|a88| |b94| |c94| |d84| Fünfter Abschnitt.
Von den willkührlichen Hypothesen, welche den Einfluß des Christenthums auf die Glückseligkeit verhindern.
§. 41.
Die göttliche Kraft des Evangeliums alle diejenigen, welche es als einen von
/aGott bekanten
d1a\ ∥a2 Unterricht annehmen, zu immer höherer moralischer Glückseligkeit zu erheben, kan
a3 sich nur in so fern äussern
ad4, als der Vortrag desselben nach seiner Bestimmung zur Erweckung Gott ähnlicher Gesinnungen gerichtet wird. Die Geschichte der Kirche und Völker lehret, daß solches nicht immer geschehen ist
d5. Schon Paulus klaget 1 Tim. 1, 4 f. daß sich Lehrer in der Kirche einfänden, welche mehr auf Grübeleyen und ins unendlich
cd6 gehende spekulative
a7 Fragen, als auf die wahre Erbauung der Gläubigen dächten, dabey aber den ganzen Endzweck der Lehre Christi, Liebe von reinem Herzen, von gutem Gewissen und ungeheuchelter Treue zu befördern, verfehlten, und bey ihrem gelehrt scheinenden Geschwätz
d8 doch selbst nicht wüßten, was sie sagten, oder behaupten wolten
ad9. Er warnet den Timotheus wiederhohlentlich
a10 1 Br.
∥a11 4, 7. K. 6, 4. 5. 20. so wie den Titus K. 3, 9. vor allem gelehrten Schulgezänke; und dennoch hat solches bald nachher unter den Lehrern der Kirche überhand genommen, so daß sie ganz des
/dgrossen
a12 Gebots
d\ ∥d13 der Liebe vergessen, und sich über Fragen, die
d14 keiner zu beantworten verstund
d15, über geständliche Geheimnisse, aufs äusserste
ac16 gehaßt
d17 und verfolget
a18 haben. Diese Zänkereyen über blos spekulative
a19 gelehrte Hypothesen hoben indes
d20 noch nicht gerade zu die beseligenden Wirkungen der praktischen Lehren des
|a89| |b95| |c95| Christenthums auf, sie änderten dieselben auch nicht
|d85| merklich, sondern schwächten nur die Aufmerksamkeit auf dieselben, und den Eifer auf ihre Anwendung und Uebung zu dringen. Aber in der ersten Hälfte des 5ten Jahrhunderts gelang es einem afrikanischen Rhetor und Bischof, Augustin, sein aus Vermischung des Manichäismus und der Geschichte der heiligen Schrift entstandenes Privatsystem in der Kirche einzuführen, und mit Gewalt zur herrschenden Lehre der
∥d21 Kirche zu machen. Durch dieses wurde nun
/cdgerade zu
cd\ ∥cd22 alle Wirkung des Christenthums auf die Moralität der Menschen, und auf die Beförderung der daraus entstehenden höheren Glückseligkeit gehemmet. Da dieser Mann so wol in der römischen, als in beyden Kirchen noch in einem solchen Ansehen stehet, daß obgleich der grössere
ad23 Theil der Theologen in allen Kirchen seinen Lehrbegrif verwirft, dennoch jeder sich scheuet
d24 ihm
/cdgerade zu
cd\ ∥cd25 zu widersprechen, und sich nur bemühet, seinen Worten einen gelindern Sinn beyzulegen; so will ich erst zeigen, wie wenig Augustin die geringste Autorität in der Kirche zu haben verdienet
d26; und denn
cd27 es beweisen, daß alle von ihm aufgebrachte Lehren den gesamten Einfluß des Christenthums auf die menschliche Glückseligkeit aufheben.
Bey allen theologischen Streitfragen muß man sich zuvörderst deutlich machen, was die Bejahung oder Verneinung derselben für einen Einfluß auf unsre Gesinnungen haben würde. Wird Gott uns nicht liebenswürdiger, unser Vertrauen zu ihm nicht grösser
ad28, unsre Betriebsamkeit ihm wohlgefällig zu werden nicht verstärkt
d29, wenn wir die eine oder die andre Meinung annehmen;
a30 so können wir die ganze Frage unentschieden lassen, und kaltblütig oder vielmehr mittleidsvoll
acd31 den Federkriegen zusehen, und uns glücklich schätzen, wenn man uns erlaubt
d32 neutral zu bleiben. Hat aber die verschiedne
cd33 Beantwortung einer Streitfrage einen unmittelbaren Einfluß auf die Gesinnungen, so muß
|a90| man entscheiden,
a34 |b96| |c96| und dasjenige freymüthig und standhaft sagen und behaupten, was man als Wahrheit erkennet. Zur letztern Art gehören Augustins Hypothesen
d35.
d1: bekant gemachtena2: GOtt bekanntena3: kannad4: äußernd5: seycd6: unendlichea7: speculatived8: Geschwätzead9: wolltena10: wiederholentlicha11: K.a12: großend13: großen Gebotesd14: welched15: verstandac16: äußersted17: gehasseta18: verfolgta19: speculatived20: indeßd21: lateinischencd22: geradezuad23: größered24: scheuet,cd25: geradezud26: verdienecd27: dannad28: größerd29: verstärketa30: annehmen,acd31: mitleidsvolld32: erlaubt,cd33: verschiedenea34: entscheidend35: Lehrmeinungen
§. 42.
Augustin hat uns selbst seine Lebensgeschichte in seinen
libris confessionum aufgezeichnet. Ich übergehe, daß er
|d86| nach seinem
/deignen Geständniß
d\ ∥d1 /asehr heftige Leidenschaften gehabt, und
a\ in seiner Jugend sich den aller lüderlichsten Ausschweifungen überlassen, auch
a2 seine Aeltern, wo er nur gekont
a3, bestohlen und betrogen hat; dis
d4 hat nur einen entfernten Einfluß auf seine Lehren. Allein folgende von ihm erzählte Umstände, verdienen unsre größte Aufmerksamkeit:
- a) Daß er einen beständigen Widerwillen gegen die griechischea5 Sprache gehabt, und solche durchaus nicht erlernen gewolta6 hat. Daher ist es nun gekommen, daß er das neue Testament nur blos in der lateinischen Uebersetzung, die Schriften der griechischena7 Kirchenväter aber gar nicht gelesen hat, folglich sich auch keine gründliche Erkentniß von dem, /awas bisher in der ältern griechischen Kirche gelehrtd8 worden wara\ ∥a9, zu verschaffen im Stande gewesen ist.
- b) Daß er die Gelegenheiten, welche seine Aeltern ihm zum studiren machten, gar nicht benutzet, sondern sich in allencd10 auf sein eigend11 Genie allein verlassen, und daher auch alle eigned12 Einfälle ohne lange Prüfung behauptet, und mit seinem lebhaften Witz wahrscheinlich zu machen gesucht hat: wie besonders seine elenden Kommentariena13 über die heilige Schrift zeigen.
- c) Daß er eine geraume Zeit die Rhetorik zu Karthagoa14, Rom und Milan gelehret hat, und daher in allen Klopffechterkünstena15, eine Meinung durchzusetzen und andre davon zu überreden, geübt gewesen ist.
- d) Daß er, ehe ihn Ambrosius bestimta16 hat, das Christenthum anzunehmen, sich zum manichäischen Lehr|b97||c97|begrifd17 bekanta18 hat. Da dieser Umstand das meiste |a91| Licht über sein nachmaliges System vom Christenthum verbreitet, so muß hierüber folgendes bemerktd19 werden. Manes war ein persischer Gelehrter, derd20 das alte philosophische Lehrgebäude der Magier /doder Sabierd\ unter den Christen einzuführen suchte, und zu diesem Zweckd21 sich für den größten der Apostel,a22 oder für den παρακλητος, welchen Chri|d87|stus an seined23 Statt zu senden versprochen hatte, ausgab, und vermöge dieser höhern Gesandtschaft der übrigen Apostel Schriften verbessern woltea24. Ob nun gleich nachher Augustin gegen die Manichäer geschrieben ∥d25, in so fern sie die heiligen Bücher veränderten und allerley schwärmerische Lehren mit dem Christenthumd26 vermischten, so behielt er doch im Grunde das philosophische System der Magier bey. Nach demselben war zwar nur ein Gott, als das principium des Guten, unter dem Bilde einesd27 Lichts, welches sich immerfort auszubreiten sucht;ad28 zugleich aber auch ein objektivesa30 principium der Materie unter dem Bilde der Finsterniß, welches die Ausbreitung des /dLichts hinderted\ ∥d31, und woraus alles Uebel in der Welt entstünded32, angenommen. Da nun schon Tertullian und die meisten damaligen afrikanischen Kirchenlehrer die Seele für materiell hielten, und lehreten, daß sie per traducem aus Partikeln der Seele der Aeltern entstünde, so mußte nun Augustin nach seiner Philosophie ganz natürlich auf das System kommen, daß die Seele durchaus zu /aallem Gutena\ ∥a33 unthätig sey, und Gott alles /aübernatürlicha\ in ihr wirken müßted34. Hieraus sind denn weiter alle übrige Lehren desselben von Prädestination und Verwerfung; von willkührlichen Handlungen Gottes; von unwiderstehlichenc35 Wirkungen der Gnade u. s. w. geflossen, welche /aallen eignend36 Fleiß in der Gemüthsbesserung und Tugend und alles kindliche Vertrauen zu Gott bey den Menschen vernichtena\ ∥a37.
|b98| |c98| Die Auflösung der Frage, woher das Böse in der Welt komme, wenn man nur ein
/cdhöchst gütiges
cd\ ∥cd38 und unendlich
|a92| mächtiges Wesen zum Urheber derselben annimt
a39, hat von je her die scharfsinnigsten Weisen in Verlegenheit gesetzt
d40. Man glaubt mehrentheils allgemein, daß die Magier
cd41 um den Ursprung des Bösen zu erklären
cd42 ein doppeltes effektives
a43 Principium oder einen guten und einen bösen Gott angenommen hätten, welche mit fast gleicher Kraft gegen einander wirkten, woraus die Mischung des Guten und Bösen in der Welt entstünde. Gewiß ist, daß die Juden ihre Theorie vom Teufel zu Babylon daraus erlernet haben. Man darf nur 2 Sam. 24, 1. mit 1 Chron.
/d22 (21),
d\ ∥d44 1. vergleichen, um sich davon zu überzeugen. Nach einer fast allge
|d88|meinen Vermuthung sind die Bücher Samuels vor der babylonischen Gefangenschaft aufgesetzt oder vielmehr
d45 aus vorher geschriebenen Nachrichten excerpirt
d46 worden. Damals hatte das jüdische Volk noch zu wenig
d47 Kultur
a48, es anstössig
acd49 zu finden, daß der Jehovah willkührlich handeln, und auch zu moralisch bösen Handlungen reizen
a50 könne. Es wird daher 2 Sam. 24, 1. gesagt,
cd51 der Jehova wäre ergrimt
ad52, und hätte den David gereizt
a54 das Volk zu zählen. Dagegen wird in den Büchern der Chronike, welche unläugbar nach der babylonischen Gefangenschaft geschrieben worden sind, 1 B. 22, 1. eben dieselbe Anreizung
a55 des Davids
d56 das Volk zu zählen, dem Satan zugeschrieben, welchen nun die Juden, als das dem guten Gott
d57 entgegen wirkende, jedoch etwas schwächere Wesen in Chaldäa kennen gelernt
d58 hatten. Mir scheint
d59 es aber höchst wahrscheinlich, daß die alten persischen Weisen, so wol von den Juden, als von ihren spätern und minder scharfsinnigen Gegnern nicht recht verstanden worden sind, und daß sie in ihrer Bildersprache schon eben das zur Erklärung über den Ursprung des Bösen in der Welt gelehret haben, was in neuern Zeiten vom
d60 Leibnitz und von andern christlichen Vernunftweisen deutlicher und bestimter
a61 behauptet worden ist. Nemlich es kan
a62 schlechthin kein endliches Ding
|c99| unendlich vollkommen werden, denn sonst
|a93| würde es Gott:
|b99| folglich kan
a63 jedes endliche Ding nur einen gewissen Grad der Realität oder des Guten erhalten, und daher wird die Mittheilung des Guten an die Objekte
a64 durch derselben wesentliche Schranken begrenzt
a65. Da nun aus den wesentlichen Schranken der Dinge ihre natürliche Mängel und Unvollkommenheiten, so wol die physischen, als moralischen entstehen; so erhellet, daß Gott zwar der Urheber aller Realitäten und alles Guten, nicht aber der Hervorbringer irgends eines Bösen sey, als welches blos etwas
/dNegatives
d\ ∥d66 ist, welches aus der innern nothwendigen Beschaffenheit des Endlichen
/dentsteht. Dis
d\ ∥d67 scheinen mir die alten chaldäischen Weisen eingesehen zu haben, indem sie eigentlich nur
eina68 höchst mächtiges und gutes Wesen zum
wirkenden principio unter dem Bilde des Lichts
d69, was sich immer auszubreiten sucht, angenommen haben, welches aber durch das gleichfals ewige und von jenem
a70 nicht abhängende
ad71 an sich unthätige
principiumd73 der objektiven
a74 Beschaffenheit der Materie oder der endlichen Dinge, das
d75 sie als eine das Licht begrenzende
a76 Finsterniß dachten, in seinen Wirkungen eingeschränkt
d77 werde. Ich überlasse indes diese meine Vermuthung der weitern Prüfung der Gelehrten. Was nun des Augustins kirchliches System betrift, so kan
a78 man
/aes
a\ als
/adie Urquelle aller Unrichtigkeiten
a\ ∥a79 in demselben ansehen, daß er Natur und Gnade als ent
|d89|gegengesetzte
principia der Handlungen und Veränderungen im Menschen gedacht hat. Dis
d80 war eine natürliche Folge der manichäischen Philosophie. Nirgends wird in der heiligen Schrift die Gnade der Natur entgegengesetzt, sondern überall heißt
χαρις nach dem gemeinen Sprachgebrauch
d81, so viel als Gunst oder Wohlwollen, und
metonymice im Gegensatz
d82 eines verdienten Lohns
d83, was aus freier Güte oder umsonst gegeben
/awird,
d84 so erklärt
d85 es Paulus auf das bestimteste Röm. 11, 6.
a\ ∥a86 Das ganze Evangelium wird daher ein Gnadengeschenk genant
a87, im Gegensatz
d88 der jüdischen Einbildung
d89, als ob sich die jüdische Nation ein Vorrecht durch vorhergegangne Verdienste zu dem
|c100|selben er
|a94|worben hätte, und demnach die Heiden von dessen
/dGenuß auszuschliessen
d\ ∥d90 wären. Hiergegen lehret Paulus Röm. 3.
|b100| daß die Juden eben so lasterhaft als die Heiden gelebt
d91 hätten, und ihnen also das Glück
d92 selig oder Christen zu werden
d93 von Gott allein aus freier Güte ganz umsonst ohne Rücksicht auf vorhergegangne
d94 Werke und Verdienste
/azugetheilet
a\ ∥a95 würde.
d1: eigenen Geständnissea2: unda3: gekonntd4: diesesa5: grichischea6: gewollta7: grichischend8: gelehreta9: was bisher in der ältern grichischen Kirche gelehrt worden warcd10: allemd11: eigenesd12: eigenea13: Commentariena14: Carthagoa15: Klopfechterkünstena16: bestimmtd17: Lehrbegriffea18: bekanntd19: bemerketd20: welcherd21: Zweckea22: Aposteld23: seinera24: wollted25: hatd26: Christenthumed27: desad28: sucht, (a) ; sucht, (d)ad29: suchet;a30: objectivesd31: Lichtes hindered32: entstehea33: allen gutend34: müssec35: unwiderstehligend36: eigenena37: gewisser maßen ein fatum immorale eingeführt habencd38: höchstgütigesa39: annimmtd40: gesetzetcd41: Magier,cd42: erklären,a43: effectivesd44: 22, (21,)d45: dochd46: ausgezogend47: wenigea48: Culturacd49: anstößiga50: reitzencd51: gesagt:ad52: ergrimmt (a) ; ergrimmt (d)ad53: ergrimmeta54: gereitzta55: Anreitzungd56: Davids,d57: Gotted58: gelernetd59: scheinetd60: vona61: bestimmtera62: kanna63: kanna64: Objectea65: begränztd66: verneinendes oder mangelndesd67: entstehet. Diesesa68: eind69: Lichtesa70: Gottad71: hervorgebrachte (a) ; hervorgebrachte (d)ad72: abhängende,d73: principium,a74: objectivend75: welchesa76: begränzended77: eingeschränketa78: kanna79: das πρωτον ψευδοςd80: Diesesd81: Sprachgebrauched82: Gegensatzed83: Lohnesd84: wird;d85: erkläreta86: wird.a87: genanntd88: Gegensatzed89: Einbildungend90: Genusse auszuschließend91: gelebetd92: Glück,d93: werden,d94: vorhergegangenea95: zu Theil
§. 43.
/aDie neuen bisher in der ältern Kirche unbekanten Lehren, welche Augustin aufbrachte und allgemein zu machen suchte, sind hauptsächlich folgende:
- 1. Daß alle Menschen schon in Adam gesündiget hätten, und daher kleine Kinder, wenn sie, ohne die Gnade der Taufe erlangt zu haben, verstürben, ewig verdamt blieben, wenn sie gleich selbst noch keine Sünden begangen hätten.
- 2. Daß die ganze Natur des Menschen durch Adams Fall durchaus verdorben und zu allem Guten völlig untüchtig sey, so daß der Mensch gar nichts Gutes denken, reden oder thun könted1, sondern nur aufs Böse zu dichtencd2 durch seine Natur gedrungen würded3: und überall keinen freien Willen habe.
- 3. Daß daher die Gnade Gottes jeden einzelnen guten Gedanken und jede einzelne gute Bewegung des Willens selbst im Menschen wirken müsse, ohne daß der Mensch weder durch Vorbereitung noch durch Mitwirkung dabey förderlich seyn könted4, sondern sich bloß leidentlich und unthätig verhalten müsse. |d90|
- 4. Daß Gott eine gewisse Anzahl der Menschen ausgesondert habe, die er selig machen wolle. Nur für diese sey Christus gestorben, nur diese erhielten die Gnade, sie möchten sie haben wollen oder nicht; denn sie wirke unwiderstehlich. Alle andred5 Menschen blieben elend und verdamt und könten nicht gut werden, sie möchten sich darnach bestreben wie sie wolten. Gott habe diese nur erschaffend6 um an ihnen zu zei|c101|gen, was der freie Wille des Menschen für eine ohn|b101|mächtige Sache sey, wenn ihm die Gnade versagtd7 würde.a\
/aSolche harte Lehren konte indes
d8a\ Augustin
∥a9 nicht so leicht
/ain der Kirche
a\ einführen. Die ersten,
a10 die
d11 ihm widersprachen,
a12 waren Pelagius und Cälestius, ein paar Privatchristen (
monachi), die kein öffentlich
d13 Lehramt begleiteten
cd14, aber so wol wegen ihrer schon durch Schriften gezeigten Gelehrsamkeit, als wegen der strengen Untadelhaftigkeit ihres Lebens vom Augustin selbst bisher sehr gelobt
d15 worden waren.
/aDiese behaupteten gegen jene Sätze desselben:
- 1. Die Sünde sey ein Vergehen des Willens, was vermieden werden könted16, nicht aber ein Naturfehler. Die Seelen der Kinder wären nicht aus Theilchen von den Seelen der Vorältern zusammengesetzt, sondern kämen unmittelbar von Gott. Es könten daher die Kinder nicht schon an Adams Sünde Theil genommen haben, und wenn sie ohne Taufe verstürben, deshalb nicht verdamt werden, weil /cdsie dafür nichts köntencd\ ∥cd17.
- 2. Der Mensch habe zwar von Natur keine Erkentnisse von Gott und dem wahren Guten und bedürfe daher der Gnade des Unterrichts; er habe aber gute natürliche Vermögen des Verstandes, die ihm bekantwerdende Wahrheiten sich vorzustellen, sie zu fassen und zu benutzen.
- 3. Es müsse daher der Mensch von seinend19 natürlichen Vermögen Gebrauch machen, und sich selbst bestrebend20 im Erkentnißd21 und in der Ausübung der Religion immer vollkomner zu werden:cd22 wozu die Schrift ihn durch so viele Ermahnungen auffordere. |d91|
- 4. Gott wolle alle Menschen selig haben und habe alle durch Christum erlösen lassen; biete auch allen hinlängliche Mittel zur Besserung dar: wer demnach unselig bliebed23, sey selbst durch den Nichtgebrauch der |b102| |c102| von Gott ihm natürlich und durchs Evangelium noch ausserordentlichd24 verliehenen Kräfte, schuld an seinem Verderben.a\
⌇⌇a /aWas nun die Geschichte der öffentlichen Streitigkeiten betrift, so entspannen sich solche zuerst dadurch, daß
a\ Pelagius
∥a25 gegen einen Bischof in Rom die vom Augustin in seinen Gebeten so oft gebrauchte
/aFormel:
Gieb, Herr, was du befielst, und dann befiel, was du wilstcd26! getadelt hatte
a\ ∥a27. Er behauptete, es sey ganz widersinnisch
d28 zu lehren, daß Gott etwas befehlen solte
a29, was uns zu thun unmöglich wäre, da kein vernünftiger Vater von seinen Kindern etwas unmögliches verlangte;
ad30 und noch widersinnischer
d32, daß Gott, was er uns geben wolte
a33, uns befehlen würde.
/aDieser Tadel eines Privatchristen ward vom Augustin für ein Verbrechen gegen die bischöfliche Würde angesehen; er suchte daher zuvörderst die hohe Geistlichkeit in Afrika gegen denselben aufzubringen, und nun wurden von diesen gemeinschaftlich Pelagius und dessen Freunde überall verfolgt
d34.
a\ Cälestius, der
d35 in Karthago
a36 Priester werden solte
a37, ward im Jahr
d38 412 vor einer dortigen Synode angeklagt und verdamt
a39, appellirte aber an den Bischof zu Rom. Im Jahr
d40 415 ward Pelagius vor dem Patriarchen
a41 Johannes zu Jerusalem
/aauf Anklage der Afrikaner
a\ verhört, und für rechtgläubig erklärt: und noch einmal in demselben Jahr
d42 zu Diospolis (ehedem Lydda) von einer Versamlung von 14 Bischöfen, die
d43 ihn auch für orthodox erkanten
a44. Das Jahr darauf wurden zu Karthago
a45 und Mileve Synoden gehalten, welche die dem Pelagius schuld gegebene
d46 Irrthümer verdamten
a47, und dem Bischof
d48 Innocentius nach Rom zur Bestätigung zuschickten.
|a95| Aus dessen Antworten an beyde Synoden erhellet, daß dem Pelagius fälschlich aufgebürdet worden, er lehre: der Mensch bedürfe gar keiner Hülfe von Gott,
|b103| |c103| weil er mit
|d92| hinlänglicher Freiheit
a49 des Willens versehen sey. In dieser Voraussetzung ward er
cd50 /aohne gehört zu seyn,
a\ vom Innocentius verurtheilt, wiewol dieser sehr
a51 weit von Augustins Lehrsätzen entfernt
d52 war. Da sich nun viele Bischöfe der griechischen Kirche, besonders in Palästina,
a53 des Pelagius und Cälestius annahmen, so verlangte der römische Bischof, daß sie sich zur nähern Untersuchung nach Rom stellen solten
a54. Endlich ward unter dem folgenden Bischof
d55 Zosimus zu Rom ein feyerlich
d56 Synodalverhör über den Pelagius und Cälestius, welche ihren Lehrbegrif schriftlich eingereicht
d57 hatten, öffentlich gehalten, und Zosimus erklärte hierauf durch ein im Namen der ganzen römischen Klerisey
a58 nach Afrika abgelassenes Schreiben:
/aPelagius und Cälestius sind vor dem apostolischen Stuhl
d59 erschienen. Freuet euch, diese Männer, welche von falschen Angebern verläumdet waren, nun für solche zu erkennen, die
d60 sich nie von unsrer Kirche oder von der allgemeinen Rechtgläubigkeit entfernet haben.
a\
aPelagius & Caelestius apostolicae sedi praesto sunt – sit vobis gaudium, eos, quos falsi indices criminabantur, agnoscere, a nostro corpore & catholica veritate nunquam suisse diversos.a
Uebrigens nennet Zosimus und die römische Klerisey
a61 mit Recht die Streitfragen über
/adie Fortpflanzung der Seele
a\ ∥a62, über die Erbsünde, und
∥d63 die Art und Weise der Gnadenwirkungen, in diesem Schreiben
d64 /averfängliche Fragen und läppische Streitigkeiten, welche mehr Zerrüttung als Erbauung veranlassen
a\ ∥a65. Hieraus ist nun historisch gewiß, daß Augustins Lehre nicht nur in der
griechischen Kirche als etwas unerhörtes angesehen worden ist, und daß des Pelagius und seiner Freunde Behauptungen für den bisherigen altchristlichen Glauben von derselben erkläret worden sind; sondern daß auch
/adie lateinischea\ ∥a66 und besonders
/adie römische Geistlichkeita\ ∥a67, die vom Pelagius und Cälestius gegen des Augustins Neuerungen behauptete
d68 Wahrheiten für rechtgläubig und katholisch erkläret
c69 habe. Man hat also blos Afrika als die Mutter und Pflegerin der sämtlichen damals aufgekomnen
ad70 Lehren von der Na
|a96|tur
|b104| |c104| und Gnade, der Prädestination
cd72 und allen übrigen,
acd73 damit zusammenhängenden Hypothesen anzusehen.
d1: könnecd2: tichtend3: werded4: könned5: andered6: erschaffen,d7: versagetd8: indeßa9: konnte seine neue bisher in der Kirche unerhörte Lehrena10: erstend11: welchea12: widersprachend13: öffentlichescd14: bekleidetend15: gelobetd16: könnecd17: das getauftwerden von ihnen nicht abhänge (c) ; das getauftwerden von ihnen nicht abhänge (d)cd18: das Getauftwerden von ihnen nicht abhanged19: seinemd20: bestreben,d21: Erkenntnissecd22: werden;d23: bleibed24: außerordentlicha25: tadelte zuerstcd26: willsta27: Formel, Domine da, quod jubes, & jube, quod visd28: widersinniga29: solltead30: verlangte, (a) ; verlangte, (d)ad31: verlange;d32: widersinnigera33: wollted34: verfolgetd35: welchera36: Carthagoa37: sollted38: Jahrea39: verdammtd40: Jahrea41: Patriarchd42: Jahred43: welchea44: erkanntena45: Carthagod46: gegebenena47: verdammtend48: Bischofea49: Freyheitcd50: er,a51: nochd52: entferneta53: Palästinaa54: solltend55: Bischofed56: feyerlichesd57: eingereicheta58: Cleriseyd59: Stuhled60: welchea61: Cleriseya62: traducem animaed63: überd64: Schreiben,a65: tendiculas quaestionum & in epta certamina, quae non aedificant sed magis destruunta66: die lateinischea67: die römische Geistlichkeitd68: behauptetenc69: erklärtad70: aufgekommnen (a) ; aufgekommnen (d)ad71: aufgekommenencd72: Prädestination,acd73: übrigen
|d93| §. 44.
Die afrikanische Kirche beruhigte sich indes
d1 nicht bey
∥d2 des römischen Bischofs Zosimus
/dAusspruche
d\, sondern hielt in den Jahren 417 und 418.
a3 abermals Synoden auf welchen beschlossen ward, daß die erste von der römischen Kirche durch den Innocentius gegebene Erklärung, welche doch ohne Untersuchung, auf die blosse
d4 Angabe der
/dAfrikaner, ertheilet
d\ ∥d5 worden war, gültig seyn;
a6 die zweite
ad7 (des Zosimus) aber verworfen, und nun weiter nicht über das Meer appelliret werden solte
a8. Sie setzten acht Anathematismen gegen alle Pelagianisch denkende auf, liessen 214 Geistliche unterschreiben,
/alegten des Innocentius erschlichnes Gutachten bey,
a\ und schickten solches
a9 an den kaiserlichen
a10 Hof, als ob es das Urtheil der ganzen
/achristlichen
a\ Kirche wäre. Hierauf ward auf Ansuchen der Afrikaner ein kaiserlich
ad11 Edikt von den Prätoren bekant
a13 gemacht, nach welchem jeder berechtigt
cd14 seyn solte
ad15, Pelagianisch gesinnte
/agerichtlich anzugeben
a\ ∥a16, und diese solten
ad17 mit Konfiskation
ad18 des Vermögens und unwiederruflicher
d20 Landesverweisung überall bestrafet
a21 werden. Hierüber frolockt
d22 Augustin in seinen Briefen;
a23 und da Pelagius und dessen Freunde baten, man möchte sie doch durch gelehrte Männer ordentlich verhören lassen, ehe man sie verjagte, so widersetzte sich Augustin,
d24 unter dem Vorwande
a25, daß es den weltlichen Fürsten nicht zukäme, wo die Kirche schon entschieden hätte, zweifelhaft zu bleiben, sondern ihre Pflicht sey blos,
a26 ihre Gewalt zu
a27 Unterdrückung der von der Kirche Verurtheilten
a28 anzuwenden.
/aDer Bischof
a\ Zosimus zu Rom mußte selbst nachgeben, um seine Autorität nicht auf immer in Afrika zu verlieren, und überlies
ad29 alles dem Gewissen der afrikanischen Bischöfe. Noch nicht genung
d30, man
/aerschlich ferner
a\ ∥a31 einen kaiserlichen
a32 Befehl,
|b105| |c105| darin allen afrikanischen Bischöfen, die
d33 |a97| auf den Karthaginensischen
a34 Synoden nicht gegenwärtig gewesen waren, aufgegeben ward, bey Strafe der Absetzung und Verjagung das Verdammungsurtheil der
cd35 Pelagianer zu unterschreiben. Die meisten thaten es aus
|d94| Furcht;
a36 doch achtzehn der rechtschaffensten und gelehrtesten Bischöfe faßten das Herz, sich zu widersetzen, und forderten in einem Schreiben an den Bischof zu Thessalonich die morgenländische Kirche auf, daß diese sich der Profanität der Manichäer widersetzen möchten
cd37, als welche lehreten:
a38 daß kein Mensch, wenn ihm nicht Gott wider seinen Willen, und gegen sein Widerstreben die Geneigtheit gut zu handeln aufdränge, nicht einmal irgends etwas unvollkommen Gutes verrichten oder wollen könte
ad39. Hieraus erhellet nun,
/adaß diese Augustinische Lehre vermittelst willkührlicher Gewaltcd41 /cälternd42 christlichenc\ ∥c43 Lehren, welche Pelagius und die Griechen ∥d44 behaupteten, verdrungen hat.
a\ ∥a45 Es ist desto unverantwortlicher vom Augustin, daß er sich solcher unchristlichen Mittel zur Ausbreitung seiner Meinungen bediente, da nach seinem
/deignen Begrif
d\ ∥d46 die Pelagianer nicht dafür konten
a47, daß die Gnade Gottes in ihnen nicht die angeblich bessern Einsichten des Augustins wirkte, und sie sich solche nicht selbst geben konnten. Allein man siehet
a48 hieraus, daß
in praxi Augustin wohl gewußt hat, daß ein Mensch Freyheit habe, ob er es gleich in der Theorie läugnete.
Man kan
a49 hierüber des Herrn D. Semlers historische Einleitung vor dem 3ten Bande der Baumgartenschen Polemik §. 102.
a50 f. nachlesen, wo alles hier angeführte ausführlicher aus Originalquellen erwiesen wird. Um sich von der Gelehrsamkeit und Einsicht der Afrikanischen Bischöfe, welche auf den Koncilien
a51 die nachmals in der Kirche geglaubte Lehrmeinungen aufgebracht haben, einen Begrif zu
|b106| ma
|c106|chen, darf man nur den 6ten Kanon
a52 des 3ten
/aKarthaginensischen Konciliums
a\ ∥a53 lesen. In demselben wird für gut befunden festzusetzen, daß man den Todten
c54 nicht
|a98| ferner das Abendmahl
a55 reichen wolle,
a56 und beygefügt,
cd57 cavendum quoque ne mortuos etiam baptizari posse fratrum (i. e. episcoporum) infirmitas credat, cum evcharistiam mortuis non dari animadvertit. Wie kan
a58 man nun solchen Leuten noch immer zutrauen, daß sie die reine Lehre Jesu aus der heil. Schrift
/dschon eruirt
d\ ∥d59 haben, und wie kan
ad60 man solcher schwachen Bischöfe Aussprüche für heilig halten?
d1: indeßd2: dem Aussprucha3: 418d4: bloßed5: Afrikaner erschlichena6: seyn,ad7: zweytea8: solltea9: solchea10: käyserlichenad11: kayserlich (a) ; kayserlich (d)ad12: kaiserlichesa13: bekanntcd14: berechtigetad15: solltea16: zu denunciirenad17: solltenad18: Confiscation (a) ; Confiscation (d)ad19: Einziehungd20: unwiderruflichera21: gestraftd22: frohlocketa23: Briefen,d24: Augustina25: Vorwanda26: blosa27: zura28: verurtheiltenad29: überließd30: genuga31: extrahirte nocha32: kayserlichend33: welchea34: Carthaginensischencd35: über diea36: Furcht,cd37: möchtea38: lehreten,ad39: könnte (a) ; könnte (d)ad40: könnecd41: Gewalt,d42: älterenc43: ältere christliched44: ja selbst die Römische Geistlichkeita45: daß die Augustinische Lehre vermittelst willkührlicher Gewalt die ältern christlichen Lehren, welche Pelagius und die Griechen behaupteten, verdrungen hat.d46: eigenen Begriffea47: konntena48: siehta49: kanna50: 102a51: Conciliena52: Canona53: Carthaginensischen Conciliumsc54: Todena55: Abendmala56: wollecd57: beygefügt:a58: kannd59: richtig erkanntad60: kann
|d95| §. 45.
Ob nun gleich Augustin das Glück gehabt hat, sein Ansehen in der abendländischen Kirche dergestalt zu befestigen, daß man auch nach seinem Tode sich gescheuet hat, ihm
/cdgerade zu zuwidersprechen
cd\ ∥cd1, so hat doch immer der grössere
a2 Theil der Kirche, und insonderheit die Schule der Skotisten
ac3 seine Lehren von einer absoluten Prädestination und dem gänzlichen Mangel der Freiheit
a4 beym Menschen verworfen. Das
/aKoncilium zu Trient
a\ ∥a5 hat auch, indem es Kalvins
a6 Lehren verdamte
a7, bey aller äussern
ad8 Ehrerbietigkeit gegen
/aden
a\ Augustin im Grunde den Lehrbegrif desselben über die Gnade zugleich verdamt
a9; und dis
d10 ist von der römischen Kirche aufs neue durch Verwerfung des Jansenismus geschehen. Denn wer nicht auf Worte
d11, sondern auf Begriffe sieht, kan
a12 nicht einen Augenblick zweifeln, daß Kalvin
a13 und Jansenius Augustins System und noch überdis
d14 mit einiger Milderung und grösserem
a15 Anschein
d16 der Wahrheit vorgetragen haben. Selbst wo das Koncilium
a17 zu Trient den Worten nach mit dem Augustin übereinzustimmen scheint
d18, ist oft eine grosse
ad19 Verschiedenheit der Begriffe, besonders in dem Wort
d20 Iustitiaa21, und man kan
a22 es daher als den immer katholisch
a23 gebliebenen Glauben der Kirche
|b107| |c107| ansehen, daß Gottes Gnade und hülfreiche Veranstaltungen allgemein sind, und es von der Freiheit
a24 der Menschen abhange
cd25, wie sie solche brauchen
d26 wollen.
/aMit Recht wird übrigens in dem Augsburgischen Bekentniß
d27 der Satz: daß der Mensch blos durch eigne Kräfte ohne höhere Hülfe sich völlig bessern könne, verworfen, es ist aber historisch unrichtig, daß Pelagius diesen Satz gelehret hat
d28.
a\
cd1: geradezu zu widersprechena2: größereac3: Scotistena4: Freyheita5: Concilium Tridentinuma6: Calvinsa7: verdammtead8: äußerna9: verdammtd10: diesesd11: Werkea12: kanna13: Calvind14: überdiesa15: größeremd16: Anscheinea17: Conciliumd18: scheinetad19: großed20: Wortea21: Justitiaa22: kanna23: catholischa24: Freyheitcd25: abhänged26: gebrauchend27: Bekentnissed28: habe
|a99| §. 46.
Daß Lutherus, als ein ehemaliger Augustiner Mönch für desselben Lehre sehr eingenommen gewesen ist,
/cdbeweißt
a1 seine
cd\ ∥cd2 Schrift
de servo arbitrio: es ist aber auch bekant
a3, daß Melanchton
d4 die allgemeine Gnade und die Freiheit
a5 des Willens behauptet, und selbst Luthern nach und nach dazu bestimt
a6 hat, wenigstens
d7 von der eifrigen Behauptung
|d96| der harten Prädestinationslehre nachzulassen, und die allgemeine Gnade Gottes zu lehren. Indes
d8 ist dennoch von Augustins anderweitigen Begriffen noch viel
d9 unausgemerzt geblieben, und wenn ich freimüthig
a10 sagen soll,
a11 wie es ist: wir haben noch alle Prämissen von Augustins
Fato und läugnen nur die Folgerungen. Wir würden indes
d12 hierüber bald mehr
/daufgekläret worden
d\ ∥d13 seyn,
a14 wenn nicht der sanfte Melanchton
d15 und dessen sanfte Schüler von einigen Eiferern unter den ersten Schülern Luthers in den synergistischen Streitigkeiten unterdrückt worden wären. Es geht
cd16 aber gewöhnlich so, daß die kleine Anzahl der
/dMänner
/cvon deutlichen
c\ ∥c17d\ ∥d18 Einsichten in die
/cdWahrheiten,
a19cd\ ∥cd20 bey welchen
∥cd21 das Gemüth
d22 ohne Leidenschaft
cd23 bleibt, von dem grossen
d24 Haufen derer überschrieen werden, welche wegen Verworrenheit der Erkentniß
d25 sich erbossen
ad26, daß sie die Wahrheit ihrer Lehrsätze nicht so deutlich darthun können, als sie solche zu fühlen glauben.
|b108| |c108| Wie richtig Melanchton
d27 schon gedacht, erhellet unter andern aus der Stelle, welche in der letzten
cd28 Wittenbergischen Ausgabe seiner
Loc[.]acd29 theol. vom Jahr
d30 1543 unter dem Artikel
de humanis viribus seu de libero arbitrio, zu finden ist:
Praeterea si nihil agit liberum arbitrium, interea donec sensero fieri illam regenerationem, de qua dicitis, indulgebo diffidentiae et aliis vitiosis affectibus. Haec Manichaea imaginatio horribile mendacium est, et ab hoc errore mentes abducendae sunt et docendae, agere omnino aliquid liberum arbitriumcd31 – Nec ad|a100|mittendi sunt Manichaeorum furores, qui fingunt aliquem esse numerum hominum – qui converti non possint. – Si tantum expectanda esset illa infusio qualitatum sine ulla nostra actione sicut Enthusiastae et Manichaei finxerunt, nihil opus esset ministerio evangelii; – nulla etiam lucta in animis esset etc. Wie handgreiflich wahr ist dis
d32 alles für jeden noch ungelähmten
cd33 Verstand.
a1: beweistcd2: beweiset desselbena3: bekanntd4: Melanchthona5: Freyheita6: bestimmtd7: wenigensd8: Indeßd9: vielesa10: freymüthiga11: solld12: indeßd13: aufgeklärt gewordena14: seyn;d15: Melanchthoncd16: gehetc17: welche deutliched18: Männer, welche deutlicheacd19: Wahrheit, (a) ; Wahrheit, (c d)acd20: Wahrheit haben undcd21: daherd22: Gemüthecd23: Leidenschaftend24: großend25: Erkentnissead26: erboßend27: Melanchthoncd28: leztenacd29: Loc.d30: Jahrecd31: arbitrium.d32: diesescd33: unbefangenen
§. 47.
Die
/dSchweitzerischen Reformatoren
d\ ∥d1 waren auch nicht einerley Meinung
d2. Zwinglius
d3 war für die Lehre der heiligen Schrift, Kalvin
a4 aber für die Augustinische, jedoch dabey ein besserer Logikus als die Lutheraner, indem er nicht
|d97| blos die Prämissen, sondern auch ihre Folgerungen annahm und lehrete. So groß indes das Ansehen dieses verdienstvollen Mannes in der Schweitzerischen Kirche und
/aden von dort aus
a\ ∥a5 unterrichteten englischen Presbyterianern gewesen ist, so hat dennoch Augustins Lehre auch in dieser Kirche niemals einen allgemeinen Beyfall gefunden. In Holland brach darüber zwischen dem Arminius und Gomarus ein öffentlicher Zwist aus, welcher die Synode zu Dortrecht veranlaßte, auf welcher abermals mit Hülfe der weltlichen Obrigkeit Augustins Lehre die Oberhand behielt, da man doch nicht hätte disputiren, sondern abwarten sollen, bis die
|b109| |c109| Gnade
∥d6 den Arminianern bessere Einsichten infundiret
cd7 hätte. Allein auch diese Synode ist nicht überall, und insonderheit auch nicht in den Brandenburgischen Landen von
d9 den reformirten Kirchen angenommen worden,
d10 und in England ist im Jahre 1662 der weise königliche Befehl ergangen: daß die Prediger ihre Zeit und Fleiß nicht in Untersuchung der tiefen und spekulativen
a11 Dinge, ins besondre
d12 solcher, welche die verborgene
d13 Fragen von der ewigen Gnadenwahl und Verwerfung;
acd14 die unbegreifliche Weise, wie Gottes freie
a15 |a101| Gnade, und des Menschen freier
a16 Wille bey einander bestehen u. d[.]
acd17 g. betreffen, verschwenden sollen.
Man findet diesen königlichen Befehl aus dem Benthem gezogen in Alberti Briefen den neuesten Zustand der Religion in England betreffend
c18 Th. 3. Br. 39.
d1: ersten Lehrer unter den Reformirtend2: Meynungd3: Bullingera4: Calvina5: denen daselbstd6: incd7: infudirt (c) ; infudirt (d)cd8: hervorgebrachtd9: ind10: worden;a11: speculativend12: besondered13: verborgenenacd14: Verwerfung,a15: freyea16: freyeracd17: d.c18: betreffend.
§. 48.
Aus dieser Geschichte von der Entstehung, Ausbreitung,
acd1 und Erhaltung der Augustinischen Hypothesen erhellet nun offenbar, daß sich kein Wahrheit suchender christlicher Theologe durch das noch immer, blos wegen mangelhafter Kentniß der Kirchengeschichte,
a2 bisher fortdaurende Ansehen Augustins abhalten lassen muß
d3, in der heiligen Schrift selbst zu forschen.
Man kan
a4 sicher behaupten, daß jetzt
d5 der ungleich grössere Theil der Theologen in der römischen und
∥d6 beyden protestantischen
a7 Kirchen die manchäischen
acd8 Schwärmereyen von
|d98| magischen und überwältigenden Einwirkungen Gottes in den Menschen verwirft: zumal denselben unser Selbstgefühl und die tägliche Erfahrung widerspricht. Ein jeder wird sich bewußt, wie viel er selbst zu seinen guten Entschliessungen
d9 beyträgt, und keiner der frömsten
a10 Christen zeigt
d11 übermenschliche Tugenden, die
d12 eine übernatürliche
a13 durch ihn wirkende Kraft erwiesen, und sich nicht aus der moralischen Wirkung der Religi
|b110||c110|onswahrheiten aufs
d14 Gemüth nach psychologischen Naturgesetzen völlig erklären liessen
d15. Allein es ist von Augustins System
d16 fast in alle Artikel der Dogmatik etwas übergegangen, und ehe dieses nicht alles weggeschaft und das lautre Christenthum wieder hergestellet wird, ist gar nicht daran zu dencken
ac17, daß die Lehre Jesu die volle Wirkung zur Verbesserung der Moralität und Glückseligkeit der Menschen äussern
d18 werde. Es ist daher nöthig, die vornehmsten Lehrsätze, welche diese wohlthätige Wirkungen noch gerade zu hindern, ins Licht zu setzen und den gan
|a102|zen afrikanischen Brast der willkührlichen Lehrbestimmungen gänzlich aus der Philosophie des Christenthums oder dem dogmatischen System
d19 herauszuwerfen. Hiedurch
acd20 allein kan
a21 die Kirchenverbesserung vollendet werden.
acd1: Ausbreitunga2: Kirchengeschichted3: müssea4: kannd5: jeztd6: ina7: Protestantischenacd8: manichäischend9: Entschließungena10: frömmstend11: zeigetd12: welchea13: übernatürliche,d14: auf unserd15: ließend16: Systemeac17: denkend18: äußernd19: Systemeacd20: Hierdurcha21: kann
§. 49.
Wenn man Augustins Lehrsätze nach der Ordnung, in welcher sie gewöhnlich in dogmatischen Lehrbüchern unter verschiednen
d1 Artikeln aufgestellet werden, nach einander prüfen will, so würde der erste Satz seyn:
daß alle Menschen schon in Adam gesündiget haben, und ihnen daher desselben erste Vergehung von Gott zur Schuld angerechnet wirda2. Die Afrikaner konten
a3 dis
d4 lehren, da sie Röm. 5, 12.
d5 /ain ihrer lateinischen Bibel an statt:
weil sie alle gesündiget haben, lasen:
in welchem, nemlich Adam, sie alle gesündiget haben (statt
ἐφ’ ὡ,
in quo):
a\ ∥a6 und
/adieses stimte
a\ ∥a7 mit ihren
a8 Begriffen von der Materialität der Seele und deren Fortpflanzung
∥a9 überein. Denn sind unsere Seelen Partikeln
/dder Seele
d\ Adams gewesen, so haben wir allerdings sämtlich zu seinen Vergehungen mitge
|d99|wirkt
a10. Nachmals, da man
/adie Körperlichkeit und Erzeugung der Seele aus Bestandtheilen der Aeltern verwarf, mußte man zu einem neuen willkührlichen Satz
cd11 seine Zuflucht nehmen, um das Forterben der Sünde begreiflich zu machen. Zu
|b111| |c111| diesem Behuf
d12 nahm man an:
a\ ∥a13 Adam
/asey
a\ als
/aHaupt des menschlichen Geschlechts unser aller Repräsentant oder Stellvertreter gewesen, und habe
a\ ∥a14 in aller
/aseiner Abkömlinge
a\ ∥a15 Namen gehandelt
a16, und
/aalso sey nichts unbilliges darin zu finden, daß uns seine Sünde mit angerechnet würde. Denn Gott habe
/cdeine Art des Vergleichs
cd\ ∥cd17 mit ihm errichtet gehabt, nach welchem, wenn er gehorsam bliebe, alle seine Nachkommen glücklich seyn; wenn er aber ungehorsam würde, auch seine sämtlichen Abkömlinge mit ihm dem Elend
cd18 preiß gegeben werden solten.
a\ ∥a19 Diese Einkleidung ist aber eine blosse
d20 Erfindung des menschlichen Witzes
d21 ohne biblischen Grund, voller Widersprüche
a22 gegen sich selbst, gegen die reinen Begriffe von Gott,
ad23 und gegen das Christenthum, auch nach ihren Folgen der Moralität der Menschen äusserst
ad24 nachtheilig: denn
- jemand eine Handlung imputiren /aoder zurechnend26a\ heißt, ihn für die freiea27 wirkende Ursache /aoder den Miturhebera\ derselben erkennen und erklären;a28 es ist daher widersprechend von Gottes höchstem Verstande zu denken, daß in demselben alle Nachkommen Adams als Urheber seiner Vergehung vorgestelltd29 werden köntena30, da sie es doch nicht sind. |a103|
- Daßd31 Adam in unsrer aller Namend32 gehandelt, wird nirgends von der Schrift behauptet, und da wir ihm keinen Auftrag deshalb gemacht /ahabena\, so würde es willkührlich und ungerecht von Gott gehandelt seyn, wenn er /auns, die wir doch eigentlicha\ seine eigned33 Kinder /asind,a\ darum hassen woltead34, weil wira35 durch /asolche Mittelspersonena\ ∥a36 in die Welt /agesetzet worden sind, an deren üblencd37 Verhalten wir nicht schuld sind, ja die er /cdunscd\ selbst, nicht aber wir, zu Stammältern unsres Geschlechts erwählet hata\ ∥a38. |d100|
- 3. Es ist kein Grund vorhanden, warum Adam nur beym Sündigena39, und nicht auch bey Erduldung der |b112| |c112| Strafe das ganze menschliche Geschlecht vorgestellet /ahaben solld40. Denn ist er wirklich unser Repräsentant oder Stellvertreter gewesen, so muß uns allesd41 nicht nur was er gethan, sondern auch was er dafürd42 gelitten hat, als in unsrem Namen erduldet, zugerechnet werden. Es würde also /deined\ doppelte Ungerechtigkeit seyn, wenn uns nicht nur eine fremde Schuld zugerechnet würde, sondern wir auch dafür abermals, nachdem sie schon an unsermd43 Stellvertreter bestraft und abgethan worden, doch noch einmal büssen solten. Paulus sagt 1 Cor. 15, 22. auch: Gleichwie sie alle in Adam sterben, also werden sie in Christo alle lebendig gemacht werden. Niemand verstehet diese Worte so unrecht, daß er dabey an eine Zurechnung des Todes Adams denken solte, in welchem wir als schon Gestorbene von Gott angesehen würden; sondern man ist einig, daß hierdurch nur gesagt werde;cd44 so wie alle Menschen von ihrem Stammvater an, als Adamiten oder Menschen sterben müssen, so sollen alle als Christen zum Leben und zur Glückseligkeit gelangen. Eben so muß man Paulum Röm. 5. verstehen, wo er eigentlich lehret: lange vor Mose und Abraham wäre Sünde da gewesen, und habe sich schon von Adam an über alle Menschen verbreitet, und nun solte ohne Rücksicht auf Abkunft von Abraham oder auf Mosescd45 Gesetz /dsichd\ durchs Christenthum Besserung und Seligkeit über alle Sünder /dverbreitend\ ∥d46.a\
ahat, und demnach offenbar ungerecht, daß wir nochmals dafür büßen sollen, wofür Adam schon, als unser gemeinschaftlicher Stellvertreter gebüßet hat. Wenn man aus Pauli Worten Röm. 5, 12. herleiten will, daß wir alle in Adam gesündiget haben, so folgt aus 1 Cor. 15, 22. daß wir auch schon alle in Adam unsre Strafe gelitten haben, und in ihm schon einmal gestorben sind. Folglich wäre es nun doppelt ungerecht, wenn wir noch einmal dafür büßen sollten.a
- Es würde /asonst ausa\ ∥a47 der /agemeinena\ Erklärung von Pauli Worten folgen, daß eben so allgemein alle Menschen in Adam gesündiget /ahättena\, eben so allgemein würden auch alle in Christo gerecht und selig, Röm.c48 5, 15–19. und ∥a49 so wie Gott allen Menschen durchgängig Adams Sünde, sie mögen nun davon etwas wissen oder nicht, selbige genehmigen oder nicht, |b113| |c113| dennoch zur Verdammung imputirea50, Gott auch auf gleiche Art allen Menschen ohne Unterschied, sie mögen darein willigen oder nicht, Christi |d101| Gerechtigkeit zur Seligmachung zurechnen müßted51. Soll aber eine Ergreifung und Zueignung des Verdienstes Christi erst nöthig seyn, ehe es dem Menschen zu statten komtad52, so kanad53 auch niemand Adams Sünde eher imputirtd54 werden, bis er diese ergreift, und sich zueignet. Disd55 wird aber wol nicht leicht /avona\ jemand geschehena56. Man siehtcd57 |a104| hieraus, was ein einziger willkührlicher Satz für Verwirrungd58 Widersprüche im /dSystem erzeuget,a59d\ ∥d60 und wie blind die Schulgelehrsamkeit oft den natürlichen Verstand machtd61, daß die gröbsten Widersprüche nicht bemerktd62 werden.
- /aWill man zur Vertheidigung der Billigkeit des Gott angedichteten Verfahrens, in Zurechnung der Sünde des Stamvaterscd63 an alle Nachkommen, sich auf gemeine Fälle des bürgerlichen Rechts berufen, wonachd64 Kinder an den Belohnungen der Verdienste ihrer Vorfahren, eben so wie an den üblen Folgen ihrer Vergehen, überall theilcd65 nehmen müssen; soa\ ∥a66 ist /adocha\ kein Grund vorhanden, warum nur eine und nicht alle Sünden Adams; kein Grund, warum nur Adams und nicht aller unsrer Vorältern Sünden; kein Grund, warum nur die Sünden und nicht auch das Gute unsrer Vorältern uns imputirtd67 werden soltead68. Da nun die Schrift so wol ausdrücklich und ausführlich im alten Testamentd69 Ezech. 18, /a1. folg.a\ und an vielen Orten im neuen Testament,ad70 Röm. 2, 6. 2 Cor. 5, 10. Gal. 6, 4. 5. erklärtcd72, daß jeder /anur für seine eigned73a\ ∥a74 Handlungen Gott Rechenschaft geben sollea75: als auch alle Zurechnung einer fremden Gerechtigkeit, welche die Pharisäer lehrtenc76, gänzlich verwirft, Matth. 3, 9. verglichen mit Joh. 8, 32 f. so folgt, daß überhaupt der Begrif einer willkührli|b114||c114|chen Imputation fremder Handlungen und Gesinnungen ohne biblischen Grund sey;a77 wie denn auch solche Vorstellungen die richtigen Empfindungen des Gewissens verwirren, die Aufmerksamkeit von uns selbst entfernen, und dem Fortgange wahrer moralischencd78 Verbesserung eines Volksd79 höchst hinderlich sind. Es ist demnach im Gegensatzd80 gegen Augustins Behauptung und deren spätere Maskirungend81 zu lehren, daß Gott jeden Menschen ohne c82 auf irgends einen andern,cd83 sich so vorstelltcd84, wie er wirklich in seinen eignen innern Gesinnungen und nach seinem Verhalten beschaffen ist, und ihm nach dieser innern Empfänglichkeit das möglichste Gute nach seiner allgemeinen Vaterliebe zutheilt.
Ueber die allegorische Erzählung
/dMosis
d\ vom Fall
d86 Adams ist Jakobi 1, 13. 14. 15. der authentische Kommentarius
a87, aber nicht B. Weish. 2, 24.
d1: verschiedenena2: werdea3: konntend4: diesesd5: 12a6: statt ἐφ’ ὡ im Lateinischen lasen in quo omnes peccaverunt,a7: dis stimmtea8: dena9: per traducema10: cooperirtcd11: Satzed12: Behufea13: traducem & materialitatem animae verworfen, hat man dena14: Caput repraesentativum totius generis humania15: Menschena16: sündigen lassencd17: einen Vergleichcd18: Elendea19: daraus die Billigkeit der Imputation hergeleitet.d20: bloßed21: Witzes,a22: Widersprüche,ad23: Gottad24: sehr (a) ; sehr (d)ad25: äußerstd26: zurechnen,a27: freyea28: erklären,d29: vorgestelleta30: könntend31: daßd32: Naturd33: eigenead34: wolltea35: er siea36: einen Stammvatercd37: üblema38: setzen lässet, mit dem er nicht zufrieden wara39: sündigend40: solled41: alles,d42: davord43: unsremcd44: werde:cd45: Mosisd46: verbreitet werdena47: weiter ad analogiamc48: Röma49: daßa50: imputirtd51: müssead52: kommtad53: kannd54: imputiretd55: Diesesa56: thuncd57: siehetd58: Verwirrungena59: erzeugt:d60: Systeme erzeuge,d61: mached62: bemerketcd63: Stammvatersd64: nach welchemcd65: Theila66: Esd67: imputiretad68: sollted69: Testamentead70: Testament (a) ; Testament (d)ad71: Testamente,cd72: erkläretd73: eigenea74: nur für seine eignea75: solltec76: lehretena77: sey,cd78: moralischerd79: Volkesd80: Ge|d102|gensatzed81: Verkleidungc82: Rüksichtcd83: anderncd84: vorstelt (c) ; vorstelt (d)cd85: vorstelletd86: Fallea87: Commentarius
|a105| §. 50.
Der zweite Satz des afrikanischen Systems ist,
daß durch Adams Fall die Natur des Menschen verdorben worden sey, und diese Verderbniß dergestalt forterbe, daß die menschliche Seele bereits mit wirklicher Sünde behaftet, und mit einem positiven Hang
cd1 zum Bösen zur Welt komme. Diese Lehren flossen ebenfals
d2 natürlich aus den Vorstellungen einer materiellen Fortpflanzung der Seelen. Denn ist die Seele der Kinder aus Theilen von den Seelen der Aeltern zusammengesetzt, so kan
a3 eine innere Verderbniß derselben, so wie Gicht und Schwindsucht
d4 ganz natürlich auf die Kinder forterben. Allein so bald man die Seele für eine unkörperliche einfache Substanz oder Kraft in engerer Bedeutung erkennet, so können die afrikanischen Lehrmeinungen ohne Widerspruch mit Schrift und Vernunft nicht angenommen werden.
|b115| |c115| Man mag nun entweder die Hypothese, daß bey der Zeugung des Körpers die Seele erst von Gott geschaffen werde,
/awelches die Pelagianer glaubten;
a\ oder die wahrscheinlichere Meinung, daß die einfache Substanz der Seele durch harmonische Verbindung mit körperlichen Organen,
d5 zu Vorstellungen von aussen
ad6 allererst veranlasset werde, da sie solche aus sich selbst ohne solche Veranlassung von aussen
ad7 nicht erzeugen kan
a8, annehmen; so erhellet, daß die Sünde auf sie nicht forterben könne, wenn man nicht die grobe Idee hat, daß sie in den
/aSaamentheilchen oder Keim
d9a\ ∥a10 des Körpers schon wohne. In diesem Fall
ad11 aber würde nicht die Seele,
|d103| sondern blos der Körper der Erbsünde wegen strafbar seyn. Sehr richtig und stark hat daher schon Julianus mit Beyfall der altgriechischen Kirche gegen den Augustin geschrieben:
/aEs ist keine aus den apostolischen Zeiten her überlieferte oder sonst gegründete Glaubenslehre, sondern in den Zusammenkünften der Bösewichter erdacht, vom Teufel eingeblasen, vom Manes vorgetragen, und vom Marcion ausgebreitet, was man in den Kirchen jetzt predigen will: daß die Sünde eine solche Macht habe, daß sie bereits vor Ausbildung der Gliedmassen
d12, vor dem Entstehen und der Ankunft der Seele, über den Saamentheilchen bey der Empfängniß herflattre, in das Innerste des mütterlichen Leibes eindringe, und die zu Verbrechern mache, die
d13 noch erst geboren werden sollen: und auf diese Weise die Sünde früher als der Mensch vorhanden seyn und schon da sitzen soll, die Ankunft der Seele zu erwarten.
cd14a\
anon est haec fides antiquitus tradita atque fundata nisi in conciliis malignantium, inspirata a diabolo, prolata a Manichaeo, celebrata a Marcione, in ecclesiis praedicare, tantam vim esse peccati, ut ante membrorum formam, ante |a106| initium adventumque animae, jactis seminibus supervolans in secretum matris invadat & reos faciat nascituros: ortuque ipso antiquior exspectet culpa substantiam.a
Es kan
ad15 auch ein jeder es bey sich selbst fühlen, daß der Gedanke: meine Seele würde gut seyn, wenn Gott nicht durch die Einrichtung, daß sie durch sündliche Aeltern in sündliches Fleisch eingekerkert worden
/acdist
acd\, sie hätte verdorben werden lassen;
cd17 die Begriffe von der göttlichen heiligsten Güte sehr umwölkt
cd18. Dergleichen Vorstel
|b116||c116|lungen schwächen die Wirkung
d19 des natürlichen Gewissens, indem der Mensch seine Vergehungen denn
d20 nicht sich selbst, sondern der Verdorbenheit seiner Natur, wofür er selbst nichts
/akan, zur Last legt
cd21,
a\ ∥a22 auch es für vergeblich hält, auf seine Verbesserung Mühe zu verwenden. Richtig sagt daher Cälestius:
/aMan entfernt sich sehr weit von dem Sinn
d23 der allgemeinen christlichen Kirche, wenn man eine Erbsünde durch Fortpflanzung behauptet. Denn die Sünde wird nicht mit dem Menschen geboren, sondern von ihm erst nachmals begangen: indem man ja deutlich lehrt
d24, daß Sünden Vergehungen des Willens und nicht der Natur sind. Dieses muß man vorher wohl festsetzen, damit man nicht bey der Lehre von der Nothwendigkeit und dem Nutzen der Taufe
d25 dem Schöpfer zum Vorwurf
d26 auf die Meinung verfalle, die Sünde würde dem Menschen, ehe er sie begehe, schon durch die Natur
|d104| überliefert.
a\ Longe a catolicocd27 sensu alienum est,a28 peccatum ex traduce affirmare: quia peccatum non cum homine nascitur, quod postmodum exercetur ab homine, quia non naturae delictum sed voluntatis esse demonstratur; hoc praemunire necesse est, ne per mysterii (baptismi) occasionem ad creatoris iniuriam, malum antequam fiat ab homine tradi dicatur homini per naturam.
cd1: Hanged2: ebenfallsa3: kannd4: Schwindsucht,d5: Organenad6: außenad7: außena8: kannd9: dem Keimea10: primis staminibusad11: Falled12: Gliedmaßend13: welchecd14: erwarten. –ad15: muß (a) ; muß (d)ad16: kanncd17: lassen,cd18: umwölketd19: Wirkungend20: danncd21: legeta22: kann, imputirt,d23: Sinned24: lehretd25: Taufe,d26: Vorwurf,cd27: catholicoa28: est
§. 51.
Da indes verschiedne
d1 Schriftstellen die Lehrmeinung von einer allgemeinen Verdorbenheit der menschlichen Natur zu begünstigen scheinen, so ist hierüber noch folgendes zu merken.
ad2
Erstlich kan
a4 Paulus Brief an die Römer als die eigentliche Hauptquelle der herrschenden Lehrmeinungen
a5 angesehen werden. Hier komt
a6 es nur blos auf eine aufrichtige Untersuchung der Frage an:
a7 ob der Zweck Paulus
cd8 sey, von einer
Verderbniß der Natur auch bey Kindern;
a9 oder nicht vielmehr von einem
cd10 Verderbniß |b117| |c117| der damaligen Nationen in Absicht der unter ihnen herrschenden Grundsätze, Gottesdienstlich|a107|keiten und Laster /dzu reden.
c11d\ ∥d12 Es ist offenbar das letzte sein Zweck, denn er beweiset in den zwey ersten Kapiteln
a13 die unter den Heiden herrschende Verderbniß nicht aus der Abkunft von Adam, sondern aus den unter ihnen im Schwange gehenden Lastern. Noch mehr, er erklärt
cd14 ausdrücklich die Natur für gut, und behauptet, daß die Heiden durch ihre Vernunft Gott hätten erkennen, und nach ihrem natürlichen Gewissen auf den Weg wahrer Wohlfart geleitet werden können; da sie aber die in ihnen vorhandne
d15 Wahrheit in Lügen selbst verwandelt hätten, so wären die traurigen Folgen ihrer Lasterhaftigkeit als Strafen des Mißbrauchs ihrer gehabten hinlänglichen Naturkräfte
/a/danzusehen.
d\ ∥d16 Ja Kap. 2, 13–15. behauptet Paulus ganz bestimt, daß
/cdalle Heiden Einsichten in das göttliche
cd\ ∥cd17 Gesetz
/cdund einen Gewissenstrieb solche zu befolgen ohne Offenbarung oder Gnade durch die Naturkräfte
cd\ ∥cd19 ihrer Vernunft
/cdwirklich hätten, und viele unter ihnen die Werke des Gesetzes thäten, oder
cd\ ∥cd21 sich
∥cd22 in ihrem Verhalten
/cd, zur Beschämung der
cd\ ∥cd23 Juden, die
d25 /cdihr geoffenbartes Gesetz vernachlässigten, darnach richteten.
cd\ ∥cd26 Nachher beweißt
d27 er ausführlicher
a\ ∥a28, daß die Juden, ob sie gleich mehrere äussere
ad29 Erweckungen und Hülfsmittel gehabt, doch der ganzen Nation nach, nichts besser als die Heiden wären. Die ganze Stelle Röm. 3, 10. f. handelt daher nicht von einer Bösartigkeit, womit die Juden geboren worden sind, sondern von der Lasterhaftigkeit und Verdorbenheit der Nationaldenkart
d30, die unter den erwachsenen
cd31 geherrschet hat.
∥d32 Es ist daher auf ähnliche Art die Stelle Eph. 2, 3. wo Paulus nach Luthers Uebersetzung sagt: wir führten unsern Wandel in Lüsten des Fleisches, und thaten den Willen des Fleisches und der Vernunft,
a33 und waren auch Kinder des
|c118| Zorns von Natur gleichwie die andern; dem Zusam
|b118|menhange und Zweck
d34 nach dahin zu erklären: So wie die Heiden nach dem unter ihnen herrschenden Geist
d35 der Immoralität
d36 sich allerley Ausschweifungen ergeben haben, so haben wir Juden ebenfals
d37 uns durch sinnliche Lüste und thörichte
a38 Einfälle leiten lassen, und sind der Nation nach nicht minder strafwürdige Leute als andre Völker. Es ist also die Lehre der Schriften neuen Testaments, und der ältesten Kirche:
a39 daß die Natur, womit wir geboren werden, gut ist, daß aber der unterlassene Gebrauch der Vernunft, des natürlichen Gewissens, und der übri
|a108|gen äussern
ad40 Gelegenheiten zur
a42 bessern Erkentniß
d43 bey Heiden und Juden ein herrschendes Nationalverderben hervorgebracht hat
d44: folglich solches nicht aus Adams Fall
d45 herzuleiten sey
/a: obgleich mit Adams erster Sünde die Sünde in die Welt gekommen ist, und alle erwachsene Nachkommen desselben ihm nachgeahmt haben
a\.
Daß
τα θεληματα των διανοιων nicht
a46 den Willen der Vernunft, sondern der Einbildungen, Einfälle und mit zusammen, das was unsern
d47 sinnlichen unter einander laufenden Einbildungen nach uns beliebte, zu erklären sey, bedarf für Sprachkundige keines Beweises. Daß aber
φυσις /dselbst
d\ in Paulus
a48 Sprache die
|d106| Herkunft oder die Nation bedeute, erhellet aus Gal. 2, 15.
∥cd49 und daß es solches hier bedeute aus dem Zusammenhange; indem Paulus nicht von angebornen, sondern von wirklich begangenen Sünden, die
d50 unter den Juden, wie unter andern Völkern,
a51 Mode geworden waren, redet.
Daß die ältere Kirche schriftmässig
ad52 gelehret
/ahabe
a\, dafür will ich blos eine Stelle anführen. Clemens
a53 Alex.
στρωματεων Libr. 7. sagt: Die Quelle
a54 aller Sünden sind Unwissenheit und Schwachheit, an beiden
a55 sind wir schuld
a56 in so fern wir uns nicht bemühen zu lernen, und die Begierden zu besiegen.
d1: verschiedenead2: bemerken. (a) ; bemerken. (d)ad3: merken:a4: kanna5: Lehrmeinunga6: kommta7: an,cd8: des Apostelsa9: Kindern,cd10: einerc11: reden?d12: zu reden?a13: Capitelncd14: erkläretd15: vorhandened16: anzusehen, Kap. 1, 18. 25.cd17: die Heiden ohne ein geoffenbartes (c) ; die Heiden ohne ein geoffenbartes (d)cd18: die Heiden, ohne ein geoffenbartescd19: zu haben, doch bey dem Gebrauch (c) ; zu haben, doch bey dem Gebrauch (d)cd20: zu haben, doch bey dem Gebrauchecd21: zu richtigen moralischen Einsichten gelangten und einen Ge|d105|wissenstrieb von Natur empfänden,cd22: darnachcd23: zu bestimmen; ja daß viele derselben dem göttlichen Willen gemässer lebten, als die (c) ; zu bestimmen; ja daß viele derselben dem göttlichen Willen gemässer lebten, als die (d)cd24: zu bestimmen; ja daß viele derselben dem göttlichen Willen gemäßer lebten, als died25: welchecd26: sich eines vom Himmel geoffenbarten und ihnen schriftlich überlieferten Gesetzes rühmten.d27: beweiseta28: Auf gleiche Art beweiset erad29: äußered30: Nationaldenkungsartcd31: Erwachsenend32: Kap. 3, 19.a33: Vernunft:d34: Zwecked35: Geisted36: Unsittlichkeitd37: ebenfallsa38: thörigtea39: Kirche,ad40: äußern (a) ; äußern (d)ad41: äußerena42: zud43: Erkentniß,d44: habed45: Fallea46: nicht,d47: unsrena48: Paulicd49: Röm. 2, 14 u. 27.d50: welchea51: Völkernad52: schriftmäßiga53: Clemens.a54: Quellena55: beydena56: schuld,
|b119| |c119| §. 52.
Der dritte Augustinische Hauptsatz ist,
daß der Mensch schlechterdings ganz unvermögend sey, etwas zu seiner Besserung beyzutragen, und Gott daher jeden einzelnen guten Gedanken, jede gute Handlung allein in uns wirken müsse; daher niemand durch alles sein aufrichtiges Bestreben sich forthelfen könne, sondern nur derjenige, den Gottes Gnade ergreife
a1, gebessert würde, er möchte
d2 wollen oder nicht. Diese Sätze waren natürliche Folgen
a3 der zum Grunde liegenden philosophischen Principien. Man hat in der Kirche solche zu mildern gesucht, weil es in die Augen fiel, daß sie
/cdgerade zu
cd\ ∥cd4 allen eignen
d5 Fleiß in der Heiligung, wozu wir
|a109| so oft in der heiligen Schrift aufgefordert werden, ersticken. In der lutherischen Kirche hat man den Satz:
a6 Gott müsse alles und der Mensch könne nichts zu seiner Besserung thun;
ad7 beybehalten, jedoch,
a8 um den natürlichen harten Folgerungen zu entgehen, dabey angenommen, daß die Gnade Gottes den Menschen nicht wider seinen Willen bekehre, sondern der Mensch
widerstehen könne. Aber auch diese menschliche Hypothese, von der
d9 die Schrift nichts enthält, löset sich von selbst
/caus einander
c\ ∥c10, so bald man frägt
d11, was denn der
Nichtwiderstand des Menschen sey? ob nicht ein Entschluß des Menschen erfordert werde, nicht widerstehen zu wollen? ob der Mensch sich durch eigne Ueberlegung zu diesem Entschluß
d12 bestimmen könne? ob der Mensch die Bestimmungsgründe zu dem Entschlusse, nicht zu widerstehen, durch eigne Kräfte in sich
/cdhervor bringen
cd\ ∥cd13 könne? ob
|d107| nicht ein natürlich
d14 Vermögen, das Gute
d15 was
/acd16a\ zum Entschluß
d17 bestimmen soll, als etwas Gutes einzusehen, und eine freiwillige
a18 Aufmerksamkeit und Nachdenken darüber erfordert werde? ob also der Mensch nicht viele Handlungen vornehmen muß
d19, die durchaus sein eignes
d20 Werk sind? denn wenn sie es nicht sind, so hängt
d21 auch der
|b120| |c120| Nichtwiderstand von ihm selbst nicht ab. Sehet da, Freunde der Wahrheit, wie viel
d22 Verwirrung menschliche Hypothesen in der Religion hervorgebracht haben, und wie der übertriebne Scharfsinn der Gelehrten, wenn einmal falsche Principien zum Grunde liegen, die leichte Einsicht in die Wahrheit erschweren kan
ad23.
a1: ergriffend2: mögea3: Folgen,cd4: geradezud5: eigenena6: Satz,ad7: thun,a8: jedochd9: welcherc10: auseinanderd11: frägetd12: Entschlussecd13: hervorbringend14: natürlichesd15: Gute,cd16: unsd17: Entschlussea18: freywilliged19: müssed20: eigenesd21: hängetd22: vielead23: kann
§. 53.
Ehe wir vergleichen, was aus der heiligen Schrift für oder wider die gemeine Hypothese vom gänzlichen Unvermögen der Menschen,
a1 etwas zur Förderung ihrer Glückseligkeit beyzutragen, angeführt
d2 zu werden pflegt, müssen wir erst das Vorurtheil entkräften, als ob Gott
|a110| oder desselben Gnade in Christo desto mehr verherrlichet würde, je verdorbner und unvermögender die menschliche Natur vorgestellet wird. Hierher
a3 gehört
d4
- Alle Realität und alles Gute komta5 von Gott. Von ihm erhalten wir die Kraft zu denken, Wahrheit und Irrthum, Gutes und Böses, Recht und Unrecht zu erkennen, und zu unterscheiden. Er bleibtd6 der eigentliche Vater unsresa7 Geistes, wenn wir gleich durch unsre Aeltern den organischen Körper, durch welchen Begriffe in uns erweckt werden, überkommen: ja auch disd8 ist seine Einrichtung; er bildet uns ohne unsrer Mutter Bewußtseyn, ja ohne daß diese weiß, was dazu gehörtd9, zu unsrer Bestimmung. Die Gesetzed10 nach welchen sich unsre Begriffe formen, nach welchen diese auf unsre Begierden wirken, nach welchen wir uns zu vernünftigen moralischen Wesen entwickeln, sind ebenfalsd11 von Gott, und nur nach diesen Gesetzen können wir denken und wollen. Auch die /aäussernd12 Objektea\ ∥a13, und die Wirkung, died14 sie auf uns machen, wodurch die Reihen unsrer Vorstellungen und Begierden bestimta15 werden, sind von Gott hervorgebrachtd16 und in das Verhältniß gegen uns gestelltd17, nach welchem sie auf uns wirken. Und in dieser Beziehung |b121| |c121| ist es unläugbar allgemein wahr, daß ursprünglich alles Gute von Gott komtad18, und ∥d20 der Mensch nicht die geringste reelle Bestimmung in sich erschaffen kanad21, wozu ihm nicht die Kraft so wol als der Stof von Gott dargeboten würded23. Wenn man nun annimta24, daß die Kräfte und die Veränderungsgesetze der Entwickelung unsrer Talente von Natur schlecht sind, und nichts zu unsrer Bestimmung beytragen können, sondern Gott unmittelbar andre Kräfte darreichen, oder den natürlichen Gang der Gedanken, wider die ursprüngliched25 selbst /dgemachte psychologisched\ ∥d26 Gesetze,a27 alle Augenblicke abändern müsse, so umwölktd28 man seine Weisheit, |a111| und beschuldiget sie offenbar einer grossenad29 Unrichtigkeit oder Mangelhaftigkeit in ihrem ersten Pland30. Es ist wenigstens klar, daß man Gottes Ehre auf dieser Seite allemal so viel entziehtd31, als man ihmd32 auf der andern beylegen will.
- Auch verdunkelt man Christi Verdienste um uns und die durch die Sendung desselben geoffenbarte Güte und Weisheit Gottes ungemein, wenn man annimta33, daß Gott auch bey denen Menschen, welchen die Lehre Jesu vorgetragen wird, alle Erkentnißd34, alles Wollen, und alles Vollbringen des Guten noch durch unmittelbare Wirkung hervorbringen oder ergänzen müsse. Aber alsdennd35 wird die Weisheit Gottes in Christo verherrlichet, wenn die Anweisungen desselben unsrema36 schwachen Erkentnißvermögen genau /aangemessen, unda\ ∥a37 die Beweggründe der Lehre Jesu,ad38 nach den natürlichen Veränderungsgesetzen unserer Seele gute Gesinnungen und Thätigkeiten hervor zu bringen, hinlänglich sind;a39 wenn Gottes Liebe auch unsrena40 schwachen Augen in Christi Leben und Lehre so reizenda41 erscheintd42, daß wir ihn wieder zu lieben und uns ihm ganz zu widmen bestimtad43 werden. Dann harmonirtd45 Gott in der Natur, in seiner Vorsehung |b122| |c122| und in sei|d109|nen Offenbarungen durch Christum mit sich selbst, und sein Plan ist vollkommen, ohne daß er denselben /daugenblicklich nachzubessernd\ ∥d46 nöthig hat.
- Der Mensch wird auch durch die Lehre, daß seine natürlichend47 Kräfte zu seiner Glückseligkeit mitwirken müssen, gar nicht stolz werden. So bald man nur den manichäischen Irrthum, als ob Natur und Gnade entgegenstehende Principien wären, fahren läßtd48, so zieltd49 alles zu Verherrlichung Gottes und Christi weit sichtbarer ab. Die ganze Natur des Menschen ist ja auch ein Gnadengeschenk Gottes, da unsre ganze Existenz solches ist. Gott kana50 also unmöglich mit sich |a112| selbst streiten, und durch unsre Natur uns von demjenigen Zield51 abziehen, zu welchem er uns durch unmittelbare Wirkungen /cdhin /azu ziehena\ ∥a52cd\ ∥cd53 sucht. Ist aber alles, was ich auch natürlich Gutes vermag, Gottes Gabe, wie köntea54 ich darauf stolz werden? Und überdisd55, was heißtd56 denn tugendhaft seyn anders, als /ain vollem Maassed57a\ ∥a58 das Gute geniessend59, was Gott von allen Seiten der thierischen, geistigen und moralischen Natur des Menschen aus freiera60 Güte darbietet? So bald man also die Menschen von den Begriffen, als ob wir Gott dienen köntena61, und als ob es willkührliche göttliche Vorschriften gäbea62, durch deren Beobachtung wir selbst nicht glücklicher würden, entwöhneta63 hat, so wird ein Mensch sich so wenig auf seinen Fleiß in der Tugend etwas einbilden, als es je einemd64 Menschen einfallen wird, darauf stolz zu werden, daß er selbst Speise und Trank durch seine Naturkräfte geniessend65 kana66, ohne daß erst eine unmittelbare Einwirkung Gottes ihn zum jedesmaligen essencd67 und trinkencd68 geschickt machen muß.
Es verhält sich mit den Augen des Verstandes, wie mit den Augen des Körpers. Wer nicht blind geboren wird, hat das Vermögen
d69 alle sichtbare Objekte zu erkennen: allein
|b123| |c123| wirklich siehet er wegen dieses blossen
d70 Vermögens noch nichts. Es müssen
∥cd71 Objekte von aussen
ad72 sich dem Auge in der Nähe und in gerader Linie darbieten, und es muß ein äusseres
ad73 Licht darüber verbreitet
/cdseyn
cd\ ∥cd74. Eben so hat jeder
|d110| nicht blödsinnig geborne Mensch das Vermögen
cd76 alle gedenkbare Wahrheiten einzusehen; wir sehen aber durch das blosse
d77 Vermögen
∥cd78 noch nichts wirklich ein, sondern es müssen uns erst alle
cd79 Begriffe von aussen
ad80 dargeboten werden. Was uns aber näher vorgelegt
d81 wird und mit hinlänglicher Klarheit erscheint, das sehen wir wirklich ein
d82 ohne weitere Hülfe. Durch die Lehre Jesu sind die zu unsrem
a83 Wohl
d84 zu erkennen nöthige
d85 Objekte erhellet, und nahe vor
∥d86 Augen ge
|a113|legt
d87 worden. Solten
ad88 wir nun doch noch nichts verstehen und einsehen können, so müßte Gott die Augen des Verstandes nicht so gut als die Augen des Körpers formiret
d89 haben. Nach Augustins Vorstellung ist aller Menschen Vernunft mit dem Staar
d90 behaftet, und Gott muß
/azu jedem einzelnen Blick
d91a\ ∥a92, wenn
/adem Menschen eine Wahrheit einleuchten
a\ ∥a93 soll, den Staar durch
/cdeine
cd\ unmittelbare Wirkung
/cdzurücke ziehen
cd\ ∥cd94, und
/cdso bald
cd\ ∥cd95 Gott damit nachläßt
d96, ist der Staar wieder
/avor den
a\ ∥a97 Augen. Ob diese Vorstellung Gott verherrliche, mag jeder selbst beurtheilen.
a1: Menschend2: angeführeta3: Hieherd4: gehört:a5: kommtd6: bleibeta7: unsersd8: diesesd9: gehöretd10: Gesetze,d11: ebenfallsd12: äußerna13: äußern Objected14: wel|d108|chea15: bestimmtd16: hergebrachtd17: gestelletad18: kommt (a) ; kommt (d)ad19: kommed20: daßad21: kann (a) ; kann (d)ad22: könned23: werdea24: annimmtd25: ursprünglichend26: gemachten psychologischena27: Gesetzed28: umwölketad29: großend30: Planed31: entziehetd32: ihra33: annimmtd34: Erkentnissed35: alsdanna36: unserma37: angemessen sind, wennad38: Jesua39: sind,a40: unserna41: reitzendd42: erscheinetad43: bestimmt (a) ; bestimmt (d)ad44: bestimmetd45: harmoniretd46: immerfort nachzubessern,d47: natürliched48: lässetd49: zieleta50: kannd51: Zielea52: zuziehencd53: hinzuziehena54: könnted55: überdießd56: heißetd57: Maaßea58: im vollen Maaßd59: genießena60: freyera61: könntena62: gebea63: entwöhntd64: einend65: genießena66: kanncd67: Essencd68: Trinkend69: Vermögen,d70: bloßencd71: diead72: außenad73: äußerescd74: seyn wenn das Auge sie wahrnehmen soll (c) ; seyn wenn das Auge sie wahrnehmen soll (d)cd75: seyn, wenn das Auge sie wahrnehmen sollcd76: Vermögen,d77: bloßecd78: des Verstandescd79: objectivead80: außend81: vorgelegetd82: ein,a83: unsermd84: Wohled85: nöthigend86: died87: gelegetad88: Solltend89: gebildetd90: Staared91: Blickea92: ad actus singulosa93: ein Mensch etwas einsehencd94: zurückeziehencd95: sobaldd96: nachlässeta97: vorn
§. 54.
Alle Schriftstellen,
a1 welche man zum Behuf
d2 der Augustinischen Lehre vom gänzlichen Unvermögen der Menschen etwas Gutes zu erkennen, zu wollen,
a3 und zu vollbringen anführet, beweisen blos:
a4 daß kein einzelner seinen Naturtrieben überlaßnerd5 Mensch,a6 so wenig als eine ganze in Aberglauben und Lasterhaftigkeit versunkene Nation sich selbst zu richtigen Einsichten in der Religion, und zu wahrer Tugend /aohne äussered7 Hülfea\ erheben könne. In dieser Beziehung wird daher das Evangelium als eine göttliche Kraft, welche die Menschen umschaft
d8, einen neuen Geist in ihnen hervorbringt
d9 und sie zu guten Werken tüchtig macht
d10, beschrieben. Nirgends aber wird
|b124| |c124| gelehret
a11, daß nun die Christen,
a12 welche diesen Geist oder diese neue Einsichten und
/aeine
a\ dadurch verbesserte Denkungsart überkommen haben, noch zu jedem einzelnen guten Gedanken, Entschluß
d13 oder Vollbringen der Vorsätze eine anderweitige Einwirkung der Kraft Gottes erwarten solten
acd14. In eben den Stellen, welche den Worten nach
a16 Augustins Lehre am meisten begünstigen, werden die Menschen aufgefordert ihre Kräfte zu brauchen. Das müssen nothwendig
|d111| Kräfte seyn, deren Gebrauch von ihnen abhängt
cd17, indem Gottes Kraft nicht unter der Disposition der Menschen stehen kan
a18; folglich eigne zur Natur des Menschen gehörende
|a114| Kräfte. Gott ists, sagt Paulus Phil. 2, 13. der in euch wirket, so wol das Wollen als das Ausüben; darum
/dbearbeitet euch
d\ ∥d19 recht stark (
κατεργαζεσθε),
a20 mit größter Sorgfalt und
/cdVorsichtigkeit,
a21cd\ ∥cd22 glücklich zu werden; wie ihr denn auch bisher schon (der Lehre) folgsam gewesen seyd. Könte
a23 die Schrift so reden, wenn blos
/ader Nichtwiderstanda\ ∥a24 vom Menschen gefordert würde? Könte
a25 sie den Christen wol
d26 befehlen: 2 Petr. 1, 6 f. 10. Wendet allen euren Fleiß, die möglichste Anstrengung (
σπουδην πασαν) dazu an, vermittelst der bessern Religionseinsichten nun alle Tugenden zu üben: oder Phil. 4, 8. denket selbst nach, ihr Christen, was ruhmwürdig, anständig etc. ist, und das
/dthut.
c27 Müßten
d\ ∥d28 nicht alle unzählige Aufforderungen, Ermahnungen und Befehle, welche die heilige Schrift an die Menschen richtet, wenn Augustin richtig lehrte
cd29, an die Gnade Gottes und nicht an die Menschen gerichtet werden, und Petrus und Paulus sagen:
a30 verhaltet euch nur ganz ruhig und leidentlich, ihr Christen, suchet nicht selbst zu denken oder etwas zu wirken, denn Gott hat seiner Gnade befohlen, in euch alle Gedanken, Entschliessungen
d31 und Handlungen ohne euer Zuthun oder Mitwirken hervorzubringen?
|b125| |c125| Paulus lehret 1 Cor. 2, 14. nicht daß, wie Luther übersetzt, ein
natürlicher Menschenverstand die höhere Religionserkentnisse nicht fassen könne, sondern nur
d32 daß ein
/aseelischer oder Seelenmensch (
ψυχικος)
a\ ∥a33 das ist
d34 ein an blos sinnliche Vorstellungen besonders in der Religion gewöhnter Mensch es nicht könne, sondern daß ein
/aGeistesmensch (
πνευματικος)
d35a\ ∥a36 das ist,
a37 ein gesetzter
d38 im vernünftigen Nachdenken geübter Verstand dazu gehöre: wie der unläugbare Sprachgebrauch der Worte
/aSeelenmensch und Geistesmensch (
ψυχικοςa\ ∥a39 und
πνευματικος)
a40 unter den jüdischen Gelehrten es mit sich bringt.
dUnd Eph. 5, 8. 9. heißet es: ihr (Heiden) waret ehedem Finsterniß, d. i. in der Religion unwissende und unsittliche Leute, nun aber seyd ihr ein Licht in dem Herrn, d. i. als unterrichtete Christen aufgeklärte Leute, von eigenen hellen Einsichten, und diesen höhern Einsichten handelt nun gemäß.d
a1: Schriftstellend2: Behufea3: wollena4: blos,d5: überlassenera6: Menschd7: äußered8: umschaffed9: hervorbringed10: machea11: gelehrta12: Christen;d13: Entschlusseacd14: sollten (a) ; sollten (c d)acd15: sollena16: nach,cd17: abhängeta18: kannd19: arbeiteta20: (κατεργαζεσθε)acd21: Vorsichtigkeit (a) ; Vorsichtigkeit (c d)acd22: Vorsichtigkeit dahin, uma23: Könntea24: der Nichtwiderstanda25: Könnted26: wohlc27: thut?d28: thut? Müssencd29: lehretea30: sagen,d31: Entschließungend32: nur,a33: ψυχικοςd34: ist,d35: (πνευματικος),a36: πνευματικοςa37: istd38: gesetzter,a39: ψυχικοςa40: πνευματικος
|d112| §. 55.
Der
/avierte den praktischen Glückseligkeitslehren des Christenthums sehr nachtheilige
a\ ∥a1 Lehrsatz ist:
daß /aGott uns Christi Gerechtigkeit zurechne, wenn wir sie im Glauben ergreifen, oder daß uns Gott
/cdso dann
cd\ ∥cd2 in Christo, als eben so gerechte Leute, wie Christum selbst ansehe. Ob man nun wol
d3 (nach Chyträus Geständniß
d4) Luthern für den ersten Urheber des Satzes: daß der seligmachende Glaube sich eigentlich mit Ergreifung der Gerechtigkeit Christi beschäftige, zu halten hat; so ist er doch eine ganz natürliche Folge aus afrikanischen Auslegungsregeln und Grundsätzen. Denn nach eben den Principien, nach welchen aus Röm. 5. eine Zurechnung der Sünde Adams herausgebracht wird, ist auch die Zurechnung der Gerechtigkeit Christi darin gegründet: und nach eben den Rechtsgründen, nach welchen eine fremde Schuld uns imputirt
d5 wird, soll uns auch eine fremde Gerechtigkeit zugeeignet werden. Diese Sätze, von Zurechnung fremder Verdienste, werden in der römischen Kirche noch weiter ausgedehnt, so daß jemand auch andrer Menschen überflüssige
d6 gute Werke sich erhandeln und vor Gottes Gericht gegen seine eigne Sünden verrechnen, oder durch Einklei
|b126||c126|dung in die Ordenskutte eines frommen Mönchs
d7 im sterben
d8 vor Gott sich angenehmer machen kan
d9.
a\
ader seligmachende Glaube der Christen sich eigentlich mit der Ergreifung und Zueignung der Gerechtigkeit Christi beschäftige, und Gott dem, welcher zuversichtlich glaubt Christus habe für ihn alles gethan, die Gerechtigkeit Christi zurechne, oder sich denselben so gerecht als Christum selbst vorstelle.a
Da
/anun
a\ bey
/a/cddiesen Lehrsätzen
cd\ ∥cd10 von der
∥cd12 Ueberkleidung mit einer fremden Gerechtigkeit
c13 auf einer Seite
a\ ∥a14 so ausnehmend viel
d15 verworrene
a16 Begriffe zum Grunde liegen, und so viele verführerische
a17 Mißdeutungen gewöhnlich sind;
a18 auf der andern Seite aber ein grosser
ad19 Theil der Geistlichen denselben als den rechten Kern
/dund Stern
d\ des gesamten Christenthums betrachtet, ob er gleich niemals
/ain der ältern Kirche geglaubt, noch selbst
a\ in unsrer Kirche symbolisch geworden ist, so ist, wenn nicht der ganze Zweck der Religion Jesu verfehlet werden soll, eine deutliche Entwickelung des wahren und des irrigen in demselben nothwendig.
⌇⌇a /aDie Urquelle der Verwirrung
a\ ∥a20 in der ganzen Lehre von der Imputation
d21 der Gerechtigkeit Christi liegt
d22 in der fal
|d113|schen oder doch undeutlichen
d23 Vorstellung von dem Grunde und der Absicht der göttlichen Anforderungen an die Menschen, und
∥cd24 der damit verknüpften Vermischung allgemeiner göttlichen
d25 Gesetze mit den mosaischen Satzungen. Diese Verwirrung zu heben müssen wir erst die wahre Beschaffenheit der göttlichen Gesetze untersuchen. Alle Vorschriften, die
d26 Gott den Menschen und jeder Vater seinen Kindern ertheilen kan
a27, sind entweder blos
/aväterliche Rathgebungena\ ∥a28, durch deren Befolgung die Kinder selbst vollkomner
a29 und glücklicher werden, oder es sind
Dienstforderungena30, deren Erfüllung den Kindern selbst zu keinem Vortheil
d31 gereicht.
1. Die Gesetze der
/aersten Klassea\ ∥a32, welche die Kinder blos belehren, wie sie sich vor Schaden hüten und sich Vortheile und Vergnügen verschaffen können, müssen nothwendig von den Kindern selbst befolgt
cd33 werden, und es kan
a34 ihnen durchaus nichts helfen, wenn sie ein Dritter für sie erfüllen solte
a35. So kan
a36 zum Beyspiel der äl
|a116|teste Sohn nicht für seine unartigen Geschwister Arzney ein
|b127||c127|nehmen,
d37 oder studieren
a38, weil
cd39 wenn auch der Vater dessen gute Handlungen den jüngern Söhnen zu gute rechnen wolte
a40, diese doch offenbar dabey krank und ungeschickt bleiben würden. Gleiche Bewandniß
c41 hat es nun mit allen göttlichen Anweisungen über unser rechtes Verhalten zur Glückseligkeit,
/aindem ihre
a\ ∥a42 Befolgung uns selbst vollkomner
a43 und glücklicher macht. Es kan
a44 uns gar nichts helfen, wenn es auch möglich wäre, daß Gott uns Christi Mässigkeit
ad45, Vertrauen zu ihm, Geduld unter den Leiden, u. s. w. zurechnen
/awolte
d46; weil
a\ ∥a47 so lange wir selbst noch von Unmässigkeit
ad48, Mißtrauen zur göttlichen Vorsicht, und ungestümer Ungeduld geplaget werden, unser moralisches Elend immer fortdauret. Es ist aber auch nicht gedenkbar, daß Gott sich uns einen Augenblick anders als wir wirklich sind vorstellen solte
a49, indem solches theils an sich ein Irrthum in Gottes Erkentniß wäre, theils uns selbst zum Schaden gereichen würde. Denn wenn Gott sich uns in Christo als moralisch vollkommen denken solte
a50, so würde er sich uns in demselbigen als selige Leute vorstel
|d114|len, und doch blieben wir die kranken
a51 und mit uns selbst im Widerspruch
d52 lebenden Geschöpfe. Ueberdis
d53 schwächet diese Art der Einbildungen nach ihren natürlichen Folgen alle reelle Hofnungen. Ist es an sich möglich, daß Gott sich mich anders vorstellt
cd54 als ich wirklich bin, so wird er mich vielleicht im Grabe lassen, und sich vorstellen, als wäre ich in Christo auferstanden und lebte in demselben höchst glückselig. Um diesen falschen Begriffen vorzubeugen, lehret daher die Schrift in eben den Stellen, darin sie sagt
d56, daß wir in und mit Christo gestorben sind
d57 Röm. 5, 6.
a58 daß wir
cd59 um mit ihm zu leben, nun selbst der Sünde absterben und uns der Rechtschaffenheit und der Tugenden Christi befleissigen
ad60 sollen, weil eben das wahre Leben hier und in allen
cd61 Ewigkeiten nur aus den moralisch guten Gesinnun
|a117|gen, wodurch wir Christo und Gott ähnlich werden,
|b128| |c128| erwächst. Es ist also unläugbar, daß jeder Christ nicht nach dem Maaß
d62, nach welchem er sich Christi Gerechtigkeit zurechnet, oder sich versichert hält, daß Gott sie ihm zurechne;
a63 sondern nur nach dem Maaß
d64, als er selbst Christi Sinn und Denkungsart annimt
a65 und demselben in seinem ganzen Verhalten nachahmt
d66, glückselig werde. Nur hierdurch werden wir selbst vollkomner
a67. Ja da auch moralische Vorschriften, und das ist göttliche Gesetze
a68 beobachten
d69 nichts anders ist, als mit sich selbst in Harmonie kommen und alles von Gott dargebotene Gute in
/dvollerm Maaß
c70 geniessen
d\ ∥d71,
/awie §.
19. gezeigt
d72 worden,
a\ so folgt
cd73 unmittelbar, daß weil wir nicht einen andern für uns geniessen
d74 lassen können, auch kein andrer für uns Gottes väterliche Anweisungen
a75 befolgen kan
acd76.
2. Die Gesetze der
/azweiten Klassea\ ∥a78 sind eigentliche Dienstforderungen, deren Leistungen
acd79 demjenigen, der
d80 sie erfüllet, mehr nachtheilig als vortheilhaft ist: als wenn zum Beyspiel ein Vater von seinem Sohne verlangt
cd81, daß er einen Brief bey ungestümen Wetter an einen entfernten Ort überbringen
/d, oder seinen ermüdeten kleinern Bruder auf den
a82 Arm nehmen und nach Hause tragen
d\ soll. Dergleichen befohlne Handlungen können von einem dritten übernommen werden, und da gilt die
/aRechtsregel: was jemand durch einen andern leisten läßt
cd83, wird so angesehen als ob er es selbst gethan habe;
a\ ∥a84 insonderheit wenn die Genehmigung des Gesetzgebers dazu komt
a85. Es kan
a86 also in dem angeführten Fall
d87 ein Fremder den Brief
/d, oder das ermüdete Kind
d\ an den bestimten
a88 Ort überbringen. Nun
/cdfrägt
cd\ ∥cd89 sich, ob es dergleichen Dienstforderungen Gottes an die Menschen gegeben hat und noch giebt? Hier ist nun Moses
d90 und Christus wohl zu unterscheiden. Mosis Gesetz enthält unstreitig eine Menge solcher Dienstforderungen.
/aAllein Moses
d91 hat eigentlich ein Gesetzbuch für die bürgerliche Staatsverfassung der Juden in Palästina liefern wollen: und da Gott unter dem Namen Je
|b129||c129|hova
/cdzugleich
cd\ als das bürgerliche Oberhaupt des israelitischen Staats
d92, oder als der Landesherr derselben
c93 in den mosaischen Gesetzbüchern erscheint
d94, dessen Residenz die Stiftshütte und nachmals der Tempel war, so kommen im Mose viele zur Religion gar nicht, sondern blos zur Aufrechterhaltung des jüdischen Staats
d95 erforderliche Gesetze von Abgaben, Lieferungen und Dienstleistungen beym Hoflager des Jehova vor. Da nun aber die Juden das, was zur Staatsverfassung und zur eigentlichen Religion gehörte, nicht unterschieden, so ward nun von Christo und den Aposteln dieser Unterschied, so viel es nach den geringen Fähigkeiten der Juden geschehen konte, ihnen deutlich gemacht, wie ich dieses
/cdin den
Bestätigungen meines Systems gegen die Einwürfe einiger Gelehrten,
cd\ ∥cd96 ausführlicher darthue
c98. In dieser Beziehung lehrete daher Paulus:
a\
aEs haben einige Gelehrten berechnet, daß allein das, was zur Unterhaltung der Hofstaat des Jehova an den Tempel und die Priester jährlich geliefert |a118| werden müssen, über ein Fünftheil der Einkünfte eines jeden Juden betragen hat, wie viele andre willkührliche Vorordnungen enthält nicht der Israeliten Gesetzbuch, deren Befolgung weder ihren innern noch äußern Zustand verbessern konnte. Paulus lehret daher ausführlich:a
daß durch die Beobachtung des mosaischen Gesetzes, weil es selbst an Sinnlichkeit gekränkelt
∥d99, keine höhere Glückseligkeit
/dhabe
d\ befördert werden können
d100, und kein Mensch durch dergleichen Wercke
acd101 willkührlicher Verordnungen zu wahrer moralischen
d102 Güte der Gesinnungen gelange: daß aber Christus nun alle, die
d103 unter diesem Gesetze seufzeten, erlöset;
a104 alle solche den Menschen nicht beseligende Vorschriften abgeschaft
cd105, und eine völlige Freiheit
a106 von allen Dienstforderungen der Gottheit seiner Kirche versichert habe.
a107 Folglich hat auch von dieser Seite Christus nichts für uns, die
d108 Mosis Gesetz nichts angegangen
∥d109, leisten dürfen, was uns zugerechnet
a110 werden könte
a111; aber befreiet
a112 hat er uns auf immer von dem Aberglauben,
|d116| als ob Gott von uns Dienste geleistet haben wolte
ad113. Röm. 8. Gal. 5.
Daß es weder von der ganzen
/alutherischen Kirche,
a\ ∥a115 noch in einem symbolischen Buche derselben, noch in der heiligen Schrift gelehret worden sey,
/adaß Christus durch Erfüllung des Gesetzes uns erlöset habe,
a\ ∥a116 oder
/adaß sein thuen|b130||c130|der Gehorsam uns statt eignerd117 Gerechtigkeit angerechnet werde,
a\ ∥a118 hat schon mein verehrungswerther Lehrer und Amtsvorgänger D. Töllner mit seiner bekanten
a119 scharfsinnigen Genauigkeit in einem
/deignen Buch:
d\ ∥d120 der thätige Gehorsam Christi betitelt, sehr ausführlich dargethan.
a1: vierte in der afrikanischen Kirche gleichfals zuerst aufgekommne und nachher auf mancherley Art ge|a115|formtecd2: sodannd3: wohld4: Geständnissed5: imputiretd6: überflüßiged7: Mönchesd8: sterben,d9: kanncd10: diesem Lehrsatz, (c) ; diesem Lehrsatz, (d)cd11: diesem Lehrsatze,cd12: gläubigenc13: Gerechtigkeit,a14: diesem Lehrsatzd15: vielea16: verworrnea17: verführischea18: sind,ad19: großera20: Das πρωτον ψευδοςd21: Zurechnungd22: liegetd23: verworrenencd24: ind25: göttlicherd26: welchea27: kanna28: väterliche Rathgebungena29: vollkommnera30: Dienstforderungend31: Vortheilea32: ersten Classecd33: befolgeta34: kanna35: solltea36: kannd37: einnehmena38: studirencd39: weil,a40: wolltec41: Bewandtnißa42: derena43: vollkommnera44: kannad45: Mäßigkeitd46: wolltea47: wollte, indemad48: Unmäßigkeita49: solltea50: solltea51: Krankend52: Widerspruched53: Ueberdiescd54: vorstellet (c) ; vorstellet (d)cd55: vorstellet,d56: sagetd57: sind,a58: 6.,cd59: wir,ad60: befleißigencd61: alled62: Maaßea63: zurechne,d64: Maaßea65: annimmtd66: nachahmeta67: vollkommnera68: Gesetze,d69: beobachten,c70: Maassed71: vollerem Maaße genießend72: gezeigetcd73: folgetd74: genießena75: Anweisungacd76: kann (a) ; kann (c d)acd77: könnea78: zweiten Classeacd79: Leistungd80: welchercd81: verlangeta82: demcd83: läs|d115|seta84: Rechtsregel quod quis per alium facit ipse fecisse putatur,a85: kommta86: kannd87: Fallea88: bestimmtencd89: fräget esd90: Mosed91: Mosed92: Staatesc93: desselbend94: erscheinetd95: Staatescd96: im 6ten Abschnitt §. 87 bis 90. (c) ; im 6ten Abschnitt §. 87 bis 90. (d)cd97: im 6ten Abschnitte §. 87 bis 90. c98: thued99: habed100: könneacd101: Werked102: moralischerd103: welchea104: erlöset,cd105: abgeschaffeta106: Freyheita107: habe[.]d108: welched109: ista110: imputirta111: könntea112: befreyetad113: wollte (a) ; wollte (d)ad114: wollea115: Lutherischen Kirchea116: daß Christus durch Erfüllung des Gesetzes uns erlöset habe,d117: eigenera118: daß sein thuender Gehorsam uns imputirt werde,a119: bekanntend120: eigenen Buche,
§. 56.
Es frägt
c1 sich nun zweitens
a2: In wie fern
d3 Christi Leiden uns von Gott zur Strafe für unsre Sünden angerechnet werden, oder was für Strafen Christus an unserer Statt habe übernehmen und erdulden können? Um
|a119| hierüber helle Einsichten zu erhalten, muß man sich vor allen Dingen recht deutlich auseinander
a4 setzen, was eigentlich Strafen sind. Man kan
a5 /cdgewisser maßen
cd\ ∥cd6 sagen, daß alle Verwirrungen in der gesamten praktischen Religion aus der Verworrenheit des Begrifs der göttlichen Strafen entstehen, und daß daher durch eine richtige Entwickelung dieses auf einmal
/adie meisten
a\ ∥a7 Mißverständnisse in der Lehre von Christo und der von ihm gestifteten Versöhnung ihre Auflösung erhalten;
a8 und hiermit zugleich die Hindernisse, welche den praktischen Einfluß Christenthums auf das natürliche Gewissen der Menschen hemmen, weggeräumet werden. Ich will also versuchen,
a9 ob ich nicht auch für solche Leser, die keine geübte Metaphysiker sind, einen Weg bahnen könne
a10, auf welchem sie sich aus dem Labyrinth
d11 der hierüber vorhandnen
d12 in einander laufenden
/agelehrten Meinungen
a\ ∥a13 heraus helfen können. Man bemerke also hierüber zuvörderst folgendes:
- Bey allen freiena14 Handlungen muß man das physische (materiale) der Handlung von dem moralischen (formali) derselben unterscheiden. Das physische bestehet in der blossend15 Anwendung der Kraft, eine Veränderung |d117| hervorzubringen, oder in der blossend16 Handlung selbst. Das moralische ist die Beziehung, welche die Handlung auf ein bekantesa17 Gesetz hat. Z. B. Zwey |b131| |c131| Kinder gehen eine Meile; das eine Kind thut es auf Befehl seines Vaters, das andre wider ein ausdrücklichd18 Verbot seiner Aeltern. Hier ist die physische Handlung bey beyden einerley; sie gehen einen Weg und gleich weit: aber die verschiedned19 Beziehung ihrer Handlung auf ihnen bekantea20 Gesetze macht den moralischen Unterschied aus; das eine /aKinda\ leistet eine Pflicht, das andre begeheta21 einen Ungehorsam.
- Das physische so wol,a22 als das moralische der Handlung hat jedes seine eigned23 besondre Folgen, died24 wohl von einander unterschieden werden müssen. |a120|
- a) Die Folgen des physischen in der Handlung sind diejenigen, welche die Handlung haben würde, wenn auch kein Gesetz darüber vorhanden wäre, und welche daher so wol bey denen statt finden, die durch die Handlung eine Pflicht zu leisten suchen, als bey denen, welche dadurch einen Ungehorsam beweisend25. In dem gegebenen Beyspield26 von den mit einander einerley Weg wandernden Knaben sind die Folgen der physischen Handlung gleich, so wol die natürlichen als die zufälligen. Beyde werden ermüdet; disd27 ist die natürlichea28 Folge. Beyde werden, wenn sie ein Ungewitter überfälltd29, gleich naß;a30 beyde bekommen, wenn sie schwächlich sind, ein Fieber davon; disd31 sind /azufällige Folgen der blos physischen Handlunga\ ∥a32, welche keine Beziehung auf den Gehorsam oder Ungehorsam haben, dend33 die Kinder dadurch beweisen.
- b) Die Folgen des moralischen der Handlunga34 entstehen aus der Beziehung derselben auf ein bekantesa35 Gesetz. Man theilet solche in natürliche und willkührliche ein.
- 1) Die /anatürlichen Folgen der Moralitäta\ ∥a36 einer Handlung sind blos innerliche, welche aus dem Bewußtseyn recht oder unrecht gehandelt zu haben er|d118|wachsen. In unsrema37 Exempel sind die natürlichen |b132| |c132| Folgen der Moralität bey dem ungehorsamen Kinde, daß es über sich selbst verdrießlichcd38 wird, sich ohne Noth Ermüdung, Verderbung der Kleidera39 und Krankheit zugezogen zu haben, daß es sich schämet und ängstigeta40 vor dem Vater zu erscheinen, und die Ausbrüche seines Unwillens fürchtet: bey dem gehorsamen Kinde /adagegena\, daß es innerlich ruhig ist, sich freuetd41 dem Vater gefällig geworden zu seyn, und neue desto /agrössered42 Liebeserweisungena\ ∥a43 zur Vergütigungad44 der überstandnend46 Unbequemlichkeiten frölich erwartet. |a121|
- 2) Die /awillkührlichen Folgen der Moralitäta\ ∥a47 der Handlung sind die, welche der Gesetzgeber über den Thäter verhängtd48: alsa49 wenn in unsrema50 Fallcd51 das ungehorsame Kind vom Vater /cddiecd\ ∥cd52 Ruthe /cdbekomta53cd\ ∥cd54, und die verdorbenead55 Kleider zu seiner Beschämung öffentlich tragen muß;a57 das gehorsamea58 dagegen geliebkoset und gelobt,a59 und noch schöner als vorher neu gekleidet wird.
- 3) Nur diejenigen Folgen, welche das moralische einer Handlung hat, sind Belohnungen und Strafen, und niemals müssen die Folgen dera60 physischen Handlung darunter gerechnet werden. Disd61 wird im gemeinen Sprachgebrauchd62 nicht beobachtet,a63 und eben disd64, daß man die Folgen der physischen Handlung auch als Belohnungen und Strafen ansiehet, ist eine Hauptquelle der Verwirrung in der Lehre von den göttlichen Strafen und von der Genugthuungad65 Christi. Man wird im gemeinen Leben zu einem ungehorsamen Kinde, welches wider den Willen seines Vaters eine Meile gelaufen und davon krank geworden ist, sagen: siehe,a66 das ist die Strafe der Sündea67 und deines Ungehorsams. Daß aber disd68 offenbar unrichtig sey, erhellet daraus, daß eben disd69 Kind, wenn es denselben Weg auf Befehl des |b133| |c133| Vaters gegangen wäre,a70 und also einen Gehorsam geleistet hätte, unläugbar eben so krank geworden seyn würde. /aAber |d119| das ist seine natürliche Strafe, daß es sich als den Urheber seines Uebelbefindens selbst ansehen muß.a\
c1: fragta2: zweytensd3: fernea4: aus einandera5: kanncd6: gewissermaßena7: allea8: erhalten,a9: versuchena10: kannd11: Labyrinthed12: vorhandenena13: theologischen Hypothesena14: freyend15: bloßend16: bloßena17: bekanntesd18: ausdrücklichesd19: verschiedenea20: bekanntea21: begehta22: wold23: eigened24: welched25: begehend26: Beyspieled27: diesesa28: natürliched29: überfälleta30: naß,d31: diesesa32: zufällige Folgen der blos physischen Handlungd33: welchea34: Handlung,a35: bekanntesa36: natürlichen Folgen der Moralitäta37: unsermcd38: verdrüßlicha39: Kleider,a40: ängstetd41: freuet,d42: größerea43: größre Liebeserweisungad44: Vergütung (a) ; Vergütung (d)ad45: Vergütigungend46: überstandenena47: willkührlichen Folgen der Moralitätd48: verhängeta49: Alsa50: unsermcd51: Fallecd52: mit deracd53: bekommt (a) ; bekommt (c d)acd54: gezüchtiget wirdad55: verdorbne (a) ; verdorbne (d)ad56: verdorbenena57: muß,a58: Gehorsamea59: gelobta60: derd61: Diesesd62: Sprachgebrauchea63: beobachtetd64: dießad65: Genungthuunga66: siehea67: Sünde,d68: diesesd69: diesesa70: wäre
§. 57.
Da die
cd1 /aFolgen des physischen in unsren Handlungena\ ∥a2 nicht zu den Strafen gehören, so kan
a3 auch Christus dieselbe nicht für uns übernommen haben. Dis
d4 beweiset nun auch die Erfahrung. Ein Mensch, der sich durch Unmäßigkeit
c5 Armuth und Krankheit zugezogen, oder durch Betrug und Thorheiten die Achtung seiner Mitbür
|a122|ger verscherzet hat, erhält durch den Glauben an die Gnade Gottes
∥cd6 Vermögen, Gesundheit und Ehre nicht wieder; sondern nur wenn und in so fern
d7 er durch die Regelmäßigkeit
c8 seines Verhaltens sich solche aufs neue erwirbt. Mit dem Tode hören auch nur diejenigen üblen physischen Folgen unsrer Handlung auf, welche den Körper und den äussern
ad9 Zustand betreffen, und dis
d10 ist bey allen Menschen, bekehrten und lasterhaft sterbenden gleich.
/aDer, welcher seine Gesundheit oder Vermögen seinen Pflichten aufgeopfert hat, und der, welcher beides durch lasterhafte Ausschweifungen verlor, werden durch den natürlichen Tod auf gleiche Art von Schmerz
cd11 und
/cddem Druck
cd\ ∥cd12 des Mangels befreiet
c13.
a\ Aber die innre
d14 oder mehr geistige
d15 Folgen bleiben dieselben. Wer hier verabsäumet hat Erkentnisse einzusamlen, und gute Fertigkeiten durch Uebung zu erhalten, der bleibt in alle Ewigkeit unvollkomner
a16, als wenn er zeitiger angefangen hätte,
a17 sich gut zu verhalten:
a18 und in alle Ewigkeit muß jede Rückerinnerung an begangne
d19 Thorheiten uns unangenehm bleiben, und das Andenken an edle Handlungen unsre Zufriedenheit vermehren. Hieraus folgt
cd20, daß die Zueignung des Verdienstes Christi die natürlichen üblen Folgen unsrer Handlungen nicht ab
|b134||c134|ändert
d21, und in dieser Beziehung
a22 sich unser innrer
d23 und äusserer
ad24 Zustand nur in so
/dfern verbessert
d\ ∥d25, als wir selbst so handeln, daß die physischen Folgen uns vortheilhaft werden.
/aDie größte Wohlthat, welche Christus dem menschlichen Geschlecht
d26 gewähret
∥cd27, ist also darin zu setzen, daß wir durch
|d120| seine Lehre die Weisheit
c28 überkommen, alle Handlungen zu vermeiden, deren physische Folgen uns elend und unglücklich machen: das ist, daß er von der Sünde selbst eine Erlösung oder Befreiung gestiftet hat. Denn die Sünde ist, ohne willkührliche Strafen der Gottheit, schon an sich der Leute Verderben. Sprw. 14, 34.
∥cd29a\
cd1: diea2: Folgen des physischen in unsern Handlungena3: kannd4: Diesesc5: Unmässigkeitcd6: in Christo,d7: fernec8: Regelmässigkeitad9: äußernd10: diesescd11: Schmerzencd12: vom Druckec13: befreitd14: innerend15: geistigena16: unvollkommnera17: hättea18: verhalten,d19: begangenecd20: folgetd21: abänderea22: Absichtd23: innererad24: äußererd25: ferne verbessered26: Geschlechtecd27: hatc28: Weißheitcd29: Jak. 1, 15. 1 Joh. 3, 4–10. Kap. 1, 7.
§. 58.
Nun ist weiter zu untersuchen, von was für
a1 üblen Folgen der Moralität oder des
formalis unsrer Handlungen, als welche nur eigentlich Strafen sind, uns Christus befreiet habe? Hierbey müssen wir uns nun deutlich entwickeln,
/atheils was für natürliche, theils was für willkührliche Strafen die Sünden gegen Gott in Absicht ihrer Moralität nach sich ziehen.a\ ∥a2 Was nun erstlich
/adie natürlichen Folgena\ ∥a3 der Thorheiten und Bosheiten betrift, welche unmittelbar
c4 aus dem Bewußtseyn schlecht gehandelt zu haben erwachsen, so sind solche von einer doppelten Art:
|a123|
- Ohne Rücksicht auf den Gesetzgeber, bringtd5 schon die Bemerkung, daß wir selbst Urheber der Verschlimmerung unsres Zustandes sind, in uns Verdruß gegen uns selbst hervor. Dieser innred6 Verdruß ist allezeit genau der Moralität der Handlung proportionirt. Je wichtiger die üblen physischen Folgen einer Handlung sind, je mehr daher die Handlung unsre vorläufige Ueberlegung verdientd7 hätte;a8 je mehr wir Zeit und Veranlassung hatten, solche vor der Verrichtung derselben anzustellen;a9 und je leichter wir die begangned10 Thorheit hätten vermeiden können;a11 desto heftiger ist |b135| |c135| der innre Unwille und Verdruß gegen uns selbst. Diese üble Folge jeder Handlung gegen unsre Vernunft und gegen uns mögliche bessere Einsichten findet ohne Ausnahme bey allen Menschen statt, auch wenn sie von keinem Gott, oder von keinen göttlichen Vorschriften etwas wissen. /aJe verständiger und klüger indesd12 ein Mensch ist, desto empfindlicher ist das innred13 Mißvergnügen über sich selbst bey ihm;d14 wenn er |d121| sich eine Thorheit begangen zu haben bewußt wird.a\ Es ist aber diese natürliche Strafe etwas wohlthätiges, indem jeder dadurch zu grössererd15 Vorsichtigkeit, und /dbesserm Gebrauchc16d\ ∥d17 der Vernunft erwecktcd18 wird. Christus hat uns auch daher von /adieser Strafea\ ∥a19 nicht befreiena20 können, und auch der gebesserted21 Mensch empfindet dieselbe noch bey jeder Uebereilung zur Besserung. Die tägliche Reue oder Bussead22 bey der Gewissensprüfung erfordert sogara23, dieses moralische Mißvergnügen über sich selbst möglichst zu erwecken und zu unterhalten.
- In Absicht auf den Gesetzgeber, entstehen mit dem Bewußtseyn, denselben beleidigetc24 zu haben, sehr unangenehme Vorstellungen, welche aber von sehr verschiednerd25 Art seyn können, nachdem wir uns desselben Charaktera26 mehr oder weniger fürchterlich oder liebenswürdig denken.
- a) Wenn wir uns den Gesetzgeber als einen Tyrannen vorstellena27, der harte Dienste fordert, und jedes Versehen, jede geringe Verabsäumung mit unbarmherzi|a124|ger Strenge bestraftcd28, so wird eine sklavischea29 Furcht mit dem Bewußtseyn ihn beleidiget zu haben entstehen, welche mit ängstlicher Bemühungd30 ihm zu entfliehen, oder uns doch möglichst lange vor ihm zu verbergen, verbunden seyn wird. Einen solchen Despoten werden wir von ganzem Herzen hassen, uns gegen seine Peinigungen verhärten, oder in Ver|b136||c136|zweifelung gerathen, wenn wir kein Mittel ihm zu entrinnen und kein Ende der Quaalen absehen können. Das ist die Traurigkeit des Judenthums, die den Tod wirket,a31 2 Cor. 7, 10. ∥cd32
- b) Wenn wir uns aber den Gesetzgeber als einen gütigen und einsichtsvollen Vater denken, welcher bey seinen Vorschriftencd33 nur zur Absicht hat, daß wir durch ihre Befolgung glücklicher werden sollen, und der es weit besser als wir versteheta34, was zu unsrema35 wahren Besten gereicht, so werden ganz andre Empfindungen in uns erregtd36 werden. Zwar werden wir uns bis insd37 innerste der Seelea38 vor ihm /cdschämencd\ ∥cd39; aber ihn dennoch lieben, uns nicht fürchten, daß er uns noch elender machen werde, als unsre Thorheit uns schon gemacht hat: wir werden zu ihm eilen, uns demüthigen, von ganzem Herzen Besserung angeloben, und uns bestrebend40 durch vermehrten Eifer in Befolgung seiner Vorschriften ihm wohlgefällig zu werden. Discd41 ist die Traurigkeit, die zu Gott führt,acd42 2 Cor. 7, 10. ∥cd44
Nun können wir das grossead45 Werk der Erlösung Christi erklären:
- I. ind46 Absicht der Juden. Dieser Nation erschien in der mosaischen Gesetzgebung der Jehovaa47 nicht als ihr Schöpfer und Vater, sondern als ein strenger Gesetzgeber, derd48 sein Recht, daß Israel ihm dienen mußte, auf die Eroberung dieser Nation von den Egyptern oder auf die Loskaufung derselben aus ih|a125|rer egyptischen Sklavereya49 zu einem ihm nun eigenthümlich zugehörigen Volkd50 gründete,a51 2 Mos. 20, 2. 5. 5 Mos. 5, 6. Ebr. 8, 9. der seine Dienstforderungen mit den schrecklichsten Verfluchungen gegen die Uebertreter unwiederruflichd52 verpönt hatte,a53 5 Mos. 28, 15a54 f. K. 29. Gal. 3, 10. und welcher |c137| nach den zu Christi Zeiten herrschenden Lehrmeinun|b137|gen der Pharisäer, die Strafen derjenigen Sünden,a55 für welche geopfert wurded56 nur aufschob, solche aber im Tode durch den Satan oder Asmothi, der im Sterben dem Menschen leibhaftig erschien, vollziehen ließ: daher der Jude lebenslang /ddie sklavischteac57d\ ∥d59 Furcht und Angst vor dem Tode hatte, indem sterben und ins Reich des Satans überliefert werden, ihm gleichbedeutend waren. Diese Nation der Juden erkaufte und erlösete nun Christus,a60
- 1) Von dem gesamten mosaischen Frohndienste und ∥d61 allen willkührlichen Anforderungen Gottes an sie, daß sie sich nicht mehr als Knechte des Jehovaa62, sondern als Kinder des Vaters im Himmel betrachten |d123| durften,a63 /cdGal. 4, 4–7.cd\ ∥cd64 Mose selbst war nur ein Knecht im Hause Gottes gewesen, und ihm waren die Juden während der Kindheitsjahre als einem Zuchtmeister überlassen worden, dagegen versetzte sie nun Christus als der Sohn Gottes in die völlige Freiheita65, und in den völligen Genuß des ihnen bestimtena66 Guten, und erklärte sie für volljährig, so daß sie nun nach ihren eignend67 Einsichten zu handeln berechtiget wurden, ohne sich an ihres ehemaligen Hofmeisters Vorschriften weiter kehren zu dürfen,a68 Ebr. 3, 5. 6. Joh. 8, 36. /cdGal. 4, 24a69 f.cd\ ∥cd70 K. 5, 1 f. denn der ganze Gottesdienst nach Mosis Einrichtung war ein unfruchtbarer Dienst, der nichts dazu beytrugd71 höhere Glückseligkeit 1 Petr. 1, 18. ∥cd72 indem durch |a126| denselben die Juden nur an sinnliche Begriffe in der Religion gewöhnt wurden, Röm. 8, 3. (ησθενει) und daher zu keinen höhern Einsichten, welche die Anwendung der obern Seelenkräftea73 erfordern, gelangen kontena74, 1 Cor. 2, 14. (ψυχικος.) Die mosaischen Dienstforderungen waren eine Last, |c138| welche die Juden nie hatten ertragen können,a75 Apostg. |b138| 15, 10. wodurch sie in lauter Angst und Elend versetzt wurden,a76 2 Cor. 3, 6. 7. ja welche in ihnen Widrigkeit und feindselige Gesinnungen gegen Gott erregten,a77 Röm. 14, 15. K. 8, 3. 15. hiervon erlösete und erkaufte Christus sie auf immer. Ebr. 9, 12 f. 1 Petr. 1, 18. und wer sich nun abermals durch Annehmung der Beschneidung in disd78 sklavischea79 Joch der mosaischen Dienstforderungen gefangen nehmen ließ, dem half alles, was Christus gethan und gelehret hatte,a80 nichts, Gal. 5, 1a81 f. weil eben darin die durch Christum offenbarted82 göttliche Gnade und desselben Verdienst um die Menschen zu setzen ist, daß er allen Aberglauben, als ob Gott etwas andersd83, als vernünftige Bestrebung nach Glückseligkeitc84 von |d124| uns fordertecd85, aufgehoben hat, so daß nur ein einziges göttliches allgemeines Gebot für uns gültig bleibt; unsre Mitmenschen als uns selbst zu lieben,a86 Gal. 6, 4. 7. 9. ∥d87
- 2)
Von der sklavischen
a88 Furcht, daß die Vergehungen wider Mosis Gesetz an ihnen im Sterben gerochen, und sie durch den Tod dem Satan zur Vollziehung aller Verfluchungen überliefert werden würden. Christi Tod ist erfolgt zur Erlösung von allen Uebertretungen des alten mosaischen Bundes, Ebr. 9, 15. zur Versicherung der Vergebung für alle Sünden, für welche bis dahin die Strafen von Gott aufgeschoben waren,
a89 Röm. 3,
|a127| 25. nicht für Sünden der Christen, Ebr. 10, 26. und er hat also alle von dem
/dZorn, den
d\ ∥d90 man als noch bevorstehend dachte, erlöset 1 Thess. 1, 10. Er hat durch seinen Tod
/adie Idee von einem Gewalthaber des Todes (
עזמות,
κρατος εχων του θανατου) vernichtet, so
a\ ∥a91 daß
∥a92 alle von der sklavi
|c139|schen
a93 Furcht vor einem
a94 Todesengel oder
∥a95 Fürsten
|b139| der Finsterniß befreiet
/aworden sind,
a\ ∥a96 Ebr. 2, 14. 15.
/averglichen mit Tob. 3, 8.
a\ 1 Tim. 1, 10. Col. 1, 13. 14. ja indem er sein Leben durch einen gewaltsamen Tod am Holz
d97 beschlossen, so hat er alle Verfluchungen des Gesetzes vereitelt,
a98 Gal. 3, 13.
Dis
d99 ist also die Lehre der Schrift. Jeglicher Jude ward,
a100 /cdso bald
cd\ ∥cd101 er glaubte, Jesus sey der Christ, der Sohn des lebendigen Gottes, sogleich hierdurch selig, oder errettet von der niederdrückenden Last der Zwangsdienste, und den Verfluchungen des mosaischen Gesetzes, und zu einer lebendigen Hofnung wiedergeboren,
a102 1 Petr. 1, 3 f. 2 Tim. 1, 10.
a103 er bekam einen kindlichen Geist,
a104 Röm. 8, 15
a105 f. und konte
a106 sich nun
d107 ohne weiter der Vermittelung eines Hohenpriesters zu bedürfen, und ohne Gaben und Opfer zu bringen, überall
/azu Gott,
a\ ∥a108 seinem Vater unmittelbar nahen. Röm. 5, 1. 2. Eph. 2, 18. 3, 12. Ebr. 10, 14–24. Frägt man weiter, wie denn eigentlich
|d125| der Tod Jesu die Erlösung der Juden bewirkt
d109 habe, so erklärt
d110 die Schrift uns dieses ganz anders, als unsre kirchlichen Lehrbücher. Der Jude,
a111 sagt Paulus,
a112 ist ans Gesetz gebunden so lange er lebt
cd113, durch die Taufe wird er in Christi Tod getauft,
a114 und ist also mit ihm den Satzungen abgestorben, er lebt nun nicht mehr als ein Mitbürger der Judenwelt, sondern indem er aus dem Taufwasser heraussteigt
cd115, wird er zu einem neuen Leben mit Chri
|a128|sto auferwecket, Röm. 7, 1 f. K. 6, 3 f. Col. 2, 11 f. 14, 15. 20 f. K. 3, 1 f. Das Sterben hört
d116 nun auf als eine Ueberlieferung in Satans Reich zu erscheinen, da Christus gestorben ist,
a117 Ebr. 2, 14. 15. 2 Tim. 1, 10. 1 Cor. 15, 55. 57. Alle Verfluchungen des Gesetzes sind
|c140| vereitelt, da Christus sein Leben an einem Pfahle
|b140| beschlossen,
/adenn sonst würde
a\ ∥a118 der Sohn Gottes auch ein Verfluchter
a119 seyn
∥a120, wenn man Mosen noch hören wolte;
ad121 Gal. 3, 13. so hat also Christus die Handschrift, die
d123 gegen die Juden war, mit sich ans Kreuz
a124 geheftet und vertilget. Col. 2, 14. 15. 20.
- II. In Absicht der Heiden erwähnt die heilige Schrift keiner Erlösung von Strafen;a125 denn /cddiese hattencd\ ∥cd126 die fürchterlichen Vorstellungen ∥cd127, welche Mosis Gesetz,a128 oder vielmehr die pharisäische Auslegung desselben zu Christi Zeiten, von bevorstehenden willkührlichen göttlichen Strafen im Reichd129 des Satans bey den Juden erweckte/cd, nichtcd\. Gott hat die Zeit der Unwissenheit übersehen, sagt Paulus/a, in Absicht der Heiden,a\ Apostelg.d130 17, 30. 31. nun aber bietet er durch Christum einen bessernd131 Unterricht dar, und verlangtcd132, daß alle ihre moralische Gesinnungen bessern sollen; denn durch Christum sind die menschenfreundliched133 Gesinnungen Gottes bekanta134 gemacht worden, daß alle Völker von den sie elend machenden Thorheiten, Aberglauben und Lastern befreieta135, und durch göttliche Gesinnungen und ∥d136 Thätigkeit im Guten ganz neue glückselige Menschen werden können. |d126| Tit. 2, 11–14. Eph. 1, 13. 14,acd137 K. 2. Col. 1, 21. 22. 28. Apostelg. 16, 18.
- III. In Absicht der Juden und Heiden im Verhältnißd138 gegen einander und gegen Gott,a139 wird gelehrtcd140 1 Cor. 1, 30. daß alle Nationen im Christenthumd142 das fänden, was sie auf verschiedenen Wegen vergeblich ge|a129|suchtcd143 hätten, nemlich die Griechen, die nach Weisheit geforschet hätten, göttliche Weisheit, einen wahren göttlichen Unterricht, wie man zur Glückseligkeit gelangen könne, so daß man mit Recht fragen kanad144 v. 20. wo sind die Weisen? was sind gegen Christum alle heidnische Götter-a146 und Tugend|b141||c141|lehrer? Die Juden, welche durch Beobachtung ihrer Gottesdienstlichkeiten und Gebräuche gerecht werden woltenad147, viel mit Reinigungen und Abwaschungen zu thun hatten, und auf eine wunderthätige Erlösung aus den Händen ihrer Feinde, wie ehemals aus Egyptens Sklavereya148 warteten; wahre Gerechtigkeit oder Rechtschaffenheit,a149 wodurch man Gott wohlgefällig wird,d150 wahre Reinigung von Sünden durch Verbesserung der Gesinnungenacd151 und die herrlichste Erlösung von sklavischena153 Frohndiensten und eitlen Befürchtungen, zur Freiheita154 und Freudigkeit, died155 erwachsenen Söhnen /dim Verhältnißd\ gegen den gütigsten Vater zukomta156, so daß man mit Recht fragen kana157, v. 20. wo sind die Schriftgelehrten? was ist hiergegen alle jüdische Rechtsgelehrsamkeit? Beide Juden und Heiden, welche so wol um der mosaischen Gesetze willen in Feindschaft unter einander, als auch wegen schlechter Erkentnisse von den gütigen Gesinnungen Gottes,a158 in beständiger Furcht und ängstlicher Erwartung göttlicher Verhängnisse und Strafen ohne Hofnung, ohne Vertrauen zu Gott, und daher in Feindschaft gegen denselben lebten, sind durch Christi Tod nun unter einander und mit Gott ausgesöhnet worden, und werden durch Christum und desselben Gesandten nun /cdgebeten, dochcd\ ∥cd159 sich , d. i. alle fürchterliche Begriffe von willkührlichen Behandlungen Gottes aufzugeben, und Vertrauen und Freudigkeit zu ihm zu fassen, |d127| und nunmehro gern |a130| seinen väterlichen Rathgebungen zu folgen. /cdCol. 1, 15–20.cd\ ∥cd160 Eph. 2, 12–18 f. /cdRöm. 5, 12. 5–11.cd\ ∥cd161
a1: vora2: theils was für natürliche, theils was für willkührliche Strafen die Sünden gegen Gott in Absicht ihrer Moralität nach sich ziehen.a3: die natürlichen Folgenc4: unmittelbar,d5: bringetd6: innered7: verdieneta8: hätte,a9: anzustellen,d10: begangenea11: können,d12: indeßd13: innered14: ihm,d15: größererc16: Gebrauched17: besserem Gebrauchecd18: erwecketa19: derselbena20: befreyend21: gutdenkendead22: Bußea23: so garc24: beleidigtd25: verschiedenera26: Charactera27: denkencd28: ahndeta29: sclavisched30: Bemühung,a31: wirketcd32: Ebr. 2, 14. 15.cd33: Befehlena34: verstehta35: unsermd36: erregetd37: in dasa38: Seelencd39: schämen, wenn wir uns ei|d122|ner Vergehung gegen seine Vorschriften bewußt werdend40: bestreben,cd41: Diesesacd42: führt. (a) ; führt. (c d)acd43: führet,cd44: Luc. 15, 18–24.ad45: großed46: Ina47: Jehovahd48: welchera49: Sclavereyd50: Volkea51: gründete.d52: unwiderruflicha53: hatte.a54: 15.a55: Sündend56: wurde,ac57: sclavischte (a) ; sclavischte (c)ac58: sklavisched59: eine sklavischea60: Christus.d61: vona62: Jehovaha63: durften.cd64: Gal. 4, 24. Kap. 5, 1.a65: Freyheita66: bestimmtend67: eigenena68: dürfen.a69: 24.cd70: Gal. 3, 23. K. 4, 1–7.d71: beytrug,cd72: 2 Cor. 3, 6.a73: Selenkräftea74: konntena75: können.a76: wurdena77: erregten.d78: diesesa79: sclavischea80: hattea81: 1.d82: geoffenbarted83: anderesc84: Glückseeligkeitcd85: forderea86: lieben.d87: Joh. 13, 34.a88: sclavischena89: warend90: Zorne, welchena91: den Asmothi (κρατος του θανατου) aufgehoben,a92: nuna93: sclavischena94: dema95: dema96: werden.d97: Holzea98: vereitelt.d99: Diesesa100: wardcd101: sobalda102: wiedergeboren.a103: 10,a104: Geista105: 15.a106: konnted107: nun,a108: Gottd109: bewirketd110: erkläreta111: Judea112: Pauluscd113: lebeta114: getauftcd115: heraufsteigetd116: höreta117: ista118: und alsoa119: verfluchtera120: würdead121: wollte, (a) ; wollte, (d)ad122: wollte;d123: welchea124: Kreutza125: Strafen,cd126: unter diesen herrschtencd127: nichta128: Gesetzd129: Reiched130: Apostg.d131: höherencd132: verlangetd133: menschenfreundlichena134: bekannta135: befreyetd136: durchacd137: 14.d138: Verhältnissea139: Gottcd140: gelehret (c) ; gelehret (d)cd141: gelehret,d142: Christenthumecd143: gesuchetad144: kann (a) ; kann (d)ad145: kan,a146: Götterad147: wolltena148: Sclavereya149: Rechtschaffenheitd150: wird;acd151: Gesinnungen, (a c) ; Gesinnungen, (d)acd152: Gesinnungen;a153: sclavischena154: Freyheitd155: welchea156: zukommta157: kanna158: Gottescd159: aufgefordert,cd160: 2 Cor. 5, 18–21.cd161: (Col. 1, 15 f.) Röm. 8, 15.
§. 59.
Da die heilige Schrift nirgends lehret, daß Gott habe versöhnet, oder zu bessern Gesinnungen gegen
|b142| |c142| uns gebracht werden müssen, sondern überall sagt
cd1, daß er durch Christum die Welt mit sich, und die Nationen unter einander ausgesöhnet, das ist, gegen sich geneigter gemacht habe; ja da auf allen Blättern des neuen Bundes die ganze Sendung Christi,
cd2 als der größte Beweis der ewig unveränderlichen Liebe Gottes zu den Menschen, ob sie gleich feindselig gegen ihn gesinnet waren, vorgestellet wird;
a3 Röm. 5, 8.
/aJoh. 3, 16.
a\ so ist es fast unbegreiflich, wie dem ohngeachtet unter den Theologen die ganz widerchristliche Theorie von einer
satisfactione vicaria oder vertretenden Genungthuung
c4 Christi habe aufkommen können, als ob Gott durch Christum sich selbst erst habe besänftigen müssen. Kläglich ist es zu bemerken, daß so gar
/dnoch
d\ in unsren
a5 mit so vielen Hülfsmitteln der Auslegung versehenen Zeiten, eine so sehr widersinnische
d6 Hypothese noch immer als eine Lehre der Schrift,
a7 oder doch als eine altchristliche Meinung
a8 der ältesten
d9 Kirche eifrigst vertheidiget, und alle Liebenswürdigkeit Gottes in Christo dadurch verdunkelt wird. Dennoch
a10 sind alle Begriffe von einer vertretenden
/dGenungthuung, die
d\ ∥d11 um Gottes willen nöthig gewesen wäre, ein sehr später Auswuchs der Augustinischen privat Meinungen. Erst gegen das Ende des elften
a12 Jahrhunderts brachte Anselmus
d13 Bischof von Canterbury, ein eifriger Anhänger Augustins, diese Hypothese auf, und gründete solche nicht auf Schriftstellen;
a14 denn dergleichen finden sich nirgends;
a15 sondern auf einen Beweis
a priori. Seine Schlußfolgen waren diese: in Gott ist alles nothwendig, dessen Gegentheil etwas unschickliches (
inconveniens) ist; nun ist nichts unschicklicher und weniger in der
|a131| Ordnung der Dinge zu dulden, als wenn ein Geschöpf dem Schöpfer die Ehre raubt;
a16 Gott kan
a17 |d128| also ohne Genungthuung
d18 solches nicht vergeben;
a19 und da das Geschöpf nicht selbst für die Grösse
ad20 seines Verbrechens hinlänglich genungthun
d21 kan
a22, so ist nothwendig
|b143| |c143| gewesen, daß ein göttlicher Erlöser eine volle Satisfaktion
a23 leistete, sonst hätte Gott keinen Menschen begnadigen oder selig machen können.
Diesem unphilosophischen Geschwätz
d24 widersetzten sich damals und in
∥acd25 folgenden Jahrhunderten die grösten
ad26 Theologen, und vornemlich selbst der Gelehrteste unter Anselms Schülern
d27 Petrus Abälard, welcher behauptete,
cd28 es sey keine Satisfaktion
a29 für die Sünden der Menschen nöthig gewesen, sondern Christus sey nur darum im Fleisch
d30 erschienen, um uns zu unterrichten,
a31 und uns durch seinen Tod die Grösse
ad32 seiner Liebe gegen uns zu bezeigen. (Centur. Magdeburgicae saec. XII.
a33 Cap. 5.) Seit dem sind bis zu den Zeiten der Reformation die Meinungen darüber getheilt geblieben, doch hat nach und nach mit Augustins Lehrbegrif
d34 auch diese dazu passende Anselmische Theorie die Oberhand über die Schrift gewonnen. Es liegen nun bey dieser ganzen Hypothese sehr verworrne
cd35 Begriffe von willkührlichen Strafen, welche Gott über Sünder verhängen müsse, zum Grunde; so bald man sich daher deutlich aus einander setzt
cd36, was Strafen sind, und was solche für verschiedne
d37 Absichten haben können, so fällt
d38 auch das ganze unschriftmässige
ad39 Anselmische Lehrgebäude über den Haufen. Ich will versuchen
d40 dieses zu bewirken.
cd1: sagetcd2: Christia3: wird.c4: Genugthuunga5: unsernd6: widersinnigea7: Schrifta8: Meynungd9: erstena10: Demnachd11: Genugthuung, welchea12: Elftend13: Anselmus,a14: Schriftstellen,a15: nirgends,a16: raubt,a17: kannd18: Genugthuunga19: vergeben,ad20: Größed21: genugthuna22: kanna23: Satisfactiond24: Geschwätzeacd25: denad26: größtend27: Schülern,cd28: behauptete:a29: Satisfactiond30: Fleischea31: unterrichtenad32: Größea33: XIId34: Lehrbegriffecd35: verworrenecd36: setzetd37: verschiedened38: fälletad39: unschriftmäßiged40: versuchen,
§. 60.
Es ist schon §.
56.d1 f. gezeiget
a2 worden, daß die üblen natürlichen Folgen des physischen unsrer Handlungen nicht zu den göttlichen Strafen gehören, und also von Christo nicht haben übernommen werden
/dkönnen;
ac3 und daß
c4d\ ∥d5 /csie
c\ auch bey den Bekehrten fortdauren; daß ferner die na
|a132|türlichen Folgen des moralischen, welche in den Vorwürfen des Gewissens bestehen, in so fern sie auf richtigen Erkentnissen von der Güte der Gesetze beruhen, Verbesserungsmittel sind, und
/ddaher
c6 auch
d\ ∥d7 durch Christi Vermittelung
∥d8 nicht haben
|d129| aufgehoben wer
|c144|den
|b144| können,
d9 daß aber die Angst und Furcht, welche aus
/ader
a\ Vorstellung einer tyrannischen Härte des Gesetzgebers,
a10 und den
d11 von ihm zu besorgenden grausamen Strafen entsteht
cd12, durch Christum aufgehoben, und wir durch ihn hiervon erlöset worden sind. Nun
/dfrägt
c13 sichs
d\ ∥d14 also,
ob diese Erlösung dadurch geschehen sey, daß er uns blos von den /dgütigen nachsichtsvollend\ ∥d15 väterlichen Gesinnungen Gottes durch Lehre, Leben, Leiden, Tod und Auferstehung vergewissert habe, oder dadurch, daß er solche grausame willkührliche Strafen, dergleichen Mose,c16 nach der pharisäischen Auslegung,ac17 als noch im Tode bevorstehend angedrohet, und Anselmus a priori ausfindig machen wollen, selbst übernommen und ausgestanden habe. Um dis
d19 einzusehen, muß man sich nun die verschiedne
cd20 Absichten, welche bey willkührlichen Strafen statt finden können, recht deutlich machen. Willkührliche Strafen überhaupt sind Uebel, welche der Gesetzgeber mit dem Ungehorsam
d22 gegen seine Befehle verknüpft
cd23, oder über die Verbrecher blos wegen ihres Ungehorsams verhängt
d24, und welche sonst an sich keine natürliche
d25 Folgen der Handlung seyn würden. Z. B. Ein König läßt
d26 einen, der
d27 verbotene Waaren heimlich eingebracht hat, auf die Festung setzen; dis
d28 ist eine blos willkührliche Strafe, die nur vom Belieben des Gesetzgebers abhängt. Dergleichen willkührliche Strafen haben entweder eine wohlthätige Absicht oder nicht. Haben sie eine
/awohlthätige Absichta\ ∥a29, so ist diese entweder
/aGüte gegen den Verbrecher selbsta\ ∥a30, um denselben zu bessern und von grössern
ad31 Vergehungen gegen sein Wohl abzuhalten, wie alle väterliche Strafen, und
/ddenn heissen
d\ ∥d33 sie
Züchtigungena34; oder sie haben weise
/aGüte gegen das Ganzea\ ∥a35 |a133| oder die Gesellschaft zum Grunde, um andre von ähnlichen Vergehungen abzuschrecken und die Motiven
d36 zum Gehorsam zu vermehren,
|b145| |c145| /dalsdenn heissen
a37d\ ∥d38 sie
/aStrafen zum Exempela\ ∥a39 für andere. Haben sie aber
/akeine wohlthätige Absichta\ ∥a40, sondern
|d130| zielen blos zum Verderben der Verbrecher ab, so ist es
/aselbstsüchtige Rachea\ ∥a41, welche gewöhnlich aus Schwäche und Furcht des Gesetzgebers vor dem Verbrecher entsteht. Nun wollen wir untersuchen, welche Art dieser Strafen Gott zieme, und Christus
∥c42 für uns
/chabe erdulden
c\ ∥c43 können.
d1: 56a2: gezeigtac3: können,c4: daherd5: können, daherc6: demnachd7: demnachd8: auchd9: können;a10: Gesetzgebersd11: dercd12: entstehetc13: frägetd14: fraget es sichd15: gütigen, nachsichtsvollen,c16: Moseac17: Auslegung (a) ; Auslegung (c)ac18: Auslegungd19: diesescd20: verschiedene (c) ; verschiedene (d)cd21: verschiedenend22: Ungehorsamecd23: verknüpfetd24: verhängetd25: natürlichend26: lässetd27: welcherd28: diesesa29: wohlthätige Absichta30: Güte gegen den Verbrecher selbstad31: größern (a) ; größern (d)ad32: größerend33: dann heißena34: Züchtigungena35: Güte gegen das Ganze,d36: Bewegursachena37: heißend38: alsdann heißena39: Strafen zum Exempela40: keine wohlthätige Absichta41: selbstsüchtige Rachec42: habec43: dulden
§. 61.
Zuvörderst müssen wir die Frage untersuchen, ob ein gütiger und weiser Vater über seine Kinder, die
d1 er angelegentlichst wünscht nach und nach zu immer höherer Glückseligkeit zu leiten, jemals Uebel oder Verderben verhängen könne, ohne die Absicht dabey zu haben,
a2 sie zu bessern,
cd3 und vor grösserer
ad4 Verschlimmerung zu bewahren? Diese Frage wird jeder Theologe ausser
ad5 dem System
d6 ohne Bedenken verneinen: denn jeder menschliche Vater, der seine Kinder durch Strafen unglücklicher macht
a7 und nicht zur Besserung züchtiget, jedermann
a8 für einen Barbaren oder wenigstens für einen sehr unverständigen Mann erkläret
a9 werden. Aber diese richtige Begriffe werden uns durch die Künste einer transcendenten Sophisterey wegpraktisirt
d10, wenn wir uns nicht an die heilige Schrift und
∥d11 unser Selbstgefühl
a12 halten, und uns durch menschliche Hypothesen auch nur einen Schritt weit davon abführen lassen. Die neuere
d13 Augustinianer
a14 und Anselmianer haben
/auns einen Lehrbegrif überliefert, welcher
a\ ∥a15 unglücklicher Weise als
/aeine göttliche höhere
a\ ∥a16 Weisheit zum Nachtheil
d17 der einfachen leicht verständlichen Lehre Jesu in der Kirche
/aangenommen, jedoch niemals darin für allgemeine Christenthumslehre erkläret
a\ ∥a18 worden ist. Sie haben es erfunden, daß in Gott Eigenschaften sind, welche seiner Güte gerade zu entgegen wirken; daß in ihm Ge
|a134|rechtigkeit und Heiligkeit ganz etwas anderes
a19 sey, als die weiseste Güte; und daß eben die Handlungsart, welche bey menschlichen Vätern leidenschaftliche Unver
|b146||c146|nunft und grausame Härte seyn würde, bey Gott die vollkommenste Gerechtigkeit und Heiligkeit sey. Sie , Gott wolle nach seiner unendlichen Güte zwar alle Menschen glückselig machen, ihnen bey ihren Fehltritten gern aufhelfen, die
|d131| Uebel, welche sie sich durch Thorheiten zuziehen, gern verringern;
a20 aber seine eben so unendliche Heiligkeit und Gerechtigkeit
/derlaubte dis
d\ ∥d21 nicht, sondern forderte
d22, daß er jedes Vergehen gegen seine Gesetze, weil seine unendliche Majestät dadurch verunehret werde, auch unendlich strafen, folglich seine Kinder unendlich verderben müsse. Da haben wir nun das gute und böse Principium der Manichäer in unsrem
a23 Gott
d24 vereint: zwey mit gleicher Unendlichkeit wider einander strebende Eigenschaften, nach welchen Gott seine strauchelnde
a25 Kinder vermöge der einen zu verbessern und vollkomner
a26 zu machen, vermöge der andern ins Elend und Verderben zu stürzen gleich stark
/agedrungen wird
a\ ∥a27. Also ist in Gott selbst ein ewiger Widerspruch! Um diesen innern Widerspruch in sich selbst zu heben, hat nun Gott, wenn wir die menschliche Vernünfteley weiter hören, eine menschliche Natur in die Gottheit aufnehmen müssen, um vermittelst derselben zwischen seiner Gerechtigkeit und Güte Frieden zu stiften: diese menschliche Natur hat dadurch die Empfänglichkeit zu unendlichen Quaalen überkommen, welche die Gerechtigkeit über sie ausgeschüttet hat, und dadurch hat die Güte erst freie Hand erhalten, die Menschen ohne verderbende Strafen zu begnadigen und glücklich zu machen. Ja man gehet in den metaphysischen Grübeleyen noch weiter, und
/cdläßt Gott
cd\ ∥cd28 zum Behuf
d29 dieser menschlichen
/cdTheorie nun
cd\ ∥cd30 in der Bemühung sich selbst zu beruhigen, verschiedene Personen vorstellen, so daß Gott
d31 in so fern er ungezeugt
cd32 ist, von sich, in so fern er von sich selbst gezeugt
acd33 worden
/cdist
cd\, und
|a135| /cdzu seiner
cd\ ∥cd34 Persönlichkeit einen Menschen
/cdmit
cd\ aufgenommen
a35 und in demselben unendlich gelitten hat, in Christi Martern und Tode besänftiget worden sey.
|b147| |c147| Saget mir, Freunde Jesu, wo dis
d36 unser Herr und Meister oder seine Schüler jemals gelehret haben, und wie es möglich ist, daß eine so ungesunde Philosophie statt der göttlichen mit der edelsten Simplicität vorgetragenen Anweisung Christi zur Glückseligkeit, die
d37 sich an dem
acd38 natürlichen
/dMenschenverstande
c39 so gleich
d\ ∥d40 als Wahrheit rechtfertiget, bey euch die mindeste Autorität haben
/dkan.
ac41 Warlich wir
c43d\ ∥d44 Theologen sind es, welche die Göttlichkeit des Christenthums durch dergleichen metaphysische Geschwätze in den Augen aller Vernünftigen verächtlich machen; wir
cd45 sind es, welche Liebe und Vertrauen zu Gott, die Grundlage aller Glückseligkeit hindern,
/aindem wircd46 Gott nur halb ∥cd47 gut und halb als grausam vorstellen, daß die Christen ungewiß bleiben müssen, ob sie ihn mehr lieben oder mehr fürchten sollen.a\ ∥a48 Lasset uns zurückkehren,
cd49 und aufs neue aus der Schrift lernen, so werden wir die durch Luthern
a50 und andre Reformatoren unter so vielen Gefahren erstrittne
d51 Freiheit
a52, selbst aus Gottes Wort unsre Einsichten zu schöpfen, ihrer Absicht gemäß dankbar benutzen. Diese Männer thaten, was sie bey ihren exegetischen Hülfsmitteln und
∥d53 Philosophie thun konten;
a54 wir treten auf ihre Schultern und haben mehr Hülfsmittel, es ist Pflicht für uns, weiter zu sehen; Pflicht
d55 das Christenthum immer mehr von aller in finstern Zeiten angestaunten menschlichen Philosophie zu reinigen, da unsre Nation nunmehro klare Begriffe und nicht geheimnißvolle Kunstwörter in religiösen Anweisungen zur Glückseligkeit von uns zu erhalten verlangt.
/aUeberdis
d56 haben auch schon die Stifter der protestantischen Kirchen alle diese gelehrte spekulative Untersuchungen über die Art und Weise der durch Christum gestifteten Versöhnung der Menschen mit Gott, als müssige
d57 Gelehrsamkeit von den eigentlichen, allen Christen zu wissen nöthigen, Seligkeitslehren abgesondert. Im zwei
|b148||c148|ten Artikel und der Erklärung Luthers
/cddarüber, geschieht
cd\ ∥cd58 keine Erwähnung von einer zur Besänftigung der Strafgerechtigkeit Gottes nothwendigen Erduldung der Strafen
d59 oder
∥d60 einer vertretenden Genungthuung
d61. Es wird darin blos gesagt: Christus habe uns verlorne und verdamte Menschen erlöset, erworben, gewonnen von allen Sünden, vom Tode und von der Gewalt des Teufels, damit wir sein eigen seyn, und in seinem Reich
d62 unter ihm leben und ihm dienen solten in Gerechtigkeit, Unschuld und Seligkeit. Und so viel gehört
cd63 auch nur zum beruhigenden und bessernden Glauben, daß
|d133| Christus uns durch Lehre, Leben, Leiden und Tod von allen sündlichen Grundsätzen, allen daraus entstehenden Uebeln, aller Furcht vorm Tode, und aller Angst vor bösen Geistern befreiet, und es allgemein möglich gemacht hat
d64, bessere religiöse Gesinnungen und hiermit Seligkeit zu überkommen. Was in andern öffentlichen Schriften der ersten protestantischen Lehrer, die
d65 noch eine Wiedervereinigung mit den Katholiken hoften, aus damaliger Theologie beybehalten worden, ist von ihnen selbst nicht zur christlichen Glückseligkeitslehre gerechnet worden.
a\
Nur das ist richtiger Verstand der Vorträge Jesu
a66 und seiner Gesandten, was die ersten Zuhörer dabey haben denken sollen und können. Unmöglich haben sie die Begriffe unsres
∥cd67 Systems, worin die philosophischen Hypothesen so
|a136| vieler Nationen und Jahrhunderte in einander gewebt
d69 sind,
/dsich
d\ schon zur Erklärung der Worte Jesu und der Apostel denken können, und da die ersten
cd70 Zuhörer und Leser meist unstudirte Leute waren, so ist der einfachste Sinn der
acd71 zu dessen Einsicht damals keine Gelehrsamkeit und Scharfsinn gehöret hat, allezeit der hermenevtisch
acd72 wahreste.
d1: welchea2: habencd3: bessernad4: größererad5: außerd6: Systemea7: macht,a8: jedermana9: erklärtd10: wegpraktisiretd11: ana12: Selbgefühld13: neuerena14: Augustianer,a15: uns aus ihrem kranken Gehirn eine neue Offenbarung geliefert, welchea16: einer göttlichend17: Nachtheilea18: geglaubta19: andersa20: verringern,d21: erlaube diesesd22: forderea23: unsermd24: Gottea25: strauchelndena26: vollkommnera27: geneigt istcd28: lässet Gott,d29: Behufecd30: Theorie,d31: Gott,cd32: ungezeugetacd33: gezeugetcd34: in seinea35: aufgenommen,d36: diesesd37: welcheacd38: denc39: Menschenverstandd40: Menschenverstand sogleichac41: kann: (a) ; kann: (c)ac42: kan?c43: died44: kan? Warlich, |d132| diecd45: siecd46: siecd47: alsa48: indem wir Gott nur halb gut und halb als grausam vorstellen, daß die Christen ungewiß bleiben müssen, ob sie ihn mehr lieben oder mehr fürchten sollen.cd49: zurückkehrena50: Luthern,d51: erstrittenea52: Freyheitd53: ihrera54: konnten,d55: Pflicht,d56: Ueberdiesesd57: müßigecd58: darüber geschiehetd59: Strafen,d60: vond61: Genugthuungd62: Reichecd63: gehöretd64: habed65: welchea66: Jesu,cd67: kirchlich dogmatischen (c) ; kirchlich dogmatischen (d)cd68: kirchlichen dogmatischend69: gewebetcd70: meistenacd71: Schriftstellen,acd72: Hermenevtisch (a) ; Hermenevtisch (c d)acd73: hermeneutisch
§. 62.
Hören wir die Schrift, so versichern schon die Schriftsteller des alten Bundes,
∥a1 welchen Gott doch bey
|b149| |c149| weiten
d2 nicht in seiner ganzen Liebenswürdigkeit und Gnade erschien: Barmherzig und gnädig sey Gott, geduldig und von grosser
d3 Gnade: er vergebe gern
/aMissethat
a\ ∥a4 und Sünde:
a5 er wolle den Tod des Sünders nicht, sondern daß er sich bekehre, (nicht Satisfaktion
a6 leiste) und lebe: er sey feind allen Opfern und äussern
ad7 Versöhnmitteln, sondern wolle wahre Verbesserung der Gesinnungen, und wer diese zeige, dem freue er sich zu vergeben,
a9 /cdJes. 1, 10.
cd\ ∥cd10 Nirgends aber wird behauptet,
a12 die Heiligkeit und Gerechtigkeit
/cdGottes hindre
cd\ ∥cd13 seine Güte, den sich bessernden Sünder ohne Genungthuung
ad15 zu begnadigen. Alle Opfer waren nur für
/aäussere
d16 Unreinigkeit und Unordnungen
a\ ∥a17, nicht für böse Gesinnungen verordnet. Unter den
/aunzählichen
cd18 Versicherungen
a\ ∥a19 |d134| des N. T. von der allgemeinen Gnade und Barmherzigkeit Gottes gegen die Sünder, welche durch keine andre Eigenschaft eingeschränkt
cd20 wird, will ich nur die
cd21 wählen, welche am wenigsten bisher beahndet worden. Jesus stellet
∥cd22 seinen Vater
/cduns
cd\ ohne Einschränkung zur Nachahmung vor
d23 Luc. 6, 35. 36. Er versichert
d24 Gott sey gütig über die undankbaren und boshaften, daher solten
a25 wir nicht blos lieben,
a26 die uns liebten
d27 v. 32. sondern auch unsern
d28 Feinden gutes thun, und eben so barmherzig seyn, eben so gelinde richten, eben so großmüthig ohne Genungthuung verzeihen,
|a137| wie unser Vater, wenn wir seine Kinder seyn
/awolten. Solte
a\ ∥a29 es nun Heiligkeit und Gerechtigkeit in Gott seyn, nicht
cd30 ohne volle Satisfaktion
a31 zu vergeben, so müßten
d32 auch wir weder unsern
d33 Kindern und Untergebenen
d34 noch unsern
d35 Feinden ohne völlige Genungthuung je etwas übersehen, um dem Vater im Himmel ähnlich zu werden;
a36 oder es
a37 müßte
d38 /aderselbe
a\ kein vollkommenes
ad39 Muster für uns seyn;
acd41 und Christus, der aus des Vaters Schooß kam, ihn weniger
/agekant
d42 haben,
a\ ∥a43 als Anselmus von Canterbury,
a44 Matth.
c45 5, 44.
acd46 f. K. 6, 12. Ja Christus ver
|c150|sichert, daß der ganze Himmel über jeden Sünder sich freue, und Gott sich gegen uns verhalte, wie der Vater gegen den ungerathenen Sohn bey seiner Rückkehr, der an keine
/aSatisfaktion dachte,
a\ ∥a47 Luc. 15. Endlich stellet die heilige Schrift auf allen Blättern die gesamte Sendung Jesu, und alles
d48 was er gethan hat,
/anicht als die Ursachea\ ∥a49, sondern
/aals die Wirkunga\ ∥a50 und
/aden Beweis der allgemeinen Gnade und Menschenliebe Gottesa\ ∥a51 gegen alle Nationen
d52 vor, und lehret nicht mit einer Sylbe, daß Gott habe besänftiget oder versöhnt
cd53 werden müssen. Sie saget nicht:
a54 also hat Gott die Welt gehasset, daß erst sein Sohn dieselbe vom Zorn
d55 erkaufen
/amußte; sondern:
a\ ∥a56 so hat er sie geliebet, daß er seinen Sohn sandte,
a57 um alle, welche nicht in Finsterniß und Unwissenheit bleiben wollen, zu höherer Einsicht und Glückseligkeit durch ihn zu leiten. Sie saget nirgends, Gott hat uns eben so nach seiner Heiligkeit gehasset,
a58 als nach seiner Güte geliebet, daß Christus zwischen
|d135| beiden
a59 Eigenschaften Frieden
a60 stiften müssen. Sie
/asaget vielmehr:
a\ ∥a61 ein Mittler könne nicht gedacht werden, wo nicht zwey Partheien
a62 vorhanden wären, Gott aber wäre einig, Gal. 3, 20. verglichen mit Ebr. 6, 6. K. 9, 15 f. K. 10, 16 f. folglich durfte Gott nicht
/aals
a\ eine doppelte Person bey der Erlösung handeln
a63, nicht mit sich selbst ausgesöhnet werden, sondern wir Menschen mußten
d64 von seinen guten Gesin
|a138|nungen und
/aseiner
a\ Gnade gegen
/adie
a\ Sünder
/abesser
a\ unterrichtet und
/astärker
a\ vergewissert werden. Darum fordern nun die Apostel jedermann
a65 auf, sich mit Gott zu versöhnen, das ist
d66 erfreulichere Begriffe von ihm zu fassen, 2 Cor. 5, 18 f. In Christo ist die Freundlichkeit und Leutseligkeit Gottes im vollen Glanz
d67 erschienen, und Gott preiset daher seine Liebe zu uns, daß Christus für uns gestorben ist, da wir noch feindselig gegen ihn gesinnet waren. Wäre die philosophische Theorie des Anselmus gegründet, so müßte es heissen:
ad68 |c151| Gott preiset seine Heiligkeit, daß er alle Strafen der
|b151| Sünden vollkommen
d70 an Christo vollzogen
d71 hat;
a72 aber davon weiß die ganze heilige Schrift nichts.
a1: nachd2: weitemd3: großera4: Missethat, Uebertretunga5: Sünde;a6: Satisfactionad7: äußern (a) ; äußern (d)ad8: äußerena9: vergeben.cd10: Ez. 18, 21–23. K. 33, 10–19. Jes. 1, 11–18. Ps. 103, 8–18. Ps. 145, 8. 9. (c) ; Ez. 18, 21–23. K. 33, 10–19. Jes. 1, 11–18. Ps. 103, 8–18. Ps. 145, 8. 9. (d)cd11: Ezech. 18, 21–23. K. 33, 10–19. Jes. 1, 11–18. Ps. 103, 8–18. Ps. 145, 8. 9.a12: behauptetcd13: hindert (c) ; hindert (d)cd14: hinderead15: Genugthuungd16: äußerea17: äußere Unordnungcd18: unzähligena19: unzähligen Versichrungencd20: eingeschränketcd21: diejenigencd22: unsd23: vor.d24: versichert,a25: solltena26: liebend27: liebten,d28: unsrena29: wollen. Solltecd30: nichtsa31: Satisfactiond32: müsstend33: unsrend34: Untergebenen,d35: unsrena36: werden,a37: erd38: müssead39: vollkommen (a) ; vollkommen (d)ad40: volkommenesacd41: seyn,d42: gekannta43: gekannt habena44: Canterburyc45: Matth[.]acd46: 44a47: Satisfaction dachted48: alles,a49: nicht als die Ursachea50: als die Wirkunga51: den Beweis der allgemeinen Gnade und Menschenliebe Gottesd52: Völkercd53: versöhneta54: nicht,d55: Zornea56: mußte, sonderna57: sandtea58: gehasseta59: beydena60: Friedea61: sagta62: Partheyena63: agirend64: musstena65: jedermand66: ist,d67: Glanzead68: heißen, (a) ; heißen, (d)ad69: heißen:d70: volkommend71: volzogena72: hat,
§. 63.
Seit Grotius Zeiten hat nun schon ein grosser
ad1 Theil der Gottesgelehrten diese unchristliche und widersinnliche
acd2 Theorie verlassen. Man sahe ein, daß man nicht zwey einander entgegen wirkende Eigenschaften in Gott annehmen könte
ad4, nach welchen er
/cdgleich stark
cd\ seine fehlende Kinder zu begnadigen, und auch zu verderben
/cdbestimt
a6cd\ ∥cd7 würde;
a8 da bey diesem
/dinnern Widerspruch
d\ ∥d9 Gott selbst höchst unselig seyn müßte:
a10 und man nahm also ganz richtig an, daß Gott allerdings ohne Strafen begnadigen könne, und keine Genungthuung
d11 nöthig sey; daß wenn er strafte,
acd12 solches nicht um seinetwillen, sondern nur zur Verhütung
∥c14 /dgrössern
d\ ∥d15 Verderbens und also in wohlthätiger Absicht geschehen könne
d16. Nun aber brachte Grotius die neue Hypothese auf, daß die Leiden und der Tod Jesu nothwendig gewesen wären, um das Ansehen der göttlichen Gesetze aufrecht zu erhalten, welches,
a17 wenn alle Strafen erlassen worden wären, sehr
|d136| gelitten haben würde. Diese Hypothese verdunkelt allerdings bey weiten
d18 die Liebenswürdigkeit Gottes nicht so sehr, als die erste: allein genauer betrachtet
d19 ist sie eben so wol
d20 wie jene gegen Schrift und Vernunft. Alles komt
a21 hierbey
|a139| an, sich deutliche und bestimte
a22 Begriffe von der Heiligkeit und Gerechtigkeit in Gott zu verschaffen.
Die Heiligkeit in Gott ist keine besondere wirkende Vollkommenheit, sondern vielmehr die Abwesenheit aller Mängel und Fehler seines Verstandes und seiner Güte, und wenn die Schrift uns auffordert,
a23 heilig zu werden, wie Gott heilig ist, so wird von uns gefordert, daß wir Thorheiten und schlechte Gesinnungen ablegen sollen,
a24 1 Petr. 1, 13. 14. 15. Col. 1, 22. Ephes.
a25 5, 26. 27.
|b152| |c152| Es ist also eine Erklärung der Heiligkeit Gottes, wenn Jakobus sagt, es können keine andre
d26 als gute und vollkomne
ad27 Gaben von dem Vater aller richtigen Einsichten herkommen, denn in ihm ist kein Wechsel des Lichts und der Finsterniß,
cd29 er kan
a30 nicht in der Wahl der besten Mittel zu den besten Zwecken fehlen, und in ihm
/cdkan
a31 nie Unwillen
cd\ ∥cd32 und Zorn
cd33 die gütigsten Entwürfe der Wohlthätigkeit stören.
Gerechtigkeit ist ebenfals
d35 keine die Güte einschränkende Eigenschaft, sondern eine der Empfänglichkeit der Objekte
ad36 proportionirte oder weise Güte. Der Sprachgebrauch und die allen Menschen bekante
a38 Begriffe können uns hier aus der Verwirrung der gelehrten Hypothesen, so bald wir ihnen nur nachgehen, ohne Schwierigkeit heraus führen. Man muß nur dabey nicht an die Gerechtigkeit solcher
/auntergeordneten Richtera\ ∥a39 denken, welche an willkührliche Gesetze höherer Obrigkeiten gebunden sind,
a40 und
∥cd41 nach denselben,
a42 oft
cd43 wegen Mängel dieser Gesetze selbst, öfters
cd44 aus Mißverstand bey Anwendung derselben
a45 ∥cd46 sehr harte, ungütige
d47 und unweise Urtheile fällen.
/aDie Gerechtigkeit eines höchsten Gesetzgebers,
cd48a\ ∥a49 oder
/aeines Vatersa\ ∥a50 ist das, wovon wir analogisch den Begrif von der Gerechtigkeit des allgemeinen Monarchen und Vaters der Welt bilden müssen. Nun
|d137| können wir zeigen, daß alle Gerechtigkeit weise
d51 proportionirte Güte sey.
|a140| /a1)
Bey der Austheilung des Gutena\ ∥a52 handelt ein Vater gerecht gegen seine Kinder, nicht wenn er jedem einerley und
/dgleichviel Gutes giebt
d\ ∥d53, sondern wenn er jedem das schicklichste ihm brauchbarste Gute giebt. Er
/dläßt mehrern
d\ ∥d54 Söhnen von
/dverschiedner Grösse
a55d\ ∥d56 Kleider nach Proportion ihres Körpers verfertigen, so daß sie ihnen
gerecht oder anpassend sind; es würde unweise Güte, und daher keine Gerechtigkeit seyn, wenn er den kleinen eben so grosse
d57 Kleider machen liesse
d58, als den er
|b153||c153|wachsenen. Also ist Güte hier der Grundbegrif, und durch Weisheit modificirt
d59 wird sie Gerechtigkeit.
/a2)
Bey der Gesetzgebunga\ ∥a60 ist ein Vater und Monarch gerecht, wenn er seine Vorschriften so einrichtet, daß dadurch das Wohl aller Kinder und Unterthanen möglichst befördert
/dwird; so
d\ ∥d61 bald einiger Wohl ganz gestört
cd62 wird, und sie ohne anderweitigen Ersatz leiden, so sind die Gesetze ungerecht: und dann ist entweder Mangel allgemeiner Liebe,
a63 oder Mangel der Klugheit,
c64 Kollisionen
a65 zu verhüten, der Grund davon. Also beruhet die Vollkommenheit der Gerechtigkeit auf der Gleichheit der Liebe gegen alle, und auf der Weisheit
d66 das Wohl aller einzelnen ohne Nachtheil der andern möglichst zu befördern.
3)
a67 Auch die Gerechtigkeit
/abeym Strafena\ ∥a68 ist weise Güte; so bald mehr gestraft
cd69 wird, als zur Besserung oder
∥d70 Verhütung größrer
cd71 Uebel nöthig ist, so schreiet
a73 man über Härte und Ungerechtigkeit. Alle Strafen müssen daher gütige Absichten haben, wenn sie gerecht seyn sollen, und sie müssen wahre proportionirte Mittel zur Erreichung des Zwecks
cd74 seyn. Folglich ist durchaus Gerechtigkeit allgemeine durch Weisheit geleitete Güte. Bey allen Uebertretungen der Gesetze besteht
d75 die Beleidigung gegen den Gesetzgeber blos in dem Ungehorsam
d76, folglich ist die Beleidigung des Gesetzgebers gleich groß, es mag die Handlung wider das Gesetz wichtige oder geringe Folgen haben,
a77 Jak. 2, 10. 11. Solten
a78 nun die Stra
|a141|fen sich lediglich auf
|d138| die dem Gesetzgeber widerfahrende Beleidigung beziehen, oder zur Aufrechthaltung der Autorität der Gesetzgebung nothwendig seyn, so würde folgen, daß alle wissentliche Vergehungen gegen alle Gesetze ohne Unterschied
a79 gleich hart bestraft
cd80 werden müßten: denn durch jede Uebertretung wird der Gesetzgeber auf einerley Art
d81 nemlich blos durch
/aUngehorsam, beleidiget,
a\ ∥a82 und die Autorität der Gesetze auf einerley Art gehöhnt.
|b154| |c154| Wer würde aber nicht über Ungerechtigkeit schreien
a83, wenn ein Monarch auf alle Vergehen gleiche Strafen setzte, und zum Beyspiel
a84 den, welcher ein Pfund Kaffee
a85 unveracciset eingebracht
∥cd86, eben so hart als einen Mordbrenner bestrafen wolte? wer würde einen Vater nicht der Grausamkeit beschuldigen, der sein Kind, wenn es wider sein Verbot in den Garten gegangen wäre, eben so strenge
/dbestrafte
d\ ∥d87, als wenn es eine ansehnliche Summe Geldes gestohlen hätte? Hieraus erhellet also, daß alle Strafen sich auf das Beste derer, welchen Gesetze ertheilet worden sind, beziehen
cd88 und proportionirte Beförderungsmittel der Besserung seyn müssen,
d89 und daß alle Uebel, welche ohne diese Absicht verhangen und dazu nicht nothwendig erfordert werden,
/cdaus
cd\ ∥cd90 Mangel der
/cdGüte oder der Macht
cd\ ∥cd92 oder der
/cdKlugheit entstehende Ungerechtigkeiten sind
cd\ ∥cd93.
ad1: großeracd2: widersinnische (a) ; widersinnische (c d)acd3: widersinnigead4: könnte (a) ; könnte (d)ad5: könneacd6: bestimmt (a) ; bestimmt (c d)acd7: gleich stark gedrungena8: würde,d9: inneren Widerspruchea10: müßte,d11: Genugthuungacd12: strafte (a) ; strafte (c d)acd13: strafe,c14: einesd15: eines größerend16: müssea17: welchesd18: weitemd19: betrachtet,d20: wohla21: kommta22: bestimmtea23: aufforderta24: sollena25: Eph.d26: anderead27: vollkommne (a) ; vollkommne (d)ad28: vollkommenecd29: Finsterniß;a30: kanna31: kanncd32: können niemals leidenschaftliche Anwandlungen des Unwillenscd33: Zorns (c) ; Zorns (d)cd34: Zornesd35: ebenfallsad36: Objecte (a) ; Objecte (d)ad37: Personena38: bekanntea39: untergeordneten Richtera40: sindcd41: diea42: denselbencd43: theilscd44: theilsa45: derselben,cd46: auf einzelne Fälle zum öfternd47: ungültige,cd48: Gesetzgebersa49: Die Gerechtigkeit eines höchsten Gesetzgebers,a50: eines Vatersd51: weise,a52: 1.) Bey der Austheilung des Gutend53: gleichvieles Gute zutheiletd54: lässet mehrerena55: Größed56: verschiedener Größed57: großed58: ließed59: geleiteta60: 2.) Bey der Gesetzgebungd61: wird. Socd62: gestöreta63: Liebec64: Klugheita65: Collisionend66: Weisheit,a67: 3.)a68: beym Strafencd69: gestrafetd70: zurcd71: grösserer (c) ; grösserer (d)cd72: größerera73: schreyetcd74: Zweckesd75: bestehetd76: Ungehorsamea77: habena78: Solltena79: Unterschied,cd80: bestrafetd81: Art,a82: Ungehorsam beleidigeta83: schreyena84: Beyspiel,a85: Coffeecd86: hätted87: bestrafen woltecd88: beziehen,d89: müssen;cd90: von Ungerechtigkeit zeugen, die (c) ; von Ungerechtigkeit zeugen, die (d)cd91: von Ungerechtigkeit zeugen, welchecd92: Güte,cd93: Klugheit, oder der Macht zu ihrer Quelle hat
§. 64.
Nun können wir den wesentlichen Unterschied, welcher zwischen der menschlichen und zwischen der göttlichen heiligsten Gerechtigkeit statt findet, deutlich aus einander setzen. Es beruhet derselbe auf der unendlich höhern
d1 Vollkommenheit der göttlichen Güte, Macht und Weisheit,
/ain
/cdcd\ ∥cd2, dem
a\ ∥a4 Vermögen und der
a5 Klugheit der Menschen.
/a1.
Die Güte und das Wohlwollen der Menschen ist eingeschränktd6 und vielen Abwechselungen unterworfen.a\ ∥a7 |a142| Die besten Väter werden oft ungeduldig
d8 und verfahren nach leidenschaftlichem Unwillen. Selten ist ihre Liebe ganz unpartheiisch,
a9 und
|d139| sehr oft zieht
d10 eins der Kinder,
a11 durch seine glücklichere Bildung oder
∥d12 schmeichelhafteres
/aäusseres
d13 Betragen,
a\ ∥a14 das Herz der Aeltern zum Nachtheil
d15 der übrigen Geschwister an sich. Und welche obrigkeitliche Personen haben nicht ihre Favoriten
d16, für welche sie zum
/dPräjudiz
a17 andrer unproportionirte
d\ ∥d18 |b155| |c155| Güte beweisen. Aber
/aGottes Güte ist die heiligste, allgemeinste, unwandelbarste. Gott
a\ ∥a19 wird durch keine partheiische Prädilektion
ad20 geleitet, und kan
a22 nie zu leidenschaftlichem Zorn
d23 gereizet werden, sondern bleibt immer gleich stark geneigt, jedem seiner Kinder nach dem Grade seiner innern Empfänglichkeit das
/cdmöglichst
cd\ größte
∥cd24 Gute mitzutheilen, Matth. 7, 11. Röm. 2, 11. Jac.
a25 1, 17.
2.
Das Vermögen der Menschencd26 Gutes zu thun und zu belohnencd27 ist eben so wie ihre Macht,a28 Vergehungd29 gegen Gesetze zu hindern, und die Uebertreter zu strafend30, eingeschränkt. /dDis veranlaßt
c31d\ ∥d32, daß sie nicht immer so milde und gerecht seyn können, als sie
/cdwünschen.
cd\ ∥cd33 Ein Vater hat 5 Söhne, welche alle gleiche Talente und Begierde haben zu studiren: sein Vermögen reicht
d34 aber nur dazu hin, einen derselben studiren zu lassen: er kan
a35 also nicht gegen alle
/agleich gütig
a\ ∥a36 seyn.
cd37 Gern möchte der König allen für das Vaterland blessirten Officiren
cd38 und Soldaten einen gemächlichen Unterhalt zur Belohnung anweisen:
cd39 allein die Einkünfte des Staats reichen nicht hin: er muß aus Unvermögen partheiisch seyn, weil er nicht allen,
a40 sondern nur einigen helfen kan.
acd41 Aber Gottes Vermögen wird durch Austheilung des Guten nicht verringert, er kana43 also jedem einzelnen Geschöpfd44 ohne Nachtheil der übrigen im vollesten Maaßcd45 das schicklichste Gute zutheilen.cd46 Oft muß der gütigste Monarch einen Ausreisser
ad47 bey der Armee
c48, den
d49 er gern begnadigte, am
|a143| Leben strafen, weil es ihm an Macht fehlt
cd50, auf andre
d51 Art der fernern Desertion vorzubeugen.
/aGott befindet sich niemals in der Verlegenheit, aus Schwachheit grausamer und |d140| härter zu strafen, als der Verbrecher es zu seiner eignend52 Besserung bedarf;a\ ∥a53 weil es ihm nicht an Mitteln fehlen kan
a54, seine Absichten an allen ohne Verletzung der Güte gegen
a55 irgends
cd56 eines seiner Kinder zu erreichen.
/a3)
d57 Die Einsichten der Menschen sind eingeschränkt:a\ ∥a58 sie können nur nach dem
/däussern
a59 Anschein
d\ ∥d60 urtheilen, selten die Moralität der Handlungen erforschen, und die Zukunft nicht übersehen. Hieraus entstehen die Mängel der Gerechtigkeit der gütigsten Fürsten und Väter.
- a) Bey /ader Vertheilung des Gutena\ ∥a61 und /aden Belohnungena\ ∥a62 werden zum öftern verdienstlose Heuchler den würdigern und verdientern Personen aus Irrthum vorgezogen; oft denen, welche vorzüglich begünstiget werden sollen, solche Wohlthaten erwiesen, wodurch sie unglücklich werden. Jener Sohn,a63 von welchem der Vater hoftcd64, er werde die Stütze der Familie werden;acd65 auf welchen er daher den größten Theil seines Vermögens verwendet, wird durch diese vorzügliche Güte zu Ausschweifungen veranlaßt,cd66 und verdirbt: der Vater hat also gegen die übrigen Kinder ungerecht gehandelt, nicht aus Mangel der Güte, sondern aus Mangel der Einsicht in die Zukunft. Dieser Mann, welchem der König grossead67 Talente, Rechtschaffenheit und Diensteifer zutrauet, wird vielen andern, die sich bereits verdient gemacht haben, vorgezogen; aber diese Begünstigung ist sein Unglück. Er bekomta68 Gelegenheitencd69 zu Betrügereiena70 von Erheblichkeit, seine schwache Tugend kana71 nicht widerstehen, er wird ein Verräther des Vaterlandes, und stirbt als Missethäter. /aGottes Güte kan nied72 ungerecht handeln, weil sein Verstand nicht irren kan.a\ ∥a73 Er wird nicht durchsd74 |a144| Aeußread75 hintergangen, er kenneta77 die Gedanken und innersten Gesinnungen der Menschen, und übersiehtd78 im voraus alle Folgen seiner Wohlthätigkeit bey jedem /aSubjektd79. Alles,a\ ∥a80 was er zutheiltcd81, ist daher dem Empfänger in Beziehung |d141| auf seine ganze |b157||c157| Dauer wahrhaftig gut. So erhellet,a82 wie seine Güte durch die vollkommenste Weisheit geleitet, die heiligste und gerechteste Güte istd83.
- b) Bey /ader Gesetzgebunga\ ∥a84 veranlaßtcd85 die eingeschränkte Weisheit der Menschen, daß bey der gütigsten Gesinnung des Gesetzgebers doch oft das Wohl einzelner Personen dem Wohld86 des Ganzen ohne Ersatz aufgeopfert werden muß, und es giebtd87 fast kein positives menschliches Gesetz, worunter nicht einzelne Personen bisweilen leiden soltena88. So wohlthätig z. B. die Unterhaltung einer ∥cd89 Armee für die Sicherheit und Ruhe eines ganzen Staatscd90 ist, so leiden doch offenbar viele einzelne Personen, welche zu dieser Art /adera\ Dienste fürs Vaterland gezwungen werden, darunter. Viele derselben verlieren ein grösseresad91 ihnen mögliches Glück, oft auch Gesundheit und Leben, ohne dafür eine Vergütigungc92 vom Vaterlande erhalten zu können. /aGottes Gesetze sind dagegena\ ∥a93, vermöge seiner uneingeschränkten Weisheit, /aso vollkommena\ ∥a94, und seine moralische Regierung so mängelfrey, /adaß nied95 ein Theil um der übrigen willen ohne Ersatz leiden darfa\ ∥a96, und die anscheinenden Leiden zum besten /cdandrer selbstcd\ ∥cd97 nur die Empfänglichkeit zu höherer Glückseligkeit bey den Leidenden ∥cd98 vermehren.
- c)
/cdDaß
/abey Strafena\ ∥a99cd\ ∥cd100 oft die besten Väter und Fürsten, wegen ihrer eingeschränkten Erkentniß ungerecht
/cdhandeln
cd\, weil sie theils die Moralität der Vergehen nicht immer genau durchschauen, theils nicht vorher wissen können, wie die Strafen zur Besserung und Verhütung
/cdneuer Vergehen
cd\ ∥cd101 einzurichten
/cdsind, und
cd\ ∥cd102 daher
|a145| ∥cd104 oft den Zweck verfehlen. Nicht selten lügt sich der Bösewicht und Verführer von der Strafe los, und der einfältige Verführte wird hingerichtet. Nicht selten wird das durch sanfte Mittel leicht zu bessernde Kind durch eine unweise Züchtigung, die
d105 für sein Ner
|b158||c158|vengebäude zu heftig war, ungesund, oder zur Rachgier erboßt. Aber Gott erkennet die Moralität aller Handlungen nach ihrer kleinsten
|d142| Gradation
d106; er kennet die Mittel genau, welche zur Züchtigung und Besserung eines jeden Individuums
d107 die wirksamsten sind: und
/aes ist also unmöglich, daß er den Zweck der Besserung bey seinen Bestrafungen verfehlen köntea\ ∥a108.
Nur derjenige Gesetzgeber muß einige zum Schrecken andrer
cd109 härter,
a110 als es zu ihrer Besserung nöthig ist,
a111 strafen, welchem es an Mitteln fehlt
d112 einen jeden einzelnen zu bessern. Daher muß ein Monarch, der Millionen regieren soll, aus Mangel des Vermögens auf alle
/dIndividuen
d\ gleiche Aufmerksamkeit zu beweisen, oft gegen einzelne grausam handeln, und sie zum Besten des Ganzen aufopfern; aber ein Vater wird solches nie
d113 thun, weil er seine Kinder übersehen kan
a114; niemals wird er ein Kind
ad115 um den übrigen seine Autorität und
∥d116 Ernst sichtbarer zu machen, auf immer verderben und tödten. Hieraus folgt
cd117 demnach,
/adaß Gott niecd118 ein einziges Geschöpf stärker strafen könne, als es zu desselben eignend119 Besserung nöthig ista\ ∥a120, und daß alle Strafen zum Exempel für andere, in so fern sie aufhören Wohlthat für den,
a121 welcher sie erduldet,
a122 zu seyn, nur aus der Schwäche menschlicher Regenten, die
d123 nicht alle Individuen
d124 beobachten können, herrühren. Folglich giebt es keine andre
d125 göttliche Strafen als
/dZüchtigung
c126 zu
d\ ∥d127 Besserung derer, welche sie erleiden; und diese müssen, weil Gott in der Wahl der Mittel nicht irren kan
a128, allemal dadurch gebessert werden.
d1: höherencd2: Vergleichung der Güte (c) ; Vergleichung der Güte (d)cd3: Vergleichung mit der Gütea4: über die Güte dasa5: died6: eingeschränketa7: 1[.] Die Güte und das Wohlwollen der Menschen ist eingeschränkt und vielen Abwechselungen unterworfen.d8: ungeduldig,a9: unpartheiischd10: zieheta11: Kinderd12: durchd13: äußeresa14: äußeres Betragend15: Nachtheiled16: Günstlingea17: Präjuditzd18: Nachtheile anderer übermäßigea19: Gottes Güte ist die heiligste, allgemeinste, unwandelbarste. GOttad20: Prädilection (a) ; Prädilection (d)ad21: Vorliebea22: kannd23: Zornecd24: ihm zuträglichstea25: Jak.cd26: Menschen,cd27: belohnen,a28: Machtd29: Vergehungend30: bestrafenc31: veranlassetd32: Dieses veranlassetcd33: es wünschen. –d34: reicheta35: kanna36: gleichgültigcd37: seyn. –cd38: Officierencd39: anweisen,a40: allenacd41: kann. (a) ; kann. (c d)acd42: kan. –a43: kannd44: Geschöpfecd45: Maaßecd46: zutheilen. –ad47: Ausreißerc48: Armed49: welchencd50: fehletd51: andered52: eigenena53: Gott befindet sich niemals in der Verlegenheit aus Schwachheit grausamer und härter zu strafen, als der Verbrecher es zu seiner eignen Besserung bedarf;a54: kanna55: in Absichtcd56: irgendd57: 3.a58: 3.) Die Einsichten der Menschen sind eingeschränkt:a59: äußernd60: äußeren Anscheinea61: der Vertheilung des Gutena62: den Belohnungena63: Sohncd64: hoffetacd65: werden,cd66: veranlassetad67: großea68: bekommtcd69: Gelegenheita70: Betrügereyena71: kannd72: niemalsa73: Gottes Güte kann nie ungerecht handeln, weil sein Verstand nicht irren kann.d74: durch dasad75: äußre (a) ; äußre (d)ad76: Aeußerea77: kenntd78: übersiehetd79: Subjektea80: Subject. Allescd81: zutheileta82: erhelletd83: seya84: der Gesetzgebungcd85: veranlassetd86: Wohled87: giebeta88: solltencd89: stehendencd90: Staatesad91: größeresc92: Vergütunga93: Gottes Gesetze sind dagegena94: so vollkommend95: niemalsa96: daß nie ein Theil um der übrigen willen ohne Ersatz leiden darfcd97: anderercd98: selbsta99: bey Strafencd100: Bey den Bestrafungen handelncd101: fernerer Ausschweifungencd102: sind, (c) ; sind, (d)cd103: sind;cd104: sied105: welched106: Abstufungd107: Einzelnena108: es ist also unmöglich, daß er den Zweck der Besserung verfehlen könntecd109: anderera110: härtera111: istd112: fehlet,d113: niemalsa114: kannad115: Kind,d116: seinencd117: folgetcd118: niemalsd119: eigenena120: daß Gott nie ein einziges Geschöpf stärker strafen könne, als es zu desselben eignen Besserung nöthig ista121: dena122: erduldetd123: welched124: Untergebened125: anderec126: Züchtigungend127: Züchtigungen zura128: kann
|a146| §. 65.
Hier bitte ich nun meine Leser
d1 den noch wenig ins Licht gesetzten unterscheidenden Charakter
a2 der heiligsten
|b159| |c159| Gerechtigkeit Gottes, welchen wir derselben vermöge der unendlichen Weisheit des höchsten Wesens zuschreiben müssen, im Gegensatz
d3 aller eingeschränkten Gerechtigkeit,
cd4 wohl zu bemerken. Er besteht
cd5 darin: daß Gott sich niemals
a6 in der Verlegenheit befinden kan
a7, das Wohl irgends
cd8 eines einzigen seiner Kinder oder vernünftigen Geschöpfe zum
/dgrössern
a9 Wohl
d\ ∥d10 des Ganzen oder der übrigen Geister
/aauf immer und ohne vollen Ersatza\ ∥a11 aufzuopfern. Denn wenn unmittelbar aus dem Begrif
d12 der heiligsten oder uneingeschränktesten Güte folgt
cd13, daß Gott sich aller seiner Werke erbarme,
/asie
a\ alle zu dem größten Grade, der nach ihrer wesentlichen Empfänglichkeit bey ihnen möglichen Glückseligkeit
d14 führen wolle
a15, so folgt
d16 ∥c17 nothwendig, daß seine Weisheit begrenzt
acd18 seyn müßte, wenn er keine Mittel ausfinden könte
a21, diese
d22 Absichten seiner Güte
/aan allena\ ∥a23 zu erreichen. Offenbar würde sonst Gott in Absicht derer, welche er dem Wohl
d24 der übrigen aufopferte, nicht die heiligste Güte zeigen; indem diese Ausnahme Schranken und Partheilichkeit
a25 in derselben beweisen würde. Und hier ist nun der Ort, wo wir den richtigen Begrif von der göttlichen Ehre, welcher
a26 gewöhnlich in fürchterliche Dunkelheit eingehüllet
a27 wird, ins Licht setzen können. Nur denn
cd28 wird das ganze Geisterreich aus voller innern
d29 Empfindung ausrufen:
a30 heilig, heilig, heilig ist Gott, alle Lande sind seiner Ehre voll, ihm gebühret ewiger Dank und Preiß! wenn
/cderkennet
cd\ ∥cd31 wird:
- 1. Daß Gott alle seine vernünftigend32 Geschöpfe gleich durch ohne alle Ausnahme mit gleicher Liebe umfaßtcd33, und alle zur /cdmöglichstencd\ ∥cd35 Glückseligkeit führen wolle.
- 2. Daß es der göttlichen Weisheit nicht an Mitteln fehle,a36 diese gütige Absichten aufs vollkommenste, mithin |a147| bey allen, ohne die mindeste Kollisiona37 und Ausnahme zu erreichen. |b160| |c160|
- 3.
Daß die göttliche Macht nie
d38 anders,
a39 als nach der weisesten Güte handle, und den Plan derselben wirklich ohnfehlbar ausführe, so daß jeder Geist zu der ihm größten Glückseligkeit wirklich gelangt
d40.
Ein jeder frage sein Selbstgefühl, ob nicht alsdenn
cd41 Gott ihm am anbetungswürdigsten und in dem Glanze erscheine, wenn
alles glückselig ist, und ob nicht dagegen der Gedanke, daß auch nur
/aein einziges Geschöpfa\ ∥a42 unglücklich und
ewiga43 elend bleibt, allen weichgeschaffnen
d44 Seelen die ganze Selig
|d144|keit des Himmels verderben, und dem Geisterreich
d45 den Vater der Welt weit minder liebens-
a46 und ehrwürdig darstellen
/dwürde. Ueberdis
d\ ∥d47 hilft alles übrige erfreuliche der Religion mir nichts, so lange ich glaube, daß es zur Ehre Gottes oder
/azur
a\ Beförderung des allgemeinen Wohls
cd48 nöthig ist
d49, daß einige Geister ewig gequälet
a50 werden müssen; denn da keine Offenbarung diese Unglücklichen namentlich bekant
a51 macht, so kan
a52 ich niemals gewiß werden, ob
/aich nicht vielleicht selbsta\ ∥a53 unter diese Schlachtopfer einer eben so unendlich grausamen, als gütigen Gerechtigkeit gehöre.
d1: Leser,a2: Characterd3: Gegensatzecd4: Gerechtigkeitcd5: besteheta6: niea7: kanncd8: irgenda9: größernd10: größern |d143| Wohlea11: auf immer und ohne vollen Ersatzd12: Begriffecd13: folgetd14: Glückseligkeit,a15: willd16: folget auchc17: auchacd18: begränzt (a) ; begränzt (c) ; begränzt (d)acd19: begrenzet (c) ; begrenzet (d)acd20: begränzeta21: könnted22: diea23: an allend24: Wohlea25: Partheylichkeita26: welchea27: eingehülltcd28: dannd29: innerera30: ausrufen,cd31: von allen anerkantd32: vernünftigecd33: umfasset (c) ; umfasset (d)cd34: umfassecd35: größten ihnen möglichena36: fehlea37: Collisiond38: niemalsa39: andersd40: gelangecd41: alsdanna42: ein einziges Geschöpfa43: ewigd44: weichgeschaffenend45: Geisterreichea46: liebensd47: müsse. Ueberdiescd48: Bestensd49: seya50: gequälta51: bekannta52: kanna53: ich nicht vielleicht selbst
§. 66.
Aus allen diesen
a1 Betrachtungen, welche der ungesunden Philosophie der Afrikaner und Anselmianer entgegen gesetzt
d2 worden sind, fließt
cd3 nun, daß Christus keine vertretende Genungthuung
d4 zur Besänftigung der Strafgerechtigkeit, Heiligkeit
ad5 oder verletzten Ehre Gottes habe leisten dürfen, sondern
/adaß er
a\ uns nur durch seinen Tod auf immer
/avon aller Furcht einiges Zornsd6 oder /dvorbestehenderc7 willkührlichend\ ∥d8 Strafen Gottes erlöseta\ ∥a9, und eine allgemeine Menschenliebe und Bereitwilligkeit
a10 des Vaters aller Geister
ad11 uns unsere Fehltritte ohne einige Satisfaktion
ad12 |a148| oder Büssungen
ad14 gern zu verzeihen
a15, so bald wir nur erkennen, daß wir uns selbst dadurch seiner Wohlthaten unempfänglich machen
a16 und
|b161| |c161| aufrichtig uns zu bessern suchen, versichert habe. Da nun die Menschen durchgängig geneigt sind, von ihrer
/deignen Denkart,
a17d\ ∥d18 auf andre,
d19 und auf den Charakter
a20 Gottes zu schliessen
d21, und daher alle Völker, wie die Geschichte der Religionen unter denselben lehret
a22, darauf gekommen sind, Gott durch Geschenke, Opfer und
/däußre Demuthsbezeigungen
d\ ∥d23 und Peinigungen zu besänftigen; weil sie sich selbst von ihren Beleidigern
d24 nicht anders begütigen lassen: so bleibt
d25 es ein höchst beruhigender Satz für jederman
d26 und zu allen
/aZeiten:
daß durch Christi Tod allea\ ∥a27 dergleichen
/aselbstgewählte Besänftigungsmittel der Gottheit für |d145| überflüssigd28 erkläret worden sinda\ ∥a29, und daß
a30 Gott, der seines eignen
cd31 Sohnes nicht verschonet, sondern ihn für uns alle dahin gegeben hat, uns gewiß mit ihm alles
/azu
a\ schenken
/ageneigt sey
a\, und nichts von uns
/afordere
a\ ∥a32, als daß wir das von ihm dargebotene Gute
/aannehmen
a\ ∥a33 und mit freudigem
a34 Herzen geniessen
d35 /asollen
a\. Und so hat Christus daher nicht nur die Juden, sondern alle Menschen, die
d36 an ihn gläuben, von der größten moralischen Unglückseligkeit, die aus den peinigenden Vorstellungen einer über uns zürnenden Gottheit
/cdentsteht,
cd\ ∥cd37 auf immer
/cddurch seinen Tod
cd\ befreiet
a38 und errettet, daß wir nichts weiter zu fürchten haben, als
/adie natürlichenc39 Folgena\ ∥a40 unsrer Thorheiten, wodurch wir uns wider Gottes Plan selbst elend und höherer Segnungen unfähig machen: so wie er uns zugleich durch seine Lehren den Weg zu immer
/dhöhern Stafeln
d\ ∥d41 der Glückseligkeit bezeichnet,
a42 und auf demselben
a43 durch seinen eignen
d44 Wandel vorgeleuchtet hat.
/a*) Meine Hauptabsicht, in welcher ich hier so ausführlich darzuthun gesucht
d45 habe, daß eine vertretende Genungthuung
d46 Christi, oder
∥cd47 Erduldung unendlicher Leiden an unsrer Statt, zur Befriedigung der Strafgerechtigkeit Gottes, nicht in der heiligen Schrift gelehret wird
d48, gehet eigentlich dahin, den einsichtsvollen denkenden Menschen das größte Hinderniß,
|b162| |c162| Christi Lehre als göttlich zu erkennen, wegzuräumen. Denn,
d49 wer reine Begriffe von einer höchstvollkomnen
d50 Gerechtigkeit hat, kan unmöglich beredet werden, daß der Vater der Welt andre Strafübel, als welche zur Besserung nothwendig sind, über jemand verhängen könne. Es ist aber deshalb weder nöthig noch rathsam, auf den Kanzeln die gemeine Theorie zu bestreiten. Man bleibe in öffentlichen Vorträgen bey der einfachen Lehre der Schriften des neuen Testaments: daß Jesus alle erlöset und ihnen die Gnade Gottes, Vergebung der Sünden, wenn sie sich bessern, zu finden
d51, durch seinen Tod vergewissert habe. Man lasse sich aber gar nicht über die in der heiligen Schrift unentschiedne
d52 Fragen ein: warum Christus so viel
d53 habe leiden und warum er
∥d54 sterben müssen? ob dis
d55 um Gottes oder der Menschen willen nöthig gewesen wie eigentlich Christus der Welt Sünden getragen habe? in wie fern
d56 seine Leiden eigentlich vertretend gewesen sind? Gehörte eine vollständige Erkentniß hiervon zur Seligkeit, so würde es in der heiligen Schrift so deutlich erklärt
d57 worden seyn, daß keine Streitigkeiten darüber entstehen könten.
a\
a1: dieserd2: gesetzetcd3: fließetd4: Genugthuungad5: Heiligkeit,d6: Zornesc7: bevorstehenderd8: bevorstehender willkührlichera9: von aller Furcht einiges Zorns oder bevorstehender willkührlichen Strafen Gottes erlöseta10: Bereitwilligkeit,ad11: Geister,ad12: Satisfaction (a) ; Satisfaction (d)ad13: Genugthuungad14: Büßungena15: verzeihna16: machen,a17: Denkartd18: eigenen Denkungsart,d19: andrea20: Characterd21: schließena22: lehrtd23: äußere Demuthsbezeugungend24: Beleidigungend25: bleibetd26: jedermanna27: Zeiten, daß durch Christi Tod alled28: überflüßiga29: selbstgewählte Besänftigungsmittel der Gottheit für überflüßig erkläret worden sinda30: dacd31: eigenena32: fordern werdea33: nun nur annehmen,a34: freudigend35: genießend36: welchecd37: entstehet, durch seinen Toda38: befreyetc39: natürlichea40: die natürlichen Folgend41: höheren Staffelna42: bezeichneta43: denselbend44: eigenend45: gesuchetd46: Genugthuungcd47: died48: werded49: Dennd50: höchstvollkommenend51: erlangend52: unentschiedenend53: vielesd54: habed55: diesesd56: ferned57: erkläret
|d146| §. 67.
Die Streitfrage zwischen der römischen und den protestantischen Kirchen, ob die Seligkeit aus dem Glauben allein entstehe, oder ob auch gute Werke dazu nothwen
|a149|dig erfordert werden, läßt
cd1 sich bey Voraussetzung der bisher entwickelten Begriffe nun leicht entscheiden. Der Vortrag der heiligen Schrift selbst ist hierüber ganz deutlich, so bald man nur die Ausdrücke Glaube, Werke, Gerechtigkeit, Seligkeit so verstehet
a3, wie sie von den ersten Lesern der apostolischen Briefe, dem damaligen Sprachgebrauch
d4 und dem Zweck
cd5 der heiligen Schriftsteller gemäß, im Zusammenhange verstanden werden müssen. Paulus und Jakobus widersprechen sich nur, in so fern
d6 man die Begriffe des Systems von Werken, Glaube und Seligkeit
c7 den Ausdrücken der Apostel unterschiebt
d8.
|b163||c163|
- 1. Paulus hat im Briefe an die Römer und Galater augenscheinlich zur Absicht, die pharisäisch gesinnten Irrlehrer, welche nach Apostg.d9 15, 5. das Gesetz Mosis /aausserhalb Palästinaa\ ∥a10 von allen Christen, auch den ehemaligen Heiden, beobachtet wissen woltena11, zu widerlegen. Es war so leicht nicht,a12 den Juden, wenn sie auch Jesum für den verheissenend13 Christ erkantena14, den so fest eingewurzelten Nationalstolz zu benehmen, nach welchem sie sich grossed15 Vorrechte vor andern Völkern in Absicht auf Gott zueigneten; die höhere Verheissungend16 der Lehre Jesu, als Belohnungen ihrer durch Beobachtung des mosaischen Gesetzes erlangten Verdienste ansahen;a17 und daher die Heiden nicht anders daran Theil nehmen lassen woltena18, als in so fern sie sich auch beschneiden und dadurch zurc19 Befolgung des jüdischen Gesetzes verpflichten liessen. Hierwider lehret nun Paulus, daß die Juden durch ihre Werke des Gesetzes, das ist, durch die mosaische Gottesdienstlichkeiten, nicht eine wahre Gerechtigkeit oder wahrhaftig religiöse Gesinnungen, wodurch man Gott allein angenehm würde, hätten erhalten können, sondern /adaßa\ das sittliche Nationalverderben unter ihnen eben so groß |d147| als unter den Heiden gewesen sey, und sie daher eben so wol Sünder,a20 und eben so sehr einer Vergebung derselben aus Gnaden bedürf|a150|tig wären als andre Völker,a21 Röm. 2, 3. Ferner daß nicht blos das Ceremonialgesetz, sondern das ganze durch Mosen bekantac22 gemachte Gesetz die Juden nur mit einem Geistd23 der Furcht vor Gotta24 erfüllet hätted25, wobey keine wahre Freudigkeit zu Gotta26, und kein freiwilligesa27 Bestreben ihm wohlgefällig zu werden, in ihnen hätte entstehen können; um so mehr, da es die Menschen zu sehr ans sinnliche beym Gottesdienstd28 und nicht an höhere geistigere Vorstellungen gewöhntcd29 hätte;a30 daher es ein Gesetz, welches nur Zorn anrichtet;a31 ein |b164| |c164| Buchstabe,a32 der da tödtet, genantacd33 wird Röm. 7cd34 und 8. K. 4, 15. Gal. 2, 5. 2 Cor. 3, 6 f. Dagegen wird nun das Christenthum unter den synonymischend35 Benennungen, Glaube, Geist, Gesetz des Glaubens, Christus,d36 dem /dGesetzc37 schlechthind\ ∥d38 oder dem Gesetzcd39 der Werke, des Fleisches, der Sünde, des Todes entgegen gesetztd40 und behauptet, daß /cdescd\ ∥cd41 ohne Beymischung der ∥cd43 mosaischen Religion beselige, mit Freudigkeit zu Gott und einem kindlichen Geistd44 erfülle, und zu allen guten Werken geschickt mache. Röm. 1, 16. 17. K. 3, 22 f. K. 7, 6. K. 8. Gal. 3, 23. K. 8. K. 5, 24. Joh. 1, 17. Selig werden, heißtd45 nun oft nur so viel als ein Christ werden, und hiermit aus dem bisherigencd46 Aberglauben und ∥cd47 ängstlichen Gottesdienstlichkeit errettet und zu lebendigen Hofnungen wiedergeboren werden. Und in dieser Absicht wird die Seligkeit oder das Glück ein Christ zu werden, für ein freiesa48 Gnadengeschenk Gottes, dascd49 Juden und Heiden ohne Rücksicht auf ehemalige Verdienste zu theil /awerde, beschrieben,a\ ∥a50 Eph.a51 2, 8. 9. verglichen mit Röm. 10, 12. 15. K. 11, 5 f.
- 2. Nun darf man nur in Pauli Schriften auf den von ihm überall beobachteten Unterschied zwischen Werken schlechthin oder Werken des Gesetzes (Mosis),a52 und zwischen guten Werkena53 oder Erweisungen wahrer Tu|a151|gend aufmerk|d148|sam seyn, so siehet man sogleich, wie er mit Jakobo, Petro und Christo selbst aufs genaueste übereinstimmet; /aso sagt er:a\ Eph. 2, 7. 10. Tit. 3, 5. 8. nicht aus vorhergegangnencd54 Werken, sondern aus Gnaden gelanget jeder zu dem Glückd55 ein Christ zu werden, aber durchs Christenthum wird er zu guten Werken zubereitet und verpflichtet. Gott wird einem jeden nach seinen Werken geben, nur denen, die in guten Werken standhaft beharren, das ewige Leben, Röm. 2, 6. 7. Ueberall dringtd56 Pau|b165||c165|lus auf Fleiß in guten Werken,a57 2 Cor. 9, 8. Gal. 6, 4. Col. 1, 10. 2 Thess. 2, 17. 2 Tim.a58 2, 21. Tit. 2, 14. und also lehret er eben das, was Jakobus lehrt, daß ein blossesd59 Erkentniß und ein müssigerad60 Beyfall gegen die Lehre Christi den Menschen nicht glückseliger mache, sondern nur /acddieacd\ wahre Thätigkeit im Guten,a61 Jak. 2, 14–26. K. 1, 22 f. Jakobi Brief ist daher nicht strohern, wie Luther als Augustiner glaubte, denn eben das hat Jesus selbst gelehret,a62 Matth. 7,d63 22 f. und das künftige entscheidende Urtheil für die Ewigkeit soll nach den Werken erfolgen,a64 Matth. 25, 35. 36. 40. 42. 43. 45. jeder wird ein desto grössercd65 Maaß der Kräfte und Seligkeit erhalten, /aje mehr und ∥d67 treuera\ ∥a68 er hier mit dena69 anvertraueten /aTalentena\ ∥a70 gewuchert;cd71 und desto reichlicher erndten,a72 je reichlicher er hier gesäet hat,a73 Luc. 19, 23 f. 2 Cor. 9, 6c74 f. Man lese auch 1 Joh. 1, 7. K. 2, 4 f. v. 29. K. 3, 3 f. K. 4, 7a75 f.
cd1: läßet (c) ; läßet (d)cd2: lässeta3: verstehtd4: Sprachgebrauchecd5: Zwecked6: fernec7: Seeligkeitd8: unterschiebetd9: Apostelg.a10: nocha11: wolltena12: nichtd13: verheißenena14: erkanntend15: großed16: Verheißungena17: ansahen,a18: wolltenc19: zua20: Sündera21: Völker.ac22: bekanntd23: Geistea24: GOttd25: habea26: GOtta27: freywilligesd28: Gottesdienste,cd29: gewöhneta30: hätte,a31: anrichtet,a32: Buchstabeacd33: genanntcd34: 7.d35: synonimischend36: Christus;c37: Gesetzed38: Gesetze schlechthin,cd39: Gesetzed40: gesetzetcd41: das Christenthum oder die innre Religion (c) ; das Christenthum oder die innre Religion (d)cd42: das Christenthum oder die innere Religioncd43: äußernd44: Geisted45: heißetcd46: bißherigencd47: dera48: freyescd49: welchesa50: werde beschrieben.a51: Eph[.]a52: (Mosis)a53: Werken,cd54: vorhergegangenend55: Glücked56: dringeta57: Werken.a58: Timd59: bloßesad60: müßigera61: Gutena62: gelehrtd63: 7.a64: erfolgencd65: grösseres (c) ; grösseres (d)cd66: größeresd67: jea68: nachdema69: dema70: Talent mehrcd71: gewuchert,a72: erndtena73: hat.c74: 6.a75: 7.
§. 68.
Wer die Streitschriften der Theologen und Philosophen mit einer ganz unbefangenen Vernunft, das ist, ohne im voraus zu glauben oder zu wünschen, daß diese oder jene Parthey Recht haben möchte,
/aund
a\ mit Nachdenken
d1 durchlieset, der wird finden, daß fast immer beyde streitende Partheien
a2 gewisser massen
ad3 Recht haben, oder daß die Wahrheit zwischen ihnen getheilet ist. Ich nehme
|a152| diejenigen spekulativen
a4 und transcendenten Fragen aus, die ganz über den Gesichtskreiß unsres
a5 , und worüber
|d149| daher keiner etwas gegründetes
/ahat
a\ behaupten können; sonst mache ich mich anheischig, von allen übrigen, besonders den kirchlichen Zwistigkeiten darzuthun, daß die Wahrheit niemals ganz auf einer Seite allein gewesen ist
d6. Nirgends aber fället dis
d7 mehr in die Augen, als bey den Streitigkeiten über die Lehre vom Glauben und
∥d8 guten Werken, wo offenbar jede Kir
|b166||c166|che aus einem besondern Gesichtspunkt
ad9 einen Theil des Ganzen richtiger als die andern
ad11 erkant
a13 hat, und blos
d14 Mißverständnisse der Worte die vollständigere Einsicht in den Zusammenhang des gesamten Plans
d15 der christlichen Religion erschweret
c16 haben. Ich will in Beziehung auf diese noch obwaltende Streitfragen hier die wahre Theorie liefern, worüber im Grunde und den Sachen nach alle Kirchen einig seyn werden, so bald die gewöhnliche Lehrformeln, welche die Mißverständnisse veranlassen, an die Seite gelegt
d17 werden.
d1: Nachdenken,a2: Partheyenad3: maßena4: speculativena5: unsersd6: seyd7: diesed8: vonad9: Gesichtspunct (a) ; Gesichtspunct (d)ad10: Gesichtspunktead11: andern, (a) ; andern, (d)ad12: andrea13: erkanntd14: bloßd15: Planesc16: erschwehretd17: geleget
§. 69.
Die Ordnung,
a1 in welcher ein Mensch durchs
a2 zu höherer Glückseligkeit gelanget,
a3 ist folgende:
Erstlich:
a4 Die Wahrheit, daß Jesus der Christ, der höchste Gesandte und Sohn Gottes sey, und daß also seine Anweisungen einen göttlichen Unterricht über den Weg zur Glückseligkeit enthalten, ist die Grundlage des gesamten Glaubens eines Christen,
a5 1 Joh. 5, 1. K. 4, 16. Joh. 17, 3. 16. 36. Apostelg. 2, 36–38, K. 4, 12. K. 16, 30. 31. Auf diesen Satz wurden die Juden, welche den einigen Gott schon
/aerkanten, bey ihrem Eintritt
d6 in die Gemeine der Christen
a\ ∥a7 getauft, Apostg.
d8 8, 16. K. 10, 48. K. 19, 4. 5. und hiermit selig gemacht oder errettet,
a9 Röm. 10, 9. 10 f. Dis
cd10 ist der Glaube
an Christum;
a11 und in so fern hat die lutherische
a12 Kirche recht, daß sie
das Vertrauena13 in den Begrif des Glau
|a153|bens aufnimt
a14. Wer an den Namen Christi glaubt
cd15, der eignet ihm die höchste Autorität in der Religion zu, und hat also ein völliges Vertrauen zu desselben Anweisungen
a16. So bald nun
/ader
a\ Jude oder Heide dieses Vertrauen zu Christo faßten
d17,
|d150| so ging
cd18 eine
μετανοια oder Veränderung der Denkart
cd19 in der Religion in ihnen vor. Ihre bisherige abergläubische Vorurtheile verloren alle Gewalt über sie; die Heiden thaten den ersten Schritt aus
|b167| |c167| der Finsterniß zum Licht
d20, aus der Gewalt des Satans zu Gott,
/adas ist, von der Abgötterey zu richtiger Erkentniß und Verehrung des wahren Gottes, und von
a\ ∥a21 der Lasterhaftigkeit zu bessern Gesinnungen:
a22 die Juden aus der Sklaverey
a23 beschwerlicher
c24 Gottesdienstlichkeiten und beständiger
a25 Todesfurcht zur Freiheit
a26 ∥d27 und
∥d28 den erfreulichsten Aussichten. So wurden beyde
a29 errettet oder selig, ob sie gleich von dem ganzen Inhalt
cd30 des Unterrichts Jesu noch
/agar keine vollständige Einsichten
a\ ∥a31 hatten, und solche erst nachher durch
/cdfernern Unterricht
cd\ ∥cd32 erhalten mußten,
a33 Röm. 12, 1. 2 f. Eph. 4, 15–32. und andern Orten. Allein mit diesem Glauben, daß Jesus ein göttlicher Wegweiser zu höherer Glückseligkeit sey, entstund
d34 unmittelbar die Begierde
d35 seine Anweisungen
a36 nun anzuhören, und eine
a37 a38 solche zu befolgen. So wie nun ein Kind schon alsdenn
cd39 gutartig ist, und sich auf dem Wege zu seiner Wohlfart befindet, wenn es geneigt ist, sich in allen
cd40 nach seines Vaters Willen zu erkundigen
a41 und denselben zu befolgen, wenn
cd42 es gleich noch nicht den ganzen Plan des Vaters übersiehet, und erst nach und nach solchen verstehen lernen muß;
a43 so kan
a44 auch ein Christ bey dem blossen
d45 Vertrauen zu Christo und
∥d46 der allgemeinen Geneigtheit seinen Unterricht in allen
cd47 zu befolgen, Gott wohlgefällig
/dund
d\ auf dem Wege zum Leben seyn, wenn er gleich noch sehr mangelhafte Erkentnisse von
/aden Anweisungen
a\ ∥a48 Jesu hat. Hieraus erhellet in wie fern die Katholiken Recht haben, wenn sie
/aein ausführlich
cd49a\ ∥a50 Erkentniß der gesamten Religion nicht zum seligmachenden Glauben für nothwendig halten, sondern behaupten,
c51 daß
|a154| schon
fides implicita bey denen hinlänglich sey, deren geringe Verstandskräfte
a52 und äussere
ad53 Umstände ein deutliches und vollständiges
a55 Erkentniß
c56 /ader Lehre Christi
a\ nicht verstatten.
a1: Ordnunga2: durcha3: gelangta4: Erstlich.a5: Christend6: Eintrittea7: erkannten,d8: Apostelg.a9: errettetcd10: Diesesa11: Christum,a12: Lutherischea13: das Vertrauena14: aufnimmtcd15: glaubeta16: Anweisungd17: faßtecd18: giengcd19: Denkungsartd20: Lichtea21: ausa22: Gesinnungen;a23: Sclavereyc24: beschwehrlichera25: beständigena26: Freyheit,d27: der Kinder Gottesd28: zua29: siecd30: Inhaltea31: wenige entwickelte Begriffecd32: fernere Belehrungena33: mußten.d34: entstandd35: Begierde,a36: Anweisunga37: diea38: Bereitwilligkeitcd39: alsdanncd40: allema41: erkundigen,cd42: oba43: muß,a44: kann alsod45: bloßend46: beycd47: allema48: der Anweisungcd49: ausführlichesa50: dasc51: behauptena52: Verstandeskräftead53: äußre (a) ; äußre (d)ad54: äußerea55: ausführlichesc56: Erkenntniß
|b168| |c168| |d151| §. 70.
Zweytens:
a1 Aus dem Glauben an den Namen
cd2 Christi, das ist, aus der Ueberzeugung, daß Jesus ein göttlicher Lehrer sey, entsteht
cd3 nun unmittelbar die Begierde von ihm
a4 zu lernen, und
/aseine wohlthätige Vorschriften
a\ ∥a5 zu befolgen. Der Inhalt der Lehre Jesu ist theils theoretisch, theils praktisch. Hier ist die Frage entstanden, ob nur die erstere oder beyde Arten der Wahrheiten den eigentlichen Gegenstand des Glaubens ausmachen. Aus Mißverstand einiger paulinischen
a6 /dStellen darin
d\ ∥d7 das Gesetz und der Glaube einander entgegen gesetzt
cd8 werden, hat man die christliche Religion in Evangelium und Gesetz eingetheilt
d9, und nur die Gnadenversicherungen unter dem Namen des Evangeliums mit Ausschliessung
d10 der Anweisungen
a11 über unser Verhalten
d12 für den Gegenstand des Glaubens erklärt
cd13. Allein Paulus setzt
cd14 offenbar Gal. 3, 23 f. und in allen ähnlichen Stellen nicht zwey Theile der Lehre Jesu unter dem Namen des Gesetzes und des Glaubens einander entgegen, sondern er verstehet unter Gesetz
d15 die ganze mosaische Religion, und unter dem Glauben
a16 die ganze christliche Lehre;
a17 daher auch Mose und Christus als synonymische Ausdrücke statt Gesetz und Glaube gebraucht
cd18 werden,
a19 und das Christenthum als ein Gesetz des Glaubens ausdrücklich von dem Gesetze der Gottesdienstlichkeiten oder der Werke unterschieden wird,
a20 Röm. 3, 27. Joh. 1, 17. Ebr. 8, 9. 10. Die Lehre Jesu ist demnach ein unzertrennbares Ganze
cd21 und durchaus Evangelium. In ihr erscheinen die göttlichen Vorschriften über unser Verhalten nicht als Anforderungen eines Gebieters, sondern als Rathgebungen eines Vaters. Wie nun ein Vater seine Kinder nur halb glücklich machen
|a155| würde, wenn er ihnen blos seine Liebe versicherte, und vieles Gute verspräche und schenkte, sie aber nicht zugleich unterrichtete, wie sie solches brauchen
d22 und aufs beste benutzen und geniessen
d23 solten:
a24 so würde auch die
|b169| |c169| Lehre Jesu uns durch alle Versicherungen von der Gnade Gottes nicht wirklich zu seligen Leuten machen, wenn sie uns nicht
|d152| auch durch ihre moralische Anweisungen belehrte, wie wir aufs weiseste alles von Gott kommende Gute anwenden und
/cdaufs fruchtbarste
cd\ ∥cd25 benutzen sollen
a26. Der Christ muß demnach eben so viel
d27 Vertrauen zu den praktischen Anweisungen Jesu, als zu desselben Gnadenversicherungen beweisen
a28 und jene
/dso wol
d\ ∥d29 wie diese erkennen und glauben.
a1: Zweitens.cd2: Nahmencd3: entsteheta4: ihna5: seiner wohlthätigen Anweisunga6: Paulinischend7: Stellen, in welchencd8: gesetzetd9: eingetheiletd10: Ausschließunga11: Anweisungd12: Verhalten,cd13: erkläretcd14: setzetd15: dem Gesetzea16: Glauben,a17: Lehre,cd18: gebraucheta19: werden:a20: wird.cd21: Ganzesd22: gebrauchend23: genießena24: sollten,cd25: auf das fruchtbarestea26: solltend27: vielesa28: beweisen:d29: sowohl
§. 71.
Drittens:a1 Je mehr nun der an Christum glaubende Mensch den Unterricht desselben verstehen lernt
cd2, und je mehr sich seine Einsichten in die Gesinnungen und den Entwurf Gottes über uns erweitern und aufklären,
/dje mehr
d\ ∥d3 Seligkeit entstehet auch
a4 hiermit in seiner Seele. Da die Kirche sich hierüber fast in lauter allegorischen
a5 und mystischen
a6 Ausdrücken erkläret
a7, und diese grosse
ad8 Veränderung der Denkungsart des
cd9 Menschen, welche der lebendige Glaube bewirkt
d10, Wiedergeburt, Geburt aus Gott, neue Schöpfung, Vereinigung mit Gott und Christo, Hervorbringung eines neuen Geistes und Herzens, Rechtfertigung und Heiligung,
d11 u. s. w. zu benennen pflegt
d12, wodurch blos schwankende und verworrene
a13 Begriffe, zum Theil auch nur Worterkentnisse
/cd, wie ich aus eigner Erfahrung weiß,
cd\ selbst bey Theologen veranlasset und unterhalten werden
a14, so will ich mich bemühen
a15 anschauendere Sacherkentnisse von dem, was in dem Gemüth
cd16 des Menschen in seiner Bekehrung vorgehet, hier zu erwecken.
- a) Der natürliche durch höherenc17 Unterricht über die Religion noch nicht erleuchtete Seelenmensch beurtheilet |a156| die Dinge nach dem sinnlichen Eindruckcd18, welchen sie auf ihn machen. Ihm erscheinet daher sehr vieles als Unvollkommenheit und Uebel in der Welt, die unaufhörlichen Klagen der Menschen über das |b170| |c170| Elend dieses Lebens solches beweisen. Ueberall findet er Hindernisse und Schranken bey dem Bestreben seine Begierden zu befriedigen, und seine klügsten Entwürfe werden bald durch Unglücksfälle,a19 bald durch die Hinterlista20 böser Menschen vereitelt. Hierbey kana21 nun keine wahre Zufriedenheit in seiner Seele wohnen; denn ihm scheintcd22 in seiner Lage |d153| das Böse ein grossesad23 Uebergewicht über das Gute zu haben. Richtet er seine Blicke in die Zukunft, so ist sie in fürchterliches Dunkel vor ihm verhüllet. Sorgen, a24 ängstliche Befürchtungen bemächtigen sich nothwendig von Zeit zu Zeit einesc25 Geistes, der seine Ruhe und sein Glück in Dingen suchtd26, die ihrer Natur nach unaufhörlichen Abwechselungen unterworfen sind, so wie es unser Körper selbst ist, derd27 schon im männlichen Alter zur endlichen Zerstörung sich aufzulösen beginnt. Vermischen sich mit diesen trüben Vorstellungen noch einige Begriffe von einem allgewaltigen Wesen, welches die Welt beherrscht, so wird das moralische Elend noch grösserad28. Der sinnliche Mensch kanac29 eine Gottheit nicht lieben, von welcher er glaubt,a30 schon hier verwahrloset und in ein Jammerthal gesetzetc31 zu seyn. Daher tadeln und lästern rohe Menschen die Einrichtung der Dinge, und die Wege der Vorsicht. Aber der Gedanke, daß man sich der Obermacht dieses furchtbaren Wesens nicht entziehen könne, daß man es beleidiget habe, daß es zürned32 und vielleicht im Tode seine Rache noch über uns ausschütten werde, fälltd33 in den Stunden des Tiefsinns und der Kränklichkeit schwerd34 auf das Gemüth des hoffnungslosencd35 Sünders, daß Zittern und Zagen ihn ergreift und in seinem Busen eine wahre |a157| Hölle entbrennt. Dann hascht der sinnliche Mensch nach abergläubischen Rettungsmitteln, und quältcd36 sich durch willkührliche Büssungenad37, oder vergräbt sich lebendig in Einöden schwermüthiger Gottesdienstlichkeitd38 |b171| |c171| und entsagtcd39 dem gesellschaftlichen geschäftigen Leben, /awelches dagegena\ ∥a40 für uns ein Paradies Gottes wird, so bald das Licht des Evangeliums seinen himlischenacd41 Glanz darüber verbreitet. Denn bey den Erleuchtungen der Lehre Jesu verschwindet diecd42 furchtbare /cdDunkelheit, welchecd\ ∥cd43 die Liebenswürdigkeit Gottes den Augen blos sinnlicher Menschen verbirgt. Wir erblicken auf dem Throne der Welt einen Vater, der nur wohlthätig und nachsichtsvoll gegen uns denktcd44 und handelt: der uns auf dieser Erde im ersten Kind|d154|heitsalter unsresa45 Daseyns zu höherer Glückseligkeit vorbereitet und mannigfaltige Freuden für die Sinne darbietet;a46 nicht um uns darincd47 zu sättigen, und in ihrema48 Genußd49 unsere höchste Wohlfart zu suchen, sondern /cddarancd\ nur einen Vorschmack ∥cd50 zu haben, was für erhabnerea51 Freuden uns, wenn wir Gott lieben,a52 in einem männlichen Alter des zukünftigen Lebens erwarten. So betrachtet nun der glaubende Christ alle von ihm nicht abhängende auf seiner Wallfart hienieden;acd53 alle glückliche und unglückliche Ereignisse seiner Tage;acd54 als Führungen eines gütigen weisen Vaters, derd55 ihn auf unbekantena56 Wegen zu Scenen höherer und dauerhafterer Seligkeit hinüber führtd57. Und hierbey nehmen Ruhe, Heiterkeit, Zufriedenheit und getroster Muth in dem Herzen des Christen ihre beständige Wohnung. Der lebendige Glaube an die Lehre Jesu hat demnach die Kraft selig zu machen;a58 indem er alle fürchterliche Vorstellungen von Gott, von willkührlichen Forderungen, oder willkührlichen nicht zur Besserung abzielenden Strafen desselben, und von der Nothwendigkeit eigener Büßungen und beschwerlicher Gottesdienstlichkei|a158|ten /dvölligd\ verscheucht, und die Ueberzeugung hervorbringtcd59, daß alle von uns nicht abhängende Bestimmungen und Veränderungen unsres Zustandes uns gut sind, und ein immer fortge|b172||c172|hender Wachsthum unserer Vollkommenheiten von Gott veranstaltet wird. Daß aber dieses herrschende Bewußtseyn des wachsenden Uebergewichtsd60 des Guten in unsremacd61 Zustande ganz eigentlich die menschliche Glückseligkeit bestimmea63, ist bereits im ersten /dAbschnitt /cerwiesenc\ ∥c64d\ ∥d65.
- b) Derc66 sinnliche sich selbst überlassenec67 Mensch setzet sein größtes Glück in dem Besitzcd68 der äussernad69 Vortheile dieses Lebens. Indem er /ademselben nachjagtcd70,a\ ∥a71 wähltd72 er /cdsehr oftcd\ ∥cd73 Wege, die zum Verderben führen. List und Gewaltthätigkeit scheinen ihmcd74 näher zum Zield75 seiner Wünsche zu führen, als Redlichkeit und mühsame Verdienste;a76 indem aber andere eben so denkende Menschen, |d155| oft mit /dmehrerm Glücka77d\ ∥d78 ihm entgegen arbeiten, so entstehtcd79 in seinem Gemüthd80 Eifersucht, Neid, Rachsuchta81 und Menschenhaß. Bey diesen Gesinnungen und Maaßregelnc82 ist der Mensch stets mit sich selbst uneins, verdrüßlich, ängstlich und in beständiger Unruhe, weil seine Denkartcd83 nicht mit der allgemeinen Ordnung und dem göttlichen Pland84 über die menschliche Glückseligkeit harmonirtd85. So bald nun aber der Mensch es Christo glaubt, daß das einzige wahre Mitteld86 sich cd87 glücklich zu machen, die redlichste und thätigste Menschenliebe sey, nach welcher man einem jeden mit einer solchen Begegnung zuvor komta88, als man in ähnlichen Fällen von ihm zu erhalten wünschtcd89; so wird er mit sich selbst und mit dem Plancd90 Gottes in Harmoniecd91 gebracht. Die menschenfeindlichen Gesinnungen der Mißgunst, ∥d92 Rangsucht und des niedrigen Eigennutzes, an welchen er bisher gekranket hat, fliehen das durch Liebe zu Gott zur Menschenliebe erwärmte und veredelte Herz, und hiermit werden zugleich alle |a159| natürliche Triebe nicht unterdrückt oder geschwächt, sondern geheiliget, das ist, auf das erhabene Ziel unserer Bestimmung zu höherer gesellschaftlichen Glückselig|b173||c173|keit übereinstimmig gerichtet. Nun suchtcd93 der Mensch seine Ehrliebe nicht mehr dadurch zu befriedigen, daß er besser scheinen will, als er ist; er denket nun wirklich so gegen andre, daß /aaucha\ seine /ainnred94a\ Gesinnungen ihm Ehre machen, und er der ängstlichen Bemühung überhoben ist, sich zu verstellen. Der Trieb,a95 das Eigenthum und die damit verknüpfte Unabhängigkeit zu /acdvergrössern bestimtacd\ ∥acd96 ihn nicht mehr zu niedrigen Handlungen des Betruges, wodurch die Ehrliebe gekränket wird; er erwecket ihn vielmehra99 zur Arbeitsamkeit und zum Fleißd100 in seinem Berufd101 und zur Ordnung und Wirthlichkeit im Haushalten. Die Neigung zu sinnlichen Ergötzlichkeiten, died102 ihm vielleicht öfters zuma103 Nachtheild104 seiner Gesundheit, seines Vermögens, und seines Rufes /azu Ausschweifungena\ ∥a105 hingerissen hatte, wird nun durch dank|d156|bares Andenken an Gott beym Genußcd106 der sinnlichen Annehmlichkeiten, veredelt: und der entgegen gesetzte tyrannische,a108 den Menschen selbst quälende und entehrende,ad109 Trieb zum Geitzd110 wird durch den grossenad111 Gedanken, daß wir Gott nur durch wohlthätige Gesinnungen ähnlich werden, und durch Almosen die irdischen Güter,a112 died113 sonst im Tode zurück bleiben, ins künftige Leben hinüber retten können, entkräftet und zur weisen Sparsamkeit gemildert. So bringtcd114 also der Glaube an Christum eine innred115 Harmonie aller unsrerd116 natürlichen Triebe unter einandera117 und mit dema118 Plancd119 Gottes hervor, und nun wird /aeinem jedena\ ∥a120 die Sache selbst deutlich seyn, was die Theologen durch die Ausdrücke sagen wollen: der Glaube heiliget;ad121 er schaffet ein neucd122 Herz; er erfüllet mit dem /cdGeist Gottescd\ ∥cd123 oder mit dem Sinncd124 Christi; er vereiniget den Menschen mit Gott; er macht uns göttlicher Natur theilhaftig; denn nun will der |a160| Mensch,a125 was Gott will, und wirket mit Gott zu einerley Zweckd126, zur allgemeinen Wohlfart und Glückse|b174||c174|ligkeit, wie Christus dazu auf die verdienstvollste Art gewirket hat.
a1: Drittens.cd2: lernetd3: jemehra4: nuna5: allegorischea6: mystischea7: erklärtad8: großecd9: derd10: bewirketd11: Heiligungd12: pflegeta13: verworrnea14: wordena15: bemühen,cd16: Gemüthec17: höherncd18: Eindruckea19: Unglücksfällea20: Hinderlista21: kanncd22: scheinetad23: großesa24: Kummer undc25: seinesd26: suchetd27: welcherad28: größerac29: kanna30: glaubtc31: gesetztd32: zürne,d33: fälletd34: schwehrcd35: hofnungslosencd36: quäletad37: Büßungend38: Gottesdienstlichkeit,cd39: entsageta40: dasacd41: himmlischencd42: dascd43: Dunkel, welchescd44: denketa45: unsersa46: darbietet,cd47: darana48: ihrend49: Genussecd50: darana51: erhabnea52: liebenacd53: hienieden,acd54: Tage,d55: welchera56: unbekanntend57: führeta58: machen,cd59: hervorbringetd60: Uebergewichtesacd61: unserm (a c) ; unserm (d)acd62: unserema63: bestimmtc64: ins Licht gesetzt und dargethan wordend65: Abschnitte ins Licht gesetzet und dargethan wordenc66: derc67: überlaßnecd68: Besitzead69: äußerncd70: nachjageta71: denselben nachjagtd72: wähletcd73: zum öfterncd74: ihnd75: Zielea76: Verdienste,a77: Glück,d78: mehrerem Glückecd79: entstehetd80: Gemüthea81: Rachsucht,c82: Maßregelncd83: Denkungsartd84: Planed85: harmoniretd86: Mittel,cd87: dauerhafta88: kommtcd89: wünschetcd90: Planecd91: Uebereinstimmungd92: dercd93: suchetd94: innerea95: Triebacd96: vergrößern bestimmt (a) ; vergrößern bestimmt (c) ; vergrößern bestimmt (d)acd97: vergrössern, bestimmt (c) ; vergrössern, bestimmt (d)acd98: vergrößern, bestimmta99: nund100: Fleißed101: Berufed102: welchea103: zud104: Nachtheilea105: zur Ausschweifungcd106: Genuße (c) ; Genuße (d)cd107: Genussea108: tyrannischead109: entehrended110: Gesetze,ad111: großena112: Güterd113: welchecd114: bringetd115: innered116: unserera117: einander,a118: dencd119: Planea120: jedemad121: heiliget,cd122: neuescd123: Geiste Gottes,cd124: Sinnea125: Menschd126: Zwecke
§. 72.
Viertens:a1 So bald die Denkart
cd2 eines Menschen gottesgeistig geworden ist, so bald er den Sinn Christi, das ist, wahrhaftig
a3 christliche Gesinnungen, wie sie das Vorbild und die Lehre Jesu erfordern, angenommen hat, so befindet er sich in dem Zustande der höhern moralischen Glückseligkeit oder der Gnade bey Gott. Denn nun hat er ein völliges Vertrauen zu Gott,
a4 und ist über alle Veränderungen
a5 seines Lebens ruhig und voll der erfreulichsten Hofnungen
a6 für die Zukunft: und da Gott wohlgefällig und zu handeln, das Ziel seiner Wünsche und Bestrebungen ist, so findet in ihm schon die allgemeine Geneigtheit und der Grundtrieb zu allen göttlichen und gesellschaftlichen Tugenden statt.
∥cd7
⌇⌇a
Nun lässet sich die berühmte Streitfrage zwischen der römischen und der protestantischen Kirche,
/aob nur der |d157| Glaube allein oder auch die Werke zur Seligkeit nothwendig sind?a\ ∥a8 ohne Schwierigkeit auflösen.
Unter guten Werken verstehet man entweder selbstgewählte und willkührliche Gottesdienstlichkeiten und Büssungen
ad9, als fasten, sich geisseln
d10, wallfahrten, Formulargebete hersagen u. d. gl.
d11 oder die äussere
ad12 Erweisungen der innern christlichen Gesinnungen gegen Gott und den Nächsten. Die
/cderste Gattung so genanter
a13cd\ ∥cd14 guten Werke
∥cd16 sind ein Ueberbleibsel des Judenthums, wogegen Paulus so oft im Briefe an die Römer und Galater eifert, und Col. 2, 16. ausdrücklich einschärft
cd17, lasset euch niemand Gewissen machen über Speise,
a18 oder Trank, oder bestimmten
d19 Feyertagen
/du. s. f.
d\ ∥d20 und diese werden daher mit Recht von den Protestanten für unnöthig, ja unter gewissen Um
|a161|ständen für
∥cd21 der Seligkeit
/cdschädlich erkläret
a23cd\ ∥cd24.
|b175| |c175| Was aber die guten Werke nach biblischen
/cdBegrif
∥a25 betrift
cd\ ∥cd26, so ist davon zu bemerken:
- a) Man kana27 immerfortcd28 gut gesinnet seyn und eine herrschende Geneigtheit haben, alle Tugenden auszuüben, ohne jedoch solches immerfort werkthätig äussernad29 zu können. Jede Art der guten Werke, als äusseread30 in die Sinne fallende Handlungen betrachtet, erfordern äusseread31 Gelegenheiten, sie verrichten zu können. Ich kana32 zum Beyspiel so gut gesinnet seyn, daß ich der Vorschrift Jesu gemäß meinen Feind gern speisen und bekleiden würde; allein um discd33 gute Werk thätig zu verrichten, wird voraus gesetzt, theils daß ich einen Feind habe; theils daß dieser meiner Unterstützung bedarf; theils daß ich das Vermögen dazu habe, ihm zu helfen; theils daß mir seine Dürftigkeit bekanta34 wird; theils daß ich mich mit ihm in einer solchen Lage befinde, daß meine Wohlthaten bis zu ihm gelangen können; alles dieses hängtcd35 aber nicht von mir selbst ab. Gleiche Bewandniß hat es mit allen andern einzelnen Arten der guten Werke. Nun würden wir in der That sehr übel daran seyn, wenn die Verrichtung einer oder doch gewisser bestimtera36 Arten guter |d158| Werke zur Seligkeit schlechterdings nothwendig wären, da es nicht von uns abhängtcd37, uns die Gelegenheiten dazu zu verschaffen. In dieser Beziehung kana38 also der Satz ∥cd39: gute Werke sind zur Seligkeit nicht nothwendig, allerdings mit Grunde behauptet werden, in so fern keine einzelne Gattung derselben zu nennen ist, deren werkthätige Leistung schlechterdings zum Glückseligseyn erfordert würde.
- b) Da aber die Seligkeit nicht ein augenblicklich vorübergehenderd40 sondern fortdaurender Zustand ist, darin der Mensch immerfort denktcd41, wünscht und handelt, und alle diese Entschliessungend42 und Handlungen nothwendig |a162| entweder gut oder böse sind, ∥cd43 uns vollkomnera44 oder |b176| |c176| unvollkomnera45, Gott wohlgefälliger oder mißfälliger machen, so erhelletd46 wie in diesem Betrachtd47 der Fleiß in guten Werken zur Seligkeit nothwendig sey. Es muß nemlich der Mensch nothwendig alle christliche Tugenden werkthätig ausüben, /aso bald sich zu Verrichtung Gelegenheit darbeut,a\ ∥a48 denn der aus Gott /aGeborne kanc49a\ ∥a50, wie Johannes 1 Br. 3, 9. sagt, nicht sündigen, er kanacd51 nicht wider sein Gewissen handeln, noch unterlassen,a52 was dieses von ihm fordert. Christus selbst erklärtcd53 das blossed54 Unterlassen guter Handlungen für den Grund der Unseligkeit. Matth. 25, 42a55 f.
- c) Gute Werke sind nun eigentlich in einer dreifachena56 Beziehung nothwendig,
- als natürliche und unausbleibliche Folgen guter Gesinnungen,a57 Matth. 7, 18. an welchen der Mensch erkennen muß, ob er den Sinn Christi wirklich habe, 1 Joh. 3, 10. 14.
- als Befestigungsmittel in guten Gesinnungen;a58 indem nur durch Uebung in der Geduld, im Vertrauen auf Gott, im Nachgeben, in großmüthiger Wohlthätigkeit, in der Arbeitsamkeit, diese beseligende Tugenden zu Fertigkeiten werden können.
- als Beförderungsmittel der Wohlfarta59, indem jede Ausübung einer Pflicht unsrena60 Zustand verbessert. |d159| So oft ich andern mit Ehrerbietung und Dienstbeflissenheit zuvorkomme, erwerbe oder vermehre ich ihre Achtung odercd61 Freundschaft gegen mich: so oft ich eine Versuchung zu Thorheiten überwinde, entgehe ich übelnad62 Folgen, die mich beunruhiget haben würden, und befestige die Herrschaft des Geistes über die Sinnlichkeit.
a1: Viertens.cd2: Denkungsarta3: wahrhaftigea4: Gotta5: Veränderunga6: Hofnungcd7: 1 Joh. 3, 21–24.a8: ob nur der Glaube allein oder auch die Werke zur Seligkeit nothwendig sind?ad9: Büßungend10: geißelnd11: u. dergl.ad12: äußerea13: genanntercd14: sogenante (c) ; sogenante (d)cd15: sogenantencd16: der ersten Gattungcd17: einschärfeta18: Speised19: bestimtend20: u. s. w.cd21: Hinderniße (c) ; Hinderniße (d)cd22: Hindernissea23: erklärtcd24: erklärta25: von denselbencd26: Begriffe anlangeta27: kanncd28: beständigad29: äußernad30: äußeread31: äußerea32: kanncd33: diesesa34: bekanntcd35: hängeta36: bestimmtercd37: abhängeta38: kanncd39: der Concordienformeld40: vorübergehender,cd41: denketd42: Entschließungencd43: folglicha44: vollkommnera45: unvollkommnerd46: erhellet,d47: Betrachtea48: so bald sich zu derselben Verrichtung Gelegenheit darbeut,c49: kanna50: geboren, kannacd51: kanna52: unterlassencd53: erkläretd54: bloßea55: 42.a56: dreyfachena57: Gesinnunga58: Gesinnungen,a59: Wohlfahrta60: unserncd61: undad62: üblen
|a163| §. 73.
Fünftens:a1 Da das Wort
Glaubea2, durch die so sehr von einander
/adabweichende willkührliche
ad\ ∥ad3 Definitio
|b177||c177|nen der Theologen so vieldeutig geworden ist, und selbst in der heiligen Schrift eine
/dverschiedne
d\ ∥d4 Ausdehnung hat; es aber bey dem Erkentniß
d5 der Religion nicht auf Töne, sondern auf Begriffe ankomt
a6: so ist der sicherste Weg
d7 aus der Verwirrung der Wortstreitigkeiten, und den daraus entstehenden Mißverständnissen sich heraus zu finden, daß man statt dieses Worts,
acd8 andre Ausdrücke von bestimterer
a10 Bedeutung wähle, die
d11 eben die Begriffe einzeln und begrenzt
a12 darbieten, welche sonst unter dem
/cdWort Glaube zusammengefaßt
cd\ ∥cd13 werden. Solten
ac15 nicht alle einsichtsvolle Theologen in allen Kirchpartheien
ad16 darüber eins
cd18 seyn, daß der Mensch alsdenn
d19 selig wird, wenn er
/aden Sinn Christi überkomt
a\ ∥a20, oder gegen Gott und Menschen,
cd21 solche Gesinnungen annimt
a22, wie Christus gegen seinen Vater und gegen uns gezeiget hat? Denn worin
d23, meine protestantische
d24 Brüder, wollen wir das Leben des Glaubens setzen
cd25, als in die
cd26 Wirksamkeit, welche er auf die Gesinnungen
/aäussert
d27? Kan
a\ ∥a28 wol ein Glaube rechter Art seyn, oder selig machen, der das Herz ungeändert läßt? Was fehlt
d29 aber, meine katholische
d30 Mitbrüder, demjenigen noch zur Seligkeit, dessen Denkart
cd31 dem Sinn
cd32 Christi ähnlich ist? Wird nicht der, welchen dieser Geist des Christenthums beseelt
cd33, alle Gelegenheiten gutes zu thun freywillig aufsuchen und mit Emsigkeit benutzen? Ich empfehle daher statt der ewigen Wortanalysen über den rechten Begrif des Glaubens und des lebendigen Glaubens, wodurch man einfältigen
|d160| Christen niemals bestimte
a34 und nutzbare Erkentnisse beybringen wird, auf den Kanzeln lieber zu sagen: Die Seligkeit beruhet auf guten oder christlichen Gesinnungen. Dis
d35 wird von jederman so gleich verstanden, und nun kan
a36 man das aus der Lehre Jesu vortragen, was diese Gesinnungen
a37 der dankbaren Liebe, des Vertrauens, der
|a164| Folgsamkeit gegen Gott, und der aufrichtigen und wohlthätigen Menschenliebe in den Zuhörern zu erwecken am geschicktesten
|b178| |c178| ist;
d38 und sie dann
a39 weiter anweisen, wie sie
d40 diese Gesinnungen
a41 in ihrem ganzen Verhalten äussern
ad42 und an den Tag legen müssen. So bestehet denn das ganze Werk der Seligmachung des Menschen durch die christliche Religion darin, daß der Mensch
- 1. Vertrauen zu Christo als einem göttlichen Lehrer fassetad43.
- 2. Den Unterricht desselben sich bekanta45 machtd46.
- 3. Die daraus /aerkanten Warheitencd47a\ ∥a48 in der Zueignung auf sich selbst überdenktcd49, und hierdurch seine ganze /dDenkartc51 umbildetd\ ∥d52.
- 4. Durch den Geist der Religion Jesu sich nun weiter in alle Wahrheit und Tugend leiten läßtcd53, und hiermit seinen innern und äussernad55 Zustand immerfort vollkomnera57 machtd58, nach allen Gelegenheiten, died59 sich ihm,cd60 gutes zu thun, darbieten.
a1: Fünftens.a2: Glaubead3: abweichenden willkührlichend4: sehr verschiedened5: Erkentnissea6: ankommtd7: Weg,acd8: Worts (a) ; Worts (c d)acd9: Wortes,a10: bestimmtererd11: welchea12: begränztcd13: Worte Glauben zusammengefaßet (c) ; Worte Glauben zusammengefaßet (d)cd14: Worte Glauben zusammengefassetac15: Solltenad16: Kirchpartheyen (a) ; Kirchpartheyen (d)ad17: Kirchenpartheiencd18: einigd19: alsdanna20: den Sinn Christi überkommtcd21: Menschena22: annimmtd23: worinnd24: protestantischencd25: suchencd26: derd27: äußerta28: äußert? Kannd29: fehletd30: katholischencd31: Denkungsartcd32: Sinnecd33: beseeleta34: bestimmted35: Diesesa36: kanna37: Gesinnungd38: ist,a39: dennd40: Christena41: Gesinnungad42: äußernad43: faßt (a) ; faßt (d)ad44: fassea45: bekanntd46: machecd47: Wahrheitena48: erkannten Wahrheitencd49: überdenket (c) ; überdenket (d)cd50: überdenkec51: Gemüthsartd52: Gemüthsart umbildecd53: lässet (c) ; lässet (d)cd54: lassead55: äußern (a) ; äußern (d)ad56: äußerena57: vollkommnerd58: mached59: welchecd60: ihm
§. 74.
Die Bekehrung des Menschen durchs Christenthum ist vermöge der bisherigen Entwickelung eine durchaus erfreuliche Sache. In der ganzen Lehre Jesu findet sich kein Satz, der den Menschen, welcher sich bessern will, betrübt oder niedergeschlagen machen
/akönte. Wir
a\ ∥a1 werden sogleich,
a2 wenn wir diese Lehre
/aannehmen,
∥cd3 wiedergebohren
a\ ∥a4, indem wir die Grösse
ad5 der Liebe Gottes
a6, der Mildthätigkeit seines Plans
d7 über uns, und einen sichern und angenehmen Weg,
a8 unsre Wohlfart
a9 immerfort Ewigkeiten hindurch zu vergrössern,
ad10 aus dem Unterricht
d12 der heiligen Schrift kennen lernen; das kan
a13 niemanden
cd14 Traurigkeit erwecken. Es muß daher jedem Freunde der Lehre Je
|d161|su nahe gehen, wenn er gewahr wird, wie blos die unglückliche Uebersetzung des Worts
μετανοια durch
poenitentia |a165| und durch Buße in der abendländischen Kirche so viel
d15 finstere Lehrsätze erzeuget hat, welche die Liebenswürdigkeit der Einladungen Christi so sehr verdunkeln. Der
|b179| |c179| ganze Artikel von der Buße in unsrer Dogmatik und Moral, besonders was von einer Beängstigung des Gewissens, Zerknirschung, Bußkampf und dergleichen
d16 darin vorkomt
a17, ist aus dem alten Testament
d18 entlehnt, hat nicht den allermindesten neutestamentischen Grund, und kan
a19 auch schlechthin mit dem Geist
cd20 des Evangeliums nicht bestehen. Ich will dieses etwas umständlicher erweisen.
1. Ueberall wo Luther in der Verdeutschung des N. T. Buße und Reue gesetzt
cd21 hat, stehen im Grundtext
d22 zwey Worte, welche blos eine aus reiflicher Ueberlegung und Nachdenken
d23 entstehende Veränderung und Verbesserung der Entschliessungen
d24 und Gesinnungen anzeigen. Eben diese Worte brauchen die alexandrinischen Uebersetzer selbst von Gott und von der Veränderung seiner Verfügungen, folglich liegt
cd25 darin gar nicht der Begrif des Betrübtseyns oder der Zerknirschung. Dagegen bedeutet nun Buße und büßen so viel,
a26 als Genungthuung
c27 für begangene Vergehungen leisten, es sey durch Geldbuße, oder
∥ad28 Erduldung schmerzhafter Empfindung
d29. Esr. 7, 26.
/d*)
d\ Im hebräischen bezeichnet
נחם auch ganz allgemein jede Veränderung des Gemüthszustandes und der Gesinnungen
a30, so wie
μετανοεω, und daher nicht nur reuen, sondern auch sich trösten und neuen Muth fassen:
cd31 dagegen büßen ein ganz anderer Begrif ist, der durch
ענש und
ζημιοω ausgedruckt
2. Alle Stellen und Beyspiele, welche aus dem alten Testament
d32 in diesem Artikel als Erklärungen und Beweise dessen, was bey der Bekehrung durchs Christenthum im Menschen vorgehen muß
d33, angeführet werden, sind schlechterdings unbrauchbar. Denn der Geist des alten Testaments
d34 war der Geist der Furcht und Knechtschaft;
|a166| der Geist des neuen Bundes ist der kindliche freudige Geist zu Gott
a35.
∥cd36 Die jüdischen Schriftsteller waren
|d162| unter dem
/dGesetz
c37, das
d\ ∥d38 nur Zorn anrichtet,
c39 unter dem Buchstaben, der da tödtet;
cd40 wir sind unter der Gnade und einem
|b180| |c180| lebendigmachenden geistigen Evangelium.
∥cd42 Nur erst durch Christum Jesum ist Gnade und Wahrheit und lebendige Hofnung ans Licht gebracht worden.
∥cd43 Wäre jener erste Bund untadelich
a44 gewesen, so hätte es keines neuen Bundes bedurft,
a45 Ebr. 8, 7 f. Ich betrübe mich allemal, so oft ich in christlichen Versamlungen die Psalmen Davids lesen höre, als ob es vom Geist
cd46 des Christenthums eingegebene
a47 Gebete wären. Was sind sie? es sind
/cdangstvolle Gebete
a48cd\ ∥cd49, worin
/cdDavid
cd\ Gott nicht als
/cdden allgemeinen
cd\ ∥cd50 Vater der Menschen, sondern als den
cd51 Schutzgott des jüdischen Volks,
cd52 der die benachbarten Nationen hasset, anruft
cd54, und dessen
cd55 Ehrliebe
∥a56 /cdzum öftern auffordert
cd\ ∥cd57/a, sich
a\ seines Volkes
∥a58 um seines Namens willen, weil er sich den Gott Israels nenne, anzunehmen und andre Völker zu verderben:
cd59 zum Beyspiel Ps. 79. 44. 46.
/cdoder
cd\ worin er
cd60 bey dem Anblick
d61 der Zerrüttung und
∥d62 Meuthereien
a63, die
d64 seine Vielweiberey, schlechte Kinderzucht, und andre Vergehungen in seiner Familie und in dem
/aStaate veranlasset
a\ ∥a65 hatten, sich in dem größten äussern
acd66 Bedrängniß befindet, und Gott mit Gelobung der Besserung um Rettung gegen seine Feinde, und um Hülfe zu ihrer Untertretung anflehet
a68,
/cdPs. 2. 5, 9 f.
cd\ Ps. 6. 7.
∥cd69 und in vielen andern. Wie ist es möglich, daß solche Gebete
a70, darin so gar nichts von dem christlichen göttlichen Geiste der Liebe zu spüren ist, noch von Christen nachgebetet werden können?
⌇⌇a
Ich muß hierbey von dem Verhältniß
cd71 der Schriften des alten Testaments zum Christenthum
d73 eine allgemeine Bemerkung einschalten. Die jüdische Nation war durch Mosen und die Propheten, als durch Knechte Gottes,
acd74 in ihrem Kindheitsalter oder in der Zeit ihrer rohen unkultivirten Sinnlichkeit gehofmeistert und in strenger
|a167| Zucht durch eine Menge einzelner Gesetze und willkührlicher Strafen gehalten worden,
a76 Ebr. 3, 5. 6. Gal.
∥cd77 4, 1 f. nun erschien Christus als der Sohn Gottes,
a78 |c181| und hob alle
|b181| Ver
|d163|ordnungen
a79 der Vormünder auf, verbesserte die ganze
/cdDenkart
cd\ ∥cd80 der Juden und erklärte sie für freie
a81 und volljährige Söhne, die keines Gesetzes mehr bedürften,
a82 Gal. 3, 23. 24. K. 4, 1 f. Ebr. 8, 6. 17. Nun mußten die Apostel allerdings die Juden, welche an ihre bisherige Pfleger, Mosen und die Propheten gewöhnt
cd83 waren, überführen, daß diese Lehrer ihrer Kindheit nicht das Gegentheil von dem Inhalt
cd84 des Christenthums vorgetragen hätten, sondern daß ihre Anweisungen auch schon zu eben dem Zweck
d85 abgezielet, aber nur wegen der kindischen Denkart
d86 des Volks
cd87 sehr sinnlich, und daher unvollkommenes Schattenwerk gewesen wäre
cd88, und daß
/ajene vorzügliche
a\ ∥a89 Männer auch selbst eine noch bevorstehende größre
cd90 Aufklärung der Religionseinsichten
/avorher verkündiget hätten,
a\ ∥a91 Col. 2, 16. 17. Ebr. 8, 5 f. K. 9, 9 f. Daher sagt
d92 nun Christus selbst Matth. 11, 9. 11. Luc. 7, 26 f. Johannes sey bereits grösser
ad93 denn alle Propheten, welche vor ihm gewesen wären, und nur auf die Zeiten des neuen Bundes gedeutet hätten, aber der geringste Lehrer des Christenthums sey grösser
ad95 denn Johannes, das ist, übertreffe bey weitem
a96 alle Propheten des alten Testaments
d97 an Richtigkeit, Deutlichkeit und Vollständigkeit der Einsichten in dem
acd98 Plan Gottes über die Glückseligkeit der Menschen. Wie undankbar handeln wir demnach gegen Christum, der
d99 unser einziger Meister seyn soll, daß wir in die Kinderschule der Juden zurückkehren, und in derselben die Begriffe, was zur
christlichena100 Bekehrung gehöre,
a101 erlernen wollen; aber wir werden auch dafür bestraft, indem wir aus derselben Aengstlichkeit, Hammerschläge des Gesetzes, Zerknirschung, Bußkampf, heilsam seyn sollende Verzweifelung, und andre den Geist einer kindischknechtischen Furcht einhauchende Begriffe unausbleiblich zurück bringen.
∥cd102
|a168| 3. Im ganzen neuen Testament
d103 findet sich nicht eine
|c182| einzige Stelle,
/ddarin
d\ ∥d104 gelehret
a105 werde, daß zur Verbesse
|b182|rung des menschlichen Gemüths
d106 durchs Christenthum eine vorläufige Beängstigung des Gewissens, oder wehmuths
|d164|volle mit Thränen begleitete tiefe Betrübniß vorgängig erfordert werde. Die Stellen, welche man hieher
d107 zu ziehen pflegt
d108, handeln offenbar nicht von der christlichen Umbildung zu Gott ähnlichen Gesinnungen. Der Zöllner, welcher im Tempel betet, betet unläugbar als Jude,
a109 Luc. 18, 13 f. und Christus stellet ihn gar nicht in der Lage vor, wie er durchs Evangelium wiedergeboren wird, sondern setzt
cd110 nur die demüthige Aufrichtigkeit eines Zöllners,
/ddie
d\ ∥d111 von den Juden schlechthin als verworfne
d112 Sünder angesehen wurden, der stolzen Heucheley eines Pharisäers, welche das Volk für Heilige hielt, entgegen. Wenn Ebr. 12, 17. nach Luthers Verdeutschung gesagt
d113 wird:
a114 Esau fand keinen Raum zur Buße, wiewol er sie mit Thränen suchte, so wird doch wol niemand behaupten, daß hier von einer Bekehrung des Esau durchs Christenthum zu Gott die Rede sey;
a115 überdis
d116 aber ist der eigentliche Sinn dieser Stelle: Esau konte
ad117 seinen Vater selbst durch Thränen nicht bewegen,
a118 seine Gesinnungen zu ändern, daß er den vorzüglichen dem Jakob ertheilten Segen
/cdzurück genommen
cd\ ∥cd119 und auf ihn übertragen hätte. Die scheinbarste Stelle ist 2 Cor. 7, 8 f. worin von einer Traurigkeit, welche religiöse Besserung wirket
a121, geredet wird. Allein der Zusammenhang beweiset, daß hier nicht von einer Bekehrung der Corinther zu Christo, und von einer Traurigkeit über ihren vorigen lasterhaften Zustand die Rede sey; sondern daß ihre Betrübniß daher entstanden war, weil Paulus der ganzen Gemeine harte Vorwürfe
/cddarüber
cd\ gemacht hatte, daß sie einen Menschen in ihrer kirchlichen Gesellschaft duldeten, der seine Stiefmutter geheirathet
a122 hatte. Die Wirkungen,
a123 welche dieser Betrübniß zugeschrieben werden,
/asind nach Vers 11.
c124 Verantwortung, Furcht, Verlangen, Eifer,
|c183| Rache. Diese Wirkungen aber
a\ passen
|a169| ∥a125 gar nicht zu der
|b183| dogmatischen Theorie von der Buße; indem die Corinther nur,
a126 um sich gegen Paulum zu rechtfertigen, ihren Zorn
/a, Eifer und Rache
a\ gegen den Verbrecher und dessen etwannige Beschützer ausgelassen hatten.
|d165| Will jemand über den Begrif der Sinnesänderung mit mir philosophiren, und daraus
a priori es etwa herleiten, daß doch nothwendig
cd127 so oft man seine Gesinnungen ändert und sich zu einem neuen Plan
cd128 des Lebens entschließt
cd129, eine Mißbilligung der bisherigen Maaßregeln vorhergehen müsse,
a130 so gebe ich dieses überhaupt zu; läugne aber die Folge, daß aus dieser Mißbilligung des vorhergehenden Verhaltens ein
praedominium oder Uebergewicht des Affekts
ad131 der Traurigkeit über
/adas
a\ ∥a133 Vergnügen, welches
/adurch
a\ die Aussicht in den
cd134 glücklichen Erfolg
cd135 der neuen Entschliessungen
cd136 /averanlasset wird
a\ ∥a138, in einem sich bessernden Gemüth entstehen müsse. Wir können hierbey drey Fälle unterscheiden.
- Wenn ein Mensch gewissenhaft,a139 aber aus Mangel richtiger Erkentnisse fehlerhaft gedacht und gehandelt hat,c140 und nun zu bessern Einsichten in sein wahres Wohl gelangeta141, so findet bey dem Entschlußcd142 zu einem neuen Plancd144 des Lebens blos Freude und keine Betrübniß statt. In diesem Fallcd145 befanden sich fromme Juden und gutherzige Heiden bey der ersten Einladung zum Christenthumd146. Ihr Uebergang aus der Finsterniß zum Licht;ad147 aus einer knechtischen Gottesdienstlichkeita149 zur Freiheit; aus dem Schatten des Todes zu den Hofnungen ewiger Glückseligkeit;a150 war eine durchaus angenehme Umwandlung ihrer Denkartcd151.
- Wenn ein Mensch wider beßred153 Einsichten und wider sein Gewissen ausgeschweiftcd154 hat, und dann in ein Elend hineingeräth, aus welchem er noch keinen Ausgang gewahr werden kana155; so bemächtiget sich allerdings seines Gemüthsd156 Schwermuth, bittre Reue und |c184| Verdruß gegen sich selbst, welche so lange fortdauren,a157 |a170| |b184| als es ihm noch ungewiß scheintcd158, ob er errettet werden könne. So war die Angst Davids nach dem begangnend159 Verbrechen des Ehebruchs und /dMords, und die Reue des verlornen Sohnesa160, ehe er gewiß war, ob ihn der Vater wieder annehmen würde,d\ ∥d161 beschaffen: und von dieser Art ist die Buße der meisten Christen auf dem Sterbebette und der verurtheilten , daher man solche gewöhnlich und mit Recht eine Galgenbuße, /ddied\ ∥d162 |d166| aus ∥a163 Furcht vor noch bevorstehenden Strafen erzeugeta164 wird, zu nennen pflegt.
-
Wenn ein Mensch zwar überhaupt Gelegenheit zu guten Erkentnissen
c165 und einige allgemeine Begriffe von dem Wege zur Glückseligkeit gehabt, solche aber theils aus Leichtsinn, theils wegen mancher Zweifel dagegen unbenutzt gelassen, und nach blossem
d166 Gutdünken gelebt
cd167 hat;
a168 alsdenn
cd169 ∥a170 durch irgends
cd171 etwas veranlasset wird,
a172 mehr Aufmerksamkeit und Nachdenken darauf zu wenden, und etwa so glücklich ist
d173 eine Predigt voll Salbung zu hören,
a174 und dadurch mit dem wahren Geist
cd175 der Religion Jesu bekant
acd176 zu werden: so wird der Entschluß
d177 den ganzen Plan des Lebens zu ändern
d178 mit einem doppelten Affekt
ad179 begleitet seyn. Auf einer Seite wird er bedauren, nicht früher zu solchen beseligenden Gesinnungen gelanget zu seyn; auf der andern Seite aber wird die erfreuliche Vorstellung
d181 nun endlich zu der längst vergeblich gesuchten Ruhe des Gemüths und
/azur
a\ wahren Zufriedenheit des Lebens zu gelangen
d182 ihn frölich machen, und gewiß wird dieser angenehme
/aAffekt das Uebergewicht in der Seele
/dso fort
d\ ∥d183 erhalten
a\ ∥a184. Dis
d185 ist der gemeinste Fall, worin
d186 unsre von Jugend auf in der Religion unterrichtete Christen sich befinden, wenn sie in männlichen Jahren
/azu der lebhaften
a\ ∥a187 Ueberzeugung gelangen
a188, daß nur allein
|c185| das gewissenhafte Bestreben,
a189 Gott wohl zu gefallen, uns ruhig, weise und glücklich machen könne.
|a171| |b185| Es ist demnach gewiß, daß alle durchs Christenthum bewirkte Besserung der Gesinnungen, von den angenehmen Aussichten in wahre Glückseligkeit
∥a190, welche durch dasselbe uns eröfnet werden,
/aanfängt,
cd191a\ und nicht von Gewissensangst
a192 und Zerknirschung. Lutherus
d193 fühlte auch die Uebereinstimmung dieser Begriffe mit dem wahren Geist
cd194 des Christenthums
d195 und ward nur durch den Mangel
/cdgenungsamen Spracherkentnisses
cd\ ∥cd196 abgehalten, es deutlicher aus der Schrift herzuleiten;
cd197 denn er schreibt in einem seiner Briefe an Staupitz:
/aEs war mir, als wenn ich eine Stimme vom Himmel hörete, da du lehrtest:
|d167| es sey keine Buße (oder Bekehrung) rechter Art, wenn sie nicht aus innrer
d198 Liebe zu Gott und dem Guten ihren Ursprung hätte.
a\ ∥a199 Möchte man doch, da jetzt allgemein anerkant
a200 wird, daß
μετανοια nicht Buße,
a201 sondern Besserung der Gesinnungen heißt, einen solchen Hauptbegrif in der gemeinen Uebersetzung ändern, und nicht aus Anhängigkeit an Menschen so gleichgültig gegen das richtige Erkentniß
c202 der Anweisungen Jesu seyn.
cd203
a1: könnte, wira2: sogleichcd3: zu lebendigen Hofnungena4: annehmen wiedergeborenad5: Größea6: GOttesd7: Planesa8: Wega9: Wohlfahrtad10: vergrößern (a) ; vergrößern (d)ad11: vergrößern,d12: Unterrichtea13: kanncd14: bey keinemd15: vieled16: dergleichen,a17: vorkommtd18: Testamentea19: kanncd20: Geistecd21: gesetzetd22: Grundtexted23: Nachdenkungd24: Entschließungencd25: liegeta26: vielc27: Genugthuungad28: durchd29: Empfindungena30: Gesinnungcd31: fassen;d32: Testamented33: solld34: Testamentesa35: GOttcd36: Röm. 8, 15.c37: Gesetzed38: Gesetze, welchesc39: anrichtetcd40: tödet: (c) ; tödet: (d)cd41: tödtet:cd42: Röm. 4, 15. K. 6, 14. 2 Cor. 3, 6 f.cd43: Joh. 1, 17.a44: untadlicha45: bedurft.cd46: Geistea47: eingegebnea48: Gebetercd49: jüdische National-Gebetecd50: der allgemeinecd51: dercd52: Volks (c) ; Volks (d)cd53: Volkes,cd54: angerufencd55: diea56: ercd57: desselben aufgefordert wirda58: sichcd59: verderben;cd60: Davidd61: Anblicked62: dera63: Meuthereyend64: welchea65: Staat veranlasstacd66: äußern (a c) ; äußern (d)acd67: äußerena68: flehtcd69: 13. 22. 27. 43. 51.a70: Gebetercd71: Verhältniße (c) ; Verhältniße (d)cd72: Verhältnissed73: Christenthumeacd74: GOttes (a) ; GOttes (c d)acd75: Gottesa76: worden.cd77: 3, 23. K.a78: Gottesa79: Verordnungcd80: moralische Denkungsarta81: freyea82: bedürften.cd83: gewöhnetcd84: Inhalted85: Zwecked86: Denkungsartcd87: Volkescd88: wärena89: diesecd90: größerea91: vorherverkündiget hätten.d92: sagetad93: größer, (a) ; größer, (d)ad94: größerad95: größera96: weitend97: Testamentesacd98: dend99: welchera100: christlichena101: gehörtcd102: Matth. 23, 8 f. Gal. 5, 1. Joh. 1, 17. 18. Matth. 11, 11. 1 Joh. 4, 18.d103: Testamented104: in welchera105: gelehrtd106: Gemüthesd107: hierherd108: pflegeta109: Judecd110: setzetd111: welche Leuted112: verworfened113: gesageta114: wird,a115: sey:d116: überdiesesad117: konntea118: bewegencd119: zurückgenommen (c) ; zurückgenommen (d)cd120: zurückgenommen,a121: wirkta122: geheyratheta123: Wirkungenc124: 11,a125: aucha126: nurcd127: nothwendig,cd128: Planecd129: entschließeta130: müsse;ad131: Affects (a) ; Affects (d)ad132: Affektesa133: den Affect descd134: diecd135: Folgencd136: Entschliessung (c) ; Entschliessung (d)cd137: Entschließunga138: veranlaßta139: gewissenhaftc140: hata141: gelangtcd142: Entschluße (c) ; Entschluße (d)cd143: Entschlussecd144: Planecd145: Falled146: Christenthumead147: Licht, (a) ; Licht, (d)ad148: Lichte;a149: Gottesdienstlichkeit,a150: Glückseligkeit,cd151: Gemüthsfaßung (c) ; Gemüthsfaßung (d)cd152: Gemüthsfassungd153: besserecd154: ausgeschweifeta155: kannd156: Gemüthesa157: fortdaurencd158: scheinetd159: begangenena160: Sohnsd161: Mordesd162: welche nura163: dera164: erzeugtc165: Erkenntnissend166: bloßemcd167: gelebeta168: hat,cd169: alsdanna170: abercd171: irgenda172: wirdd173: ist,a174: hörencd175: Geisteacd176: bekanntd177: Entschluß,d178: ändern,ad179: Affect (a) ; Affect (d)ad180: Affekted181: Vorstellung,d182: gelangen,d183: sogleicha184: Affect prädominirend185: Diesesd186: in welchema187: die lebhaftea188: erhaltena189: Bestrebena190: anfängtcd191: anfange,a192: Gewissenangstd193: Luthercd194: Geisted195: Christenthums,cd196: genungsamer Sprachkentnissecd197: herzuleiten:d198: innerera199: te velut e sonantem excepimus, quod vera poenitentia (resipiscentia) non est, nisi quae ab amore justitiae & dei incipit etc.a200: anerkannta201: Bußec202: Erkenntnißcd203: seyn!
§. 75.
Ich will diese ganze Lehre noch durch ein Gleichniß erläutern, welches auf die gewöhnliche Bekehrungsgeschichte unsrer Christen genau passet. Gesetzt
d1 der König liesse
d2 öffentlich von den Kanzeln bekant
a3 machen, daß alle,
a4 die
d5 sich und die ihrigen nicht ehrlich zu nähren wüßten
d6, sich in einer gewissen Gegend einfinden solten
a7, wo ihnen Gelegenheit zu reichlichem Erwerb
d8 angewiesen werden
/dsollte;
c9 gesetzt
d\ ∥d10 daß viele, die bisher höchst kümmerlich
/cdgelebt hätten, so gleich
cd\ ∥cd11 auf die erste Bekantmachung
a12 sich entschlössen, die Einladung anzunehmen, so ist offenbar, daß von diesen die Entschliessung
cd13 zur Veränderung des ganzen Plans ihres Lebens
∥cd14 |c186| mit
/dFreuden
d\ ∥d15 gefaßt werden würde, weil sich ihnen die Aussicht in beßre
d16 Tage eröfnet;
|b186| und daß sie über ihr bisheriges Verhalten keine Betrübniß oder
|a172| Reue empfinden würden, weil sie vorher nicht gewußt hätten
d17, wie sie sich besser helfen solten
a18. In diesem Fall
cd19 befanden sich Juden und Heiden, da ihnen das Evangelium zuerst verkündiget ward;
cd20 und darin befinden sich in unsern Tagen noch alle diejenigen gebornen Christen, welchen lauter unverständlicher Wörterkram statt Christenthum von Jugend auf vorgetragen
/cdworden
cd\ ist, wenn sie das erstemal eine
cd21 wirklich
/cdchristliche Predigt
cd\ ∥cd22 hören
∥cd23. Gesetzt aber
cd24 daß andre Einwohner, die
d25 eben so sehr der gnädigen Hülfe des Landesvaters bedürften
d26, die erste Einladung nicht benutzten, weil sie überhaupt nicht recht darauf acht gehabt,
cd27 und sie nicht völlig verstanden hätten, oder weil sie ein Mißtrauen gegen die Bekantmachung
a28 hegten, ob sie auch wirk
|d168|lich vom Könige sey; ob sie auch ihre Person angehe; ob ihnen auch alle gute Versprechungen würden gehalten werden; oder
∥cd29 weil sie die Reise für allzu beschwerlich
/cdhielten;
a30 oder endlich weil sie
cd\ ∥cd31 zu sehr an den Ort ihres bisherigen Aufenthalts gewöhnt
cd32 wären, und sich an demselben beßre
d33 Zeiten für die Zukunft versprächen. Gesetzt ferner, daß
∥cd34 einer dieser nachgebliebenen in immer dürftigere Umstände geriethe, durch die mühseligsten Arbeiten nicht mehr genungsames
a35 Brodt für die Seinigen erwerben könte
a36, schon zum Stehlen seine Zuflucht genommen hätte, dabey aber ergriffen und ins Gefängniß gesetzt
cd37 worden wäre, so daß er keinen Ausgang des Elends
cd38 mehr vor sich erblicken könte
a39. Gesetzt endlich, daß unter diesen Umständen ein königlicher Kommissar
a40 diesem Mann
d41 nochmals die Gnade des Königs
d42 anböte, ihm völlige Verzeihung wegen seines bisherigen Aussenbleibens
d43 und seiner Vergehung wider die Gesetze versicherte, die angenehmste Beschreibung von der blühenden Wohlfart derer machte, die
d44 der Einladung
/ades Monarchen
a\ /cdgefolgt
cd\ ∥cd45 wären, ihm alle etwannige Zweifel
/cddarüber
cd\ benehme und
|c187| endlich ihm sogar
a46 königlichen Vorspann
/dund Gelder,
a47d\ und
|b187| alle Erleichterung bey der Reise verspräche: was, fraget euch selbst
|a173| meine Leser, was werden wol für Gemüthsbewegungen in diesem Mann
d48 vorgehen, so bald er dem königlichen Boten glaubt? wird nicht der Gedanke:
a49 was bin ich für ein Thor gewesen, daß ich mich so lange gequält
d50 und nicht sogleich den gnädigen Einladungen des Königes
a51 gefolgt
cd52 bin, die Seele gleichsam nur obenhin berühren, und von der freudigen Vorstellung,
a53 nun Ketten und Kerker verlassen zu können, und sich künftig im Wohlstande zu befinden, völlig verdrungen werden? Genau so gehet es mit der Bekehrung der
d54 Christen, welche von Kindheit an unsre
d55 Kirchen besucht
cd56 haben; wenn sie zu klaren und praktischen Einsichten in die wohlthätige Beschaffenheit der himlischen
a57 Berufung des Evangeliums gelangen. So bald ihre Zweifel gehoben sind, aus denen allein Schwermuth und Traurigkeit entstehen kan
a58, bemächtiget sich ihrer ein freudiger und kindlicher Geist, und die Liebe Gottes wird in ihre Herzen
|d169| ausgegossen, bey welcher keine Pein, keine Aengstlichkeit, keine andre Thränen als Thränen der dankbaren Freude statt finden können.
∥cd59
d1: Gesetzt,d2: ließea3: bekannta4: alled5: welched6: wüsstena7: solltend8: Erwerbec9: sollte:d10: solte: gesetzt,cd11: gelebet hatten, sogleicha12: Bekanntmachungcd13: Entschließungcd14: durchausd15: froher Hofnungd16: bessered17: habena18: solltencd19: Fallecd20: ward:cd21: einencd22: christlichen Vortragcd23: oder lesencd24: aber,d25: welched26: bedürfencd27: gehabta28: Bekanntmachungcd29: endlicha30: hielten,cd31: hielten,cd32: gewöhnetd33: besserecd34: danna35: genugsamesa36: könntecd37: geworfencd38: Elendesa39: könntea40: Commissard41: Manned42: Königesd43: Außenbleibensd44: welchecd45: sogleich gefolgeta46: so gara47: Gelderd48: Mannea49: Gedanke,d50: gequäleta51: Königscd52: gefolgeta53: Vorstellungd54: derjenigend55: unserecd56: besucheta57: himmlischena58: kanncd59: Eph. 1, 3–19. K. 2, 1–18. 1 Petr. 1, 3 f.
§. 76.
Ueber die Frage: ob ein Christ den Tag und die Stunde seiner Bekehrung wissen könne und müsse? will ich meine Meinung noch mit wenigen Worten eröfnen. Wenn man unter der Bekehrung die Umbildung
a1 der Denkart
cd2 und
∥d3 Gesinnungen eines Menschen versteht
cd4, wobey in demselben der allgemeine
∥a5 feste Entschluß gefaßt
d6 wird, durchaus rechtschaffen und gewissenhaft zu denken und zu handeln, und das Wohlgefallen Gottes zum höchsten Ziel
d7 aller Bestrebungen zu setzen, so sind zwey Fälle zu unterscheiden.
- 1.
Wenn ein Mensch, der im Christenthum
d8 von Jugend auf unterrichtet ist, (denn von einem solchen ist hier
|c188| nur die Frage,
a9) eine geraume Zeit hindurch gänzlich ge
|b188|wissenlos und in offenbaren Ausschweifungen der Un
|a174|gerechtigkeit, Völlerey, Unzucht
/du. d. g.
d\ ∥d10 gelebet
a11 hat, und denn
cd12 auf einmal in ihm die Vorstellung lebhaft wird, wie dieser Weg ihn zum Verderben führe und er dagegen durch Befolgung der Vorschriften der Religion zu wahrer Glückseligkeit gelangen könne, so wird allerdings auf eine so auffallende und feierliche
a13 Art seine ganze Denkart
cd14 umgeschaffen, daß nicht nur er selbst, sondern auch andre, die
d15 sein Betragen beobachten, die Zeit seiner Bekehrung wissen können.
Indes
d16 ist auch hierbey zu bemerken, daß wenn gleich bey einigen
cd17 Christen die Besserung schnell und auf einmal zu
/cdfolgen
a18 scheint
cd\ ∥cd19, solche dennoch lange vorher und allmählig
a20 vorbereitet worden ist. Die Sache verhält sich folgendergestalt: Der Mensch samlet nach und nach Einsichten und Beweggründe
/azum rechtmässigen
d21 Verhalten
a\ ∥a22 ein: bald wird ihm diese,
a23 bald jene Warheit
acd24 theils durch Unterricht, theils aus der Erfahrung klärer und gewisser. Es entstehen daher von Zeit zu Zeit Beun
|d170|ruhigungen über sein regelloses Verhalten und einige Wünsche und schwache Entschliessungen
d25 sich zu bessern. Dis
d26 ist das, was die Mystiker in ihrer Sprache gute Rührungen oder das Anklopfen der Gnade an das Herz der Menschen zu nennen pflegen. So lange indes
d27 die Beweggründe zur Besserung sich nur einzeln darbieten, und das Gemüth noch durch sinnliche Zerstreuungen im ernsthaften Nachdenken gestört
cd28 wird, so kommen die Vorsätze nicht zur Kraft. Wenn nun aber das Herz eines solchen Menschen durch irgend eine äussere
ad29 Veranlassung, zum Beyspiel durch Unglücksfälle,
/amerkwürdige Errettungen
a\ ∥a30, Krankheit, schreckenvolles
d31 Ende eines geliebten Gefährten der Ausschweifungen
cd32 oder sonst
cd33 einen andern begünstigenden Vorgang in die Lage ge
|c189|bracht ist,
acd34 daß es stillen Selbstbetrachtungen nachzu
|b189|hängen sich schon bestimt
a36 findet, und dann ein Buch oder
|a175| eine Predigt oder das Zureden eines redlichen Freundes alle in der Seele schon vorhandne
d37 Triebfedern zum Guten in Bewegung setzt, daß
a38 die einzelen
cd39 eingesamleten Begriffe und Motiven zur Besserung
/a/cdbelebt
cd\ ∥cd40 werden,
a\ sich herzudrängen, und mit vereinter Kraft auf das Gemüth wirken, so erfolgt
cd41 auf eine auffallende Art die grosse
ad42 Revolution auf einmal. Hierin ist demnach nichts magisches, wunderthätiges oder übernatürliches anzutreffen, sondern alles
/cderfolgt den psichologischen
a43cd\ ∥cd44 Veränderungsgesetzen
a46 /dvöllig
d\ ∥d47 gemäß.
- 2. Wenn ein Mensch von Jugend auf ehrbar, nach den durch die Erziehung in ihn gebrachten Fertigkeiten und nach natürlicher Ehrlichkeit und Gutherzigkeit gehandelt hat, so erfolgtcd48 die höhere Verbesserung seiner moralischen Denkartcd49 nur allmähliga50 und nach dem Maaßcd51, /anach welchema\ ∥a53 seine Einsichten in die wahre Rechtschaffenheit sich aufklären und vervollkomnen,a54 und ein solcher Mensch kana55 also keinen besondern Zeitpunkt seiner Bekehrung angeben. In diesem Fallcd56 befinden sich die meisten unsrer Christen, deren Gewissen durch das Fehlerhafte in ihren Gesinnungen aus Mangel genungsamer |d171| Sachbegriffe von der Religion nicht beunruhiget wird, und die sich immer für gut genung halten, ob sie gleich sich mancherley Ausnahmen von den Regeln der Ordnung und Rechtschaffenheit erlauben, bis sich nach und nach ihre Einsichten verbessern, wenn sie so glücklich sindd57 gesunde moralische Predigten ∥cd58 zu hören.
a1: Revolutioncd2: Denkungsartd3: dercd4: versteheta5: undd6: gefassetd7: Zieled8: Christenthumea9: Fraged10: u. dergl.a11: gelebtcd12: danna13: feyerlichecd14: Gemüthsartd15: welched16: Indeßcd17: einema18: erfolgencd19: erfolgen scheineta20: allmäligd21: rechtmäßigena22: des rechtmäßigen Verhaltensa23: dieseacd24: Wahrheitd25: Vorsätzed26: Diesesd27: indeßcd28: gestöretad29: äußerea30: merkwürdiger Errettungd31: schreckensvollescd32: Ausschweifungen,cd33: durchacd34: ist (a) ; ist (c d)acd35: wird,a36: bestimmtd37: vorhandenea38: undcd39: einzelncd40: insgesamt belebetcd41: erfolgetad42: großea43: psychologischencd44: entwickelt sich psychologischen (c) ; entwickelt sich psychologischen (d)cd45: entwickelt sich dena46: Verändrungsgesetzend47: der Seele ganzcd48: erfolgetcd49: Denkungsarta50: allmäligcd51: Maße (c) ; Maße (d)cd52: Maaßea53: daßa54: vervollkommnena55: kanncd56: Falled57: sind,cd58: öfters
§. 77.
Die Mißdeutung des Lehrsatzes, daß allein der Glaube und die Ergreifung des Verdienstes Christi auch ohne Wercke
acd1 gerecht und selig mache, hat nun in der lutherischen
a2 Kirche den Fleiß im gutes thun ungemein ge
|b190||c190|schwächt,
a3 und die beseligenden Wirkungen des Geistes der christlichen Religion auf vielerley Art eingeschränkt und
|a176| verhindert. Lutherus eiferte zwar sehr wider die guten Werke der römischen Kirche, aber wo er nicht polemisirt
d4, dringt er überall auf wahre Geschäftigkeit im Guten; und es scheint,
acd5 als ob er die unglücklichen Mißdeutungen seiner Nachsprecher vorher besorgt
cd7 hätte und ihnen zuvorkommen wollen, indem er mehr denn hundertmal die Nothwendigkeit der guten Werke in seinen Schriften behauptet hat. Man lese darüber nur seinen Kommentar
a8 über den Brief an die Galater. Im 4ten Tom.
a9 der lateinischen jenensischen
a10 Ausgabe seiner Werke, Blat
a11 109 schreibt er:
/aMan muß von den guten Werken nur nicht sagen, daß man durch sie die Vergebung der Sünden bey Gott verdiene, sonst kan
cd12 man nicht groß und rühmlich genung von guten Werken sprechen und sie nicht angelegentlich genung empfehlen.
a\ ∥a13 Desgleichen Blatt 165.
/aEs ist nothwendig, daß rechtschafne
d14 Prediger die Lehre von den guten Werken eben so sorgfältig einschärfen, als die Lehre vom Glauben.
a\ ∥a15 Dem ohnerachtet ist bald nachher die Religion als ein blosser
d16 Gegenstand des Glaubens oder vielmehr der Spekulation
a17 behandelt, und auf allen Kanzeln über theoretische gelehrte Streitfragen polemisirt
d18 worden. Als hierauf der ehrwürdige Spener und seine Gehülfen die Lehre Jesu wiederum als eine Sache fürs Herz vorstellten
cd19, und nach und nach alle kordate
d20 Leute auf ih
|d172|re Seite traten, verfielen ihre minder gelehrte und minder redliche Nachtreter auf eine mystische Sprache und auf Tändeleyen mit dem Körper Jesu, wodurch sinnliche Gefühle erregt
cd21, aber der Geist des Menschen wenig erleuchtet und gebessert ward. Nachher hat man sich in den Predigten in einem engen Zirkel von Worterklärungen über die theologischen Begriffe von Buße, Glauben und guten Werken, Rechtfertigung, Wiedergeburt, Natur und Gnade u. d. g. herumgedreht,
|b191| |c191| so daß
/din einem
d\ ∥d22 ganzen Jahrgange oft nicht eine einzige umständliche und deutliche Anweisung zu irgends einer christlichen Tugend anzutreffen
∥d23 ist, wie so viele gedruckte Postillen und Andachtsbücher beweisen. Seit etwa 30 Jahren hat man
/dhin und wieder
d\ ∥d24 angefangen,
a25 sich über mehrere
|a177| Religionswahrheiten in den öffentlichen Reden zu verbreiten, auch moralische Vorschriften ausführlich
cd26 vorzutragen. Allein noch finden sich viele zum Theil es recht gut meinende Männer, welche moralische Predigten für unchristliche auch wol gar für heidnische Reden erklären. Solten
acd27 einige dieser Männer diese Schrift gewürdiget haben, sie bis hieher
d28 zu lesen, so hoffe ich, daß wir uns hierüber mit einander verständigen wolten
a29. Zuvörderst bin ich mit euch, gutdenkende fromme Männer, vollkommen darüber einig, daß aller Vortrag einzelner Pflichten dem Menschen keine Kraft darbieten kan
ad30, solche vollständig auszuüben, und daß also die blosse
d32 Vorschriften der Moral keine Seligkeit hervorbringen, sondern daß vorher die ganze Denkart
cd33 eines Menschen umgeändert oder der Sinn Christi in ihm hervorgebracht seyn muß, wenn er christliche gute Werke verrichten soll. Ich gestehe ferner zu, daß der Geist des Christenthums oder wahre
/cdRechtschaffenheit
cd\ ∥cd34 nur eigentlich durch die theoretischen Wahrheiten von den durch Christum uns bekant
a35 gemachten guten Gesinnungen Gottes gegen uns, und von der Wohlthätigkeit aller seiner Vorschriften überhaupt,
a36 in den Menschen erweckt
d37 werden könne: denn es läßt
d38 sich nicht die Liebe zu Gott durch einen Befehl erzwingen, sondern sie muß aus anschauender Erkentniß der Liebenswürdigkeit Gottes entstehen.
|d173| Allein
/dsolten
ac39 denn
d\ ∥d41 nicht, wenn
d42 wir mehrere Jahre hindurch diese erfreuliche Wahrheiten geprediget haben, endlich ein oder der andre
d43 unter unseren
d44 beständigen Zuhörern sich finden, der
∥a45 wirklich von der Liebe Gottes überzeugt
cd46 worden wäre,
/aselbst dankbare Liebe gegen Gott empfände,
a\ und nun von
|b192| |c192| ganzem Herzen wünschte,
a47 Gott durch sein gesamtes
a48 Verhalten wohl zu gefallen, und Christo ähnlich zu werden? Und wenn ohnstreitig
∥a49 dergleichen
/aPersonen
a\ in allen christlichen Gemeinen
/aanzutreffen sind
a\ ∥a50, ist es denn nun nicht nöthig, daß wir sie ausführlicher unterrichten, wie sie in jeder Beziehung handeln müssen, um Gott zu gefallen? Wird denn ein Kind
|a178| schon dadurch weise und glücklich, wenn es Vertrauen zu seinem Vater hat und geneigt ist, ihm in allen zu folgen? Was hilft alle seine Bereitwilligkeit zum Gehorsam
d51, so lange es nicht weiß, was es von Stunde zu Stunde zum Wohlgefallen des Vaters thun und wie es sich in allen Beziehungen verhalten soll? Sehet
c52 da, meine Freunde, darum sind moralische Predigten nothwendig, um den Kindern Gottes, die
d53 durch die Rathgebungen
c54 ihres Vaters gern weiser und vollkommner werden möchten, solche nun umständlicher bekant
acd55 zu machen, damit sie in allen besondern Verhältnissen ihres Lebens ihm wohlgefälliger werden, und sich seiner höhern Wohlthaten immer empfänglicher machen können,
a56 Röm. 12, 2. Eben dahin zielen die vielen praktischen Anweisungen und einzelne
d57 Lebensregeln in den Reden Jesu, und in den Briefen seiner Apostel ab; und nach Gal. 1, 8. ist es doch unmöglich, daß Amsdorf und Muskulus ein ander
d58 Evangelium zu verkündigen, von Gott bevollmächtiget gewesen seyn solten
a59.
⌇⌇a Bey dieser Gelegenheit fühle ich mich gedrungen, die Wunden unsrer Kirche aufzudecken, nicht um ihrer zu spotten, sondern meine aufzufordern,
a60 sich zur derselben zu ermannen. Die Verächtlichkeit, womit man über moralische Predigten hergefahren ist, hat es veranlaßt
cd61, daß selbst von den Predigern
/adas Studium der christlichen Morala\ ∥a63 unglaublich vernachlässigt
acd64 worden
|d174| ist: obgleich in neuern Zeiten verschiedene grosse
ad66 Männer in unsrer Kirche vortrefliche Systeme darüber geschrieben haben. Niemand kan
a67 dis
d68 |b193| |c193| so sehr gewahr werden, als wer ein Theologe von Profession ist, was für unbestimte
a69, verworrne
d70, und zum Theil ganz falsche Begriffe über viele der wichtigsten Pflichten des Christenthums in den öffentlichen Lehrvorträgen angetroffen werden. Soll zum Beyspiel die Demuth empfohlen werden, so wird sie als eine Geneigtheit beschrieben, sich für den größten unter den Sündern, und für ganz nichtswürdig zu halten. Man
|a179| beruft sich auch wol dabey auf Pauli Urtheil über sich selbst,
a71 1 Tim. 1, 15. wo er sich den vornehmsten unter den Sündern nennet
a72. Wenn man aber diese Stelle
∥cd73 mit dem vorhergehenden
/cdnur
cd\ im Zusammenhange,
a74 und
∥cd75 1 Cor. 15, 10.
/cddamit
cd\ vergleichen wolte
a76, so würde man erkennen lernen,
c77 daß die Demuth nicht
/cddarin besteht
cd\ ∥cd78, sich für schlechter zu halten, als man ist;
a79 sondern daß die Demuth eine Fertigkeit
d80 sey, sich seiner Unvollkommenheiten bewußt zu seyn, ohne die Vollkommenheiten, die man hat, zu verkennen. Denn Paulus, welcher sich darum den größten Sünder und
∥d81 geringsten unter den Aposteln nennet
a82, weil er vorher den Namen Christi verlästert und die Apostel verfolget hatte, verringert theils selbst die anscheinende Grösse
ad83 seiner Vergehung dadurch, daß er bemerkt, er habe es aus Unwissenheit gethan;
a84 theils erwähnt
cd85 er auch seiner Talente und des treuen Gebrauchs
cd86 derselben, daß er mehr gearbeitet habe,
cd87 als alle übrige Apostel. In was für Aengstlichkeit versetzt
d88 man aber nicht den Christen, wenn man es ihm zur Pflicht macht, sich für den nichtswürdigsten unter den Menschen zu halten, und dieses Demuth nennet
a89: da es doch der Fehler der Niederträchtigkeit ist, wenn man seinen eignen
d90 Werth verkennet. So geht
cd91 es nun fast mit allen Pflichten; theils werden sie zum Nachtheil
d92 andrer Pflichten übertrieben, theils aus ganz falschen Gesichtspunkten vorgestellet
a93, überall aber solche schwankende Begriffe davon dargeboten, daß bey
/dKollisionen
a94d\ ∥d95 der Christ mit aller Gewissenhaftigkeit oft thöricht und wider seine
|b194| |c194| Wolfart
ad96 zu han
|d175|deln veranlasset wird. Unbeschreiblich groß ist der hieraus täglich entstehende Nachtheil für die Christen. Man stelle sich nur eine Anzahl Kinder vor, welchen man täglich vorpredigte, wie gütig ihr Vater gegen sie gesinnet sey, wie sehr sie aus Dankbarkeit ihm in allen
cd98 zu folgen verpflichtet wären, und wie glücklich sie dabey werden würden; denen man aber,
a99 wenn sie nun begierig wären zu wissen, wie und wodurch sie ihrem
|a180| Vater wohlgefällig werden könten
acd100, die väterlichen Vorschriften
/cddesselben
cd\ entweder gar nicht
/abekant
d101 machte,
a\ ∥a102 oder
/cdihnen
cd\ falsche und mangelhafte Erklärungen darüber gebe
d103: würden diese Kinder wol täglich weiser und vollkommner
c104 werden können? Wären unsre gemeine Christen selbst die Weisheitslehre Jesu zu erfinden geschickt, wozu bedürfte es einer Offenbarung? wozu wären so viele Ermahnungen zu einzelnen Pflichten in jeder Beziehung des Lebens in den apostolischen Schriften verzeichnet?
d105
acd1: Werkea2: Lutherischena3: geschwächtd4: polemisiretacd5: scheint (a) ; scheint (c d)acd6: scheinet,cd7: besorgeta8: Commentara9: Tom[.]a10: Jenensischena11: Blattcd12: kanna13: Extra justificationis nemo potest bona opera a Deo praecepta satis magnifice commendare.d14: rechtschaffenea15: Necessarium est, ut pii doctores tam diligenter urgeant doctrinam de bonis operibus, quam doctrinam de fide.d16: bloßera17: Speculationd18: polemisiretcd19: vorstelletend20: gutecd21: erregetd22: imd23: gewesend24: hier und daa25: angefangencd26: ausführlicheracd27: Solltend28: hierhera29: wolltenad30: kann (a) ; kann (d)ad31: könned32: bloßecd33: Gemüthsartcd34: Liebe zu Gotta35: bekannta36: überhauptd37: erwecketd38: lässetac39: sollten (a) ; sollten (c)ac40: solted41: solte dannd42: wannd43: andered44: unsrena45: nuncd46: überzeugeta47: wünschtea48: gesammtesa49: sicha50: findend51: Gehorsamec52: Sehet,d53: welchec54: Rathgebungacd55: bekannta56: können.d57: einzelnend58: anderesa59: solltena60: aufzuforderncd61: veranlaßet (c) ; veranlaßet (d)cd62: veranlasseta63: das Studium der christlichen Moralacd64: vernachläßigt (a) ; vernachläßigt (c d)acd65: vernachlässigetad66: großea67: kannd68: diesesa69: unbestimmted70: verworrenea71: selbsta72: nenntcd73: nura74: Zusammenhangecd75: mita76: wolltec77: lernencd78: darinnen besteheta79: ist,d80: Geneigtheitd81: dena82: nenntad83: Größea84: gethan,cd85: erwähnetcd86: Gebrauchescd87: habed88: versetzeta89: nenntd90: eigenencd91: gehetd92: Nachtheilea93: vorgestelltad94: Collisionen (a) ; Collisionen (d)ad95: dem anscheinenden Streite der Pflichten,ad96: Wohlfahrt (a) ; Wohlfahrt (d)ad97: Wohlfartcd98: allema99: aberacd100: könntend101: bekannta102: bekannt machted103: ertheiltec104: vollkomnerd105: verzeichnet.
§.
Ein andrer
d1 sehr grosser
d2 Fehler der
/cdtheologischen Denkart und der
cd\ öffentlichen Lehrvorträge, welcher dem Zwecke unsres
a3 Amtes überaus nachtheilig wird, ist
/adied4 fast allgemeine Gewohnheit auf den Kanzeln immer zu tadelnd5 und niemals zu loben. Da,
a\ ∥a6 so viel ich weiß,
a7 diese üble Gewohnheit und ihr verderblicher Einfluß noch nicht öffentlich gerüget worden ist, so will ich ausführlicher zeigen, wie solche
cd8 theils auf ganz falschen Gründen beruhe, theils wider das Beyspiel Jesu und der Apostel sey; theils dem Christen die grossen
ad9 innern Belohnungen,
a10 die
d11 Gott mit dem Bewußtseyn
d12 guter Gesinnungen zur Aufmunterung in der Tugend verknüpft
cd13 hat, beraube; theils auf mehr denn eine Art die volle Wirkung des Evangeliums und unserer Amtsbemühungen hindre.
1. Es liegen ganz verworrne
d14 und falsche Begriffe bey der üblichen Tadelsucht zum Grunde. Alle unsre gu
|b195|ten sind unvollkommen, das ist wahr;
a15 aber
|c195| Gott fordert auch so wenig, als irgends ein menschlicher Vater,
a16 von schwachen unmündigen Kindern,
a17 mehr als aufrichtigen
|d176| Willen und treuen Gebrauch der vorhandnen
cd18 Kräfte, Einsichten und Gelegenheiten. Selbst fehlerhafte und verunglückende Versuche eines Kindes,
a19 gut zu handeln,
a20 sind väterlichen Augen bereits angenehm, und werden von vernünftigen Aeltern mit Beyfall bemerkt
cd21 und belohnt. Man
cd22 mag
/cdnun
cd\ in
|a181| Absicht der natürlichen Kräfte des Menschen die Lehre des Augustins oder die Lehre der heiligen Schrift
∥cd23 annehmen, so folgt
cd25 aus beiden
a26, daß wir alle
d27 auch noch so mangelhafte Aeusserungen
ad28 des guten Willens unsrer Zuhörer
d29 loben müssen.
- a) Glaubt man mit Augustin, daß Gott alles Gute in dem Menschen in Absicht jeder Handlung wirken müsse: so ist es ja die größte Undankbarkeit gegen Gott, wenn man das Gute, was er im Menschen /chervorbringtd30, verkennetc\ ∥c31 oder für geringschätzig hält; und man ehret und preiset ∥cd32 Gott und seine Gnade selbst, wenn man alle gute Gesinnungen, Vorsätze, Versuche und Handlungen der Christen in ihrema33 wahren Werthd34 vorstellet und rühmetcd35. Doch vielleicht wird der Mensch nur getadelt, weil er den Wirkungen Gottes nicht genungsamcd36 Raum giebt, weil er widersteht.cd38 Allein,a39 meine Freunde, wisset ihr denn gewiß, daß alle eure Zuhörer immer widerstehen, und soltena40 nicht wenigstens alle, in so fern sie nicht widerstanden und daher Gutes gethan haben, gelobet werden? Ich will mich einmal ganz in Augustins Theorie hineindenken,a41 und die Sache durch ein passendes Gleichniß ins Licht setzen. Man nehme an, daß ein Kind schreiben lernen solte;ad42 der Vater verlangtcd44 nun,a45 es soll ihm nur seine Hand lediglich überlassen und nicht widerstehen. Er faßtd46 also die Hand des Kindes und führtcd47 sie: allein das Kind macht mit seiner Hand widerwärtige Be|b196|wegungen und daher geräth kein Buchstabe. Nach |c196| öfterncd48 Erinnern und fehlgeschlagenen Versuchen überläßtcd49 endlich das Kind seine Hand so ziemlich der Regierung des Vaters, und nun komta51 ein zierlicher Buchstabe zum Vorschein. Sagt mir nun, Freunde, was würdet ihr in diesem Fallc52 zu eurem Kinde sagen? |d177| Etwa: mein Sohn sey ja nicht stolz darauf, daß der Buchstabe so schön gerathen ist, du hast gar |a182| nichts dazu beygetragen, du kansta53 nichts, dein Vater hat ihn ganz allein durch seine Geschicklichkeit hervorgebracht;a54 blos das Fehlerhafte daran ist deine Schuld, weil du hast mitschreibend55 wollen. Oder würde nicht jeder vernünftige Vater sagen: Siehe, mein Sohn, wie schön der Buchstabe aussiehet, dismald56 hast du es recht gemacht; so schön wirst du bald selbst schreiben lernen, wenn du nur aufmerksam bist und mit deiner Hand immer meiner Führung folgesta57, es wird jedesmal /aimmer nocha\ ∥a58 schöner gerathen. Wolan,a59 so redet denn auch eben so zweckmäßig auf den Kanzeln und saget wenigstens: Ich danke Gott allezeit, lieben Brüder, eurentwegen, so oft ich euer gedenke in meinem Gebet, daß ihr seine Gnade nicht vergeblich empfahet. Ich bemerke unter euch rechtschaffene Väter und Mütter, redliche Kaufleute, gutgesinnte, treue und fleissigead60 Dienstboten etc. es geschiehtd61 täglich in allen Häussernacd62 so /dviel Gutesd\ ∥d63, so vielec64 unter euch geben die unverdächtigsten Beweise, daß sie sich vom Geiste Christi regieren, und Gottes Gnade in sich wirken lassen. Seyd dankbar gegen diese innred65 göttliche Wirkungen auf euch, und überlasset euch immer mehr denenselben. /a/dSolte disd\ ∥d66 nicht mehr Aufmunterung veranlassen, als das ewige Tadeln? und kan man fehlen, wenn man dem Apostel nachspricht? ∥cd67a\
- Doch, meine Brüder, warum wolta68 ihr euch vom Augustin länger die Augen verbinden lassen, wenn ihr |b197| |c197| die Kanzel besteigtcd69? denn in der That sehet ihr, so bald ihr die Augen eures Verstandes nur öfnet, mit völliger Gewißheit ein, daß der Mensch zu seinen guten Handlungen sich selbst bestimmen kana70 und muß, und /c/ddarüberd\c\ ∥d71 das Lob ∥cd72 so wol verdientcd73, als über seine Vergehungen den Tadel. Ich habe Predigten gehörtd74, in welchen auf das strengste und ausführlichste erwiesen ward, der Mensch könne gar nichts zu seinen guten Entschliessungend75 beytragen, alles was wir selbst wirkten sey verwerflich, und daher müßten wir alles Gutead76 was wir |a183| etwa thäten, Gott allein zuschreiben, und uns von allem Selbstruhm und Mitwirken ausleeren. Allein gleich nach vollendetem Beweise dieser Sätze und noch am /cSchlußd78 derselbenc\ ∥c79 Predigt /doffenbartec80 sichsd\ ∥d81, daß der Redner von allem, was er erwiesen hatte, im Grunde nicht überzeugt war; so sehr er sich überredet haben mochte,a82 es selbst zu glauben. Er dankte seiner Gemeine für einige freiwilligead83 Geschenke, womit Liebe und Erkentlichkeit gegen seine Bemühungen /cdum sie,cd\ in der verfloßnend84 Woche an den Tag gelegtcd85 hatten. Hierbey ward ∥cd86 gar nicht gesagt, daß Gott allein das Gute gethan, und /cdsiecd\ ∥cd87 nichts dazu beygetragen hätten;cd88 es wurde nichts davon erwähnt, daß alle ihre /deigne Entschliessungend\ ∥d89 verwerflich wären; auch keine Warnungd90 gegen den ∥cd91 Stolz und ∥cd92 Selbstgenügsamkeit beygefügtd93; sondern aller Dank und /dalled\ Ehre ward den gutgesinneten Leuten lediglich und allein zugeeignet, und ihnen noch /cdoben eincd\ ∥cd94 eine gewisse Belohnung dafür von Gott versprochen. Warum veränderte sich hier die Sprache des Predigers so sehr? Gewiß nicht aus Mangel der Redlichkeit, denn es war ein sehr gewissenhafter Mann, sondern weil er nun nicht mehr ans System dachte, sondern seine eigned96 Vernunft brauchted97, die ihm sehr richtig /asagte: um die Menschen im aufzumunternd98 muß |c198| man jede Auesserungd99 |b198| des guten Willens, jeden auch unvollkomnencd100 Versuch gut zu seyn, loben.a\ ∥a102 So lasset euch denn, meine Brüder, nicht mehr durch menschliche Lehrformeln verblenden, sondern brauchet euren gesunden Verstand und eure eigned103 natürliche Vernunft so ganz und völlig im Dienstd104 eures Gottes, wie ihr sie mit Nutzen in den Angelegenheiten eures eignen Interesse anwendet.
2. Christus und die Apostel haben jede gute Gesinnung und jede Aeusserung
ad105 derselben gelobt. Christus
|a184| rüh
|d179|met viele wegen ihres Vertrauens
a106 gegen ihn,
a107 Matth. 8, 10. K. 15, 28. K. 9, 22. Marc. 10, 52. Luc. 7, 50. K. 17, 19. K. 18, 42. den Nathanael wegen seiner Rechtschaffenheit,
a108 Joh. 1, 47. die Maria wegen
/dder
d\ Erweisung ihrer Liebe gegen ihn,
a109 Marc. 14, 6. den Simon wegen seiner Freimüthigkeit
a110 und Standhaftigkeit,
a111 Matth. 16, 17. 18. wenn die Jünger sich wegen ihrer guten Gesinnungen und
∥c112 deren Beweisen
cd113 rühmten, tadelt er sie deswegen nicht, sondern versichert ihnen Belohnung,
a114 Matth. 19,
/a27.
a\ ∥a115 und wenn auch das Vollbringen der guten Vorsätze fehlte, lobet er doch den guten Willen und entschuldiget, anstatt zu schelten,
a116 Matth. 26, 41. Marc. 10, 17 f. K. 12, 34. Paulus lobt durchaus die Gemeine
d117 zu Philippen und zu Thessalonich, wie auch den Timotheus, Titus und Philemon, in den an sie gerichteten Briefen;
a118 und in allen seinen Schriften rühmet er das vorzügliche Verhalten einiger Glieder der Gemeine namentlich, ohne eine Warnung
/c/dvor geistlichem
a119d\ ∥d120 Stolz
c\ ∥c121 dabey für nöthig zu halten. Eben dis
cd122 thut der Verfasser des 2ten und 3ten
/ader Briefe, die dem Johannes zugeeignet worden
a\ ∥a123.
3. Man raubt
cd124 dem
a125 Christen die unmittelbare eigenthümliche Belohnung, die
d126 Gott mit dem Bewußtseyn guter Gesinnungen
a127 zur Aufmunterung in der Tugend verknüpft
d128 hat, wenn man statt das Gute zu loben, nur
|b199| |c199| auf die Mängel desselben sieht
cd129 und diese immerfort tadelt. Was ist denn das Zeugniß des Geistes Gottes im Herzen? ist es nicht die aus dem Bewußtseyn Gott
/adwohl gefälliger
ad\ ∥ad130 Gesinnungen entstehende Zuversicht zu ihm? Der Beyfall unsres
a131 Gewissens und die daraus erwachsende Werthschätzung unsrer selbst ist die eigenthümliche natürliche Belohnung, die
d132 Gott der Tugend bestimt
a133 hat. Wie soll aber der Christ diese geniessen
d134? Wie soll in ihm
∥d135 Versicherung, daß er ein Kind Gottes sey, entstehen, wenn wir immerfort alles für schlecht,
a136 für nichtswürdig erklären, was er thut? Aus den Früchten, sagt Christus, soll die Gü
|a185|te des Baums erkant
acd137 , und aus den Erweisungen der
|d180| Menschenliebe sollen, nach Johannis Ausspruch, Christen von sich selbst wahrnehmen, ob sie mit Gott vereiniget sind.
∥cd138 Tadeln wir unaufhörlich die Früchte, finden wir das Betragen unserer Kirchkinder immer verwerflich, so rauben wir ihnen alle wahre Gründe der Freudigkeit zu Gott und allen Muth zur Tugend. Lobten wir dagegen jeden Versuch im Guten; erweckten
c139 wir sie zur Aufmerksamkeit auf die erhabene Freude, welche der Beyfall unsres
a140 Gewissens gewährt; sprächen wir ihnen mehr Muth durch Billigung ihrer Bestrebungen ein, warlich wir würden
/abald
a\ bessere und seligere Christen haben.
4. Der tadelnde mürrische Ton in Predigten hindert den Zweck
/aunsres Amtes
a\ ∥a141 auf mehr denn eine Art. Dahin gehört
d142:
- So oft der Prediger seinen Vortrag mit allgemeinen Verweisend143 anfängt, und zum Beyspiel sagtcd144: Es ist traurig, wenn man das Betragen unsrer heutigen Christen beobachtet, so wenig Redlichkeit und thätige Menschenliebe wahrzunehmena145 etc. so /cddenktcd\ ∥cd146 keiner der Zuhörer an sich, sondern an irgends einen /cdanderncd\ seiner Nachbarencd147, der nach seiner Meinung der falsche und lieblose Mensch ist, welcher diesen Verweis ver|b200||c200|dientd148. So bald aber der Prediger sagt: ich freue mich, geliebte Zuhörer, daß ich täglich Beweise von Redlichkeit und christlichen mildthätigen Gesinnungen vond149 vielen unter euch wahrnehme;a150 und ich zweifle nicht, daß auch manches Gute im Verborgenen von euch ausgeübtacd151 wird, was ich nicht erfahre: so wird jeder aufmerksam und begierig sich so vield152 von dem Vortrage selbst /cdzu zueignen,a153cd\ ∥cd154 als er nur kana155; und dann ist es leicht in das sich uns entgegen öfnende Herz den Samen Tugend zu streuen, und wo er vorhanden ist, ihn zu befruchten. Gesetzt auch wir /däus|a186|serten größrersc156d\ ∥d157 Vertrauen zu unsrerd158 Gemeine, als die wenigsten Mitglieder verdienten; so lehrtcd159 doch die Erfahrung, daß kein wirksamercd160 Mittel ist,a162 Leutecd163 die noch unschlüßigd164 sind, wie sie sich bestimmen wollen, zu guten Entschliessungend165 aufzumuntern und da|d181|rin zu befestigen, als daßcd166 man recht vielcd167 Zutrauen zu ihnen bezeigetacd168.
- So oft wir allgemein oder zu unbestimtacd169 die Denkartcd170 und das Verhalten unsrer Zuhörer tadeln, machen wir die besten Gemüther muthlos und schwächen allen eignend171 Fleiß in der Heiligung. Denn wer sich bewußt ist, mit aller Redlichkeit zu handeln,a172 und danna173 doch immer Vorwürfe hören muß, verliertcd174 nothwendig alle Lust sich weiter Mühe zu geben. Bey einem andern Theilcd175 der Zuhörer, welche noch gleichgültig gegen ihr Gewissen sind, schwächen wir dagegen die Beweggründe sich zu bessern: indem dergleichen Leute auf die Gedanken kommen, es müsse doch wol nicht möglich seyn, so gut ∥d176 zu werden,cd177 als der Prediger es verlange; weil doch noch keiner in der Gemeine so geworden sey: und nun denktcd179 jeder derselben, er habe nicht eben nöthig der erste zu seyn, derd180 den mühseligen Versuch wagen soltea181. Wenn wir dagegen loben, so beweisen wir dadurch zugleich die Möglichkeit und Wirk|b201||c201|lichkeit wahrer Christen, welche sich der Lehre Jesu gemäß verhalten; und disd182 ermuntert andre zu ähnlichen Versuchen. Diejenigen aber, welchen ihr Gewissen erlaubt,acd183 sich das Lob des Predigers /cdzu zueignencd\ ∥cd185, werden aufs neue ermuntert, sich immer mehr Christo ähnlich zu bilden;a186 und überhaupt wird das Vertrauen und die Zuneigung einer Gemeine gegen ihren Lehrer ausnehmend vermehrt, wenn sie bemerktcd187, daß er /aals ein liebreicher Vatera\ Vertrauen zu ihren Gesinnungen und Aufmerksamkeit auf das Gute, was sie zu thun /asuchen,a\ ∥a188 beweiset. |a187|
- c) Wenn wir uns an einen mürrischen tadelnden Ton in unsern gewöhnen, so verstärken wir bey unsern Zuhörern die menschenfeindliche Geneigtheit nur immer auf die Fehler des Nächsten zu sehen, und das Gute desselben zu verkennen. Hiedurch vermehren wir auch insonderheit bey heuchlerischen Leuten den geistlichen Stolz, die Verachtung anderera189 und den Hang zum Splitterrichten, wovon wir leicht selbst, so bald wir ihre |d182| Fehler berühren, der Gegenstand werden. /aDie Tadelsucht ist unter den Christen weit stärker als unter ∥d190 andern Religionsverwandten; unter den Protestanten gemeiner und spitzfindiger, als unter den Katholickend191, und nirgends übertriebener als unter den Pietisten. Denn jemehr in den öffentlichen Lehrvorträgen theils die Anforderungenc192 und Vorschriften der Religion /cdüberspannt werdencd\ ∥cd193, theils alle menschliche Handlungen von ihrer fehlerhaften Seite vorgestelltd194 und ihrecd195 Unvollkommenheiten gerügtcd196 werden; desto grössered197 und allgemeinere Geneigtheit zum Splitterrichten und unbilligenc198 übertriebenen Tadelcd199 muß sich in der Gemeine verbreiten.a\ Wenn wir dargegencd200 das Gute, so viel wir dessen gewahr werden,a201 undcd202 warlich es ist dessen unglaublich viel mehr als man gewöhnlich bemerkt,acd203 an unsern Zuhörern loben, und escd205 |b202| ins Licht setzen, so gewöhnen wir unsere Gemeine zur Fertigkeit auf das Gute mehr, als auf die Fehler des Nächsten zu merken;a206 und eben dieses ist die Grundlage der Menschenliebe und aller göttlichen Tugenden, welche das Christenthum als das wahre Mittel, zu gesellschaftlicher Glückseligkeit zu gelangen, empfieltad207.
- Wenn wir ewig über unsre Gemeine äussernad208, was sollen, sagt mir theureste Amtsbrüder! die Feinde der christlichen Religion von ihrer Göttlichkeit und Wirksamkeit denken.cd209 Wenn ein Ungläubiger in die Predigt eines Mannes komta210, der 20, 30, 40 Jahrea211 an einer Gemeine gestanden hat, und der seine beständiged212 Zuhörer doch noch durchaus für schlechte ungebesserte Menschen erklärt, died213 noch keine /aeinzigea\ Tugend in einigem Grade besitzen, was soll er für Vertrauen zur seligmachenden Kraft des Evangeliums fassen? Aber lasset ihn einer Predigt beywohnen, darin wir nach der Wahrheit eine Anzahl rühmlicher Handlungen unsrer Christen erzehlen; nicht eben heroische, welche die Posaune des Gerüchts anfüllencd214, sondern die weniger /dbemerkbare edelnd\ ∥d215 sanften Bestrebungen der häußlichend216 Frömmigkeit, welchecd217 in den Familien und |a188| Nachbarschaften stille Glückse|d183|ligkeit des gesellschaftlichen Lebens verbreiten; wird er alsdennd218 sich nicht weit eher gereizta219 finden, ein Mitglied einer solchen Gemeine zu werden, worin es so gute und ehrwürdige Personen giebt? Ich glaube,a220 daß hierwider niemand etwas einwenden kana221, als etwa ein solcher, welcher von Kindheit an nicht eher sich entschlossen hat,a222 etwas gutesacd223 zu thun, als bis er hart darüber angeredet worden ist;a224 denn bey allen andern muß das Selbstgefühl für die Wahrheit meiner Behauptungen sprechen.
Ich kenne durchaus keine stolzere und selbstsüchtigere Leute, als
/ddie
d\ ∥d225 sich einbilden, sie hätten sich von aller Eigenheit und
|b203| |c203| Selbstwirken ausgeleert. Sie halten ihre eigne
d226 Träumereien
a227 bis zu den offenbarsten Eigensinnigkeiten für Wirkungen des Geistes Gottes und
/asich selbst
a\ voll Eigendünkel
cd228 bey dem Schein
d229 der größten Demuth
cd230 ∥a231 für unverbesserlich klug und heilig. – Unmöglich ists, den natürlichen Trieb zur Selbstschätzung und zur Ehre auszurotten,
a232 und er ist
/ahöchst wohlthätig
a\ ∥a233, so bald er geheiliget wird, das ist, die Richtung bekomt
a234, daß man seine Ehre in wahrhaftig ehrwürdigen Gesinnungen und Handlungen setzet. Dann
a235 ist es erlaubt und pflichtmässig
ad236 von sich groß zu denken. Nach Röm. 2, 7. wird Gott eben denen, die nach
/aPreis, Ehre
a\ ∥a237 und Unsterblichkeit getrachtet haben, ewige Glückseligkeit zutheilen.
d1: andererd2: großera3: unsersd4: died5: tadlena6: die fast allgemeine Gewohnheit auf den Kanzeln immer zu tadeln und niemals zu loben. Daa7: weißcd8: solchesad9: großena10: Belohnungend11: welched12: Bewustseyncd13: verknüpfetd14: verworrenea15: wahr,a16: Vatera17: Kinderncd18: vorhandenena19: Kindesa20: handelncd21: bemerketcd22: Ja mancd23: in System (c) ; in System (d)cd24: in seinem Systemecd25: folgeta26: beydend27: alle,ad28: Aeußerungend29: Zuhörer,d30: hervorbringetc31: hervorbringet, verkentcd32: dagegena33: ihrend34: Werthecd35: rühmtcd36: genungsamen (c) ; genungsamen (d)cd37: gnugsamencd38: widerstehet?a39: Alleina40: solltena41: hineindenkenad42: sollte, (a) ; sollte, (d)ad43: soll;cd44: verlangeta45: nund46: fassetcd47: führetcd48: öftermcd49: überläßet (c) ; überläßet (d)cd50: überlässeta51: kommtc52: Fallea53: kannsta54: hervorgebracht,d55: mit schreibend56: diesmala57: folgsta58: noch immera59: Wolanad60: fleißiged61: geschiehetacd62: Häusernd63: vieles Gutec64: vield65: innered66: Sollte diesescd67: 1 Teßl. 1, 2 f. 2 Teßl. 1, 3 f.a68: wolltcd69: besteigeta70: kannd71: daß ercd72: darübercd73: verdienetd74: gehöretd75: ad76: gute, (a) ; gute, (d)ad77: Gute,d78: Schlußec79: Schluße derselbigenc80: offenbareted81: offenbarete es sicha82: mochtead83: freywilliged84: verflossenencd85: gelegetcd86: nun abercd87: die Zuhörercd88: hätten:d89: eigene Entschließungend90: Warnungencd91: geistlichencd92: died93: beygefügetcd94: überdis (c) ; überdis (d)cd95: überdiesd96: eigened97: gebrauchted98: aufzumuntern,d99: Aeußerungcd100: unvolkomnen (c) ; unvolkomnen (d)cd101: unvollkommnena102: sagte, um die Menschen im Guten aufzumuntern muß man jede Aueßerung des guten Willens, jeden auch unvollkommnen Versuch gut zu seyn, loben.d103: eigened104: Dienstead105: Aeußerunga106: Vertrauena107: ihna108: Rechtschaffenheita109: ihna110: Freymüthigkeita111: Standhaftigkeitc112: umcd113: Erweisungena114: Belohnunga115: 27. f.a116: scheltend117: Gemeinena118: Briefen,a119: geistlichend120: gegen den geistlichenc121: gegen den geistlichen Stoltzcd122: diesesa123: Briefes Johannescd124: raubeta125: dend126: welchea127: Gesinnungd128: verknüpfetcd129: siehetad130: wohlgefälligera131: unsersd132: welchea133: bestimmtd134: genießend135: diea136: schlechtacd137: erkanntcd138: 1 Joh. 3, 21. 24. K. 2, 3 f.c139: erwektena140: unsersa141: unsers Amtsd142: gehöretd143: Beweisencd144: sageta145: wahr zunehmencd146: denket gewißcd147: Nachbarnd148: verdienetd149: beya150: wahrnehme,acd151: ausgeübetd152: vielesa153: zueignencd154: zuzueignen,a155: kannc156: grösseresd157: äußerten größeresd158: unserercd159: lehretcd160: wirksameres (c) ; wirksameres (d)cd161: wirksamersa162: istcd163: Leute,d164: unschlüssigd165: Entschließungencd166: wenncd167: vielesacd168: äußertacd169: unbestimmtcd170: Denkungsartd171: eigenena172: handelna173: denncd174: verlieretcd175: Theiled176: werdencd177: werden (c) ; werden (d)cd178: könnencd179: denketd180: welchera181: sollted182: diesesacd183: erlaubt (a) ; erlaubt (c d)acd184: erlaubet,cd185: zuzueignena186: bilden,cd187: bemerketa188: sich bemühen, als ein liebreicher Vatera189: andrerd190: allend191: Katholikenc192: Anforderungcd193: überspannetd194: vorgestelletcd195: derencd196: gerügetd197: größerec198: unbilligemcd199: Tadelncd200: dagegena201: werden;cd202: (undacd203: bemerkt; (a) ; bemerkt; (c d)acd204: bemerkt,)cd205: sol|c202|chesa206: merken,ad207: empfiehltad208: äußerncd209: denken?a210: kommta211: Jahrd212: beständigend213: welchecd214: füllend215: bemerkbaren edlend216: häuslichencd217: died218: alsdanna219: gereitzta220: glaubea221: kanna222: hatacd223: Gutesa224: ist,d225: die, welched226: eigenea227: Träumereyencd228: Eigendünkel,d229: Scheinecd230: Demuth,a231: sich selbst überhaupta232: auszurottena233: höchstwohlthätiga234: bekommta235: Dennad236: pflichtmäßiga237: Preis Ehre,
§. 79.
Ueber die fehlerhafte Vorstellung der Aussichten in die Ewigkeit würde ich hier gar nichts erwähnen, weil es meine Absicht nicht
/aist, spekulative
a\ ∥a1 Irrlehren in dieser Schrift zu rügen: wenn nicht die gewöhnliche
d2 Grausen und Entsetzen erregende Hypothese von ewigen Höllenstrafen
d3 so gerade zu dem Zweck
d4 und Geist
cd5 der Religion Jesu entgegen wäre, und
∥cd6 alle reine Liebe zum Vater der Geisterwelt
/cddadurch
cd\ verhindert würde. Es ist hier unnö
|a189|thig alle Schriftstellen, die
d7 dahin gezogen werden, richtiger zu erklären, da schon
/cddarüber
cd\ für Leute, die nur sehen wollen, genug
d8 Licht
∥cd9 verbreitet ist. Ich beziehe mich also
/cdnur
cd\ ∥cd10 auf meine weitläuftige Entwickelung der Begriffe von göttlichen Strafen und deren Absicht, und von der göttlichen Ehre,
|d184| welche §.
56. a11 bis
65. a12 in diesem Abschnitte vorgekommen ist, bemerke nur noch:
1. Wenn man annehmen wolte
a13, Gott würde einige Christen
cd14 alle Ewigkeiten hindurch,
/aohne einige wohlthätige Absichta\ ∥a15, blos aus
/dinnerm
ac16 Abscheu
d\ ∥d18 und Groll
d19 gegen die Sünde strafen;
cd20 weil er durchaus das moralische Böse vor seinen Augen nicht leiden könte;
ac21 so würde nach der gemeinen Theorie das moralische Uebel nicht ,
a23 sondern vermehrt
cd24 werden, weil man
|c204| ∥cd25 annimt
a26, daß sich die
|b204| Verdamten
a27 nie
cd28 bessern werden; folglich würde Gott sich immer mehr darüber
cd29 ärgern und erzürnen,
a30 und die physischen Kräfte der Verdamten
a31 immerfort vermehren müssen, damit sie immer grössere
ad32 Quaalen aushalten könten
a33: und so würde sich die Bosheit der Leute und der Grimm Gottes in Ewigkeit in einander multipliciren,
a34 und Gott, anstatt das Böse und die Gründe seiner innern Beunruhigung wegzuschaffen, sich immer mehr Verdruß zuziehen. Wer es nicht fühlen oder nicht einsehen kan
a35, wie sehr diese Vorstellung die Majestät Gottes verunehre, dem ist es zu verzeihen, wenn er sie blindlings für wahr hält.
2. Solte
a36 Gott
/aum des Beyspielsc37 willena\ ∥a38 ewig einige Christen
d39 quälen müssen, so ist nach der gemeinen Theorie abermals nicht abzusehen, wer durch diese exemplarische Strafen gebessert werden
/asolte
d40: denn nach der kirchlichen Meinung soll kein Gottlosverstorbener sich dort mehr bekehren können, sondern die Gnadenzeit mit diesem Leben verlaufen seyn: die
a\ ∥a41 vollendeten Gerechten
/aaber
a\ bedürfen solcher Schreckmittel zur Beharrung in guten Gesinnungen, bey welchen sie sich höchst glückselig fühlen, nicht
acd42 und
/asind auch, wie die Kirche glaubt, vor aller Gefahr des Rückfalls
d44 in Sünden gesichert. Also können ewige exemplarische Höllenstrafen keinen mehr
∥c45 bessern und
/cdalso
cd\ keine wohlthätige Absichten dabey
∥cd46 statt finden. Aber sie können auch nicht die Tugend und Seligkeit der vollendeten Gerechten vergrössern
d47; denn
a\ ∥a48 Beyspiele des Zorns
/aund der Rache, welche Gott an unsern Mitbrüdern und seinen eignen
d49 Kindern ausübt und uns zur Schau stellt
cd50, können nur Schrecken
d51 und Schwermuth, niemals aber Liebe, Ehrfurcht und Freudigkeit gegen den allgemeinen Vater der Geister hervorbringen, und müssen nothwendig allen gefühlvollen sanften Gemüthern ihre Seligkeit ausnehmend vermindern.
a\ ∥a52
|a190| |b205| |c205| 3. Wenn Gott einer Seele gänzlich alles Wohlwollen entziehen solte
a53, so müßte sie schlechterdings nicht zu verbessern seyn. Es müßte also die unendliche Weisheit entweder schon hier alle mögliche wirksame Verbesserungsmittel bey jedem verloren gehenden Menschen erschöpft
cd54 haben, welches wider die Erfahrung ist,
a55 oder Gott müßte voraus sehen, daß ein solcher Mensch in keiner einzigen Verbindung und in keiner
∥cd56 Reihe der Veränderung
cd57 moralisch besser werden könte
ad58, noch geworden seyn würde, er möchte ihn in welchem Zeitalter, unter welchen Nationen, und unter was für Umständen man auch immer wolle
acd60 haben gebohren
a61 werden lassen. Hieraus aber würde folgen, daß also in der Natur eines solchen
/a/dMenschen
c62 der
d\ ∥d63 unter gar keinerley Bedingung und in keinem Zusammenhange gebessert werden kan, oder
a\ ∥a64 in der ursprünglichen Beschaffenheit
a65 und dem Verhältniß
d66 seiner Kräfte gegen einander
d67 der Grund der Unmöglichkeit einer Ausbesserung anzutreffen wäre; welches abermals,
a68 da Gott der Urheber der Natur ist, nicht gedacht werden kan
a69. Man wende sich also,
a70 wohin man will, so wird man Widersprüche mit den reinen Begriffen von den väterlichen Gesinnungen Gottes antreffen. Nur denenjenigen, welche an dergleichen Widersprüche in ihrem
/cdSystem gewöhnt
cd\ ∥cd71 sind, und dadurch gar nicht beunruhiget werden, wenn sie sich Gott eben so unendlich grausam als gütig denken, können dergleichen Lehrsätze mit dem Geist
cd72 Christi überein zu stimmen scheinen.
4. Die reine Lehre der Schrift, wie sie sich mir nach aufrichtiger Untersuchung vorgestellet hat, ist hierüber diese: Nicht nur in dem gegenwärtigen Leben, sondern
∥cd73 in jeder
∥cd74 gedenkbaren Scene des Daseyns
cd75 kan
a76 kein endlicher Geist zu höherer Glückseligkeit gelangen, wenn er nicht Gott über alles liebt, das ist, von der Wohlthätigkeit der
|d186| göttlichen Gesinnungen, Absichten und Verfügungen überzeugt
cd77 ist, und daher auch
|c206| die Regeln der
|b206| Ordnung in dem Plane Gottes genehmiget und befolgt:
|a191| denn so lange dis
d78 nicht ist, bleibt Unzufriedenheit mit dem gegenwärtigen,
a79 und Furcht wegen des zukünftigen der herrschende Affekt
a80 des Gemüths, und der Mensch handelt seiner Wohlfart
a81 zuwider. Eben so kan
a82 kein gesellschaftliches Wesen ohne Rechtschaffenheit und allgemeines Wohlwollen gegen seines gleichen zu höherer Wohlfart hinaufsteigen, weil gesellige Geister nur durch gegenseitige liebreiche Begegnung und wohlthätige Dienstbeflissenheit jeden Ort des Aufenthalts sich zum Himmel anbauen können und müssen. Daher ist für Menschen, welche durch habituelle Hartherzigkeit und menschenfeindliche Neigungen zu allen gesellschaftlichen Freuden unfähig sind, nirgends ein Himmel,
a83 und diese Wahrheiten ändert
a84 Ewigkeit ab.
5. Uebrigens kan
a85 ganz rohen Leuten,
cd86 die moralische Unseligkeit, welche aus Lieblosigkeit und Falschheit entspringt, freylich nicht anders als unter allerley Bildern eines Feuers, das nicht verlischt, eines Thal Hinnoms und dergleichen, anschauend gemacht werden;
a87 welches aber so wenig in der heiligen Schrift nach den
cd88 Buchstaben zu verstehen ist, als wenn gesagt wird, daß wir ewig in Abrahams Schoos
ad89 sitzen, oder mit den Altvätern zu Tische liegen werden.
a1: ist speculatived2: gewöhnliche,d3: Höllenstrafen,d4: Zweckecd5: Geistecd6: dadurchd7: welched8: genungsamescd9: darübercd10: hier bloßa11: 56 a12: 65a13: wolltecd14: Menschena15: ohne einige wohlthätige Absichtac16: innern (a) ; innern (c)ac17: inneremd18: innerem Abscheued19: Grollecd20: strafen,ac21: könnte: (a) ; könnte: (c)ac22: könnte;a23: verringertcd24: vermehretcd25: dabey zugleicha26: annimmta27: Verdammtencd28: niemalscd29: über siea30: erzürnena31: Verdammtenad32: größerea33: könntena34: multiplicirena35: kanna36: Solltec37: Beyspielesa38: um des Beyspiels willend39: Menschend40: sollea41: sollte. Dieacd42: nicht; (a) ; nicht; (c d)acd43: nicht,d44: Rückfallesc45: demnach über allcd46: fernerd47: vergrößerna48: überall bringend49: eigenencd50: stelletd51: Schrek|d185|kena52: Gottes nie Liebe zu Gott und dem Guten, nie eigentliche Tugend hervor.a53: solltecd54: erschöpfeta55: ist;cd56: möglichencd57: Veränderungenad58: könnte (a) ; könnte (d)ad59: könneacd60: wolle,a61: geborenc62: Menschen,d63: Menschen, welchera64: Menschen, unda65: Beschaffenheit,d66: Verhältnissed67: einander,a68: abermalsa69: kanna70: alsocd71: Systeme gewöhnetcd72: Geistecd73: auchcd74: anderncd75: Daseyns,a76: kanncd77: überzeugetd78: diesesa79: gegenwärtigena80: Affecta81: Wohlfahrta82: kanna83: Himmel;a84: änderna85: kanncd86: Leutena87: werden,cd88: demad89: Schooß (a) ; Schooß (d)ad90: Schoß