|a[I]||b[I]||c[I]||d[XI]| Anrede an das lesende Publikum /abey der ersten Ausgabe von 1778a\.
Es ist dieses die erste Schrift, in welcher ich unter meinem eignen Namen im Publikum erscheine. In meinen bisherigen kleinen Abhandlungen habe ich nur
incognito einige denkende Leute unterhalten wollen. Nicht alle unbenamte
a1 Schriften, die man mir in öffentlichen Blättern zugeeignet hat, sind von mir; und auch nach denen, welche es sind, möchte ich nicht gern gerade zu beurtheilet werden.
|bII| Die Reisekleider machen mich darin unkentlich
ad2; denn ich habe sie insgesamt in einigen Zwischenstunden auf meinen Geschäftsreisen, wenn ich irgendswo
a3 einige Tage müßig bleiben mußte, entworfen. Da ich mir nun künftig zum öftern eine förmliche Audienz beym Publikum zu erbitten
|cIV[!]| gedenke, und mir sehr viel an einer gün
|aII|stigen Aufnahme gelegen ist, so erkenne ich es für eine Pflicht des Wohlstandes und der guten Ordnung,
a4 mich zuvor wegen meiner schriftstellerischen Herkunft öffentlich zu legitimiren. Es wird dieses am leichtesten durch eine kurze Erzählung der Geschichte meiner Erkentnisse
d5 bewirkt werden können.
|dXII| Ich bin von einem Vater erzogen worden, der von der Seite seines natürlichen Verstandes, seiner Einsichten in die Geschäfte des Lebens, seiner Arbeitsamkeit, vorzüglich aber
a6 wegen seiner Rechtschaffenheit und Amtstreue ein wirklich grosser
a7 und recht vorzüglicher Mann war; allein die Denkungsart desselben über Religionswahrheiten war zu der Zeit in Halle ausgebildet worden, da verschiedene
a8 würdige Männer sich rühmlichst bemüheten, den bisherigen ganz spekulativen
a9 und polemischen Vortrag des Christenthums mehr für das Herz der Menschen zur Erweckung guter Gesinnungen einzurichten; dabey aber, wie
|bIII| es gewöhnlich geschieht, auf der andern Seite zu weit gingen,
cd10 und auf eine mystische Sprache verfielen, die zwar gute Empfindungen erregte, aber nicht geschickt war, den Verstand gehörig zu erleuchten, und deutliche gründliche Einsichten in den Zusammenhang der Wahrheiten hervorzubringen. In dieser Sprache ward ich über die Religion unterichtet
acd11, und dabey zu überhäuften Andachtsübungen angehalten. Bisweilen durchliefen gewisse warme
|cV[!]| angenehme Gefühle mein Herz, die ich für Seligkeit hielt: öfters aber befand ich mich in der größten Unruhe und Aengstlichkeit, weil ich mich überredete, es läge nur an mir selbst, daß ich den über
|aIII|spannten
cd12 Anforderungen der Religion nicht genügen könte
ad13. Nicht selten fiel mir dann bey, ich fehlte nur darin, daß ich zu viel mitwirken wolte
ad14, und dann gab ich mir nicht weiter Mühe, auf mich selbst aufmerksam zu seyn, sondern überließ mich allen jugendlichen Empfindungen in der Erwartung, daß die Gnade wol
d15 zu rechter Zeit mich wieder ergreifen würde.
Mit dieser Gemüthsfassung brachte mich mein Vater auf die berühmte Schule des Klosters Bergen
∥cd16. Auch hier herrschte noch damals der mystische Lehrton in öffentlichen Religionsvorträgen und mein Vater
|dXIII| ward sehr gerne gehört. In
|bIV| den theologischen Klassen
a17 lernten wir dagegen nach Dogmatik und Polemik Begriffe
/akunstmässig
d18 spalten,
a\ ∥a19 und bis in solche kleine Theile zergliedern, die nicht mehr mit dem blossen
a20 Verstande, sondern nur vermittelst dazu ganz eigentlich zugespitzter technischer Redformeln annoch gefaßt werden können. Dis
d21 hatte ich auch schon selbst so ziemlich gelernt, daß ich nachkünsteln konte,
ad22 aber das Geheimniß,
a24 aus allen Splittern wiederum ein richtig zusammenhangendes Ganze
cd25, einen vollständig deutlichen Sachbegrif
d26, zusam
|cVI[!]|menzusetzen, ward uns nicht beygebracht, und ist mir ein Geheimniß geblieben,
cd27 daher ich auch in der Folge diese ganze Kunst als für mich unfruchtbar aufgegeben habe. Wer mir einen deutlichen Begrif
d28 von einer Taschenuhr machen will, der zerlege mir solche in ihre merklich verschiedene grössern
a29 Theile,
cd30 und zeige mir diese einzeln von allen Seiten, und dann die Art der Zusammensetzung, so werde ich alles be
|aIV|greifen; wer aber die Räder in ihre Zähne zerspaltet,
a31 und aus jedem Stift noch neue Theile macht, der wird meine Vorstellung von der Uhr mehr verwirren,
acd32 als aufklären. Denn wie
/akan
d33 das,
a\ ∥a34 was in Staub zermalmet ist, als ein nach allen Theilen volkomnes
ad35 zusammenhängendes Ganze
cd36 übersehen werden. Möchten doch die scharfsinnigen Gelehrten sich der Grenzen
a37, wie weit jede Zergliederung der Begriffe
|bV| zweckmässig
ad38 ist, allezeit deutlich bewußt bleiben! wie viel
ad39 ängstliche Mühe würden sie ihren Schülern ersparen, wie viel reeller und praktischer würde das Erkentniß
d40 von vielen Wahrheiten seyn, worüber die Aufmerksamkeit durch so vielen Wortkram
d41 zerstreuet wird.
Die vortrefliche
d42 Anweisungen, welche ich dagegen in der Mathematik, Physik, Philosophie und den schönen Wissenschaften auf Bergen erhielt, brachten mir einen wahren Geschmack am Studiren und an der Lektüre bey. Ich
|dXIV| ward in die Gesellschaft einiger der geschicktesten Pädagogisten
|cV| aufgenommen, welche insgeheim eine auserlesene Bibliothek verbotener Bücher in einer Krankenstube, deren schwächlicher Bewohner der Haupteigenthümer derselben war, verborgen hielten. Hier laß
d43 ich unter andern auch die Schriften des Philosophen von Ferney; anfänglich mit grosser
a44 Beunruhigung und Aengstlichkeit, indem ich gern meinen bisherigen Glauben wider den Spötter vertheidigen wolte
ad45, und doch zum öftern gezwungen ward,
a46 ihm beyzustimmen
cd47: nach und nach mit immer grösserer
ad48 Begierde und Beyfall
cd49. Endlich kam es mit mir so weit,
|aV| daß ich deutlich einsah
ad50, ich müßte entweder den
bon sens verabschieden und auf den Gebrauch meiner eignen
d51 gesunden Vernunft auf immer Verzicht thun,
|bVI| oder aber mein ganz
d52 Religionssystem umändern
a53. Das erste war mir unmöglich,
a54 und also erfolgte nach vielem Kämpfen das letzte. Ich ward also ein theoretischer Freigeist
a55, behielt aber dabey
cd56 die mir durch meine Erziehung habituell gewordne Ehrfurcht gegen Gott und gegen die Stimme meines Gewissens bey
cd57.
Ich war bestimt,
ad58 der Nachfolger meines Vaters in der Direktion
a60 des Züllichauischen Waysenhauses zu werden. Diese Stiftung meiner Vorältern hat in ihrer vom Könige ertheilten Fundation das Privilegium erhalten, daß der jedesmalige
c61 Direktor
a62 seinen Nachfolger
/aderkennen
c63 kan
ad\ ∥ad64. Als der einzige Sohn meines Vaters hatte ich
|cVI| also bereits von an in den Posten desselben eine sichre
a65 Aussicht gehabt,
acd66 und mich an dieselbe gewöhnt. Da der Direktor
a67 des Waysenhauses nicht nothwendig zugleich Prediger an demselben oder
d68 überhaupt ein Theologe seyn muß, obgleich mein Vater beide
a69 Aemter verwaltet hat
a70, so machte ich meinen Entwurf dahin, daß ich blos auf die Erziehungskunst studiren,
a71 und mich äusserlich
a72 zur theologischen Fakul
|dXV|tät
a73 bekennen wolte
ad74, ohne mich eigentlich dem Predigtamte zu widmen.
Der damalige Abt des Klosters Bergen, der ehrwürdige Steinmetz, welchen ich nie ohne dank
|bVII|bare Hochachtung nennen werde, hatte schon ehedem, als er noch in Teschen stund,
ad75 eine sehr genaue Freund
|aVI|schaft mit meinem Vater errichtet, welche durch die Aehnlichkeit ihrer theologischen Denkungsart veranlasset, und durch ihr gemeinschaftliches Interesse gegen die Herrnhüther, die sich beider
a77 Begünstigung gerühmt
d78 hatten, noch mehr befestiget worden war.
Der Abt hatte daher meinem Vater die Pension für mich zur Hälfte erlassen,
a79 und mich dagegen unter diejenigen aufgenommen, welche ihm in den Abendstunden wöchentlich einmal vorlesen mußten. Aber selten ließ er mich vorlesen;
cd80 sondern er wandte die dazu ausgesetzte
d81 Stunden (weil ihm meine Bestimmung zum Vorsteher eines öffentlichen Erziehungshauses bekant
ad82 war,) größ
|cVII|tentheils dazu an, mich über das Schulwesen überhaupt,
a83 und insonderheit über die Pflichten und Klugheitsregeln bey der Direktion
a84 einer öffentlichen Anstalt zu unterrichten. Diesem
/adbekantlich grossen
ad\ ∥ad85 und erfahrnen Schulmanne habe ich die ersten Erweckungen zu dem
/aalgemeinen
d86 Vorsatz,
a\ ∥a87 mich den Erziehungsgeschäften überhaupt und ins Grosse
ad88 zu widmen, zu verdanken, weil ich frühzeitig einsehen lernte, wie viel hierin noch auszurichten möglich
/dsey. Der
d\ ∥d89 größte Theil meiner
|bVIII| Zeit und meines Nachdenkens ist diesem Studium seitdem gewidmet
/dgeblieben, und ich werde dem Publikum das Resultat meiner Untersuchungen und eignen Erfahrungen nächstens in meinem Entwurf zu einer mit jedem
c90 Grade der Aufklärung einer Nation sich vervollkommenden allgemeinen Verbesserung der öffentlichen Erziehung und des Schulwesens
/avorlegen, so bald es nur die sich mir näher andringende und unmittelbarere Amtsarbeiten verstatten werden.
c91a\ ∥a92d\ ∥d93
c* Anmerkung. Im dritten Heft der philos. Unterhaltungen ist der Anfang gemacht dieses Versprechen zu erfüllen; zum Theil auch in der Nachricht von der jetzigen Verfassung der Züllichauischen Erziehungsanstalten im Jahr 1786.c
|aVII| Nun bezog ich die Universität zu Halle. Hier war Baumgarten zu der Zeit das Orakel der Theologen. Ich bemerkte bald, daß die äussere
ad94 Lage dieses in so verschiedenen Fächern helldenkenden und scharfsinnigen Mannes ihn in seinen öffentlichen Vorlesungen und Schriften nöthige,
a95 |cVIII| |dXVI| dunkel zu bleiben und blos denen, die Fähigkeit hatten weiter zu forschen, die nöthigen Winke zu geben. Indes
d96 hofte ich ihn bey
c97 privat Unterredung
d98 offenherziger und freimüthiger
a99 zu finden. Ich setzte also meine wichtigsten Zweifel gegen das Christenthum auf, und übergab ihm solche mit dem Vorgeben, daß ein gewisser,
cd100 damals in Halle studirender Kavalier
a101, der als
/aFreigeist bekant
d102a\ ∥a103 war, mir solche vorgelegt hätte, ihm dieselbe aufzulösen, und ersuchte den Herrn
|bIX| /cdDokter
a104 darüber
cd\ ∥cd105 um einige Rathgebung
∥cd106. Herr Baumgarten sahe mein Blat
ad107 kaltblütig durch,
a108 und gab mir darauf zur Antwort: „sie müssen sich niemals mit einem Naturalisten über Religionsfragen einlassen, bevor er ihnen nicht seine Principien
ac109, was er für ausgemachte Wahrheit hält,
a110 schriftlich vorgelegt hat: denn
a111 die Herrn
a112 leugnen immer rückwärts, wenn sie in die Enge getrieben werden, und haben oft am Ende gar keine Principien
a113. Suchen sie ihren Freund dahin zu bestimmen, daß er ihnen das, was er in Absicht der Religion glaubt und für erwiesen hält,
a114 schriftlich aufsetze und unterschreibe: alsdann haben wir Principien
a115, wo wir anfangen und weiter fortbauen können, und wenn sie mir einen solchen schriftlichen Aufsatz bringen, so will ich ihnen eine Anleitung geben, wie sie weiter verfahren
|aVIII| sollen.“
/a– Ich
a\ ∥a116 eilte mit Freuden nach meiner Studirstube
a117, weil ich glaubte, nichts könte
ad118 leichter für mich seyn, als ein kleines System der Wahrheiten, die ich für unbezweifelt hielt, aufzuführen. Allein kaum
|cIX| fing
a119 ich zu arbeiten an, so ward ich gewahr, wie viel unbestimtes
a120 und unzusammenhangendes in meinen Begriffen und Meinungen war, und wie sehr es mir noch an der Fertigkeit fehlte,
a121 meine Gedanken für einen so scharfsinnigen methodischen Mann, wie Herr Baumgarten war, erträglich zu ordnen. Baumgarten starb etwa acht
|bX| Monat
a122 nachher, ehe ich mit meinem System fertig geworden war.
|dXVII| Aber unschätzbar ist mir demohngeachtet der Rath dieses grossen
ad123 Mannes geblieben. Ich ward dadurch erweckt, zeitig auf ein eignes System zu denken, und so schwer es anfangs damit hielt, einige Grundlage zu demselbigen zu machen, so habe ich doch in der Folge in mein ganzes Studiren frühzeitig Licht und Zusammenhang gebracht. Alles,
a124 was ich hörte und laß
d125, dachte ich in Beziehung auf mein System. Ich blieb mir immer bewußt, wie weit ich in der zuverlässigen
a126 Erkentniß
d127 gekommen wäre, und wo es mir eigentlich an Klarheit, Bestimtheit
ad128, Gewißheit der Begriffe und Hauptwahrheiten noch fehlte
a129: und so wuchs, wiewohl
a130 langsam, dennoch mein gelehrtes und scientivisches Erkentniß
d131 allmählig
a132 zu etwas Ganzem heran.
|aIX| Die Annäherung der feindlichen Kriegesheere
c133 in die Gegend von Halle nöthigten mich, um von meinem Vater nicht allzu lange abgeschnitten zu werden,
a134 nach Frankfurth zugehen
acd135. Hier fand ich an dem vortreflichen Töllner einen Freund und Va
|cX|ter, der mir bald so viel Zutrauen einflößte, daß ich ihm meine ganze Gemüthslage entdeckte. Ich wohnte bey ihm,
/aund
a\ speisete an seinem Tisch,
ad136 und war sein beständiger Begleiter auf allen seinen Spatziergängen.
|bXI| Er vertröstete mich wegen aller meiner Zweifel, daß wenn ich den ganzen Kursus
a138 der theologischen Disciplinen unter ihm machen würde, mir aus seinen Vorlesungen alles deutlich und gewiß werden solte
ad139, und erlaubte mir,
a140 ihm täglich gegen alles, was mir in seinem Unterricht
d141 zweifelhaft geblieben wäre, meine Bedenken zu
a142 eröfnen; wir disputirten demnach täglich. Ich lernte dabey ungemein viel, aber größtentheils war mein Nachgeben über so viele Hypothesen des Kirchensystems mehr die Wirkung der Ehrerbietung, die ein Schüler seinem Lehrer schuldig ist, als der gänzlichen Ueberzeugung; und Herr Töllner fühlte und bemerkte dis
d143 selbst nur allzuwohl
a144, ohne jedoch darüber un
|dXVIII|willig zu seyn. Bis an das Ende dieses würdigen Mannes haben unsre Dispüten, so wie unsre wärmste Freundschaft fortgedauert: aber meine ehrfurchtsvollste Dankbarkeit, wird nie,
a145 so lange ich lebe, gegen ihn werden.
|aX| Von Frankfurth ging
a146 ich nach Berlin, um als Lehrer an der vom Oberkonsistorialrath
a147 Hecker, meinem nachmaligen Schwager, gestifteten Realschule, die für so viele andre ein Muster geworden ist, das Vorzüglichste,
a148 wodurch sie sich unterschied, zu meiner weitern Bestimmung zu lernen
a149. Damals genoß
|cXI| Berlin noch nicht das Glück, daß die einsichtsvollern Prediger ihre Aufschlüsse öffent
|bXII|lich mitgetheilt hätten. Der freimüthige
a150 Sack war in Magdeburg, und die herrschende Denkart im Oberkonsistorium
a151 war unbestimt,
ad152 oder doch vor den Augen der Kandidaten
a154 ein Räthsel.
Von Berlin kehrete
a155 ich also nach Züllichau zurück,
a156 ohne in meiner theologischen Erkentniß
cd157 einen merklichen Anwachs des Lichts erhalten zu haben, ausser
a158 demjenigen, welches
d159 mir das Lesen besonders der Lockischen und Fosterschen Schriften verschaffet hatte. Diesen meinen zween Lieblingsautoren bin ich nicht nur viel
d160 materielle Aufschlüsse, sondern auch eine grosse
ad161 Verbesserung meines formalen Denkens überhaupt,
a162 und in der Theologie insonderheit schuldig. So weit war ich indes im System meines Religionserkentnisses
d163 bereits gekommen, daß ich aus der Geschichte der Gottesdienstlichkeiten unter Juden und Heiden deutlich einsahe, Jesus sey ein ausserordentlicher
a164 Mann von seltenen Talenten und seltener Rechtschaffenheit gewesen. Ich hielt mich an die
|aXI| ihm eigenthümliche und von seinem Liebling, dem Johannes, so oft relevirte
d165 Begriffe, daß Gott nur als Vater angesehen, nur geliebt nicht gefürchtet werden will
d166, für alle Umstände und kleinste Veränderung uns
|dXIX|res
a167 Lebens sorgt
d168, und blos durch Redlichkeit und wohlwollende Gesinnungen gegen andere unter dem frölichsten und vernünftigsten Genuß
d169 alles Guten in
|bXIII| der Welt
|cXII| von uns dankbar verehret werden will
d170. Die andern Apostel schienen mir alle etwas aus ihrem vorigen privat System
d171 übrig behalten und der Lehre Jesu beygemischt
cd172 zu haben. Wenn ich im alten Testament gelesen hatte, fiel mir allemal der Ausspruch Christi Joh. 10, 8.
a173 aufs Herz: alle die vor mir gewesen sind, sind Diebe und Mörder gewesen: und dieser schien mir so durchaus in seiner ganzen Ausdehnung wahr, daß alles in der mosaischen Religion nur auf Ausplünderung der einfältigen Juden angesehen
a174 gewesen sey, und diese arme Leute überdis
cd175 noch Todesangst und übertriebne Furcht vor dem Zorn Gottes,
a177 statt einiges Dankes,
a178 von den Priestern überkommen hätten. Nachdem ich aber nachher die Geschichte der Religionen sorgfältiger studiret, mich in die Lage Mosis, und in den ganzen Plan der theokratischen Regierungsform hineingedacht, und die Reden der Propheten,
a179 in Beziehung auf den Grad der Kultur
a180 der jüdischen Nation,
a181 nach ihrer nächsten begrenzten
a182 Absicht mir erkläret habe, so bin ich be
|aXII|stimt
ad183 worden, Christi Worten eine etwas gelindere Bedeutung zu geben, obgleich die Hauptbegriffe dieselben und völlig wahr bleiben, daß alle herrschende Religionsmeinungen unter den Juden
a184 den Menschen mehr Vortheile und Freuden des Lebens geraubt als gegeben, sie mehr geängstiget und in Schrecken gesetzt,
ac185 als beruhiget und mit Hofnungen
a187 erfüllet haben.
|bXIV| |cXIII| In meinem 32. Jahre bin ich mit meinem gesamten System über die Glückseligkeit und über die christliche Religion im Verhältniß gegen einander zu Stande gekommen, und habe mich auf eine feste Art überzeugt, daß der Geist der Anweisungen Christi ein göttlicher Geist ist
d188, und der gesamte Plan des Christenthums genau mit dem ganzen
|dXX| Plan
d189 Gottes in der Natur übereinstimt
ad190. Kein Trieb,
a191 mich durch Neuerungen in der Lehre nahmkundiger zu machen,
a192 hat mich verleitet,
a193 mit Bekantmachung
ad194 dessen, was ich etwa besser als andre zu erkennen glaubte, zu eilen. Ich wünschte vielmehr, daß manches schon vor mir von vielen gesagt wäre, was ich in dieser Schrift sagen mußte, weil die erste
cd195 /aBehauptungen, welche
a\ ∥a196 herrschenden Lehrmeinungen entgegen
/dgesetzt sind,
d\ ∥d197 selten eine günstige Aufnahme
/derwarten
/ckönnen, als etwa bey den Stillen im Lande
c\ ∥c198d\ ∥d199. Mein Wunsch ist auch zum Theil erreicht
d200, und sehr vieles ist seit 8 Jahren öffentlich gesagt
d201 worden, was nun nicht mehr unerhört
|aXIII| und ganz fremd klingen wird. Ich hatte mir aus der Ueberzeugung, daß auch unsre vollständig berichtigt scheinende Einsichten durch Erfahrung, durch Besprechung mit andern Gelehrten und durch Nachlesen, noch in immer höherm
d202 Grade gereiniget und bestimter
ad203 gemacht werden können, fest vorge
|bXV|nommen,
a204 vor dem vierzigsten Jahre meines Alters nichts wichtiges über die allgemeine Verbesserung in der Religion oder öffentlichen
|cXIV| Erziehung zu schreiben. Ich bin im verflossenen Herbst in mein 40tes
d205 Jahr getreten, und nun halte ich mich verpflichtet zu wirken, weil es Tag ist, und mit derjenigen Freimüthigkeit
a206, welche meine innre
d207 Ueberzeugungen von mir fordern, und wozu mein akademisch
/atheologisches Lehramt,
a\ ∥a208 und der ausdrückliche Auftrag meiner Obern mich berechtiget und verpflichtet, das ganze Resultat meiner mehrjährigen gewissenhaften Nachforschung nach Licht und Wahrheit dem Publikum vorzulegen. Ich habe in den letztern acht Jahren keinen Hauptbegrif meines Systems zu verändern nöthig gefunden, aber wohl
a209 hat mich das unschätzbare Wörterbuch des Herrn Oberkonsistorialraths
a210 W. A. Teller
ad211 in den Stand gesetzt, viele Stellen der apostolischen Schriften, die ich ihrer Dunkelheit wegen dahin ge
|dXXI|stellet lassen seyn mußte, dem Geist
d212 der Religion Jesu anständig zu finden,
a213 und nach ihrer wahren Abzweckung besser zu erklären.
|aXIV| Ich habe ehedem niemals darauf gedacht,
a214 ein akademischer Lehrer zu werden. Meine Aussicht ging dahin, die Züllichauische
c215 Erziehungsanstalten zu einer allgemeinen Normalschule zu erwei
|bXVI|tern, auf welcher Schulmänner zur wahren Aufklärung der Nationen,
ad216 für alle Gattungen
a218 der Schulen,
a219 ausgebildet werden könten
ad220. Hierzu machte ich die Voranstalten unter der Hofnung
a221 einer sehr grossen
a222 Unterstützung. Meine Plans wurden von des Herrn Etatsministers
/dFreyherrn
d\ |cXV| von Münchhausen Excellenz, als meinem damaligen höchsten Chef, so wie nachher von meinem jetzigen Chef des Herrn Geheimen Etatsministers Freyherrn von Zedlitz Excellenz durchaus gebilliget und ihre Ausführung unterstützt: ja Se. Königl.
d223 Majestät ertheilten Höchstselbst mir die allgemeine Postfreiheit
acd224 zur Korrespondenz
a225 über das allgemeine Schulverbesserungswesen in ihren sämtlichen Ländern. Allein mein Vermögen ward erschöpfet, ehe die bequeme Zeit zur Ausmittelung eines hinlänglichen Fonds eintrat; und man muß abwarten bis anderweitige Bedürfnisse des Staats solche verstatten werden. Um indes
d226 meinen Geschäftskreiß zu erweitern, ward mir das akademische Lehramt hieselbst mit Beybehaltung
c227 meiner bisherigen Aemter übertragen.
/dWegen des allgemeinen Schulverbesserungsplans werde ich die Erwartung des Publikums nächstens durch Vorlegung desselben befriedigen. Die Hauptidee dabey ist diese,
|aXV| daß zwischen dem gelehrten Stande, als dem denkenden Kopf, und den ar
|bXVII|beitsamen Ständen, als den Händen am Staatskörper,
a228 die jetzt fast gänzlich fehlende nähere Verknüpfung hervorgebracht werden muß.
d\
Man wird schon vermuthen, daß ich mir auch bey dem Plan
d229 über meine akademische Arbeiten eine neue Bahn gebrochen haben werde. Da ich mehrere Jahre hindurch in allerley Geschäften des bürgerlichen Lebens und auf vielerley
|cXVI| Feldern desselben geübt worden bin, so habe ich die Welt von
/dviel
d\ mehreren Seiten kennen gelernt, als sie aus dem Fenster der Studirstube betrachtet werden kan
ad230; und hierdurch hat allerdings meine auf Schulen eingesamlete
d231 Gelehrsamkeit eine grosse
ad232 und allgemeine Reform erleiden müssen. Wie vieles lernen wir noch, was uns im geschäftigen Leben ganz unnütz
d233 bleibt! wie vieles solten
ad234 wir frühzeitig lernen
d235 und üben, wozu uns kein Lehrer eine Anweisung giebt!
Die Theologen studiren gewöhnlich gerade so,
a236 als ob sie nur um andrer
d237 Theologen willen in der Welt wären, und doch ist unleugbar, daß sie nur um derer willen da sind, die nicht Theologie studirt
d238 haben. Einem Prediger gehet in der Welt kein andrer Theologe etwas an, sondern er ist um seiner Gemeine willen da, und wenn er diese ruhi
|bXVIII|ger, zufriedner
d239, weiser macht, so erfüllet er seine Bestimmung. We
|aXVI|der er noch seine Gemeine verliert oder gewinnet
a240 dabey etwas, daß die Wahrheiten,
a241 welche er vorträgt, von andern Theologen eben so oder anders gedacht werden;
d242 schon lange oder erst seit
/akurzem erkant
d243a\ ∥a244 worden sind. Doch ich breche hier ab,
a245 und behalte mir vor,
a246 in einigen Nachträgen zu dieser Schrift
cd247 theils über meine bisherige anonymische Kleinigkeiten, theils über den Plan meines akademischen Unterrichts, theils über den Gebrauch dieser Schrift noch manches zu sagen, da
|cXVII| die Messe mich übereilt
d248 hat, diese Schrift zu ihrer ganzen Bestimmung zu vollenden.
Nun noch eine vorläufige Bitte an meine Leser, die ich in drey Klassen
a249 eintheile:
- 1. an die, welche mich an Einsichten übertreffen und mich beurtheilen können: Sie, theureste Männer,a250 ersuche ich in meiner Schrift auf zwey Punkte vorzüglich aufmerksam zu seyn, und mich,a251 was sie darüber besseres erkennen,a252 zu lehren:
- was menschliche Glückseligkeit sey? denn hiervon hängtd253 doch unleugbar das Urtheil ab, ob ein Weg dazu führe oder nicht? |dXXIII|
- ob eine wahre göttliche Offenbarung/a, sofern sie allgemein seyn soll,a\ etwas Positivesa254 |bXIX| enthalten könne;a255 oder, ob in Gottes Gesinnungen, Vorschriften und Strafen etwas Willkührlichesa256 statt haben könne? wie viel hiervon abhängt,ad257 darf ich Ihnen nicht sagen. |aXVII|
- 2. an die, welche Unterricht und Licht suchen: Sie bitte ich, Freunde der Wahrheit, diese Schrift nicht blos zu lesen, sondern ganz eigentlich zu studiren. Ich habe vieles zusammengedrängt,a259 und wünsche daher,c260 daß sie oft mitten im Paragraphen absetzen, und erst das Gesagtea261 umständlicher überdenken möchten, ehe sie weiter lesen, auch daß sie das Aufschlagen der Sprüche nirgends verabsäumen woltenad262. |cXVIII|
- 3. an diejenigenc264, welche glauben, daß jede Abweichung vom Kirchensystem ein Verbrechen sey: Sie, Freunde des Herkommens, habe ich zu bitten, daß sie Gott und denen obrigkeitlichen Personen, welchen es allein zukomtad265 zu richten, nicht vorgreifen und sich erinnern, daß eigentlich der Protestantismus im Gegensatz des Pabstthums darin bestehetd266: daß die heilige Schrift die einzige Erkentnißquelled267 und Schiedsrichterin in der christlichen Religion seyn solle, und daß keine menschliche Autorität die Auslegung derselben einzuschränken berechtiget sey. Ich kenne keinen andern Grundsatz, |bXX| der eigentlich symbolisch wäre,a268 als diesen, und also muß ich als Protestant, als Theologe, als Professor, der mit Luthern schlechterdings gleiche Rechte hat, nothwendig so lehren, wie ich,a269 beym gewissenhaften Gebrauchd270 aller jetzt vorhandnencd271 Auslegungsmittel,a272 den Unterricht Christi und der Apostel verstehe. Eine |aXVIII| Wahrheit kanad273 dadurch, daß dieser oder jenerc274 sie denkt oder nicht denktd275, daß sie schon von vielen oder noch ∥d276 wenigen /derstd\ gesagt ist, an sich keine Abänderung erleiden.
a4. an alle, daß sie vor Durchlesung des Buches die Druckfehler welche am Schlusse bemerkt werden sollen vorher verbessern, weil manche den Verstand einiger Stellen verderben. Da ich nur die ersten acht Bogen abgedruckt gesehen habe, so bitte ich sogleich darin folgende Hauptfehler zu verbessern:
Seite |
Zeile |
Anstatt |
lese man |
3, |
19. |
und Philologie |
um Philologie |
24, |
22. |
überwege |
überwiege |
27, |
25. |
intensirer |
intensiver |
29, |
17. |
das geringste |
als das geringste |
31, |
1. |
erhalten |
überkomme |
– |
13. |
und damals |
uns damals |
72 |
letzte Zeile. |
durch Ueberzeugung |
die Ueberzeugung |
91, |
4 von u. |
welcher |
welche |
94, |
4 v. oben |
und also |
und ihnen also |
101, |
20. |
beträgt |
beyträgt |
104, |
25. |
ein Gegensatz |
im Gegensatz |
113, |
2 von u. |
Dispotion |
Disposition |
120, |
4–5 von u. |
ge-samen |
gehorsamen |
– |
letzte Zeile |
aufgehoben |
aufgeschoben |
127, |
letzte Zeile |
steige |
steigta |
/a|b[XXI]| |c[XIX]| |d[XXIV]| |z[I]| Fortsetzung der Anrede
an das lesende Publikum bey der
zweitencd1 Auflage von 1780.
Bey der ersten Ausgabe dieser Schrift ward ich durch die bereits eingetretene Buchhandlungsmesse genöthiget, in meiner Anrede ans Publikum da abzubrechen, wo man vielleicht noch eine bestimtere
d2 Erklärung über meinen eigentlichen Zweck bey dieser Schrift erwartet hatte. Ich glaubte indes
d3, daß der deutliche Titel
d4 des Buches, nebst dem, was in der Einleitung
z5 und
§. 80 , unmittelbar vor Aufführung des eigentlichen Systems, gesagt worden war, hinlänglich seyn würde, meine wahre Absicht und ihre Grenzen ins Licht zu setzen. Hierin habe ich mich geirret. Der Titel, den ich für sehr verständlich hielt, hat selbst einigen Predigern räthselhaft geschienen, und der Zweck des Ganzen ist von noch mehrerern gänzlich verkant
d6 worden. Ich muß mich also über beides
cd7 erklären.
Ich nehme auf dem Titel alle Worte in ihrer eigentlichsten und gemeinsten Bedeutung. Unter
Philosophie verstehe ich, der Abstammung
|cXX| des
|bXXII| |zII| Wortes gemäß, Studium der Weisheit und als Gegenstand der Erkentniß
d8 betrachtet, wie sie ein Buch enthalten kan
d9, Weisheitslehre. Da nun wahre Weisheit die Wissenschaft ist, sein Daseyn möglichst zu benutzen, so sind
Philosophie und
Glückseligkeitslehre gleichbedeutende Ausdrücke, in sofern man
|dXXV| blos auf den
Inhalt (oder das Materiale) siehet: und darum ist das letztre
d10 Wort dem erstern zur Erklärung beygefügt
cd11. Allein Philosophie bezeichnet noch überdis
d12 die Art und Weise des Erkennens. Ein jeder denkt sich, dem allgemeinen Sprachgebrauch
d13 nach, ein
gelehrtes Erkentniß
d14 aus
innern Wahrheitsgründen darunter, und setzt ein philosophisch Erkentniß
d15 dem blos historischen entgegen. Eben so ist
System in der gebräuchlichsten Bedeutung genommen worden; denn alle Gelehrten verstehen darunter einen zusammenhängenden Vortrag sich auf einander beziehender Wahrheiten, darin zuvörderst die Grundbegriffe entwickelt
z16, und hernach die Sätze so zusammengeordnet werden, daß ihre Begründung in einander,
z17 und ihre Zusammenstimmung zu einem Ganzen
d18 deutlich übersehen werden kan
d19.
Ein
System der Christenthumsphilosophie ist also ein solcher bündiger Vortrag der von Christo ertheilten Anweisungen zu höherer menschlicher
|bXXIII| |zIII| Glückseligkeit, woraus derselben innre Wahrheit und hinlängliche Vollständigkeit,
|cXXI| unabhängig von Geschichte, deutlich erkant
cd20 werden kan
d21. Dieses verspricht also der Titel des Buches, und mich deucht, daß der Inhalt desselben das Versprechen erfüllet.
Die Personen, für welche ich eigentlich die Schrift aufgesetzt habe, bestimt
d22 der Titel ebenfals
d23 genau. Es sind überhaupt nur solche, die
Bedürfnisse in Absicht der Religion haben, und die sich also durch den gemeinen
cd24 Kirchenvortrag nicht befriediget fühlen; und unter diesen zunächst meine
aufgeklärte Landesleuted25, die bey
c26 der Freiheit im
/ddenken, sprechen
d\ ∥d27 und schreiben
d28, die in unsrem Vaterlande herrscht, von der Anhängigkeit an unverständliche Wortformeln und gelehrtklingenden Unsinn entwöhnt
d29 worden sind, und nicht Deklamation, sondern klare Sach
|dXXVI|begriffe und gründliche Einsichten in Religionsvorträgen verlangen, durch welche sie in Stand gesetzt werden, ihr Gemüth gegen die herrschenden Zweifel und gemeinen Einwürfe wider das Christenthum zu bevestigen. Ferner habe ich auch andern,
die nach Weisheit fragen, nützlich werden wollen. Diese Redensart ist aus Luthers Bibelübersetzung 1 Cor. 1, 22. entlehnt, wo Paulus den abergläubigen Juden, die immer Zeichen und Wunder sehen wolten
cd30, die gelehrtern Grie
|bXXIV||zIV|chen, die Vernunftgründe zum Beweise eines Religionsvortrages verlangten, entgegensetzt
c31. Herr Sack hat auch in der Vorrede zur letztern Ausgabe
|cXXII| seiner Schrift: Vertheidigter Glaube der Christen; deutlich gezeigt, wie diese Verschiedenheit der doppelten Denkart noch unter unsren Zeitverwandten statt finde, und sich dabey
c32 der nemlichen Ausdrücke bedient. Endlich hatte ich mich zum Ueberfluß selbst
cd33 §. 80. der ersten Auflage, ausführlich darüber erklärt
d34, was für Leser ich unter denen verstehe, die nach Weisheit fragen. Ich bin daher nicht wenig erstaunt, daß selbst Prediger auch diese Ausdrücke für räthselhaft gehalten und mißgedeutet haben. Ich erkläre demnach hiermit aufs bestimteste
d35, daß ich unter Leuten,
cd36 die nach Weisheit fragen, nur solche verstehe, welche
erstlich Weisheit suchen, das ist: die Religion nicht
cd37 wie viele Theologen ihre Dogmatik, als eine spekulative Wissenschaft und Gedächtnißwerk studiren wollen, sondern nach einer praktischen Anweisung zu wahrer Gemüthsruhe und Heiterkeit der Seele und einer erhöheten Thätigkeit in Ausübung aller göttlichen Tugenden sich sehnen: und
zweitensd38 nicht durch Nachrichten von ehemals geschehenen Wundern, deren Glaubwürdigkeit sie in ihrer Lage hinlänglich zu prüfen weder Hülfsmittel noch Muse
d39 genug ha
|bXXV||zV|ben, sondern durch immer fortdaurende innre Merkmale der Wahrheit überzeugt seyn
c40 wollen.
|dXXVII| Und so glaube ich denn nun den vollen Verstand von dem Titel meines Buches so vorbuchstabiret zu haben, daß wenigstens die meisten von de
|cXXIII|nen, die ihn vorher nicht verstehen konten
d41, nunmehro klar einsehen werden, wie sie selbst gar nicht unter die
d42 Klasse des lesenden Publikums gehören, für welche ich diese Schrift ausgearbeitet habe.
Ehe ich den
Hauptzweck dieser Schrift, in Beziehung auf die besondern Bedürfnisse der jetzigen Zeit, völlig ins Licht setzen kan
d43, muß ich zuvörderst die
Veranlassung erzählen, wodurch ich bestimt
d44 worden bin, die Hauptwahrheiten des Christenthums in der Form und unter dem Namen eines Systems vorzutragen, und diese Schrift vor allen meinen übrigen Lehrbüchern, die ich nach und nach in Druck zu geben gedenke, zuerst bekant
d45 zu machen. Man hat vom Melanchton
d46 an in unsrer Kirche, besonders auf Akademien, einen systematischen Vortrag der Theologie für den vorzüglichsten gehalten, und die mehresten haben sich dieser Lehrart bedient. Seit Wolfs Zeiten ist
/dso gar
d\ ∥d47 eine der mathematischen sich möglichst nähernde Methode empfohlen worden, und Vorgänger im akademischen Lehramt
d48, der verdiente Töllner, hat eigne Traktate darüber ge
|bXXVI||zVI|schrieben, in welchen er zu beweisen suchte, daß die strenge scientivische Lehrart zum Vortrage sämtlicher theologischen Disciplinen die beste und die einzige wahre zur Beförderung gelehrter Einsichten sey. Andre neuere Theologen sind dagegen der Meinung, daß die systematische Methode die allerunschicklichste und schädlichste beym
cd49 Vor
|cXXIV|trage des christlichen Lehrbegrifs sey. Ihre Gründe sind:
- 1. weil die meisten Materialien, woraus man das Lehrgebäude künstlich zusammensetzt, noch einer genauern Bearbeitung und aus dem rohen und zum Theil vermorschten Stückwerkd50 des überlieferten Erkentnissescd51 |dXXVIII| kein festes Gebäude, welches den Bestürmungen der Freigeister Widerstand thun könted52, aufzuführen möglich sey.
- 2. weil diejenigen, welche ein solches System des Christenthums,cd53 als einen Inbegrif erwiesener göttlicher Wahrheiten,cd54 von ihrem akademischen Lehrer angenommen hätten, sich nachher nicht wagten, etwas daran zu bessern; aus Beysorgecd55, daß das Ganze die Haltung verlieren möchte, wenn man einen Begrif oder Satz herausnehmen und abändern wolted56.
- 3. weil hieraus weiter bey den Verehrern eines Systems, /cdso baldcd\ ∥cd57 ihnen die Untauglichkeit oder Unzuverlässigkeit einer oder der andern menschli|bXXVII||zVII|chen Hypothese, die das Lehrgebäude zusammenhalten hilft, von einem gelehrten Gegner dargethan wird, /cdincd\ Aengstlichkeit /cdwegen der gesamtencd\ ∥cd58 Religion /cdgerathen; undcd\ ∥cd59 entweder auf Köhlerglauben und blinden Eifer verfallen,cd60 und sich selbst alles weitere Nachdenken und Lesen versagen, um nur Zweifel zu vermeiden; oder aber in völligen Unglauben und Freigeisterey |cXXV| gerathen, weil ihr System alle Haltung verloren hat.
Aus diesen Gründen halten nun viele angesehene eine historische
cd61 Lehrart beym Vortrage der Theologie für nützlicher. Nach dieser werden bey
c62 jedem Lehrartikel und wichtigem Satze alle verschiedene Meinungen erzählt, die jemals in der Kirche darüber aufgekommen sind, und die Gründe, womit jede Parthey ihre Behauptungen unterstützt hat, vorgelegt. Man überläßt sodann den jungen Theologen, aus diesem Reichthum
d63 der Materialien sich selbst das Beste zu wählen, und daraus ein Lehrgebäude zu erbauen, wie es ihren übrigen Einsichten zusagt. Diese Methode hat offenbar den Vortheil, daß sie mehr zum eignen Nachdenken erweckt, und die Studi
|dXXIX|renden auf den Weg des Weiterforschens führt
d64, um nach und nach immer vollkomnere
d65 und zuverlässigere Einsichten durchs Lesen der besten Schriften, durch
∥cd66 Reflexion, und
|bXXVIII| |zVIII| durch Aufmerksamkeit auf Erfahrungen sich selbst zu erwerben. Auch bereitet diese historische Vortragsart zur Klugheit im Lehramt
d68 näher vor, daß es dem Prediger nachmals leichter wird, allen allerley zu werden, wodurch unleugbar mehrere gewonnen werden, als durch systematische Unbiegsamkeit des Geistes. – Ueberdis
d69 ist auch der akademische Lehrer selbst gegen die unartigen Beschuldigungen der Irrgläubigkeit bey dieser
|cXXVI| historischen Methode mehr gesichert, indem er blos
Facta erzählt, daß nemlich diese und jene Meinung in der Kirche vorgetragen worden sey, ohne dogmatisch festzusetzen, ob die unterdrückte und herrschend gebliebene Parthey die Wahrheit auf ihrer Seite gehabt habe.
Allein so vorzüglich sich diese Lehrart von der bisher betrachteten Seite empfiehlt, so fehlt
d70 es doch nicht an sehr scheinbaren Gegengründen, woraus man sie von einer andern Seite für nachtheilig und fehlerhaft zu erklären sucht. Man wendet nemlich ein, daß diese Methode nur für diejenigen Studirenden von wahrem Nutzen seyn könne, welche einen guten Kopf, vielen Fleiß, und hinlängliche Hülfsmittel vereint besässen
d71, und nach den Universitätsjahren noch eine geraume Zeit Muse
d72 zum eignen Studiren
/dgeniessen könten
d\ ∥d73, ehe sie sich als Lehrer der Jugend oder des Volks dürften anstellen lassen. Diese würden allerdings
|bXXIX| |zIX| durch die Einleitung in den Weg der freimüthigen Untersuchung und des Weiterforschens vorzüglich brauchbare Männer werden. Allein der
/dweit grössere
d\ ∥d74 Theil der mittelmässigen
d75 Köpfe unter den Studirenden sey schlechterdings unfähig, sich selbst ein System zu formiren, und werde durch die Menge der Gründe und Gegengründe für jeden Lehrsatz nur in Verwirrung ge
|dXXX|setzt, so daß schwache Köpfe lebenslang in ihrem Lehrbegrif unbestimt
d76 und schwankend bleiben, wo nicht
|cXXVII| gar allgemeine Zweifler werden würden. Ueberdis
d77, sagt man, müssen ja die mehresten Theologen so gleich
/cdvon
cd\ ∥cd78 der Universität das Amt der Jugendlehrer antreten, und wie können diese im Christenthum
d79 unterrichten, wenn sie selbst noch nicht mit sich eins worden
cd80 sind, was sie glauben und lehren sollen.
Ausser diesen vernünftigen Gegnern der historischen Methode, die sie durch scheinbare Gründe zu bestreiten suchen, giebt es noch andere Eiferer, welche mit Ungestüm einen verdienstvollen Semler und andre
d81 Aufklärer der historischen Theile der Gottesgelehrsamkeit beschuldigen, daß sie mehr niederreissen,
cd82 als baueten, mehr Zweifel erregten, als Ueberzeugungen
d83 beförderten, und
/dwol selbst,
c84d\ ∥d85 überall kein System haben möchten!
|bXXX| |zX| Sehet da, meine Leser, die Veranlassung, welche mich bestimt
d86 hat, ein System der Christenthumsphilosophie meinen übrigen Schriften voraus zu schicken. Denn auch ich gehöre zu denen, welche die historische Lehrart überall, wo es auf Meinungen ankomt
d87, wie bey dem kirchlichen Lehrbegriffe, für die allein zweckmässige
d88 halten, durch welche am sichersten die Berichtigung des Fehlerhaften befördert werden kan
d89; und ich bediene mich daher auch derselben beym akademischen Vortrage der Glaubenslehren. Zugleich aber befinde ich mich in der glücklichen
d90 Lage der Unabhängigkeit nach allen meinen äussern
|cXXVIII| Verhältnissen und Wünschen, daß ich mich nicht scheuen darf, mein eignes System der Welt vorzulegen.
Und nun kan
d91 ich den
Hauptzweck und zwiefachen
Nebenzweck dieser Schrift deutlicher angeben. Ich habe durch dieselbe
zunächst meinen theologischen Zuhörern, und dann auch andern jungen Gottesgelehrten, die Grund
|dXXXI|lagen zu einem förmlichen Lehrgebäude über das Christenthum liefern wollen, worauf sie sich nun theils selbst ein eignes System aufführen, theils mehrere nach den Bedürfnissen ihrer künftigen Kirchkinder formiren können. Sie finden die allgemeinsten und wesentlichsten Lehrwahrheiten von §.
81 –
84. so vorgetragen, wie sie in der ganzen Christenheit angenommen werden, nur daß
|bXXXI| |zXI| jede Parthey von dem ihrigen etwas hinzusetzt, welches eben daher, weil es nicht allgemein ist, auch zufällig bleibt. Sie haben also zuvörderst doch etwas feststehendes, woran sich nun das andre, was sie durch Lesen, Nachdenken, und eigne Erfahrungen weiter erkennen, anschliessen kan
d92. Und übrigens ist die ganze Schrift dazu eingerichtet, daß sie aus derselben auch erlernen können, wie sie die Materialien nach ihrer verschiedenen Brauchbarkeit sortiren, und nach Verschiedenheit der Gemüthslage und Vorerkentnisse
d93 ihrer Zuhörer zur Erbauung anwenden können.
Hiernächst habe ich noch zwey andre Zwecke mit dieser Schrift zu erreichen gewünscht.
|cXXIX|
- 1. Ich habe mir ein bequemes Lehrbuch verschaffen wollen, über welches ich akademische Vorlesungen über das Christenthum für diejenigend94 Studirendenc95, die sich nicht der Theologie widmen, halten köntecd96. Es ist doch gewiß, daß jeder Gelehrte durch die mehrere Uebung seiner Geisteskräfte, in welcher besondern Wissenschaft es auch immer sey, eine grössered97 Fähigkeit zu einem weit /dvollkomnern Religionserkentnissec98d\ ∥d99, als für gemeine Christen hinlänglich ist, erlangtd100; und daß hiermit auch ein würklichescd101 Bedürfniß für Studirende entsteht, sich um gelehrtere Einsichten und wissenschaftlichere Erkentnissed102 von der Glückseligkeitslehre zu bemühen, |bXXXII| |zXII| indem sie sonst bey Entdeckung des Groben und Irrigen in der gemei|dXXXII|nen Volksreligion in Zweifel und Gemüthsunruhen,cd103 wegen ihrer Hofnungend104 und wegen der besten moralischen Grundsätze des Lebens gerathen. Nun haben die mehresten unter den angehenden Gelehrten keinen weitern zusammenhängenden Religionsunterricht vor den Universitätsjahren genossen, als welchen man ihnen im katechetischen Unterricht,cd105 und in den niedern Schulen, nach den eingeführten kirchlichen Lehrbüchern mit dem grossend107 Haufen der gemeinen Jugend zugleich ertheilet hat. Gesetzt nun auch, welches doch bey wenigen anzunehmen ist, daß dieser Unterricht so vollkommen gewesen wäre, als es nur immer ihre Fähigkeiten und Vor|cXXX|erkentnissed108 in frühern Jahren verstattet haben, so vergrössernd109 sich doch diese beym Studiren der philosophischen Disciplinen und der Realwissenschaften auf der in kurzem dergestalt, daß sie gegen das Ende der akademischen Jahre zu einem weit vollkomnernd110 und mehr gelehrten Erkentnißd111 der Religion nicht nur fähig werden, sondern dergleichen auch würklich schon zu bedürfen anfangen, wenn sie nicht in Scepticismusd112 oder Leichsinncd113 verfallen sollen. Hierzu komtd114 noch die Betrachtung, daß unter den Studirenden, die sich der Rechtsgelehrsam|bXXXIII||zXIII|keit widmen, sich viele befinden, die nachher in obrigkeitlichencd115 Aemtern die Aufsicht über Kirchen und Schulen erhalten, und an dem Berufungsrecht der Prediger Theil nehmen, folglich auch in dieser Aussicht weit deutlichere Einsichten in die Verhältnisse des kirchlichen Lehramtsd116 gegen das Wohl des Volks, und ∥cd117 die erforderliche Hauptgeschicklichkeit eines öffentlichen Lehrers der Weisheit und Glückseligkeit sich zu erwerben nöthig haben. In dieser Beziehung habe ich im fünften Abschnittd118 den grossend119 Nutzen der christlichen Lehrvorträge bey einer zweckmäßigenc120 Einrichtung derselben, |dXXXIII| mehr in Beziehung auf das gemeine Volk,cd121 als auf einzelne Personen, ins Licht gesetztc122 und entwickelt.
- 2. Endlich habe ich auch den edlern Theil des lesenden Publikums, welcher einsiehet, wie |cXXXI| unentbehrlich jedemc123 denkenden Menschen deutliche und /dzuverlässige Erkentnissed\ ∥d124 von dem Regierungspland125 der Weltbegebenheiten und von unsrer wahren Bestimmung sind, wenn man unter allen Abwechselungen des Lebens und bey dem Ausgange aus demselben,c126 Heiterkeit und Standhaftigkeit des Geistes beybehaltencd127 will, durch diese Schrift aus den Verwirrungen heraushelfen wollen, welche durch so viele neuere Schriften über die Religiond128 |bXXXIV| |zXIV| und durch die widersprechenden Behauptungen der Theologen für alle diejenigen veranlasset werden, die das Wesentliche und das blos Zufällige in der Glückseligkeitslehre des Christenthums nicht von einander scheiden können. Freilich habe ich für diese höchstschätzbare Klasse meiner Leser nicht so viel, als ich wolcd129 zu thun gewünscht hätte, leisten , alscd130 ich durch die /cdzwey ersterncd\ ∥cd131 Absichten, die ich, meinen /cdeigentlichencd\ Berufspflichten nach, vorzüglich zu erreichen suchen mußte, eingeschränkt ward. Ob ich aber nun gleich manches in dieser Schrift gesagtd132 habe, was Leser, die mit der Schulgelehrsamkeit unbekantd133 sind, nicht völlig verstehen können, und manches von mir nicht gesagt worden ist, was viele Wahrheitsforscher vielleicht darin noch zu lesen wünschen möchten, so wird doch dieses Buch vielen selbstdenkenden Freunden der Religion manche Zweifel gegen das Christenthum benehmen, und ihnen zur Formirung eines eig|cXXXII|nen Systems über die christliche Glückseligkeitslehre zu ihrem eignen Gebrauchd134 nützliche Dienste leisten können. Ein akademischer Lehrer muß sich darauf einschränken, die Hauptbegriffe |dXXXIV| zu entwickeln und Grundrisse zu liefern; die weitere Ausführung, Anwendung und Belebung der Religionswahrheiten ist die Berufspflicht der Prediger. Solted135 mir |bXXXV| |zXV| indes noch künftig, nach Vollendung der sich mir näher andringenden Arbeiten für die hier /dStudirende, Mused\ ∥d136 und Gesundheit übrig bleiben, für das allgemeinere lesende Publikum etwas auszuarbeiten, so werde ich es für die angenehmste und edelste Beschäftigung ansehen, eine Erbauungsschrift für meine denkende Zeitverwandten, zur Belebung der Wahrheiten zur Glückseligkeit in ihrem Gemüthd137, anzufertigen.
Nachdem ich nun den Hauptzweck und die doppelte Nebenabsicht, welche ich bey
c138 Ausarbeitung meines Systems vor Augen gehabt, selbst angegeben habe, so ist es unnöthig, die falsche
d139 Absichten, die man aus Mißverstand mir beygemessen
c140 hat, weitläuftig zu widerlegen. Ich habe gar nicht zur Absicht, das Kirchensystem der Lutheraner oder die symbolischen Bücher abzuändern. Ich lasse diese Policeygesetze, welche äussere Gerechtsame begrenzen, so wie Christus Mosis palästinische Landesgesetze, stehen, und wer
|cXXXIII| von meinen theologischen Zuhörern darwider redet, und die Kirchengesetze dadurch übertritt, den erkläre ich für einen unächten und mißrathenen Zögling von mir. Meine Schrift enthält die Philosophie des
Christenthums und nicht des
Lutherthums. – Indes gestehe ich, daß einige Worte in meiner Dedikation
d141 an des Herrn Geheimen Etatsministers Freyherrn
|bXXXVI| |zXVI| von Zedlitz Excellenz eine Zweideutigkeit
d142 enthalten, die ich beym
c143 Niederschreiben nicht wahrgenommen hatte, und daß diese allerdings dahin gedeutet werden können
cd144, als ob ich auf eine äussere
d146 durch obrigkeitliche Befehle hervorzubringende Reform des kirchlichen Lehrbegrifs mein Absehen gerichtet gehabt hätte. Ich sage nemlich in der Zuschrift: Die höhere Genehmi
|dXXXV|gung meines System
cd147 von Seiten des hohen Departement
d148 der geistlichen Sachen im Königl. Etatsministerium, dem nur allein in den königlichen Staaten
das oberrichterliche Amt, was zum Besten der Nation
öffentlich gelehret werden darf, zukomt
d149, würde mir zur weitern Aufmunterung gereichen. Man hat diese Worte dahin auslegen wollen, als ob ich behauptete, das geistliche Departement könne nach Willkühr den öffentlichen Lehrbegrif, so oft es ihm beliebte, abändern;
cd150 den privilegirten symbolischen Glauben verbieten, und einen andern anbefehlen. Eine solche Erklärung meiner Worte konte
d151 mich nun wol
c152 nicht von Leuten befremden, die durch ähnliche Auslegungen der Bibel
|cXXXIV| eine Fertigkeit erlangt
d153 haben, Worten ohne Rücksicht auf Zusammenhang und Zweck eine Deutung zu geben, wie sie zu ihren angenommenen Meinungen und Absichten paßt: denn sonst sagt schon der Titel, und der ganze Inhalt bestätiget es, daß ich nicht ein System
fürscd154 Volk,
|bXXXVII| |zXVII| sondern blos
fürcd155 selbstdenkende Zeitverwandten geschrieben habe. Ueberhaupt aber wäre es doch wol die auslachenswürdigste
cd156 Idee, welche ein Mann in
∥cd157 Verhältnissen je haben könte
d158, wenn ich mich überredete, daß in den
preussischend159 Staaten, wo der Schwärmer, der Orthodoxe
cd160, der selbstdenkende Christ, und der Freigeist glauben, reden und schreiben können, was sie wollen, und gleiche Bürgerrechte behalten, eine allgemeine Lehrvorschrift zwangsweise eingeführt werden würde, wenn ich bey dem geheimen Etaatsministerium
cd161 darauf anzutragen versuchte. So ungesund erscheint mein Verstand doch im ganzen Buch
d162 nicht!
Ich will indes nach dem unstreitigen Kanon, daß jeder der beste Ausleger seiner Worte ist, den Sinn und Zweck der gerügten Stelle paraphrasirt
d163 vorlegen. – Hier ist er:
|dXXXVI| „Gnädiger Chef, ich sehe vorher, daß gar viele Kleinmänner gegen mich aufstehen, und ein kleinpäbstlich Tribunal über mich errichten möchten. Allein ich erkenne blos Ew. Hochfreyherrl. Excellenz für meinen Richter, ob der Inhalt meiner Schrift nicht öffentlich gelehret werden dürfe. Dieses schreibe ich hier indes nicht,
|cXXXV| um Ew.
d164 Hochfreyherrl. Excellenz willen, sondern die unberufne
d165 Fiskäle und Richterlein zu erinnern, daß sie es sich nicht etwa arrogiren sollen, ihrer höhern Obrigkeit vorzugreifen.“
|bXXXVIII| |zXVIII| Es war also mein Zweck,
c166 mir die Leutchen im voraus abzuwehren, die destomehr
d167 schreien, je weniger sie verstehen. Aus eben diesem Grunde mußte ich auch in dem ganzen Buch,
cd168 einen determinirten Ton annehmen, weil die Miene
cd169 und Sprache einer schüchternen Bescheidenheit des Untersuchers oft den Schwächsten keck macht, einen Angrif zu wagen.
Ich bin sehr weit davon entfernt, ältern Theologen oder Predigern, die eine lange Reihe von Jahren,
cd170 nach einem früh angenommenen System,
cd171 gedacht und gelehret haben, eine Umarbeitung desselben zuzumuthen. Dieses ist nach psychologischen Principien bey den mehresten unmöglich. Allein ich habe mit Vergnügen bemerkt, daß sehr viele von denen, welche für ihre Person den ältern Lehrbegrif, der dem Geist
d172 des Zeitalters in ihren Universitätsjahren angemessen war, beybehalten
cd173, doch zugleich einsehen, daß ihre jetzt studirende Söhne nicht für die verfloßne
d174 Zeit ihrer Väter, sondern für die nächstkommende
cd175 Jahre vorbereitet werden müssen, um die Christenthumswahrheiten der Denkart des nächstkünftigen Zeitalters gemäß vortragen, und mit solchen Waffen, wie die neuern Angriffe sie erfordern, gehörig vertheidigen zu können.
|cXXXVI| Man hat mir die Ehre erwiesen, mich unter die neuern Reformatoren zu zählen. Was für Nebenbegriffe
|dXXXVII| nun auch immer von einem oder dem andern mit
|bXXXIX| |zXIX| diesem Titel verknüpft
d176 werden mögen, so erkläre ich doch ohne Rückhalt, daß ich von ganzem Herzen wünsche, durch meine Schriften zu einer sehr wichtigen Reform,
d177 etwas mehr, als gute Wünsche, beyzutragen
cd178. Damit man aber nicht
/derst
d\ errathen dürfe, wohin ich mit meinem Reformationsentwurf abziele, so will ich dieses sogleich öffentlich bekant
d179 machen. Mein Wunsch gehet dahin, nicht blos
cd180 in Absicht der Religion, des Schulwesens und der Erziehungskunst, sondern in Absicht aller Wissenschaften und des gesamten Studirens, der Denkart der jungen Gelehrten die Richtung zu geben, daß sie sich gewöhnen bey allem, was sie unternehmen, sich zuvörderst
/derst
d\ recht deutlich auseinander
cd181 zu setzen, und genau zu bestimmen, wohin sie am Ende wollen, oder was der eigentliche Zweck und das Gute sey, welches sie durch jede Art der Bemühung darzustellen wünschen,
d182 und daß sie nach deutlich
/derkantem Zweck
d\ ∥d183 sich nun ferner entwickeln möchten, was zur Darstellung desselben wesentlich erforderlich sey, und welche Mittel dazu die kürzesten, sichersten und fruchtbarsten sind: damit sie nicht mehr so viel Ueberflüssiges
d184 für
die Schule, und destomehr für
das Leben erlernen, und den höchsten und letzten
c185 Zweck alles Studirens und aller Arbeiten, nemlich Vergrösserung
d186 der gemeinsamen und eig
|cXXXVII|nen Glückseligkeit in allen Fächern der Erkentnisse
d187, und jeder in seinem besondern Standpunkt kräftiger
|bXL| |zXX| und zutreffender befördern möchten. – Dieses ist der Schlüssel zu allen meinen Schriften. – Ich habe in meiner
Anleitung des menschlichen Verstandes zum regelmässigend188 Bestreben nach möglichst /dvollkomner Erkentnißd\ ∥d189 §. 102. 103. etwas mehr hierüber im allgemeinen erklärt, und noch ausführlicher im 5ten Hauptstück
d190 dieses
/cdBuchs, worüber noch gedruckt wird, bey
cd\ ∥cd191 den Regeln über das Studiren davon gehandelt. Man vergleiche hiermit meine
An|dXXXVIII|weisung zur Amtsberedsamkeit christlicher Lehrer, und selbst diese Schrift, so wird sich finden, daß ich überall nichts thue, als daß ich den Zweck jeder
c192 Wissenschaft deutlicher bestimme, und dann zeige, was zur Darstellung desselben wesentlich gehört, und was blos zufällig, unzweckmässig
d193 oder gar zweckwidrig ist, und doch aus Nachahmungssucht noch immer zu den richtigen, und pertinenten Mitteln und Hülfserkentnissen
d194 gerechnet wird. Niemand wird diese meine Reformationsabsicht, an und für sich betrachtet, tadeln können; aber die nothwendig daraus entstehende Simplificirung der Mittel, und Absonderung so vieles Unnützen
cd195 in den Disciplinen und dem ganzen Lehrplan
d196 des Studirens wird denen nicht gefallen, welche das Unglück gehabt haben, gerade auf das, was das zweckloseste und überflüssigste
d197 ist, ihren vorzüglichsten Fleiß und den grössern
d198 Theil ihres Lebens verwandt zu haben.
|bXLI| |cXXXVIII| |zXXI| Wenn jemand eine sehr zusammengesetzte und überaus künstliche Maschine erfindet, um einen bestimten
d199 Effekt durch dieselbe hervorzubringen, so wird der grosse
d200 Haufe, nebst den Halbgelehrten und gemeinen Künstlern, die Erfindung desto höher schätzen und destomehr
cd201 bewundern, je grösser
d202 die Menge der mannigfaltigen Theile, und je
c203 verwickelter die Art der Zusammensetzung ist. Aber der grosse
d204 Gelehrte und Künstler wird eben dieses, was die übrigen bewundern, für Unvollkommenheit erkennen, und die Erfindung eines weniger zusammengesetzten und weniger künstlichen Werkzeuges für ein grösseres
d205 Meisterstück halten. In der gelehrten Welt ist es ein Mittel sich bey
c206 der Menge in den Ruf eines grossen
d207 Mannes zu setzen, wenn man über jede Aufgabe ein starkes Buch schreiben, und nach Anführung einer Menge verschiedener Meinungen, und nach Citationen vieler Bücher, endlich eine Antwort herausbringen kan
d208, welche nicht leicht zu begreifen
c209 ist, und
|dXXXIX| worüber neue Kommentarien erfordert werden. Wenn aber jemand eben dieselbe Aufgabe durch unmittelbare Zusammenstellung der Hauptbegriffe, die verglichen werden müssen, und durch Entwickelung und Bestimmung derselben ohne einige Citaten so auflöst, daß auch ein mittelmässiger
d210 Kopf es sogleich verstehet und einsieht, ohne erst andre Bücher dabey nachschlagen zu dürfen, so wird er von den wenigen Gelehrten vom ersten Range
|bXLII| |zXXII| geschätzt, von den übrigen aber vielleicht kaum bemerkt werden, weil je
|cXXXIX|der glaubt, die Auflösung sey so natürlich und leicht, daß er sie auch selbst erfunden haben würde, wenn er sich die Mühe hätte geben wollen, darüber nachzudenken. Dennoch ist eben das am zu erfinden, was, sobald es erfunden ist, jedem natürlich und leicht scheint: die einfachste Verfahrungsart ist der höchste Gipfel der Kunst. Um ein hinlängliches Licht über Wahrheiten, die durch vielerley
c211 Streitigkeiten verdunkelt worden sind, mit wenigen Worten zu verbreiten, und viel Sachen auf einem Bogen zu liefern, muß man gar vieles vorher nicht blos gelesen, sondern auch durchgedacht, und halbe Bibliotheken durchstudirt
d212 haben. Aber diese vorhergehende Mühe sieht
d213 man einem leichtgeschriebenen Buche nicht an. Dagegen wird zu einem weitläuftigen Werke, worin man die Meinungen der Gelehrten samlet, und mit beyfälligen
cd214 Anmerkungen durchwebt, oft nicht viel mehr als eine fertige Hand zum schreiben
d215, und wenig Geistesanstrengung erfordert. Allein was haben die Käufer für ihr Geld, und für die Mühe des Durchlesens in ihrem praktischen und
/dzuverlässigen Erkentniß
d\ ∥d216 am Ende gewonnen? Warlich mehrentheils weiter nichts, als das
d217 sie vielerley
cd218 Gründe für und wider einen Satz aufgesamlet
d219 haben, und doch kein festes Resultat herausbringen können. – O was
|bXLIII| |zXXIII| würde für die Wahrheit, für die Glückseligkeit,
c220 und für die äussere Be
|dXL|quemlichkeit des Lebens täglich gewonnen werden, wenn man aufhörte,
|cXL| die Kentniß
d221 der mannigfaltigen Meinungen für würkliche Einsichten zu halten; wenn man Belesenheit nicht ferner für Gelehrsamkeit, sondern blos für das, was sie ist, für ein Hülfsmittel der Erweckung zum eignen
d222 Weiterdenken betrachtete, und wenn jeder das Resultat seines Lesens und Studirens zur Brauchbarkeit im Leben kurz und gut bekant
d223 machte, ohne uns erst durch alle die Krümmungen hindurch zu führen, durch welche er sich durchwinden müssen, ehe er seinen neuen Begrif und Satz, den er uns liefern will, hat entdecken können. – Freilich werden diejenigen, welche
∥cd224 Finanzprincipien oder zur Parade schreiben, keinen Geschmack an dieser Methode finden; aber ich rede auch nur zu denen, welche als Patrioten
∥d225 möglichst gemeinnützig zu werden
/dwünschen
d\.
Ich will nun meinen Lesern auch kürzlich anzeigen, was gegen mein System nach der ersten Ausgabe eingewandt worden ist: nicht um hier irgends einen Gegner ausführlich zu widerlegen; dis
d226 soll in einer besondern Schrift unter dem Titel:
/cdBestätigungen meines
cd\ ∥cd227 Systems etc., welche stückweis
cd228 herauskommen werden, geschehen: sondern blos eine allgemeine Idee von der Lage der Einwürfe ge
|bXLIV||zXXIV|gen meine Behauptungen, und was solche eigentlich für Punkte betreffen, zu erwecken.
|cXLI| Gegen dasjenige, was eigentlich in meiner Schrift das System der Glückseligkeitslehre ausmacht, hat kein einziger Gelehrter etwas eingewandt. Man hat weder meinen Begrif von der Glückseligkeit, noch irgends einen Haupsatz
cd230 der vier ersten Abschnitte zweifelhaft gemacht, sondern den Inhalt davon theils gelobt, theils ohne die geringste eingeräumt, und also die Vordersätze, worauf die übrigen daraus gefolgerten Wahrheiten beruhen, zugestanden. Selbst gegen den sechsten Abschnitt
|dXLI| hat niemand behauptet, daß eine derer Wahrheiten, die ich ins allgemeine Christenthumssystem aufgenommen habe, ungegründet oder dahin nicht gehörig, oder auch nur ausserwesentlich
d231 sey
c232. Alles, was man wider mich erinnert hat, läßt
d233 sich auf drey Punkte zurückführen:
- 1. Daß ich den christlichen Lehrbegrif /cdcd\ ∥cd234 geliefert hätte, sondern noch mehrere Wahrheiten dahin gehörten. Disd235 hat Herr Lavater in seinem Etwas über Steinbarts System erinnert, und zwar nach seiner Art, mit mehr Inbrunst eines gutherzigen Enthusiasmus, als mit kaltblütiger Scharfsinnigkeit: daher auch von ihm nicht bestimtd236 angegeben wird, welche Sätze |bXLV| |zXXV| in mein System der Glückseligkeitslehre noch eingeschaltet werden sollen. Ich habe nicht nöthig, etwas weiteres /cdhierübercd\ für meine Leser zu sagen, als daß ich nicht das Lavatersche Christenthum, sondern |cXLII| die Glückseligkeitslehre des Christenthums überhaupt, und zwar zunächst für Leute, die nicht nach Gefühlen, sondern nach Weisheit fragen, habe liefern wollen. Ein ungenanterd237 Gelehrter, der durch H. D. L. bezeichnet wird, und der Herr Dokterd238 Semler haben mich gegen des Herrn Lavaters Anschuldigungen gerechtfertiget. Beide Schriften sind mit dem Lavaterschen Etwas zusammengedruckt, und von dem Herrn D. Semler unter dem Titel: Herrn Caspar Lavaters und eines Ungenantend239 Urtheile über das Steinbartische System des reinen Christenthums, mit vielen Zusätzen von D. Joh. Sal. Semler, mir freundschaftlich zugeschrieben worden.
- 2. Daß mein System zwar ein richtiger christlicher Lehrbegrif und für denkende Zeitverwandten gut und hinlänglich /cdsey, daßcd\ ∥cd240 aber die allgemeine Einführung desselben und der darin gebrauchten Lehrart in der Kirche nicht statt finden könne, und ein obrig|dXLII|keitlicher Zwang in dieser Absicht mehr schädlich als nützlich wer|bXLVI||zXXVI|den würde: weil immer mehrerleycd241 Lehrarten nach den sehr verschiedenen Gemüthsfähigkeiten der Menschen erforderlich bleiben würden. Dieses hat der Herr D. Semler in der Zuschrift und Vorrede des vorhin genantend242 Buchs, und in seinem eignen darin befindlichen Urtheile über meine Schrift, gründlich ausgeführet: nicht, als ob der Herr |cXLIII| Dokterd243 würklich glaubtend244, daß ich dahin zielte, meine Lehrart als die einzige wahre allen Kirchenlehrern aufzudringen, sondern nur um diejenigen zu belehren, welche dergleichen ungegründete Besorgnisse gefaßtd245, und deswegen wider mein Buch deklamirtd246 hatten. Die übrigen historischen Anmerkungen und Zusätze des Herrn Doktersd247 dienen auch alle dazu, den Zweck meiner Schrift zu befördern und ihren Hauptinhalt zu bestätigen.
- 3. Daß die im fünften Abschnittd248 von mir widerlegten kirchlichen Lehrsätze von der Zurechnung einer fremden Schuld und fremden Gerechtigkeit u. s. w. sich wohl vertheidigen liessen, wenn man nur die Worte nicht in der eigentlichen Bedeutung nähme, sondern unter Zurechnung einer Handlung blos die Theilnehmung an den Folgen derselben verstünde. Hierauf antwortetec249 ich überhaupt: über Worte werde ich niemals strei|bXLVII||zXXVII|ten. Theilnehmung an den Folgen der Handlungen Adams und Christi habe ich nie geleugnet. Wir nehmen Theil an den Folgen aller Handlungen aller unsrer Vorältern, sowol der guten als bösen. Wer diese Schrift /dliessetc250, nimtd\ ∥d251 Theil an den Folgen der Erfindung des Papiers und der Buchdruckerkunst; aber es ist doch nicht gewöhnlich zu sagen, daß Gott den Lesern einer Schrift die Erfindung des Papiers und der Buchdruckerkunst zurechnetd252. Wenn also mir |cXLIV| zugestanden |dXLIII| wird, daß keine eigentliche und förmliche Zurechnung einer fremden Schuld und fremden Gerechtigkeit; keine eigentliche und förmliche Genungthuung und Besänftigung Gottes von denkenden Leuten angenommen und geglaubt werden dürfe, so will ich gegen alle tropischecd253 uneigentliche und unförmliche Zurechnungen, Satisfaktionen und Aussöhnungen einer zürnenden Strafgerechtigkeit meinerseits nie etwas einwenden, und wir sind also hierüber bald ausgeglichen.
Es erhellet nun aus dieser kurzen Anzeige der Gegenschriften, daß mein System noch auf keinerley
cd254 Weise in seinem Innern zweifelhaft gemacht und noch weniger widerlegt
d255 worden sey
cd256. Man hat den fünften Abschnitt desselben vornemlich angegriffen, weil man ihn für eine Bestreitung der symbo
|bXLVIII||zXXVIII|lischen Lehren der Kirche angesehen hat. Allein ich habe in meiner Schrift es gar nicht mit Policeygesetzen der Kirche zu thun; diese lasse ich in ihrem Werth
d257 und
∥d258 Autorität, so lange es Gott will, daß sie nach obrigkeitlichen Verordnungen noch Lehrvorschriften seyn
c259 sollen. Ich habe eine Philosophie des Christenthums überhaupt, und nicht des Lutherthums geschrieben. Wer mich also widerlegen will, muß entweder einen ganz andern Begrif
d260 von menschlicher Glückseligkeit, als ich gegeben habe, erweislich machen; oder von
|cXLV| den Sätzen,
c261 die ich im 5ten Abschnitt
d262 als Hindernisse wahrer Glückseligkeit für verwerflich erklärt habe, zeigen, daß sie bey
cd263 jedem
c264 denkenden Manne zur Beruhigung des Gemüths, zur Vermehrung der Freudigkeit zu Gott, und zur stärkern Belebung der Thätigkeit im Guten unmittelbar hinwürken, und daher von jedem geglaubt werden müssen. Die Gegner meines Systems müssen daher die Lehren von der Zurechnung einer fremden Schuld und Gerechtigkeit, vom natürlichen Verderben und gänzlichen Unvermögen des Menschen zum Gu
|dXLIV|ten, von der vertretenden Genungthuung und Besänftigung einer unendlichen Strafgerechtigkeit, nicht als spekulative Lehrmeinungen in
abstracto, sondern als Theile einer Glückseligkeitslehre behandeln, und davon deutlich darthun:
|bXLIX| |zXXIX|
- 1. daß uns Gott in einem weit liebenswürdigeremd265 und /dreinerem Lichtd\ ∥d266 erscheine, und unser Gemüth weit mehr beruhiget und getrost gemacht werde, wenn wir glauben, daß uns Gott Adams Sünde zur Verdamnißd267 anrechne, daß wir nach Gottes Einrichtung durch die Herkunft von Adam durchaus verderbt in die Welt /dgesetzt wordend\ ∥d268; daß Gottes Gerechtigkeit uns daher verabscheuen und ewig strafen müsse, wenn nicht ein andrerd269 ein unendlich Lösegeld für uns bezahlt, oder selbst unendlich für uns büßtd270: als wenn wir nach dem 5ten |cXLVI| Abschnittd271 meines Systems glauben, daß Gott uns als Unschuldige, mit hinlänglichen unverdorbenen Anlagen zu höherer Glückseligkeit, geboren werden läßtd272, daß wir aber nur als Fleisch oder Thiere zur Welt kommen, und uns nachher durch eigned273 Anwendung der Kräfte vom Thierec274 zum Menschen, und vom Menschen zu einer höhern Klasse vollkomnerd275 Geister stufenweis empor heben sollen, und daß Gott nie darüber zürntd276, daß wir nicht mehr leisten, als wir nach den uns verliehenen Talenten und Einsichten zu leisten vermögen.
- 2. daß unser selbstthätiges Bestreben nach /d/cimmer vollkomnernc\ ∥c277 Erkentnissend\ ∥d278 und unser Fleiß und Eifer in der Gemüthsverbesserung und Uebung aller Tugenden weit mehr erweckt und belebet werde, wenn wir glauben, daß wir etwas Gutes selbst zu denken durch|bL||zXXX|aus ungeschickt sindd279, und unser eignesd280 Wirken gar nichts taugtd281, sondern daß Gott alle gute Gedanken und Begierden unmittelbar in uns hervorbringen müsse:cd282 und daß es auch überall beycd283 der Seligkeit nicht auf unsre eigned284 morali|dXLV|sche Güte des Herzens, sondern vielmehr auf Ergreifung und Zueignung einer fremden Gerechtigkeit ankomme:d285 als wenn wir glauben, daß wir hinlängliche Kräfte des Gemüths von Gott natürlich überkommen haben, deren treue Anwendung uns täglich weiter bringen kand286, |cXLVII| und daß wir nach dem Maaßd287 Seligkeit erhalten, nach welchem wir selbst christlich und Gott ähnlich denken und handeln lernen.
Sehet, meine Leser, dieses sind die eigentlichen Streitfragen zwischen mir und meinen Gegnern, worauf sich keiner eingelassen hat. – Ohne Rücksicht auf Glückseligkeit mag man meinetwegen lehren und glauben, was man will, wenn man nur nicht Sätze zu Bedingungen und Hülfsmitteln des Seligwerdens macht, die ihrer natürlichen Wirkung nach
d288 Gemüthsunruhe, Furcht vor Gott, und Schläfrigkeit und Unthätigkeit im eignen
d289 Bestreben nach moralischer Vollkommenheit erzeugen.
In dieser zweiten
d290 Auflage des Systems der Glückseligkeitslehre des Christenthums habe ich in den fünf ersten Abschnitten nichts Hauptsächliches hinzugesetzt oder verändert, sondern nur einzelne Stellen,
|bLI| |zXXXI| die Mißverständnisse veranlasset hatten, deutlicher zu machen gesucht. Dargegen
cd291 ist der sechste Abschnitt, den ich bey
cd292 der ersten Ausgabe, wegen der nahen Buchhändlermesse, nicht hatte vollenden können, jetzt sehr erweitert worden. Man findet darin nun völlig deutlich und ausführlich erklärt, was man bey
cd293 der ersten Ausgabe vermißt hat, nemlich meinen Glauben und meine Lehren von Mosis Schriften; vom Gebrauch
d294 des alten Testaments unter Christen;
|cXLVIII| von der richtigen Auslegung der neu testamentischen Bücher; vom Nutzen und Schaden der Lehrsysteme und symbolischen Lehrvorschriften; vom rechten Verhalten eines gewissenhaften christlichen Lehrers gegen kirchliche Gesetze; von Toleranz und deren Prin
|dXLVI|cipien; und endlich von der rechten Beurtheilung der vielerley
cd295 Religionen, Lehrgebäude und Streitigkeiten, die von je her in der Welt zur Beförderung der wahren Bestimmung der Menschen zu einer selbst erworbenen Glückseligkeit, nach dem Plan
d296 einer höhern Weisheit, geherrscht haben, und so lange Menschen und endliche Geister existiren, immer in Gottes Stadt fortdauren
d297 müssen.
/cdNB. Zum Vortheil der Besitzer der ersten Ausgabe habe ich sowol diese Fortsetzung der Anrede ans lesende Publikum, als auch die neuen Zusätze zum sechsten Abschnitt besonders abdrucken lassen, unter |bLII| |zXXXII| dem Titel: Zusätze zum System der reinen Philosophie der Glückseligkeitslehre des Christenthums, und ich werde, wenn bey neuen Auflagen noch mehr hinzukommen solte, es jederzeit für eine Pflicht der Billigkeit ansehen, das Neue derselben auch besonders für die Käufer der erstern Editionen zu liefern.cd\
Und nun bitte ich alle rechtschafne Freunde der Weisheit und Religion, welche sich für die Aufklärung und moralische Verbesserung ihrer Mitmenschen interessiren, an allen Orten, wo Theologen diese Schrift verlästern und zu verschreien suchen, sich dahin zu vereinigen, und darauf zu dringen,
daß diese sich rechtgläubiger dünkende Männer ihr eigenes besseres System der Glückseligkeitslehre ungesäumt bekantd298 machen. Hierzu gehört nothwendig zweierley,
cd299
- 1. daß sie ihren Begrif von der Glückseligkeit uns deutlich angeben: und zwar von derjenigen Glückseligkeit, die hier durch das Christenthum sogleich im Menschen hervorgebracht werden soll. |cXLIX|
- 2. daß sie von jedem einzelnen Religionssatze, den sie zur Glückseligkeitslehre rechnen, uns entwickeln müssen, wie er die Menschen, die ihn glauben, seliger mache.
Ich werde mich von ganzen
cd301 Herzen freuen, wenn andre Theologen einen kürzern, ebenern und sicherern
|bLIII| |zXXXIII| Weg zur Gemüthsruhe, Heiterkeit der Seele, Thätigkeit und Standhaftigkeit im Guten und den erhabensten Hofnungen zu gelangen, für denkende Zeitverwandten bekant
d302 machen werden. Ich will mich gern mit der Ehre begnügen, durch einen unvollkomnen
d303 Versuch dazu eine nähere Veranlassung gegeben zu haben, und werde der erste seyn
c304, der den bessern Weg selbst betreten und öffentlich empfehlen wird. Kein Prediger kan
d305 sich mit seinem Alter oder vie
|dXLVII|len Amtsverrichtungen entschuldigen, daß er den ihm bekanten
d306 bessern Weg nicht beschreiben könne, denn je länger jemand im Amte ist, und je öfter er über die Religionswahrheiten zu reden Veranlassung hat, je
c307 leichter muß es ihm werden, sein System der christlichen Glückseligkeit, kurz und deutlich zu entwerfen. Macht ihm dieses Schwierigkeiten, so hat er wahrscheinlich noch nie ein würkliches System gehabt. Ich bin gewiß, daß sobald Eiferer unter den Theologen den Versuch machen werden, sich ihren Begrif von menschlicher Glückseligkeit zu entwickeln, und ihre Lehrmeinungen aus dem Gesichtspunkt
cd308 zu untersuchen, in wie fern sie Seligkeit bewürken, so werden wir in kurzem
|cL| weit näher zusammentreffen, als es jetzt möglich ist, da man die Dogmatik als eine auf vielfache Autorität erbauete Wissenschaft, ohne Rücksicht auf Gemüthsruhe und moralische Verbesserung der
|bLIV||zXXXIV| Gesinnungen erlernet. Kurz, es wird auf alle Fälle von grossem
d309 Nutzen seyn, wenn man anstatt mein System zu verlästern, sich an allen Orten bemühen wird, vollkomnere
d310 Anweisungen zu höherer Glückseligkeit zu schreiben. Nach dieser Erklärung haben nun alle, welche diese Schrift öffentlich tadeln, zu erwarten, daß das vernünftige Publikum, so lange bis sie selbst etwas Vollkomneres
d311 geliefert haben, sie für Leute halten wird, die selbst nicht wissen, was Glückseligkeit ist, und welche die Religion mehr als einen Wörterkram und Gewerbe, denn als eine Anweisung der Menschen zur Zufriedenheit und Gemüthsverbesserung ansehen und behandeln.
Frankfurthd312 den
/d16ten Julii,
d\ ∥d313 1780.
/dder Verfasser
d\ ∥d314.
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