<body xml:id="bs_z">
<div type="part" xml:id="bs_z_1">
<head type="main"><supplied>Zusatz:</supplied></head>
<head type="sub"><choice>
<orig><choice>
<abbr>D.</abbr>
<expan>Doctor</expan>
</choice>
<persName ref="textgrid:250ds"><hi>Joh. Sal. Semlers</hi></persName>
Antwort auf das <persName ref="textgrid:2541p">Bahrdtische</persName>
<lb/>Glaubensbekenntniß. Halle, im Verlag der <persName ref="textgrid:3r6d2">Hem-<lb/>merdschen</persName> Buchhandlung,
1779. 119 Seit. in 8.</orig>
<supplied reason="toc-title">Zusatz: z) Rezension zu Semlers Antwort auf das
Bahrdtische Glaubensbekenntniß in der Allgemeinen deutschen
Bibliothek</supplied>
<supplied reason="column-title">Rezension zu Semlers Antwort in der AdB,
1780</supplied>
</choice><note type="editorial-footnote" place="bottom">In: Allgemeine deutsche
Bibliothek 43 (1780), S. 45–51.</note></head>
<p>Obgleich <seg xml:id="quote_bs_z45"><choice>
<abbr>Hr.</abbr>
<expan>Herr</expan>
</choice>
<choice>
<abbr>D.</abbr>
<expan>Doctor</expan>
</choice>
<index indexName="persons-index">
<term>Semler, Johann Salomo</term>
</index><persName ref="textgrid:250ds">S.</persName> Gründe mag gehabt
haben, sich wider das <index indexName="persons-index">
<term>Bahrdt, Carl Friedrich</term>
</index><persName ref="textgrid:2541p">Bahrdtische</persName>
Glaubensbekenntniß zu manifestiren, und allen Verdacht, als ob er und die
theologische Fakultät in Halle, die <index indexName="subjects-index">
<term>Heterodoxie</term>
</index>Heterodoxien desselben begünstige</seg>, durch ein öffentliches
Zeugniß abzulehnen; so wird es doch wenige Kenner und <pb xml:id="bs_z_page_46" n="46" edRef="#z"/> Verehrer seiner Talente und Verdienste geben, die nicht
aus Freundschaft und Achtung für ihn wünschen sollten, daß, wenn ja auf das, was
eigentlich keine Frage war, sollte geantwortet werden, die Antwort anders
ausgefallen seyn möchte. Der bittere unmuthsvolle Ton womit <choice>
<abbr>Hr.</abbr>
<expan>Herr</expan>
</choice>
<index indexName="persons-index">
<term>Semler, Johann Salomo</term>
</index><persName ref="textgrid:250ds">S.</persName> antwortet, ist äußerst
befremdlich; und <seg xml:id="quote_bs_z46_1">wer wünschte nicht mit uns eine
<index indexName="subjects-index">
<term>Untersuchung, kaltblütige</term>
</index>kaltblütige ruhige Untersuchung</seg>, statt der verdrießlichen
mürrischen Laune zu finden, die dem <choice>
<abbr>Hrn.</abbr>
<expan>Herrn</expan>
</choice>
<choice>
<abbr>D.</abbr>
<expan>Doctor</expan>
</choice>
<index indexName="persons-index">
<term>Semler, Johann Salomo</term>
</index><persName ref="textgrid:250ds">S.</persName>
<seg xml:id="quote_bs_z46_2">nicht erlaubt, nur irgend eine Zeile, kaum ein
Wort, noch weniger ganze Sätze in dem beantworteten Glaubensbekenntniß
erträglich zu finden, sollte er auch darüber seinen bisher behaupteten
Grundsätzen ungetreu widersprechen, <seg xml:id="quote_bs_z46_3"><seg xml:id="quote_bs_z46_4">in dem wahren Geiste seiner vormaligen
Gegner eines <index indexName="persons-index">
<term>Goeze, Johann Melchior</term>
</index><persName ref="textgrid:3r67z">Goetze</persName> und <index indexName="persons-index">
<term>Piderit, Johann Rudolph Anton</term>
</index><persName ref="textgrid:3r67x">Piederits</persName></seg>,
alle weitere <seg xml:id="quote_bs_z46_5">Berichtigungen und <index indexName="subjects-index">
<term>Aufklärungen</term>
</index>Aufklärungen des kirchlichen <index indexName="subjects-index">
<term>Lehrsystems, Berichtigung des</term>
</index>Lehrsystems</seg> für unnöthig, und <seg xml:id="quote_bs_z46_6">alle dahin zielende Versuche</seg>, so viel
an ihm ist, lächerlich und verhaßt machen.</seg></seg> Wir müssen diese
sonderbare Schrift näher anzeigen.</p>
<p>Befremdend und auffallend muß zuförderst die hier von <choice>
<abbr>Hrn.</abbr>
<expan>Herrn</expan>
</choice>
<choice>
<abbr>D.</abbr>
<expan>Doctor</expan>
</choice>
<index indexName="persons-index">
<term>Semler, Johann Salomo</term>
</index><persName ref="textgrid:250ds">S.</persName> vorgetragene Aeußerung über
<index indexName="subjects-index">
<term>Toleranz</term>
</index>Toleranz und <index indexName="subjects-index">
<term>Gewissensfreiheit</term>
</index>Gewissensfreyheit, einem jeden seyn, der dieses gelehrten Mannes
Schriften zur Beförderung einer freyern (<foreign xml:lang="lat">liberalioris</foreign>) theologischen Lehrart
gelesen, <seg xml:id="quote_bs_z46_7">dieses kühnen Theologen, der sich durch
seine freye Untersuchung des Canons sogar <seg xml:id="quote_bs_z46_8">an
<seg xml:id="quote_bs_z46_9">die in allen christlichen Partheyen
heilig gehaltenen <index indexName="subjects-index">
<term>Urkunden, christliche</term>
</index>Urkunden</seg> der Religionslehre gewaget</seg>, und einige
dazu gerechnete Bücher, hauptsächlich, weil sie seinem Urtheile nach, nichts
zur christlichen Vollkommenheit beytragen, bestritten, wenigstens
zweifelhaft gemacht hat.</seg>
<seg xml:id="quote_bs_z46_10">Ein aufmerksamer Leser der Semlerischen Schriften
mag etwa die biblische Vorstellung von der Menschwerdung und dem Tode <index indexName="persons-index">
<term>Jesus Christus</term>
<term type="alternative">Christus</term>
</index><persName ref="textgrid:255cd">Christi</persName>, die <choice>
<abbr>Hr.</abbr>
<expan>Herr</expan>
</choice>
<choice>
<abbr>D.</abbr>
<expan>Doctor</expan>
</choice>
<index indexName="persons-index">
<term>Semler, Johann Salomo</term>
</index><persName ref="textgrid:250ds">S.</persName> in seinen <index indexName="subjects-index">
<term>Vorlesungen, ascetische (Semler)</term>
</index>Ascetischen Vorlesungen<ptr type="bibliographic-object" target="textgrid:3rnp8"/> über <bibl type="biblical-reference"><citedRange n="Gal:4:3 Gal:4:5">Gal. 4, 3. 5.</citedRange></bibl>
und über <bibl type="biblical-reference"><citedRange n="1Kor:1:31">1. Cor.
1, 31.</citedRange></bibl> vorträgt, für richtig erkannt, und sich
daran erbauet haben, wie wird ihm aber, falls er ein Lehrer der Kirche ist,
zu Muthe werden, wenn ihm <choice>
<abbr>Hr.</abbr>
<expan>Herr</expan>
</choice>
<choice>
<abbr>D.</abbr>
<expan>Doctor</expan>
</choice>
<index indexName="persons-index">
<term>Semler, Johann Salomo</term>
</index><persName ref="textgrid:250ds">Semler</persName> nun bedeutet: ja,
hierüber kannst du nach deiner Gewissensfreyheit denken, wie du es nach
deiner Ueberzeugung in der Bibel findest; aber bist du einmal ein bestellter
<index indexName="subjects-index">
<term>Lehrer</term>
</index>Lehrer, <seg xml:id="quote_bs_z46_11">so kannst du dies zwar für
dich denken, <seg xml:id="quote_bs_z46_12">aber öffentlich mußt du
lehren, wie die feyerlichen <index indexName="subjects-index">
<term>Lehrbücher, feierliche</term>
</index>Lehrbücher deiner Kirche es haben wollen</seg></seg></seg>,
sonst handelst du wider deinen Eyd und Gewissen. – Ich zweifle sehr daran, daß
die in Semlerischen Schriften angemerkte und empfohlene Lehrart hiebey eines
jeden Gewissen befriedigen wird. <seg xml:id="quote_bs_z46_13">Wer kann sich
auch, wenn er einmal über das andre lieset, daß ein jeder für sich denken
<pb xml:id="bs_z_page_47" n="47" edRef="#z"/> und glauben kann, was er
für wahr erkennet, und daß dennoch das Ansehen der symbolischen Bücher in
öffentlichen Vorträgen, so ganz ungekränkt erhalten werden müsse, daß es
keinem Lehrer einmal erlaubt sey, nur Vorschläge zur weitern Berichtigung
des öffentlich festgesetzten Lehrbegriffs zu thun, (denn wenn <choice>
<abbr>Hr.</abbr>
<expan>Herr</expan>
</choice>
<choice>
<abbr>D.</abbr>
<expan>Doctor</expan>
</choice>
<index indexName="persons-index">
<term>Semler, Johann Salomo</term>
</index><persName ref="textgrid:250ds">S.</persName> dies einem Lehrer
erlaubt hielte, so würde er den <choice>
<abbr>Hrn.</abbr>
<expan>Herrn</expan>
</choice>
<choice>
<abbr>D.</abbr>
<expan>Doctor</expan>
</choice>
<index indexName="persons-index">
<term>Bahrdt, Carl Friedrich</term>
</index><persName ref="textgrid:2541p">B.</persName> nicht so hart deswegen
angesehen haben) wer kann sich denn enthalten zu fragen</seg>: <seg xml:id="quote_bs_z47_1">wozu soll in aller Welt die unverbrüchliche
Beybehaltung, und der ewige Vortrag eines <index indexName="subjects-index">
<term>Religionssystem</term>
</index>Religionssystems dienen, das weder der Lehrer noch irgend einer der
Zuhörer verbunden oder interessirt ist, für wahr zu halten?</seg> Mögen doch
diejenigen, die außerhalb der durch symbolische Bücher umzäunten Kirche kein
Heil und Seeligkeit zugestehen, sich berechtigt und verpflichtet achten, für die
unverletzliche Reinigkeit der festgesetzten Lehrform zu eifern; es ist
wenigstens nach ihrer Einsicht, Eifer für die Wahrheit und für das Wohl der
Menschen; aber wenn ein <index indexName="persons-index">
<term>Semler, Johann Salomo</term>
</index><persName ref="textgrid:250ds">Semler</persName>, der sich selbst
reichlich die Freyheit nimmt, und sie jedem andern gern gestattet von allen
<index indexName="subjects-index">
<term>Kirchenlehre</term>
</index>Kirchenlehren anzunehmen und wegzuwerfen, und überhaupt damit zu machen,
was ihm das Beste dünkt, ohne daß er dabey hier oder künftig das geringste zu
wagen befürchten darf, <seg xml:id="quote_bs_z47_2">für den ewigen Werth der
symbolischen Bücher und eines nach ihnen abgezirkelten Lehrvortrages eifert:
so kann ihm nicht das Interesse der <index indexName="subjects-index">
<term>Wahrheit</term>
</index>Wahrheit, nicht die <seg xml:id="quote_bs_z47_3">Sorge für die
<index indexName="subjects-index">
<term>Glückseligkeit</term>
</index>Glückseligkeit seiner Nebenmenschen</seg>, sondern</seg>
<seg xml:id="quote_bs_z47_4"><seg xml:id="quote_bs_z47_5">blos <seg xml:id="quote_bs_z47_6">gewisse <index indexName="subjects-index">
<term>politisch</term>
</index>politische Betrachtungen</seg>
<choice>
<sic>köunen</sic>
<corr type="editorial">können</corr>
</choice> diesen Eifer eingegeben haben. Dies ist noch glimpflich
geurtheilt; sonst möchte man eine nähere Ursache finden</seg> in dem
Bestreben, sich so viel möglich von dem verhaßten <choice>
<abbr>D.</abbr>
<expan>Doctor</expan>
</choice>
<index indexName="persons-index">
<term>Bahrdt, Carl Friedrich</term>
</index><persName ref="textgrid:2541p">Bahrdt</persName> zu entfernen,
nachdem man nicht so glücklich gewesen, ihn durch alle Bewegungen, worinn
man sich und andre gesetzt hat, von sich zu entfernen.</seg></p>
<p>Daher möchte sich auch vielleicht die Heftigkeit erklären lassen, womit <choice>
<abbr>Hr.</abbr>
<expan>Herr</expan>
</choice>
<choice>
<abbr>D.</abbr>
<expan>Doctor</expan>
</choice>
<index indexName="persons-index">
<term>Semler, Johann Salomo</term>
</index><persName ref="textgrid:250ds">S.</persName> den gewöhnlichen
Lehrvortrag wider <choice>
<abbr>Hrn.</abbr>
<expan>Herrn</expan>
</choice>
<choice>
<abbr>D.</abbr>
<expan>Doctor</expan>
</choice>
<index indexName="persons-index">
<term>Bahrdt, Carl Friedrich</term>
</index><persName ref="textgrid:2541p">B.</persName> Vorwürfe, als ob er zum
Unglauben führe, und der Tugend und Gottseligkeit schade, weitläuftig, aber
doch, wie mich deucht, nicht hinlänglich vertheidigt: denn <seg xml:id="quote_bs_z47_7">er nimmt bey seiner Vertheidigung diese Lehrsätze
fast immer in einem andern und gemildertern Sinn, als worinn sie vom <choice>
<abbr>Hrn.</abbr>
<expan>Herrn</expan>
</choice>
<choice>
<abbr>D.</abbr>
<expan>Doctor</expan>
</choice>
<index indexName="persons-index">
<term>Bahrdt, Carl Friedrich</term>
</index><persName ref="textgrid:2541p">B.</persName> bestritten
werden.</seg>
<seg xml:id="quote_bs_z47_8">Es ist wahr, <seg xml:id="quote_bs_z47_9"><choice>
<abbr>Hr.</abbr>
<expan>Herr</expan>
</choice>
<choice>
<abbr>D.</abbr>
<expan>Doctor</expan>
</choice>
<index indexName="persons-index">
<term>Bahrdt, Carl Friedrich</term>
</index><persName ref="textgrid:2541p">B.</persName> hätte seinen Tadel
in gemässigtern und behutsamern Ausdrücken vorbringen sollen</seg>;
indessen hat er doch offenbar immer nur auf die <seg xml:id="quote_bs_z47_10">härteste und unschicklichste <index indexName="subjects-index">
<term>Vorstellungsarten</term>
</index>Vorstellungsart</seg> der angeschuldigten <index indexName="subjects-index">
<term>Lehrgründe</term>
</index>Lehrgründe Rücksicht <pb xml:id="bs_z_page_48" n="48" edRef="#z"/>
gehabt</seg>, und <seg xml:id="quote_bs_z48_1"><choice>
<abbr>Hr.</abbr>
<expan>Herr</expan>
</choice>
<choice>
<abbr>D.</abbr>
<expan>Doctor</expan>
</choice>
<index indexName="persons-index">
<term>Semler, Johann Salomo</term>
</index><persName ref="textgrid:250ds">S.</persName> hätte ihm dergleichen
Aeußerungen so strenge nicht rügen sollen, da man in seinen Schriften auch
dergleichen findet. So heißt es unter andern in der Vorrede des ersten
Bandes seiner <index indexName="subjects-index">
<term>Vorlesungen, ascetische (Semler)</term>
</index>ascetischen Vorlesungen</seg>: <seg xml:id="quote_bs_z48_2">„den
meisten Streitigkeiten in der <foreign xml:lang="lat">Formula Concordiae</foreign> gehet es so, daß man über
die Art und Weise einer Vorstellung so eifersüchtig wurde, als wenn alle
Kraft und Wirkung der Sachen selbst <choice>
<abbr>z. E.</abbr>
<expan>zum Exempel</expan>
</choice> im Abendmahle, an solche einzige Vorstellungsart und <index indexName="subjects-index">
<term>Redensarten</term>
</index>Redensart von Gott gebunden worden wäre. Diese <choice>
<sic>Manngelhaftigkeit</sic>
<corr type="editorial">Mangelhaftigkeit</corr>
</choice> der Einsicht und eigenmächtige Bestimmung einer einzigen Art der
Vorstellung von einer Sache, hat von jeher die leichte und unanstößige
Ausbreitung und <index indexName="subjects-index">
<term>Erfahrung</term>
</index>Erfahrung der christlichen Religion gehindert, und noch <hi>jetzt
ist dieses die vornehmste Ursache von sehr vielem Anstoß, der endlich
zur Verwerfung der ganzen Sache gereichet</hi>, weil es den Schein hat,
eine Gesellschaft von Menschen wolle sich das Recht geben, die innern
Vorstellungen andrer Menschen unter Vorschriften und gleichförmige Gesetze
zu fassen; da doch Gott selbst dergleichen Verschiedenheit der Vorstellungen
nicht nur zuläßt und duldet, sondern auch befördert und erhält.“</seg>
<seg xml:id="quote_bs_z48_3">Noch ein Beyspiel, daß <choice>
<abbr>Hr.</abbr>
<expan>Herr</expan>
</choice>
<choice>
<abbr>D.</abbr>
<expan>Doctor</expan>
</choice>
<index indexName="persons-index">
<term>Semler, Johann Salomo</term>
</index><persName ref="textgrid:250ds">S.</persName> sich eben solche
Beschuldigungen vormals erlaubt hat, als er jetzt an seinen Gegner so sehr
tadelt. So finde ich in dem <hi>Versuch einer freyern theologischen
Lehrart</hi><ptr type="bibliographic-object" target="textgrid:3rnpb"/>
<choice>
<abbr>S.</abbr>
<expan>Seite</expan>
</choice> 454</seg> folgenden hart genug ausgedruckten Vorwurf: „Es ist ein
<hi>schändlicher</hi> Begriff, wenn man in Gott dem Vater gar nichts findet,
das zur wirklichen Erlösung gehört, als die Strenge eines Richters der Rache
fodert,“ (sollte dieser dem <choice>
<abbr>Hrn.</abbr>
<expan>Herrn</expan>
</choice>
<choice>
<abbr>D.</abbr>
<expan>Doctor</expan>
</choice>
<index indexName="persons-index">
<term>Semler, Johann Salomo</term>
</index><persName ref="textgrid:250ds">S.</persName> vormals wenigstens so
anstößige Begriff wohl nicht mit der Vorstellung: daß Gottes Zorn nicht anders
als durch das blutige Opfer <index indexName="persons-index">
<term>Jesus Christus</term>
<term type="alternative">Christus</term>
</index><persName ref="textgrid:255cd">Christi</persName> gestillet werden
könne, unzertrennlich zusammen hängen, und <seg xml:id="quote_bs_z48_4">sollte
nicht <choice>
<abbr>Hr.</abbr>
<expan>Herr</expan>
</choice>
<choice>
<abbr>D.</abbr>
<expan>Doctor</expan>
</choice>
<index indexName="persons-index">
<term>Bahrdt, Carl Friedrich</term>
</index><persName ref="textgrid:2541p">B.</persName> bey seinen Einwendungen
gegen die <index indexName="subjects-index">
<term>Genugtuungslehre</term>
</index>Genugthuungslehre nicht auch hauptsächlich die so gewöhnliche
Entgegensetzung des Vaters und des Sohnes beym Werk der Erlösung im Sinne
gehabt haben?</seg>) „und die sich kaum dazu bringen läßt, durch <index indexName="persons-index">
<term>Jesus Christus</term>
<term type="alternative">Christus</term>
</index><persName ref="textgrid:255cd">Christi</persName> Fürbitte in die
Seligkeit der Menschen einzuwilligen; und also dem Sohn die ganze Ehre der
Barmherzigkeit und Erlösung zuzuschreiben; als könnte man gar wohl sagen, er
habe mehr Liebe, als der Vater.“</p>
<p>Es ist oben erinnert worden, daß <seg xml:id="quote_bs_z48_5">die Vertheidigung
der vom <choice>
<abbr>Hrn.</abbr>
<expan>Herrn</expan>
</choice>
<choice>
<abbr>D.</abbr>
<expan>Doctor</expan>
</choice>
<index indexName="persons-index">
<term>Bahrdt, Carl Friedrich</term>
</index><persName ref="textgrid:2541p">B.</persName> angeschuldigten
Kirchenlehren darum nicht hinlänglich und genugthuend sey, weil <choice>
<abbr>Hr.</abbr>
<expan>Herr</expan>
</choice>
<choice>
<abbr>D.</abbr>
<expan>Doctor</expan>
</choice>
<index indexName="persons-index">
<term>Semler, Johann Salomo</term>
</index><persName ref="textgrid:250ds">S.</persName> sie nicht in <pb xml:id="bs_z_page_49" n="49" edRef="#z"/> dem Sinn vertheidigt, worinn
das Glaubensbekenntniß sie verwirft</seg>. <seg xml:id="quote_bs_z49_1">Wir
wollen einige Beyspiele davon anführen. Was <choice>
<abbr>Hr.</abbr>
<expan>Herr</expan>
</choice>
<choice>
<abbr>D.</abbr>
<expan>Doctor</expan>
</choice>
<index indexName="persons-index">
<term>Bahrdt, Carl Friedrich</term>
</index><persName ref="textgrid:2541p">B.</persName> wider die gewöhnliche
Vorstellung von <index indexName="subjects-index">
<term>Erlösung</term>
</index><choice>
<sic>Erlosung</sic>
<corr type="editorial">Erlösung</corr>
</choice> und <index indexName="subjects-index">
<term>Genugtuung</term>
</index>Genugthuung eingewandt hatte, wird offenbar dadurch nicht
abgewiesen, wenn <choice>
<abbr>Hr.</abbr>
<expan>Herr</expan>
</choice>
<choice>
<abbr>D.</abbr>
<expan>Doctor</expan>
</choice>
<index indexName="persons-index">
<term>Semler, Johann Salomo</term>
</index><persName ref="textgrid:250ds">S.</persName> ihm entgegen setzt: (<choice>
<abbr>S.</abbr>
<expan>Seite</expan>
</choice>
<ref target="#bs_b_page_44">44.</ref>) „<quote corresp="#quote_bs_b44_2">Wir danken Gott, daß er einen
solchen <index indexName="persons-index">
<term>Jesus Christus</term>
<term type="alternative">Christus</term>
</index><persName ref="textgrid:255cd">Christum</persName> bestimmt und
geordnet hat, für uns eben, wozu wir ihn nöthig haben, zur Offenbahrung
der rechten göttlichen Weisheit, der größten Gerechtigkeit, der
innersten Heiligkeit, der allergrößten vollkommensten Erlösung, und
daraus, aus dieser unsrer eignen <index indexName="subjects-index">
<term>Erfahrung</term>
</index>Erfahrung und täglichen Proben entsteht in uns das wärmste Lob,
der innigste Ruhm Gottes, den preisen wir nach Leib und Geist; weit
gefehlet, daß diese christlichen für uns so großen Ideen uns zur
Untugend und auch nur entferntesten Ungottseligkeit verleiten sollten.
Wir rufen jedem zu: komme und siehe es, thue erst und vollziehe selbst
in dir, für dein Bestes diesen Willen Gottes, den <index indexName="persons-index">
<term>Jesus Christus</term>
<term type="alternative">Christus</term>
</index><persName ref="textgrid:255cd">Christus</persName> lehret, da
wirst du es aus deiner Erfahrung wissen, was du jetzt ohne Geist und
inneres Leben, so kaltsinnig, so fremd, so unbekannt mit unsern
Wahrheiten daher speculierest.</quote>“</seg> Wie gesagt, diese
Aeußerung <seg xml:id="quote_bs_z49_2">trifft den <choice>
<abbr>Hrn.</abbr>
<expan>Herrn</expan>
</choice>
<choice>
<abbr>D.</abbr>
<expan>Doctor</expan>
</choice>
<index indexName="persons-index">
<term>Bahrdt, Carl Friedrich</term>
</index><persName ref="textgrid:2541p">B.</persName> gar nicht und hebt
seine Einwendungen nicht. Nicht nur er, sondern jeder Socinianer, ja jeder
von irgend einer christlichen <index indexName="subjects-index">
<term>Kirchenparteien</term>
</index>Kirchenparthey, kann dieses unterschreiben, und die Erklärungsart,
die er für die schicklichste hält, dabey in Gedanken haben</seg>. <seg xml:id="quote_bs_z49_3">Hier ist kein Wort von der Art und Weise der
Genugthuung und Erlösung, wie sie in den symbolischen Lehrvorschriften
vorgetragen wird</seg>, nichts vom thätigen und leidenden Gehorsam, nichts
von einem stellvertretenden <index indexName="subjects-index">
<term>Verdienst, stellvertretendes</term>
</index>Verdienste und poena vicaria. – Ja es stimmt sogar diese Aeußerung mit
dem beantworteten Glaubensbekenntniß überein, wenn darinn der Glaube an <index indexName="persons-index">
<term>Jesus Christus</term>
<term type="alternative">Christus</term>
</index><persName ref="textgrid:255cd">Christum</persName> durch Annehmung und
Befolgung der Lehre <persName ref="textgrid:255cd">Jesu</persName> beschrieben wird. <hi>Annehmung</hi>: wir danken Gott,
daß er uns Christum, zur Weisheit – Gerechtigkeit – bestimmt und geordnet hat.
<hi>Befolgung der Lehre <persName ref="textgrid:255cd">Jesu</persName></hi>: thue erst und vollziehe selbst in dir für
dein Bestes, diesen Willen Gottes den <persName ref="textgrid:255cd">Christus</persName> lehrte. – <choice>
<abbr>Hr.</abbr>
<expan>Herr</expan>
</choice>
<choice>
<abbr>D.</abbr>
<expan>Doctor</expan>
</choice>
<index indexName="persons-index">
<term>Semler, Johann Salomo</term>
</index><persName ref="textgrid:250ds">S.</persName> sagt: „<quote corresp="#quote_bs_b72_1">bringt die Ueberzeugung, die ein
Mensch angenommen hat, Gott ist es, der in mir alles Gute wirket, in dem
Menschen Sünde und Hinderniß der Tugend hervor? ich denke nicht.</quote>“
Darinn hat er gewiß recht; aber diese ewige <index indexName="subjects-index">
<term>Wahrheit</term>
</index>Wahrheit war es auch nicht, die <choice>
<abbr>Hr.</abbr>
<expan>Herr</expan>
</choice>
<choice>
<abbr>D.</abbr>
<expan>Doctor</expan>
</choice>
<index indexName="persons-index">
<term>Bahrdt, Carl Friedrich</term>
</index><persName ref="textgrid:2541p">B.</persName>
<choice>
<sic>beschritt</sic>
<corr type="editorial">bestritt</corr>
</choice>, oder als nachtheilig und unschriftmäßig angab; sondern vielmehr diese
<pb xml:id="bs_z_page_50" n="50" edRef="#z"/>
<seg xml:id="quote_bs_z_50_1">Ueberredung: ich kann nichts, gar nichts zu meiner
Besserung thun, ich muß Gott nur stille halten</seg>, und ihn allein wirken
lassen. Wird ein Mensch, der sich hiervon überredet hat, nicht natürlicherweise
auch so denken: nun, ich will auch nichts thun, sondern will es erwarten, daß
Gott die Besserung in mir wirke, denn ich kann ja nichts thun?</p>
<p>Es ließen sich selbst in dieser Widerlegung eines <index indexName="subjects-index">
<term>Glaubensbekenntnis, heterodoxes</term>
</index>heterodoxen Glaubensbekenntnisses, bey allem Ansehen der
Rechtgläubigkeit, das sich <choice>
<abbr>Hr.</abbr>
<expan>Herr</expan>
</choice>
<choice>
<abbr>D.</abbr>
<expan>Doctor</expan>
</choice>
<index indexName="persons-index">
<term>Semler, Johann Salomo</term>
</index><persName ref="textgrid:250ds">S.</persName> hier als ein ehrlicher
lutherischer Professor und <foreign xml:lang="lat">Doctor <choice>
<abbr>August.</abbr>
<expan>Augustanae</expan>
</choice>
<choice>
<abbr>Confess.</abbr>
<expan>Confessionis</expan>
</choice></foreign> giebt, manche Abweichungen angeben; allein der <choice>
<abbr>Recens.</abbr>
<expan>Recensent</expan>
</choice> überläßt dergleichen gehäßige Entdeckungen den scharfsichtigen
Bemerkern der Ketzereyen, um so viel lieber, da gerade die hin und wieder auch
hier, so wie in allen <index indexName="persons-index">
<term>Semler, Johann Salomo</term>
</index><persName ref="textgrid:250ds">Semlerischen</persName> Schriften
vorkommende freymüthige und gelehrte Aeußerungen für ihn, und vermuthlich auch
für andere das lesenswürdigste in dieser sonderbaren Schutzschrift für das
kirchliche System sind. Nur über einen vom <choice>
<abbr>Hrn.</abbr>
<expan>Herrn</expan>
</choice>
<choice>
<abbr>D.</abbr>
<expan>Doctor</expan>
</choice>
<index indexName="persons-index">
<term>Semler, Johann Salomo</term>
</index><persName ref="textgrid:250ds">S.</persName> angegebenen Endzweck
derselben, müssen noch ein Paar Worte gesagt werden. <choice>
<abbr>Hr.</abbr>
<expan>Herr</expan>
</choice>
<choice>
<abbr>D.</abbr>
<expan>Doctor</expan>
</choice> <persName ref="textgrid:250ds">S.</persName> scheint es sich als ein Verdienst anzurechnen, daß er das Vorhaben
gewisser, wie er sie nennt, viel umfassender Männer, eine <index indexName="subjects-index">
<term>Universalreligion</term>
</index>Universalreligion, oder ein allgemeines Christenthum, auf Kosten der
verschiedenen öffentlich festgesetzten Religionssysteme, und auf den Trümmern
der verschiedenen <index indexName="subjects-index">
<term>Lokalkirchen</term>
</index>Localkirchen aufzuführen, hier entdeckt, und nach Möglichkeit zu
hintertreiben gesucht habe. Zugleich setzt er diesem allgemeinen Christenthume
nichts so sehr entgegen, als daß es eine bloße Träumerey oder ein Hirngespinst,
und die Einführung desselben in unserer sublunarischen Welt nicht möglich sey.
Dies wollten wir ihm allenfalls gern glauben; aber alsdenn läßt sich nicht
einsehen, was es so ernsthafter Anstalten gegen eine Träumerey, und gegen einen
ganz unthunlichen Entwurf bedürfe. – Sollte aber das Vorhaben der viel
umfassenden Männer möglich seyn, und wirklich der größte Theil derer, die über
die Religion nachdenken, und es ernstlich mit derselben meinen, sich jemals über
einen, das Wesentliche des <index indexName="subjects-index">
<term>Wesen des Christentums</term>
</index>Christenthums enthaltenden <index indexName="subjects-index">
<term>Religionsentwurf</term>
</index>Religionsentwurf vereinigen können: so möchte die Voraussetzung, daß er
von dem größten Theile <index indexName="subjects-index">
<term>Christen, nachdenkende</term>
</index>nachdenkender und rechtschaffener Christen angenommen werde, keine so
ganz schlechte Empfehlung für denselben seyn, und es ließe sich nicht wohl
begreifen, wie ein so aufgeklärter Verehrer der Religionswahrheit und der
Gewissensfreyheit, wie <choice>
<abbr>Hr.</abbr>
<expan>Herr</expan>
</choice>
<choice>
<abbr>D.</abbr>
<expan>Doctor</expan>
</choice>
<index indexName="persons-index">
<term>Semler, Johann Salomo</term>
</index><persName ref="textgrid:250ds">S.</persName> unstreitig ist, sich
überreden könne, daß er sich durch öffentliche <pb xml:id="bs_z_page_51" n="51" edRef="#z"/> heftige Bestreitung eines solchen Entwurfs um Religion, Tugend
und Glückseligkeit seiner Nebenmenschen werde verdient machen, da doch <seg xml:id="quote_bs_z51_1">alle diese Bemühung nur darauf abzwecken kann, die
Verschiedenheit der Kirchenverfassung, und die Mannichfaltigkeit jener
<index indexName="subjects-index">
<term>Lokalsysteme</term>
</index>Lokalsysteme, die zwar bis ans Ende der Tage öffentlich gelehrt
werden sollen, aber eben nicht dürfen geglaubt werden</seg>, in der
christlichen Welt aufrecht zu erhalten.</p>
</div>
</body>