind sie mir also, und ich will sie sogleich mit den eignen Worten der Schrift angeben: Opfer (blutige) und Gaben (von Thieren und Früchten des Landes) will Gottnicht (er verlangt Herz und Gesinnungen zu seiner wahren Verehrung); erwird vergelten einem jeden nach seinen Werken; wenn sich der Sünder bekehret, so soll aller seiner Sünden nicht mehr gedacht werden (es soll ihm wieder wohlgehn); wer recht thut, der ist gerecht – Gott hatGeduldmit uns (er sieht unfreywilligen Fehlern, Schwachheiten, Uebereilungen nach Vatersart nach, sichert uns für den Folgen derselben); er fodert vonNiemandmehr, als ihm gegeben ist, hat sich aber auch keinem ganz unbezeugt gelassen; wir fehlen allemannigfaltig, aber wir sollen die Sünde nicht herrschen lassen in unserm sterblichen Leibe. Wenn denn nun etwas gegen diese sichern Wahrheiten anstößt, kann |cXXII| es ein Lehrsatz des Christenthums selbst seyn, etwas mehr als Lehrart? etwas mehr als das Gerüste, welches zu seiner Zeit wieder weggenommen werden soll, nicht das Gebäude selbst, um welches dem Bauherrn es eigentlich zu thun ist? So sollt es ja aber auch nicht Lehrart seyn! So wird ja immer selbst durch dieses Nachgeben im Vortrag, ein falscher Begriff noch in dem Verstande der Menschen erhalten! Wenn nun aber ein ganzes System irriger Begriffe wegzuschaffen ist, willt du es mit einmal niederreissen? wirst du nicht nach und nach einen nach dem andern zu verbessern suchen, die den schädlichsten Einfluß in das sittliche Verhalten, und dadurch das Glück der Welt und Gesellschaft haben zuerst, dann die minder schädlichen und so fort? Wirstu nicht immittelst diese minder schädlichen selbst mit zum Werkzeug brauchen, um jene vor allen Dingen auszurotten? So nimmt auch wohl der Baumeister manches Stück Holz aus dem alten Hause, und verbraucht es zum Gerüste, nimmt aber auch dieses in der Proportion wieder weg, in welcher das Gebäude in die Höhe steigt; es wird die Schuld der Maurer, Zimmerleute und Handlanger, oder derer seyn, welche das neue Haus bewohnen und an dem Gerüste ihren Wohl|cXXIII|gefallen haben, so dieß nicht geschieht. Aber ich muß mich schon deutlicher erklären, und warum sollt ich es nicht gern thun, wo es auf Wahrheit, wie ich sie erkenne, ankömmt und ich schon in den Hauptartikeln dieses Wörterbuchs mich genug darüber herausgelassen habe. Aber ich kann und muß es auch, als in einer Vorrede, sehr kurz thun. Denke man sich also den jüdischgesinnten Christen, der die ganze Gottesverehrung durch gute Gesinnungen und Erweisungen, diesen erstenZweck des Christenthums, immer wieder in seinenOpferdienst umkehren wollte; bey dem also itzt die Hauptsache war ihm seine Opfer vergessend zu machen; konnte dem nicht ein Paulus den Tod Christus als einen Opfertod vorstellen, – wenn er doch immer dabey erinnerte, ergebe ihnen Milch, nicht starke Speise, das vollkommnere Erkenntniß werde sich schon finden? Nahm nun jener Christ dieß an, so war er für die edlere, reinere Gottesverehrung gewonnen, daß er einsahe, er selbst müsse nun geistliche Opfer Gott darbringen. Und war das nicht etwas Großes, Massives an dem Christenthumsbau?
Aber wenn du selbst meynst, dieß sey eine der Hauptsache unschädliche Lehrart gewesen, warum wollten wir es nicht dabey |cXXIV| lassen? Hiervon denn gleich ein Mehreres, wenn ich noch dieses als das dritte Merkmal der zu erkennenden und nicht mit der Lehre selbst zu verwechselnden LehrartN. T. werde angegeben haben. Wenn die Apostel mit tropischen Ausdrücken und Vorstellungen so abwechseln, daß die Bedeutung von allen auf einen Einzigen Lehrsatzangewendetwerden kann, undnundennauch jenebildlichenVorstellungen alle aus der Landesöconomie des Volks, bey welchem sie dieselben brauchen, hergenommensind;so ist dieser Lehrsatz die allgemeineWahrheit,und jenes Bildliche gehört zu ihrer besondern Lehrart nach Zeiten und Umständen. So urtheilt man in der Physik; man hält die Hypothese für die wahrscheinlichste, mit welcher die meisten Phänomenen übereinstimmen. Warum auch und wofür hat man doch die Auslegungsregel, daß man vornehmlich tropische Ausdrücke mit den eigentlichen Vorstellungen, welche dadurch in dem Verstande veranlaßt werden sollen, verwechseln müsse; so lange man sie nicht auch im Größern anwenden will? Was heißt alle exegetische Treue im Kleinen, wenn sie im Großen nicht die Probe hält? Nun die Apostel wechseln so mit den bildlichen |cXXV|Darstellungen Christi ab, als eines Lammes, Opfers, welches dargebracht wirdund des Priesters der es darbringt; als einer trocknen Gabe; dann als eines Mittlers eines neuen Bundes, eines Hauptsseines Leibes, eines Erzhirten, eines Königs, und vor Juden, die an alle diese sichtbaren Gegenstände nach der Einrichtung ihrer Regierung und ihrer Gottesdienste gewöhnt waren, daß sie alle eine Einzige Hauptvorstellung von seinem Erlösungsgeschäfte übrig lassen, wenn man sie gehörig entkleidet; soll nun nicht diese die Wahrheit, jenes alles das unwesentliche seyn? Lehrart nicht die Lehre selbst? Oder sollen wir aus einem jeden einzelnen Tropus einen eignen Artikel machen? Doch nein! die christliche Wahrheit und Weisheit ist simpel und sehr einfach; sie beschwert nicht das Gedächtniß; sie ermüdet nicht die Denkkraft; sie läßt sich im Grundriß in einer Periode entwerfen und sie ist keine Wissenschaft, welche nicht ganz wohl der gläubige Vater und die gläubige Mutter beym vertraulichen Zusammensitzen des Abends oder beym erheiternden Spatziergange ihrem Kinde an der Seite beybringen könnten. Bewahrt will sie seyn in einem feinen guten Herzen; geübt will sie seyn in einem guten Gewissen: das ist die große Kunst, an der wir fürs ganze Leben zu lernen haben.
|cXXVI| Aber, noch Einmal, so könnten wir es doch bey der Lehrart lassen, bey welcher gleich wohl unsre Gemeinen das Wahre mit haben und welche das Ansehen so ehrvoller und ehrwürdiger Lehrer für sich hat! Irre ich nicht, so ist dieß der Gedanke vieler – Nun auch um des Schlußgedankens willen, der wieder bey einigen dazu kömmt, daß also Unser Einer wohl etwas klügers thun könne, will ich doch auch hierüber mich kurz erklären. Lehrart, das begreife ich sehr wohl, verschiedene Vorstellungsart der Religionsweisheit wird immer bleiben und bleiben müssen. Wer kann das gute edle Metall ohne Zusatz mit geringerm verarbeiten und welcher Geldliebende hält nicht dem ungeachtet sein Gold werth? Aber wenn dieses Zusatzes zu viel wird, wenn dadurch die in einem Lande gangbare Münze über die Helfte des innern Werths verliert, daß wilder Streit darüber in Handel und Wandel entsteht, und Kenner die geringhaltige Münze doch durchaus für vollwichtig annehmen sollen; können und werden diejenigen, die noch ein Wort sprechen dürfen, sich nicht darüber laut beschweren.Oder nach dem vorher gebrauchten Gleichniß, wenn die Bewohner des einen Flügels oder untersten Stockwerks eines neuaufgeführten Gebäu|cXXVII|des das Gerüste um dasselbe her, aus besonderm Wohlgefallen daran, wollen stehen lassen und auch die Policey sichs gefallen läßt, was gehts andern an? Wenn sie aber auf ihr Gerüste so pochen, daß sie die Mitbewohner im andern Flügel oder höhern Stockwerke zum Hause heraus jagen wollen; wenn lauter Unfug daraus entsteht; oder wenn diesen der freye Eingang ins Haus dadurch versperret wird; sollen sie nicht sagen dürfen und müssen: euer Gerüste gehört nicht weiter hieher? Ich will mich ohne Bild erklären. Einmal mag ja wohl jeder die eigentlich der jüdischen Denkungsart angepaste Lehrart des N. T. für sich beybehalten, wenn er es so gut findet. So denn aber Sectengeist und Secteneifer daraus entsteht; sie für so wichtig und wesentlich angesehn wird, daß man sich in verschiedene Partheyen theilet und eine die andre verläumdet und hasset; so ist ja nun die Nothwendigkeit da zu sagen:dieß ist Lehrart, darüber ihr euch nicht streiten müsset; und dieß ist die Lehre selbst, welche ihr festzuhalten habt. Wie viel nun ein jeder zur Lehrart rechnen will; ob er darinn zu viel oder zu wenig thue; muß dann wohl jedes eignerEinsicht und eignemGewissen überlassen werden. Ich habe nichts dagegen, wenn mancher gutdenkende Christ sich |cXXVIII| auf seinem Haupte eine Krone denken muß, um seines erhöheten und verbesserten künftigen Zustandes in der Vorempfindung froh zu werden; ich würde selbst als Lehrer in Privatunterredungen mirs zum Gewissen machen ihm diese Nebenidee zu benehmen. Sobald man sich aber in großen Haufen zusammenthäte jenes Kronedenken zum Mahlzeichen der Auserwählten unter den Christen zu machen, Prediger ganzer Gemeinen das unterstützen wollten, und denn gar mancher Schurke sich dessen bediente, dem armen einfältigen Mann sein bisgen Geld abzuschwatzen, um der Krone willen, die ihm auch dafür aufgehoben sey; weß Herz und Muth sollte sich nicht dagegen empören? So, so dünkt mich, dachte Paulus. Er hatte ungezweifelt seine eigne Lehrart, widersetzte sich aber auch mit großemErnst, so baldSpaltungen daraus entstehen wollten, rufte da einmal über das andre: es soll nicht also seyn; ihr seyd alleChristi; lasset uns einerley gesinnet seyn! Ich will nunzweytens eben nicht sagen, daß die Lehrart verändert werden müsse, so bald überhaupt mehr Schaden als Nutzen fürs wahre Christenthum damit gestiftet wird. Denn da schallt es wieder aus einer andern Gegend her; kommt ihr weiter mit eurer |cXXIX|Tugendlehre? Ob nun gleich sich noch antworten liesse: wir wissen nicht, was ihr meinet, ihr thut, als wenn es nur um das bloße magere Gerippe der Tugend, ohne Saft und Kraft der Erkenntniß und Verehrung Gottes, zu thun wäre; es wäre auch die Frage, wie viel mehr Frucht daraus erfolgen würde, wenn alle vereint ruften (welches bisher noch gar nicht der Fall gewesen), Gott ehren, Liebe üben, und in gleichförmigen guten Gesinnungen voll guter froherErwartungenfür Zeit und Ewigkeit seyn, dieß ist die Hauptsache aller Christuslehre; so will ich doch darauf nicht beharren. Ich denke selbst, daß bey jeder Lehrform die wahre fruchtbringende Weisheit der Religion immer das Theil Weniger seyn und bleiben wird, in einer Welt, in welcher der Hohe und Reiche im steten Flug daherfährt, der Pöbel kriecht, und nur der Mittelmann seinen Weg auf der Ebene bedächtig fortgeht. Dieß will ich also, wie gesagt, mit Stillschweigen übergehen, und nur noch so viel zu überlegen geben, wie nöthig es doch sey die Vorstellungsarten abzuändern, wenn nach Zeiten und Umständen ihre Beybehaltung wenigstens einen erstaunenden Umweg im Unterricht verursacht. Kurz zu seyn; ist es nicht ein solcher Umweg, wenn wir unsre |cXXX|Christenkinder durch den Fortgebrauch der Ausdrücke und Redarten, welche bloß für die zum Christenthum ehemals zuerst übergehenden Juden waren, nun noch itzt erst bald mehr, bald weniger zu Juden machen, statt daß wir sie geradezu das simple Evangelium lehren sollten? That das Paulus in seinen Vorträgen an die Nichtjuden der damaligen Zeit Apostg. 14. 19. 24. – redete er da auch von Opfern, Priestern und Hohenpriestern, der Unmöglichkeit durchs Gesetz selig zu werden u. s. w.? That es der Erlöser in der mit dem Pinsel eines göttlichen Meisters ausgemalten Vorstellung von dem verirrten Sohne? Es ist so ziemlich unter den Auslegern ausgemacht, daß dieses unglückliche Kind im Gegenbilde die in Ohngötterey, Abgötterey und allen moralischen Verderbnissen tief verfallenen Völker darstellen sollte, und also auch die Rückkehr jenes die Zukehr dieser zu dem Einen Gott in Liebe und Gehorsam, nach einer durch Jahrtausende immer mehr zugenommenen Entfernung von seiner wahren Anbetung. Wie verfährt er nun da? Läßt er sie viele Angstgebürge (ich frage dieß in dem Geiste eines unsrer vortreflichsten und ansehnlichsten theologischen Schriftstellers) erst übersteigen, ehe sie sich wieder zu dem allgemeinen Vater der |cXXXI| Menschen nahen dürfen?Nein, das nicht; er läßt den Sohn den edlen Entschluß fassen:ich will mich aufmachen und zu meinem Vater gehen, und das Maaß der Zwischenangst überläßt er ihm – Müssen sie Jemand voraussenden, welcher den beleidigten Vater bewege sie wieder aufzunehmen, ihm das Herz erweiche? O, diese Vorstellung würde zu klein, zu niedrig und menschlich für den Allgütigen seyn; nur das Bedürfniß für den, welcher lange in der Vorstellung von Gott, als einem harten Beherrscher, wäre auferzogen worden! Reuevolles, demüthiges Geständniß, mit den sichtbarsten Bezeugungen eines geänderten Sinnes, ist alles, was er den Sohn thun läßt. Und ich halte mich versichert, Paulus habe einen Abgötter im Privatunterricht bey seinem Missionswerke nicht anders zur christlichen Wahrheit angeführt – ihm so den freyen ofnen Zutritt zu Gott gelehrt.
Haben wir endlich nicht wirklich schon manches, nach dem Bedürfniß unsrer Zeiten, von der Lehrart der Apostel fahren lassen? Wer macht noch einen besondern Lehrartikel aus der Einschreibung ins Buch des Lebens, wie es wohl ehemals gewöhnlich war? Wer einen besondern von der Wiedergeburt, wenn er von Bekehrung und Heili|cXXXII|gung genug gesprochen hat? und wer würde gern dem Schuld geben, er habe eine ganze Lehre untergeschlagen, der, um seine Unterweisung noch mehr unter einem Gesichtspunkt zu vereinigen, bloß von Heiligung, oder Erneuerung, oder Besserung sprechen wollte, sintemal ja der Mensch immer etwas im Erkenntniß oder in der Ausübung des Guten an sich zu bessern findet? – –
Das nationellgewordne Christenthum, oder das männliche Alter desselben.
Hiervon nun auch so viel zu sagen, als es der Umfang einer Vorrede verstattet und zureichend ist die Aufmerksamkeit denkender Männer darauf zu lenken, und weitere Prüfungen zu veranlassen, was ists? was sollte es seyn, selbst nach dem eignen ersten Unterricht seines hohen Stifters? Sollte es etwas anders seyn, als, die beste Weisheitslehre zu einer immer höher steigenden Glückseligkeit; mithin vielleicht unser Unterricht damit anfangen, womitdie ApostelundChristusselbst den ihrigen endigten?
Es ist das alles doch gewiß der Frage werth, und zuerst unleugbar, daß das Christenthum in seinen Gebräuchen schon das |cXXXIII| nicht mehr ist und seyn kann, was es zuerst war. Die ersten Christen feyerten noch, wie bekannt, den Sabbath, gleich den Juden; mit zunehmender Erkenntniß der wahren nicht eben an diesen Tag gebundenen öffentlichen Gottesverehrung, und um sich auch darinn sichtbarlicher von den Juden zu unterscheiden, bestimmte man dazu den Sonntag. Eben so wurde die Beschneidung noch von Vielen beobachtet, und daher der Ernst des Paulus in Verweisung dieser Vermischung des Judenthums mit dem Christenthum; mit zunehmender Erkenntniß fiel nun auch diese weg. Wenn denn das Erkenntniß noch gereinigter und verbesserter wird, sollte denn nicht noch manches andre, als die Vorübung der Kinder, wegfallen? Die Taufe geschah in dem ersten Jahrhundert durch Untertauchen unter das Wasser, und man muß gestehen, bedeutungsvoller, als sie itzt geschieht und geschehen kann; aber die hellere Einsicht in das Wesen der Religion hat gelehrt, daß es dabey auf das mehr oder weniger abbildende nicht ankomme, wenn nur das abgebildete, die Reinigung des Herzens und Lebens, das Hauptgeschäfte des Menschen ist. – – Das Abendmahl wurde ehemals bey sogenannten Liebesmahlen gefeyert, so lange die Christen noch ein klei|cXXXIV|nes zerstreutes Häuflein ausmachten, und es ist wieder nicht zu verkennen, daß so auch die Gemüther zu allen christlichen Wohlwollen feyerlicher dadurch verpflichtet wurden, vielleicht auch nach ihrem grössern Bedürfniß, da sie aus verschiedenen Völkerschaften, welche nicht lange vorher sich gehaßt und verfolgt hatten, zusammen kamen und die Belehrung von dem Einen Geiste, der alle beseelen sollte als Kinder des Einen Vaters der Menschen ihnen noch ganz neu war, die Ueberzeugung dessen noch keine tiefe Wurzel gefaßt hatte. Nach und nach hörten nun aber auch diese Liebesmahle auf; es mußte geschehen, weil der Christen-Staat sich vergrösserte und grosse ärgerliche Unordnungen zu besorgen waren, und es konnte geschehen, da theils jene Belehrung wirksamer und die Ueberzeugung davon allgemeiner, theils die engere festere Verbrüderung und äußerliche Verpflichtung dazu wegen des größerenbürgerlichen Ansehens der Christen als einer eignengrossenGesellschaft unnöthiger wurde.
So ist es nun aber auch ferner gewiß, daß viele Ideen, welche dem ersten Kindesalter der neutestamentischen Religion anklebten, verschwinden mußten, nachdem das reine Licht sich immer mehr verbreitete und zum |cXXXV| größten Theile wirklich verschwunden sind. Ich meine die Vorstellungen von einer irrdischen Größe und Oberherrschaft des Meßias, dem von ihm im kurzen anzurichtenden tausendjährigen Reich, seiner ausschliessungsweise nur für die jüdische Nation bestimmten Sendung, den leiblichen teuffelischen Besitzungen; und ich entscheide hier nicht, ob es damals wirklich solche gegeben, da es mir zu meiner gegenwärtigen Absicht genug ist zu bemerken, wie die Idee nach und nach verlohren gehen müssen, je mehr der Lehrsatz in seinem völligen Umfang erkannt wurde: Christussey gekommen die Werke des Teufels zu zerstören. Und ich halte es für ganzantichristisch (ein Ausdruck, den man mir verzeihen wird, weil er die Stärke meiner Ueberzeugung ausdrücken soll) wenn man irgendwo noch daran glaubt; für eine Umkehrung aller Religion.
Noch weiter kann ich als ausgemacht annehmen, daß die Vorstellungen vom
Glauben anChristum, von
Bekehrung, von
Seligwerdung oder
Seligmachung, Heiligung, mit den mehr reifenden Religions-Einsichten und den äußern Umständen ihrer Bekenner verändert worden und verändert werden müßen. Was den
Glauben anChristum anlangt, meynt zwar der Ver
|cXXXVI|fasser des vorher angeführten Versuchs vom Begriff des Glaubens, es habe doch immer dabey die Idee des
Zutrauens zum Grunde gelegen. Dieß kann ich ihm hier unbeschadet meiner Behauptung zugeben, habe auch selbst im Wörterbuch viele Stellen von dieser Bedeutung ausgezeichnet. Nur hätte ich gewünscht, daß er besonders bey Beurtheilung des Glaubens AbrahamRöm. 4. mehr Rücksicht auf meine Zusätze zum Wörterbuch genommen hätte, wo ich bemerkt habe, daß
Glauben oft soviel als die ganze Gottergebenheit (wie ich mich nun kürzer ausgedrückt habe) des Menschen, die völlige herzliche Richtung des Gemüths auf Gott, bedeute. Und so stelle ich mir den Glauben Abrahamsvor; es war inniger
Gehorsam in ruhiger Erwartung und Hofnung zu Gott, daß Jacobus 2, 22. sehr wohl sagen konnte, „er sey mit seinem Glauben zusammengefloßen, habe mit dazu gewirkt, sein Glaube sey dadurch vollkommen geworden;[“] insofern nemlich dieser blosses Zutrauen bedeuten soll – So also konnte Jacobus sagen und Paulus diesen gläubigen Mann dem entgegensetzen, der
mit Werken, Beschneidung, Opfern, wiewohlAbrahamauch,
umgeht; und es ist schlechterdings unerweisbar, daß der Apostel das Wort
ἐργαζεσθαι, wenn
|cXXXVII| er auch kein Reingriechisch verstanden hätte, von sittlichen Wohlverhalten könne gebraucht haben. Im Reingriechischen wie auch im Hebräisch-Griechischen, in welchem
פעלdas Gleichbedeutende ist, wird es allezeit von niedrigen Geschäften, knechtischen Diensten der Fröhner und Handlanger gebraucht, zeigt im Gottesdienstlichen das
opus operatum der Römisch-Catholischen an; und hätte das immer der Herr Verfasser dem Herrn D.Barth zugeben sollen. Mir ist es überhaupt eine Sache, für die ich zurückschaudere, wenn noch in so vielen Gegenden es für rechtsinnig und den Geist des Evangeliums verherrlichend angesehen wird
Tugend, rechtschaffene Gesinnungen und Erweisungsarten mit einem solchen Ausdruck zu verwechseln. – Ich muß denn aber wohl wieder zur Hauptsache zurückkehren – Sie war diese, daß
GlaubeanChristum etwas ganz andres in den Tagen Christus und einige Zeit nachher war, als was er uns ist; in dem Einen Zutrauen zu ihm als einen Arzt und grossen mächtigen Helfer in Krankheiten, in dem Andern Hofnung auf eine National-Rettung durch ihn u. s. w. Die
Bekehrung war der äusserliche Uebertritt zur Kirche, schon das war ein
Seligseyn , ein
Heiliggewordenseyn , wie ich
|cXXXVIII| unter diesen und mehrern Artikeln im Wörterbuch bemerkt habe. Dieß war damals die kirchliche Sprache, welche nun nebst den Ideen selbst hat verändert werden müssen, nachdem das Christenthum eine Nationalsache geworden ist und so der gebohrne Christ ganz andre damit verbinden muß.
Man wird nun noch weiter eben so wenig in Abrede seyn können oder wollen, daß aus dem Unterricht unsrer Christen in diesem reifern Zeitalter der Religion, eben weil es dasselbe ist, das wegfallen muß, was die Apostel, nach seinem damaligen Kindesalter, zur ersten Forderung an die Juden machten, daß sie von blutigen Opfern abstünden, zum ersten Lehrpunct, daß die Beschneidung weiter keinen Nutzen habe; und bey den Heyden, daß sie den Götzendienst verliessen mit allen Anhängseln desselben. Wir beweisen nicht einmal weiter unsern Anfängern im Religionsunterricht die Einheit Gottes, setzen sie mehr als bekannt und zum christlichen Gemeinsinn gehörig voraus.
So giebt es wiederum, nach allgemeinem Zugeständniß, in einer schon christlichen Nation keine totale Rechtfertigung mehr, keine Ankündigung eines feyerlichen Generalpardons, daß ich mich so ausdrücke. Sie kann nur noch gedacht werden bey einer |cXXXIX| Völkerschaft, welche in ansehnlichen Haufen noch itzt zum Christenthum übertritt. Und daher, dünkt mich, ist es gekommen, daß auch viele unsrer eben nicht zu weit gehenden Theologen nach und nach die Vorstellung der noch fortgehenden einzelnen Rechtfertigungen der Christen, als eines feyerlichen Akts in Gott, haben fahren und sichs genug seyn lassen das dem Menschen wieder zugewendete göttliche Wohlgefallen dabey denken zu lehren.
Diese bisherigen Inductionen beweisen denn schon, daß das immer zu höherer Vollkommenheit fortschreitende Christenthum das nicht mehr ist und seyn kann, was es in seinen ersten Anfängen war.
Das soll es nun aber auch nicht mehr seyn; christliche Nationen und jeder Christ sollen zu immer hellern Einsichten und würdigern Uebungen in der Gottesverehrung wachsen. Der
Grund ist gelegt, und einen andern soll niemand legen; aber man soll ein immer festeres, geräumigeres, für den innwohnenden geistigen Anbeter bequemeres, anständigeres Gebäude auf denselben aufführen; oder nach einer andern apostolischen Vergleichung, es muß eine Zeit kommen in dem Leben eines Jeden, da er aufhört die Muttermilch (von welcher nemlich Paulus die
|cXL| Vergleichung eigentlich hernahm, und welches ich noch bey dem Worte
Milch hätte erinnern sollen) des Evangeliums zu trinken, da man sich an stärkere Speise gewöhnet; oder man bleibt ein Kind. Und was soll ich alle die apostolischen Vorstellungen und Erinnerungen von dem vollkommnern Alter der Christenheit herschreiben? Genug, so ists, und dazu sollen wir Lehrer in dem Geiste Gottes und Christi mit fortwirken. Wenns aber so ist, so kann ich mich nicht enthalten, zu denken, daß Glaube an Christum, Zurechnung seines Verdienstes, Rechtfertigung für eine schon längst in ihren Vorfahren begnadigte Christennation nicht weiter die gewöhnliche Anwendung verstatte. Wenn irgendwo rebellische Unterthanen vor tausend Jahren wieder zum Gehorsam wären gebracht worden nach versicherter völliger Begnadigung, welches würde nun ihre Hauptsache seyn müssen? Ists nicht wahr, die Erweisung neuer Treue und Unterthänigkeit? Oder was wäre es, wenn sie es so recht drauf anlegten, daß sie immer neuer Begnadigung bedürften; die Vorsteher und Häupter der Familien den Ihrigen einmal über das andre sagen müßten, suchet Begnadigung
, und unausgesetzt nöthig fänden, sie zur Zurückkehrung unter die Herrschaft des Regen
|cXLI|ten zu ermahnen? Gewiß ist mirs, daß der Unterricht der Religion in diesem Stück noch eine mit dem nationellen Christenthum schwer zu vereinigende Ungleichheit hat, wenn
doch unsre Christen gewöhnt werden sich von einem Jahre zum andern, von einer Communion zur andern, auf eine fremde Gerechtigkeit zu berufen? Man erwäge doch einmal, was etwa in einer solchen Beziehung der Apostel könnte haben sagen wollen mit der ernsten Erinnerung, Ebr. 10, 26.
so wirmuthwillig
fortsündigen, habenwir ferner kein Opfer für die Sünde. Noch zur Zeit kommt es mir mit dem gedachten Unterricht eben so vor, als wenn man bey der Erzählung von dem stolzen Pharisäer im Gegensatz gegen den reuigen Zöllner, die Sache auch so vorstellt, daß man glauben sollte, es müße nothwendig durch alle Zeiten die zwey Hauptgattungen von Menschen geben,
selbstgefällige, verlarvte Heilige, und dann
inniger schaamvoller Reue bedürftige Sünder – es gereiche zur Ehre der Christenheit, keine dritte mitten innstehende Gattung anzunehmen. Wir wollen jedoch hoffen, daß es eine solche giebt, die wirklich guten Menschen, welche sagen können:
Nun halte ich, o Gott, dein Wort; verzeihe mir nur dieverborgnenFehler! – –
|cXLII| Das sind denn meine Gedanken, oder, wenn man will, Vermuthungen, wie sie, als in eben so vielen Keimen, in diesem Wörterbuch und auch in den hinzugekommenen Artikeln eingeschlossen liegen. Ich kann sie nicht ausführen und in einem so eingeschränktenRaum unmöglich weitläuftiger auseinander setzen. Aber ich wünsche herzlich, daß sie bey aller ihrer Mangelhaftigkeit, die ich wohl selbst fühle, von allen, denen Religion und Christenthum werth ist, mit unpartheyischem Ernst in Ueberlegung mögen gezogen werden. Mir gereicht es zu einer fühlbaren Gemüthserhebung, so oft ich denke, daß der gutgesinnte Mensch, ohne eben schulgerecht zu seyn und wo er lebt, Gott gefällig, der Geist Christus in ihm, auch er ohne alle schwärmerische Nebenbegriffe von Gott gelehrt sey; wo er das äussere Wort nicht hat oder verstehen kann, durch das innere zu seiner Seligkeit geleitet werde, und das unsichtbare Reich der Freunde Gottes und des Guten größer sey, als es oft im Sichtbaren erscheint. Aber das soll mich doch nicht träge, nicht faul machen, für mein kleines Theil und so lange ich kann, mitzuwirken, daß solche gute Menschen nicht von jedem unnützen Namenchristen sich dürfen schänden lassen, und sich der rohe Theil gegen |cXLIII| sie nur immerhin seines nach Ländern und Provinzen so oder so gestempelten Bekenntnisses erheben möge. Es ist die große Angelegenheit der Menschheit sich dagegen zu setzen, und so ist es auch Beruf, nach dem Evangelium, für alle Lehrer, mit auf diesen Endzweck ihre Bemühung zu richten.
Ein sehr hochzuschätzender Freund hat mich an eine Stelle aus LuthersVorrede zum Brief an die Römer erinnert, welche ich doch dieser Vorrede will nachfolgen lassen, weil sie allen dergleichen Wörterbüchern zur Schutzwehr dienen kann, und so auch zum Beweise, daß ich wenigstens das Bedürfniß der Schriftleser gefühlt habe, wenn ich auch gleich ihm nur zum geringsten Theil abgeholfen hätte.Berlin, am 17. April 1780.
Aufs erste müssen wir derSprachenkundig werden und wissen, wasSt.Paulusmeynet durch diese Worte, Gesetze, Sünde, Gnade, Glaube, Gerechtigkeit, Fleisch, Geist und dergleichen, sonst ist kein Lesen nütz daran.
|c[XLIV]|Vorrede zur ersten Auflage.
Es kömmt zum richtigen Verständniß eines jeden Schriftstellers ungemein viel darauf an, ihm seine Sprache in ihren Hauptwörtern und vornehmsten Wendungen abzulernen. Ein jeder hat seinen eignen Ausdruck, wie seine eigneSitten; und je denkender der Mann ist, der seine Einsichten allgemein macht, je neuer der Gegenstand ist, den er behandelt, um so häufiger findet er die Sprache, in welcher er schreibt, für sich zu enge; er sieht sich also genöthiget die in derselben schon vorhandenen Wörter auf die bequemste Weise zu Zeichen seiner Gedanken zu machen. Dieß ist so allgemein zugestanden, daß man auch schon längst die Nothwendigkeit erkannt hatin besondern Büchern den eigenthümlichen Sprachgebrauch der besten Schriftsteller unter den Griechen und Römern zu erklären. Und nicht uneben hat man sie den Schlüssel zu ihren Werken genannt, weil sie gleich|cXLV|sam den Zugang zu ihrer ganzen gelehrten Denkungsart öfnen.
Dieselbe Nothwendigkeit kann ich nun wohl bey den Schriften des neuen Testaments voraussetzen, ohne mich lange bey ihrer Beweisung aufzuhalten. Gleichwol ist mir noch zur Zeit kein solches Wortregister desselben bekannt, dessen Verfasser es recht eigentlich zur Absicht gehabt hätte, die Ausdrücke und Redarten unsrer christlichen Religionsbücher in Einem Verzeichniße zu erklären, von denen die richtige Einsicht in das ganze Christenthum abhängt, und aus welchen man den Kern der Religion herausnehmen muß. Ich kann bey diesem Urtheil es um so weniger zur Absicht haben den Werth dessen, was man schon lange durch sogenannte Concordanzen geleistet hat, zu verringern oder diesen ihre Brauchbarkeit abzusprechen, da sie mir selbst bey dem gegenwärtigen Unternehmen ein so großes Erleichterungsmittel gewesen sind. Allein die Verfasser derselben wollten mehr den Mängeln des Gedächtnisses durch Sammlung aller Schriftstellen, in denen ein Wort vorkömmt, abhelfen, als Urtheile über den Inhalt der Religion selbst veranlassen, und schon das ist eine sehr dankwerthe Mühe gewesen; oder ihr |cXLVI| Plan war zu groß und zu weitläuftig, als daß sie den Wörtern, die ich hier meyne, eigne Zeit zur Untersuchung und Aufklärung hätten widmen können. – Nur ganz neuerlich haben einige Männer von Einsicht und bekannten Verdiensten angefangen die Bahn, die ich betreten habe, selbst mit zu brechen; ich meyne Herr D.Crusius, in Leipzig, inden Erläuterungen des Briefs an die Römer, und besonders der Bedeutungen des Worts Gesetz; Herr D.Zachariä, in Göttingen, inseinen Paraphrasen über die BriefePauli, und Herr Schrader, Prediger in der Grafschaft Ravensberg, inder Erklärung desBriefesan die Römer; die beyde ihren Auslegungen eine kurze Erklärung der in jedem Brief vorkommenden classischen Wörter vorgesetzt haben. Diese Wahrnehmung hat auch wirklich den Vorsatz, welchen ich bereits auf der Universität Helmstädt gefaßt hatte, eine solche Erklärung der Hauptwörter des neuen Testaments herauszugeben, in mir von neuem so lebhaft gemacht, daß nun daraus das Wörterbuch entstanden ist, welches ich hiermit bekannt mache[.]
Ich liefere also keine eigentliche Concordanz, kein vollständiges Spruch- Namen- |cXLVII| und Wortregister, und verweise deswegen auf diejenigen, die man bereits hat. Das alles lag außer meinem Erklärungskreys, welcher nach meiner Hauptabsicht nur so weit gehen sollte, so weit ein jeder des Originals unkundiger Leser geführt werden muß, um es aus eigner deutlicherEinsicht zu erkennen, was er als ein Christ zu glauben und zu thun hat. Man wird also keinen Ausdruck, der zu dieser Absicht erklärt werden muß, vermissen, auch wohl finden, daß ich zuweilen andre, die eben nicht dazu gehörten, beyläufig mitgenommen habe, um unsre deutsche Uebersetzung auch in solchen, nach meinen Einsichten, zu berichtigen, ohne mich doch hierinn zu etwas gewissem anheischig zu machen. Da auch die eignen Reden Christi und die Schriften der Apostel die unmittelbare Erkenntnißquelle des Christen sind, so habe ich mich zur Zeit nur auf diese eingeschränkt, durchaus aber mich der Kürze beflissen, die man, um nicht unbillig oder gar unverschämt zu seyn, Lesern und Käufern schuldig ist; niemand von noch jetztlebenden Gelehrten für mich genannt, um die nicht zu beleidigen, die ich nicht nennen konnte; die Sprachbeweise jedem zur eignen Prüfung so faßlich als möglich zu machen |cXLVIII| gesucht; und alles mit der Offenherzigkeit geschrieben, durch die ich in allen Gott und Menschen gefällig zu werden trachte. Doch hat jene Kürze hin und wieder einige Dunkelheit im Ausdruck verursacht, die ich zu spät bemerkt habe, so wie diese Offenherzigkeit mich manchen harten Beurtheilungen aussetzen wird. Aber, Gottlob, daß ich den Einschränkungen des menschlichen Verstandes nicht unterworfen bin, die man sich nach hergebrachten Landesverfassungen gefallen lassen muß, oder zu denen sich ein mehr für seine Finanzen, als für die Wahrheit, besorgter Gelehrter erniedriget.
Ich mag es daher auch noch itzt gar nicht verheelen, daß ich mit dem Vorsatz zu Werke gegan
gen bin, selbst in meinen gegenwärtigen Verbindungen als Schriftsteller das Meinige dazu beyzutragen, mehr Klarheit und Reinigkeit in den Lehrbegriff zu bringen, die Reli
gion Jesu von Menschensatzungen, die es mir nach langer gesetzter Prüfung sind, zu scheiden, und uneingenommenen Gemüthern im Lehrstande es immer wichtiger zu machen, die Religion nicht als eine gelehrte Wissenschaftsondern als die beste Weisheit zu behandeln, und ihr Studium derselben nicht auf
|cXLIX|Spitzfindigkeiten des Verstandes oder Spiele der Einbildungskraft, sondern auf ihre heilsame Anwendung bey ihren Gemeinen zu richten. Hierzu steht nun aber kein andrer Weg offen, als daß man selbst die Schrift verstehe, nach der man andere zur Glückseligkeit anweisen soll. Chronologische, geographische, historische Untersuchungen mögen immer die Beschäftigung einiger wenigen Gelehrten bleiben. Es würde so gar dem Besten der Religion sehr zuträglich gewesen seyn, wenn man es von je her mit diesen so gehalten hätte, statt daß es Zeiten gegeben hat, da alle Auslegungsbücher, academische Streitschriften und Sammlungen verschiedener einzelnen Erklärungen davon wimmelten, und niemand sichs auch nur einfallen ließ, Wörter und Redarten zu berühren, die geradezu den Inhalt der Religion selbst angehen. Mit dem allen ist dem Lehrer der Religion so wenig als dem Schüler geholfen; aber beyden ganz gewiß durch eine genaue Auflösung der Sprache, in
welcher die Religion zuerst vorgetragen wurde, in die einfachsten Vorstellungen, die dabey zum Grunde liegen, die jener für diesen in der Stille anstellt und dann ihm öffentlich in seiner Muttersprache wiederholt. „Man
muß nicht“ dieß sind die eignen Worte
Luthers |cL| im Brief vom
Dollmetschen, „die
Buchstaben in der lateinischen (und so auch in der griechischen und ebräischen) Sprache fragen, wie man solldeutsch reden, sondern man muß die Mutter im Hause, die Kinder auf den Gassen, den gemeinen Mann auf dem Markt fragen, wie sie reden, und darnach dollmetschen, so verstehen sie denn und merken,
daßman deutsch mit ihnen redet,“ – [„]das habe ich mich geflißen, aber leider allewege nicht erreicht noch troffen.“ So sollten wir , die wir von Zeit zu Zeit das Lehramt verwalten, uns nur als berufene Dollmetscher der Reden Christi und der Vorträge seiner Apostel betrachten, die in dem zu jeder Zeit gültigemDeutsch ihren Zuhörern sagen sollen, was der damaligen Welt in ihrer Sprache zuerst verkündiget worden, und darauf sie aufmerksam machen. Das würde durch die eben gedachte Wortanalyse geschehen. Man würde bald dabey finden,welchesRedarten sind, die die Apostel selbst nach den verschiedenen Fähigkeiten und übrigen Umständen ihrer Gemeinen verändern, an welche sie selbst sich nicht binden, ohne daß die Hauptsache dadurch verändert wird, und was
dagegen stets wesentlich zu dieser gehört; welches eigentlich die unveränderliche
Lehre des Evangeliums selbst,
|cLI| und welches im Gegentheil die bey den ersten Boten desselben nach ihren verschiedenen Gaben und Umständen verschiedene
Lehrart ist; wie wahr es endlich sey, daß nach allen und noch so vielen Erklärungen schwerer Schriftstellen die Summe der Lehren der Religion immer dieselbe bleibt, die der ungelehrte Christ schon in den zehn, zwanzig, klaren und körnigten Sprüchelgen zusammengezogen findet, die sein Schatz im Leben und sein Trost im Tode sind. Und o wie weit angenehmer und nützlicher würde ihm die Lesung der Schrift werden, wenn man ihm aller Orten das wiederfinden lehrte, was dieses sein kleines Spruchregister enthält! Dieß alles ist wenigstens bey mir der Erfolg gewesen, da ich diesen Gang genommen. Ich wünschte also auch, daß niemand, der künftig die Religion lehren soll, sich die Mühe verdrießen ließe, eben so beym Buchstabiren anzufangen, um die Schrift mit der Zeit ungehinderter lesen zu können, und gebe nun dazu in diesem Wörterbuche einige Anleitung.
Die Sache betrift die richtige vollständige Sammlung und Erkenntniß der Lehren des allgemeinen Christenthums, die genaue Erklärung der Schrift, die dabey zum Grunde liegen muß, und die Deutlichkeit der Uebersetzungen. Dieß veranlasset mich also von dem einen wie
|cLII| von dem andern noch einige Erinnerungen beyzufügen.
Ich bin zuerst eben nicht dafür, daß die Uebersetzung des seligen Luthers jemals ihr kirchliches Ansehen unter uns verliere. Aber von Zeit zu Zeit sie in einzelen Wörtern und Redverbindungen zu berichtigen, das sollte, dünkt mich, geschehen, hätte schon längst geschehen sollen, und hätte man so fortgefahren, wie man anfing, so wäre nun die Sache vollendet. Wenigstens kann es keinem Gelehrten unbekannt seyn, wie viel man in den ersten Ausgaben von Zeit zu Zeit darinn verändert hat. Luther selbst hat , nur nach der vorher angeführten Stelle, seine Uebersetzung nie für unverbesserlich ausgegeben; er hat gewarnet und gebeten sie stets nach den Grundtexten zu prüfen, und viele Stellen in der ersten Ausgabe wirklich so übersetzt, wie es ihr eigentlicher Sinn erfodert, oder auch die bessereVerdeutschung eines Worts und einer Redart in den später übersetzten Büchern noch gefunden. Mehrere Beyspiele der letzten Art habe ich schon im Buche selbst gegeben. Sohat Lutherz. E. die ganze hebräischeRedform,inChristo Jesu, richtig deutsch, durchchristliche – Gemeine inChristo Jesu, – über|cLIII|setzt. Was hindert es , die von mir angeführten Sprachbeweise dazu genommen, unsre Uebersetzung in ähnlichen Stellen dieser Uebersetzung gleichförmig zu machen, daß z. E. es nun auch Eph. 3, 21.für,dem sey Ehre in der Gemeine, die inChristo Jesuist, hieße, dem sey Ehre in der christlichen Gemeine? – Aber er hat auch nicht selten in der ersten Ausgabe richtiger übersetzt; ganz, wie es seyn sollte. Ich habe gezeigt, wie man den Ausdruck, thut Buße, für deutsche Leser sogleich in den verständlichern, bessert euch, verwandeln solle, und (welches zwar minder wichtig ist, aber doch zur Genauigkeit einer guten Uebersetzung gehört)das Amt zuführen, in dienen; Wort, in christliche Lehre, Evangelium. Eins wie das andre hat nun in der ersten Ausgabe von 1522 schon gestanden:Matth[.] 3, 2.4, 17.Marc. 1, 15.bessert euch; 6, 12.man soll sich bessern(wie dieß Bessern auch in den spätern Ausgaben beybehalten worden, Matth. 11, 20.Luc. 13, 3.) – Apostg. 8, 4.und predigte das Evangelion – 2 Cor. 3, 6. welcher uns – gemacht hat, Diener zu seyn des Neuen Testaments. – Es verdiente überhaupt noch eine genauere Untersuchung, durch welche Veranlassungen die spä|cLIV|tern Ausgaben der Lutherschen Uebersetzung in einzelen Stellen, die gar keiner Verbesserung bedurften, dem ungeachtetsind verändert worden. Von wirklichen Verbesserungen lassen sich die Ursachen leicht angeben, wenn man bedenkt, daß auch Luther und seine Freunde, wie Melanchthon, in der richtigen Schrifterklärung immer mehr Einsicht und Stärke gewannen. Sie ists, die dem Uebersetzer stets neue Kraft giebt, wie ohne sie niemand sich das Recht anmaßen sollte, über Lehren der Religion zu urtheilen.
Aber nun auch hiervon etwas zu sagen; so ist zuerst das Auslegungsgesetz,
Schrift aus Schrift zu erklären, zwar längst gemacht und angenommen,nur scheinet es mir, daß man sich noch nie recht darüber vereiniget hat, was man darunter verstehen wolle. Denn es recht verstanden und angewendet, wüste ich kein allgemein kräftigers Hülfsmittel der Auslegung der Schrift. Ich denke mir nemlich dabey eine solche Erklärung, wobey man
entweder auf die ausdrücklichen Zeugnisse Jesu und der Apostel von der Bedeutung, in der sie gewisse Wörter genommen, das meiste Gewicht legt, und sie also vor allen Dingen aufsucht;
oder den jüdischen Gebrauch einer Redart, eines Ausdrucks, den sie bey ihren Anweisungen zum
|cLV| Grunde legen, den sie als damals allgemein bekannt nicht weiter erklären, sich aus den Sitten dieses Volks nach den Beschreibungen des AltenTestaments erst verständlich zu machen sucht;
oder endlich Wörter und Ausdrücke, mit denen sie im Vortrag derselben Sache abwechseln, so langegegen einander vergleicht, bis man den allgemeinen Begriff aus allen zusammen genommen völlig ausgezogen hat. Immer wird hier Schrift aus Schrift erklärt, und wenn die mittelste Gattung mehr Sprachgelehrsamkeit und Bekanntschaft mit den Alterthümern erfodert; so ist die Anwendung der ersten und letzten eine um so leichtere Sache, für jeden, dem sie selbst wichtig genug ist. Um kurz zu seyn, will ich die Erläuterung dessen aus meinem Wörterbuch selbst hernehmen. Ich erkläre
Fülle, in den Briefen an die Epheser und Colosser, von der Kirche. Der Sprachgebrauch läßt so etwas vermuthen; aber das eigene Zeugniß des Apostels, daß er so verstanden seyn wolle, Eph. 1, 23. und die ganze Vergleichung seiner Phraseologie in beyden Briefen, wie ich sie angestellt habe, entscheidet. Und so gehen mir zu meinem Verständniß der Redart,
anJesumglauben, seine eignen Aussagen, dieß heiße,
seinWort halten,seinFreund seyn, und
thun, |cLVI|was ergebiete, über alles. So erkläre ich Schrift aus Schrift in der zweyten Bedeutung, wenn ich bey der Wahrnehmung, daß Jesus
Hoherpriester und
Prophet genannt wird, die ursprüngliche Bedeutung beyder Benennungen aufzufinden bis aufs Entstehen des Israelitischen Hohenpriesterthums und der Prophetenwürde unter diesem Volk zurückgehe. Ich erwarte also von einem jeden, der mir seine Erinnerungen über dieses Wörterbuch mittheilen will, mir vor allen Dingen kurz und gut zu sagen, ob er in diesem Verstande Schrift aus Schrift mit mir erklären wolle: Sonst gehen wir, der eine zur Rechten, der andre zur Linken, und können unmöglich an einem Orte zusammentreffen.
Hiernächst gestehe ich, daß mir viele Stellen des Neuen Testaments gar keiner Erklärung zu bedürfen, durch eine jede, die man versucht, nur mehr verdunkelt zu werden scheinen; und man also auch darinn sich mehr vereinigen sollte, was als aufs deutlichste gesagt, nun auch geradeweg so anzunehmen sey. Es ist mir die unbegreiflichste Sache, wie man oft andern den Vorwurf machen könne, daß sie der Schrift entgegen erklärten, die ihr offenbar die meiste Ehre anthun, und das mit willigstem Beyfall an
|cLVII|nehmen, was in derselben mit dürren Worten gesagt wird. Sie beharret z. E. immer auf der Versicherung, daß
Jesusder Herr sey; sie nennt ihn durchaus
den Herrn; sie erklärt sich darüber an so vielen Orten, wie ich das alles
bey diesem Artikel kurz angezeigt habe. Warum sucht man noch eine gezwungne Erklärung, daß dießso viel als
Jehova sey? Josephus sagt ausdrücklich das Gegentheil , und wenn die griechischen Uebersetzer für diesen Namen ihr
κυριος brauchen, so kam es eben daher, weil sie den Namen
Jehova als Juden nie aussprachen, und also auch so übersetzten, als ob
Adonai stünde. Was ist unbedingter gesagt, als 1 Cor. 15, 27. daß der Sohn dereinst das Reich übergeben und selbst unterthan seyn werde – der ganze Sohn – daß ich so reden mag; warum ehrt man die Schrift nicht und läßt es dabey bewenden, statt daß man nun eine vorausgefaßte Theorie hinein zu zwingen sucht?
Wie viel nun bey solchen Uebersetzungen und Erklärungen der Schrift die Erkenntniß und der heilsame Unterricht der Religion gewinnen würden, ist unnöthig weitläuftig zu sagen. Nur die einzige Erklärung, die ich von dem Schriftge|cLVIII|brauch des Ausdrucks, FurchtGottes, gegeben habe, angenommenund recht durchdacht, müste wahrhaftig auch die Kraft und Würde des Christenthums ganz anders geschätzt und im täglichen Wandel verherrlichet werden. Und dieß ist es, was ich mit aller Aufrichtigkeit des Herzens, als den edelsten Zweck des christlichen Lehramts, auch durch diese Arbeit zu befördern gesucht habe.Berlin, den 13. März 1772.
|c[LIX]|Vorredezu den Zusätzen der zweyten Auflage.
Um den Besitzern der ersten Auflage meines Wörterbuchs nicht beschwerlich zu fallen, habe ich die zweyte bis auf einige meistens die Zahlen angehende Berichtigungen des Drucks unverändert gelassen, und dafür die folgenden Zusätze besonders ausgearbeitet. Ich bedaure nur, daß ich der Unbequemlichkeit, die durch eine solche Trennung in dem Gebrauch entstehen mußte, nicht eben so gut habe abhelfen können, und sie zum Theil dadurch vermehrt worden ist, daß in der Correctur der ersten Bogen das Sternzeichen ausgelassen worden, wodurch sich in den letzten die Beziehungen auf die Zusätze von den Zurückweisungen auf das Wörterbuch selbst unterscheiden.
Sonst enthalten diese Zusätze einigemal S. 49 f. 52 und 60 f. wirkliche Verbesserungen; zuweilen Nachholungen von Wörtern, auf die ich schon im Wörterbuch hingewiesen hatte, wie
Stachel ,Spiegel ; noch öfter Bestätigungen, wie bey
Furcht Got|cLX|tes ,
Fülleu. a. m. größtentheils aber freywillige Beyträge von Wörtern und Redarten, als,
andächtig ,hochherfahren ,Griechen ,Handel u. d. durch
deren Auslegung die Lesung des neuen Testaments jedem, der sich nicht selbst helfen kann, erleichtert wird. Bey diesen konnte ich um so kürzer seyn, da die Einsicht in das eigentliche Christenthum davon eben nicht abhängt, und ich mich hierüber schon in der Vorrede zum Wörterbuch, erklärt habe. Nur die Bestätigungen erfoderten mehr Umständlichkeit,welche sich freylich auch eher für einen Commentar als für ein Wörterbuch schickt, aber gleichwohl wegen der besondern Veranlassungen, welche ich dazu gehabt, nicht zu vermeiden war.
Es kann nun dem Leser einerley seyn, welches dieselbengewesen. Mir kam es zu, den besten Gebrauch für ihn und mich selbst davon zu machen, und dieß habe ich nicht nur gelegentlich gethan, was die Hauptsache anlangt, sondern will es auch noch itzt wegen gewisser dabey vorgefallener Misverständnisse thun.
Ich bin völlig überzeugt, daß Religion und Theologie, das Christenthum nach der Schrift und das Christenthum nach dem System unendlich weit voneinander unter|cLXI|schieden sind. Ich sehe dieses für ein Gebäude an, welches dem Scharfsinn des menschlichen Verstandes Ehre macht, an welchen viele Kunst verschwendet ist, und welches man also wohl ein und das andermal zur Bewunderung der Kunst besehen kann, aber gewiß nicht beziehen muß, wenn man gesund und ruhig wohnen will. Dieß würde auch zuverläßig das Urtheil der meisten seyn, wenn sie nicht das System sich eher geläufig gemacht hätten, ehe sie aus eignem Triebe und mit allen dazu gehörigen Hülfsmitteln die Schrift gelesen. Es würde dann schlechterdings unmöglich seyn daran einen Geschmack zu gewinnen, oder, wenn nicht noch nachher die Bekanntschaft mit demselben dazu käme, von selbst auf solche mühsame Zurüstungen zu verfallen. Diese Ueberzeugung nun war bey mir im ersten Aufkeimen, da ich vor zehn Jahren die Verfertigung meines Lehrbuchsunternahm; und sie ist seitdem zu einer solchen Größe und Stärke gewachsen, daß ich vor einiger Zeit mich entschloß in einem Wörterbuch die Bearbeitung merklich zu machen, unter welcher sie bey mir zugenommen . Ich fürchtete zwar also keine augenblickliche Wegwerfungen oder ungeziemende Anschwärzungen von gesetzten und billigen Männern; aber ich er|cLXII|wartete auch eben so wenig den Beyfall derer, die auf andern Wegen die gegenseitige Ueberzeugung sich schon längst in frühern Jahren zu eigen gemacht, und ich sehe klar ein, wie beynahe unmöglich es für solche seyn muß, wenn besonders Geschäfte oder andre Hindernisse einer ruhigen Prüfung dazukommen, den Rückweg zu nehmen und den Weg, den ich gegangen bin, einzuschlagen. Ich schrieb also für solche, die noch für kein System eingenommen sind, wie es billig am wenigsten Anfänger in der Erlernung theologischer Wissenschaften seyn sollten, und ihnen vornehmlich widme ich auch diese Zusätze. Sie stehen noch am Scheidewege; bey ihnen steht es noch, sich der Hülfsmittel aus der Kirchengeschichte und einer philosophischen Kenntniß der alten Sprachen zu bemächtigen, durch welche man in den Stand gesetztwird, das reine Metall des Christenthums von den Schlacken einer sectirischen Philosophie oder abergläubischen Schwärmerey zu scheiden. An sie will ich mich also noch mit folgenden Vorstellungen und Bitten wenden.
Zuerst werden sie hoffentlich es der Mühe werth achten, zu untersuchen, wie viel Zeit man eigentlich in beynahe siebzehnJahrhunderten, oder nur, um nicht so weit |cLXIII| zurückzugehen, seit der Reformation, auf die Auslegung der Schriftstellen verwendet hat, aus denen die Lehrsätze des Christenthums herauszuziehen sind; unter welchen äußerlichen Umständen man dabey zu Werke gegangen ist; und welche Hülfsmittel man dazu angewendet. Ich will, um ihrem Urtheil nicht vorzugreifen, nicht sagen, wie günstig oder ungünstig das Resultat dieser Untersuchung für die herrschend gewordnen Erklärungen ausfallen muß, wenn sie gehörig angestellt wird:aber ich bitte darum so sehr, so lieb es ihnen seyn wird, und zum mannigfaltigsten Gebrauch nützlich, sie mit Fleiß geendiget zu haben.
Hiernächst ist es nöthig, daß sie aus eigner Lesung und Vergleichung bey sich entscheiden, ob die Sprachart des neuen Testaments wirklich hebräisch-griechisch oder rein-griechisch sey. Seit ohngefährdreyssig Jahren hat zwar jene Meinung ein merkliches Uebergewicht gewonnen, und sie wird wohl itzt in Deutschland von den angesehensten Schriftauslegern durchgängig behauptet. Allein ich wünschte doch, daß es immermehr in der Folge keine bloße Ueberlieferung aus dem Verstand des einen in das Gedächtniß des andern würde, sondern eine durch eigne Versuche gewirkte Ueberzeugung. Mir ist |cLXIV| dazu sehr nützlich gewesen, wenn ich in meinen academischen Jahren am Morgen einen Abschnitt, ohne mich nach Kapiteln zu richten, aus dem A. T., den Grundtext und die Alexandrinische Uebersetzung verglichen, gelesen, und nachher Abends einige Absätze aus dem N. T. Da war der Eindruck von den früh gefaßten hebräisch-griechischen Redformen der Alexandriner noch so lebhaft in mir, daß ich von selbst merkte, es sey einerley Sprachart, und mir in Gedanken manche Erklärung machte, die ich nachher angenommen. So hatte ich z. E. in den Psalmen gelesen dieErde und ihre ganze Fülle mit demselben griechischen Wort, das Paulusin den Briefen an die Epheser und Colosser braucht, gerieth kurz nachher über die Stelle Col. 1, 19. und machte also die Anwendung davon.
Aber die hebräisch-griechische Sprachart recht kennen zu lernen, ist es, dünkt mich, noch Kleinigkeit sie bloß in einzelnen
Worten,Redarten und
Redverbindungenaufzusuchen. Hier ist auch beynahe von einem
Vorstius und andern nichts mehr zu thun übrig gelassen. Darinn, Freunde, liegt ein fast noch unentwikkelter Keim der Erklärungsart des N. T. die ins Grossegeht, daß es auch eine ganz hebräisch-griechische
Den|cLXV|kungsart in demselben giebt, die Nationalphilosophie, Nationalsitten, und Nationalgebräuche zum Grunde hat. Z. E.Seite
171. habe ich für ein Wörterbuch zureichend die Redart
in Sünden gebohren seyn erklärt; ich hätte aber noch hinzusetzen können, daß es, wie man auch aus der Frage der Jünger und der Antwort JesuJoh. 9, 2. 3. wahrnehmen kann, eine herrschende Meynung unter den Juden war, nur sündhafte Eltern brächten gebrechlich Gebohrne zur Welt. So ist S.
305. die Beschreibung eines gottgefälligen Almosens als eines
angenehmen Opfers Gott zumsüssenGeruch, nicht bloß hebräisch geredet, sondern gedacht. Und so denke ich, verhält es sich mit allen den Vorstellungen von
Himmel und
Erde ,Gesetz und
Werke ,Hoherpriester ,Versöhnung u. s. w. Ich wünschte also, daß diejenigen, für die ich dieß schreibe, auch hierauf ihre unpartheyische Untersuchung verwenden möchten.
Diese Erklärungsart, sagte ich, geht mehr ins Große. Aber auch die Schrifterklärung selbst, auf welche sich der künftige Lehrer der Religion vorzubereiten hat, um die er sich ohnstreitig am meisten bekümmern sollte, muß mehr aufs Große gerichtet seyn; auf die Aussprüche Jesu und seiner Boten,
|cLXVI| die jedem Hauptstück der christlichen Wahrheit, wie sie im systematischen Vortrag gelehrt wird, zur Grundlage dienen. Ich beziehe mich hier auf das, was ich schon zum Theil hierüber in der
Vorrede zum Wörterbuch erinnert habe und setze nur noch folgendes hinzu. Es ist einerley, mit wechem Hauptstück der christlichen Lehre man diese Vorbereitung anstellen will und zur Vorbereitung ist auch ein einziges zureichend. Jeder neue Aufschluß in dem einen enthält die Anlagen zur Aufklärung des andern. Wenn man einmal weiß, das ist
Gesetz ohne Zusatz und das ist
Gesetz mit dem Zusatz
Gottes, so ist man schon auf der Spur
Werke und
guteWerke richtiger von einander zu unterscheiden, genauer zu bestimmen, was
Evangelium ist, was
GlaubeanChristum ist, wie Er der
Herrist, und wie Luther schon im Catechismus gesagt, man darauf bestehen, darauf hauptsächlich sein eigenes Wissen von ihm einschränken müße. Und so etwas sollte nicht die ernsthafteste Angelegenheit für einen jeden seyn, der andre dereinst lehren soll, was Christenthum ist? Er sollte sich eher oder wohl ganz allein darum bekümmert haben, weches in der Apostelgeschichte die
Ausländer von Rom sind, ob man beym Lucas
Schatzung |cLXVII| oder
Zählung übersetzen müße; ehe er bey sich ausgemacht hat, was das heiße
anJesumglauben und wohl diese Untersuchung ganz liegen lassen? Wenn es hierauf ankommt, sollte der ganze gewissenhafte Ernst der seyn, daß man mit einem Seitenblick auf die Gegend, in der man lehren soll, auf den Gönner, durch den man sein Glück machen will, die in jener und bey diesem geltende Erklärung nimmt und sie mit allen polemischen Gepränge aufstutzt? Nun wer das für recht und billig hält, der thue es auf seine Gefahr; bilde sich aber ja nicht ein, daß andre die Lücken und Schwächen in seinem Unterrichte nicht merken werden.
Beynahe möchte ich nun auch Anfängern rathen lieber gar keine Regeln der Auslegungskunst sich bekannt zu machen, nur mit ihremgesunden Verstande ihre Sprachkenntniße auf einzelne Stellen anzuwenden; als jene Regeln kunstmäßig zu erlernen und sie doch nicht am rechten Orte gebrauchen wollen. Es ist ein altes Sprüchelchen und von allen für wahr angenommen: „Man muß genau beobachten,
wer etwas sagt, zu
wemer es sagt,
unter welchen Umständen und in
welchen Zeitener es sagt.“ Aber wie stehts mit der Anwendung? Nun das sehe man! Jesusbefiehlt seinen Aposteln, in
sei|cLXVIII|nemNamenzu beten; er sagt es zu einer Zeit da er mit ihnen von seinem Abschied redet, sie in ihrem öffentlichen Lehramt bestätiget, ihnen noch Muth und Freudigkeit dazu einsprechen will: Ersetzt hinzu, daß sie es
bisher noch nicht gethan hätten, ungeachtet sie ihm so treu und ergeben gewesen waren; er verweiset ihnen das auch nicht; und er versichert endlich, daß ihnen dergleichen Bitten allezeit würden gewähret werden. Hier wäre also ja wohl der Ort die gedachte Regel in Ausübung zu bringen, und zu sagen, es sey
das apostolische Amtsgebetgemeint! Aber nein! sagt man, dieß ist nicht der rechte Ort. Nun wo ist er denn? Ich will mich weisen lassen. Etwa wo Paulus ein
jüdischer Gelehrter, mit Christen aus dem
Judenthum, die nicht von ihren Gebräuchen ablassen wollten, von der Beschneidung am Geist, dem Opfer Jesu, dem Hohenpriesteramt desselben, dem Sabbath des N. T. redet? Nein da auch nicht! Nun so ist jene Vorschrift zwar sehr gegründet, in der Natur aller Sprachen und in dem Gebrauch aller guten Schriftsteller gegründet, aber sie ist in der Anwendung zu nichts nütze. Man gebe mir also eine andre, die ich besser brauchen kann! „Frage zunächst den Schriftsteller selbst, den du erklären wilst, in wel
|cLXIX|chem Sinn er ein Wort, eine Redart, genommen hat; dieses Zeugniß, welches er durch Selbsterklärungen seines Sprachgebrauchs ablegt, ist von grossem Gewichte.“ Nun ja, das sollte ich auch meynen; und also wird wohl
FülleCol. 2, 9. die Gemeine bedeuten, weil PaulusEph. 1, 23. sagt, daß er sie darunter verstehe? Es wird wohl einerley seyn
Fülle des, der alles in allen erfüllet, die ganze Fülle der Gottheit, die Fülle Gottes, die FülleChristi, der auszweyen gemachte neue Mensch, der ganze Bau, die ganze Familie im Himmel und auf Erden? einerley;
inChristowohnet dieganze Fülle der Gottheit, und,
er ist das Haupt der Gemeine? einerley;
sie wohnet in ihm leibhaftig, oder,
Er hatbeydeJudenundHeydenversöhnt zu einem Leibe? – Nein das folgt nicht; so ungewöhnlich und unbestimmt und willkührlich konnte der Apostel nicht reden, wenn er vernünftig schreiben wollte: Wie würde ihn der ungelehrte Haufe verstanden haben? Aber was ists ungewöhnliches, unbestimmtes, wenn er sich erklärt,
so will ich verstanden seyn? was schadet dann das willkührliche, und wie konnte er anders schreiben, wenn er kein andres eben so ausdrückendes einzelnes Wort in seiner Sprache hatte? Nun genug es folgt
|cLXX| nicht; Col. 2. ist
ChristusEph. 1. die
Kirche zu verstehen. Erlaube mir denn also einen andern Versuch an dieser Regel zu machen, ob er dir besser gefallen möchte. Ich denke nemlich nach derselben,
anJesum Christumglauben, sey soviel als seine Lehre annehmen und befolgen: Er sagt doch selbst,
ihr seyd meine Freunde, wenn ihr thut, was ich euch gebiete;so ihr bleiben werdet in meinerLehre, (Rede)
so seyd ihr meinerechtenSchüler (Jünger); er sagt das einemal,
wer daglaubet,der wird selig werden, und ein andresmal,
die den Willen thun meines Vaters im Himmel, indem sie mich Herr, Herr nennen, d. i. ihren Meister und Lehrer,
werden in das Himmelreichkommen. Hier habe ich also, wies nach jener Regel seyn soll, seine eignen Erklärungen. – Wieder falsch geschlossen! Wo hat dir Jesus gesagt, daß du dabey einerley denken sollst? Er legt mirs doch so nahe, indem er mit diesen Ausdrücken und Redarten abwechselt! Auch Paulus erklärt das Wort
Glaube dahin; es ist seine eigene ausdrückliche DefinitionRöm. 10, 8.
Das Wort ist dir nahe in deinem Munde und in deinemHerzen; dein Gewissensgefühl sagt dirs, was recht und unrecht ist und Gott gefällt;
und dies ist das Wort vom |cLXXI|Glauben, das wir predigen; er sagt das einemal Gal.5, 6.
inChristo Jesugilt weder Beschneidung noch Vorhaut etwas, sondern der Glaube, der durch die Liebe thätig ist; und ein zweytesmal1 Cor. 7, 19.
DieBeschneidung ist nichts, und die Vorhaut ist nichts,
sondernGottes Gebothalten. Hier ist also, denke ich, seine eigne Erklärung, daß
glauben und
rechtthun ihm gleichviel gelten. Aber hat er ausdrücklich
gesagt, daß es ihm gleichviel gelte? Ich sehe denn wohl, daß auch diese Regel sehr gegründet ist, aber durchaus nicht für den Gebrauch. Oder vielmehr, theuerste Jünglinge an jedem Ort, wo euch dieses zu Gesicht kommt, sehet ich habe euch mehr denn eine wahre Geschichte erzählt, lernet daraus festere Tritte thun und wenn
ihr einmal sicheren Regeln bey Erklärung der Schriften des N. T. ihren Werth in der Betrachtung zugestehen müßet, so bringet sie auch treu und standhaft in Ausübung.
Von solchen lehrbegierigen Schülern der Wahrheit müße nun auch nach meines Herzens-Wunsch es ewig ferne seyn, eine Erklärung bloß deßwegen sogleich zu verwerfen, weil sie ihnen neu, oder unerwiesen, oder ungewöhnlich, oder gekünstelt, oder endlich fremdgläubig vorkömmt. Sich aus |cLXXII| irgend einer von diesen Ursachen von einer Erklärung wegscheuchen lassen und dafür gleichsam zurückprallen, ist dem Sucher des Wahren, der noch Zeit und Kräfte und Gelegenheit hat, nicht anständig. Aber sie werden auch dafür genug gesichert seyn, wenn sie sich gewöhnen in jedem Fall die Ursache ihrer Abneigung sich deutlich zu machen und den Nebel ihrer dunkeln Vorstellung zu zerstreuen.
Was nennst du neu? müssen sie sich fragen. Was dir neu ist, was du noch nicht gelesen oder gehört hast! So laß es denn seyn; vielleicht ist es andern nicht so neu, die länger gedacht, mehr gelesen haben.
Eben so: Was nennst du unerwiesen? Vermengst du es etwa mit dem, was unerweisbar ist, oder hältst es dafür, was nur dir noch nicht genug erwiesen ist, oder nach den Einschränkungen und Abänderungen deiner Vorstellungskraft vielleicht auch nur dir und denen, die dir gleichen, nicht erweislich gemacht werden kann? Ja! so ists. Rede also wie es die Sache mit sich bringt bestimmter: Das ist mirneu: Das ist für mich unerwiesen. – –
So habe ich in den Zusätzen bewiesen, daß die Erklärung des Worts
Fülle nicht neu ist und sogar schon bey Col. 1, 19, von einem
|cLXXIII| der größten ältesten Ausleger ohne allen Anstoß gemacht worden ; nicht neu die Erklärung von
unterste Oerter derErden, Engel desSatans, und sogar kein älterer Ausleger an eine wirkliche leibliche Besitzung hierbey gedacht hat. Und so hoffe ich auch bey
Fülle , die in einer solchen Sache möglichsten Beweise für die angenommene Erklärung gegeben und die Richtigkeit derselben in ein solches Licht gestellt zu haben, daß es geflissentlicher Eigensinn, oder wohl gar noch etwas ärgeres in jedem seyn müßte, der noch ferner sagen wollte, sie sey unerweislich.
Weiter: Man frage sich, was nennst du
ungewöhnlich? Eine ungewöhnliche Erklärung was heißt das? Doch wohl nur eine solche, die in die Reihe deiner gewohnten Vorstellungen nicht einpaßt, und die du noch zur Zeit in deinemGedankenregister nicht unterbringen kannst. Wenn denn auch das ist, wie es ist, so wird man leicht sehen, daß man dieß Ungewöhnliche nicht dem andern zum Vorwurf machen sollte, bey dem es aus dem Keim andrer Ideen entsprossen ist; man wird sich bescheiden, daß, wo andre vorläufige Vorstellungen aus andern Auslegungsgründen Platz genommen, die uns so ungewöhnlich scheinende Erklärung mit denselben in der genausten Harmonie stehen kön
|cLXXIV|ne. Man nehme das Wort
Gottesfurcht : Ich verwerfe es, von christlichen Gesinnungen gebraucht, und sage, es seyunbiblisch, und finde darinn gar nichts fremdes. Das macht, alle diese Ideen sind bey mir vorhergegangen:
Furcht und
Ehrfurcht, oder Ehrerbietung, werden in jeder Sprache unterschieden; die Religion der Christen, mit allen ihren Erweisungen und Uebungen, soll kindesartig seyn, zum Unterschied der jüdischen; daher soll man sich Gott immer als Vater der Menschen, den höchsten und besten Vater, denken, ihn lieben, ihm ergeben seyn, ihn mit aller Freudigkeit des Herzens verehren. Nun nehme man aber einen, dem es an allen diesen Vorstellungen und Wahrnehmungen bisher gefehlt hat; der in allen öffentlichen Vorträgen nur immer von Gottesfurcht gehört, der es selbst bey solchen Gelegenheiten sich geläufig gemacht hat; er wird jene Erklärung ungewöhnlich schelten, und am Ende ist sie es doch nur in seiner Denkungsart.
Ganz so ist es mit dem
Gekünstelten in Erklärungen, worüber ich mich schon einmal in der Vorrede zur
Uebersetzung desSegensJacobsu. s. w. erklärt habe. Hielte man auch hier Rücksprache mit sich, was verstehst du darunter? Verwirrst du nicht
|cLXXV| etwa die ganz verschiedenen Begriffe einer
kunstmäßigen (
artificiosae) und einer
gekünstelten (
coactae), oder einer
nicht gleich offen liegenden (
minus obviae, exquisitae) und
erzwungenen (
nimis quaesitae) Erklärung mit einander? Scheint dir das nicht etwa gezwungen
, so daß der damalige Leser das unmöglich dabey habe denken können, weil du dir ihn mit deinem ganzen System vorstellst, welches er doch nicht hatte? Ist es dir nicht vielleicht so, weil dir das Sehrohr, mit welchemer die Rede betrachtete, verrückt, oder durch die Staubwolken so vieler Fragen und Streitigkeiten verdunkelt worden ist? Gienge man, sage ich, so bis auf den Grund einer als gekünstelt empfundnen Erklärung, wie oft würde man sich eines andern besinnen? Es ist vortreflich gesagt, wenn man verlangt, der Ausleger solle sich in die Situation derer setzen, zu welchen ein Schriftsteller zunächst geredet: Es kann wohl niemand diese Regel so hoch schätzen, als ich, und ich sollte meynen, daß ich bey den Artickeln,
bekehren , Ebenbild , Christus , Gesetz , Glaube , heilig , Hoherpriester u. a. m. sie deutlich genug zum Grunde gelegt hätte. Aber das ist eben die verzweifelte Täuschung, daß man bey dieser Gedankenversetzung doch sein ganzes Ich wieder mit nimmt, die Ge
|cLXXVI|gend verändert, aber seine Denkungsart, Sitten und Gebräuche beybehält.
Endlich: was heißt es, die Erklärung ist fremdgläubig? Sie ist falsch? Und hast sie noch nicht geprüft! Also etwa: sie kann nicht wahr seyn, weil sie von der Kirchengesellschaft, in der ich mich befinde, nicht angenommen wird? Aber sollte denn auch kein Funke von Wahrheit bey andern seyn? Oder soll es gar so vielheissen, ich werde kein Amt darauf kriegen? Schäme dich, und habe mehr Vertrauen zu Gott!
Habt, will ich also noch überhaupt bitten, habt, die ihr dereinst andre lehren wollt, eine unwandelbare große Ehrerbietung für euer Gewissen, und damit für den Gott, von dessen Willen und Wohlgefallen es ein beständiger Wiederhall ist. Ehret es in Untersuchung, Annehmung und steter Befolgung der Wahrheit, daß ihr nichts dafür haltet, was ihr nicht geprüft habt; jeder Ueberzeugung euer Herz offenstehen, und dann nichts in der Welt euch davon abbringen lasset. Kaufe die Wahrheit, nach dem Rathe des Weisen, wenn du auf die Universität gehst, und verkaufe sie nicht, wenn du ein Amt suchest, und so lange du es verwaltest!Berlin, am 5ten October 1773.