<body xml:id="bs_e">
<div type="chapter" xml:id="bs_e_1">
<p><pb xml:id="bs_e_page_3" edRef="#e" type="sp" n="3"/> Ich habe bereits <ptr type="editorial-commentary" target="#erl_e_0_1"/>in einer <hi>kurzen
Erklärung</hi><ptr type="bibliographic-object" target="textgrid:3rnnd"/>,
welche ich in des Herrn <index indexName="persons-index">
<term>Mylius, August</term>
</index><persName ref="textgrid:3r67p">Mylius</persName> Verlag, im vorigen
Jahr, auf einen halben Bogen, bekannt gemacht habe, mich über die Absichten
meines Glaubensbekenntnisses herausgelassen, und dieselben gegen zudringliche
Beschuldigungen nothdürftig vertheidigt. Diese Erklärung mußte für den damaligen
Zwek kurz seyn, und ich habe nicht geglaubt, jemals einer längern und
weitläuftigern zu bedürfen: zumal da es mein herzlicher Wunsch war, <pb xml:id="bs_e_page_4" n="4" edRef="#e"/> daß jenes mir durch einen
Reichsbefehl <hi>abgedrungene</hi> Bekenntniß, als eine <hi>Sammlung
theologischer</hi>
<index indexName="subjects-index">
<term>Vorstellungsarten</term>
</index>
<hi>Vorstellungsarten</hi> eines unbedeutenden <index indexName="subjects-index">
<term>Privatmann</term>
</index><hi>Privatmanns</hi>, eben so schnell vergessen werden möchte, als es
war gelesen worden. Denn es war nichts weniger als meine Absicht, mit jenem
Bekenntniß einiges Aufsehen bey der Nation zu erregen. Und es hat dieser
<hi>abgenöthigte</hi> Schritt auch gewiß nicht durch mich selbst, weder
durch meine Person, noch durch die Art, wie ich ihn gethan, sondern vielmehr
durch den <ptr type="editorial-commentary" target="#erl_e_0_2"/>öffentlichen
<hi>Befehl der höchsten Reichsgerichte</hi> seine Publicität erhalten, und
die Aufmerksamkeit meiner Zeitgenossen rege gemacht.</p>
<p>Gleichwohl scheint das deutsche <index indexName="subjects-index">
<term>Publikum</term>
</index>Publikum, zu meiner wahren Bekümmerniß, noch immer jene unwichtige
Schrift, nicht nur als einen Gegenstand zu betrachten, an welchen man <pb xml:id="bs_e_page_5" n="5" edRef="#e"/> seine Gabe zu ahnden und zu
weissagen üben muß, sondern sie auch als eine unvermeidliche Veranlassung zu
wichtigen Schritten von Seiten meiner, und zu merkwürdigen Folgen von Seiten der
Nation zu betrachten – weil einige, denen es nicht genügen will, mich durch die
Geständniße meiner <index indexName="subjects-index">
<term>Privatmeinungen</term>
</index>Privatmeinungen unglücklich zu sehen, durchaus fortfahren, mir die
Absicht schuld zu geben, <ptr type="editorial-commentary" target="#erl_e_0_3"/>als ob ich mich aus <index indexName="subjects-index">
<term>Leichtsinn</term>
</index>Leichtsinn und <index indexName="subjects-index">
<term>Übereilung</term>
</index>Uebereilung von der lutherischen <hi>Kirche losgesagt</hi>, und die
<hi>Stiftung einer neuen</hi>
<index indexName="subjects-index">
<term>Sekte</term>
</index><hi>Secte</hi> erzielet hätte.</p>
<p>Dieser kränkende Vorwurf, den ich so oft und öffentlich hören muß, nöthigt mich,
noch einmal, und – meinem festen Vorsatze nach – zum leztenmale die Feder zu
ergreifen; und mich über mein genanntes Glaubensbekenntniß bestimmt und <choice>
<sic>freymühig</sic>
<corr type="editorial">freymüthig</corr>
</choice> zu erklären.</p>
<note type="editorial-commentary" place="end" xml:id="erl_e_0_1"><label>in einer
kurzen Erklärung</label>
<p>Gemeint ist <ref target="#bs_c">c</ref>.</p></note>
<note type="editorial-commentary" place="end" xml:id="erl_e_0_2"><label>öffentlichen
Befehl der höchsten Reichsgerichte</label>
<p>Vgl. <ref target="#bs_a_page_6">a6f.</ref></p></note>
<note type="editorial-commentary" place="end" xml:id="erl_e_0_3"><label>als ob ich
mich aus Leichtsinn und Uebereilung von der lutherischen Kirche losgesagt,
und die Stiftung einer neuen Secte erzielet hätte</label>
<p>Vgl. <ref target="#bs_b_page_10">b10</ref> („Uebereilung, Leichtsinnigkeit“),
zum Vorwurf, eine (unversalreligiöse) Sekte einführen zu wollen, vgl. z.B.
<ref target="#bs_b_page_V">b[V].</ref><ref target="#bs_b_page_19">19f.</ref><ref target="#bs_b_page_29">29.</ref><ref target="#bs_b_page_38">38.</ref><ref target="#bs_b_page_57">57.</ref><ref target="#bs_b_page_63">63–66</ref>; siehe auch <ref target="#bs_c_page_5">c5</ref>.</p></note>
<floatingText>
<body>
<div type="section">
<head><pb xml:id="bs_e_page_6" n="6" edRef="#e"/> 1.</head>
<p>Ich bezeuge also zuvörderst, daß jene Schrift <ptr type="editorial-commentary" target="#erl_e_1_1"/>nicht <hi>Folge
des <index indexName="subjects-index">
<term>Leichtsinn</term>
</index>Leichtsinns und der <index indexName="subjects-index">
<term>Übereilung</term>
</index>Uebereilung</hi> war. – <ptr type="editorial-commentary" target="#erl_e_1_2"/>Ein höchstes Reichsgericht hatte
geurtheilt, ich müsse wegen meiner Uebersetzung des neuen
Testaments, aller meiner Aemter entsezt werden; und dabey
<hi>ausdrücklich</hi> anbefohlen, daß ich in einer, an den
<index indexName="subjects-index">
<term>Reichsbücherkommissarius</term>
</index>Reichsbücherkommissarius einzuschickenden,
<hi>Druckschrift</hi>, mich über die meiner Uebersetzung
schuldgegebenen Irrthümer erklären, oder aus dem deutschen Reiche
weichen solle. Nun war es zwar weder überhaupt, noch durch <ptr type="editorial-commentary" target="#erl_e_1_3"/>die eingeholten
<index indexName="subjects-index">
<term>Responsa</term>
</index><foreign xml:lang="lat">Responsa</foreign> erwiesen, daß
ich, in gedachter Uebersetzung, Hauptlehren der Kirche angegriffen,
oder Grundirrthümer ausgestreuet hätte: vielmehr zeugen jene <index indexName="subjects-index">
<term>Responsa</term>
</index><foreign xml:lang="lat">Responsa</foreign> zur Genüge, daß
eine eigentliche Verwerfung wesentlicher Lehren des Christenthums,
aus meiner Uebersetzung schlechterdings nicht zu erzwingen sey:
indessen mußte ich mich, da diese Richter mir keine Vertheidigung
gestatten, noch meinen damaligen Landesherrn, den durchlauchtigsten
<index indexName="persons-index">
<term>Leiningen-Dagsburg-Falkenburg, Carl Friedrich Wilhelm Graf
von</term>
</index><persName ref="textgrid:3r66w">Fürsten von
Leiningen</persName>, die ihm allein gebührende <pb xml:id="bs_e_page_7" n="7" edRef="#e"/> Untersuchung der Sache
überlassen wolten, jenem Urtheil unterwerfen, mir meine Absetzung
<ref target="#bs_e_1_note1" type="note">*)</ref> gefallen
lassen, und die Verlegenheit, in die mich jene mir überdem noch
abgesonderte Erklärung versezte, eine überströmende Quelle meines
Unglücks werden sehen. Denn bisher hatte ich, nach dem allgemeinen
<index indexName="subjects-index">
<term>Menschenrechte</term>
<term type="alternative">Rechte der Menschheit</term>
</index>Recht der Menschheit, von den <index indexName="subjects-index">
<term>Lehrsätze</term>
</index>Lehrsätzen der <index indexName="subjects-index">
<term>Kirche</term>
</index>Kirche denken können, was ich gewolt. Aber jezt – mußte ich
<hi>entweder</hi>, wider meine Ueberzeugung, Sätze, die ich im
Herzen verwarf, öffentlich bekennen, <hi>oder</hi> mich (nach einer
gewissen doppelten <index indexName="subjects-index">
<term>Lehrart, doppelte</term>
</index>Lehrart) hinter zweydeutige Ausdrücke verstecken,
<hi>oder</hi>, der Wahrheit ein Opfer bringen. Mancher Andrer
würde freylich in meiner Stelle den <index indexName="subjects-index">
<term>Mittelweg</term>
</index>Mittelweg gewählt haben. Und es fanden sich auch einige
unter meinen Bekannten, welche mir riethen, nicht gerade
herauszugehn, <pb xml:id="bs_e_page_8" n="8" edRef="#e"/> sondern
mich, in gemilderten Ausdrücken, so zu erklären, daß man mir nicht
beykommen könnte. Allein dieser Weg schien mir, – vielleicht habe
ich mich geirrt, vielleicht auch nicht – genung <ptr type="editorial-commentary" target="#erl_e_1_5"/>mir schien
dieser <index indexName="subjects-index">
<term>Mittelweg</term>
</index>Mittelweg eine niederträchtige <index indexName="subjects-index">
<term>Heuchelei</term>
</index><hi>Heucheley</hi> zu seyn. Denn so lange mich keine <index indexName="subjects-index">
<term>Obrigkeit</term>
</index>Obrigkeit um meinen Glauben, in Absicht auf das Detail
einzelner und besonderer Begriffe und <index indexName="subjects-index">
<term>Vorstellungsarten</term>
</index>Vorstellungsarten, befragt hat, so lange habe ich freylich
meine <index indexName="subjects-index">
<term>Privatmeinungen</term>
</index>Privatmeinungen für mich behalten und verhelen können, ohne
mein <index indexName="subjects-index">
<term>Gewissens, Verletzung des</term>
</index>Gewissen zu verletzen – weil mir die <index indexName="subjects-index">
<term>Religion</term>
</index>Religion ein so weites Feld des Unterrichts zum <index indexName="subjects-index">
<term>Trost</term>
</index>Trost und zur <index indexName="subjects-index">
<term>Belehrung</term>
</index>Belehrung meiner Gemeinen eröfnete, <ptr type="editorial-commentary" target="#erl_e_1_6"/>daß ich im
<index indexName="subjects-index">
<term>Volksunterricht</term>
</index>Volksunterricht nie nöthig hatte, jene streitigen Punkte zu
berühren, wo ich von den Vorstellungsarten des grossen Haufens
abwich. – Aber, da ich jezt von dem höchsten Richterstuhle des
Reichs aufgefordert ward, Lehrsätze, die ich nicht <hi>so</hi>
glaubte, wie sie der große Haufe glaubt, nicht nur öffentlich zu
bekennen, sondern auch in einer <hi>Druckschrift</hi> zu erklären,
daß ich sie <hi>nie</hi> zu leugnen <hi>willens gewesen</hi>, – da,
sage <pb xml:id="bs_e_page_9" n="9" edRef="#e"/> ich, meine Richter
nach meiner <hi>innern, geheimen</hi> Ueberzeugung ausdrücklich
fragten – da konnte ich, bey dem Vorschlage, mich hinter
Zweydeutigkeiten zu verstecken, <hi>mein Gewissen</hi> ohnmöglich
beruhigen. <hi>Ich</hi> hielt es für <index indexName="subjects-index">
<term>Pflicht</term>
</index><hi>Pflicht</hi>, meine Privatmeinungen freymüthig
herauszusagen. Vielleicht daß <hi>Andre</hi> anders urtheilen.
Genung ich urtheilte so, und mein Urtheil ist noch jezt das
nemliche. Ich war schuldig, die Wahrheit, so nackend und rein, wie
sie in meiner Seele lag, darzustellen. Und ich habe sie gesagt, das
heißt, ich habe <hi>meine</hi> Ueberzeugungen, wie sie damals in
meinem Gemüthe sich vorfanden, offenherzig gestanden. Ich habe mich
dabey sorgfältig geprüft. Ich habe alle Winkel meines Herzens
durchsucht, um wahre, feste Ueberzeugung, von heimlicher
Prädilection zu Lieblingsmeinungen, wohl zu unterscheiden. Ich habe
das Resultat einer funfzehnjährigen ehrlichen <index indexName="subjects-index">
<term>Wahrheitforschung</term>
</index>Wahrheitforschung in meiner Seele aufzufassen und meiner
Feder mitzutheilen gesucht. Kurz, was ich geschrieben habe, habe ich
in keinem Betracht aus <index indexName="subjects-index">
<term>Leichtsinn</term>
</index>Leichtsinn <pb xml:id="bs_e_page_10" n="10" edRef="#e"/>
oder <index indexName="subjects-index">
<term>Übereilung</term>
</index>Uebereilung geschrieben. Und ich schmeichle mir, daß wenn
ich einst Gelegenheit haben solte, mich über mein Glaubensbekenntniß
näher zu erklären, die Worte desselben genauer zu bestimmen, und von
diesen so bestimten Worten meine Gründe der Welt vor Augen zu legen,
jedermann werde gestehen müssen, daß sehr, sehr viel Ueberlegung vor
Abfassung dieser Schrift angestellt worden sey. Habe ich es, in
Ansehung der <hi>Art des</hi>
<index indexName="subjects-index">
<term>Vortrags, Art des</term>
</index><hi>Vortrags</hi>, in welchen ich dieß abgenöthigte
Geständniß meiner Ueberzeugungen eingekleidet habe, einem oder dem
andern nicht nach seinem Sinne gemacht, so ist das meine Schuld
nicht. Denn dieß ist das unvermeidliche Schicksal <hi>aller</hi>
menschlichen Handlungen, daß <hi>keine</hi> den Beyfall
<hi>aller</hi> hat: weil jeder einen andern Maasstab hat, nach
dem er sie mißt – jeder eine andre Wage, auf der er sie wiegt –
jeder einen andern Gesichtspunkt, aus welchem er sie begaft oder –
beurtheilt. Genung, daß die Bekanntmachung selbst mir nicht zu
schulden kommen kann. Denn sie war Folge des <index indexName="subjects-index">
<term>Gehorsam</term>
</index><hi>Gehorsams</hi>. – Aus freyem An<pb xml:id="bs_e_page_11" n="11" edRef="#e"/>triebe hätte ich vielleicht – gewiß weiß ich
es nicht, so wenig ein Mensch in der Welt es weiß, was er in der
Zukunft thun wird – vielleicht nie so laut und deutlich gesprochen,
wenigstens bey meinem Leben nicht. <ptr type="editorial-commentary" target="#erl_e_1_7"/>Aber <hi>auf Befehl</hi> des
Reichsrichterstuhls <hi>mußte</hi> ich; was auch Gott für Folgen
über diesen Schritt des willigen Gehorsams zu verhängen beschlossen
haben mochte. Und was aus einem solchen Gehorsam entsteht, wären es
auch die allerwichtigsten Ereignisse, kann nur der
<hi>Befehlende</hi>, nie der <hi>Gehorchende</hi>, zu
verantworten haben.</p>
<note xml:id="bs_e_1_note1" place="bottom">*) <ptr type="editorial-commentary" target="#erl_e_1_4"/>Welche
natürlicherweise mein mit Credit angefangenes Erziehungsinstitut zu
<index indexName="subjects-index">
<term>Heidesheim (Philanthropinum)</term>
</index>Heidesheim niederstürzte, und mich nöthigte, <index indexName="subjects-index">
<term>Schulden (Bahrdts)</term>
</index>Schulden, die nach und nach getilgt werden solten, unbezahlt
zu lassen, und mich meinen Gläubigern mit Hab und Gut Preiß zu
geben.</note>
<note type="editorial-commentary" place="end" xml:id="erl_e_1_1"><label>nicht Folge des Leichtsinns und der Uebereilung</label>
<p>Anspielung auf <ref target="#bs_b_page_10">b10</ref>.</p></note>
<note type="editorial-commentary" place="end" xml:id="erl_e_1_2"><label>Ein höchstes Reichsgericht hatte geurtheilt [...] aus
dem deutschen Reiche weichen solle</label>
<p>Vgl. <ref target="#bs_a_page_6">a6f.</ref></p></note>
<note type="editorial-commentary" place="end" xml:id="erl_e_1_3"><label>die eingeholten Responsa</label>
<p>Gemeint sind die Gutachten der theologischen Fakultäten in
Göttingen und Würzburg; vgl. <ptr type="page-ref" target="#erl_a_1_7"/>.</p></note>
<note type="editorial-commentary" place="end" xml:id="erl_e_1_4"><label>Welche natürlicherweise mein mit Credit angefangenes
Erziehungsinstitut zu Heidesheim niederstürzte, [...] mich
meinen Gläubigern mit Hab und Gut Preiß zu geben</label>
<p>Vgl. Bahrdts beschönigende Darstellung der Ereignisse mit <ptr type="page-ref" target="#erl_a_1_14"/> (Heidesheim), <ptr type="page-ref" target="#erl_a_1_15"/> (ander Land) und <ptr type="page-ref" target="#erl_b_10_34"/>.</p></note>
<note type="editorial-commentary" place="end" xml:id="erl_e_1_5"><label>mir schien dieser Mittelweg eine niederträchtige
Heucheley zu seyn</label>
<p>Vgl. <ref target="#bs_a_page_9">a9</ref>.</p></note>
<note type="editorial-commentary" place="end" xml:id="erl_e_1_6"><label>daß ich im Volksunterricht nie nöthig hatte, jene
streitigen Punkte zu berühren, wo ich von den Vorstellungsarten
des grossen Haufens abwich</label>
<p>Vgl. <ref target="#bs_a_page_11">a11</ref>.</p></note>
<note type="editorial-commentary" place="end" xml:id="erl_e_1_7"><label>Aber auf Befehl des Reichsrichterstuhls mußte
ich</label>
<p>Vgl. <ref target="#bs_a_page_7">a7</ref>.</p></note>
</div>
<div type="section">
<head>2.</head>
<p>Ich bezeuge zweytens, daß ich mich durch mein Glaubensbekenntniß,
welches – ich sage es noch einmal, <hi>nichts</hi>, als
abgenöthigtes Geständniß meiner <index indexName="subjects-index">
<term>Privatmeinungen</term>
</index><hi>Privatmeinungen</hi> war – keinesweges von der
<hi>lutherischen Kirche</hi> habe <hi>lossagen</hi> wollen.
Denn</p>
<list>
<item rend="margin-horizontal">a) erstlich, hört niemand auf ein
Glied der <index indexName="subjects-index">
<term>Kirche, Glied der</term>
</index>Kirche zu seyn, der, im <pb xml:id="bs_e_page_12" n="12" edRef="#e"/> Stillen, den oder jenen <index indexName="subjects-index">
<term>Lehrsätze</term>
</index>Lehrsatz der Kirche sich anders vorstellt, als der große
Haufe. Sonst müßten gar viele Lutheraner, Reformirte und
Katholiken aufhören, das zu seyn, was sie sind. Denn der
<hi>innere</hi>
<index indexName="subjects-index">
<term>Glaube</term>
</index>Glaube wird, durch die <hi>äußere</hi> Gesellschaft, zu
der man sich hält, nicht bestimmt. Jeder <index indexName="subjects-index">
<term>selbstdenkend</term>
</index>selbstdenkende Christ hat seine Religion für sich, das
heißt, er folgt <hi>innerlich</hi> seiner Ueberzeugung, und
<hi>äußerlich</hi> hält er sich, – weil er zu <hi>einer</hi>
sich halten <hi>muß</hi> – zu einer Kirche, welche ihm
vergleichungsweise die Beste dünkt, oder – gewöhnlichermassen zu
der, in welcher er geboren ist. Und da die <hi>innere</hi>
<index indexName="subjects-index">
<term>Religion, innere</term>
</index>Religion zu den <index indexName="subjects-index">
<term>Menschenrechte</term>
<term type="alternative">Rechte der Menschheit</term>
</index>Rechten der Menschheit gehört, so ist leicht
begreiflich, daß darüber weder Fürst noch Consistorium zu
gebieten hat. Die <index indexName="subjects-index">
<term>Obrigkeit</term>
</index>Obrigkeit wacht nur über das Aeußerliche, so fern die
Kirche eine Gesellschaft ist. Und ob einer zu einer Kirche
gehöre, und, zu welcher er gehöre, das kann nicht nach den
Meinungen und innerlichen Vorstellungen der Seele, sondern nach
den äußerlichen Handlungen beurtheilt werden. Wer sich also
äußerlich zur <index indexName="subjects-index">
<term>lutherisch</term>
</index>lutherischen Kir<pb xml:id="bs_e_page_13" n="13" edRef="#e"/>che hält, ihre <index indexName="subjects-index">
<term>Gottesdienst</term>
</index>Gottesdienste besucht, ihre <index indexName="subjects-index">
<term>Sakramente</term>
</index>Sakramente gebraucht <choice>
<abbr>etc.</abbr>
<expan>et cetera</expan>
</choice> der ist ein Lutheraner, er mag innerlich glauben, was
er will. – Und das habe ich bisher gethan. – Ueber die äußere
<index indexName="subjects-index">
<term>Religion, äußere</term>
</index>Religion mögen Menschen richten, über die <index indexName="subjects-index">
<term>Religion, innere</term>
</index>innere kann nur Gott Richter seyn. – Und man sage hier
nicht etwa, daß durch mein Bekenntniß <hi>meine</hi>
<index indexName="subjects-index">
<term>Religion</term>
</index>Religion aufhöre, eine <hi>bloß innerliche</hi> zu seyn,
und daß sie folglich dadurch, daß ich meine Meinungen
<hi>laut</hi> gesagt habe, ein Object der weltlichen <index indexName="subjects-index">
<term>Obrigkeit</term>
</index>Obrigkeit werde. Denn dieser Einwurf fällt
augenblicklich in sein Nichts, wenn man erstlich überlegt: daß
<index indexName="subjects-index">
<term>Privatmeinungen</term>
</index><hi>Privatmeinungen</hi>, die auf <hi>höchsten Befehl
laut</hi> gesagt werden, dadurch <hi>nicht aufhören</hi>,
Privatmeinungen zu seyn; – zweytens: daß auch derjenige, der
einzelne <index indexName="subjects-index">
<term>Vorstellungsarten</term>
</index>Vorstellungsarten seiner Kirche bezweifelt, auch wenn er
seine Zweifel laut sagt, deswegen noch nicht aufhört, Glied
seiner Kirche zu seyn. Denn es kommt ja darauf an, <hi>wie</hi>
er es sagt. Wenn ich <choice>
<abbr>z. B.</abbr>
<expan>zum Beispiel</expan>
</choice> über das Gesetzbuch meines Königs meine Meinung sagte,
und ein oder anderes Gesetz, in einem gewissen vorausgesez<pb xml:id="bs_e_page_14" n="14" edRef="#e"/>tem Sinne, in
Absicht auf seine Güte oder Nuzen bezweifelte, würde ich dadurch
ein Rebell werden? Und wenn ich so gar in einer Druckschrift,
über einzelne Gesetze, Bedenklichkeiten äußerte, und dem
Landesherrn einige gründliche Verbesserungen ehrerbietig
vorlegte: würde ich dadurch aufhören, ein Unterthan meines
Regenten zu seyn? Würde man mir um deswillen schuld geben, daß
ich mich vom Staate losgesagt hätte? <ptr type="editorial-commentary" target="#erl_e_2_1"/>Oder würde
mein Wahrheitliebender König nicht vielmehr diese Vorschläge
prüfen lassen, und mich, wenn sie gründlich und dem Lande
heilsam wären, dafür belohnen? Also – kann ich ja hundert <index indexName="subjects-index">
<term>Religionszweifel</term>
</index>Religionszweifel haben, auch diese Zweifel, und meine
vermeintlich bessern Vorstellungsarten laut anzeigen, – so lange
ich Gottes Wort und die <index indexName="subjects-index">
<term>Sakramente</term>
</index>Sakramente meiner Kirche beybehalte, und mich nicht
<hi>selbst</hi>, <index indexName="subjects-index">
<term>öffentlich lossagen</term>
</index><hi>öffentlich</hi>, – mit <hi>deklarirter Resistenz
gegen alle Belehrung</hi>, – von ihr <hi>lossage</hi>, so
lange bleibe ich Mitglied meiner Kirche. Und so berufe ich mich
nun</item>
<item rend="margin-horizontal"><pb xml:id="bs_e_page_15" n="15" edRef="#e"/> b) auch auf den <index indexName="subjects-index">
<term>Augenschein</term>
</index><hi>Augenschein</hi> – in meinem Glaubensbekenntniß
selbst, welcher jeden, der nur sieht, was er sieht, nicht, was
er sehn <hi>will</hi>, zu dem Geständniß nöthigen wird, daß
nicht eine Spur von jener <index indexName="subjects-index">
<term>Lossagung</term>
</index>Lossagung darinnen zu finden sey – und – wem damit noch
nicht genüget, den erinnere ich</item>
<item rend="margin-horizontal">c) an jene unzählbare Menge von
<hi>Beyspielen</hi> und <hi>Vorgängern</hi>, welche lange
vor mir, ihre <index indexName="subjects-index">
<term>Privatmeinungen</term>
</index>Privatmeinungen über einzelne <index indexName="subjects-index">
<term>Vorstellungsarten</term>
</index>Vorstellungsarten des <index indexName="subjects-index">
<term>Kirchensystem</term>
</index>Kirchensystems, <hi>laut</hi> genung gesagt haben, ohne
deswegen für <index indexName="subjects-index">
<term>Abtrünnige</term>
</index>Abtrünnige erklärt worden zu seyn. Ich bin zwar nicht im
Stande, jezt ein vollständiges Register derselben aufzustellen,
dazu eine sehr große Bibliothek erfordert würde: und es würde
auch dieß für Kenner überflüßig, und für Unwissende nicht
hinreichend seyn, weil diese doch die historischen Quellen nicht
benutzen können, aus denen man die Untersuchung über die
Aechtheit eines solchen Registers ableiten müßte. Allein ich
will doch einige der wichtigsten anfüh<pb xml:id="bs_e_page_16" n="16" edRef="#e"/>ren, deren Untersuchung fast allen meinen
Lesern leicht werden wird, und die mir um so mehr zu meiner
Absicht hinlänglich scheinen, je gewisser es ist, daß in diesem
Falle etliche Beyspiele so viel beweisen als tausend, nämlich:
<hi>daß deklarirte Abweichungen von den herrschenden</hi>
<index indexName="subjects-index">
<term>Lehrsätze</term>
</index><hi>Lehrsätzen der Kirche keine</hi>
<index indexName="subjects-index">
<term>Lossagung</term>
</index><hi>Lossagung von der Kirche selbst in sich
schliessen</hi>. – Hat nicht der <ptr type="editorial-commentary" target="#erl_e_2_2"/>Herr Abt
<index indexName="persons-index">
<term>Jerusalem, Johann Friedrich Wilhelm</term>
</index><persName ref="textgrid:2726p"><hi>Jerusalem</hi></persName> in seinen Betrachtungen über
die Religion den gewöhnlichen Begrif der <index indexName="subjects-index">
<term>Erbsünde</term>
</index>Erbsünde, vermöge welchen sie eine concupiscentia
habitualis, oder wohl gar eine natürliche Abneigung gegen Gott
seyn soll, so wie die gemeine Lehre von ihrer moralischen <index indexName="subjects-index">
<term>Zurechnung, moralische</term>
</index>Zurechnung verlassen? Hat nicht <ptr type="editorial-commentary" target="#erl_e_2_3"/>Herr
Consistorialrath <index indexName="persons-index">
<term>Steinbart, Gotthilf Samuel</term>
</index><persName ref="textgrid:32dvz"><hi>Steinbart</hi></persName> in seinem Lehrbuche der
Religion, betitelt, Glückseeligkeitslehre <choice>
<abbr>etc.</abbr>
<expan>et cetera</expan>
</choice> den systematischen Begrif von der <index indexName="subjects-index">
<term>Genugtuung</term>
</index>Genugthuung <index indexName="persons-index">
<term>Jesus Christus</term>
<term type="alternative">Christus</term>
</index><persName ref="textgrid:255cd">Christi</persName> so
wohl, als die <index indexName="classics-index">
<term>Athanasius von Alexandrien</term>
</index><persName ref="textgrid:2sjxr">Athanasianische</persName> Dreyeinigkeitslehre, nebst
andern sonst gewöhnlichen theologischen Vorstellungsarten, eben
so wie ich, als unbiblisch verworfen? Hat sich nicht der <ptr type="editorial-commentary" target="#erl_e_2_4"/>Herr
Oberconstitorialrath <index indexName="persons-index">
<term>Büsching, Anton Friedrich</term>
</index><persName ref="textgrid:24wfm"><hi>Bü</hi><pb xml:id="bs_e_page_17" n="17" edRef="#e"/><hi>sching</hi></persName> über die Endlichkeit der <index indexName="subjects-index">
<term>Höllenstrafen</term>
</index>Höllenstrafen (<ptr type="editorial-commentary" target="#erl_e_2_5"/>die auch <index indexName="classics-index">
<term>Origenes</term>
</index><persName ref="textgrid:2r5jq"><hi>Origenes</hi></persName> glaubte) und andere solche
Punkte, an mehr als einem Orte, eben so wie ich erklärt? Hat
nicht der <ptr type="editorial-commentary" target="#erl_e_2_6"/>Herr Senior <index indexName="persons-index">
<term>Urlsperger, Johann August</term>
</index><persName ref="textgrid:3r68d"><hi>Urlsperger</hi></persName> in Augspurg, vor kurzem, in
seinen Schriften über das <index indexName="subjects-index">
<term>Geheimnis</term>
</index>Geheimniß des Vaters und Sohnes, die Lehre der Kirche
von der <index indexName="subjects-index">
<term>Dreieinigkeit</term>
</index>Dreyeinigkeit als falsch und unbiblisch vorgestellt, und
eine andre vorgeschlagen, die bis jetzt noch kein Mensch völlig
verstanden hat, und <ptr type="editorial-commentary" target="#erl_e_2_7"/>von welcher ehemals in Göttingen
Recensent urtheilte, daß sie sich dem <index indexName="subjects-index">
<term>Sabellianismus</term>
</index>Sabellianismus nähere? Hat nicht Herr
Oberconsistorialrath und <ptr type="editorial-commentary" target="#erl_e_2_8"/>Probst <index indexName="persons-index">
<term>Teller, Wilhelm Abraham</term>
</index><persName ref="textgrid:2541s"><hi>Teller</hi></persName> in Berlin, in seinem Wörterbuche
denselben Begrif des <index indexName="subjects-index">
<term>Glaube</term>
</index>Glaubens schon vor mir, und andere damit verwandte
Begriffe, als schriftmäßig zu beweisen übernommen – den auch die
symbolischen Bücher durch den Ausdruck: <ptr type="editorial-commentary" target="#erl_e_2_9"/><foreign xml:lang="lat">fides est obedientia erga
Evangelium</foreign>, zu bestätigen scheinen? Hat nicht <ptr type="editorial-commentary" target="#erl_e_2_10"/>Herr
Doctor <index indexName="persons-index">
<term>Semler, Johann Salomo</term>
</index><persName ref="textgrid:250ds"><hi>Semler</hi></persName> in seiner neusten Schrift gegen
die Wolfenbüttlischen Fragmente, über Geist, Wunder, <pb xml:id="bs_e_page_18" n="18" edRef="#e"/> Auferstehung
<index indexName="persons-index">
<term>Jesus Christus</term>
<term type="alternative">Christus</term>
</index><persName ref="textgrid:255cd">Jesu</persName>,
Dreyeinigkeit <choice>
<abbr>etc.</abbr>
<expan>et cetera</expan>
</choice> im Grunde eben solche Gesinnungen geäußert, wie aus
meinem Glaubensbekenntniß hervorleuchten? <ptr type="editorial-commentary" target="#erl_e_2_10a"/>Hat er
nicht die Lehre von der <index indexName="subjects-index">
<term>Inspiration</term>
</index>Inspiration der Bibel eine neue Theorie genannt, die man
erst in spätern Zeiten erfunden hat? <ptr type="editorial-commentary" target="#erl_e_2_11"/>Sagt er
nicht in dem angeführten Buche Seite 94. ausdrücklich: „Es ist
ganz entschieden, ganz ausgemacht, daß eben diese wörtliche
Beschreibung – eine Lehre von dreyen verschiednen <index indexName="subjects-index">
<term>Personen, drei</term>
</index>Personen, in dem einem göttlichen Wesen – <hi>gar
nicht</hi> zu den <hi>Grundlehren</hi> der christlichen
Religion oder des Christenthums gehöre. Ich habe schon (setzt er
hinzu) <ptr type="editorial-commentary" target="#erl_e_2_12"/><index indexName="persons-index">
<term>Gerhard, Johann</term>
</index><persName ref="textgrid:250f3"><hi>Gerhards</hi></persName> Kritik über die Dreyfaltigkeit
und <ptr type="editorial-commentary" target="#erl_e_2_13"/><index indexName="persons-index">
<term>Hunnius, Nikolaus</term>
</index><persName ref="textgrid:3r68f"><hi>Hunnius</hi></persName> Anzeige aus dem <foreign xml:lang="lat">Epitome credendorum</foreign> angeführt, der
es gerade heraussagt, daß diese Beschreibung, <hi>von dreyen
<index indexName="subjects-index">
<term>Personen, drei</term>
</index>Personen gar nicht nöthig ist</hi>, für die
Christen?“ – Und wie viel rechtschafne Lehrer der Kirche liessen
sich anführen, <ptr type="editorial-commentary" target="#erl_e_2_14"/>welche wie ich, über <index indexName="subjects-index">
<term>Gewissenszwang</term>
</index>Gewissenszwang geklagt, die <index indexName="subjects-index">
<term>symbolische Bücher</term>
</index>symbolischen <pb xml:id="bs_e_page_19" n="19" edRef="#e"/>
<choice>
<sic>cher</sic>
<corr type="editorial">Bücher</corr>
</choice> den <index indexName="subjects-index">
<term>Gewissen</term>
</index>Gewissen für lästig gehalten, und eine ausgebreitetere
<index indexName="subjects-index">
<term>Toleranz</term>
</index>Toleranz gewünscht haben? <ptr type="editorial-commentary" target="#erl_e_2_15"/>Ist aber
je ein einziger darüber, wie ich, für einen <index indexName="subjects-index">
<term>Abtrünnige</term>
</index>Abtrünnigen angesehen worden? – <ptr type="editorial-commentary" target="#erl_e_2_16"/>Und
geschieht es nicht noch jetzt in der englischen Kirche, daß
einzelne Lehrer und Bischöfe, gewisse Lehrstücke der <index indexName="subjects-index">
<term>Neununddreißig Artikel</term>
</index>39 Artikel öffentlich bezweifeln, einiges davon für
schädlich, irrig, <choice>
<abbr>u. s. w.</abbr>
<expan>und so weiter</expan>
</choice> erklären, ja so gar die Abschaffung derselben
vorschlagen? ohne daß ihnen irgend jemand dieß als <index indexName="subjects-index">
<term>Lossagung</term>
</index><hi>Lossagung</hi> von der Kirche anrechnet, oder sie
ihres Amts für unfähig erklärt.</item>
</list>
<note type="editorial-commentary" place="end" xml:id="erl_e_2_1"><label>Oder würde mein Wahrheitliebender König nicht vielmehr
diese Vorschläge prüfen lassen, und mich, wenn sie gründlich und
dem Lande heilsam wären, dafür belohnen?</label>
<p>Vgl. <ref target="#bs_a_page_9">a9</ref>.</p></note>
<note type="editorial-commentary" place="end" xml:id="erl_e_2_2"><label>Herr Abt Jerusalem in seinen Betrachtungen über die
Religion</label>
<p> Gemeint ist Johann Friedrich Wilhelm Jerusalem (1709–1789), der
nach dem Theologiestudium in Leipzig und Wittenberg, kürzeren
Anstellungen in Göttingen und Hannover und mehrjährigen
Aufenthalten in Holland und England ab 1742 Braunschweiger
Hofprediger und Prinzenerzieher war sowie ab 1752 Abt von
Riddagshausen. In seinem unvollendeten Hauptwerk
<hi>Betrachtungen über die vornehmsten Wahrheiten der
Religion</hi>, 3 Bde. (<hi rend="superscript">1</hi>1768–1779), äußert sich Jerusalem ausführlich zur „Lehre
von der moralischen Regierung Gottes über die Welt, oder
Geschichte vom Falle“ (4. Abschnitt aus dem zweiten Band des
zweiten Teils, 1779, 627–755). Jerusalem interpretiert die
Sündhaftigkeit des Menschen nicht als Folge der einmaligen Sünde
des Stammvaters Adams, sondern als Folge seiner Beschränkung als
endliches Wesen mit sinnlichen Neigungen (716f.). Die sinnliche
Natur sei „der Grund der menschlichen Schwäche, wenn sie von
Vernunft und Religion nicht geleitet wird“ (718).</p></note>
<note type="editorial-commentary" place="end" xml:id="erl_e_2_3"><label>Herr Consistorialrath Steinbart in seinem Lehrbuche der
Religion, betitelt, Glückseeligkeitslehre</label>
<p>Gemeint ist Steinbarts <hi>System der reinen Philosophie oder
Glückseligkeitslehre des Christenthums</hi> (<hi rend="superscript">1</hi>1778; <hi rend="superscript">4</hi>1794, BdN VIII); s. <ptr type="page-ref" target="#erl_a_1_30"/>. Darin wird die klassische
christliche Genugtuungs- oder Satisfaktionslehre (vgl. <ptr type="page-ref" target="#erl_b_3_10"/>) als unbiblisch und
unethisch zurückgewiesen, vgl. §§ 56–66 (118–148). Steinbart
spricht sogar vom „kranken Hirn“ (133) der Augustinianer und
Anselmianer. Er lehnt ferner, wenn auch um diplomatische
Formulierungen bemüht, die athanasianische Dreieinigkeitslehre
(vgl. <ptr type="page-ref" target="#erl_a_1_20"/> und <ptr type="page-ref" target="#erl_b_0_46"/>) ab; Jesus war ein
bloßer Mensch: „Gott [veranstaltete] unter dem jüdischen Volk
zuerst die Geburt eines ganz vorzüglichen Mannes, welchen er mit
allen Talenten des Geistes ausrüstete, und mit welchem er so
vereint war, daß man an diesem Jesu sehen konnte, wie Gott gegen
die Menschen handeln <hi>würde</hi>, wenn er als Mensch uns
<hi>erschiene</hi>“ (226; Herv. d. Hgg.; vgl. 223); zur
Wirkung Steinbarts vgl. auch <ptr type="page-ref" target="#erl_b_v_14"/>.</p></note>
<note type="editorial-commentary" place="end" xml:id="erl_e_2_4"><label>Herr Oberconsistorialrath Büsching über die Endlichkeit
der Höllenstrafen</label>
<p>Anton Friedrich Büsching (1724–1793), lutherischer Theologe,
Historiker und einflussreicher Geograph, amtierte seit 1766 als
Direktor des Gymnasiums zum Grauen Kloster und
Oberkonsistorialrat in Berlin. Bahrdt spielt auf die
<hi>Allgemeine[n] Anmerkungen über die symbolischen
Schriften der evangelisch-lutherischen Kirche, und besondere
Erläuterungen der augsburgischen Confeßion</hi> (1771) an:
„[D]ie Erlösung Jesu Christi gehet auf wirkliche Errettung aller
und jeder Menschen, und man kann unmöglich gedenken, daß unserm
Gott seine große gnädige Absicht bey derselben, der Hauptsache
nach mißlingen sollte: sie muß also an denenjenigen, bey welchen
sie auf Erden nicht erreicht werden kann, künftig erfüllet
werden“ (93 [§ 37]), was „eine unaufhörliche Dauer der Strafen“
(91) ausschließe.</p></note>
<note type="editorial-commentary" place="end" xml:id="erl_e_2_5"><label>die auch Origenes glaubte</label>
<p>Der antike Theologe Origenes (vgl. <ptr type="page-ref" target="#erl_b_7_4"/>) lehnte die Lehre von der Ewigkeit der
Höllenstrafen ab und nahm die Allversöhnung aller Geschöpfe
(<foreign xml:lang="grc">ἀποκατάστασις πάντων</foreign>) an,
vgl. z.B. sein <foreign xml:lang="grc">Περὶ ἀρχῶν</foreign> (De
Principiis) I.6.3.</p></note>
<note type="editorial-commentary" place="end" xml:id="erl_e_2_6"><label>Herr Senior Urlsperger [...] in seinen Schriften über
das Geheimniß des Vaters und Sohnes [...] die bis jetzt noch
kein Mensch völlig verstanden hat</label>
<p>Johann August Urlsperger (1728–1806), lutherischer Theologe,
wurde 1772 Senior (Hauptpastor) in Augsburg, legte aber bereits
im Jahre 1776 all seine kirchlichen Ämter aus Krankheitsgründen
nieder. Er wirkte weiter als Privatgelehrter und Begründer der
gegen Deismus und Rationalismus gerichteten <hi>Deutsche[n]
Gesellschaft zur Beförderung reiner Lehre und wahrer
Gottseligkeit</hi> (Deutsche Christentumsgesellschaft).
Urlspergers <hi>Versuch in freundschaftlichen Briefen einer
genauern Bestimmung des Geheimnißes Gottes und des Vaters
und Christi [...]</hi> war in vier Stücken zwischen 1769 und
1774 erschienen. Die Zeitgenossen waren sich einig, dass das
Werk nicht als ein Muster an Verständlichkeit gelten könne; der
Rezensent der <hi>Allgemeinen deutschen Bibliothek</hi> 16
(1772), 211, urteilte etwa, der Verfasser mache das Geheimnis
der Dreieinigkeit nur „noch verworrener und
anstößiger“.</p></note>
<note type="editorial-commentary" place="end" xml:id="erl_e_2_7"><label>von welcher ehemals in Göttingen Recensent
urtheilte</label>
<p>Bahrdt spielt auf die Rezension des zweiten Stücks des
<hi>Versuch[s] in freundschaftlichen Briefen</hi> (s. <ptr type="page-ref" target="#erl_e_2_6"/>) in den
<hi>Göttingische[n] Anzeigen von gelehrten Sachen</hi>, 25.
St. (28.2.1771), 209–212, an, nimmt sich bei der
Charakterisierung aber einige Freiheit. Laut dem Rezensenten
fordert Urlsperger den Vorwurf des Sabellianismus (vgl. <ptr type="page-ref" target="#erl_a_1_36"/>) zwar heraus, ein
solcher Vorwurf sei jedoch gleichwohl „ungerecht“ angesichts der
„öfteren Versicherungen, daß er die drey Personen, wirklich als
Personen [...] [an]erkenne“ (210) und nicht bloß als die
Personifizierung bestimmter Eigenschaften ein und derselben
Person.</p></note>
<note type="editorial-commentary" place="end" xml:id="erl_e_2_8"><label>Probst Teller [...] in seinem Wörterbuche</label>
<p>In Tellers (vgl. <ptr type="page-ref" target="#erl_d_3_20"/>)
<hi>Wörterbuch des Neuen Testaments</hi> (BdN IX) heißt es
unter dem Lemma „Glauben“: „<hi>Glauben</hi>, schlechtweg,
bedeutet etwas <hi>annehmen, für wahr halten, davon überzeugt
seyn</hi> [...] und also mit den Zusätzen, an <hi>Jesum, an
das Evangelium, an den Namen Jesu</hi>, ihn, seine Lehre,
<hi>annehmen, sie befolgen, in Ausübung bringen</hi>. [...]
Dies ist auch die älteste Erklärungsart. <hi>Clemens</hi> von
Alexandrien sagt ausdrücklich [...]: <hi>Glauben</hi> nennen wir
die Annehmung des auch schon durch die Vernunft erkannten Wahren
und Guten“ (<hi rend="superscript">3</hi>1780, 221). Teller
wendet sich damit gegen Konzeptionen, die im christlichen
„Glauben“ ein <hi>Vertrauen</hi> (fiducia) auf Gott sehen, das
sich weder auf ein bloßes <hi>Glauben-Dass</hi> gründen oder gar
reduzieren, noch (vollständig) durch Belege oder Argumente
absichern lässt. Propositionales Wissen über Gottes Schöpfung
und Jesu Lebens- und Leidensgeschichte sei, so Vertreter dieser
Ansicht, auch Teufeln und Atheisten zugänglich – und trotzdem
glauben sie im entscheidenden Sinne des Wortes nicht. Vgl. den
20. Artikel des <hi>Augsburger Bekenntnisses</hi>, z.B.: „[D]ie
schrifft [redet] vom glauben, und heißt nicht glauben ein
solichs wissen, das teufel und gotlosen menschen haben, dan also
wirtt vom glauben geleret [in Hebr. 11], das glauben sei nicht
allein di historien wissn, sonder zuversicht haben zu Gott,
[...] das er uns gnedig sei, und heiß nicht allein, solich
historien wissen, wie auch di teuffel wissen“ (BSLK 79f.).
Besagte Zuversicht äußere sich – so etwa Peter Ahlwardt unter
Verweis auf Gal 2,20 in seinen <hi>Gründliche[n] Betrachtungen
über die Augspurgische Confession</hi>, 5. Teil (1746),
373–401, – darin, dass der Glaubende das Verdienst Christi
„ergreift“ und es sich zu seiner eigenen Seligkeit selbst
„zueignet“, eine Vorstellung, gegen die Bahrdt in <ref target="#bs_a_page_20">a20</ref> Stellung bezieht; vgl. auch
<ptr type="page-ref" target="#erl_a_1_40"/>.</p></note>
<note type="editorial-commentary" place="end" xml:id="erl_e_2_9"><label>fides est obedientia erga Evangelium</label>
<p>Das lateinische Zitat „Fides autem est oboedientia erga
Evangelium“ (Glaube aber ist der Gehorsam gegenüber dem
Evangelium) findet sich im IV. Artikel (CR 27, 519; vgl. BSLK
220) der von Melanchthon verfassten <hi>Apologia Confessionis
Augustanae</hi> (Oktavausgabe; 1531).</p></note>
<note type="editorial-commentary" place="end" xml:id="erl_e_2_10"><label>Herr Doctor Semler in seiner neusten Schrift gegen die
Wolfenbüttlischen Fragmente</label>
<p>Gemeint ist Semlers <hi>Beantwortung der Fragmente eines
Ungenanten insbesondere vom Zweck Jesu und seiner
Jünger</hi> (1779). Die von Reimarus verfassten und von
Lessing herausgegebenen <hi>Fragmente</hi> waren zwischen 1774
und 1778 in der Zeitschrift <hi>Zur Geschichte und Litteratur.
Aus den Schätzen der Herzoglichen Bibliothek zu
Wolfenbüttel</hi> erschienen.</p></note>
<note type="editorial-commentary" place="end" xml:id="erl_e_2_10a"><label>Hat er nicht die Lehre von der Inspiration der Bibel
eine neue Theorie genannt, die man erst in spätern Zeiten
erfunden hat?</label>
<p>Vgl. Semler, <hi>Beantwortung der Fragmente eines Ungenanten</hi>
(1779), 280: „Ehe die neue <hi>Theorie</hi> von
<hi>Inspiration</hi> unter unsre Theologie aufgenommen
worden war, welches erst hinter der Zeit <hi>Lutheri</hi> und
<hi>Melanchthons</hi>, fast unvermerkt geschehen ist
[...].“</p></note>
<note type="editorial-commentary" place="end" xml:id="erl_e_2_11"><label>Sagt er nicht in dem angeführten Buche Seite 94.
ausdrücklich: „Es ist ganz entschieden [...] für die
Christen?“</label>
<p>Die, von der Kursivierung und unbedeutenden Varianzen abgesehen,
korrekt zitierte Stelle beginnt bereits auf S. 93 von Semlers
<hi>Beantwortung der Fragmente eines Ungenanten</hi> (1779).
Vgl. auch die ganz ähnliche Formulierung in <ref target="#bs_b_page_28">b28</ref>.</p></note>
<note type="editorial-commentary" place="end" xml:id="erl_e_2_12"><label>Gerhards Kritik über die Dreyfaltigkeit</label>
<p>Laut Johann Gerhard (vgl. <ptr type="page-ref" target="#erl_b_10_3"/>) ist vom Heil zwar ausgeschlossen,
wer die Dreifaltigkeit leugnet oder nicht um sie weiß, es ist
jedoch nicht für alle Kirchenmitglieder <hi>derselbe</hi> Grad
an Kenntnis der Trinität erforderlich. Vgl. <hi>Loci
Theologici</hi>, lc. III, c. I, § 2: „Excludimus ab
hominibus salvandis non solum Trinitatis <hi>negationem</hi>,
sed etiam <hi>ignorationem</hi>. [...] Non requirimus ab omnibus
ecclesiae membris <hi>aequalem cognitionis gradum</hi>, cum lux
notitiae spiritualis ac fidei in quibusdam sit illustrior, in
quibusdam vero obscurior“ (zitiert nach der von Johann Friedrich
Cotta herausgegebenen Ausgabe, III [1764]).</p></note>
<note type="editorial-commentary" place="end" xml:id="erl_e_2_13"><label>Hunnius Anzeige aus dem Epitome credendorum</label>
<p>Vgl. <ptr type="page-ref" target="#erl_b_0_47"/>.</p></note>
<note type="editorial-commentary" place="end" xml:id="erl_e_2_14"><label>welche wie ich, über Gewissenszwang geklagt, die
symbolischen Bücher den Gewissen für lästig gehalten</label>
<p>Bahrdt dürfte vor allem an die 1767 von dem Berliner Neologen,
Pfarrer und wichtigen Rezensenten der <hi>Allgemeinen deutschen
Bibliothek</hi> Friedrich Germanus Lüdke (1730–1792)
losgetretene Kontroverse um die symbolischen Bücher denken. Vgl.
Lüdke, <hi>Vom falschen Religionseifer</hi> (1767), 123–125:
„Und wenn doch gleichwol in unsern Zeiten verständige und
rechtschaffene Leute sagen: Wir sind in allen Hauptsachen des
Glaubens mit euch einig, nur in dem und dem Stük denken wir
anders, wir wollen auch gerne bey euch bleiben, laßt uns nur
darin unsre Freiheit zu denken, zu reden und zu schreiben; so
stellen wir [Lutheraner] uns doch den Päbstlern völlig gleich,
und wollen sie in aller Absicht nicht für Brüder und
rechtgläubige Christen erkennen. [...] es ist nicht gut, daß man
noch in unsern Tagen die Lehrer protestantischer Gemeinden auf
Menschenwort, dergleichen doch die Symbola der Kirchen sind,
vereidet. Bloß auf Gottes Wort in der Schrift solte man sie
schwören lassen.“ Gegenwind kam keineswegs nur von orthodoxen
Theologen wie Goeze. Während Teller, A.F.W. Sack und Büsching
(vgl. <ptr type="page-ref" target="#erl_e_2_4"/>) sich auf
Lüdkes Seite schlugen, verteidigten Johann Gottlieb Töllner
(1724–1774; <hi>Unterricht von symbolischen Büchern
überhaupt</hi>, 1769) und Semler (im <hi>Apparatus ad libros
symbolicos Ecclesiae Lutheranae</hi>, 1775) die
prinzipielle, wenn auch in bestimmter Weise einzuschränkende,
Verbindlichkeit der Bekenntnisschriften. </p></note>
<note type="editorial-commentary" place="end" xml:id="erl_e_2_15"><label>Ist aber je ein einziger darüber, wie ich, für einen
Abtrünnigen angesehen worden?</label>
<p>Weder Lüdke noch seine in der letzten Anmerkung erwähnten
Verteidiger sahen sich infolge ihrer Kritik der symbolischen
Bücher persönlichen Repressalien ausgesetzt. Auf preußischem
Gebiet beheimatet standen sie allerdings auch unter dem
besonderen Schutz der toleranten Religionspolitik Friedrichs II.
(vgl. <ptr type="page-ref" target="#erl_e_4_4"/>), welcher für
das übrige Reich keineswegs selbstverständlich war.</p></note>
<note type="editorial-commentary" place="end" xml:id="erl_e_2_16"><label>Und geschieht es nicht noch jetzt in der englischen
Kirche [...] für unfähig erklärt</label>
<p>Vgl. <ref target="#bs_c_page_5">c5f.</ref>, <ptr type="page-ref" target="#erl_c_6"/> und <ptr type="page-ref" target="#erl_c_7"/>.</p></note>
</div>
<div type="section">
<head>3.</head>
<p><ptr type="editorial-commentary" target="#erl_e_3_1"/>Ich bezeuge
endlich auch drittens, daß es mir nie in den Sinn gekommen ist,
<hi>eine eigne</hi>
<index indexName="subjects-index">
<term>Sekte</term>
</index><hi>Secte zu stiften</hi>. – Ich halte ein solches Vorhaben,
bey jetziger Verfassung des deutschen Reichs an sich selbst für eben
so abgeschmackt <pb xml:id="bs_e_page_20" n="20" edRef="#e"/> als
unmöglich. Hiernächst darf ich mich wohl rühmen, so viel
Menschenkenntniß zu besitzen, um einzusehn, daß, gesetzt auch, ich
hielte meine <index indexName="subjects-index">
<term>Privatmeinungen</term>
</index>Privatmeinungen für die alleinige absolute <index indexName="subjects-index">
<term>Wahrheit, absolute</term>
</index>Wahrheit, dennoch für diese vermeinte Wahrheit, mit einer
neuen <index indexName="subjects-index">
<term>Sekte</term>
</index>Secte nichts ausgerichtet seyn würde: weil – so lange
Menschen Menschen seyn, wenigstens so lange unter den Menschen der
<hi>eigne</hi> Gebrauch ihrer <index indexName="subjects-index">
<term>Seelenkräfte</term>
</index>Seelenkräfte fortdauern wird – auch Verschiedenheit des
Glaubens, der Ueberzeugung, und der <index indexName="subjects-index">
<term>Vorstellungsarten</term>
</index>Vorstellungsarten in der Religion, fortdauern werden. Wozu
sollte ich mir also eine neue <index indexName="subjects-index">
<term>Sekte</term>
</index>Secte wünschen? – Nein, wahrhaftig, ich freue mich mit
dankbarem Herzen, jedes Schimmers von <index indexName="subjects-index">
<term>Licht</term>
</index>Licht, dessen mich Gott in meiner Erkenntniß gewürdiget hat,
und lebe meines Glaubens so, daß ich dabey das ganze Glück einer
beruhigten Ueberzeugung schmecke: aber ich bin so fern von aller
<index indexName="subjects-index">
<term>Proselytenmacherei</term>
</index>Proselytenmacherei, daß ich vielmehr wünsche, es möchten
<hi>alle</hi> spekulativen Gegenstände des Glaubens,
<hi>allen</hi> Menschen, zu eigner For<pb xml:id="bs_e_page_21" n="21" edRef="#e"/>schung frey gegeben, und gar niemanden eine
bestimmte Vorstellungsart jener streitigen Lehrsätze mehr
aufgedrungen werden.</p>
<note type="editorial-commentary" place="end" xml:id="erl_e_3_1"><label>Ich bezeuge endlich auch drittens, daß es mir nie in den
Sinn gekommen ist, eine eigne Secte zu stiften</label>
<p>Vgl. <ref target="#bs_e_page_5">e5</ref>.</p></note>
</div>
</body>
</floatingText>
<div>
<p>Und ich fodere auch bey diesem Punkte alle <index indexName="subjects-index">
<term>Unparteiische</term>
</index>Unpartheyische auf, mein Glaubensbekenntniß zu prüfen, und, zu
untersuchen, ob auch nur die allermindeste <hi>Spur</hi> des Vorhabens,
<hi>eine neue <index indexName="subjects-index">
<term>Sekte</term>
</index>Secte zu stiften</hi> darinnen zu finden sey.</p>
<p>Eben so öffentlich und freymüthig kann ich mich endlich auch auf die nähern
Zuschauer meiner <hi>bisherigen Handlungsweise</hi> berufen, und von ihnen
das Zeugniß erwarten, daß ich nie, auch nur die entfernteste Veranlassung
gegeben habe, mir ein so thörigtes Unternehmen zuzutrauen. Ich habe seit
meinem <pb xml:id="bs_e_page_22" n="22" edRef="#e"/> Glaubensbekenntniß
nichts geschrieben, welches das <index indexName="subjects-index">
<term>Publikum</term>
</index>Publikum aufmerksam auf mich hätte machen können. Ich habe auch
keinem geantwortet, der sich berufen fühlte, gegen mein Glaubensbekenntniß
zu schreiben oder meinen Charakter durch boshafte Erdichtungen verdächtig zu
machen. Ich habe nicht einmal nach der Zeit mit jemand über mein
Glaubensbekenntniß korrespondirt, ohngeachtet häufige Anfragen und
Veranlassungen dazu geschehen sind. – <ptr type="editorial-commentary" target="#erl_e_4_1"/>Ich habe nie Erlaubniß gesucht, eigentliche
theologische Collegia zu lesen. <ptr type="editorial-commentary" target="#erl_e_4_2"/>Und ohngeachtet, bald nach meiner Ankunft in <index indexName="subjects-index">
<term>Halle (Bahrdt in)</term>
</index>Halle, der allerhöchste Befehl an die Universität ergieng, daß man
mich nicht hindern solle, den hier studierenden jungen Leuten durch <index indexName="subjects-index">
<term>Vorlesungen (Bahrdts)</term>
</index>Vorlesungen nützlich zu seyn, so habe ich doch von diesem Recht
nicht gleich Gebrauch gemacht, sondern erst auf wiederholtes Anrathen meiner
Freunde, und <pb xml:id="bs_e_page_23" n="23" edRef="#e"/> auf das Bitten
vieler hier Studierenden, mich erst im vorigen Herbst dazu entschlossen,
<ptr type="editorial-commentary" target="#erl_e_4_3"/>ein practisches
Collegium über die <hi>Beredsamkeit</hi> nach den Grundsätzen des <index indexName="classics-index">
<term>Quintilian</term>
</index><persName ref="textgrid:24gwt"><hi>Quintilian</hi></persName> und
eines über die Anfangsgründe der <hi>hebräischen Sprache</hi> zu lesen;
denen ich künftig nichts als kursorische <index indexName="subjects-index">
<term>Vorlesungen (Bahrdts)</term>
</index>Vorlesungen über die Klassiker der <hi>Griechen</hi> und
<hi>Römer</hi> hinzufügen werde. – Mit einem Worte, meine ganze
Handlungsweise sieht gewiß keinen Anstalten zu Stiftung einer neuen <index indexName="subjects-index">
<term>Sekte</term>
</index>Secte ähnlich.</p>
<p>Ich suche nichts, und habe bisher nichts gesucht, als was ich schon habe, –
und wofür ich dem <ptr type="editorial-commentary" target="#erl_e_4_4"/>weisen und duldsamen Monarchen, der alle fleissige und nützliche
Unterthanen mit gleicher Vaterhuld nährt, und jeden im Stillen seines
Glaubens leben läßt, hier öffentlich danke – Schutz <pb xml:id="bs_e_page_24" n="24" edRef="#e"/> und ruhige Existenz. Wer mir
stolzere Wünsche und weitaussehende Absichten zugetrauet, hat mich
verkannt.</p>
<signed><index indexName="persons-index">
<term>Bahrdt, Carl Friedrich</term>
</index><persName ref="textgrid:2541p">Carl Friedrich
Bahrdt</persName>.</signed>
<note type="editorial-commentary" place="end" xml:id="erl_e_4_1"><label>Ich habe
nie Erlaubniß gesucht, eigentliche theologische Collegia zu
lesen</label>
<p>Vgl. aber <ref target="#bs_b_page_5">b5</ref> und <ref target="#bs_d_page_119">d119</ref>, außerdem <ptr type="page-ref" target="#erl_d_1_17"/>.</p></note>
<note type="editorial-commentary" place="end" xml:id="erl_e_4_2"><label>Und
ohngeachtet, bald nach meiner Ankunft in Halle, der allerhöchste Befehl
an die Universität ergieng, daß man mich nicht hindern solle, den hier
studierenden jungen Leuten durch Vorlesungen nützlich zu seyn</label>
<p>Vgl. zur Universität in Halle <ptr type="page-ref" target="#erl_d_1_17"/>
und zu Minister v. Zedlitz <ptr type="page-ref" target="#erl_d_1_18"/>.</p></note>
<note type="editorial-commentary" place="end" xml:id="erl_e_4_3"><label>ein
practisches Collegium über die Beredsamkeit nach den Grundsätzen des
Quintilian und eines über die Anfangsgründe der hebräischen Sprache zu
lesen [...] Vorlesungen über die Klassiker der Griechen und
Römer</label>
<p>Bahrdt las ab dem Wintersemester 1779/80 an der Philosophischen Fakultät
der Universität Halle (s. <ptr type="page-ref" target="#erl_d_1_17"/>).
Bahrdt schreibt über sich selbst im <hi>Kirchen- und Ketzer-Almanach
aufs Jahr 1781</hi> [1780], 13: „Er lebt jezt in Halle und ließt
über den <hi>Quintilian, Tacitus, Plato</hi>.“</p></note>
<note type="editorial-commentary" place="end" xml:id="erl_e_4_4"><label>weisen
und duldsamen Monarchen, der [...] jeden im Stillen seines Glaubens
leben läßt</label>
<p>Unter Friedrich II. (1712–1786) herrschte in Preußen eine weitreichende
Toleranz gegenüber anderen Konfessionen und Religionen. Schon zu Beginn
seines Regierungsantritts vermerkte er im Juni 1740 handschriftlich auf
der Eingabe des geistlichen Departements über den Umgang mit Katholiken
in Preußen: „Die Religionen Müsen alle Tolleriret werden, und Mus der
fiscal nuhr das auge darauf haben das Keine der andern abruch Tuhe, den
hier mus ein jeder nach Seiner Faßon Selich werden.“ Auch schon unter
seinem Vater Friedrich Wilhelm I. (1688–1740) hatte es aus pragmatischen
politischen Erwägungen deutliche Zugeständnisse etwa gegenüber
Katholiken gegeben, gleichwohl blieb die repressive Haltung gegenüber
Juden auch unter Friedrich II. unverändert.</p></note>
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