<front>
<titlePage xml:id="bs_f_tp">
<pb edRef="#f" type="sp" n="I"/>
<docAuthor><choice>
<abbr>D.</abbr>
<expan>Doctor</expan>
</choice>
<index indexName="persons-index">
<term>Semler, Johann Salomo</term>
</index><persName ref="textgrid:250ds">Joh. Salomo
Semlers</persName></docAuthor>
<titlePart type="main"><lb/>
<choice>
<orig><ptr type="editorial-commentary" target="#erl_f_tp_1"/>letztes
<lb/>Glaubensbekenntniß <lb/>über <lb/>natürliche und christliche
Religion.</orig>
<supplied reason="toc-title">f) D. Joh. Salomo Semlers letztes
Glaubensbekenntniß über natürliche und christliche Religion</supplied>
<supplied reason="column-title">Semler, Letztes Glaubensbekenntniß,
1792</supplied>
</choice></titlePart>
<lb/>
<byline>Mit einer Vorrede <lb/>herausgegeben <lb/>von <lb/><index indexName="persons-index">
<term>Schütz, Christian Gottfried</term>
</index><ptr type="editorial-commentary" target="#erl_f_tp_2"/><persName role="editor" ref="textgrid:2530f">Chr. Gottfr. Schütz.</persName></byline>
<lb/>
<docImprint>Königsberg, <lb/>bey <index indexName="persons-index">
<term>Nicolovius, Friedrich</term>
</index><ptr type="editorial-commentary" target="#erl_f_tp_3"/><persName ref="textgrid:3r68g">Friedrich Nicolovius</persName>
<lb/><docDate>1792</docDate>.<ptr type="bibliographic-object" target="textgrid:3rnsb"/></docImprint>
</titlePage>
<note type="editorial-commentary" place="end" xml:id="erl_f_tp_1"><label>letztes
Glaubensbekenntniß über natürliche und christliche Religion</label>
<p>Der (irreführende) Titel des postum erschienenen Werks geht nicht auf Semler
selbst zurück, sondern wurde vom Herausgeber Schütz (vgl. <ptr type="page-ref" target="#erl_f_tp_2"/>) – wohl in Anlehnung an Bahrdts Skandalschrift –
gewählt; vgl. <ref target="#bs_f_page_VII">fVII</ref>. – <hi>Semlers letztes
Glaubensbekenntniß</hi> war nicht das einzige voluminöse Werk, das aus
seinem Nachlass herausgegeben wurde: Nösselt (vgl. <ptr type="page-ref" target="#erl_b_v_4"/>) veröffentlichte im selben Jahr eine 350
Seiten starke Schrift Semlers über den 1. Johannesbrief (<hi>Paraphrasis in
primam Ioannis epistolam</hi>, 1792).</p></note>
<note type="editorial-commentary" place="end" xml:id="erl_f_tp_2"><label>Chr. Gottfr.
Schütz</label>
<p>Der Theologe, Philosoph und Altphilologe Christian Gottfried Schütz (1747–1832)
war ein Schüler Semlers und Georg Friedrich Meiers. 1769 wurde er Inspektor am
Theologischen Seminar in Halle, 1773 außerordentlicher, 1777 ordentlicher
Professor für Philosophie, 1779 wechselte er als Professor für Dichtkunst und
Beredsamkeit nach Jena, bevor er schließlich 1804 als Professor für
Literaturgeschichte nach Halle zurückkehrte. Im Streit zwischen Semler und
Bahrdt/Trapp (vgl. <ptr type="page-ref" target="#erl_d_1_11"/>)
bezog er öffentlich Stellung für seinen Lehrer (<hi>Geschichte des
Erziehungsinstituts bei dem theol. Seminarium zu Halle [...] zur Apologie
des Herrn D. Semler</hi>, 1781). Heute ist Schütz vor allem als früher
Anhänger und Popularisator der kritischen Philosophie Kants bekannt, der er als
Mitherausgeber des Rezensionsorgans <hi>Allgemeine Literatur-Zeitung</hi>
(1785–1849) ein wichtiges Forum bot.</p></note>
<note type="editorial-commentary" place="end" xml:id="erl_f_tp_3"><label>Friedrich
Nicolovius</label>
<p>Matthias Friedrich Nicolovius (1768–1836) erlangte Berühmtheit als Verleger von
Immanuel Kants Schriften. Nach Lehrjahren bei Johann Friedrich Hartknoch
(1740–1789) in Riga eröffnete er 1790 eine Verlags- und Sortimentsbuchhandlung
in Königsberg. 1818 musste er seine Buchhandlung an die Brüder Friedrich
(1787–1866) und Ludwig Bornträger (1788–1843) verkaufen, die das Geschäft unter
ihrem Namen weiterführten.</p></note>
<pb xml:id="bs_f_page_II" edRef="#f" type="sp" n="II"/>
<div type="preface" xml:id="bs_f_pf">
<head><pb xml:id="bs_f_page_III" edRef="#f" type="sp" n="III"/>
<choice>
<orig>Vorrede.</orig>
<supplied reason="toc-title">Vorrede</supplied>
</choice></head>
<p>Mit wehmüthigem Vergnügen übernahm ich den Auftrag, die letzte Schrift meines
unvergeßlichen Lehrers, des seligen <persName ref="textgrid:250ds"><hi>Semler</hi></persName>, zum Druck zu befördern; und
um so mehr, da gerade diese Schrift seinen so oft und in so mancherley Beziehung
geäußerten Grundsätzen das Siegel aufdrückt, und einen ganz unwidersprechlichen
Beweis enthält, daß er seine Ueberzeugungen von der eigentlichen <index indexName="subjects-index">
<term>Religion, Bestimmung der christlichen</term>
</index>Bestimmung der christlichen Religion bis an sei<pb xml:id="bs_f_page_IV" n="IV" edRef="#f"/>nen Tod nicht verläugnet, oder abgeändert habe.</p>
<p>Es war eine Zeit, wo <persName ref="textgrid:250ds"><hi>Semler</hi></persName> bey vielen in den Verdacht gerieth, daß Er,
<ptr type="editorial-commentary" target="#erl_f_v_1"/>unleugbar der erste
lutherische Theolog unsers Jahrhunderts, welcher von der langen Anhänglichkeit
an ein festes dogmatisches System, abzugehen wagte, und der freyen Untersuchung
des Lehrbegriffs eine neue Bahn eröffnete, dennoch wieder von seinen eignen
Prinzipien abgegangen sey, oder doch das <ptr type="editorial-commentary" target="#erl_f_v_2"/>an andern getadelt habe, was er sich selbst für erlaubt
gehalten.</p>
<p>An diesem Verdachte war sein Herz und seine <index indexName="subjects-index">
<term>Denkart</term>
</index>Denkart, wie ich immer überzeugt gewesen bin, ganz unschuldig; von
seiner Seite gab dazu, die Eigenthümlichkeit seiner <index indexName="subjects-index">
<term>Schreibart</term>
</index>Schreibart, und von Seiten derjenigen, die ihn falsch beurtheilten,
Mißverstand Anlaß.</p>
<p><persName ref="textgrid:250ds">Semler</persName> hatte <ptr type="editorial-commentary" target="#erl_f_v_3"/>bey der
erstaunlichen Lektüre in die er sich von Jugend auf geworfen, nie einen
eigentlichen Fleiß auf Politur des <pb xml:id="bs_f_page_V" n="V" edRef="#f"/>
<index indexName="subjects-index">
<term>Stil (Semlers)</term>
</index>Stils gewandt; hatte, weil ihn hauptsächlich alte Literatur und das
unermeßliche Feld der Geschichte beschäftigte, nie sich Zeit genommen, zu einer
philosophischen Präcision in der Anordnung und in dem Ausdrucke seiner Gedanken
sich zu gewöhnen. Daher konnte es nicht fehlen, daß man ihm oft Inconsequenzen
zur Last legte, die es bey ihm wirklich nicht waren. Das Feuer seines Geistes,
und sein außerordentlich großes Gedächtniß, verleiteten ihn, jenes zu einer
unglaublichen Schnelligkeit in schriftlichen Arbeiten, dieses zu einem etwas zu
großen Vertrauen in die Sicherheit seiner Citaten, und in die Bündigkeit seiner
Gedanken, die sich, wie er meinte, auf dem Papiere von selbst ergeben würde, so
wie er sich derselben innerlich bewußt war. Daher konnte es nicht fehlen, daß
man oft in den von ihm angeführten Stellen das nicht fand, was er darin gefunden
zu haben versicherte; und daß man oft <index indexName="subjects-index">
<term>Widersprüche (Semlers)</term>
</index>Widersprüche unter seinen Grundsätzen und Meinungen fand, die, wenn man
sich Zeit nahm, ihn recht zu verstehn, wieder verschwanden.</p>
<p><pb xml:id="bs_f_page_VI" n="VI" edRef="#f"/> Wenn man nun aber besonders in
Ansehung seiner Vorstellungen vom Wesentlichen der christlichen <index indexName="subjects-index">
<term>Wesen der christlichen Religion</term>
</index>Religion, und von der <index indexName="subjects-index">
<term>freimütig</term>
</index>freymüthigen Untersuchung des dogmatischen Lehrbegriffs, seit der Zeit
besonders, als Herr <choice>
<abbr>D.</abbr>
<expan>Doctor</expan>
</choice> <persName ref="textgrid:2541p">Bahrdt</persName> sich nach <index indexName="subjects-index">
<term>Halle (Bahrdt in)</term>
</index>Halle wandte, hie und da geglaubt hat, er habe entweder aus Animosität,
oder weil er sich eingebildet habe, daß die Freyheit der Untersuchung
übertrieben werde, und, um nicht zu weit zu gehn, eher ein paar Schritte wieder
zurück thun müsse, seine vorigen Grundsätze verlassen, so lag dieser Mißverstand
noch mehr an der Uebereilung derjenigen, die ihn so beurtheilten, als an seiner
eignen Art des <index indexName="subjects-index">
<term>Vortrags, Art des</term>
</index>Vortrags.</p>
<p>Nirgends ist er von dem Grundsatze, daß die <index indexName="subjects-index">
<term>Untersuchung, freie</term>
</index><hi>Untersuchung</hi> frey bleiben müsse, auch nur im geringsten
abgewichen; aber die Keckheit der Entscheidungen und das <hi>despotische
Aufdringen</hi> seiner Meinungen, das war es, was er immer unleidlich fand,
und was er aus <persName ref="textgrid:2541p">Bahrdts</persName> Veranlassung nicht zuerst, wohl aber seitdem dieser in
<index indexName="subjects-index">
<term>Halle (Bahrdt in)</term>
</index>Halle zu schreiben anfieng, ungleich öfter <pb xml:id="bs_f_page_VII" n="VII" edRef="#f"/> und lebhafter bestritt. Wo er Unkunde der Geschichte
fand, bey Untersuchungen, die doch nicht blos philosophisches Raisonnement,
sondern Kenntniß der Begebenheiten und Studium historischer Quellen
voraussetzten, da schien es oft, als ob er den Schlußsätzen selbst widerspräche,
indem er bloß der <index indexName="subjects-index">
<term>Methode</term>
</index>Methode, dazu zu gelangen, sich entgegensetzte. Wo er trotziges
Absprechen, oder intolerante <index indexName="subjects-index">
<term>Rechthaberei</term>
</index>Rechthaberey wahrnahm, da drückte er seinen Widerwillen oft so aus, als
ob er eben so wohl gegen den Stoff und Inhalt, als gegen die Form gewisser
Aeußerungen, und gegen die unsittliche Art sie anzubringen eingenommen wäre.
Hieraus ist auch <ptr type="editorial-commentary" target="#erl_f_v_4"/>die Art
seiner Bestreitung des Wolfenbüttelschen Fragmentisten zu erklären, der sonst,
wenn es auf die bloßen trocknen Folgesätze ankam, mit ihm in sehr vielen Punkten
offenbar zusammenstimmte.</p>
<p>In gegenwärtiger Schrift nun, die er ganz vollendet, wiewohl ohne Titel, den ich
selbst erst habe vorsetzen müssen, hinterlassen hat, finden sich seine Gedanken
über das <pb xml:id="bs_f_page_VIII" n="VIII" edRef="#f"/> Verhältniß der
christlichen und natürlichen <index indexName="subjects-index">
<term>Religion</term>
</index>Religion ungleich dichter zusammengedrängt, besser geordnet, und
lichtvoller dargestellt, als ich sie sonst bey ihm gefunden habe; und sie
enthält vortrefliche Wahrheiten, die, wenn sie auch für gelehrte und <index indexName="subjects-index">
<term>selbstdenkend</term>
</index>selbstdenkende Leser nichts Neues enthalten, doch nicht nur in Rücksicht
auf den Mann, der sie vorträgt, ein neues Interesse gewinnen, sondern auch nicht
oft genug wiederholt werden können; am wenigsten ist ihre Wiederholung in unsern
Tagen überflüßig, wo es fast das Ansehen hat, als ob einige, wenn auch
wohlmeinende, doch gewiß übel unterrichtete Leute, um einer, ich weiß nicht wo
existirenden <index indexName="subjects-index">
<term>Rotte</term>
</index>Rotte von Leuten, die das Christenthum untergraben wollen, entgegen zu
arbeiten, damit umgehn, das Kleinod der freyen und <index indexName="subjects-index">
<term>vernünftig</term>
</index>vernünftigen <index indexName="subjects-index">
<term>Prüfung</term>
</index>Prüfung in Religionssachen, was selbst itzt viele verständige Männer in
der katholischen Kirche zu schätzen anfangen, uns Protestanten zu entreißen, und
uns einer überlieferten Glaubensnorm, <choice>
<abbr>d. h.</abbr>
<expan>das heißt</expan>
</choice> einer päpstlichen Tradition zu unterwerfen; was denn freylich, so
lange sie uns <index indexName="subjects-index">
<term>Vernunft</term>
</index>Vernunft und <index indexName="subjects-index">
<term>Schrift</term>
</index>Schrift nicht <pb xml:id="bs_f_page_IX" n="IX" edRef="#f"/> nehmen
können, unmöglich gelingen kann, und wenn sie auch, was einige bereits in
Kammern thun sollen, den Herrn <index indexName="persons-index">
<term>Jesus Christus</term>
<term type="alternative">Christus</term>
</index><persName ref="textgrid:255cd">Jesum Christum</persName> auf
öffentlichen Plätzen <hi>leibhaftig</hi> erscheinen ließen.</p>
<p>Diese ganze Schrift lehrt, wie sehr der verewigte <persName ref="textgrid:250ds">Semler</persName> von der großen Wahrheit
überzeugt war, die in <index indexName="persons-index">
<term>Lessing, Gotthold Ephraim</term>
</index><persName ref="textgrid:25dnd">Lessings</persName> Nathan so
unübertreflich ausgedrückt ist: <ptr type="editorial-commentary" target="#erl_f_v_5"/><lg rend="margin-horizontal">
<l>Daß <hi>Ergebenheit</hi> in Gott</l>
<l>Von unserm <hi>Wähnen</hi> über Gott</l>
<l>So ganz und gar nicht abhängt.</l>
</lg> Daher zeigt sich <persName ref="textgrid:250ds">Semler</persName> gleich <index indexName="subjects-index">
<term>billig</term>
</index>billig gegen <index indexName="subjects-index">
<term>orthodox</term>
</index>orthodoxe und <index indexName="subjects-index">
<term>heterodox</term>
</index>heterodoxe Christen, gegen Christen und <index indexName="subjects-index">
<term>Naturalisten</term>
</index>Naturalisten, gegen Naturalisten und <index indexName="subjects-index">
<term>Fanatiker</term>
</index>Fanatiker.</p>
<p>Ihm ist es <ptr type="editorial-commentary" target="#erl_f_v_6"/><quote corresp="#quote_bs_f9">der allererste Grundsatz der christlichen Religion, (<choice>
<abbr>S.</abbr>
<expan>Seite</expan>
</choice>
<ref target="#bs_f_page_9">9.</ref>) daß ein und derselbe <index indexName="subjects-index">
<term>Gott, Herr aller Menschen</term>
</index>Gott aller Menschen und Völker Herr und Vater sey, daß er nicht auf
die äußerlichen Umstände sehe, wodurch sich Ju<pb xml:id="bs_f_page_X" n="X" edRef="#f"/>den von andern Völkern ganz unmoralisch unterscheiden,
sondern das Thun und Lassen der Menschen nach dem Maaße ihrer Erkenntniß vom
Guten und Bösen beurtheile.</quote> Wenn man niemals mehr als diesen
Grundsatz, verbunden mit der höchst reinen und vernünftigen <index indexName="subjects-index">
<term>Sittenlehre</term>
</index>Sittenlehre Christi für nöthig gehalten hätte, um jemanden einen <index indexName="subjects-index">
<term>Christianer</term>
</index>Christianer zu nennen, was für Unglück, welche abscheuliche Scenen des
<index indexName="subjects-index">
<term>Verfolgungsgeist</term>
</index>Verfolgungsgeistes in der christlichen Kirche wären der Menschheit
erspart worden!</p>
<p><persName ref="textgrid:250ds"><hi>Semler</hi></persName> läßt ausser obigen Grundsatze keinen einzigen sogenannten <index indexName="subjects-index">
<term>Fundamentalartikel</term>
</index>Fundamentalartikel der Dogmatik als einen nothwendigen Glaubensartikel
gelten, den man durchaus annehmen und behaupten müsse, wenn man nicht auf den
Namen eines Christen Verzicht leisten wolle; nicht <ptr type="editorial-commentary" target="#erl_f_v_7"/>die Lehre von der <index indexName="subjects-index">
<term>Dreieinigkeit</term>
</index>Dreyeinigkeit, nicht die Lehre von der <index indexName="subjects-index">
<term>Inspiration</term>
</index>Inspiration der Bücher des <choice>
<abbr>A.</abbr>
<expan>Alten</expan>
</choice> oder <choice>
<abbr>N.</abbr>
<expan>Neuen</expan>
</choice> Testaments, nicht die, von der stellvertretenden <index indexName="subjects-index">
<term>Genugtuung, stellvertretende</term>
</index>Genugthuung Christi; aber er behauptet auch, daß es dem wahren Geiste
des Christenthums nichts schade, wenn man <pb xml:id="bs_f_page_XI" n="IX[!]" edRef="#f"/> alle diese <index indexName="subjects-index">
<term>Lehrsätze</term>
</index>Lehrsätze annehme; er besteht darauf, daß sich derjenige, der sie
annimmt, und der, so sie verwirft, beide einander tragen und keiner den andern
mit den schimpflichen Benennungen von Dummköpfen, Fantasten, oder Ketzern und
Ungläubigen belegen solle.</p>
<p>Daher bin ich überzeugt, daß er auch demjenigen Naturalisten, der die <index indexName="subjects-index">
<term>Sittenlehre</term>
</index>Sittenlehre <index indexName="persons-index">
<term>Jesus Christus</term>
<term type="alternative">Christus</term>
</index><persName ref="textgrid:255cd">Christi</persName>, und die große Lehre
von dem allgemeinen Antheil aller Menschen an Gottes Gnade, nicht auf <index indexName="subjects-index">
<term>Autorität</term>
</index>Autorität, sondern aus Gründen der <index indexName="subjects-index">
<term>Vernunft</term>
</index>Vernunft annimmt, den Namen <hi>eines Christen</hi> nicht abgesprochen
haben würde; nur denket er sich oft unter <index indexName="subjects-index">
<term>Naturalisten</term>
</index><hi>Naturalisten</hi> Leute, welche andere zu Annahme ihrer Meynungen
mit einer Art von Gewalt bewegen, oder die öffentliche, bürgerliche Form der
Religion eigenmächtig stürmen wollen. Gegen diese <index indexName="subjects-index">
<term>Anmaßung</term>
</index>Anmaßungen erklärt er sich so laut und ernsthaft, als ihm immer möglich
ist.</p>
<p>Daher seine so oftmal wiederholte, so lebhaft eingeschärfte Behauptung des
<hi>Un</hi><pb xml:id="bs_f_page_XII" n="XII" edRef="#f"/><hi>terschiedes</hi> zwischen <hi>öffentlicher</hi> und <index indexName="subjects-index">
<term>Privatreligion</term>
</index><hi>Privat-Religion</hi>. Vergleicht man die in gegenwärtiger Schrift
darüber vorkommenden zerstreuten Stellen, so bleibt mir kein Zweifel übrig, daß
er hierinnen nicht auch seine Ideen völlig aufs Reine gebracht, und immer
consequent gedacht habe, wenn er gleich sie nirgend so gut geordnet, und so
bestimmt ausgedrückt hat, als es neuerlich unter andern, und vielleicht vor
allen andern mein theurester Freund und College <choice>
<abbr>Hr.</abbr>
<expan>Herr</expan>
</choice>
<ptr type="editorial-commentary" target="#erl_f_v_8"/><choice>
<abbr>Prof.</abbr>
<expan>Professor</expan>
</choice>
<index indexName="persons-index">
<term>Hufeland, Gottlieb</term>
</index><hi><persName ref="textgrid:25407">Hufeland</persName></hi> gethan <ref target="#bs_f_preface_note1">*)</ref>. Kann man sich stärker darüber
herauslassen, als wenn <persName ref="textgrid:250ds">Semler</persName> <ptr type="editorial-commentary" target="#erl_f_v_9"/><choice>
<abbr>S.</abbr>
<expan>Seite</expan>
</choice>
<ref target="#bs_f_page_70">70.</ref>
<choice>
<abbr>u.</abbr>
<expan>und</expan>
</choice>
<choice>
<abbr>f.</abbr>
<expan>folgende</expan>
</choice> in dieser Schrift sagt: daß wenn irgend eine christliche <index indexName="subjects-index">
<term>Religionsparteien</term>
</index>Religionsparthey sage, sie hätte ganz allein die christliche Religion im
Besitz, und auch ganz allein das Recht, eine ewige Seeligkeit von Gott zu
erwarten, alle andern Menschen aber, auch alle andern christlichen Familien oder
Partheyen, (also auch <index indexName="subjects-index">
<term>Sozinianer</term>
</index>Socinianer oder andere, <pb xml:id="bs_f_page_XIII" n="XIII" edRef="#f"/> die in den Lehren von der Dreyeinigkeit, vom Abendmal, von <index indexName="persons-index">
<term>Jesus Christus</term>
<term type="alternative">Christus</term>
</index><persName ref="textgrid:255cd">Christi</persName> Versönung nicht auf
<index indexName="persons-index">
<term>Hutter, Leonhard</term>
</index><ptr type="editorial-commentary" target="#erl_f_v_11"/><persName ref="textgrid:3r681">Hutters</persName> oder <index indexName="persons-index">
<term>Beyer, Johann Rudolph Gottlieb</term>
</index><persName ref="textgrid:250d9">Beyers</persName> Compendium geschworen
hätten) keine wahre christliche Religion, keinen Anspruch an <index indexName="subjects-index">
<term>Liebe Gottes</term>
</index>Gottes Liebe und Gnade hätten, solches eine sehr rohe, ganz unmoralische
<index indexName="subjects-index">
<term>Anmaßung</term>
</index>Anmaßung, ein grober Irrthum, eine grobe Unwissenheit der allerersten
christlichen Grundsätze sey: ja daß diejenigen, die andre zu ihrer Religionsform
zwingen wollen, eben dadurch beweisen, daß sie selbst die wahre, geistliche oder
vollkommnere Verehrung Gottes wissentlich verläugnen oder unterdrücken
wollen.</p>
<note place="bottom" xml:id="bs_f_preface_note1">*) In der Schrift: <ptr type="editorial-commentary" target="#erl_f_v_10"/><hi>Ueber das Recht
protestantischer Fürsten unabänderliche Lehrvorschriften festzusetzen und
über solchen zu halten</hi>. Jena 1788.<ptr type="bibliographic-object" target="textgrid:3rnrn"/></note>
<p>Wenn <persName ref="textgrid:250ds">Semler</persName> nun hierbey auf symbolische Bücher und festgesetzte kirchliche <index indexName="subjects-index">
<term>Lehrbegriff</term>
</index>Lehrbegriffe zu sprechen kam, so war er weit davon entfernt anzunehmen,
daß diese <index indexName="subjects-index">
<term>symbolische Bücher</term>
</index>symbolischen Bücher unter den Protestanten, wie sich mancher ganz
fälschlich einbildet, beständige ein für allemal festgesetzte <index indexName="subjects-index">
<term>Normen</term>
</index>Normen seyen, von denen weder Lehrer noch Gemeinden abweichen dürften.
Er kannte den Geist des <index indexName="subjects-index">
<term>Protestantismus</term>
</index>Protestantismus viel zu gut, als daß ihm hätte <pb xml:id="bs_f_page_XIV" n="XIV" edRef="#f"/> einfallen <choice>
<sic>lönnen</sic>
<corr type="editorial">können</corr>
</choice> so etwas zu behaupten. Er stimmte gewiß vollkommen mit demjenigen
überein, <ptr type="editorial-commentary" target="#erl_f_v_12"/>was neuerlich
wieder <choice>
<abbr>Hr.</abbr>
<expan>Herr</expan>
</choice>
<choice>
<abbr>D.</abbr>
<expan>Doctor</expan>
</choice>
<index indexName="persons-index">
<term>Rosenmüller, Ernst Friedrich Karl</term>
</index><hi><persName ref="textgrid:253tj">Rosenmüller</persName></hi> so
trefflich auseinander gesetzt hat, und was jedes wahren Protestanten, zumal
jedes vernünftigen Lutheraners Grundsatz seyn muß, daß die <index indexName="subjects-index">
<term>Freiheit</term>
</index>Freyheit fernerhin die Schrift zu untersuchen, und der beständige
Gebrauch der <index indexName="subjects-index">
<term>Vernunft</term>
</index>Vernunft in Glaubenssachen der wahre Charakter des <index indexName="subjects-index">
<term>Protestantismus</term>
</index>Protestantismus sey. Er wußte, daß Glaubensbekenntnisse und <index indexName="subjects-index">
<term>symbolische Bücher</term>
</index>symbolische Bücher provisorisch und zu guter äußerlicher Ordnung für
eine unbestimmte Zeit entworfen werden, daß die Gemeinden oder Kirchen sie
annehmen, und von der Obrigkeit sanctioniren lassen, ohne deswegen ihr
unveräußerliches Recht an die stete Verbesserung und <index indexName="subjects-index">
<term>Lehrbegriffs, Berichtigung des</term>
</index>Berichtigung ihres Lehrbegriffs aufzugeben. Dahingegen verwarf er wie
billig, die <index indexName="subjects-index">
<term>Anmaßung</term>
</index>Anmaßung einzelner Personen, christliche Religionsgesellschaften in
ihrem Glauben gewaltsam stören zu wollen.</p>
<p>Nur gerade hier fehlte es seinem Raisonnement noch an der nöthigen Vollständig<pb xml:id="bs_f_page_XV" n="XV" edRef="#f"/>keit und Bestimmtheit. Denn 1.
setzte er bey den <index indexName="subjects-index">
<term>Naturalisten</term>
</index>Naturalisten zuweilen voraus, daß sie die christliche Religion gewaltsam
verdrängen oder aufheben wollten. Dazu fehlte es gleichwohl an aller
historischer Veranlassung. Selbst wenn einige <index indexName="subjects-index">
<term>schwärmerisch</term>
</index>schwärmerische und unbehutsame Pocher, wie <choice>
<abbr>D.</abbr>
<expan>Doctor</expan>
</choice> <persName ref="textgrid:2541p">Bahrdt</persName> <choice>
<abbr>z. B.</abbr>
<expan>zum Beispiel</expan>
</choice> geradehin entscheiden wollten, eine positive <index indexName="subjects-index">
<term>Religion, positive</term>
</index>Religion, wenn auch ihre <index indexName="subjects-index">
<term>Sittenlehre</term>
</index>Sittenlehre noch so rein wäre, sey zu gar nichts nütze, oder wenn sie
behaupteten: die <ptr type="editorial-commentary" target="#erl_f_v_13"/>Gottesverehrung müsse durchaus ganz rein <index indexName="subjects-index">
<term>deistisch</term>
</index>deistisch seyn; so hatten sie ja damit immer noch keine Gewaltthätigkeit
ausgeübt; sie hatten ja blos einen Einfall debitirt, an den sich weder Clerici
noch Laici zu kehren brauchen. Im Ernste sieht man auch gar nicht ein, wozu der
Naturalist in den protestantischen Kirchen es nöthig hätte, auf eine solche
zufahrende, geschweige denn eigenmächtige und gewaltsame Veränderung des
öffentlichen sogenannten <index indexName="subjects-index">
<term>Gottesdienst</term>
</index>Gottesdienstes zu verfallen. Niemand zwingt ihn ja, wenn er nicht will,
in die Kirche zu gehn; niemand fodert ihm Beichtzettel ab; und wenn ihm die
christlichen <index indexName="subjects-index">
<term>Sakramente</term>
</index>Sakramente bloße <index indexName="subjects-index">
<term>Zeremonien</term>
</index>Ceremonien <pb xml:id="bs_f_page_XVI" n="XVI" edRef="#f"/> scheinen, so
müßte er ja sehr unklug, ja wirklich toll und rasend seyn, einen Lärm im Staate
darüber anzufangen, damit diese Ceremonien, die einmal eingeführt sind,
abgeschafft, und noch dazu eben durch diese Abschaffung eine Menge Leute, denen
jene <index indexName="subjects-index">
<term>Sakramente</term>
</index>Sakramente ungleich mehr sind, als bloße <index indexName="subjects-index">
<term>Zeremonien</term>
</index>Ceremonien, geärgert und gekränkt würden. Man fängt aber wie schon
gesagt an, hie und da, es sey aus Leichtgläubigkeit oder aus gehässigen
Privatabsichten, von einer <ptr type="editorial-commentary" target="#erl_f_v_14"/><index indexName="subjects-index">
<term>Aufklärern, Rotte von</term>
</index><hi>Rotte von <index indexName="subjects-index">
<term>Aufklärer</term>
</index>Aufklärern</hi> zu sprechen, die gleichsam eine Coalition gemacht
haben sollen, um die Aufhebung der öffentlichen kirchlichen Verfassung unter den
Protestanten zu bewirken. Man sucht sogar Fürsten und Regierungen zu bereden,
daß dieser <index indexName="subjects-index">
<term>Aufklärern, Rotte von</term>
</index><hi>Rotte von <index indexName="subjects-index">
<term>Aufklärer</term>
</index>Aufklärern</hi> durch öffentliche Anstalten entgegen gearbeitet
werden müsse. Das natürlichste wäre wohl, vorerst zu fragen, wo denn diese Rotte
existire, was sie denn bereits für geheime Machinationen anfangen, was für Grund
zum Verdachte da sey, daß sie dergleichen im Sinne haben. Man weiß ja, daß es
heutzutage nicht wohl möglich ist, einen Plan <pb xml:id="bs_f_page_XVII" n="XVII" edRef="#f"/> durch Correspondenz zu irgend einer gemeinschaftlichen
Unternehmung anzulegen, ohne daß die Sache in kurzem bekannt werde. <ptr type="editorial-commentary" target="#erl_f_v_15"/>Kaum war <choice>
<abbr>z. B.</abbr>
<expan>zum Beispiel</expan>
</choice> von <choice>
<abbr>Hn.</abbr>
<expan>Herrn</expan>
</choice> <persName ref="textgrid:2541p">Bahrdt</persName> die <index indexName="subjects-index">
<term>Union der Zwey und Zwanziger (Deutsche Union)</term>
</index><hi>Union</hi> der <hi>Zwey und Zwanziger</hi> entworfen, als sie
verdientermaßen lächerlich gemacht, und durch <ptr type="editorial-commentary" target="#erl_f_v_16"/>die Schrift eines einzigen philosophischen und
witzigen Kopfes, (<hi>Mehr Noten als Text</hi>,) gänzlich vernichtet wurde. Aber
noch immer hört die Unvorsichtigkeit nicht auf, nicht nur vorhandne <index indexName="subjects-index">
<term>Sektennamen</term>
</index>Sectennamen so zu misbrauchen, daß wo man <choice>
<abbr>z. B.</abbr>
<expan>zum Beispiel</expan>
</choice> vielleicht nur eine einzige Meinung eines berühmt gewordnen Lehrers
antrift, man gleich sein ganzes System voraussetzt, sondern auch immer noch neue
<index indexName="subjects-index">
<term>Sektennamen</term>
</index>Sectennamen zu erfinden, um damit die noch so verschiedene Denkart
mehrerer Gelehrten, wenn sie allenfalls in einem oder dem andern Punkte
zusammentreffen, unter einer einzigen Kategorie zu begreifen. Kann man wohl
einen mildern Ausdruck, als den eines sehr unvorsichtigen Verfahrens dafür
finden, wenn jemand das <ptr type="editorial-commentary" target="#erl_f_v_17"/><foreign xml:lang="grc">ἀληθευειν ἐν ἀγαπῃ</foreign> eines <index indexName="persons-index">
<term>Spalding, Johann Joachim</term>
</index><ptr type="editorial-commentary" target="#erl_f_v_18"/><persName ref="textgrid:2506m">Spalding</persName> oder <index indexName="persons-index">
<term>Teller, Wilhelm Abraham</term>
</index><ptr type="editorial-commentary" target="#erl_f_v_19"/><persName ref="textgrid:2541s">Teller</persName> und die ganz von dieser abweichen<pb xml:id="bs_f_page_XVIII" n="XVIII" edRef="#f"/>de Procedur eines <persName ref="textgrid:2541p">Bahrdt</persName>, in
theologischen Untersuchungen, dadurch in eine Klasse setzt, daß er sie allesamt
<index indexName="subjects-index">
<term>Aufklärer</term>
</index><hi>Aufklärer</hi> nennt? Gleichwohl gehn einige schon so weit, daß sie
sogar, um gewisse Grundsätze in einem noch gehässigern Lichte vorzustellen,
<index indexName="subjects-index">
<term>Aufklärer</term>
</index><hi>Aufklärer</hi> und <index indexName="subjects-index">
<term>Illuminaten</term>
</index><ptr type="editorial-commentary" target="#erl_f_v_20"/><hi>Illuminaten</hi> für Synonymen nehmen. Freylich ist dieser
unbedachtsame, oder boshafte Namentausch schon so oft in der christlichen Kirche
verübt worden, daß sie niemanden, der nicht ganz Fremdling in ihrer Geschichte
ist, etwas neues seyn kann. Aber schmerzen muß es doch jeden Freund der Religion
und der Menschheit, daß eine so häßliche Unart noch immer in Zeiten sich erhält,
wo man längst durch die Beyspiele voriger Jahrhunderte gewitzigt, den Schaden
davon hätte beherzigen sollen. Bey dem <choice>
<abbr>sel.</abbr>
<expan>seligen</expan>
</choice> <persName ref="textgrid:250ds">Semler</persName> war es nun gewiß nicht Vorsatz, wenn er sich manchmal so
ausdrückte, als ob alle <index indexName="subjects-index">
<term>Naturalisten</term>
</index>Naturalisten in <hi>eine</hi> Klasse zu werfen wären. Es war bloß Folge
seiner Gewohnheit, im Schreiben sich nicht immer bestimmt genug auszudrücken. Er
selbst war überzeugt, daß man sogar die Namen <index indexName="subjects-index">
<term>Christen</term>
</index>Christen <pb xml:id="bs_f_page_XIX" n="XIX" edRef="#f"/> und <index indexName="subjects-index">
<term>Naturalisten</term>
</index>Naturalisten nicht geradezu einander entgegensetzen könne, und <ptr type="editorial-commentary" target="#erl_f_v_21"/>daß der Name <index indexName="subjects-index">
<term>Naturalisten, christliche</term>
</index><hi>christliche Naturalisten</hi> keineswegs einen Widerspruch in der
Zusammensetzung enthalte. In der That, wenn jemand in der Lehre von der
allgemeinen Gnade Gottes, in dem Widerspruch gegen den <index indexName="subjects-index">
<term>Polytheismus</term>
</index>Polytheismus, in dem Glauben an die <index indexName="subjects-index">
<term>Unsterblichkeit</term>
</index>Unsterblichkeit der Seele, und in der <index indexName="subjects-index">
<term>Sittenlehre</term>
</index>reinen Sittenlehre mit den Grundsätzen <index indexName="persons-index">
<term>Jesus Christus</term>
<term type="alternative">Christus</term>
</index><persName ref="textgrid:255cd">Jesu Christi</persName> und seiner
Schüler übereinstimmt, so weiß ich nicht, warum man ihn, falls er auch alles
<index indexName="subjects-index">
<term>Mirakulöse, das</term>
</index>Miraculöse und <index indexName="subjects-index">
<term>Übernatürliche, das</term>
</index>Uebernatürliche davon trennte, nicht eben so gut einen Christen nennen
könnte, als man denjenigen einen Sokratiker nennen würde, der des <index indexName="classics-index">
<term>Sokrates</term>
</index><ptr type="editorial-commentary" target="#erl_f_v_22"/><persName ref="textgrid:2528d">Sokrates</persName> Denkart und Lebensweise sich eigen
machte, ohne deshalb zu glauben, daß er einen besondern Genius gehabt habe. 2.
<ptr type="editorial-commentary" target="#erl_f_v_23"/>Sehr oft eiferte der <choice>
<abbr>sel.</abbr>
<expan>selige</expan>
</choice>
<persName ref="textgrid:250ds"><hi>Semler</hi></persName>, und mit Recht, gegen das <index indexName="subjects-index">
<term>Aufdringen</term>
</index><hi>Aufdringen</hi> seiner Meinungen in Religionssachen. Nur schien er
nicht immer daran zu denken, daß derjenige seine Meynung noch nicht aufdringt,
der sie in Schriften so viel ihm immer möglich ist, ins Licht zu stellen, zu
bestätigen, und entgegengesetzte Meinungen zu widerlegen <pb xml:id="bs_f_page_XX" n="XX" edRef="#f"/> sucht. Im Grunde war er zwar
völlig überzeugt, daß die <index indexName="subjects-index">
<term>Freiheit, seine Meinung zu sagen</term>
</index>Freyheit seine Meinung zu sagen, einem jeden, er möge zu sogenannten
<index indexName="subjects-index">
<term>Orthodoxe</term>
</index>Orthodoxen, oder <index indexName="subjects-index">
<term>Heterodoxe</term>
</index>Heterodoxen, Christen oder <index indexName="subjects-index">
<term>Nichtchristen</term>
</index>Nichtchristen gehören, ungekränkt bleiben müsse, aber es lag doch
zuweilen in einigen seiner Ausdrücke eine anscheinende Inconsequenz, welche
diejenigen als eine Beystimmung, wiewohl mit Unrecht, hätten ansehn können,
welche wirklich demjenigen System, was ihnen <hi>reine Lehre</hi> heist, keinen
bessern Dienst leisten zu können glauben, als wenn sie alle, die etwas dagegen
schreiben, als Leute verschreyen, die das Christenthum verdrängen, und von der
Erde vertilgen wollen. Möchte man doch bedenken, daß man die <index indexName="subjects-index">
<term>Wahrheit</term>
</index>Wahrheit immer verdächtig macht, wenn man sie der strengen Untersuchung
entziehen will, und daß weder Religion durch ihre Heiligkeit, noch Gesetzgebung
durch ihre Majestät aufrichtige Achtung erwarten kann, wenn diese nicht auf
<index indexName="subjects-index">
<term>Prüfung</term>
</index>Prüfung einer ganz freyen und unbestochnen <index indexName="subjects-index">
<term>Vernunft</term>
</index>Vernunft gegründet wird. 3. In Ansehung des <index indexName="subjects-index">
<term>Volksunterricht</term>
</index>Volksunterrichts durch Prediger über dogmatische Religionslehren <pb xml:id="bs_f_page_XXI" n="XXI" edRef="#f"/> scheint es zuweilen, als ob der <choice>
<abbr>sel.</abbr>
<expan>selige</expan>
</choice> <persName ref="textgrid:250ds">Semler</persName>, die mannigfaltigen dabey in der Ausübung entstehenden
Schwierigkeiten dadurch lösen wollte, daß er zwischen <hi>öffentlicher</hi> und
<index indexName="subjects-index">
<term>Privatreligion</term>
</index><hi>Privat-Religion</hi> unterscheidet. Allein damit ist die Sache noch
nicht ausgemacht. Daß einem jeden Menschen seine <index indexName="subjects-index">
<term>Privateinsichten</term>
</index>Privat-Einsichten frey bleiben <hi>müssen</hi>, so lange er sie nicht
äussert, versteht sich ja von selbst, und man braucht darüber kein Wort zu
verlieren. Allein der Mensch hat doch auch ein ungezweifeltes Recht, seine
Gedanken zu <hi>äußern</hi>; und die große noch immer nicht ganz bis zu völliger
Befriedigung aufgelößte Frage ist: 1) was für ein Recht hat der Staat, die
Aeußerungen, oder den mündlichen und schriftlichen Vortrag gewisser Meinungen
einzuschränken; und 2) was für Mittel lassen sich, wenn es zur Ausübung dieses
Rechts kömmt, mit der <index indexName="subjects-index">
<term>Staatsklugheit</term>
</index>Staatsklugheit vereinigen? Was die <index indexName="subjects-index">
<term>Religionsvorträge</term>
</index>Religionsvorträge betrift, so hat die verschiednen Fälle, welche bey
einer protestantischen Gemeinde vorkommen können, wenn die Einsichten der
itzigen Lehrer oder Glieder der Gemeinde gegen die ehemaligen <pb xml:id="bs_f_page_XXII" n="XXII" edRef="#f"/> sich geändert haben, <ptr type="editorial-commentary" target="#erl_f_v_24"/>neuerlich <choice>
<abbr>Hr.</abbr>
<expan>Herr</expan>
</choice>
<choice>
<abbr>Prof.</abbr>
<expan>Professor</expan>
</choice>
<index indexName="persons-index">
<term>Hufeland, Gottlieb</term>
</index><persName ref="textgrid:25407">Hufeland</persName> am bestimmtsten
auseinander gesetzt. Aber noch bleibt immer die Frage übrig: welche <index indexName="subjects-index">
<term>Methode</term>
</index>Methode über dogmatische Religionslehren zu predigen, die bessere sey,
so daß weder die Glieder der Gemeinde sich von ihr zu trennen nöthig haben, noch
der Lehrer bey seinen geistlichen Vorgesetzten anstoße, noch auch sich entweder
als einen Unwissenden oder als einen <index indexName="subjects-index">
<term>Heuchler</term>
</index>Heuchler verdächtig mache. Hier bin ich nun geneigt zu glauben, der
Lehrer könne sich auf keine bessere Art aus allen diesen Schwierigkeiten
heraushelfen, als wenn er bey jeder Gelegenheit, wo er auf christliche <index indexName="subjects-index">
<term>Dogmata</term>
</index>Dogmata kömmt, die <index indexName="subjects-index">
<term>Geschichte der Religion</term>
</index>Geschichte der Religion zu Hülfe nehme, und so viel etwa auch dem großen
und gemischten Haufen beygebracht werden kann, anführe, um eines Theils auf die
stete Abwechslung dieser dogmatischen Vorstellungen zu führen, andern Theils die
christliche <choice>
<abbr>d. h.</abbr>
<expan>das heißt</expan>
</choice> die vernünftige <index indexName="subjects-index">
<term>Sittenlehre</term>
</index>Sittenlehre sicher zu stellen, und zu zeigen, daß diese unwandelbar fest
stehe, man möge über das Dogma diese oder jene Vorstellung hegen. Der Prediger
müßte <choice>
<abbr>z. B.</abbr>
<expan>zum Beispiel</expan>
</choice> am Oster<pb xml:id="bs_f_page_XXIII" n="XXIII" edRef="#f"/>feste nicht
verheimlichen, daß es ehemals viele gegeben und noch itzt viele gebe, die sich
von der <index indexName="subjects-index">
<term>Auferstehung</term>
</index>Auferstehung <index indexName="persons-index">
<term>Jesus Christus</term>
<term type="alternative">Christus</term>
</index><persName ref="textgrid:255cd">Christi</persName> nicht überzeugen
könnten; daß diese ausserordentliche Begebenheit viele Gründe für sich, aber
auch wider sich habe; daß man ein wahrer Verehrer Jesu seyn könne, wenn man auch
sich nicht zu überzeugen vermöge, daß er auferstanden sey; daß Christus nirgend
die Seligkeit der Menschen an diesen Glauben gebunden: daß dennoch der Glaube an
diese Begebenheit, für denjenigen, dem sie glaublich oder zuverlässig scheine,
ungemein trostreich sey, und man also niemanden darinn irre machen, am wenigsten
über ihn spotten, oder mit ihm zanken müsse; daß es aber eben so wenig erlaubt
sey, denjenigen für einen Frevler oder Gottlosen zu halten, der die <index indexName="subjects-index">
<term>Auferstehung</term>
</index>Auferstehung Christi nicht in dem Sinne, wie sie gewöhnlich erzählt und
geglaubt werde, für wahr halten könne. Wenn so der Prediger <index indexName="subjects-index">
<term>Gründe</term>
</index>Gründe und Gegengründe neben einander stellte, so würde er keinem Theile
seiner Zuhörer anstößig werden; er würde nicht beschuldigt werden können, daß er
eine Lehre, die seine Zuhörer <pb xml:id="bs_f_page_XXIV" n="XXIV" edRef="#f"/>
beybehalten wissen wollen, ihnen eigenmächtig entziehen wollte, und doch würde
er dem andern Theile, der sie für weiter nichts als eine hergebrachte
Kirchensatzung hält, weder lästig fallen, noch als ein blinder Nachbeter
erscheinen.</p>
<p>Sollte aber auch diese Freyheit dem protestantischen <index indexName="subjects-index">
<term>Predigers, Freiheit des</term>
</index>Prediger nicht gelassen werden, so würde die sonst unläugbare <ptr type="editorial-commentary" target="#erl_f_v_25"/>Nutzbarkeit und Würde des
<index indexName="subjects-index">
<term>Predigtamt</term>
</index>Predigtamts für unsere Zeiten gänzlich zerstört, und der <index indexName="subjects-index">
<term>Prediger</term>
</index>Prediger, der eine vorgeschriebene Anzahl von Glaubensartikeln, wider
beßre Ueberzeugung lehren und beweisen soll, ein sich selbst verächtlicher
Gaukler, sofern er sie aber ununtersucht nachbeten sollte, nichts weiter als
<ptr type="editorial-commentary" target="#erl_f_v_26"/>ein tönendes Erz und
eine klingende Schelle werden. Jena den 3 May 1792.</p>
<index indexName="persons-index">
<term>Schütz, Christian Gottfried</term>
</index>
<signed><persName ref="textgrid:2530f">Chr. Gottfr. Schütz</persName>.</signed>
<note type="editorial-commentary" place="end" xml:id="erl_f_v_1"><label>unleugbar
der erste lutherische Theolog unsers Jahrhunderts</label>
<p>Diese Einschätzung wurde weithin geteilt, vgl. <hi>pars pro toto</hi> den
umfangreichen Nachruf des Theologen und Orientalisten Johann Gottfried
Eichhorn (1752–1827) in der <hi>Allgemeine[n] Bibliothek der Biblischen
Litteratur</hi> 5 (1793), 1–183; 182f: „[Semler war] der erste
Reformator unserer neueren Theologie, der kühnste und belesenste, der an
Erforschungen und neuen Resultaten reichste Theolog unter den bis itzt
verstorbenen unseres Jahrhunderts.“</p></note>
<note type="editorial-commentary" place="end" xml:id="erl_f_v_2"><label>an andern
getadelt habe, was er sich selbst für erlaubt gehalten</label>
<p>Vgl. <ref target="#bs_c_page_3">c[3]</ref>, <ref target="#bs_e_page_18">e18</ref>, <ref target="#bs_z_page_46">z46</ref>.</p></note>
<note type="editorial-commentary" place="end" xml:id="erl_f_v_3"><label>bey der
erstaunlichen Lektüre in die er sich von Jugend auf geworfen</label>
<p>Vgl. Semler, <hi>Lebensbeschreibung</hi> I (1781), z.B. 40–45. Von der
enzyklopädischen Belesenheit Semlers zeugen die ca. 300, das gesamte Gebiet
der Theologie umspannenden Einzelveröffentlichungen; s. dazu auch diverse
weitere Erläuterungen.</p></note>
<note type="editorial-commentary" place="end" xml:id="erl_f_v_4"><label>die Art
seiner Bestreitung des Wolfenbüttelschen Fragmentisten</label>
<p>Anspielung auf Semlers <hi>Beantwortung der Fragmente eines Ungenanten</hi>
(1779; vgl. <ptr type="page-ref" target="#erl_e_2_10"/>), in
der er mit dem (ihm namentlich nicht bekannten) Verfasser der
<hi>Fragmente</hi>, Hermann Samuel Reimarus, hart ins Gericht
ging.</p></note>
<note type="editorial-commentary" place="end" xml:id="erl_f_v_5"><label>Daß
Ergebenheit [...] gar nicht abhängt</label>
<p>Vgl. Gotthold Ephraim Lessing (1729–1781), <hi>Nathan der Weise</hi> (1779),
3. Aufzug, Erster Auftritt. Der Ausspruch entstammt dem Munde Rechas, der
Adoptivtochter Nathans.</p></note>
<note type="editorial-commentary" place="end" xml:id="erl_f_v_6"><label>der
allererste Grundsatz der christlichen Religion, (S. 9.) daß [...]
beurtheile</label>
<p>Zitat f9.</p></note>
<note type="editorial-commentary" place="end" xml:id="erl_f_v_7"><label>die Lehre
von der Dreyeinigkeit [...] Genugthuung Christi</label>
<p>Grundlegend äußert sich Semler dazu in seiner kontrovers aufgenommenen
<hi>Institutio ad doctrinam christianam liberaliter discendam</hi>
(1774), vermehrt erneut erschienen als <hi>Versuch einer freiern
theologischen Lehrart, zur Bestätigung und Erläuterung seines
lateinischen Buchs</hi> (1777). Zu seinem Bibelverständnis vgl. auch
Semlers <hi>Abhandlung von freier Untersuchung des Canon</hi> I–IV
(1771–1775). Die offensichtliche Nähe zu einigen von Bahrdts Thesen (vgl.
<ref target="#bs_a_page_10">a10</ref>) wurde bereits
zeitgenössisch häufig bemerkt, vgl. etwa <ref target="#bs_z_page_46">z46</ref>.</p></note>
<note type="editorial-commentary" place="end" xml:id="erl_f_v_8"><label>Prof.
Hufeland</label>
<p>Gottlieb Hufeland (1760–1817) war ein angesehener Jurist, der nach
Professuren in Jena, Würzburg und Landshut für einige Jahre Bürgermeister in
Danzig war und ab 1816 in Halle lehrte. Schütz und Hufeland kannten sich aus
den gemeinsamen Jenaer Jahren, in denen sie ab 1785 zusammen mit Christoph
Martin Wieland an der einflussreichen <hi>Allgemeine[n]
Literatur-Zeitung</hi> beteiligt waren.</p></note>
<note type="editorial-commentary" place="end" xml:id="erl_f_v_9"><label>S. 70 u.
f.</label>
<p>Paraphrase f70f.</p></note>
<note type="editorial-commentary" place="end" xml:id="erl_f_v_10"><label>Ueber das
Recht [...] Jena 1788 </label>
<p>Gottlieb Hufeland: <hi>Ueber das Recht protestantischer Fürsten
unabänderliche Lehrvorschriften festzusetzen und über solchen zu
halten[,] veranlaßt durch das preussische Religionsedict vom 9 Julius
1788</hi> (1788). Während Hufeland in dieser Schrift kritisch Stellung
zum Woellnerschen Religionsedikt nahm, verteidigte Semler die im Vergleich
zum 1786 verstorbenen Friedrich II. restriktivere Haltung des neuen
Monarchen Friedrich Wilhelm II. (1744/86–1797). Vgl. <hi>Vertheidigung des
Königl. Edikts vom 9ten Jul. 1788 wider die freimüthigen Betrachtungen
eines Ungenannten</hi> (1788).</p></note>
<note type="editorial-commentary" place="end" xml:id="erl_f_v_11"><label>Hutters
oder Beyers Compendium</label>
<p>Zu Hutter vgl. <ptr type="page-ref" target="#erl_d_3_36"/>;
Johann Wilhelm Baier (1647–1695) war zunächst Theologieprofessor in Jena und
ab der Universitätsgründung 1694 in Halle. Gemeint sind die auch im 18. Jh.
häufig wieder aufgelegten Werke: Hutter, <hi>Compendium locorum
theologicorum ex scripturis sacris et libro concordiae</hi> (<hi rend="superscript">1</hi>1610) sowie Baier, <hi>Compendium Theologiae
Positivae</hi> (<hi rend="superscript">1</hi>1686).</p></note>
<note type="editorial-commentary" place="end" xml:id="erl_f_v_12"><label>was
neuerlich wieder Hr. D. Rosenmüller so trefflich auseinander gesetzt
hat</label>
<p>Johann Georg Rosenmüller (1736–1815) war ab 1775 Theologieprofessor in
Erlangen, von 1783–85 in Gießen und schließlich Professor, Superintendent
und Konsistorialpräsident in Leipzig, was ihm erlaubte, seine
aufklärerischen Kirchenreformpläne auch in die Tat umzusetzen. Gemeint ist
Rosenmüllers <hi>Beantwortung der Frage: Warum nennen wir uns
Protestanten?</hi> (1790), 11: Protestanten müssten „gegen allen
Gewissenszwang auf das feyerlichste protestiren“ und es gelte, „daß wir uns
stets das Recht vorbehalten, selbst zu prüfen, nichts anders für wahr
anzunehmen, als was wir [in der Bibel] nach gewissenhafter und sorgfältiger
Prüfung, und nach gesunden Regeln der Auslegung durch den Gebrauch der uns
durch die Vorsehung geschenkten bessern Hülfsmittel als wahr erkannt
haben“.</p></note>
<note type="editorial-commentary" place="end" xml:id="erl_f_v_13"><label>Gottesverehrung müsse [...] rein deistisch seyn</label>
<p>Deisten betrachteten positive Religionen als Verfallsformen einer rationalen
oder „natürlichen“ Religion. Sie glaubten zwar an die Existenz eines
Schöpfergotts, bestritten jedoch, dass er in der Geschichte „interveniert“:
Gott bewirkt keine (übernatürlichen) Wunder, wird nicht Mensch und offenbart
sich auch nicht in heiligen Texten oder religiöser Erfahrung; vgl. auch <ptr type="page-ref" target="#erl_b_v_15"/> („Naturalisten“).
Der Deismus war unter Gebildeten im 17. und 18. Jh. besonders im
englischsprachigen Raum populär, fand aber auch in Frankreich und
Deutschland Anhänger. Als Begründer gilt Edward Herbert, 1st Baron Herbert
of Cherbury (1583–1648), der freilich noch an der Existenz von Wundern und
der Wirksamkeit von Bittgebeten festhielt. Zu den bekanntesten Vertretern
zählen außerdem Matthew Tindal (1657–1733), Anthony Collins (1676–1729),
Voltaire und Hermann Samuel Reimarus. Die deistische Streitschrift <hi>The
Age of Reason</hi> (1794/95; dt. 1796) des amerikanischen Revolutionärs
Thomas Paine (1737–1809) gehörte zu den meistverkauften Büchern der Zeit.
Der englische Publizist David Williams (1738–1816) musste seinen Versuch,
1776 in London einen deistischen Gottesdienst zu etablieren, allerdings
mangels Nachfrage alsbald wieder einstellen.</p></note>
<note type="editorial-commentary" place="end" xml:id="erl_f_v_14"><label>Rotte von
Aufklärern</label>
<p>Schütz bezieht sich hier (s. auch <ref target="#bs_f_page_VIII">fVIII</ref>,
„Rotte von Leuten“) vermutlich auf die im Gefolge des Woellnerschen
Religionsedikts (1788) am 31. August 1791 ergangene „Instruction für die
Königliche Examinations-Commission in Geistlichen Sachen“ des preußischen
Königs Friedrich Wilhelm II. Die Mitglieder besagter Kommission wurden u.a.
angewiesen, eine schwarze Liste zu erstellen und dabei „vorzüglich alle
Neologen und die ganze <hi>Rotte der sogenannten Aufklärer</hi> unter den
Predigern und Schullehrern“ zu erfassen. Die <hi>Instruction</hi> war
allgemein bekannt, da Ernst Christian Trapp (vgl. <ptr type="page-ref" target="#erl_d_1_11"/>) sie in seiner anonym publizierten
Streitschrift <hi>Freymüthige Betrachtungen und ehrerbietige Vorstellungen
über die neuen Preußischen Anordnungen in geistlichen Sachen</hi>
(1791), 12–26, abgedruckt hatte. Wer Trapp die <hi>Instruction</hi>
zuspielte, ist unklar.</p></note>
<note type="editorial-commentary" place="end" xml:id="erl_f_v_15"><label>Kaum war
z.B. von Hn. Bahrdt die Union der Zwey und Zwanziger entworfen</label>
<p>Die <hi>Deutsche Union</hi> oder <hi>Union der Zwey und Zwanziger</hi> war
ein von Bahrdt 1787 gegründeter Geheimbund, dem er gestützt auf anonym
betriebene Korrespondenz zeitweilig erhebliche Anhängerschaft verschaffte.
Berühmtestes Mitglied war Adolph Freiherr von Knigge (1752–1796); vgl. die
in Pott, <hi>Briefe</hi> V (1798), gesammelten Briefe und Dokumente,
darunter auch eine Mitgliederliste (334–360). Laut <hi>Geheime[m] Plan der
deutschen Union</hi> ist der „letzte Zweck“ des Bundes nur „Brüder[n]
des dritten Grades“ bekannt, unter die „Hauptzwecke“ werden gleichwohl u.a.
gerechnet: „Vervollkommnung der Wissenschaften, der Künste[,] des Kommerzes
etc. insonderheit der Volksreligion“, „Verbesserung der Erziehung“, aber
auch „<hi>Belohnung</hi> entschiedener Verdienste“ und „<hi>Versorgung
verdienstvoller</hi> Menschen im Alter und Unglück“. „[A]llgemeine
Mittel“ dazu seien „[g]emeinschaftliches Wirken durch Rath, Empfehlung und
Hülfe“, „Unterricht in Schriften“ sowie „[h]inlängliche Geldsummen“ – was
bei manchem Zeitgenossen den Verdacht keimen ließ, Bahrdt verfolge mit der
<hi>Union</hi> nicht bloß selbstlose Ziele. Als Bahrdt schließlich am 7.
April 1789 wegen seines konspirativen Wirkens sowie der Veröffentlichung des
Lustspiels <hi>Das Religions-Edikt</hi> (1789) verhaftet wurde, bedeutete
dies auch das Ende des Geheimbundes. Das Gerichtsurteil – Freispruch u.a. in
Sachen <hi>Union</hi>, jedoch zwei Jahre Festungshaft für die mit der
Publikation des Lustspiels begangene Beleidigung und „Majestätsschändung“,
später nach Fürsprache des attackierten Woellner auf ein Jahr reduziert –
findet sich im „Anhang“ von Bahrdts <hi>Geschichte und Tagebuch meines
Gefängnisses nebst geheimen Urkunden und Aufschlüssen über Deutsche
Union</hi> (1790); ebenso dort: die Verteidigungsschrift des
Bahrdt’schen Anwalts sowie der <hi>Geheime Plan</hi>.</p></note>
<note type="editorial-commentary" place="end" xml:id="erl_f_v_16"><label>die Schrift
eines einzigen philosophischen und witzigen Kopfes, (Mehr Noten als
Text,)</label>
<p>Anspielung auf die von dem Verleger und Freimaurer Johann Joachim Christoph
Bode (1731–1793) anonym publizierte Schrift <hi>Mehr Noten als Text oder die
Deutsche Union der Zwey und Zwanziger eines neuen geheimen Ordens zum
Besten der Menschheit</hi> (1789). Bode kommentierte Ankündigungen,
Pläne, Rundbriefe, Eidesformel etc. der <hi>Deutschen Union</hi> und
versuchte, sie mit den Mitteln der Ironie als lächerlich, prätentiös oder
größenwahnsinnig zu entlarven. Eine abgedruckte vermeintliche
Mitgliederliste, die stark von der Pott’schen abweicht (vgl. <ptr type="page-ref" target="#erl_f_v_15"/>), sorgte für Verlegenheit und
bewirkte eine Reihe öffentlicher Distanzierungen.</p></note>
<note type="editorial-commentary" place="end" xml:id="erl_f_v_17"><label><foreign xml:lang="grc">ἀληθευειν ἐν ἀγαπῃ</foreign></label>
<p>Anspielung auf Eph 4,15: „Wahrheit bezeugen in der Liebe“.</p></note>
<note type="editorial-commentary" place="end" xml:id="erl_f_v_18"><label>Spalding</label>
<p>Johann Joachim Spalding (1714–1804), 1764–1788/91 Propst (St. Nikolai) und
Oberkonsistorialrat in Berlin, Autor der epochalen <hi>Bestimmung des
Menschen</hi> (1748; <hi rend="superscript">11</hi>1794, SpKA I/1), war
einer der wichtigsten Vertreter der Neologie. Im Unterschied zu Bahrdt war
Spalding für seine ausgleichende Art bekannt und ging der polemischen
Auseinandersetzung für gewöhnlich aus dem Weg, vgl. etwa seine
freundlich-souveräne Reaktion auf Herders feindselige Schrift <hi>An
Prediger</hi> (1774) (Spalding, <hi>Briefe</hi> [2018], Nr. 127 und
129).</p></note>
<note type="editorial-commentary" place="end" xml:id="erl_f_v_19"><label>Teller</label>
<p>Vgl. <ptr type="page-ref" target="#erl_d_3_20"/>.</p></note>
<note type="editorial-commentary" place="end" xml:id="erl_f_v_20"><label>Illuminaten</label>
<p>Der radikal-aufklärerische Geheimbund der Illuminaten („Erleuchtete“) war
1776 vom Ingolstädter Professor für kanonisches Recht Adam Weishaupt
(1748–1830) gegründet, doch nach einigem Erfolg im süddeutschen Raum bereits
1785 verboten worden, was kurz darauf zu seiner Zerschlagung führte.
Gleichwohl nährte der Gedanke eines zentralgeleiteten Ordens mit
religionsfeindlichen Ideen diverse Verschwörungstheorien, die weit über die
kurze Existenz der Illuminaten hinauswirkten. So wähnte man einen direkten
Zusammenhang zu den Revolutionen in Amerika und Frankreich.</p></note>
<note type="editorial-commentary" place="end" xml:id="erl_f_v_21"><label>daß der
Name christliche Naturalisten keineswegs einen Widerspruch [...]
enthalte</label>
<p>Vgl. <hi>Abhandlung von freier Untersuchung des Canon</hi> I (1771), 88, und
II (1772), 465–470. Semler betont dort, er wolle das Christentum an die
christlichen Wahrheiten binden und nicht an die „Provinzen oder äusserlichen
Hülfsmittel dieser oder jener [biblischen] Bücher“, insofern lasse er sich
die Bezeichnung „christlicher Naturalist“ gefallen; vgl. <ptr type="page-ref" target="#erl_b_v_15"/> und <ptr type="page-ref" target="#erl_d_1_9"/>.</p></note>
<note type="editorial-commentary" place="end" xml:id="erl_f_v_22"><label>Sokrates</label>
<p>Vgl. <ptr type="page-ref" target="#erl_b_v_21"/>.</p></note>
<note type="editorial-commentary" place="end" xml:id="erl_f_v_23"><label>Sehr oft
eiferte der sel. Semler [...] gegen das Aufdringen seiner Meinungen in
Religionssachen</label>
<p>Vgl. z.B. <ref target="#bs_b_page_99">b99</ref>; <ref target="#bs_f_page_149">f149</ref>.</p></note>
<note type="editorial-commentary" place="end" xml:id="erl_f_v_24"><label>neuerlich
Hr. Prof. Hufeland am bestimmtsten auseinander gesetzt</label>
<p>Gemeint ist wieder Hufelands Schrift (vgl. <ptr type="page-ref" target="#erl_f_v_10"/>) <hi>Ueber das Recht protestantischer Fürsten
unabänderliche Lehrvorschriften festzusetzen</hi> (1788), die dieser in
Reaktion auf das Woellnersche Religionsedikt verfasst hatte.</p></note>
<note type="editorial-commentary" place="end" xml:id="erl_f_v_25"><label>Nutzbarkeit
und Würde des Predigtamts</label>
<p>Hier klingt Spaldings Titel <hi>Ueber die Nutzbarkeit des Predigtamtes und
deren Beförderung</hi> (1772; <hi rend="superscript">3</hi>1791, SpKA
I/3) an.</p></note>
<note type="editorial-commentary" place="end" xml:id="erl_f_v_26"><label>ein
tönendes Erz und eine klingende Schelle</label>
<p>Anspielung auf 1Kor 13,1.</p></note>
</div>
<div type="corrigenda" xml:id="bs_f_corr_1">
<p><choice>
<abbr>S.</abbr>
<expan>Seite</expan>
</choice> 272. <choice>
<abbr>Z.</abbr>
<expan>Zeile</expan>
</choice> 20. <choice>
<abbr>l.</abbr>
<expan>lies</expan>
</choice>
<foreign xml:lang="grc">ἐνσπαρτος</foreign>. <choice>
<abbr>S.</abbr>
<expan>Seite</expan>
</choice> 273. <choice>
<abbr>Z.</abbr>
<expan>Zeile</expan>
</choice> 6. <choice>
<abbr>l.</abbr>
<expan>lies</expan>
</choice>
<hi>Theurgia</hi>.</p>
</div>
</front>