|a88| |b94| |c94| |d84| Fünfter Abschnitt.
Von den willkührlichen Hypothesen, welche den Einfluß des Christenthums auf die Glückseligkeit verhindern.

§. 41.

Die göttliche Kraft des Evangeliums alle diejenigen, welche es als einen von /aGott bekantend1a\a2 Unterricht annehmen, zu immer höherer moralischer Glückseligkeit zu erheben, kana3 sich nur in so fern äussernad4, als der Vortrag desselben nach seiner Bestimmung zur Erweckung Gott ähnlicher Gesinnungen gerichtet wird. Die Geschichte der Kirche und Völker lehret, daß solches nicht immer geschehen istd5. Schon Paulus klaget 1 Tim. 1, 4 f. daß sich Lehrer in der Kirche einfänden, welche mehr auf Grübeleyen und ins unendlichcd6 gehende spekulativea7 Fragen, als auf die wahre Erbauung der Gläubigen dächten, dabey aber den ganzen Endzweck der Lehre Christi, Liebe von reinem Herzen, von gutem Gewissen und ungeheuchelter Treue zu befördern, verfehlten, und bey ihrem gelehrt scheinenden Geschwätzd8 doch selbst nicht wüßten, was sie sagten, oder behaupten woltenad9. Er warnet den Timotheus wiederhohlentlicha10 1 Br. a11 4, 7. K. 6, 4. 5. 20. so wie den Titus K. 3, 9. vor allem gelehrten Schulgezänke; und dennoch hat solches bald nachher unter den Lehrern der Kirche überhand genommen, so daß sie ganz des /dgrossena12 Gebotsd\d13 der Liebe vergessen, und sich über Fragen, died14 keiner zu beantworten verstundd15, über geständliche Geheimnisse, aufs äussersteac16 gehaßtd17 und verfolgeta18 haben. Diese Zänkereyen über blos spekulativea19 gelehrte Hypothesen hoben indesd20 noch nicht gerade zu die beseligenden Wirkungen der praktischen Lehren des |a89| |b95| |c95| Christenthums auf, sie änderten dieselben auch nicht |d85| merklich, sondern schwächten nur die Aufmerksamkeit auf dieselben, und den Eifer auf ihre Anwendung und Uebung zu dringen. Aber in der ersten Hälfte des 5ten Jahrhunderts gelang es einem afrikanischen Rhetor und Bischof, Augustin, sein aus Vermischung des Manichäismus und der Geschichte der heiligen Schrift entstandenes Privatsystem in der Kirche einzuführen, und mit Gewalt zur herrschenden Lehre der d21 Kirche zu machen. Durch dieses wurde nun /cdgerade zucd\cd22 alle Wirkung des Christenthums auf die Moralität der Menschen, und auf die Beförderung der daraus entstehenden höheren Glückseligkeit gehemmet. Da dieser Mann so wol in der römischen, als in beyden Kirchen noch in einem solchen Ansehen stehet, daß obgleich der grösseread23 Theil der Theologen in allen Kirchen seinen Lehrbegrif verwirft, dennoch jeder sich scheuetd24 ihm /cdgerade zucd\cd25 zu widersprechen, und sich nur bemühet, seinen Worten einen gelindern Sinn beyzulegen; so will ich erst zeigen, wie wenig Augustin die geringste Autorität in der Kirche zu haben verdienetd26; und denncd27 es beweisen, daß alle von ihm aufgebrachte Lehren den gesamten Einfluß des Christenthums auf die menschliche Glückseligkeit aufheben.
Bey allen theologischen Streitfragen muß man sich zuvörderst deutlich machen, was die Bejahung oder Verneinung derselben für einen Einfluß auf unsre Gesinnungen haben würde. Wird Gott uns nicht liebenswürdiger, unser Vertrauen zu ihm nicht grösserad28, unsre Betriebsamkeit ihm wohlgefällig zu werden nicht verstärktd29, wenn wir die eine oder die andre Meinung annehmen;a30 so können wir die ganze Frage unentschieden lassen, und kaltblütig oder vielmehr mittleidsvollacd31 den Federkriegen zusehen, und uns glücklich schätzen, wenn man uns erlaubtd32 neutral zu bleiben. Hat aber die verschiednecd33 Beantwortung einer Streitfrage einen unmittelbaren Einfluß auf die Gesinnungen, so muß |a90| man entscheiden,a34 |b96| |c96| und dasjenige freymüthig und standhaft sagen und behaupten, was man als Wahrheit erkennet. Zur letztern Art gehören Augustins Hypothesend35.
d1: bekant gemachtena2: GOtt bekanntena3: kannad4: äußernd5: seycd6: unendlichea7: speculatived8: Geschwätzead9: wolltena10: wiederholentlicha11: K.a12: großend13: großen Gebotesd14: welched15: verstandac16: äußersted17: gehasseta18: verfolgta19: speculatived20: indeßd21: lateinischencd22: geradezuad23: größered24: scheuet,cd25: geradezud26: verdienecd27: dannad28: größerd29: verstärketa30: annehmen,acd31: mitleidsvolld32: erlaubt,cd33: verschiedenea34: entscheidend35: Lehrmeinungen

§. 42.

Augustin hat uns selbst seine Lebensgeschichte in seinen libris confessionum aufgezeichnet. Ich übergehe, daß er |d86| nach seinem /deignen Geständnißd\d1 /asehr heftige Leidenschaften gehabt, unda\ in seiner Jugend sich den aller lüderlichsten Ausschweifungen überlassen, aucha2 seine Aeltern, wo er nur gekonta3, bestohlen und betrogen hat; disd4 hat nur einen entfernten Einfluß auf seine Lehren. Allein folgende von ihm erzählte Umstände, verdienen unsre größte Aufmerksamkeit:
  • a) Daß er einen beständigen Widerwillen gegen die griechischea5 Sprache gehabt, und solche durchaus nicht erlernen gewolta6 hat. Daher ist es nun gekommen, daß er das neue Testament nur blos in der lateinischen Uebersetzung, die Schriften der griechischena7 Kirchenväter aber gar nicht gelesen hat, folglich sich auch keine gründliche Erkentniß von dem, /awas bisher in der ältern griechischen Kirche gelehrtd8 worden wara\a9, zu verschaffen im Stande gewesen ist.
  • b) Daß er die Gelegenheiten, welche seine Aeltern ihm zum studiren machten, gar nicht benutzet, sondern sich in allencd10 auf sein eigend11 Genie allein verlassen, und daher auch alle eigned12 Einfälle ohne lange Prüfung behauptet, und mit seinem lebhaften Witz wahrscheinlich zu machen gesucht hat: wie besonders seine elenden Kommentariena13 über die heilige Schrift zeigen.
  • c) Daß er eine geraume Zeit die Rhetorik zu Karthagoa14, Rom und Milan gelehret hat, und daher in allen Klopffechterkünstena15, eine Meinung durchzusetzen und andre davon zu überreden, geübt gewesen ist.
  • d) Daß er, ehe ihn Ambrosius bestimta16 hat, das Christenthum anzunehmen, sich zum manichäischen Lehr|b97||c97|begrifd17 bekanta18 hat. Da dieser Umstand das meiste |a91| Licht über sein nachmaliges System vom Christenthum verbreitet, so muß hierüber folgendes bemerktd19 werden. Manes war ein persischer Gelehrter, derd20 das alte philosophische Lehrgebäude der Magier /doder Sabierd\ unter den Christen einzuführen suchte, und zu diesem Zweckd21 sich für den größten der Apostel,a22 oder für den παρακλητος, welchen Chri|d87|stus an seined23 Statt zu senden versprochen hatte, ausgab, und vermöge dieser höhern Gesandtschaft der übrigen Apostel Schriften verbessern woltea24. Ob nun gleich nachher Augustin gegen die Manichäer geschriebend25, in so fern sie die heiligen Bücher veränderten und allerley schwärmerische Lehren mit dem Christenthumd26 vermischten, so behielt er doch im Grunde das philosophische System der Magier bey. Nach demselben war zwar nur ein Gott, als das principium des Guten, unter dem Bilde einesd27 Lichts, welches sich immerfort auszubreiten sucht;ad28 zugleich aber auch ein objektivesa30 principium der Materie unter dem Bilde der Finsterniß, welches die Ausbreitung des /dLichts hinderted\d31, und woraus alles Uebel in der Welt entstünded32, angenommen. Da nun schon Tertullian und die meisten damaligen afrikanischen Kirchenlehrer die Seele für materiell hielten, und lehreten, daß sie per traducem aus Partikeln der Seele der Aeltern entstünde, so mußte nun Augustin nach seiner Philosophie ganz natürlich auf das System kommen, daß die Seele durchaus zu /aallem Gutena\a33 unthätig sey, und Gott alles /aübernatürlicha\ in ihr wirken müßted34. Hieraus sind denn weiter alle übrige Lehren desselben von Prädestination und Verwerfung; von willkührlichen Handlungen Gottes; von unwiderstehlichenc35 Wirkungen der Gnade u. s. w. geflossen, welche /aallen eignend36 Fleiß in der Gemüthsbesserung und Tugend und alles kindliche Vertrauen zu Gott bey den Menschen vernichtena\a37.
|b98| |c98| Die Auflösung der Frage, woher das Böse in der Welt komme, wenn man nur ein /cdhöchst gütigescd\cd38 und unendlich |a92| mächtiges Wesen zum Urheber derselben annimta39, hat von je her die scharfsinnigsten Weisen in Verlegenheit gesetztd40. Man glaubt mehrentheils allgemein, daß die Magiercd41 um den Ursprung des Bösen zu erklärencd42 ein doppeltes effektivesa43 Principium oder einen guten und einen bösen Gott angenommen hätten, welche mit fast gleicher Kraft gegen einander wirkten, woraus die Mischung des Guten und Bösen in der Welt entstünde. Gewiß ist, daß die Juden ihre Theorie vom Teufel zu Babylon daraus erlernet haben. Man darf nur 2 Sam. 24, 1. mit 1 Chron. /d22 (21),d\d44 1. vergleichen, um sich davon zu überzeugen. Nach einer fast allge|d88|meinen Vermuthung sind die Bücher Samuels vor der babylonischen Gefangenschaft aufgesetzt oder vielmehrd45 aus vorher geschriebenen Nachrichten excerpirtd46 worden. Damals hatte das jüdische Volk noch zu wenigd47 Kultura48, es anstössigacd49 zu finden, daß der Jehovah willkührlich handeln, und auch zu moralisch bösen Handlungen reizena50 könne. Es wird daher 2 Sam. 24, 1. gesagt,cd51 der Jehova wäre ergrimtad52, und hätte den David gereizta54 das Volk zu zählen. Dagegen wird in den Büchern der Chronike, welche unläugbar nach der babylonischen Gefangenschaft geschrieben worden sind, 1 B. 22, 1. eben dieselbe Anreizunga55 des Davidsd56 das Volk zu zählen, dem Satan zugeschrieben, welchen nun die Juden, als das dem guten Gottd57 entgegen wirkende, jedoch etwas schwächere Wesen in Chaldäa kennen gelerntd58 hatten. Mir scheintd59 es aber höchst wahrscheinlich, daß die alten persischen Weisen, so wol von den Juden, als von ihren spätern und minder scharfsinnigen Gegnern nicht recht verstanden worden sind, und daß sie in ihrer Bildersprache schon eben das zur Erklärung über den Ursprung des Bösen in der Welt gelehret haben, was in neuern Zeiten vomd60 Leibnitz und von andern christlichen Vernunftweisen deutlicher und bestimtera61 behauptet worden ist. Nemlich es kana62 schlechthin kein endliches Ding |c99| unendlich vollkommen werden, denn sonst |a93| würde es Gott: |b99| folglich kana63 jedes endliche Ding nur einen gewissen Grad der Realität oder des Guten erhalten, und daher wird die Mittheilung des Guten an die Objektea64 durch derselben wesentliche Schranken begrenzta65. Da nun aus den wesentlichen Schranken der Dinge ihre natürliche Mängel und Unvollkommenheiten, so wol die physischen, als moralischen entstehen; so erhellet, daß Gott zwar der Urheber aller Realitäten und alles Guten, nicht aber der Hervorbringer irgends eines Bösen sey, als welches blos etwas /dNegativesd\d66 ist, welches aus der innern nothwendigen Beschaffenheit des Endlichen /dentsteht. Disd\d67 scheinen mir die alten chaldäischen Weisen eingesehen zu haben, indem sie eigentlich nur eina68 höchst mächtiges und gutes Wesen zum wirkenden principio unter dem Bilde des Lichtsd69, was sich immer auszubreiten sucht, angenommen haben, welches aber durch das gleichfals ewige und von jenema70 nicht abhängendead71 an sich unthätige principiumd73 der objektivena74 Beschaffenheit der Materie oder der endlichen Dinge, dasd75 sie als eine das Licht begrenzendea76 Finsterniß dachten, in seinen Wirkungen eingeschränktd77 werde. Ich überlasse indes diese meine Vermuthung der weitern Prüfung der Gelehrten. Was nun des Augustins kirchliches System betrift, so kana78 man /aesa\ als /adie Urquelle aller Unrichtigkeitena\a79 in demselben ansehen, daß er Natur und Gnade als ent|d89|gegengesetzte principia der Handlungen und Veränderungen im Menschen gedacht hat. Disd80 war eine natürliche Folge der manichäischen Philosophie. Nirgends wird in der heiligen Schrift die Gnade der Natur entgegengesetzt, sondern überall heißt χαρις nach dem gemeinen Sprachgebrauchd81, so viel als Gunst oder Wohlwollen, und metonymice im Gegensatzd82 eines verdienten Lohnsd83, was aus freier Güte oder umsonst gegeben /awird,d84 so erklärtd85 es Paulus auf das bestimteste Röm. 11, 6.a\a86 Das ganze Evangelium wird daher ein Gnadengeschenk genanta87, im Gegensatzd88 der jüdischen Einbildungd89, als ob sich die jüdische Nation ein Vorrecht durch vorhergegangne Verdienste zu dem|c100|selben er|a94|worben hätte, und demnach die Heiden von dessen /dGenuß auszuschliessend\d90 wären. Hiergegen lehret Paulus Röm. 3. |b100| daß die Juden eben so lasterhaft als die Heiden gelebtd91 hätten, und ihnen also das Glückd92 selig oder Christen zu werdend93 von Gott allein aus freier Güte ganz umsonst ohne Rücksicht auf vorhergegangned94 Werke und Verdienste /azugetheileta\a95 würde.
d1: eigenen Geständnissea2: unda3: gekonntd4: diesesa5: grichischea6: gewollta7: grichischend8: gelehreta9: was bisher in der ältern grichischen Kirche gelehrt worden warcd10: allemd11: eigenesd12: eigenea13: Commentariena14: Carthagoa15: Klopfechterkünstena16: bestimmtd17: Lehrbegriffea18: bekanntd19: bemerketd20: welcherd21: Zweckea22: Aposteld23: seinera24: wollted25: hatd26: Christenthumed27: desad28: sucht, (a) ; sucht, (d)ad29: suchet;a30: objectivesd31: Lichtes hindered32: entstehea33: allen gutend34: müssec35: unwiderstehligend36: eigenena37: gewisser maßen ein fatum immorale eingeführt habencd38: höchstgütigesa39: annimmtd40: gesetzetcd41: Magier,cd42: erklären,a43: effectivesd44: 22, (21,)d45: dochd46: ausgezogend47: wenigea48: Culturacd49: anstößiga50: reitzencd51: gesagt:ad52: ergrimmt (a) ; ergrimmt (d)ad53: ergrimmeta54: gereitzta55: Anreitzungd56: Davids,d57: Gotted58: gelernetd59: scheinetd60: vona61: bestimmtera62: kanna63: kanna64: Objectea65: begränztd66: verneinendes oder mangelndesd67: entstehet. Diesesa68: eind69: Lichtesa70: Gottad71: hervorgebrachte (a) ; hervorgebrachte (d)ad72: abhängende,d73: principium,a74: objectivend75: welchesa76: begränzended77: eingeschränketa78: kanna79: das πρωτον ψευδοςd80: Diesesd81: Sprachgebrauched82: Gegensatzed83: Lohnesd84: wird;d85: erkläreta86: wird.a87: genanntd88: Gegensatzed89: Einbildungend90: Genusse auszuschließend91: gelebetd92: Glück,d93: werden,d94: vorhergegangenea95: zu Theil

§. 43.

/aDie neuen bisher in der ältern Kirche unbekanten Lehren, welche Augustin aufbrachte und allgemein zu machen suchte, sind hauptsächlich folgende:
  • 1. Daß alle Menschen schon in Adam gesündiget hätten, und daher kleine Kinder, wenn sie, ohne die Gnade der Taufe erlangt zu haben, verstürben, ewig verdamt blieben, wenn sie gleich selbst noch keine Sünden begangen hätten.
  • 2. Daß die ganze Natur des Menschen durch Adams Fall durchaus verdorben und zu allem Guten völlig untüchtig sey, so daß der Mensch gar nichts Gutes denken, reden oder thun könted1, sondern nur aufs Böse zu dichtencd2 durch seine Natur gedrungen würded3: und überall keinen freien Willen habe.
  • 3. Daß daher die Gnade Gottes jeden einzelnen guten Gedanken und jede einzelne gute Bewegung des Willens selbst im Menschen wirken müsse, ohne daß der Mensch weder durch Vorbereitung noch durch Mitwirkung dabey förderlich seyn könted4, sondern sich bloß leidentlich und unthätig verhalten müsse. |d90|
  • 4. Daß Gott eine gewisse Anzahl der Menschen ausgesondert habe, die er selig machen wolle. Nur für diese sey Christus gestorben, nur diese erhielten die Gnade, sie möchten sie haben wollen oder nicht; denn sie wirke unwiderstehlich. Alle andred5 Menschen blieben elend und verdamt und könten nicht gut werden, sie möchten sich darnach bestreben wie sie wolten. Gott habe diese nur erschaffend6 um an ihnen zu zei|c101|gen, was der freie Wille des Menschen für eine ohn|b101|mächtige Sache sey, wenn ihm die Gnade versagtd7 würde.a\
/aSolche harte Lehren konte indesd8a\ Augustin a9 nicht so leicht /ain der Kirchea\ einführen. Die ersten,a10 died11 ihm widersprachen,a12 waren Pelagius und Cälestius, ein paar Privatchristen (monachi), die kein öffentlichd13 Lehramt begleitetencd14, aber so wol wegen ihrer schon durch Schriften gezeigten Gelehrsamkeit, als wegen der strengen Untadelhaftigkeit ihres Lebens vom Augustin selbst bisher sehr gelobtd15 worden waren. /aDiese behaupteten gegen jene Sätze desselben:
  • 1. Die Sünde sey ein Vergehen des Willens, was vermieden werden könted16, nicht aber ein Naturfehler. Die Seelen der Kinder wären nicht aus Theilchen von den Seelen der Vorältern zusammengesetzt, sondern kämen unmittelbar von Gott. Es könten daher die Kinder nicht schon an Adams Sünde Theil genommen haben, und wenn sie ohne Taufe verstürben, deshalb nicht verdamt werden, weil /cdsie dafür nichts köntencd\cd17.
  • 2. Der Mensch habe zwar von Natur keine Erkentnisse von Gott und dem wahren Guten und bedürfe daher der Gnade des Unterrichts; er habe aber gute natürliche Vermögen des Verstandes, die ihm bekantwerdende Wahrheiten sich vorzustellen, sie zu fassen und zu benutzen.
  • 3. Es müsse daher der Mensch von seinend19 natürlichen Vermögen Gebrauch machen, und sich selbst bestrebend20 im Erkentnißd21 und in der Ausübung der Religion immer vollkomner zu werden:cd22 wozu die Schrift ihn durch so viele Ermahnungen auffordere. |d91|
  • 4. Gott wolle alle Menschen selig haben und habe alle durch Christum erlösen lassen; biete auch allen hinlängliche Mittel zur Besserung dar: wer demnach unselig bliebed23, sey selbst durch den Nichtgebrauch der |b102| |c102| von Gott ihm natürlich und durchs Evangelium noch ausserordentlichd24 verliehenen Kräfte, schuld an seinem Verderben.a\
⌇⌇a /aWas nun die Geschichte der öffentlichen Streitigkeiten betrift, so entspannen sich solche zuerst dadurch, daßa\ Pelagius a25 gegen einen Bischof in Rom die vom Augustin in seinen Gebeten so oft gebrauchte /aFormel: Gieb, Herr, was du befielst, und dann befiel, was du wilstcd26! getadelt hattea\a27. Er behauptete, es sey ganz widersinnischd28 zu lehren, daß Gott etwas befehlen soltea29, was uns zu thun unmöglich wäre, da kein vernünftiger Vater von seinen Kindern etwas unmögliches verlangte;ad30 und noch widersinnischerd32, daß Gott, was er uns geben woltea33, uns befehlen würde. /aDieser Tadel eines Privatchristen ward vom Augustin für ein Verbrechen gegen die bischöfliche Würde angesehen; er suchte daher zuvörderst die hohe Geistlichkeit in Afrika gegen denselben aufzubringen, und nun wurden von diesen gemeinschaftlich Pelagius und dessen Freunde überall verfolgtd34.a\ Cälestius, derd35 in Karthagoa36 Priester werden soltea37, ward im Jahrd38 412 vor einer dortigen Synode angeklagt und verdamta39, appellirte aber an den Bischof zu Rom. Im Jahrd40 415 ward Pelagius vor dem Patriarchena41 Johannes zu Jerusalem /aauf Anklage der Afrikanera\ verhört, und für rechtgläubig erklärt: und noch einmal in demselben Jahrd42 zu Diospolis (ehedem Lydda) von einer Versamlung von 14 Bischöfen, died43 ihn auch für orthodox erkantena44. Das Jahr darauf wurden zu Karthagoa45 und Mileve Synoden gehalten, welche die dem Pelagius schuld gegebened46 Irrthümer verdamtena47, und dem Bischofd48 Innocentius nach Rom zur Bestätigung zuschickten. |a95| Aus dessen Antworten an beyde Synoden erhellet, daß dem Pelagius fälschlich aufgebürdet worden, er lehre: der Mensch bedürfe gar keiner Hülfe von Gott, |b103| |c103| weil er mit |d92| hinlänglicher Freiheita49 des Willens versehen sey. In dieser Voraussetzung ward ercd50 /aohne gehört zu seyn,a\ vom Innocentius verurtheilt, wiewol dieser sehra51 weit von Augustins Lehrsätzen entferntd52 war. Da sich nun viele Bischöfe der griechischen Kirche, besonders in Palästina,a53 des Pelagius und Cälestius annahmen, so verlangte der römische Bischof, daß sie sich zur nähern Untersuchung nach Rom stellen soltena54. Endlich ward unter dem folgenden Bischofd55 Zosimus zu Rom ein feyerlichd56 Synodalverhör über den Pelagius und Cälestius, welche ihren Lehrbegrif schriftlich eingereichtd57 hatten, öffentlich gehalten, und Zosimus erklärte hierauf durch ein im Namen der ganzen römischen Kleriseya58 nach Afrika abgelassenes Schreiben: /aPelagius und Cälestius sind vor dem apostolischen Stuhld59 erschienen. Freuet euch, diese Männer, welche von falschen Angebern verläumdet waren, nun für solche zu erkennen, died60 sich nie von unsrer Kirche oder von der allgemeinen Rechtgläubigkeit entfernet haben.a\
aPelagius & Caelestius apostolicae sedi praesto sunt – sit vobis gaudium, eos, quos falsi indices criminabantur, agnoscere, a nostro corpore & catholica veritate nunquam suisse diversos.a
Uebrigens nennet Zosimus und die römische Kleriseya61 mit Recht die Streitfragen über /adie Fortpflanzung der Seelea\a62, über die Erbsünde, und d63 die Art und Weise der Gnadenwirkungen, in diesem Schreibend64 /averfängliche Fragen und läppische Streitigkeiten, welche mehr Zerrüttung als Erbauung veranlassena\a65. Hieraus ist nun historisch gewiß, daß Augustins Lehre nicht nur in der griechischen Kirche als etwas unerhörtes angesehen worden ist, und daß des Pelagius und seiner Freunde Behauptungen für den bisherigen altchristlichen Glauben von derselben erkläret worden sind; sondern daß auch /adie lateinischea\a66 und besonders /adie römische Geistlichkeita\a67, die vom Pelagius und Cälestius gegen des Augustins Neuerungen behaupteted68 Wahrheiten für rechtgläubig und katholisch erkläretc69 habe. Man hat also blos Afrika als die Mutter und Pflegerin der sämtlichen damals aufgekomnenad70 Lehren von der Na|a96|tur |b104| |c104| und Gnade, der Prädestinationcd72 und allen übrigen,acd73 damit zusammenhängenden Hypothesen anzusehen.
d1: könnecd2: tichtend3: werded4: könned5: andered6: erschaffen,d7: versagetd8: indeßa9: konnte seine neue bisher in der Kirche unerhörte Lehrena10: erstend11: welchea12: widersprachend13: öffentlichescd14: bekleidetend15: gelobetd16: könnecd17: das getauftwerden von ihnen nicht abhänge (c) ; das getauftwerden von ihnen nicht abhänge (d)cd18: das Getauftwerden von ihnen nicht abhanged19: seinemd20: bestreben,d21: Erkenntnissecd22: werden;d23: bleibed24: außerordentlicha25: tadelte zuerstcd26: willsta27: Formel, Domine da, quod jubes, & jube, quod visd28: widersinniga29: solltead30: verlangte, (a) ; verlangte, (d)ad31: verlange;d32: widersinnigera33: wollted34: verfolgetd35: welchera36: Carthagoa37: sollted38: Jahrea39: verdammtd40: Jahrea41: Patriarchd42: Jahred43: welchea44: erkanntena45: Carthagod46: gegebenena47: verdammtend48: Bischofea49: Freyheitcd50: er,a51: nochd52: entferneta53: Palästinaa54: solltend55: Bischofed56: feyerlichesd57: eingereicheta58: Cleriseyd59: Stuhled60: welchea61: Cleriseya62: traducem animaed63: überd64: Schreiben,a65: tendiculas quaestionum & in epta certamina, quae non aedificant sed magis destruunta66: die lateinischea67: die römische Geistlichkeitd68: behauptetenc69: erklärtad70: aufgekommnen (a) ; aufgekommnen (d)ad71: aufgekommenencd72: Prädestination,acd73: übrigen

|d93| §. 44.

Die afrikanische Kirche beruhigte sich indesd1 nicht bey d2 des römischen Bischofs Zosimus /dAusspruched\, sondern hielt in den Jahren 417 und 418.a3 abermals Synoden auf welchen beschlossen ward, daß die erste von der römischen Kirche durch den Innocentius gegebene Erklärung, welche doch ohne Untersuchung, auf die blossed4 Angabe der /dAfrikaner, ertheiletd\d5 worden war, gültig seyn;a6 die zweitead7 (des Zosimus) aber verworfen, und nun weiter nicht über das Meer appelliret werden soltea8. Sie setzten acht Anathematismen gegen alle Pelagianisch denkende auf, liessen 214 Geistliche unterschreiben, /alegten des Innocentius erschlichnes Gutachten bey,a\ und schickten solchesa9 an den kaiserlichena10 Hof, als ob es das Urtheil der ganzen /achristlichena\ Kirche wäre. Hierauf ward auf Ansuchen der Afrikaner ein kaiserlichad11 Edikt von den Prätoren bekanta13 gemacht, nach welchem jeder berechtigtcd14 seyn soltead15, Pelagianisch gesinnte /agerichtlich anzugebena\a16, und diese soltenad17 mit Konfiskationad18 des Vermögens und unwiederruflicherd20 Landesverweisung überall bestrafeta21 werden. Hierüber frolocktd22 Augustin in seinen Briefen;a23 und da Pelagius und dessen Freunde baten, man möchte sie doch durch gelehrte Männer ordentlich verhören lassen, ehe man sie verjagte, so widersetzte sich Augustin,d24 unter dem Vorwandea25, daß es den weltlichen Fürsten nicht zukäme, wo die Kirche schon entschieden hätte, zweifelhaft zu bleiben, sondern ihre Pflicht sey blos,a26 ihre Gewalt zua27 Unterdrückung der von der Kirche Verurtheiltena28 anzuwenden. /aDer Bischofa\ Zosimus zu Rom mußte selbst nachgeben, um seine Autorität nicht auf immer in Afrika zu verlieren, und überliesad29 alles dem Gewissen der afrikanischen Bischöfe. Noch nicht genungd30, man /aerschlich fernera\a31 einen kaiserlichena32 Befehl, |b105| |c105| darin allen afrikanischen Bischöfen, died33 |a97| auf den Karthaginensischena34 Synoden nicht gegenwärtig gewesen waren, aufgegeben ward, bey Strafe der Absetzung und Verjagung das Verdammungsurtheil dercd35 Pelagianer zu unterschreiben. Die meisten thaten es aus |d94| Furcht;a36 doch achtzehn der rechtschaffensten und gelehrtesten Bischöfe faßten das Herz, sich zu widersetzen, und forderten in einem Schreiben an den Bischof zu Thessalonich die morgenländische Kirche auf, daß diese sich der Profanität der Manichäer widersetzen möchtencd37, als welche lehreten:a38 daß kein Mensch, wenn ihm nicht Gott wider seinen Willen, und gegen sein Widerstreben die Geneigtheit gut zu handeln aufdränge, nicht einmal irgends etwas unvollkommen Gutes verrichten oder wollen köntead39. Hieraus erhellet nun, /adaß diese Augustinische Lehre vermittelst willkührlicher Gewaltcd41 /cälternd42 christlichenc\c43 Lehren, welche Pelagius und die Griechen d44 behaupteten, verdrungen hat.a\a45 Es ist desto unverantwortlicher vom Augustin, daß er sich solcher unchristlichen Mittel zur Ausbreitung seiner Meinungen bediente, da nach seinem /deignen Begrifd\d46 die Pelagianer nicht dafür kontena47, daß die Gnade Gottes in ihnen nicht die angeblich bessern Einsichten des Augustins wirkte, und sie sich solche nicht selbst geben konnten. Allein man sieheta48 hieraus, daß in praxi Augustin wohl gewußt hat, daß ein Mensch Freyheit habe, ob er es gleich in der Theorie läugnete.
Man kana49 hierüber des Herrn D. Semlers historische Einleitung vor dem 3ten Bande der Baumgartenschen Polemik §. 102.a50 f. nachlesen, wo alles hier angeführte ausführlicher aus Originalquellen erwiesen wird. Um sich von der Gelehrsamkeit und Einsicht der Afrikanischen Bischöfe, welche auf den Konciliena51 die nachmals in der Kirche geglaubte Lehrmeinungen aufgebracht haben, einen Begrif zu |b106| ma|c106|chen, darf man nur den 6ten Kanona52 des 3ten /aKarthaginensischen Konciliumsa\a53 lesen. In demselben wird für gut befunden festzusetzen, daß man den Todtenc54 nicht |a98| ferner das Abendmahla55 reichen wolle,a56 und beygefügt,cd57 cavendum quoque ne mortuos etiam baptizari posse fratrum (i. e. episcoporum) infirmitas credat, cum evcharistiam mortuis non dari animadvertit. Wie kana58 man nun solchen Leuten noch immer zutrauen, daß sie die reine Lehre Jesu aus der heil. Schrift /dschon eruirtd\d59 haben, und wie kanad60 man solcher schwachen Bischöfe Aussprüche für heilig halten?
d1: indeßd2: dem Aussprucha3: 418d4: bloßed5: Afrikaner erschlichena6: seyn,ad7: zweytea8: solltea9: solchea10: käyserlichenad11: kayserlich (a) ; kayserlich (d)ad12: kaiserlichesa13: bekanntcd14: berechtigetad15: solltea16: zu denunciirenad17: solltenad18: Confiscation (a) ; Confiscation (d)ad19: Einziehungd20: unwiderruflichera21: gestraftd22: frohlocketa23: Briefen,d24: Augustina25: Vorwanda26: blosa27: zura28: verurtheiltenad29: überließd30: genuga31: extrahirte nocha32: kayserlichend33: welchea34: Carthaginensischencd35: über diea36: Furcht,cd37: möchtea38: lehreten,ad39: könnte (a) ; könnte (d)ad40: könnecd41: Gewalt,d42: älterenc43: ältere christliched44: ja selbst die Römische Geistlichkeita45: daß die Augustinische Lehre vermittelst willkührlicher Gewalt die ältern christlichen Lehren, welche Pelagius und die Griechen behaupteten, verdrungen hat.d46: eigenen Begriffea47: konntena48: siehta49: kanna50: 102a51: Conciliena52: Canona53: Carthaginensischen Conciliumsc54: Todena55: Abendmala56: wollecd57: beygefügt:a58: kannd59: richtig erkanntad60: kann

|d95| §. 45.

Ob nun gleich Augustin das Glück gehabt hat, sein Ansehen in der abendländischen Kirche dergestalt zu befestigen, daß man auch nach seinem Tode sich gescheuet hat, ihm /cdgerade zu zuwidersprechencd\cd1, so hat doch immer der grösserea2 Theil der Kirche, und insonderheit die Schule der Skotistenac3 seine Lehren von einer absoluten Prädestination und dem gänzlichen Mangel der Freiheita4 beym Menschen verworfen. Das /aKoncilium zu Trienta\a5 hat auch, indem es Kalvinsa6 Lehren verdamtea7, bey aller äussernad8 Ehrerbietigkeit gegen /adena\ Augustin im Grunde den Lehrbegrif desselben über die Gnade zugleich verdamta9; und disd10 ist von der römischen Kirche aufs neue durch Verwerfung des Jansenismus geschehen. Denn wer nicht auf Worted11, sondern auf Begriffe sieht, kana12 nicht einen Augenblick zweifeln, daß Kalvina13 und Jansenius Augustins System und noch überdisd14 mit einiger Milderung und grösserema15 Anscheind16 der Wahrheit vorgetragen haben. Selbst wo das Konciliuma17 zu Trient den Worten nach mit dem Augustin übereinzustimmen scheintd18, ist oft eine grossead19 Verschiedenheit der Begriffe, besonders in dem Wortd20 Iustitiaa21, und man kana22 es daher als den immer katholischa23 gebliebenen Glauben der Kirche |b107| |c107| ansehen, daß Gottes Gnade und hülfreiche Veranstaltungen allgemein sind, und es von der Freiheita24 der Menschen abhangecd25, wie sie solche brauchend26 wollen.
/aMit Recht wird übrigens in dem Augsburgischen Bekentnißd27 der Satz: daß der Mensch blos durch eigne Kräfte ohne höhere Hülfe sich völlig bessern könne, verworfen, es ist aber historisch unrichtig, daß Pelagius diesen Satz gelehret hatd28.a\
cd1: geradezu zu widersprechena2: größereac3: Scotistena4: Freyheita5: Concilium Tridentinuma6: Calvinsa7: verdammtead8: äußerna9: verdammtd10: diesesd11: Werkea12: kanna13: Calvind14: überdiesa15: größeremd16: Anscheinea17: Conciliumd18: scheinetad19: großed20: Wortea21: Justitiaa22: kanna23: catholischa24: Freyheitcd25: abhänged26: gebrauchend27: Bekentnissed28: habe

|a99| §. 46.

Daß Lutherus, als ein ehemaliger Augustiner Mönch für desselben Lehre sehr eingenommen gewesen ist, /cdbeweißta1 seinecd\cd2 Schrift de servo arbitrio: es ist aber auch bekanta3, daß Melanchtond4 die allgemeine Gnade und die Freiheita5 des Willens behauptet, und selbst Luthern nach und nach dazu bestimta6 hat, wenigstensd7 von der eifrigen Behauptung |d96| der harten Prädestinationslehre nachzulassen, und die allgemeine Gnade Gottes zu lehren. Indesd8 ist dennoch von Augustins anderweitigen Begriffen noch vield9 unausgemerzt geblieben, und wenn ich freimüthiga10 sagen soll,a11 wie es ist: wir haben noch alle Prämissen von Augustins Fato und läugnen nur die Folgerungen. Wir würden indesd12 hierüber bald mehr /daufgekläret wordend\d13 seyn,a14 wenn nicht der sanfte Melanchtond15 und dessen sanfte Schüler von einigen Eiferern unter den ersten Schülern Luthers in den synergistischen Streitigkeiten unterdrückt worden wären. Es gehtcd16 aber gewöhnlich so, daß die kleine Anzahl der /dMänner /cvon deutlichenc\c17d\d18 Einsichten in die /cdWahrheiten,a19cd\cd20 bey welchen cd21 das Gemüthd22 ohne Leidenschaftcd23 bleibt, von dem grossend24 Haufen derer überschrieen werden, welche wegen Verworrenheit der Erkentnißd25 sich erbossenad26, daß sie die Wahrheit ihrer Lehrsätze nicht so deutlich darthun können, als sie solche zu fühlen glauben.
|b108| |c108| Wie richtig Melanchtond27 schon gedacht, erhellet unter andern aus der Stelle, welche in der letztencd28 Wittenbergischen Ausgabe seiner Loc[.]acd29 theol. vom Jahrd30 1543 unter dem Artikel de humanis viribus seu de libero arbitrio, zu finden ist: Praeterea si nihil agit liberum arbitrium, interea donec sensero fieri illam regenerationem, de qua dicitis, indulgebo diffidentiae et aliis vitiosis affectibus. Haec Manichaea imaginatio horribile mendacium est, et ab hoc errore mentes abducendae sunt et docendae, agere omnino aliquid liberum arbitriumcd31 – Nec ad|a100|mittendi sunt Manichaeorum furores, qui fingunt aliquem esse numerum hominum – qui converti non possint. – Si tantum expectanda esset illa infusio qualitatum sine ulla nostra actione sicut Enthusiastae et Manichaei finxerunt, nihil opus esset ministerio evangelii; – nulla etiam lucta in animis esset etc. Wie handgreiflich wahr ist disd32 alles für jeden noch ungelähmtencd33 Verstand.
a1: beweistcd2: beweiset desselbena3: bekanntd4: Melanchthona5: Freyheita6: bestimmtd7: wenigensd8: Indeßd9: vielesa10: freymüthiga11: solld12: indeßd13: aufgeklärt gewordena14: seyn;d15: Melanchthoncd16: gehetc17: welche deutliched18: Männer, welche deutlicheacd19: Wahrheit, (a) ; Wahrheit, (c d)acd20: Wahrheit haben undcd21: daherd22: Gemüthecd23: Leidenschaftend24: großend25: Erkentnissead26: erboßend27: Melanchthoncd28: leztenacd29: Loc.d30: Jahrecd31: arbitrium.d32: diesescd33: unbefangenen

§. 47.

Die /dSchweitzerischen Reformatorend\d1 waren auch nicht einerley Meinungd2. Zwingliusd3 war für die Lehre der heiligen Schrift, Kalvina4 aber für die Augustinische, jedoch dabey ein besserer Logikus als die Lutheraner, indem er nicht |d97| blos die Prämissen, sondern auch ihre Folgerungen annahm und lehrete. So groß indes das Ansehen dieses verdienstvollen Mannes in der Schweitzerischen Kirche und /aden von dort ausa\a5 unterrichteten englischen Presbyterianern gewesen ist, so hat dennoch Augustins Lehre auch in dieser Kirche niemals einen allgemeinen Beyfall gefunden. In Holland brach darüber zwischen dem Arminius und Gomarus ein öffentlicher Zwist aus, welcher die Synode zu Dortrecht veranlaßte, auf welcher abermals mit Hülfe der weltlichen Obrigkeit Augustins Lehre die Oberhand behielt, da man doch nicht hätte disputiren, sondern abwarten sollen, bis die |b109| |c109| Gnade d6 den Arminianern bessere Einsichten infundiretcd7 hätte. Allein auch diese Synode ist nicht überall, und insonderheit auch nicht in den Brandenburgischen Landen vond9 den reformirten Kirchen angenommen worden,d10 und in England ist im Jahre 1662 der weise königliche Befehl ergangen: daß die Prediger ihre Zeit und Fleiß nicht in Untersuchung der tiefen und spekulativena11 Dinge, ins besondred12 solcher, welche die verborgened13 Fragen von der ewigen Gnadenwahl und Verwerfung;acd14 die unbegreifliche Weise, wie Gottes freiea15 |a101| Gnade, und des Menschen freiera16 Wille bey einander bestehen u. d[.]acd17 g. betreffen, verschwenden sollen.
Man findet diesen königlichen Befehl aus dem Benthem gezogen in Alberti Briefen den neuesten Zustand der Religion in England betreffendc18 Th. 3. Br. 39.
d1: ersten Lehrer unter den Reformirtend2: Meynungd3: Bullingera4: Calvina5: denen daselbstd6: incd7: infudirt (c) ; infudirt (d)cd8: hervorgebrachtd9: ind10: worden;a11: speculativend12: besondered13: verborgenenacd14: Verwerfung,a15: freyea16: freyeracd17: d.c18: betreffend.

§. 48.

Aus dieser Geschichte von der Entstehung, Ausbreitung,acd1 und Erhaltung der Augustinischen Hypothesen erhellet nun offenbar, daß sich kein Wahrheit suchender christlicher Theologe durch das noch immer, blos wegen mangelhafter Kentniß der Kirchengeschichte,a2 bisher fortdaurende Ansehen Augustins abhalten lassen mußd3, in der heiligen Schrift selbst zu forschen.
Man kana4 sicher behaupten, daß jetztd5 der ungleich grössere Theil der Theologen in der römischen und d6 beyden protestantischena7 Kirchen die manchäischenacd8 Schwärmereyen von |d98| magischen und überwältigenden Einwirkungen Gottes in den Menschen verwirft: zumal denselben unser Selbstgefühl und die tägliche Erfahrung widerspricht. Ein jeder wird sich bewußt, wie viel er selbst zu seinen guten Entschliessungend9 beyträgt, und keiner der frömstena10 Christen zeigtd11 übermenschliche Tugenden, died12 eine übernatürlichea13 durch ihn wirkende Kraft erwiesen, und sich nicht aus der moralischen Wirkung der Religi|b110||c110|onswahrheiten aufsd14 Gemüth nach psychologischen Naturgesetzen völlig erklären liessend15. Allein es ist von Augustins Systemd16 fast in alle Artikel der Dogmatik etwas übergegangen, und ehe dieses nicht alles weggeschaft und das lautre Christenthum wieder hergestellet wird, ist gar nicht daran zu denckenac17, daß die Lehre Jesu die volle Wirkung zur Verbesserung der Moralität und Glückseligkeit der Menschen äussernd18 werde. Es ist daher nöthig, die vornehmsten Lehrsätze, welche diese wohlthätige Wirkungen noch gerade zu hindern, ins Licht zu setzen und den gan|a102|zen afrikanischen Brast der willkührlichen Lehrbestimmungen gänzlich aus der Philosophie des Christenthums oder dem dogmatischen Systemd19 herauszuwerfen. Hiedurchacd20 allein kana21 die Kirchenverbesserung vollendet werden.
acd1: Ausbreitunga2: Kirchengeschichted3: müssea4: kannd5: jeztd6: ina7: Protestantischenacd8: manichäischend9: Entschließungena10: frömmstend11: zeigetd12: welchea13: übernatürliche,d14: auf unserd15: ließend16: Systemeac17: denkend18: äußernd19: Systemeacd20: Hierdurcha21: kann

§. 49.

Wenn man Augustins Lehrsätze nach der Ordnung, in welcher sie gewöhnlich in dogmatischen Lehrbüchern unter verschiednend1 Artikeln aufgestellet werden, nach einander prüfen will, so würde der erste Satz seyn: daß alle Menschen schon in Adam gesündiget haben, und ihnen daher desselben erste Vergehung von Gott zur Schuld angerechnet wirda2. Die Afrikaner kontena3 disd4 lehren, da sie Röm. 5, 12.d5 /ain ihrer lateinischen Bibel an statt: weil sie alle gesündiget haben, lasen: in welchem, nemlich Adam, sie alle gesündiget haben (statt ἐφ’ ὡ, in quo):a\a6 und /adieses stimtea\a7 mit ihrena8 Begriffen von der Materialität der Seele und deren Fortpflanzung a9 überein. Denn sind unsere Seelen Partikeln /dder Seeled\ Adams gewesen, so haben wir allerdings sämtlich zu seinen Vergehungen mitge|d99|wirkta10. Nachmals, da man /adie Körperlichkeit und Erzeugung der Seele aus Bestandtheilen der Aeltern verwarf, mußte man zu einem neuen willkührlichen Satzcd11 seine Zuflucht nehmen, um das Forterben der Sünde begreiflich zu machen. Zu |b111| |c111| diesem Behufd12 nahm man an:a\a13 Adam /aseya\ als /aHaupt des menschlichen Geschlechts unser aller Repräsentant oder Stellvertreter gewesen, und habea\a14 in aller /aseiner Abkömlingea\a15 Namen gehandelta16, und /aalso sey nichts unbilliges darin zu finden, daß uns seine Sünde mit angerechnet würde. Denn Gott habe /cdeine Art des Vergleichscd\cd17 mit ihm errichtet gehabt, nach welchem, wenn er gehorsam bliebe, alle seine Nachkommen glücklich seyn; wenn er aber ungehorsam würde, auch seine sämtlichen Abkömlinge mit ihm dem Elendcd18 preiß gegeben werden solten.a\a19 Diese Einkleidung ist aber eine blossed20 Erfindung des menschlichen Witzesd21 ohne biblischen Grund, voller Widersprüchea22 gegen sich selbst, gegen die reinen Begriffe von Gott,ad23 und gegen das Christenthum, auch nach ihren Folgen der Moralität der Menschen äusserstad24 nachtheilig: denn
  • jemand eine Handlung imputiren /aoder zurechnend26a\ heißt, ihn für die freiea27 wirkende Ursache /aoder den Miturhebera\ derselben erkennen und erklären;a28 es ist daher widersprechend von Gottes höchstem Verstande zu denken, daß in demselben alle Nachkommen Adams als Urheber seiner Vergehung vorgestelltd29 werden köntena30, da sie es doch nicht sind. |a103|
  • Daßd31 Adam in unsrer aller Namend32 gehandelt, wird nirgends von der Schrift behauptet, und da wir ihm keinen Auftrag deshalb gemacht /ahabena\, so würde es willkührlich und ungerecht von Gott gehandelt seyn, wenn er /auns, die wir doch eigentlicha\ seine eigned33 Kinder /asind,a\ darum hassen woltead34, weil wira35 durch /asolche Mittelspersonena\a36 in die Welt /agesetzet worden sind, an deren üblencd37 Verhalten wir nicht schuld sind, ja die er /cdunscd\ selbst, nicht aber wir, zu Stammältern unsres Geschlechts erwählet hata\a38. |d100|
  • 3. Es ist kein Grund vorhanden, warum Adam nur beym Sündigena39, und nicht auch bey Erduldung der |b112| |c112| Strafe das ganze menschliche Geschlecht vorgestellet /ahaben solld40. Denn ist er wirklich unser Repräsentant oder Stellvertreter gewesen, so muß uns allesd41 nicht nur was er gethan, sondern auch was er dafürd42 gelitten hat, als in unsrem Namen erduldet, zugerechnet werden. Es würde also /deined\ doppelte Ungerechtigkeit seyn, wenn uns nicht nur eine fremde Schuld zugerechnet würde, sondern wir auch dafür abermals, nachdem sie schon an unsermd43 Stellvertreter bestraft und abgethan worden, doch noch einmal büssen solten. Paulus sagt 1 Cor. 15, 22. auch: Gleichwie sie alle in Adam sterben, also werden sie in Christo alle lebendig gemacht werden. Niemand verstehet diese Worte so unrecht, daß er dabey an eine Zurechnung des Todes Adams denken solte, in welchem wir als schon Gestorbene von Gott angesehen würden; sondern man ist einig, daß hierdurch nur gesagt werde;cd44 so wie alle Menschen von ihrem Stammvater an, als Adamiten oder Menschen sterben müssen, so sollen alle als Christen zum Leben und zur Glückseligkeit gelangen. Eben so muß man Paulum Röm. 5. verstehen, wo er eigentlich lehret: lange vor Mose und Abraham wäre Sünde da gewesen, und habe sich schon von Adam an über alle Menschen verbreitet, und nun solte ohne Rücksicht auf Abkunft von Abraham oder auf Mosescd45 Gesetz /dsichd\ durchs Christenthum Besserung und Seligkeit über alle Sünder /dverbreitend\d46.a\
    ahat, und demnach offenbar ungerecht, daß wir nochmals dafür büßen sollen, wofür Adam schon, als unser gemeinschaftlicher Stellvertreter gebüßet hat. Wenn man aus Pauli Worten Röm. 5, 12. herleiten will, daß wir alle in Adam gesündiget haben, so folgt aus 1 Cor. 15, 22. daß wir auch schon alle in Adam unsre Strafe gelitten haben, und in ihm schon einmal gestorben sind. Folglich wäre es nun doppelt ungerecht, wenn wir noch einmal dafür büßen sollten.a
  • Es würde /asonst ausa\a47 der /agemeinena\ Erklärung von Pauli Worten folgen, daß eben so allgemein alle Menschen in Adam gesündiget /ahättena\, eben so allgemein würden auch alle in Christo gerecht und selig, Röm.c48 5, 15–19. und a49 so wie Gott allen Menschen durchgängig Adams Sünde, sie mögen nun davon etwas wissen oder nicht, selbige genehmigen oder nicht, |b113| |c113| dennoch zur Verdammung imputirea50, Gott auch auf gleiche Art allen Menschen ohne Unterschied, sie mögen darein willigen oder nicht, Christi |d101| Gerechtigkeit zur Seligmachung zurechnen müßted51. Soll aber eine Ergreifung und Zueignung des Verdienstes Christi erst nöthig seyn, ehe es dem Menschen zu statten komtad52, so kanad53 auch niemand Adams Sünde eher imputirtd54 werden, bis er diese ergreift, und sich zueignet. Disd55 wird aber wol nicht leicht /avona\ jemand geschehena56. Man siehtcd57 |a104| hieraus, was ein einziger willkührlicher Satz für Verwirrungd58 Widersprüche im /dSystem erzeuget,a59d\d60 und wie blind die Schulgelehrsamkeit oft den natürlichen Verstand machtd61, daß die gröbsten Widersprüche nicht bemerktd62 werden.
  • /aWill man zur Vertheidigung der Billigkeit des Gott angedichteten Verfahrens, in Zurechnung der Sünde des Stamvaterscd63 an alle Nachkommen, sich auf gemeine Fälle des bürgerlichen Rechts berufen, wonachd64 Kinder an den Belohnungen der Verdienste ihrer Vorfahren, eben so wie an den üblen Folgen ihrer Vergehen, überall theilcd65 nehmen müssen; soa\a66 ist /adocha\ kein Grund vorhanden, warum nur eine und nicht alle Sünden Adams; kein Grund, warum nur Adams und nicht aller unsrer Vorältern Sünden; kein Grund, warum nur die Sünden und nicht auch das Gute unsrer Vorältern uns imputirtd67 werden soltead68. Da nun die Schrift so wol ausdrücklich und ausführlich im alten Testamentd69 Ezech. 18, /a1. folg.a\ und an vielen Orten im neuen Testament,ad70 Röm. 2, 6. 2 Cor. 5, 10. Gal. 6, 4. 5. erklärtcd72, daß jeder /anur für seine eigned73a\a74 Handlungen Gott Rechenschaft geben sollea75: als auch alle Zurechnung einer fremden Gerechtigkeit, welche die Pharisäer lehrtenc76, gänzlich verwirft, Matth. 3, 9. verglichen mit Joh. 8, 32 f. so folgt, daß überhaupt der Begrif einer willkührli|b114||c114|chen Imputation fremder Handlungen und Gesinnungen ohne biblischen Grund sey;a77 wie denn auch solche Vorstellungen die richtigen Empfindungen des Gewissens verwirren, die Aufmerksamkeit von uns selbst entfernen, und dem Fortgange wahrer moralischencd78 Verbesserung eines Volksd79 höchst hinderlich sind. Es ist demnach im Gegensatzd80 gegen Augustins Behauptung und deren spätere Maskirungend81 zu lehren, daß Gott jeden Menschen ohne c82 auf irgends einen andern,cd83 sich so vorstelltcd84, wie er wirklich in seinen eignen innern Gesinnungen und nach seinem Verhalten beschaffen ist, und ihm nach dieser innern Empfänglichkeit das möglichste Gute nach seiner allgemeinen Vaterliebe zutheilt.
Ueber die allegorische Erzählung /dMosisd\ vom Falld86 Adams ist Jakobi 1, 13. 14. 15. der authentische Kommentariusa87, aber nicht B. Weish. 2, 24.
d1: verschiedenena2: werdea3: konntend4: diesesd5: 12a6: statt ἐφ’ ὡ im Lateinischen lasen in quo omnes peccaverunt,a7: dis stimmtea8: dena9: per traducema10: cooperirtcd11: Satzed12: Behufea13: traducem & materialitatem animae verworfen, hat man dena14: Caput repraesentativum totius generis humania15: Menschena16: sündigen lassencd17: einen Vergleichcd18: Elendea19: daraus die Billigkeit der Imputation hergeleitet.d20: bloßed21: Witzes,a22: Widersprüche,ad23: Gottad24: sehr (a) ; sehr (d)ad25: äußerstd26: zurechnen,a27: freyea28: erklären,d29: vorgestelleta30: könntend31: daßd32: Naturd33: eigenead34: wolltea35: er siea36: einen Stammvatercd37: üblema38: setzen lässet, mit dem er nicht zufrieden wara39: sündigend40: solled41: alles,d42: davord43: unsremcd44: werde:cd45: Mosisd46: verbreitet werdena47: weiter ad analogiamc48: Röma49: daßa50: imputirtd51: müssead52: kommtad53: kannd54: imputiretd55: Diesesa56: thuncd57: siehetd58: Verwirrungena59: erzeugt:d60: Systeme erzeuge,d61: mached62: bemerketcd63: Stammvatersd64: nach welchemcd65: Theila66: Esd67: imputiretad68: sollted69: Testamentead70: Testament (a) ; Testament (d)ad71: Testamente,cd72: erkläretd73: eigenea74: nur für seine eignea75: solltec76: lehretena77: sey,cd78: moralischerd79: Volkesd80: Ge|d102|gensatzed81: Verkleidungc82: Rüksichtcd83: anderncd84: vorstelt (c) ; vorstelt (d)cd85: vorstelletd86: Fallea87: Commentarius

|a105| §. 50.

Der zweite Satz des afrikanischen Systems ist, daß durch Adams Fall die Natur des Menschen verdorben worden sey, und diese Verderbniß dergestalt forterbe, daß die menschliche Seele bereits mit wirklicher Sünde behaftet, und mit einem positiven Hangcd1 zum Bösen zur Welt komme. Diese Lehren flossen ebenfalsd2 natürlich aus den Vorstellungen einer materiellen Fortpflanzung der Seelen. Denn ist die Seele der Kinder aus Theilen von den Seelen der Aeltern zusammengesetzt, so kana3 eine innere Verderbniß derselben, so wie Gicht und Schwindsuchtd4 ganz natürlich auf die Kinder forterben. Allein so bald man die Seele für eine unkörperliche einfache Substanz oder Kraft in engerer Bedeutung erkennet, so können die afrikanischen Lehrmeinungen ohne Widerspruch mit Schrift und Vernunft nicht angenommen werden. |b115| |c115| Man mag nun entweder die Hypothese, daß bey der Zeugung des Körpers die Seele erst von Gott geschaffen werde, /awelches die Pelagianer glaubten;a\ oder die wahrscheinlichere Meinung, daß die einfache Substanz der Seele durch harmonische Verbindung mit körperlichen Organen,d5 zu Vorstellungen von aussenad6 allererst veranlasset werde, da sie solche aus sich selbst ohne solche Veranlassung von aussenad7 nicht erzeugen kana8, annehmen; so erhellet, daß die Sünde auf sie nicht forterben könne, wenn man nicht die grobe Idee hat, daß sie in den /aSaamentheilchen oder Keimd9a\a10 des Körpers schon wohne. In diesem Fallad11 aber würde nicht die Seele, |d103| sondern blos der Körper der Erbsünde wegen strafbar seyn. Sehr richtig und stark hat daher schon Julianus mit Beyfall der altgriechischen Kirche gegen den Augustin geschrieben: /aEs ist keine aus den apostolischen Zeiten her überlieferte oder sonst gegründete Glaubenslehre, sondern in den Zusammenkünften der Bösewichter erdacht, vom Teufel eingeblasen, vom Manes vorgetragen, und vom Marcion ausgebreitet, was man in den Kirchen jetzt predigen will: daß die Sünde eine solche Macht habe, daß sie bereits vor Ausbildung der Gliedmassend12, vor dem Entstehen und der Ankunft der Seele, über den Saamentheilchen bey der Empfängniß herflattre, in das Innerste des mütterlichen Leibes eindringe, und die zu Verbrechern mache, died13 noch erst geboren werden sollen: und auf diese Weise die Sünde früher als der Mensch vorhanden seyn und schon da sitzen soll, die Ankunft der Seele zu erwarten.cd14a\
anon est haec fides antiquitus tradita atque fundata nisi in conciliis malignantium, inspirata a diabolo, prolata a Manichaeo, celebrata a Marcione, in ecclesiis praedicare, tantam vim esse peccati, ut ante membrorum formam, ante |a106| initium adventumque animae, jactis seminibus supervolans in secretum matris invadat & reos faciat nascituros: ortuque ipso antiquior exspectet culpa substantiam.a
Es kanad15 auch ein jeder es bey sich selbst fühlen, daß der Gedanke: meine Seele würde gut seyn, wenn Gott nicht durch die Einrichtung, daß sie durch sündliche Aeltern in sündliches Fleisch eingekerkert worden /acdistacd\, sie hätte verdorben werden lassen;cd17 die Begriffe von der göttlichen heiligsten Güte sehr umwölktcd18. Dergleichen Vorstel|b116||c116|lungen schwächen die Wirkungd19 des natürlichen Gewissens, indem der Mensch seine Vergehungen dennd20 nicht sich selbst, sondern der Verdorbenheit seiner Natur, wofür er selbst nichts /akan, zur Last legtcd21,a\a22 auch es für vergeblich hält, auf seine Verbesserung Mühe zu verwenden. Richtig sagt daher Cälestius: /aMan entfernt sich sehr weit von dem Sinnd23 der allgemeinen christlichen Kirche, wenn man eine Erbsünde durch Fortpflanzung behauptet. Denn die Sünde wird nicht mit dem Menschen geboren, sondern von ihm erst nachmals begangen: indem man ja deutlich lehrtd24, daß Sünden Vergehungen des Willens und nicht der Natur sind. Dieses muß man vorher wohl festsetzen, damit man nicht bey der Lehre von der Nothwendigkeit und dem Nutzen der Taufed25 dem Schöpfer zum Vorwurfd26 auf die Meinung verfalle, die Sünde würde dem Menschen, ehe er sie begehe, schon durch die Natur |d104| überliefert.a\ Longe a catolicocd27 sensu alienum est,a28 peccatum ex traduce affirmare: quia peccatum non cum homine nascitur, quod postmodum exercetur ab homine, quia non naturae delictum sed voluntatis esse demonstratur; hoc praemunire necesse est, ne per mysterii (baptismi) occasionem ad creatoris iniuriam, malum antequam fiat ab homine tradi dicatur homini per naturam.
cd1: Hanged2: ebenfallsa3: kannd4: Schwindsucht,d5: Organenad6: außenad7: außena8: kannd9: dem Keimea10: primis staminibusad11: Falled12: Gliedmaßend13: welchecd14: erwarten. –ad15: muß (a) ; muß (d)ad16: kanncd17: lassen,cd18: umwölketd19: Wirkungend20: danncd21: legeta22: kann, imputirt,d23: Sinned24: lehretd25: Taufe,d26: Vorwurf,cd27: catholicoa28: est

§. 51.

Da indes verschiedned1 Schriftstellen die Lehrmeinung von einer allgemeinen Verdorbenheit der menschlichen Natur zu begünstigen scheinen, so ist hierüber noch folgendes zu merken.ad2
Erstlich kana4 Paulus Brief an die Römer als die eigentliche Hauptquelle der herrschenden Lehrmeinungena5 angesehen werden. Hier komta6 es nur blos auf eine aufrichtige Untersuchung der Frage an:a7 ob der Zweck Pauluscd8 sey, von einer Verderbniß der Natur auch bey Kindern;a9 oder nicht vielmehr von einemcd10 Verderbniß |b117| |c117| der damaligen Nationen in Absicht der unter ihnen herrschenden Grundsätze, Gottesdienstlich|a107|keiten und Laster /dzu reden.c11d\d12 Es ist offenbar das letzte sein Zweck, denn er beweiset in den zwey ersten Kapitelna13 die unter den Heiden herrschende Verderbniß nicht aus der Abkunft von Adam, sondern aus den unter ihnen im Schwange gehenden Lastern. Noch mehr, er erklärtcd14 ausdrücklich die Natur für gut, und behauptet, daß die Heiden durch ihre Vernunft Gott hätten erkennen, und nach ihrem natürlichen Gewissen auf den Weg wahrer Wohlfart geleitet werden können; da sie aber die in ihnen vorhandned15 Wahrheit in Lügen selbst verwandelt hätten, so wären die traurigen Folgen ihrer Lasterhaftigkeit als Strafen des Mißbrauchs ihrer gehabten hinlänglichen Naturkräfte /a/danzusehen.d\d16 Ja Kap. 2, 13–15. behauptet Paulus ganz bestimt, daß /cdalle Heiden Einsichten in das göttlichecd\cd17 Gesetz /cdund einen Gewissenstrieb solche zu befolgen ohne Offenbarung oder Gnade durch die Naturkräftecd\cd19 ihrer Vernunft /cdwirklich hätten, und viele unter ihnen die Werke des Gesetzes thäten, odercd\cd21 sich cd22 in ihrem Verhalten /cd, zur Beschämung dercd\cd23 Juden, died25 /cdihr geoffenbartes Gesetz vernachlässigten, darnach richteten.cd\cd26 Nachher beweißtd27 er ausführlichera\a28, daß die Juden, ob sie gleich mehrere äusseread29 Erweckungen und Hülfsmittel gehabt, doch der ganzen Nation nach, nichts besser als die Heiden wären. Die ganze Stelle Röm. 3, 10. f. handelt daher nicht von einer Bösartigkeit, womit die Juden geboren worden sind, sondern von der Lasterhaftigkeit und Verdorbenheit der Nationaldenkartd30, die unter den erwachsenencd31 geherrschet hat. d32 Es ist daher auf ähnliche Art die Stelle Eph. 2, 3. wo Paulus nach Luthers Uebersetzung sagt: wir führten unsern Wandel in Lüsten des Fleisches, und thaten den Willen des Fleisches und der Vernunft,a33 und waren auch Kinder des |c118| Zorns von Natur gleichwie die andern; dem Zusam|b118|menhange und Zweckd34 nach dahin zu erklären: So wie die Heiden nach dem unter ihnen herrschenden Geistd35 der Immoralitätd36 sich allerley Ausschweifungen ergeben haben, so haben wir Juden ebenfalsd37 uns durch sinnliche Lüste und thörichtea38 Einfälle leiten lassen, und sind der Nation nach nicht minder strafwürdige Leute als andre Völker. Es ist also die Lehre der Schriften neuen Testaments, und der ältesten Kirche:a39 daß die Natur, womit wir geboren werden, gut ist, daß aber der unterlassene Gebrauch der Vernunft, des natürlichen Gewissens, und der übri|a108|gen äussernad40 Gelegenheiten zura42 bessern Erkentnißd43 bey Heiden und Juden ein herrschendes Nationalverderben hervorgebracht hatd44: folglich solches nicht aus Adams Falld45 herzuleiten sey/a: obgleich mit Adams erster Sünde die Sünde in die Welt gekommen ist, und alle erwachsene Nachkommen desselben ihm nachgeahmt habena\.
Daß τα θεληματα των διανοιων nichta46 den Willen der Vernunft, sondern der Einbildungen, Einfälle und mit zusammen, das was unsernd47 sinnlichen unter einander laufenden Einbildungen nach uns beliebte, zu erklären sey, bedarf für Sprachkundige keines Beweises. Daß aber φυσις /dselbstd\ in Paulusa48 Sprache die |d106| Herkunft oder die Nation bedeute, erhellet aus Gal. 2, 15. cd49 und daß es solches hier bedeute aus dem Zusammenhange; indem Paulus nicht von angebornen, sondern von wirklich begangenen Sünden, died50 unter den Juden, wie unter andern Völkern,a51 Mode geworden waren, redet.
Daß die ältere Kirche schriftmässigad52 gelehret /ahabea\, dafür will ich blos eine Stelle anführen. Clemensa53 Alex. στρωματεων Libr. 7. sagt: Die Quellea54 aller Sünden sind Unwissenheit und Schwachheit, an beidena55 sind wir schulda56 in so fern wir uns nicht bemühen zu lernen, und die Begierden zu besiegen.
d1: verschiedenead2: bemerken. (a) ; bemerken. (d)ad3: merken:a4: kanna5: Lehrmeinunga6: kommta7: an,cd8: des Apostelsa9: Kindern,cd10: einerc11: reden?d12: zu reden?a13: Capitelncd14: erkläretd15: vorhandened16: anzusehen, Kap. 1, 18. 25.cd17: die Heiden ohne ein geoffenbartes (c) ; die Heiden ohne ein geoffenbartes (d)cd18: die Heiden, ohne ein geoffenbartescd19: zu haben, doch bey dem Gebrauch (c) ; zu haben, doch bey dem Gebrauch (d)cd20: zu haben, doch bey dem Gebrauchecd21: zu richtigen moralischen Einsichten gelangten und einen Ge|d105|wissenstrieb von Natur empfänden,cd22: darnachcd23: zu bestimmen; ja daß viele derselben dem göttlichen Willen gemässer lebten, als die (c) ; zu bestimmen; ja daß viele derselben dem göttlichen Willen gemässer lebten, als die (d)cd24: zu bestimmen; ja daß viele derselben dem göttlichen Willen gemäßer lebten, als died25: welchecd26: sich eines vom Himmel geoffenbarten und ihnen schriftlich überlieferten Gesetzes rühmten.d27: beweiseta28: Auf gleiche Art beweiset erad29: äußered30: Nationaldenkungsartcd31: Erwachsenend32: Kap. 3, 19.a33: Vernunft:d34: Zwecked35: Geisted36: Unsittlichkeitd37: ebenfallsa38: thörigtea39: Kirche,ad40: äußern (a) ; äußern (d)ad41: äußerena42: zud43: Erkentniß,d44: habed45: Fallea46: nicht,d47: unsrena48: Paulicd49: Röm. 2, 14 u. 27.d50: welchea51: Völkernad52: schriftmäßiga53: Clemens.a54: Quellena55: beydena56: schuld,

|b119| |c119| §. 52.

Der dritte Augustinische Hauptsatz ist, daß der Mensch schlechterdings ganz unvermögend sey, etwas zu seiner Besserung beyzutragen, und Gott daher jeden einzelnen guten Gedanken, jede gute Handlung allein in uns wirken müsse; daher niemand durch alles sein aufrichtiges Bestreben sich forthelfen könne, sondern nur derjenige, den Gottes Gnade ergreifea1, gebessert würde, er möchted2 wollen oder nicht. Diese Sätze waren natürliche Folgena3 der zum Grunde liegenden philosophischen Principien. Man hat in der Kirche solche zu mildern gesucht, weil es in die Augen fiel, daß sie /cdgerade zucd\cd4 allen eignend5 Fleiß in der Heiligung, wozu wir |a109| so oft in der heiligen Schrift aufgefordert werden, ersticken. In der lutherischen Kirche hat man den Satz:a6 Gott müsse alles und der Mensch könne nichts zu seiner Besserung thun;ad7 beybehalten, jedoch,a8 um den natürlichen harten Folgerungen zu entgehen, dabey angenommen, daß die Gnade Gottes den Menschen nicht wider seinen Willen bekehre, sondern der Mensch widerstehen könne. Aber auch diese menschliche Hypothese, von derd9 die Schrift nichts enthält, löset sich von selbst /caus einanderc\c10, so bald man frägtd11, was denn der Nichtwiderstand des Menschen sey? ob nicht ein Entschluß des Menschen erfordert werde, nicht widerstehen zu wollen? ob der Mensch sich durch eigne Ueberlegung zu diesem Entschlußd12 bestimmen könne? ob der Mensch die Bestimmungsgründe zu dem Entschlusse, nicht zu widerstehen, durch eigne Kräfte in sich /cdhervor bringencd\cd13 könne? ob |d107| nicht ein natürlichd14 Vermögen, das Guted15 was /acd16a\ zum Entschlußd17 bestimmen soll, als etwas Gutes einzusehen, und eine freiwilligea18 Aufmerksamkeit und Nachdenken darüber erfordert werde? ob also der Mensch nicht viele Handlungen vornehmen mußd19, die durchaus sein eignesd20 Werk sind? denn wenn sie es nicht sind, so hängtd21 auch der |b120| |c120| Nichtwiderstand von ihm selbst nicht ab. Sehet da, Freunde der Wahrheit, wie vield22 Verwirrung menschliche Hypothesen in der Religion hervorgebracht haben, und wie der übertriebne Scharfsinn der Gelehrten, wenn einmal falsche Principien zum Grunde liegen, die leichte Einsicht in die Wahrheit erschweren kanad23.
a1: ergriffend2: mögea3: Folgen,cd4: geradezud5: eigenena6: Satz,ad7: thun,a8: jedochd9: welcherc10: auseinanderd11: frägetd12: Entschlussecd13: hervorbringend14: natürlichesd15: Gute,cd16: unsd17: Entschlussea18: freywilliged19: müssed20: eigenesd21: hängetd22: vielead23: kann

§. 53.

Ehe wir vergleichen, was aus der heiligen Schrift für oder wider die gemeine Hypothese vom gänzlichen Unvermögen der Menschen,a1 etwas zur Förderung ihrer Glückseligkeit beyzutragen, angeführtd2 zu werden pflegt, müssen wir erst das Vorurtheil entkräften, als ob Gott |a110| oder desselben Gnade in Christo desto mehr verherrlichet würde, je verdorbner und unvermögender die menschliche Natur vorgestellet wird. Hierhera3 gehörtd4
  • Alle Realität und alles Gute komta5 von Gott. Von ihm erhalten wir die Kraft zu denken, Wahrheit und Irrthum, Gutes und Böses, Recht und Unrecht zu erkennen, und zu unterscheiden. Er bleibtd6 der eigentliche Vater unsresa7 Geistes, wenn wir gleich durch unsre Aeltern den organischen Körper, durch welchen Begriffe in uns erweckt werden, überkommen: ja auch disd8 ist seine Einrichtung; er bildet uns ohne unsrer Mutter Bewußtseyn, ja ohne daß diese weiß, was dazu gehörtd9, zu unsrer Bestimmung. Die Gesetzed10 nach welchen sich unsre Begriffe formen, nach welchen diese auf unsre Begierden wirken, nach welchen wir uns zu vernünftigen moralischen Wesen entwickeln, sind ebenfalsd11 von Gott, und nur nach diesen Gesetzen können wir denken und wollen. Auch die /aäussernd12 Objektea\a13, und die Wirkung, died14 sie auf uns machen, wodurch die Reihen unsrer Vorstellungen und Begierden bestimta15 werden, sind von Gott hervorgebrachtd16 und in das Verhältniß gegen uns gestelltd17, nach welchem sie auf uns wirken. Und in dieser Beziehung |b121| |c121| ist es unläugbar allgemein wahr, daß ursprünglich alles Gute von Gott komtad18, und d20 der Mensch nicht die geringste reelle Bestimmung in sich erschaffen kanad21, wozu ihm nicht die Kraft so wol als der Stof von Gott dargeboten würded23. Wenn man nun annimta24, daß die Kräfte und die Veränderungsgesetze der Entwickelung unsrer Talente von Natur schlecht sind, und nichts zu unsrer Bestimmung beytragen können, sondern Gott unmittelbar andre Kräfte darreichen, oder den natürlichen Gang der Gedanken, wider die ursprüngliched25 selbst /dgemachte psychologisched\d26 Gesetze,a27 alle Augenblicke abändern müsse, so umwölktd28 man seine Weisheit, |a111| und beschuldiget sie offenbar einer grossenad29 Unrichtigkeit oder Mangelhaftigkeit in ihrem ersten Pland30. Es ist wenigstens klar, daß man Gottes Ehre auf dieser Seite allemal so viel entziehtd31, als man ihmd32 auf der andern beylegen will.
  • Auch verdunkelt man Christi Verdienste um uns und die durch die Sendung desselben geoffenbarte Güte und Weisheit Gottes ungemein, wenn man annimta33, daß Gott auch bey denen Menschen, welchen die Lehre Jesu vorgetragen wird, alle Erkentnißd34, alles Wollen, und alles Vollbringen des Guten noch durch unmittelbare Wirkung hervorbringen oder ergänzen müsse. Aber alsdennd35 wird die Weisheit Gottes in Christo verherrlichet, wenn die Anweisungen desselben unsrema36 schwachen Erkentnißvermögen genau /aangemessen, unda\a37 die Beweggründe der Lehre Jesu,ad38 nach den natürlichen Veränderungsgesetzen unserer Seele gute Gesinnungen und Thätigkeiten hervor zu bringen, hinlänglich sind;a39 wenn Gottes Liebe auch unsrena40 schwachen Augen in Christi Leben und Lehre so reizenda41 erscheintd42, daß wir ihn wieder zu lieben und uns ihm ganz zu widmen bestimtad43 werden. Dann harmonirtd45 Gott in der Natur, in seiner Vorsehung |b122| |c122| und in sei|d109|nen Offenbarungen durch Christum mit sich selbst, und sein Plan ist vollkommen, ohne daß er denselben /daugenblicklich nachzubessernd\d46 nöthig hat.
  • Der Mensch wird auch durch die Lehre, daß seine natürlichend47 Kräfte zu seiner Glückseligkeit mitwirken müssen, gar nicht stolz werden. So bald man nur den manichäischen Irrthum, als ob Natur und Gnade entgegenstehende Principien wären, fahren läßtd48, so zieltd49 alles zu Verherrlichung Gottes und Christi weit sichtbarer ab. Die ganze Natur des Menschen ist ja auch ein Gnadengeschenk Gottes, da unsre ganze Existenz solches ist. Gott kana50 also unmöglich mit sich |a112| selbst streiten, und durch unsre Natur uns von demjenigen Zield51 abziehen, zu welchem er uns durch unmittelbare Wirkungen /cdhin /azu ziehena\a52cd\cd53 sucht. Ist aber alles, was ich auch natürlich Gutes vermag, Gottes Gabe, wie köntea54 ich darauf stolz werden? Und überdisd55, was heißtd56 denn tugendhaft seyn anders, als /ain vollem Maassed57a\a58 das Gute geniessend59, was Gott von allen Seiten der thierischen, geistigen und moralischen Natur des Menschen aus freiera60 Güte darbietet? So bald man also die Menschen von den Begriffen, als ob wir Gott dienen köntena61, und als ob es willkührliche göttliche Vorschriften gäbea62, durch deren Beobachtung wir selbst nicht glücklicher würden, entwöhneta63 hat, so wird ein Mensch sich so wenig auf seinen Fleiß in der Tugend etwas einbilden, als es je einemd64 Menschen einfallen wird, darauf stolz zu werden, daß er selbst Speise und Trank durch seine Naturkräfte geniessend65 kana66, ohne daß erst eine unmittelbare Einwirkung Gottes ihn zum jedesmaligen essencd67 und trinkencd68 geschickt machen muß.
Es verhält sich mit den Augen des Verstandes, wie mit den Augen des Körpers. Wer nicht blind geboren wird, hat das Vermögend69 alle sichtbare Objekte zu erkennen: allein |b123| |c123| wirklich siehet er wegen dieses blossend70 Vermögens noch nichts. Es müssen cd71 Objekte von aussenad72 sich dem Auge in der Nähe und in gerader Linie darbieten, und es muß ein äusseresad73 Licht darüber verbreitet /cdseyncd\cd74. Eben so hat jeder |d110| nicht blödsinnig geborne Mensch das Vermögencd76 alle gedenkbare Wahrheiten einzusehen; wir sehen aber durch das blossed77 Vermögen cd78 noch nichts wirklich ein, sondern es müssen uns erst allecd79 Begriffe von aussenad80 dargeboten werden. Was uns aber näher vorgelegtd81 wird und mit hinlänglicher Klarheit erscheint, das sehen wir wirklich eind82 ohne weitere Hülfe. Durch die Lehre Jesu sind die zu unsrema83 Wohld84 zu erkennen nöthiged85 Objekte erhellet, und nahe vor d86 Augen ge|a113|legtd87 worden. Soltenad88 wir nun doch noch nichts verstehen und einsehen können, so müßte Gott die Augen des Verstandes nicht so gut als die Augen des Körpers formiretd89 haben. Nach Augustins Vorstellung ist aller Menschen Vernunft mit dem Staard90 behaftet, und Gott muß /azu jedem einzelnen Blickd91a\a92, wenn /adem Menschen eine Wahrheit einleuchtena\a93 soll, den Staar durch /cdeinecd\ unmittelbare Wirkung /cdzurücke ziehencd\cd94, und /cdso baldcd\cd95 Gott damit nachläßtd96, ist der Staar wieder /avor dena\a97 Augen. Ob diese Vorstellung Gott verherrliche, mag jeder selbst beurtheilen.
a1: Menschend2: angeführeta3: Hieherd4: gehört:a5: kommtd6: bleibeta7: unsersd8: diesesd9: gehöretd10: Gesetze,d11: ebenfallsd12: äußerna13: äußern Objected14: wel|d108|chea15: bestimmtd16: hergebrachtd17: gestelletad18: kommt (a) ; kommt (d)ad19: kommed20: daßad21: kann (a) ; kann (d)ad22: könned23: werdea24: annimmtd25: ursprünglichend26: gemachten psychologischena27: Gesetzed28: umwölketad29: großend30: Planed31: entziehetd32: ihra33: annimmtd34: Erkentnissed35: alsdanna36: unserma37: angemessen sind, wennad38: Jesua39: sind,a40: unserna41: reitzendd42: erscheinetad43: bestimmt (a) ; bestimmt (d)ad44: bestimmetd45: harmoniretd46: immerfort nachzubessern,d47: natürliched48: lässetd49: zieleta50: kannd51: Zielea52: zuziehencd53: hinzuziehena54: könnted55: überdießd56: heißetd57: Maaßea58: im vollen Maaßd59: genießena60: freyera61: könntena62: gebea63: entwöhntd64: einend65: genießena66: kanncd67: Essencd68: Trinkend69: Vermögen,d70: bloßencd71: diead72: außenad73: äußerescd74: seyn wenn das Auge sie wahrnehmen soll (c) ; seyn wenn das Auge sie wahrnehmen soll (d)cd75: seyn, wenn das Auge sie wahrnehmen sollcd76: Vermögen,d77: bloßecd78: des Verstandescd79: objectivead80: außend81: vorgelegetd82: ein,a83: unsermd84: Wohled85: nöthigend86: died87: gelegetad88: Solltend89: gebildetd90: Staared91: Blickea92: ad actus singulosa93: ein Mensch etwas einsehencd94: zurückeziehencd95: sobaldd96: nachlässeta97: vorn

§. 54.

Alle Schriftstellen,a1 welche man zum Behufd2 der Augustinischen Lehre vom gänzlichen Unvermögen der Menschen etwas Gutes zu erkennen, zu wollen,a3 und zu vollbringen anführet, beweisen blos:a4 daß kein einzelner seinen Naturtrieben überlaßnerd5 Mensch,a6 so wenig als eine ganze in Aberglauben und Lasterhaftigkeit versunkene Nation sich selbst zu richtigen Einsichten in der Religion, und zu wahrer Tugend /aohne äussered7 Hülfea\ erheben könne. In dieser Beziehung wird daher das Evangelium als eine göttliche Kraft, welche die Menschen umschaftd8, einen neuen Geist in ihnen hervorbringtd9 und sie zu guten Werken tüchtig machtd10, beschrieben. Nirgends aber wird |b124| |c124| gelehreta11, daß nun die Christen,a12 welche diesen Geist oder diese neue Einsichten und /aeinea\ dadurch verbesserte Denkungsart überkommen haben, noch zu jedem einzelnen guten Gedanken, Entschlußd13 oder Vollbringen der Vorsätze eine anderweitige Einwirkung der Kraft Gottes erwarten soltenacd14. In eben den Stellen, welche den Worten nacha16 Augustins Lehre am meisten begünstigen, werden die Menschen aufgefordert ihre Kräfte zu brauchen. Das müssen nothwendig |d111| Kräfte seyn, deren Gebrauch von ihnen abhängtcd17, indem Gottes Kraft nicht unter der Disposition der Menschen stehen kana18; folglich eigne zur Natur des Menschen gehörende |a114| Kräfte. Gott ists, sagt Paulus Phil. 2, 13. der in euch wirket, so wol das Wollen als das Ausüben; darum /dbearbeitet euchd\d19 recht stark (κατεργαζεσθε),a20 mit größter Sorgfalt und /cdVorsichtigkeit,a21cd\cd22 glücklich zu werden; wie ihr denn auch bisher schon (der Lehre) folgsam gewesen seyd. Köntea23 die Schrift so reden, wenn blos /ader Nichtwiderstanda\a24 vom Menschen gefordert würde? Köntea25 sie den Christen wold26 befehlen: 2 Petr. 1, 6 f. 10. Wendet allen euren Fleiß, die möglichste Anstrengung (σπουδην πασαν) dazu an, vermittelst der bessern Religionseinsichten nun alle Tugenden zu üben: oder Phil. 4, 8. denket selbst nach, ihr Christen, was ruhmwürdig, anständig etc. ist, und das /dthut.c27 Müßtend\d28 nicht alle unzählige Aufforderungen, Ermahnungen und Befehle, welche die heilige Schrift an die Menschen richtet, wenn Augustin richtig lehrtecd29, an die Gnade Gottes und nicht an die Menschen gerichtet werden, und Petrus und Paulus sagen:a30 verhaltet euch nur ganz ruhig und leidentlich, ihr Christen, suchet nicht selbst zu denken oder etwas zu wirken, denn Gott hat seiner Gnade befohlen, in euch alle Gedanken, Entschliessungend31 und Handlungen ohne euer Zuthun oder Mitwirken hervorzubringen?
|b125| |c125| Paulus lehret 1 Cor. 2, 14. nicht daß, wie Luther übersetzt, ein natürlicher Menschenverstand die höhere Religionserkentnisse nicht fassen könne, sondern nurd32 daß ein /aseelischer oder Seelenmensch (ψυχικος)a\a33 das istd34 ein an blos sinnliche Vorstellungen besonders in der Religion gewöhnter Mensch es nicht könne, sondern daß ein /aGeistesmensch (πνευματικος)d35a\a36 das ist,a37 ein gesetzterd38 im vernünftigen Nachdenken geübter Verstand dazu gehöre: wie der unläugbare Sprachgebrauch der Worte /aSeelenmensch und Geistesmensch (ψυχικοςa\a39 und πνευματικος)a40 unter den jüdischen Gelehrten es mit sich bringt.
dUnd Eph. 5, 8. 9. heißet es: ihr (Heiden) waret ehedem Finsterniß, d. i. in der Religion unwissende und unsittliche Leute, nun aber seyd ihr ein Licht in dem Herrn, d. i. als unterrichtete Christen aufgeklärte Leute, von eigenen hellen Einsichten, und diesen höhern Einsichten handelt nun gemäß.d
a1: Schriftstellend2: Behufea3: wollena4: blos,d5: überlassenera6: Menschd7: äußered8: umschaffed9: hervorbringed10: machea11: gelehrta12: Christen;d13: Entschlusseacd14: sollten (a) ; sollten (c d)acd15: sollena16: nach,cd17: abhängeta18: kannd19: arbeiteta20: (κατεργαζεσθε)acd21: Vorsichtigkeit (a) ; Vorsichtigkeit (c d)acd22: Vorsichtigkeit dahin, uma23: Könntea24: der Nichtwiderstanda25: Könnted26: wohlc27: thut?d28: thut? Müssencd29: lehretea30: sagen,d31: Entschließungend32: nur,a33: ψυχικοςd34: ist,d35: (πνευματικος),a36: πνευματικοςa37: istd38: gesetzter,a39: ψυχικοςa40: πνευματικος

|d112| §. 55.

Der /avierte den praktischen Glückseligkeitslehren des Christenthums sehr nachtheiligea\a1 Lehrsatz ist: daß /aGott uns Christi Gerechtigkeit zurechne, wenn wir sie im Glauben ergreifen, oder daß uns Gott /cdso danncd\cd2 in Christo, als eben so gerechte Leute, wie Christum selbst ansehe. Ob man nun wold3 (nach Chyträus Geständnißd4) Luthern für den ersten Urheber des Satzes: daß der seligmachende Glaube sich eigentlich mit Ergreifung der Gerechtigkeit Christi beschäftige, zu halten hat; so ist er doch eine ganz natürliche Folge aus afrikanischen Auslegungsregeln und Grundsätzen. Denn nach eben den Principien, nach welchen aus Röm. 5. eine Zurechnung der Sünde Adams herausgebracht wird, ist auch die Zurechnung der Gerechtigkeit Christi darin gegründet: und nach eben den Rechtsgründen, nach welchen eine fremde Schuld uns imputirtd5 wird, soll uns auch eine fremde Gerechtigkeit zugeeignet werden. Diese Sätze, von Zurechnung fremder Verdienste, werden in der römischen Kirche noch weiter ausgedehnt, so daß jemand auch andrer Menschen überflüssiged6 gute Werke sich erhandeln und vor Gottes Gericht gegen seine eigne Sünden verrechnen, oder durch Einklei|b126||c126|dung in die Ordenskutte eines frommen Mönchsd7 im sterbend8 vor Gott sich angenehmer machen kand9.a\
ader seligmachende Glaube der Christen sich eigentlich mit der Ergreifung und Zueignung der Gerechtigkeit Christi beschäftige, und Gott dem, welcher zuversichtlich glaubt Christus habe für ihn alles gethan, die Gerechtigkeit Christi zurechne, oder sich denselben so gerecht als Christum selbst vorstelle.a
Da /anuna\ bey /a/cddiesen Lehrsätzencd\cd10 von der cd12 Ueberkleidung mit einer fremden Gerechtigkeitc13 auf einer Seitea\a14 so ausnehmend vield15 verworrenea16 Begriffe zum Grunde liegen, und so viele verführerischea17 Mißdeutungen gewöhnlich sind;a18 auf der andern Seite aber ein grosserad19 Theil der Geistlichen denselben als den rechten Kern /dund Sternd\ des gesamten Christenthums betrachtet, ob er gleich niemals /ain der ältern Kirche geglaubt, noch selbsta\ in unsrer Kirche symbolisch geworden ist, so ist, wenn nicht der ganze Zweck der Religion Jesu verfehlet werden soll, eine deutliche Entwickelung des wahren und des irrigen in demselben nothwendig.
⌇⌇a /aDie Urquelle der Verwirrunga\a20 in der ganzen Lehre von der Imputationd21 der Gerechtigkeit Christi liegtd22 in der fal|d113|schen oder doch undeutlichend23 Vorstellung von dem Grunde und der Absicht der göttlichen Anforderungen an die Menschen, und cd24 der damit verknüpften Vermischung allgemeiner göttlichend25 Gesetze mit den mosaischen Satzungen. Diese Verwirrung zu heben müssen wir erst die wahre Beschaffenheit der göttlichen Gesetze untersuchen. Alle Vorschriften, died26 Gott den Menschen und jeder Vater seinen Kindern ertheilen kana27, sind entweder blos /aväterliche Rathgebungena\a28, durch deren Befolgung die Kinder selbst vollkomnera29 und glücklicher werden, oder es sind Dienstforderungena30, deren Erfüllung den Kindern selbst zu keinem Vortheild31 gereicht.
1. Die Gesetze der /aersten Klassea\a32, welche die Kinder blos belehren, wie sie sich vor Schaden hüten und sich Vortheile und Vergnügen verschaffen können, müssen nothwendig von den Kindern selbst befolgtcd33 werden, und es kana34 ihnen durchaus nichts helfen, wenn sie ein Dritter für sie erfüllen soltea35. So kana36 zum Beyspiel der äl|a116|teste Sohn nicht für seine unartigen Geschwister Arzney ein|b127||c127|nehmen,d37 oder studierena38, weilcd39 wenn auch der Vater dessen gute Handlungen den jüngern Söhnen zu gute rechnen woltea40, diese doch offenbar dabey krank und ungeschickt bleiben würden. Gleiche Bewandnißc41 hat es nun mit allen göttlichen Anweisungen über unser rechtes Verhalten zur Glückseligkeit, /aindem ihrea\a42 Befolgung uns selbst vollkomnera43 und glücklicher macht. Es kana44 uns gar nichts helfen, wenn es auch möglich wäre, daß Gott uns Christi Mässigkeitad45, Vertrauen zu ihm, Geduld unter den Leiden, u. s. w. zurechnen /awolted46; weila\a47 so lange wir selbst noch von Unmässigkeitad48, Mißtrauen zur göttlichen Vorsicht, und ungestümer Ungeduld geplaget werden, unser moralisches Elend immer fortdauret. Es ist aber auch nicht gedenkbar, daß Gott sich uns einen Augenblick anders als wir wirklich sind vorstellen soltea49, indem solches theils an sich ein Irrthum in Gottes Erkentniß wäre, theils uns selbst zum Schaden gereichen würde. Denn wenn Gott sich uns in Christo als moralisch vollkommen denken soltea50, so würde er sich uns in demselbigen als selige Leute vorstel|d114|len, und doch blieben wir die krankena51 und mit uns selbst im Widerspruchd52 lebenden Geschöpfe. Ueberdisd53 schwächet diese Art der Einbildungen nach ihren natürlichen Folgen alle reelle Hofnungen. Ist es an sich möglich, daß Gott sich mich anders vorstelltcd54 als ich wirklich bin, so wird er mich vielleicht im Grabe lassen, und sich vorstellen, als wäre ich in Christo auferstanden und lebte in demselben höchst glückselig. Um diesen falschen Begriffen vorzubeugen, lehret daher die Schrift in eben den Stellen, darin sie sagtd56, daß wir in und mit Christo gestorben sindd57 Röm. 5, 6.a58 daß wircd59 um mit ihm zu leben, nun selbst der Sünde absterben und uns der Rechtschaffenheit und der Tugenden Christi befleissigenad60 sollen, weil eben das wahre Leben hier und in allencd61 Ewigkeiten nur aus den moralisch guten Gesinnun|a117|gen, wodurch wir Christo und Gott ähnlich werden, |b128| |c128| erwächst. Es ist also unläugbar, daß jeder Christ nicht nach dem Maaßd62, nach welchem er sich Christi Gerechtigkeit zurechnet, oder sich versichert hält, daß Gott sie ihm zurechne;a63 sondern nur nach dem Maaßd64, als er selbst Christi Sinn und Denkungsart annimta65 und demselben in seinem ganzen Verhalten nachahmtd66, glückselig werde. Nur hierdurch werden wir selbst vollkomnera67. Ja da auch moralische Vorschriften, und das ist göttliche Gesetzea68 beobachtend69 nichts anders ist, als mit sich selbst in Harmonie kommen und alles von Gott dargebotene Gute in /dvollerm Maaßc70 geniessend\d71, /awie §. 19. gezeigtd72 worden,a\ so folgtcd73 unmittelbar, daß weil wir nicht einen andern für uns geniessend74 lassen können, auch kein andrer für uns Gottes väterliche Anweisungena75 befolgen kanacd76.
2. Die Gesetze der /azweiten Klassea\a78 sind eigentliche Dienstforderungen, deren Leistungenacd79 demjenigen, derd80 sie erfüllet, mehr nachtheilig als vortheilhaft ist: als wenn zum Beyspiel ein Vater von seinem Sohne verlangtcd81, daß er einen Brief bey ungestümen Wetter an einen entfernten Ort überbringen/d, oder seinen ermüdeten kleinern Bruder auf dena82 Arm nehmen und nach Hause tragend\ soll. Dergleichen befohlne Handlungen können von einem dritten übernommen werden, und da gilt die /aRechtsregel: was jemand durch einen andern leisten läßtcd83, wird so angesehen als ob er es selbst gethan habe;a\a84 insonderheit wenn die Genehmigung des Gesetzgebers dazu komta85. Es kana86 also in dem angeführten Falld87 ein Fremder den Brief/d, oder das ermüdete Kindd\ an den bestimtena88 Ort überbringen. Nun /cdfrägtcd\cd89 sich, ob es dergleichen Dienstforderungen Gottes an die Menschen gegeben hat und noch giebt? Hier ist nun Mosesd90 und Christus wohl zu unterscheiden. Mosis Gesetz enthält unstreitig eine Menge solcher Dienstforderungen. /aAllein Mosesd91 hat eigentlich ein Gesetzbuch für die bürgerliche Staatsverfassung der Juden in Palästina liefern wollen: und da Gott unter dem Namen Je|b129||c129|hova /cdzugleichcd\ als das bürgerliche Oberhaupt des israelitischen Staatsd92, oder als der Landesherr derselbenc93 in den mosaischen Gesetzbüchern erscheintd94, dessen Residenz die Stiftshütte und nachmals der Tempel war, so kommen im Mose viele zur Religion gar nicht, sondern blos zur Aufrechterhaltung des jüdischen Staatsd95 erforderliche Gesetze von Abgaben, Lieferungen und Dienstleistungen beym Hoflager des Jehova vor. Da nun aber die Juden das, was zur Staatsverfassung und zur eigentlichen Religion gehörte, nicht unterschieden, so ward nun von Christo und den Aposteln dieser Unterschied, so viel es nach den geringen Fähigkeiten der Juden geschehen konte, ihnen deutlich gemacht, wie ich dieses /cdin den Bestätigungen meines Systems gegen die Einwürfe einiger Gelehrten,cd\cd96 ausführlicher darthuec98. In dieser Beziehung lehrete daher Paulus:a\
aEs haben einige Gelehrten berechnet, daß allein das, was zur Unterhaltung der Hofstaat des Jehova an den Tempel und die Priester jährlich geliefert |a118| werden müssen, über ein Fünftheil der Einkünfte eines jeden Juden betragen hat, wie viele andre willkührliche Vorordnungen enthält nicht der Israeliten Gesetzbuch, deren Befolgung weder ihren innern noch äußern Zustand verbessern konnte. Paulus lehret daher ausführlich:a
daß durch die Beobachtung des mosaischen Gesetzes, weil es selbst an Sinnlichkeit gekränkelt d99, keine höhere Glückseligkeit /dhabed\ befördert werden könnend100, und kein Mensch durch dergleichen Werckeacd101 willkührlicher Verordnungen zu wahrer moralischend102 Güte der Gesinnungen gelange: daß aber Christus nun alle, died103 unter diesem Gesetze seufzeten, erlöset;a104 alle solche den Menschen nicht beseligende Vorschriften abgeschaftcd105, und eine völlige Freiheita106 von allen Dienstforderungen der Gottheit seiner Kirche versichert habe.a107 Folglich hat auch von dieser Seite Christus nichts für uns, died108 Mosis Gesetz nichts angegangen d109, leisten dürfen, was uns zugerechneta110 werden köntea111; aber befreieta112 hat er uns auf immer von dem Aberglauben, |d116| als ob Gott von uns Dienste geleistet haben woltead113. Röm. 8. Gal. 5.
Daß es weder von der ganzen /alutherischen Kirche,a\a115 noch in einem symbolischen Buche derselben, noch in der heiligen Schrift gelehret worden sey, /adaß Christus durch Erfüllung des Gesetzes uns erlöset habe,a\a116 oder /adaß sein thuen|b130||c130|der Gehorsam uns statt eignerd117 Gerechtigkeit angerechnet werde,a\a118 hat schon mein verehrungswerther Lehrer und Amtsvorgänger D. Töllner mit seiner bekantena119 scharfsinnigen Genauigkeit in einem /deignen Buch:d\d120 der thätige Gehorsam Christi betitelt, sehr ausführlich dargethan.
a1: vierte in der afrikanischen Kirche gleichfals zuerst aufgekommne und nachher auf mancherley Art ge|a115|formtecd2: sodannd3: wohld4: Geständnissed5: imputiretd6: überflüßiged7: Mönchesd8: sterben,d9: kanncd10: diesem Lehrsatz, (c) ; diesem Lehrsatz, (d)cd11: diesem Lehrsatze,cd12: gläubigenc13: Gerechtigkeit,a14: diesem Lehrsatzd15: vielea16: verworrnea17: verführischea18: sind,ad19: großera20: Das πρωτον ψευδοςd21: Zurechnungd22: liegetd23: verworrenencd24: ind25: göttlicherd26: welchea27: kanna28: väterliche Rathgebungena29: vollkommnera30: Dienstforderungend31: Vortheilea32: ersten Classecd33: befolgeta34: kanna35: solltea36: kannd37: einnehmena38: studirencd39: weil,a40: wolltec41: Bewandtnißa42: derena43: vollkommnera44: kannad45: Mäßigkeitd46: wolltea47: wollte, indemad48: Unmäßigkeita49: solltea50: solltea51: Krankend52: Widerspruched53: Ueberdiescd54: vorstellet (c) ; vorstellet (d)cd55: vorstellet,d56: sagetd57: sind,a58: 6.,cd59: wir,ad60: befleißigencd61: alled62: Maaßea63: zurechne,d64: Maaßea65: annimmtd66: nachahmeta67: vollkommnera68: Gesetze,d69: beobachten,c70: Maassed71: vollerem Maaße genießend72: gezeigetcd73: folgetd74: genießena75: Anweisungacd76: kann (a) ; kann (c d)acd77: könnea78: zweiten Classeacd79: Leistungd80: welchercd81: verlangeta82: demcd83: läs|d115|seta84: Rechtsregel quod quis per alium facit ipse fecisse putatur,a85: kommta86: kannd87: Fallea88: bestimmtencd89: fräget esd90: Mosed91: Mosed92: Staatesc93: desselbend94: erscheinetd95: Staatescd96: im 6ten Abschnitt §. 87 bis 90. (c) ; im 6ten Abschnitt §. 87 bis 90. (d)cd97: im 6ten Abschnitte §. 87 bis 90. c98: thued99: habed100: könneacd101: Werked102: moralischerd103: welchea104: erlöset,cd105: abgeschaffeta106: Freyheita107: habe[.]d108: welched109: ista110: imputirta111: könntea112: befreyetad113: wollte (a) ; wollte (d)ad114: wollea115: Lutherischen Kirchea116: daß Christus durch Erfüllung des Gesetzes uns erlöset habe,d117: eigenera118: daß sein thuender Gehorsam uns imputirt werde,a119: bekanntend120: eigenen Buche,

§. 56.

Es frägtc1 sich nun zweitensa2: In wie fernd3 Christi Leiden uns von Gott zur Strafe für unsre Sünden angerechnet werden, oder was für Strafen Christus an unserer Statt habe übernehmen und erdulden können? Um |a119| hierüber helle Einsichten zu erhalten, muß man sich vor allen Dingen recht deutlich auseinandera4 setzen, was eigentlich Strafen sind. Man kana5 /cdgewisser maßencd\cd6 sagen, daß alle Verwirrungen in der gesamten praktischen Religion aus der Verworrenheit des Begrifs der göttlichen Strafen entstehen, und daß daher durch eine richtige Entwickelung dieses auf einmal /adie meistena\a7 Mißverständnisse in der Lehre von Christo und der von ihm gestifteten Versöhnung ihre Auflösung erhalten;a8 und hiermit zugleich die Hindernisse, welche den praktischen Einfluß Christenthums auf das natürliche Gewissen der Menschen hemmen, weggeräumet werden. Ich will also versuchen,a9 ob ich nicht auch für solche Leser, die keine geübte Metaphysiker sind, einen Weg bahnen könnea10, auf welchem sie sich aus dem Labyrinthd11 der hierüber vorhandnend12 in einander laufenden /agelehrten Meinungena\a13 heraus helfen können. Man bemerke also hierüber zuvörderst folgendes:
  • Bey allen freiena14 Handlungen muß man das physische (materiale) der Handlung von dem moralischen (formali) derselben unterscheiden. Das physische bestehet in der blossend15 Anwendung der Kraft, eine Veränderung |d117| hervorzubringen, oder in der blossend16 Handlung selbst. Das moralische ist die Beziehung, welche die Handlung auf ein bekantesa17 Gesetz hat. Z. B. Zwey |b131| |c131| Kinder gehen eine Meile; das eine Kind thut es auf Befehl seines Vaters, das andre wider ein ausdrücklichd18 Verbot seiner Aeltern. Hier ist die physische Handlung bey beyden einerley; sie gehen einen Weg und gleich weit: aber die verschiedned19 Beziehung ihrer Handlung auf ihnen bekantea20 Gesetze macht den moralischen Unterschied aus; das eine /aKinda\ leistet eine Pflicht, das andre begeheta21 einen Ungehorsam.
  • Das physische so wol,a22 als das moralische der Handlung hat jedes seine eigned23 besondre Folgen, died24 wohl von einander unterschieden werden müssen. |a120|
    • a) Die Folgen des physischen in der Handlung sind diejenigen, welche die Handlung haben würde, wenn auch kein Gesetz darüber vorhanden wäre, und welche daher so wol bey denen statt finden, die durch die Handlung eine Pflicht zu leisten suchen, als bey denen, welche dadurch einen Ungehorsam beweisend25. In dem gegebenen Beyspield26 von den mit einander einerley Weg wandernden Knaben sind die Folgen der physischen Handlung gleich, so wol die natürlichen als die zufälligen. Beyde werden ermüdet; disd27 ist die natürlichea28 Folge. Beyde werden, wenn sie ein Ungewitter überfälltd29, gleich naß;a30 beyde bekommen, wenn sie schwächlich sind, ein Fieber davon; disd31 sind /azufällige Folgen der blos physischen Handlunga\a32, welche keine Beziehung auf den Gehorsam oder Ungehorsam haben, dend33 die Kinder dadurch beweisen.
    • b) Die Folgen des moralischen der Handlunga34 entstehen aus der Beziehung derselben auf ein bekantesa35 Gesetz. Man theilet solche in natürliche und willkührliche ein.
      • 1) Die /anatürlichen Folgen der Moralitäta\a36 einer Handlung sind blos innerliche, welche aus dem Bewußtseyn recht oder unrecht gehandelt zu haben er|d118|wachsen. In unsrema37 Exempel sind die natürlichen |b132| |c132| Folgen der Moralität bey dem ungehorsamen Kinde, daß es über sich selbst verdrießlichcd38 wird, sich ohne Noth Ermüdung, Verderbung der Kleidera39 und Krankheit zugezogen zu haben, daß es sich schämet und ängstigeta40 vor dem Vater zu erscheinen, und die Ausbrüche seines Unwillens fürchtet: bey dem gehorsamen Kinde /adagegena\, daß es innerlich ruhig ist, sich freuetd41 dem Vater gefällig geworden zu seyn, und neue desto /agrössered42 Liebeserweisungena\a43 zur Vergütigungad44 der überstandnend46 Unbequemlichkeiten frölich erwartet. |a121|
      • 2) Die /awillkührlichen Folgen der Moralitäta\a47 der Handlung sind die, welche der Gesetzgeber über den Thäter verhängtd48: alsa49 wenn in unsrema50 Fallcd51 das ungehorsame Kind vom Vater /cddiecd\cd52 Ruthe /cdbekomta53cd\cd54, und die verdorbenead55 Kleider zu seiner Beschämung öffentlich tragen muß;a57 das gehorsamea58 dagegen geliebkoset und gelobt,a59 und noch schöner als vorher neu gekleidet wird.
      • 3) Nur diejenigen Folgen, welche das moralische einer Handlung hat, sind Belohnungen und Strafen, und niemals müssen die Folgen dera60 physischen Handlung darunter gerechnet werden. Disd61 wird im gemeinen Sprachgebrauchd62 nicht beobachtet,a63 und eben disd64, daß man die Folgen der physischen Handlung auch als Belohnungen und Strafen ansiehet, ist eine Hauptquelle der Verwirrung in der Lehre von den göttlichen Strafen und von der Genugthuungad65 Christi. Man wird im gemeinen Leben zu einem ungehorsamen Kinde, welches wider den Willen seines Vaters eine Meile gelaufen und davon krank geworden ist, sagen: siehe,a66 das ist die Strafe der Sündea67 und deines Ungehorsams. Daß aber disd68 offenbar unrichtig sey, erhellet daraus, daß eben disd69 Kind, wenn es denselben Weg auf Befehl des |b133| |c133| Vaters gegangen wäre,a70 und also einen Gehorsam geleistet hätte, unläugbar eben so krank geworden seyn würde. /aAber |d119| das ist seine natürliche Strafe, daß es sich als den Urheber seines Uebelbefindens selbst ansehen muß.a\
c1: fragta2: zweytensd3: fernea4: aus einandera5: kanncd6: gewissermaßena7: allea8: erhalten,a9: versuchena10: kannd11: Labyrinthed12: vorhandenena13: theologischen Hypothesena14: freyend15: bloßend16: bloßena17: bekanntesd18: ausdrücklichesd19: verschiedenea20: bekanntea21: begehta22: wold23: eigened24: welched25: begehend26: Beyspieled27: diesesa28: natürliched29: überfälleta30: naß,d31: diesesa32: zufällige Folgen der blos physischen Handlungd33: welchea34: Handlung,a35: bekanntesa36: natürlichen Folgen der Moralitäta37: unsermcd38: verdrüßlicha39: Kleider,a40: ängstetd41: freuet,d42: größerea43: größre Liebeserweisungad44: Vergütung (a) ; Vergütung (d)ad45: Vergütigungend46: überstandenena47: willkührlichen Folgen der Moralitätd48: verhängeta49: Alsa50: unsermcd51: Fallecd52: mit deracd53: bekommt (a) ; bekommt (c d)acd54: gezüchtiget wirdad55: verdorbne (a) ; verdorbne (d)ad56: verdorbenena57: muß,a58: Gehorsamea59: gelobta60: derd61: Diesesd62: Sprachgebrauchea63: beobachtetd64: dießad65: Genungthuunga66: siehea67: Sünde,d68: diesesd69: diesesa70: wäre

§. 57.

Da diecd1 /aFolgen des physischen in unsren Handlungena\a2 nicht zu den Strafen gehören, so kana3 auch Christus dieselbe nicht für uns übernommen haben. Disd4 beweiset nun auch die Erfahrung. Ein Mensch, der sich durch Unmäßigkeitc5 Armuth und Krankheit zugezogen, oder durch Betrug und Thorheiten die Achtung seiner Mitbür|a122|ger verscherzet hat, erhält durch den Glauben an die Gnade Gottes cd6 Vermögen, Gesundheit und Ehre nicht wieder; sondern nur wenn und in so fernd7 er durch die Regelmäßigkeitc8 seines Verhaltens sich solche aufs neue erwirbt. Mit dem Tode hören auch nur diejenigen üblen physischen Folgen unsrer Handlung auf, welche den Körper und den äussernad9 Zustand betreffen, und disd10 ist bey allen Menschen, bekehrten und lasterhaft sterbenden gleich. /aDer, welcher seine Gesundheit oder Vermögen seinen Pflichten aufgeopfert hat, und der, welcher beides durch lasterhafte Ausschweifungen verlor, werden durch den natürlichen Tod auf gleiche Art von Schmerzcd11 und /cddem Druckcd\cd12 des Mangels befreietc13.a\ Aber die innred14 oder mehr geistiged15 Folgen bleiben dieselben. Wer hier verabsäumet hat Erkentnisse einzusamlen, und gute Fertigkeiten durch Uebung zu erhalten, der bleibt in alle Ewigkeit unvollkomnera16, als wenn er zeitiger angefangen hätte,a17 sich gut zu verhalten:a18 und in alle Ewigkeit muß jede Rückerinnerung an begangned19 Thorheiten uns unangenehm bleiben, und das Andenken an edle Handlungen unsre Zufriedenheit vermehren. Hieraus folgtcd20, daß die Zueignung des Verdienstes Christi die natürlichen üblen Folgen unsrer Handlungen nicht ab|b134||c134|ändertd21, und in dieser Beziehunga22 sich unser innrerd23 und äussererad24 Zustand nur in so /dfern verbessertd\d25, als wir selbst so handeln, daß die physischen Folgen uns vortheilhaft werden. /aDie größte Wohlthat, welche Christus dem menschlichen Geschlechtd26 gewähret cd27, ist also darin zu setzen, daß wir durch |d120| seine Lehre die Weisheitc28 überkommen, alle Handlungen zu vermeiden, deren physische Folgen uns elend und unglücklich machen: das ist, daß er von der Sünde selbst eine Erlösung oder Befreiung gestiftet hat. Denn die Sünde ist, ohne willkührliche Strafen der Gottheit, schon an sich der Leute Verderben. Sprw. 14, 34.cd29a\
cd1: diea2: Folgen des physischen in unsern Handlungena3: kannd4: Diesesc5: Unmässigkeitcd6: in Christo,d7: fernec8: Regelmässigkeitad9: äußernd10: diesescd11: Schmerzencd12: vom Druckec13: befreitd14: innerend15: geistigena16: unvollkommnera17: hättea18: verhalten,d19: begangenecd20: folgetd21: abänderea22: Absichtd23: innererad24: äußererd25: ferne verbessered26: Geschlechtecd27: hatc28: Weißheitcd29: Jak. 1, 15. 1 Joh. 3, 4–10. Kap. 1, 7.

§. 58.

Nun ist weiter zu untersuchen, von was füra1 üblen Folgen der Moralität oder des formalis unsrer Handlungen, als welche nur eigentlich Strafen sind, uns Christus befreiet habe? Hierbey müssen wir uns nun deutlich entwickeln, /atheils was für natürliche, theils was für willkührliche Strafen die Sünden gegen Gott in Absicht ihrer Moralität nach sich ziehen.a\a2 Was nun erstlich /adie natürlichen Folgena\a3 der Thorheiten und Bosheiten betrift, welche unmittelbarc4 aus dem Bewußtseyn schlecht gehandelt zu haben erwachsen, so sind solche von einer doppelten Art: |a123|
  • Ohne Rücksicht auf den Gesetzgeber, bringtd5 schon die Bemerkung, daß wir selbst Urheber der Verschlimmerung unsres Zustandes sind, in uns Verdruß gegen uns selbst hervor. Dieser innred6 Verdruß ist allezeit genau der Moralität der Handlung proportionirt. Je wichtiger die üblen physischen Folgen einer Handlung sind, je mehr daher die Handlung unsre vorläufige Ueberlegung verdientd7 hätte;a8 je mehr wir Zeit und Veranlassung hatten, solche vor der Verrichtung derselben anzustellen;a9 und je leichter wir die begangned10 Thorheit hätten vermeiden können;a11 desto heftiger ist |b135| |c135| der innre Unwille und Verdruß gegen uns selbst. Diese üble Folge jeder Handlung gegen unsre Vernunft und gegen uns mögliche bessere Einsichten findet ohne Ausnahme bey allen Menschen statt, auch wenn sie von keinem Gott, oder von keinen göttlichen Vorschriften etwas wissen. /aJe verständiger und klüger indesd12 ein Mensch ist, desto empfindlicher ist das innred13 Mißvergnügen über sich selbst bey ihm;d14 wenn er |d121| sich eine Thorheit begangen zu haben bewußt wird.a\ Es ist aber diese natürliche Strafe etwas wohlthätiges, indem jeder dadurch zu grössererd15 Vorsichtigkeit, und /dbesserm Gebrauchc16d\d17 der Vernunft erwecktcd18 wird. Christus hat uns auch daher von /adieser Strafea\a19 nicht befreiena20 können, und auch der gebesserted21 Mensch empfindet dieselbe noch bey jeder Uebereilung zur Besserung. Die tägliche Reue oder Bussead22 bey der Gewissensprüfung erfordert sogara23, dieses moralische Mißvergnügen über sich selbst möglichst zu erwecken und zu unterhalten.
  • In Absicht auf den Gesetzgeber, entstehen mit dem Bewußtseyn, denselben beleidigetc24 zu haben, sehr unangenehme Vorstellungen, welche aber von sehr verschiednerd25 Art seyn können, nachdem wir uns desselben Charaktera26 mehr oder weniger fürchterlich oder liebenswürdig denken.
    • a) Wenn wir uns den Gesetzgeber als einen Tyrannen vorstellena27, der harte Dienste fordert, und jedes Versehen, jede geringe Verabsäumung mit unbarmherzi|a124|ger Strenge bestraftcd28, so wird eine sklavischea29 Furcht mit dem Bewußtseyn ihn beleidiget zu haben entstehen, welche mit ängstlicher Bemühungd30 ihm zu entfliehen, oder uns doch möglichst lange vor ihm zu verbergen, verbunden seyn wird. Einen solchen Despoten werden wir von ganzem Herzen hassen, uns gegen seine Peinigungen verhärten, oder in Ver|b136||c136|zweifelung gerathen, wenn wir kein Mittel ihm zu entrinnen und kein Ende der Quaalen absehen können. Das ist die Traurigkeit des Judenthums, die den Tod wirket,a31 2 Cor. 7, 10.cd32
    • b) Wenn wir uns aber den Gesetzgeber als einen gütigen und einsichtsvollen Vater denken, welcher bey seinen Vorschriftencd33 nur zur Absicht hat, daß wir durch ihre Befolgung glücklicher werden sollen, und der es weit besser als wir versteheta34, was zu unsrema35 wahren Besten gereicht, so werden ganz andre Empfindungen in uns erregtd36 werden. Zwar werden wir uns bis insd37 innerste der Seelea38 vor ihm /cdschämencd\cd39; aber ihn dennoch lieben, uns nicht fürchten, daß er uns noch elender machen werde, als unsre Thorheit uns schon gemacht hat: wir werden zu ihm eilen, uns demüthigen, von ganzem Herzen Besserung angeloben, und uns bestrebend40 durch vermehrten Eifer in Befolgung seiner Vorschriften ihm wohlgefällig zu werden. Discd41 ist die Traurigkeit, die zu Gott führt,acd42 2 Cor. 7, 10.cd44
      Nun können wir das grossead45 Werk der Erlösung Christi erklären:
      • I. ind46 Absicht der Juden. Dieser Nation erschien in der mosaischen Gesetzgebung der Jehovaa47 nicht als ihr Schöpfer und Vater, sondern als ein strenger Gesetzgeber, derd48 sein Recht, daß Israel ihm dienen mußte, auf die Eroberung dieser Nation von den Egyptern oder auf die Loskaufung derselben aus ih|a125|rer egyptischen Sklavereya49 zu einem ihm nun eigenthümlich zugehörigen Volkd50 gründete,a51 2 Mos. 20, 2. 5. 5 Mos. 5, 6. Ebr. 8, 9. der seine Dienstforderungen mit den schrecklichsten Verfluchungen gegen die Uebertreter unwiederruflichd52 verpönt hatte,a53 5 Mos. 28, 15a54 f. K. 29. Gal. 3, 10. und welcher |c137| nach den zu Christi Zeiten herrschenden Lehrmeinun|b137|gen der Pharisäer, die Strafen derjenigen Sünden,a55 für welche geopfert wurded56 nur aufschob, solche aber im Tode durch den Satan oder Asmothi, der im Sterben dem Menschen leibhaftig erschien, vollziehen ließ: daher der Jude lebenslang /ddie sklavischteac57d\d59 Furcht und Angst vor dem Tode hatte, indem sterben und ins Reich des Satans überliefert werden, ihm gleichbedeutend waren. Diese Nation der Juden erkaufte und erlösete nun Christus,a60
        • 1) Von dem gesamten mosaischen Frohndienste und d61 allen willkührlichen Anforderungen Gottes an sie, daß sie sich nicht mehr als Knechte des Jehovaa62, sondern als Kinder des Vaters im Himmel betrachten |d123| durften,a63 /cdGal. 4, 4–7.cd\cd64 Mose selbst war nur ein Knecht im Hause Gottes gewesen, und ihm waren die Juden während der Kindheitsjahre als einem Zuchtmeister überlassen worden, dagegen versetzte sie nun Christus als der Sohn Gottes in die völlige Freiheita65, und in den völligen Genuß des ihnen bestimtena66 Guten, und erklärte sie für volljährig, so daß sie nun nach ihren eignend67 Einsichten zu handeln berechtiget wurden, ohne sich an ihres ehemaligen Hofmeisters Vorschriften weiter kehren zu dürfen,a68 Ebr. 3, 5. 6. Joh. 8, 36. /cdGal. 4, 24a69 f.cd\cd70 K. 5, 1 f. denn der ganze Gottesdienst nach Mosis Einrichtung war ein unfruchtbarer Dienst, der nichts dazu beytrugd71 höhere Glückseligkeit 1 Petr. 1, 18. cd72 indem durch |a126| denselben die Juden nur an sinnliche Begriffe in der Religion gewöhnt wurden, Röm. 8, 3. (ησθενει) und daher zu keinen höhern Einsichten, welche die Anwendung der obern Seelenkräftea73 erfordern, gelangen kontena74, 1 Cor. 2, 14. (ψυχικος.) Die mosaischen Dienstforderungen waren eine Last, |c138| welche die Juden nie hatten ertragen können,a75 Apostg. |b138| 15, 10. wodurch sie in lauter Angst und Elend versetzt wurden,a76 2 Cor. 3, 6. 7. ja welche in ihnen Widrigkeit und feindselige Gesinnungen gegen Gott erregten,a77 Röm. 14, 15. K. 8, 3. 15. hiervon erlösete und erkaufte Christus sie auf immer. Ebr. 9, 12 f. 1 Petr. 1, 18. und wer sich nun abermals durch Annehmung der Beschneidung in disd78 sklavischea79 Joch der mosaischen Dienstforderungen gefangen nehmen ließ, dem half alles, was Christus gethan und gelehret hatte,a80 nichts, Gal. 5, 1a81 f. weil eben darin die durch Christum offenbarted82 göttliche Gnade und desselben Verdienst um die Menschen zu setzen ist, daß er allen Aberglauben, als ob Gott etwas andersd83, als vernünftige Bestrebung nach Glückseligkeitc84 von |d124| uns fordertecd85, aufgehoben hat, so daß nur ein einziges göttliches allgemeines Gebot für uns gültig bleibt; unsre Mitmenschen als uns selbst zu lieben,a86 Gal. 6, 4. 7. 9. d87
        • 2)
          Von der sklavischena88 Furcht, daß die Vergehungen wider Mosis Gesetz an ihnen im Sterben gerochen, und sie durch den Tod dem Satan zur Vollziehung aller Verfluchungen überliefert werden würden. Christi Tod ist erfolgt zur Erlösung von allen Uebertretungen des alten mosaischen Bundes, Ebr. 9, 15. zur Versicherung der Vergebung für alle Sünden, für welche bis dahin die Strafen von Gott aufgeschoben waren,a89 Röm. 3, |a127| 25. nicht für Sünden der Christen, Ebr. 10, 26. und er hat also alle von dem /dZorn, dend\d90 man als noch bevorstehend dachte, erlöset 1 Thess. 1, 10. Er hat durch seinen Tod /adie Idee von einem Gewalthaber des Todes (עזמות, κρατος εχων του θανατου) vernichtet, soa\a91 daß a92 alle von der sklavi|c139|schena93 Furcht vor einema94 Todesengel oder a95 Fürsten |b139| der Finsterniß befreiet /aworden sind,a\a96 Ebr. 2, 14. 15. /averglichen mit Tob. 3, 8.a\ 1 Tim. 1, 10. Col. 1, 13. 14. ja indem er sein Leben durch einen gewaltsamen Tod am Holzd97 beschlossen, so hat er alle Verfluchungen des Gesetzes vereitelt,a98 Gal. 3, 13.
          Disd99 ist also die Lehre der Schrift. Jeglicher Jude ward,a100 /cdso baldcd\cd101 er glaubte, Jesus sey der Christ, der Sohn des lebendigen Gottes, sogleich hierdurch selig, oder errettet von der niederdrückenden Last der Zwangsdienste, und den Verfluchungen des mosaischen Gesetzes, und zu einer lebendigen Hofnung wiedergeboren,a102 1 Petr. 1, 3 f. 2 Tim. 1, 10.a103 er bekam einen kindlichen Geist,a104 Röm. 8, 15a105 f. und kontea106 sich nund107 ohne weiter der Vermittelung eines Hohenpriesters zu bedürfen, und ohne Gaben und Opfer zu bringen, überall /azu Gott,a\a108 seinem Vater unmittelbar nahen. Röm. 5, 1. 2. Eph. 2, 18. 3, 12. Ebr. 10, 14–24. Frägt man weiter, wie denn eigentlich |d125| der Tod Jesu die Erlösung der Juden bewirktd109 habe, so erklärtd110 die Schrift uns dieses ganz anders, als unsre kirchlichen Lehrbücher. Der Jude,a111 sagt Paulus,a112 ist ans Gesetz gebunden so lange er lebtcd113, durch die Taufe wird er in Christi Tod getauft,a114 und ist also mit ihm den Satzungen abgestorben, er lebt nun nicht mehr als ein Mitbürger der Judenwelt, sondern indem er aus dem Taufwasser heraussteigtcd115, wird er zu einem neuen Leben mit Chri|a128|sto auferwecket, Röm. 7, 1 f. K. 6, 3 f. Col. 2, 11 f. 14, 15. 20 f. K. 3, 1 f. Das Sterben hörtd116 nun auf als eine Ueberlieferung in Satans Reich zu erscheinen, da Christus gestorben ist,a117 Ebr. 2, 14. 15. 2 Tim. 1, 10. 1 Cor. 15, 55. 57. Alle Verfluchungen des Gesetzes sind |c140| vereitelt, da Christus sein Leben an einem Pfahle |b140| beschlossen, /adenn sonst würdea\a118 der Sohn Gottes auch ein Verfluchtera119 seyn a120, wenn man Mosen noch hören wolte;ad121 Gal. 3, 13. so hat also Christus die Handschrift, died123 gegen die Juden war, mit sich ans Kreuza124 geheftet und vertilget. Col. 2, 14. 15. 20.
      • II. In Absicht der Heiden erwähnt die heilige Schrift keiner Erlösung von Strafen;a125 denn /cddiese hattencd\cd126 die fürchterlichen Vorstellungen cd127, welche Mosis Gesetz,a128 oder vielmehr die pharisäische Auslegung desselben zu Christi Zeiten, von bevorstehenden willkührlichen göttlichen Strafen im Reichd129 des Satans bey den Juden erweckte/cd, nichtcd\. Gott hat die Zeit der Unwissenheit übersehen, sagt Paulus/a, in Absicht der Heiden,a\ Apostelg.d130 17, 30. 31. nun aber bietet er durch Christum einen bessernd131 Unterricht dar, und verlangtcd132, daß alle ihre moralische Gesinnungen bessern sollen; denn durch Christum sind die menschenfreundliched133 Gesinnungen Gottes bekanta134 gemacht worden, daß alle Völker von den sie elend machenden Thorheiten, Aberglauben und Lastern befreieta135, und durch göttliche Gesinnungen und d136 Thätigkeit im Guten ganz neue glückselige Menschen werden können. |d126| Tit. 2, 11–14. Eph. 1, 13. 14,acd137 K. 2. Col. 1, 21. 22. 28. Apostelg. 16, 18.
      • III. In Absicht der Juden und Heiden im Verhältnißd138 gegen einander und gegen Gott,a139 wird gelehrtcd140 1 Cor. 1, 30. daß alle Nationen im Christenthumd142 das fänden, was sie auf verschiedenen Wegen vergeblich ge|a129|suchtcd143 hätten, nemlich die Griechen, die nach Weisheit geforschet hätten, göttliche Weisheit, einen wahren göttlichen Unterricht, wie man zur Glückseligkeit gelangen könne, so daß man mit Recht fragen kanad144 v. 20. wo sind die Weisen? was sind gegen Christum alle heidnische Götter-a146 und Tugend|b141||c141|lehrer? Die Juden, welche durch Beobachtung ihrer Gottesdienstlichkeiten und Gebräuche gerecht werden woltenad147, viel mit Reinigungen und Abwaschungen zu thun hatten, und auf eine wunderthätige Erlösung aus den Händen ihrer Feinde, wie ehemals aus Egyptens Sklavereya148 warteten; wahre Gerechtigkeit oder Rechtschaffenheit,a149 wodurch man Gott wohlgefällig wird,d150 wahre Reinigung von Sünden durch Verbesserung der Gesinnungenacd151 und die herrlichste Erlösung von sklavischena153 Frohndiensten und eitlen Befürchtungen, zur Freiheita154 und Freudigkeit, died155 erwachsenen Söhnen /dim Verhältnißd\ gegen den gütigsten Vater zukomta156, so daß man mit Recht fragen kana157, v. 20. wo sind die Schriftgelehrten? was ist hiergegen alle jüdische Rechtsgelehrsamkeit? Beide Juden und Heiden, welche so wol um der mosaischen Gesetze willen in Feindschaft unter einander, als auch wegen schlechter Erkentnisse von den gütigen Gesinnungen Gottes,a158 in beständiger Furcht und ängstlicher Erwartung göttlicher Verhängnisse und Strafen ohne Hofnung, ohne Vertrauen zu Gott, und daher in Feindschaft gegen denselben lebten, sind durch Christi Tod nun unter einander und mit Gott ausgesöhnet worden, und werden durch Christum und desselben Gesandten nun /cdgebeten, dochcd\cd159 sich , d. i. alle fürchterliche Begriffe von willkührlichen Behandlungen Gottes aufzugeben, und Vertrauen und Freudigkeit zu ihm zu fassen, |d127| und nunmehro gern |a130| seinen väterlichen Rathgebungen zu folgen. /cdCol. 1, 15–20.cd\cd160 Eph. 2, 12–18 f. /cdRöm. 5, 12. 5–11.cd\cd161
a1: vora2: theils was für natürliche, theils was für willkührliche Strafen die Sünden gegen Gott in Absicht ihrer Moralität nach sich ziehen.a3: die natürlichen Folgenc4: unmittelbar,d5: bringetd6: innered7: verdieneta8: hätte,a9: anzustellen,d10: begangenea11: können,d12: indeßd13: innered14: ihm,d15: größererc16: Gebrauched17: besserem Gebrauchecd18: erwecketa19: derselbena20: befreyend21: gutdenkendead22: Bußea23: so garc24: beleidigtd25: verschiedenera26: Charactera27: denkencd28: ahndeta29: sclavisched30: Bemühung,a31: wirketcd32: Ebr. 2, 14. 15.cd33: Befehlena34: verstehta35: unsermd36: erregetd37: in dasa38: Seelencd39: schämen, wenn wir uns ei|d122|ner Vergehung gegen seine Vorschriften bewußt werdend40: bestreben,cd41: Diesesacd42: führt. (a) ; führt. (c d)acd43: führet,cd44: Luc. 15, 18–24.ad45: großed46: Ina47: Jehovahd48: welchera49: Sclavereyd50: Volkea51: gründete.d52: unwiderruflicha53: hatte.a54: 15.a55: Sündend56: wurde,ac57: sclavischte (a) ; sclavischte (c)ac58: sklavisched59: eine sklavischea60: Christus.d61: vona62: Jehovaha63: durften.cd64: Gal. 4, 24. Kap. 5, 1.a65: Freyheita66: bestimmtend67: eigenena68: dürfen.a69: 24.cd70: Gal. 3, 23. K. 4, 1–7.d71: beytrug,cd72: 2 Cor. 3, 6.a73: Selenkräftea74: konntena75: können.a76: wurdena77: erregten.d78: diesesa79: sclavischea80: hattea81: 1.d82: geoffenbarted83: anderesc84: Glückseeligkeitcd85: forderea86: lieben.d87: Joh. 13, 34.a88: sclavischena89: warend90: Zorne, welchena91: den Asmothi (κρατος του θανατου) aufgehoben,a92: nuna93: sclavischena94: dema95: dema96: werden.d97: Holzea98: vereitelt.d99: Diesesa100: wardcd101: sobalda102: wiedergeboren.a103: 10,a104: Geista105: 15.a106: konnted107: nun,a108: Gottd109: bewirketd110: erkläreta111: Judea112: Pauluscd113: lebeta114: getauftcd115: heraufsteigetd116: höreta117: ista118: und alsoa119: verfluchtera120: würdead121: wollte, (a) ; wollte, (d)ad122: wollte;d123: welchea124: Kreutza125: Strafen,cd126: unter diesen herrschtencd127: nichta128: Gesetzd129: Reiched130: Apostg.d131: höherencd132: verlangetd133: menschenfreundlichena134: bekannta135: befreyetd136: durchacd137: 14.d138: Verhältnissea139: Gottcd140: gelehret (c) ; gelehret (d)cd141: gelehret,d142: Christenthumecd143: gesuchetad144: kann (a) ; kann (d)ad145: kan,a146: Götterad147: wolltena148: Sclavereya149: Rechtschaffenheitd150: wird;acd151: Gesinnungen, (a c) ; Gesinnungen, (d)acd152: Gesinnungen;a153: sclavischena154: Freyheitd155: welchea156: zukommta157: kanna158: Gottescd159: aufgefordert,cd160: 2 Cor. 5, 18–21.cd161: (Col. 1, 15 f.) Röm. 8, 15.

§. 59.

Da die heilige Schrift nirgends lehret, daß Gott habe versöhnet, oder zu bessern Gesinnungen gegen |b142| |c142| uns gebracht werden müssen, sondern überall sagtcd1, daß er durch Christum die Welt mit sich, und die Nationen unter einander ausgesöhnet, das ist, gegen sich geneigter gemacht habe; ja da auf allen Blättern des neuen Bundes die ganze Sendung Christi,cd2 als der größte Beweis der ewig unveränderlichen Liebe Gottes zu den Menschen, ob sie gleich feindselig gegen ihn gesinnet waren, vorgestellet wird;a3 Röm. 5, 8. /aJoh. 3, 16.a\ so ist es fast unbegreiflich, wie dem ohngeachtet unter den Theologen die ganz widerchristliche Theorie von einer satisfactione vicaria oder vertretenden Genungthuungc4 Christi habe aufkommen können, als ob Gott durch Christum sich selbst erst habe besänftigen müssen. Kläglich ist es zu bemerken, daß so gar /dnochd\ in unsrena5 mit so vielen Hülfsmitteln der Auslegung versehenen Zeiten, eine so sehr widersinnisched6 Hypothese noch immer als eine Lehre der Schrift,a7 oder doch als eine altchristliche Meinunga8 der ältestend9 Kirche eifrigst vertheidiget, und alle Liebenswürdigkeit Gottes in Christo dadurch verdunkelt wird. Dennocha10 sind alle Begriffe von einer vertretenden /dGenungthuung, died\d11 um Gottes willen nöthig gewesen wäre, ein sehr später Auswuchs der Augustinischen privat Meinungen. Erst gegen das Ende des elftena12 Jahrhunderts brachte Anselmusd13 Bischof von Canterbury, ein eifriger Anhänger Augustins, diese Hypothese auf, und gründete solche nicht auf Schriftstellen;a14 denn dergleichen finden sich nirgends;a15 sondern auf einen Beweis a priori. Seine Schlußfolgen waren diese: in Gott ist alles nothwendig, dessen Gegentheil etwas unschickliches (inconveniens) ist; nun ist nichts unschicklicher und weniger in der |a131| Ordnung der Dinge zu dulden, als wenn ein Geschöpf dem Schöpfer die Ehre raubt;a16 Gott kana17 |d128| also ohne Genungthuungd18 solches nicht vergeben;a19 und da das Geschöpf nicht selbst für die Grössead20 seines Verbrechens hinlänglich genungthund21 kana22, so ist nothwendig |b143| |c143| gewesen, daß ein göttlicher Erlöser eine volle Satisfaktiona23 leistete, sonst hätte Gott keinen Menschen begnadigen oder selig machen können.
Diesem unphilosophischen Geschwätzd24 widersetzten sich damals und in acd25 folgenden Jahrhunderten die gröstenad26 Theologen, und vornemlich selbst der Gelehrteste unter Anselms Schülernd27 Petrus Abälard, welcher behauptete,cd28 es sey keine Satisfaktiona29 für die Sünden der Menschen nöthig gewesen, sondern Christus sey nur darum im Fleischd30 erschienen, um uns zu unterrichten,a31 und uns durch seinen Tod die Grössead32 seiner Liebe gegen uns zu bezeigen. (Centur. Magdeburgicae saec. XII.a33 Cap. 5.) Seit dem sind bis zu den Zeiten der Reformation die Meinungen darüber getheilt geblieben, doch hat nach und nach mit Augustins Lehrbegrifd34 auch diese dazu passende Anselmische Theorie die Oberhand über die Schrift gewonnen. Es liegen nun bey dieser ganzen Hypothese sehr verworrnecd35 Begriffe von willkührlichen Strafen, welche Gott über Sünder verhängen müsse, zum Grunde; so bald man sich daher deutlich aus einander setztcd36, was Strafen sind, und was solche für verschiedned37 Absichten haben können, so fälltd38 auch das ganze unschriftmässigead39 Anselmische Lehrgebäude über den Haufen. Ich will versuchend40 dieses zu bewirken.
cd1: sagetcd2: Christia3: wird.c4: Genugthuunga5: unsernd6: widersinnigea7: Schrifta8: Meynungd9: erstena10: Demnachd11: Genugthuung, welchea12: Elftend13: Anselmus,a14: Schriftstellen,a15: nirgends,a16: raubt,a17: kannd18: Genugthuunga19: vergeben,ad20: Größed21: genugthuna22: kanna23: Satisfactiond24: Geschwätzeacd25: denad26: größtend27: Schülern,cd28: behauptete:a29: Satisfactiond30: Fleischea31: unterrichtenad32: Größea33: XIId34: Lehrbegriffecd35: verworrenecd36: setzetd37: verschiedened38: fälletad39: unschriftmäßiged40: versuchen,

§. 60.

Es ist schon §. 56.d1 f. gezeigeta2 worden, daß die üblen natürlichen Folgen des physischen unsrer Handlungen nicht zu den göttlichen Strafen gehören, und also von Christo nicht haben übernommen werden /dkönnen;ac3 und daßc4d\d5 /csiec\ auch bey den Bekehrten fortdauren; daß ferner die na|a132|türlichen Folgen des moralischen, welche in den Vorwürfen des Gewissens bestehen, in so fern sie auf richtigen Erkentnissen von der Güte der Gesetze beruhen, Verbesserungsmittel sind, und /ddaherc6 auchd\d7 durch Christi Vermittelung d8 nicht haben |d129| aufgehoben wer|c144|den |b144| können,d9 daß aber die Angst und Furcht, welche aus /adera\ Vorstellung einer tyrannischen Härte des Gesetzgebers,a10 und dend11 von ihm zu besorgenden grausamen Strafen entstehtcd12, durch Christum aufgehoben, und wir durch ihn hiervon erlöset worden sind. Nun /dfrägtc13 sichsd\d14 also, ob diese Erlösung dadurch geschehen sey, daß er uns blos von den /dgütigen nachsichtsvollend\d15 väterlichen Gesinnungen Gottes durch Lehre, Leben, Leiden, Tod und Auferstehung vergewissert habe, oder dadurch, daß er solche grausame willkührliche Strafen, dergleichen Mose,c16 nach der pharisäischen Auslegung,ac17 als noch im Tode bevorstehend angedrohet, und Anselmus a priori ausfindig machen wollen, selbst übernommen und ausgestanden habe. Um disd19 einzusehen, muß man sich nun die verschiednecd20 Absichten, welche bey willkührlichen Strafen statt finden können, recht deutlich machen. Willkührliche Strafen überhaupt sind Uebel, welche der Gesetzgeber mit dem Ungehorsamd22 gegen seine Befehle verknüpftcd23, oder über die Verbrecher blos wegen ihres Ungehorsams verhängtd24, und welche sonst an sich keine natürliched25 Folgen der Handlung seyn würden. Z. B. Ein König läßtd26 einen, derd27 verbotene Waaren heimlich eingebracht hat, auf die Festung setzen; disd28 ist eine blos willkührliche Strafe, die nur vom Belieben des Gesetzgebers abhängt. Dergleichen willkührliche Strafen haben entweder eine wohlthätige Absicht oder nicht. Haben sie eine /awohlthätige Absichta\a29, so ist diese entweder /aGüte gegen den Verbrecher selbsta\a30, um denselben zu bessern und von grössernad31 Vergehungen gegen sein Wohl abzuhalten, wie alle väterliche Strafen, und /ddenn heissend\d33 sie Züchtigungena34; oder sie haben weise /aGüte gegen das Ganzea\a35 |a133| oder die Gesellschaft zum Grunde, um andre von ähnlichen Vergehungen abzuschrecken und die Motivend36 zum Gehorsam zu vermehren, |b145| |c145| /dalsdenn heissena37d\d38 sie /aStrafen zum Exempela\a39 für andere. Haben sie aber /akeine wohlthätige Absichta\a40, sondern |d130| zielen blos zum Verderben der Verbrecher ab, so ist es /aselbstsüchtige Rachea\a41, welche gewöhnlich aus Schwäche und Furcht des Gesetzgebers vor dem Verbrecher entsteht. Nun wollen wir untersuchen, welche Art dieser Strafen Gott zieme, und Christus c42 für uns /chabe erduldenc\c43 können.
d1: 56a2: gezeigtac3: können,c4: daherd5: können, daherc6: demnachd7: demnachd8: auchd9: können;a10: Gesetzgebersd11: dercd12: entstehetc13: frägetd14: fraget es sichd15: gütigen, nachsichtsvollen,c16: Moseac17: Auslegung (a) ; Auslegung (c)ac18: Auslegungd19: diesescd20: verschiedene (c) ; verschiedene (d)cd21: verschiedenend22: Ungehorsamecd23: verknüpfetd24: verhängetd25: natürlichend26: lässetd27: welcherd28: diesesa29: wohlthätige Absichta30: Güte gegen den Verbrecher selbstad31: größern (a) ; größern (d)ad32: größerend33: dann heißena34: Züchtigungena35: Güte gegen das Ganze,d36: Bewegursachena37: heißend38: alsdann heißena39: Strafen zum Exempela40: keine wohlthätige Absichta41: selbstsüchtige Rachec42: habec43: dulden

§. 61.

Zuvörderst müssen wir die Frage untersuchen, ob ein gütiger und weiser Vater über seine Kinder, died1 er angelegentlichst wünscht nach und nach zu immer höherer Glückseligkeit zu leiten, jemals Uebel oder Verderben verhängen könne, ohne die Absicht dabey zu haben,a2 sie zu bessern,cd3 und vor grössererad4 Verschlimmerung zu bewahren? Diese Frage wird jeder Theologe ausserad5 dem Systemd6 ohne Bedenken verneinen: denn jeder menschliche Vater, der seine Kinder durch Strafen unglücklicher machta7 und nicht zur Besserung züchtiget, jedermanna8 für einen Barbaren oder wenigstens für einen sehr unverständigen Mann erkläreta9 werden. Aber diese richtige Begriffe werden uns durch die Künste einer transcendenten Sophisterey wegpraktisirtd10, wenn wir uns nicht an die heilige Schrift und d11 unser Selbstgefühla12 halten, und uns durch menschliche Hypothesen auch nur einen Schritt weit davon abführen lassen. Die neuered13 Augustinianera14 und Anselmianer haben /auns einen Lehrbegrif überliefert, welchera\a15 unglücklicher Weise als /aeine göttliche höherea\a16 Weisheit zum Nachtheild17 der einfachen leicht verständlichen Lehre Jesu in der Kirche /aangenommen, jedoch niemals darin für allgemeine Christenthumslehre erkläreta\a18 worden ist. Sie haben es erfunden, daß in Gott Eigenschaften sind, welche seiner Güte gerade zu entgegen wirken; daß in ihm Ge|a134|rechtigkeit und Heiligkeit ganz etwas anderesa19 sey, als die weiseste Güte; und daß eben die Handlungsart, welche bey menschlichen Vätern leidenschaftliche Unver|b146||c146|nunft und grausame Härte seyn würde, bey Gott die vollkommenste Gerechtigkeit und Heiligkeit sey. Sie , Gott wolle nach seiner unendlichen Güte zwar alle Menschen glückselig machen, ihnen bey ihren Fehltritten gern aufhelfen, die |d131| Uebel, welche sie sich durch Thorheiten zuziehen, gern verringern;a20 aber seine eben so unendliche Heiligkeit und Gerechtigkeit /derlaubte disd\d21 nicht, sondern forderted22, daß er jedes Vergehen gegen seine Gesetze, weil seine unendliche Majestät dadurch verunehret werde, auch unendlich strafen, folglich seine Kinder unendlich verderben müsse. Da haben wir nun das gute und böse Principium der Manichäer in unsrema23 Gottd24 vereint: zwey mit gleicher Unendlichkeit wider einander strebende Eigenschaften, nach welchen Gott seine strauchelndea25 Kinder vermöge der einen zu verbessern und vollkomnera26 zu machen, vermöge der andern ins Elend und Verderben zu stürzen gleich stark /agedrungen wirda\a27. Also ist in Gott selbst ein ewiger Widerspruch! Um diesen innern Widerspruch in sich selbst zu heben, hat nun Gott, wenn wir die menschliche Vernünfteley weiter hören, eine menschliche Natur in die Gottheit aufnehmen müssen, um vermittelst derselben zwischen seiner Gerechtigkeit und Güte Frieden zu stiften: diese menschliche Natur hat dadurch die Empfänglichkeit zu unendlichen Quaalen überkommen, welche die Gerechtigkeit über sie ausgeschüttet hat, und dadurch hat die Güte erst freie Hand erhalten, die Menschen ohne verderbende Strafen zu begnadigen und glücklich zu machen. Ja man gehet in den metaphysischen Grübeleyen noch weiter, und /cdläßt Gottcd\cd28 zum Behufd29 dieser menschlichen /cdTheorie nuncd\cd30 in der Bemühung sich selbst zu beruhigen, verschiedene Personen vorstellen, so daß Gottd31 in so fern er ungezeugtcd32 ist, von sich, in so fern er von sich selbst gezeugtacd33 worden /cdistcd\, und |a135| /cdzu seinercd\cd34 Persönlichkeit einen Menschen /cdmitcd\ aufgenommena35 und in demselben unendlich gelitten hat, in Christi Martern und Tode besänftiget worden sey.
|b147| |c147| Saget mir, Freunde Jesu, wo disd36 unser Herr und Meister oder seine Schüler jemals gelehret haben, und wie es möglich ist, daß eine so ungesunde Philosophie statt der göttlichen mit der edelsten Simplicität vorgetragenen Anweisung Christi zur Glückseligkeit, died37 sich an demacd38 natürlichen /dMenschenverstandec39 so gleichd\d40 als Wahrheit rechtfertiget, bey euch die mindeste Autorität haben /dkan.ac41 Warlich wirc43d\d44 Theologen sind es, welche die Göttlichkeit des Christenthums durch dergleichen metaphysische Geschwätze in den Augen aller Vernünftigen verächtlich machen; wircd45 sind es, welche Liebe und Vertrauen zu Gott, die Grundlage aller Glückseligkeit hindern, /aindem wircd46 Gott nur halb cd47 gut und halb als grausam vorstellen, daß die Christen ungewiß bleiben müssen, ob sie ihn mehr lieben oder mehr fürchten sollen.a\a48 Lasset uns zurückkehren,cd49 und aufs neue aus der Schrift lernen, so werden wir die durch Lutherna50 und andre Reformatoren unter so vielen Gefahren erstrittned51 Freiheita52, selbst aus Gottes Wort unsre Einsichten zu schöpfen, ihrer Absicht gemäß dankbar benutzen. Diese Männer thaten, was sie bey ihren exegetischen Hülfsmitteln und d53 Philosophie thun konten;a54 wir treten auf ihre Schultern und haben mehr Hülfsmittel, es ist Pflicht für uns, weiter zu sehen; Pflichtd55 das Christenthum immer mehr von aller in finstern Zeiten angestaunten menschlichen Philosophie zu reinigen, da unsre Nation nunmehro klare Begriffe und nicht geheimnißvolle Kunstwörter in religiösen Anweisungen zur Glückseligkeit von uns zu erhalten verlangt.
/aUeberdisd56 haben auch schon die Stifter der protestantischen Kirchen alle diese gelehrte spekulative Untersuchungen über die Art und Weise der durch Christum gestifteten Versöhnung der Menschen mit Gott, als müssiged57 Gelehrsamkeit von den eigentlichen, allen Christen zu wissen nöthigen, Seligkeitslehren abgesondert. Im zwei|b148||c148|ten Artikel und der Erklärung Luthers /cddarüber, geschiehtcd\cd58 keine Erwähnung von einer zur Besänftigung der Strafgerechtigkeit Gottes nothwendigen Erduldung der Strafend59 oder d60 einer vertretenden Genungthuungd61. Es wird darin blos gesagt: Christus habe uns verlorne und verdamte Menschen erlöset, erworben, gewonnen von allen Sünden, vom Tode und von der Gewalt des Teufels, damit wir sein eigen seyn, und in seinem Reichd62 unter ihm leben und ihm dienen solten in Gerechtigkeit, Unschuld und Seligkeit. Und so viel gehörtcd63 auch nur zum beruhigenden und bessernden Glauben, daß |d133| Christus uns durch Lehre, Leben, Leiden und Tod von allen sündlichen Grundsätzen, allen daraus entstehenden Uebeln, aller Furcht vorm Tode, und aller Angst vor bösen Geistern befreiet, und es allgemein möglich gemacht hatd64, bessere religiöse Gesinnungen und hiermit Seligkeit zu überkommen. Was in andern öffentlichen Schriften der ersten protestantischen Lehrer, died65 noch eine Wiedervereinigung mit den Katholiken hoften, aus damaliger Theologie beybehalten worden, ist von ihnen selbst nicht zur christlichen Glückseligkeitslehre gerechnet worden.a\
Nur das ist richtiger Verstand der Vorträge Jesua66 und seiner Gesandten, was die ersten Zuhörer dabey haben denken sollen und können. Unmöglich haben sie die Begriffe unsres cd67 Systems, worin die philosophischen Hypothesen so |a136| vieler Nationen und Jahrhunderte in einander gewebtd69 sind, /dsichd\ schon zur Erklärung der Worte Jesu und der Apostel denken können, und da die erstencd70 Zuhörer und Leser meist unstudirte Leute waren, so ist der einfachste Sinn der acd71 zu dessen Einsicht damals keine Gelehrsamkeit und Scharfsinn gehöret hat, allezeit der hermenevtischacd72 wahreste.
d1: welchea2: habencd3: bessernad4: größererad5: außerd6: Systemea7: macht,a8: jedermana9: erklärtd10: wegpraktisiretd11: ana12: Selbgefühld13: neuerena14: Augustianer,a15: uns aus ihrem kranken Gehirn eine neue Offenbarung geliefert, welchea16: einer göttlichend17: Nachtheilea18: geglaubta19: andersa20: verringern,d21: erlaube diesesd22: forderea23: unsermd24: Gottea25: strauchelndena26: vollkommnera27: geneigt istcd28: lässet Gott,d29: Behufecd30: Theorie,d31: Gott,cd32: ungezeugetacd33: gezeugetcd34: in seinea35: aufgenommen,d36: diesesd37: welcheacd38: denc39: Menschenverstandd40: Menschenverstand sogleichac41: kann: (a) ; kann: (c)ac42: kan?c43: died44: kan? Warlich, |d132| diecd45: siecd46: siecd47: alsa48: indem wir Gott nur halb gut und halb als grausam vorstellen, daß die Christen ungewiß bleiben müssen, ob sie ihn mehr lieben oder mehr fürchten sollen.cd49: zurückkehrena50: Luthern,d51: erstrittenea52: Freyheitd53: ihrera54: konnten,d55: Pflicht,d56: Ueberdiesesd57: müßigecd58: darüber geschiehetd59: Strafen,d60: vond61: Genugthuungd62: Reichecd63: gehöretd64: habed65: welchea66: Jesu,cd67: kirchlich dogmatischen (c) ; kirchlich dogmatischen (d)cd68: kirchlichen dogmatischend69: gewebetcd70: meistenacd71: Schriftstellen,acd72: Hermenevtisch (a) ; Hermenevtisch (c d)acd73: hermeneutisch

§. 62.

Hören wir die Schrift, so versichern schon die Schriftsteller des alten Bundes, a1 welchen Gott doch bey |b149| |c149| weitend2 nicht in seiner ganzen Liebenswürdigkeit und Gnade erschien: Barmherzig und gnädig sey Gott, geduldig und von grosserd3 Gnade: er vergebe gern /aMissethata\a4 und Sünde:a5 er wolle den Tod des Sünders nicht, sondern daß er sich bekehre, (nicht Satisfaktiona6 leiste) und lebe: er sey feind allen Opfern und äussernad7 Versöhnmitteln, sondern wolle wahre Verbesserung der Gesinnungen, und wer diese zeige, dem freue er sich zu vergeben,a9 /cdJes. 1, 10.cd\cd10 Nirgends aber wird behauptet,a12 die Heiligkeit und Gerechtigkeit /cdGottes hindrecd\cd13 seine Güte, den sich bessernden Sünder ohne Genungthuungad15 zu begnadigen. Alle Opfer waren nur für /aäussered16 Unreinigkeit und Unordnungena\a17, nicht für böse Gesinnungen verordnet. Unter den /aunzählichencd18 Versicherungena\a19 |d134| des N. T. von der allgemeinen Gnade und Barmherzigkeit Gottes gegen die Sünder, welche durch keine andre Eigenschaft eingeschränktcd20 wird, will ich nur diecd21 wählen, welche am wenigsten bisher beahndet worden. Jesus stellet cd22 seinen Vater /cdunscd\ ohne Einschränkung zur Nachahmung vord23 Luc. 6, 35. 36. Er versichertd24 Gott sey gütig über die undankbaren und boshaften, daher soltena25 wir nicht blos lieben,a26 die uns liebtend27 v. 32. sondern auch unsernd28 Feinden gutes thun, und eben so barmherzig seyn, eben so gelinde richten, eben so großmüthig ohne Genungthuung verzeihen, |a137| wie unser Vater, wenn wir seine Kinder seyn /awolten. Soltea\a29 es nun Heiligkeit und Gerechtigkeit in Gott seyn, nichtcd30 ohne volle Satisfaktiona31 zu vergeben, so müßtend32 auch wir weder unsernd33 Kindern und Untergebenend34 noch unsernd35 Feinden ohne völlige Genungthuung je etwas übersehen, um dem Vater im Himmel ähnlich zu werden;a36 oder esa37 müßted38 /aderselbea\ kein vollkommenesad39 Muster für uns seyn;acd41 und Christus, der aus des Vaters Schooß kam, ihn weniger /agekantd42 haben,a\a43 als Anselmus von Canterbury,a44 Matth.c45 5, 44.acd46 f. K. 6, 12. Ja Christus ver|c150|sichert, daß der ganze Himmel über jeden Sünder sich freue, und Gott sich gegen uns verhalte, wie der Vater gegen den ungerathenen Sohn bey seiner Rückkehr, der an keine /aSatisfaktion dachte,a\a47 Luc. 15. Endlich stellet die heilige Schrift auf allen Blättern die gesamte Sendung Jesu, und allesd48 was er gethan hat, /anicht als die Ursachea\a49, sondern /aals die Wirkunga\a50 und /aden Beweis der allgemeinen Gnade und Menschenliebe Gottesa\a51 gegen alle Nationend52 vor, und lehret nicht mit einer Sylbe, daß Gott habe besänftiget oder versöhntcd53 werden müssen. Sie saget nicht:a54 also hat Gott die Welt gehasset, daß erst sein Sohn dieselbe vom Zornd55 erkaufen /amußte; sondern:a\a56 so hat er sie geliebet, daß er seinen Sohn sandte,a57 um alle, welche nicht in Finsterniß und Unwissenheit bleiben wollen, zu höherer Einsicht und Glückseligkeit durch ihn zu leiten. Sie saget nirgends, Gott hat uns eben so nach seiner Heiligkeit gehasset,a58 als nach seiner Güte geliebet, daß Christus zwischen |d135| beidena59 Eigenschaften Friedena60 stiften müssen. Sie /asaget vielmehr:a\a61 ein Mittler könne nicht gedacht werden, wo nicht zwey Partheiena62 vorhanden wären, Gott aber wäre einig, Gal. 3, 20. verglichen mit Ebr. 6, 6. K. 9, 15 f. K. 10, 16 f. folglich durfte Gott nicht /aalsa\ eine doppelte Person bey der Erlösung handelna63, nicht mit sich selbst ausgesöhnet werden, sondern wir Menschen mußtend64 von seinen guten Gesin|a138|nungen und /aseinera\ Gnade gegen /adiea\ Sünder /abessera\ unterrichtet und /astärkera\ vergewissert werden. Darum fordern nun die Apostel jedermanna65 auf, sich mit Gott zu versöhnen, das istd66 erfreulichere Begriffe von ihm zu fassen, 2 Cor. 5, 18 f. In Christo ist die Freundlichkeit und Leutseligkeit Gottes im vollen Glanzd67 erschienen, und Gott preiset daher seine Liebe zu uns, daß Christus für uns gestorben ist, da wir noch feindselig gegen ihn gesinnet waren. Wäre die philosophische Theorie des Anselmus gegründet, so müßte es heissen:ad68 |c151| Gott preiset seine Heiligkeit, daß er alle Strafen der |b151| Sünden vollkommend70 an Christo vollzogend71 hat;a72 aber davon weiß die ganze heilige Schrift nichts.
a1: nachd2: weitemd3: großera4: Missethat, Uebertretunga5: Sünde;a6: Satisfactionad7: äußern (a) ; äußern (d)ad8: äußerena9: vergeben.cd10: Ez. 18, 21–23. K. 33, 10–19. Jes. 1, 11–18. Ps. 103, 8–18. Ps. 145, 8. 9. (c) ; Ez. 18, 21–23. K. 33, 10–19. Jes. 1, 11–18. Ps. 103, 8–18. Ps. 145, 8. 9. (d)cd11: Ezech. 18, 21–23. K. 33, 10–19. Jes. 1, 11–18. Ps. 103, 8–18. Ps. 145, 8. 9.a12: behauptetcd13: hindert (c) ; hindert (d)cd14: hinderead15: Genugthuungd16: äußerea17: äußere Unordnungcd18: unzähligena19: unzähligen Versichrungencd20: eingeschränketcd21: diejenigencd22: unsd23: vor.d24: versichert,a25: solltena26: liebend27: liebten,d28: unsrena29: wollen. Solltecd30: nichtsa31: Satisfactiond32: müsstend33: unsrend34: Untergebenen,d35: unsrena36: werden,a37: erd38: müssead39: vollkommen (a) ; vollkommen (d)ad40: volkommenesacd41: seyn,d42: gekannta43: gekannt habena44: Canterburyc45: Matth[.]acd46: 44a47: Satisfaction dachted48: alles,a49: nicht als die Ursachea50: als die Wirkunga51: den Beweis der allgemeinen Gnade und Menschenliebe Gottesd52: Völkercd53: versöhneta54: nicht,d55: Zornea56: mußte, sonderna57: sandtea58: gehasseta59: beydena60: Friedea61: sagta62: Partheyena63: agirend64: musstena65: jedermand66: ist,d67: Glanzead68: heißen, (a) ; heißen, (d)ad69: heißen:d70: volkommend71: volzogena72: hat,

§. 63.

Seit Grotius Zeiten hat nun schon ein grosserad1 Theil der Gottesgelehrten diese unchristliche und widersinnlicheacd2 Theorie verlassen. Man sahe ein, daß man nicht zwey einander entgegen wirkende Eigenschaften in Gott annehmen köntead4, nach welchen er /cdgleich starkcd\ seine fehlende Kinder zu begnadigen, und auch zu verderben /cdbestimta6cd\cd7 würde;a8 da bey diesem /dinnern Widerspruchd\d9 Gott selbst höchst unselig seyn müßte:a10 und man nahm also ganz richtig an, daß Gott allerdings ohne Strafen begnadigen könne, und keine Genungthuungd11 nöthig sey; daß wenn er strafte,acd12 solches nicht um seinetwillen, sondern nur zur Verhütung c14 /dgrössernd\d15 Verderbens und also in wohlthätiger Absicht geschehen könned16. Nun aber brachte Grotius die neue Hypothese auf, daß die Leiden und der Tod Jesu nothwendig gewesen wären, um das Ansehen der göttlichen Gesetze aufrecht zu erhalten, welches,a17 wenn alle Strafen erlassen worden wären, sehr |d136| gelitten haben würde. Diese Hypothese verdunkelt allerdings bey weitend18 die Liebenswürdigkeit Gottes nicht so sehr, als die erste: allein genauer betrachtetd19 ist sie eben so wold20 wie jene gegen Schrift und Vernunft. Alles komta21 hierbey |a139| an, sich deutliche und bestimtea22 Begriffe von der Heiligkeit und Gerechtigkeit in Gott zu verschaffen.
Die Heiligkeit in Gott ist keine besondere wirkende Vollkommenheit, sondern vielmehr die Abwesenheit aller Mängel und Fehler seines Verstandes und seiner Güte, und wenn die Schrift uns auffordert,a23 heilig zu werden, wie Gott heilig ist, so wird von uns gefordert, daß wir Thorheiten und schlechte Gesinnungen ablegen sollen,a24 1 Petr. 1, 13. 14. 15. Col. 1, 22. Ephes.a25 5, 26. 27. |b152| |c152| Es ist also eine Erklärung der Heiligkeit Gottes, wenn Jakobus sagt, es können keine andred26 als gute und vollkomnead27 Gaben von dem Vater aller richtigen Einsichten herkommen, denn in ihm ist kein Wechsel des Lichts und der Finsterniß,cd29 er kana30 nicht in der Wahl der besten Mittel zu den besten Zwecken fehlen, und in ihm /cdkana31 nie Unwillencd\cd32 und Zorncd33 die gütigsten Entwürfe der Wohlthätigkeit stören.
Gerechtigkeit ist ebenfalsd35 keine die Güte einschränkende Eigenschaft, sondern eine der Empfänglichkeit der Objektead36 proportionirte oder weise Güte. Der Sprachgebrauch und die allen Menschen bekantea38 Begriffe können uns hier aus der Verwirrung der gelehrten Hypothesen, so bald wir ihnen nur nachgehen, ohne Schwierigkeit heraus führen. Man muß nur dabey nicht an die Gerechtigkeit solcher /auntergeordneten Richtera\a39 denken, welche an willkührliche Gesetze höherer Obrigkeiten gebunden sind,a40 und cd41 nach denselben,a42 oftcd43 wegen Mängel dieser Gesetze selbst, öfterscd44 aus Mißverstand bey Anwendung derselbena45 cd46 sehr harte, ungütiged47 und unweise Urtheile fällen. /aDie Gerechtigkeit eines höchsten Gesetzgebers,cd48a\a49 oder /aeines Vatersa\a50 ist das, wovon wir analogisch den Begrif von der Gerechtigkeit des allgemeinen Monarchen und Vaters der Welt bilden müssen. Nun |d137| können wir zeigen, daß alle Gerechtigkeit weised51 proportionirte Güte sey.
|a140| /a1) Bey der Austheilung des Gutena\a52 handelt ein Vater gerecht gegen seine Kinder, nicht wenn er jedem einerley und /dgleichviel Gutes giebtd\d53, sondern wenn er jedem das schicklichste ihm brauchbarste Gute giebt. Er /dläßt mehrernd\d54 Söhnen von /dverschiedner Grössea55d\d56 Kleider nach Proportion ihres Körpers verfertigen, so daß sie ihnen gerecht oder anpassend sind; es würde unweise Güte, und daher keine Gerechtigkeit seyn, wenn er den kleinen eben so grossed57 Kleider machen liessed58, als den er|b153||c153|wachsenen. Also ist Güte hier der Grundbegrif, und durch Weisheit modificirtd59 wird sie Gerechtigkeit.
/a2) Bey der Gesetzgebunga\a60 ist ein Vater und Monarch gerecht, wenn er seine Vorschriften so einrichtet, daß dadurch das Wohl aller Kinder und Unterthanen möglichst befördert /dwird; sod\d61 bald einiger Wohl ganz gestörtcd62 wird, und sie ohne anderweitigen Ersatz leiden, so sind die Gesetze ungerecht: und dann ist entweder Mangel allgemeiner Liebe,a63 oder Mangel der Klugheit,c64 Kollisionena65 zu verhüten, der Grund davon. Also beruhet die Vollkommenheit der Gerechtigkeit auf der Gleichheit der Liebe gegen alle, und auf der Weisheitd66 das Wohl aller einzelnen ohne Nachtheil der andern möglichst zu befördern.
3)a67 Auch die Gerechtigkeit /abeym Strafena\a68 ist weise Güte; so bald mehr gestraftcd69 wird, als zur Besserung oder d70 Verhütung größrercd71 Uebel nöthig ist, so schreieta73 man über Härte und Ungerechtigkeit. Alle Strafen müssen daher gütige Absichten haben, wenn sie gerecht seyn sollen, und sie müssen wahre proportionirte Mittel zur Erreichung des Zweckscd74 seyn. Folglich ist durchaus Gerechtigkeit allgemeine durch Weisheit geleitete Güte. Bey allen Uebertretungen der Gesetze bestehtd75 die Beleidigung gegen den Gesetzgeber blos in dem Ungehorsamd76, folglich ist die Beleidigung des Gesetzgebers gleich groß, es mag die Handlung wider das Gesetz wichtige oder geringe Folgen haben,a77 Jak. 2, 10. 11. Soltena78 nun die Stra|a141|fen sich lediglich auf |d138| die dem Gesetzgeber widerfahrende Beleidigung beziehen, oder zur Aufrechthaltung der Autorität der Gesetzgebung nothwendig seyn, so würde folgen, daß alle wissentliche Vergehungen gegen alle Gesetze ohne Unterschieda79 gleich hart bestraftcd80 werden müßten: denn durch jede Uebertretung wird der Gesetzgeber auf einerley Artd81 nemlich blos durch /aUngehorsam, beleidiget,a\a82 und die Autorität der Gesetze auf einerley Art gehöhnt. |b154| |c154| Wer würde aber nicht über Ungerechtigkeit schreiena83, wenn ein Monarch auf alle Vergehen gleiche Strafen setzte, und zum Beyspiela84 den, welcher ein Pfund Kaffeea85 unveracciset eingebracht cd86, eben so hart als einen Mordbrenner bestrafen wolte? wer würde einen Vater nicht der Grausamkeit beschuldigen, der sein Kind, wenn es wider sein Verbot in den Garten gegangen wäre, eben so strenge /dbestrafted\d87, als wenn es eine ansehnliche Summe Geldes gestohlen hätte? Hieraus erhellet also, daß alle Strafen sich auf das Beste derer, welchen Gesetze ertheilet worden sind, beziehencd88 und proportionirte Beförderungsmittel der Besserung seyn müssen,d89 und daß alle Uebel, welche ohne diese Absicht verhangen und dazu nicht nothwendig erfordert werden, /cdauscd\cd90 Mangel der /cdGüte oder der Machtcd\cd92 oder der /cdKlugheit entstehende Ungerechtigkeiten sindcd\cd93.
ad1: großeracd2: widersinnische (a) ; widersinnische (c d)acd3: widersinnigead4: könnte (a) ; könnte (d)ad5: könneacd6: bestimmt (a) ; bestimmt (c d)acd7: gleich stark gedrungena8: würde,d9: inneren Widerspruchea10: müßte,d11: Genugthuungacd12: strafte (a) ; strafte (c d)acd13: strafe,c14: einesd15: eines größerend16: müssea17: welchesd18: weitemd19: betrachtet,d20: wohla21: kommta22: bestimmtea23: aufforderta24: sollena25: Eph.d26: anderead27: vollkommne (a) ; vollkommne (d)ad28: vollkommenecd29: Finsterniß;a30: kanna31: kanncd32: können niemals leidenschaftliche Anwandlungen des Unwillenscd33: Zorns (c) ; Zorns (d)cd34: Zornesd35: ebenfallsad36: Objecte (a) ; Objecte (d)ad37: Personena38: bekanntea39: untergeordneten Richtera40: sindcd41: diea42: denselbencd43: theilscd44: theilsa45: derselben,cd46: auf einzelne Fälle zum öfternd47: ungültige,cd48: Gesetzgebersa49: Die Gerechtigkeit eines höchsten Gesetzgebers,a50: eines Vatersd51: weise,a52: 1.) Bey der Austheilung des Gutend53: gleichvieles Gute zutheiletd54: lässet mehrerena55: Größed56: verschiedener Größed57: großed58: ließed59: geleiteta60: 2.) Bey der Gesetzgebungd61: wird. Socd62: gestöreta63: Liebec64: Klugheita65: Collisionend66: Weisheit,a67: 3.)a68: beym Strafencd69: gestrafetd70: zurcd71: grösserer (c) ; grösserer (d)cd72: größerera73: schreyetcd74: Zweckesd75: bestehetd76: Ungehorsamea77: habena78: Solltena79: Unterschied,cd80: bestrafetd81: Art,a82: Ungehorsam beleidigeta83: schreyena84: Beyspiel,a85: Coffeecd86: hätted87: bestrafen woltecd88: beziehen,d89: müssen;cd90: von Ungerechtigkeit zeugen, die (c) ; von Ungerechtigkeit zeugen, die (d)cd91: von Ungerechtigkeit zeugen, welchecd92: Güte,cd93: Klugheit, oder der Macht zu ihrer Quelle hat

§. 64.

Nun können wir den wesentlichen Unterschied, welcher zwischen der menschlichen und zwischen der göttlichen heiligsten Gerechtigkeit statt findet, deutlich aus einander setzen. Es beruhet derselbe auf der unendlich höhernd1 Vollkommenheit der göttlichen Güte, Macht und Weisheit, /ain /cdcd\cd2, dema\a4 Vermögen und dera5 Klugheit der Menschen.
/a1. Die Güte und das Wohlwollen der Menschen ist eingeschränktd6 und vielen Abwechselungen unterworfen.a\a7 |a142| Die besten Väter werden oft ungeduldigd8 und verfahren nach leidenschaftlichem Unwillen. Selten ist ihre Liebe ganz unpartheiisch,a9 und |d139| sehr oft ziehtd10 eins der Kinder,a11 durch seine glücklichere Bildung oder d12 schmeichelhafteres /aäusseresd13 Betragen,a\a14 das Herz der Aeltern zum Nachtheild15 der übrigen Geschwister an sich. Und welche obrigkeitliche Personen haben nicht ihre Favoritend16, für welche sie zum /dPräjudiza17 andrer unproportionirted\d18 |b155| |c155| Güte beweisen. Aber /aGottes Güte ist die heiligste, allgemeinste, unwandelbarste. Gotta\a19 wird durch keine partheiische Prädilektionad20 geleitet, und kana22 nie zu leidenschaftlichem Zornd23 gereizet werden, sondern bleibt immer gleich stark geneigt, jedem seiner Kinder nach dem Grade seiner innern Empfänglichkeit das /cdmöglichstcd\ größte cd24 Gute mitzutheilen, Matth. 7, 11. Röm. 2, 11. Jac.a25 1, 17.
2. Das Vermögen der Menschencd26 Gutes zu thun und zu belohnencd27 ist eben so wie ihre Macht,a28 Vergehungd29 gegen Gesetze zu hindern, und die Uebertreter zu strafend30, eingeschränkt. /dDis veranlaßtc31d\d32, daß sie nicht immer so milde und gerecht seyn können, als sie /cdwünschen.cd\cd33 Ein Vater hat 5 Söhne, welche alle gleiche Talente und Begierde haben zu studiren: sein Vermögen reichtd34 aber nur dazu hin, einen derselben studiren zu lassen: er kana35 also nicht gegen alle /agleich gütiga\a36 seyn.cd37 Gern möchte der König allen für das Vaterland blessirten Officirencd38 und Soldaten einen gemächlichen Unterhalt zur Belohnung anweisen:cd39 allein die Einkünfte des Staats reichen nicht hin: er muß aus Unvermögen partheiisch seyn, weil er nicht allen,a40 sondern nur einigen helfen kan.acd41 Aber Gottes Vermögen wird durch Austheilung des Guten nicht verringert, er kana43 also jedem einzelnen Geschöpfd44 ohne Nachtheil der übrigen im vollesten Maaßcd45 das schicklichste Gute zutheilen.cd46 Oft muß der gütigste Monarch einen Ausreisserad47 bey der Armeec48, dend49 er gern begnadigte, am |a143| Leben strafen, weil es ihm an Macht fehltcd50, auf andred51 Art der fernern Desertion vorzubeugen. /aGott befindet sich niemals in der Verlegenheit, aus Schwachheit grausamer und |d140| härter zu strafen, als der Verbrecher es zu seiner eignend52 Besserung bedarf;a\a53 weil es ihm nicht an Mitteln fehlen kana54, seine Absichten an allen ohne Verletzung der Güte gegena55 irgendscd56 eines seiner Kinder zu erreichen.
/a3)d57 Die Einsichten der Menschen sind eingeschränkt:a\a58 sie können nur nach dem /däusserna59 Anscheind\d60 urtheilen, selten die Moralität der Handlungen erforschen, und die Zukunft nicht übersehen. Hieraus entstehen die Mängel der Gerechtigkeit der gütigsten Fürsten und Väter.
  • a) Bey /ader Vertheilung des Gutena\a61 und /aden Belohnungena\a62 werden zum öftern verdienstlose Heuchler den würdigern und verdientern Personen aus Irrthum vorgezogen; oft denen, welche vorzüglich begünstiget werden sollen, solche Wohlthaten erwiesen, wodurch sie unglücklich werden. Jener Sohn,a63 von welchem der Vater hoftcd64, er werde die Stütze der Familie werden;acd65 auf welchen er daher den größten Theil seines Vermögens verwendet, wird durch diese vorzügliche Güte zu Ausschweifungen veranlaßt,cd66 und verdirbt: der Vater hat also gegen die übrigen Kinder ungerecht gehandelt, nicht aus Mangel der Güte, sondern aus Mangel der Einsicht in die Zukunft. Dieser Mann, welchem der König grossead67 Talente, Rechtschaffenheit und Diensteifer zutrauet, wird vielen andern, die sich bereits verdient gemacht haben, vorgezogen; aber diese Begünstigung ist sein Unglück. Er bekomta68 Gelegenheitencd69 zu Betrügereiena70 von Erheblichkeit, seine schwache Tugend kana71 nicht widerstehen, er wird ein Verräther des Vaterlandes, und stirbt als Missethäter. /aGottes Güte kan nied72 ungerecht handeln, weil sein Verstand nicht irren kan.a\a73 Er wird nicht durchsd74 |a144| Aeußread75 hintergangen, er kenneta77 die Gedanken und innersten Gesinnungen der Menschen, und übersiehtd78 im voraus alle Folgen seiner Wohlthätigkeit bey jedem /aSubjektd79. Alles,a\a80 was er zutheiltcd81, ist daher dem Empfänger in Beziehung |d141| auf seine ganze |b157||c157| Dauer wahrhaftig gut. So erhellet,a82 wie seine Güte durch die vollkommenste Weisheit geleitet, die heiligste und gerechteste Güte istd83.
  • b) Bey /ader Gesetzgebunga\a84 veranlaßtcd85 die eingeschränkte Weisheit der Menschen, daß bey der gütigsten Gesinnung des Gesetzgebers doch oft das Wohl einzelner Personen dem Wohld86 des Ganzen ohne Ersatz aufgeopfert werden muß, und es giebtd87 fast kein positives menschliches Gesetz, worunter nicht einzelne Personen bisweilen leiden soltena88. So wohlthätig z. B. die Unterhaltung einer cd89 Armee für die Sicherheit und Ruhe eines ganzen Staatscd90 ist, so leiden doch offenbar viele einzelne Personen, welche zu dieser Art /adera\ Dienste fürs Vaterland gezwungen werden, darunter. Viele derselben verlieren ein grösseresad91 ihnen mögliches Glück, oft auch Gesundheit und Leben, ohne dafür eine Vergütigungc92 vom Vaterlande erhalten zu können. /aGottes Gesetze sind dagegena\a93, vermöge seiner uneingeschränkten Weisheit, /aso vollkommena\a94, und seine moralische Regierung so mängelfrey, /adaß nied95 ein Theil um der übrigen willen ohne Ersatz leiden darfa\a96, und die anscheinenden Leiden zum besten /cdandrer selbstcd\cd97 nur die Empfänglichkeit zu höherer Glückseligkeit bey den Leidenden cd98 vermehren.
  • c)
    /cdDaß /abey Strafena\a99cd\cd100 oft die besten Väter und Fürsten, wegen ihrer eingeschränkten Erkentniß ungerecht /cdhandelncd\, weil sie theils die Moralität der Vergehen nicht immer genau durchschauen, theils nicht vorher wissen können, wie die Strafen zur Besserung und Verhütung /cdneuer Vergehencd\cd101 einzurichten /cdsind, undcd\cd102 daher |a145| cd104 oft den Zweck verfehlen. Nicht selten lügt sich der Bösewicht und Verführer von der Strafe los, und der einfältige Verführte wird hingerichtet. Nicht selten wird das durch sanfte Mittel leicht zu bessernde Kind durch eine unweise Züchtigung, died105 für sein Ner|b158||c158|vengebäude zu heftig war, ungesund, oder zur Rachgier erboßt. Aber Gott erkennet die Moralität aller Handlungen nach ihrer kleinsten |d142| Gradationd106; er kennet die Mittel genau, welche zur Züchtigung und Besserung eines jeden Individuumsd107 die wirksamsten sind: und /aes ist also unmöglich, daß er den Zweck der Besserung bey seinen Bestrafungen verfehlen köntea\a108.
    Nur derjenige Gesetzgeber muß einige zum Schrecken andrercd109 härter,a110 als es zu ihrer Besserung nöthig ist,a111 strafen, welchem es an Mitteln fehltd112 einen jeden einzelnen zu bessern. Daher muß ein Monarch, der Millionen regieren soll, aus Mangel des Vermögens auf alle /dIndividuend\ gleiche Aufmerksamkeit zu beweisen, oft gegen einzelne grausam handeln, und sie zum Besten des Ganzen aufopfern; aber ein Vater wird solches nied113 thun, weil er seine Kinder übersehen kana114; niemals wird er ein Kindad115 um den übrigen seine Autorität und d116 Ernst sichtbarer zu machen, auf immer verderben und tödten. Hieraus folgtcd117 demnach, /adaß Gott niecd118 ein einziges Geschöpf stärker strafen könne, als es zu desselben eignend119 Besserung nöthig ista\a120, und daß alle Strafen zum Exempel für andere, in so fern sie aufhören Wohlthat für den,a121 welcher sie erduldet,a122 zu seyn, nur aus der Schwäche menschlicher Regenten, died123 nicht alle Individuend124 beobachten können, herrühren. Folglich giebt es keine andred125 göttliche Strafen als /dZüchtigungc126 zud\d127 Besserung derer, welche sie erleiden; und diese müssen, weil Gott in der Wahl der Mittel nicht irren kana128, allemal dadurch gebessert werden.
d1: höherencd2: Vergleichung der Güte (c) ; Vergleichung der Güte (d)cd3: Vergleichung mit der Gütea4: über die Güte dasa5: died6: eingeschränketa7: 1[.] Die Güte und das Wohlwollen der Menschen ist eingeschränkt und vielen Abwechselungen unterworfen.d8: ungeduldig,a9: unpartheiischd10: zieheta11: Kinderd12: durchd13: äußeresa14: äußeres Betragend15: Nachtheiled16: Günstlingea17: Präjuditzd18: Nachtheile anderer übermäßigea19: Gottes Güte ist die heiligste, allgemeinste, unwandelbarste. GOttad20: Prädilection (a) ; Prädilection (d)ad21: Vorliebea22: kannd23: Zornecd24: ihm zuträglichstea25: Jak.cd26: Menschen,cd27: belohnen,a28: Machtd29: Vergehungend30: bestrafenc31: veranlassetd32: Dieses veranlassetcd33: es wünschen. –d34: reicheta35: kanna36: gleichgültigcd37: seyn. –cd38: Officierencd39: anweisen,a40: allenacd41: kann. (a) ; kann. (c d)acd42: kan. –a43: kannd44: Geschöpfecd45: Maaßecd46: zutheilen.ad47: Ausreißerc48: Armed49: welchencd50: fehletd51: andered52: eigenena53: Gott befindet sich niemals in der Verlegenheit aus Schwachheit grausamer und härter zu strafen, als der Verbrecher es zu seiner eignen Besserung bedarf;a54: kanna55: in Absichtcd56: irgendd57: 3.a58: 3.) Die Einsichten der Menschen sind eingeschränkt:a59: äußernd60: äußeren Anscheinea61: der Vertheilung des Gutena62: den Belohnungena63: Sohncd64: hoffetacd65: werden,cd66: veranlassetad67: großea68: bekommtcd69: Gelegenheita70: Betrügereyena71: kannd72: niemalsa73: Gottes Güte kann nie ungerecht handeln, weil sein Verstand nicht irren kann.d74: durch dasad75: äußre (a) ; äußre (d)ad76: Aeußerea77: kenntd78: übersiehetd79: Subjektea80: Subject. Allescd81: zutheileta82: erhelletd83: seya84: der Gesetzgebungcd85: veranlassetd86: Wohled87: giebeta88: solltencd89: stehendencd90: Staatesad91: größeresc92: Vergütunga93: Gottes Gesetze sind dagegena94: so vollkommend95: niemalsa96: daß nie ein Theil um der übrigen willen ohne Ersatz leiden darfcd97: anderercd98: selbsta99: bey Strafencd100: Bey den Bestrafungen handelncd101: fernerer Ausschweifungencd102: sind, (c) ; sind, (d)cd103: sind;cd104: sied105: welched106: Abstufungd107: Einzelnena108: es ist also unmöglich, daß er den Zweck der Besserung verfehlen könntecd109: anderera110: härtera111: istd112: fehlet,d113: niemalsa114: kannad115: Kind,d116: seinencd117: folgetcd118: niemalsd119: eigenena120: daß Gott nie ein einziges Geschöpf stärker strafen könne, als es zu desselben eignen Besserung nöthig ista121: dena122: erduldetd123: welched124: Untergebened125: anderec126: Züchtigungend127: Züchtigungen zura128: kann

|a146| §. 65.

Hier bitte ich nun meine Leserd1 den noch wenig ins Licht gesetzten unterscheidenden Charaktera2 der heiligsten |b159| |c159| Gerechtigkeit Gottes, welchen wir derselben vermöge der unendlichen Weisheit des höchsten Wesens zuschreiben müssen, im Gegensatzd3 aller eingeschränkten Gerechtigkeit,cd4 wohl zu bemerken. Er bestehtcd5 darin: daß Gott sich niemalsa6 in der Verlegenheit befinden kana7, das Wohl irgendscd8 eines einzigen seiner Kinder oder vernünftigen Geschöpfe zum /dgrösserna9 Wohld\d10 des Ganzen oder der übrigen Geister /aauf immer und ohne vollen Ersatza\a11 aufzuopfern. Denn wenn unmittelbar aus dem Begrifd12 der heiligsten oder uneingeschränktesten Güte folgtcd13, daß Gott sich aller seiner Werke erbarme, /asiea\ alle zu dem größten Grade, der nach ihrer wesentlichen Empfänglichkeit bey ihnen möglichen Glückseligkeitd14 führen wollea15, so folgtd16 c17 nothwendig, daß seine Weisheit begrenztacd18 seyn müßte, wenn er keine Mittel ausfinden köntea21, diesed22 Absichten seiner Güte /aan allena\a23 zu erreichen. Offenbar würde sonst Gott in Absicht derer, welche er dem Wohld24 der übrigen aufopferte, nicht die heiligste Güte zeigen; indem diese Ausnahme Schranken und Partheilichkeita25 in derselben beweisen würde. Und hier ist nun der Ort, wo wir den richtigen Begrif von der göttlichen Ehre, welchera26 gewöhnlich in fürchterliche Dunkelheit eingehülleta27 wird, ins Licht setzen können. Nur denncd28 wird das ganze Geisterreich aus voller innernd29 Empfindung ausrufen:a30 heilig, heilig, heilig ist Gott, alle Lande sind seiner Ehre voll, ihm gebühret ewiger Dank und Preiß! wenn /cderkennetcd\cd31 wird:
  • 1. Daß Gott alle seine vernünftigend32 Geschöpfe gleich durch ohne alle Ausnahme mit gleicher Liebe umfaßtcd33, und alle zur /cdmöglichstencd\cd35 Glückseligkeit führen wolle.
  • 2. Daß es der göttlichen Weisheit nicht an Mitteln fehle,a36 diese gütige Absichten aufs vollkommenste, mithin |a147| bey allen, ohne die mindeste Kollisiona37 und Ausnahme zu erreichen. |b160| |c160|
  • 3.
    Daß die göttliche Macht nied38 anders,a39 als nach der weisesten Güte handle, und den Plan derselben wirklich ohnfehlbar ausführe, so daß jeder Geist zu der ihm größten Glückseligkeit wirklich gelangtd40.
    Ein jeder frage sein Selbstgefühl, ob nicht alsdenncd41 Gott ihm am anbetungswürdigsten und in dem Glanze erscheine, wenn alles glückselig ist, und ob nicht dagegen der Gedanke, daß auch nur /aein einziges Geschöpfa\a42 unglücklich und ewiga43 elend bleibt, allen weichgeschaffnend44 Seelen die ganze Selig|d144|keit des Himmels verderben, und dem Geisterreichd45 den Vater der Welt weit minder liebens-a46 und ehrwürdig darstellen /dwürde. Ueberdisd\d47 hilft alles übrige erfreuliche der Religion mir nichts, so lange ich glaube, daß es zur Ehre Gottes oder /azura\ Beförderung des allgemeinen Wohlscd48 nöthig istd49, daß einige Geister ewig gequäleta50 werden müssen; denn da keine Offenbarung diese Unglücklichen namentlich bekanta51 macht, so kana52 ich niemals gewiß werden, ob /aich nicht vielleicht selbsta\a53 unter diese Schlachtopfer einer eben so unendlich grausamen, als gütigen Gerechtigkeit gehöre.
d1: Leser,a2: Characterd3: Gegensatzecd4: Gerechtigkeitcd5: besteheta6: niea7: kanncd8: irgenda9: größernd10: größern |d143| Wohlea11: auf immer und ohne vollen Ersatzd12: Begriffecd13: folgetd14: Glückseligkeit,a15: willd16: folget auchc17: auchacd18: begränzt (a) ; begränzt (c) ; begränzt (d)acd19: begrenzet (c) ; begrenzet (d)acd20: begränzeta21: könnted22: diea23: an allend24: Wohlea25: Partheylichkeita26: welchea27: eingehülltcd28: dannd29: innerera30: ausrufen,cd31: von allen anerkantd32: vernünftigecd33: umfasset (c) ; umfasset (d)cd34: umfassecd35: größten ihnen möglichena36: fehlea37: Collisiond38: niemalsa39: andersd40: gelangecd41: alsdanna42: ein einziges Geschöpfa43: ewigd44: weichgeschaffenend45: Geisterreichea46: liebensd47: müsse. Ueberdiescd48: Bestensd49: seya50: gequälta51: bekannta52: kanna53: ich nicht vielleicht selbst

§. 66.

Aus allen diesena1 Betrachtungen, welche der ungesunden Philosophie der Afrikaner und Anselmianer entgegen gesetztd2 worden sind, fließtcd3 nun, daß Christus keine vertretende Genungthuungd4 zur Besänftigung der Strafgerechtigkeit, Heiligkeitad5 oder verletzten Ehre Gottes habe leisten dürfen, sondern /adaß era\ uns nur durch seinen Tod auf immer /avon aller Furcht einiges Zornsd6 oder /dvorbestehenderc7 willkührlichend\d8 Strafen Gottes erlöseta\a9, und eine allgemeine Menschenliebe und Bereitwilligkeita10 des Vaters aller Geisterad11 uns unsere Fehltritte ohne einige Satisfaktionad12 |a148| oder Büssungenad14 gern zu verzeihena15, so bald wir nur erkennen, daß wir uns selbst dadurch seiner Wohlthaten unempfänglich machena16 und |b161| |c161| aufrichtig uns zu bessern suchen, versichert habe. Da nun die Menschen durchgängig geneigt sind, von ihrer /deignen Denkart,a17d\d18 auf andre,d19 und auf den Charaktera20 Gottes zu schliessend21, und daher alle Völker, wie die Geschichte der Religionen unter denselben lehreta22, darauf gekommen sind, Gott durch Geschenke, Opfer und /däußre Demuthsbezeigungend\d23 und Peinigungen zu besänftigen; weil sie sich selbst von ihren Beleidigernd24 nicht anders begütigen lassen: so bleibtd25 es ein höchst beruhigender Satz für jedermand26 und zu allen /aZeiten: daß durch Christi Tod allea\a27 dergleichen /aselbstgewählte Besänftigungsmittel der Gottheit für |d145| überflüssigd28 erkläret worden sinda\a29, und daßa30 Gott, der seines eignencd31 Sohnes nicht verschonet, sondern ihn für uns alle dahin gegeben hat, uns gewiß mit ihm alles /azua\ schenken /ageneigt seya\, und nichts von uns /aforderea\a32, als daß wir das von ihm dargebotene Gute /aannehmena\a33 und mit freudigema34 Herzen geniessend35 /asollena\. Und so hat Christus daher nicht nur die Juden, sondern alle Menschen, died36 an ihn gläuben, von der größten moralischen Unglückseligkeit, die aus den peinigenden Vorstellungen einer über uns zürnenden Gottheit /cdentsteht,cd\cd37 auf immer /cddurch seinen Todcd\ befreieta38 und errettet, daß wir nichts weiter zu fürchten haben, als /adie natürlichenc39 Folgena\a40 unsrer Thorheiten, wodurch wir uns wider Gottes Plan selbst elend und höherer Segnungen unfähig machen: so wie er uns zugleich durch seine Lehren den Weg zu immer /dhöhern Stafelnd\d41 der Glückseligkeit bezeichnet,a42 und auf demselbena43 durch seinen eignend44 Wandel vorgeleuchtet hat.
/a*) Meine Hauptabsicht, in welcher ich hier so ausführlich darzuthun gesuchtd45 habe, daß eine vertretende Genungthuungd46 Christi, oder cd47 Erduldung unendlicher Leiden an unsrer Statt, zur Befriedigung der Strafgerechtigkeit Gottes, nicht in der heiligen Schrift gelehret wirdd48, gehet eigentlich dahin, den einsichtsvollen denkenden Menschen das größte Hinderniß, |b162| |c162| Christi Lehre als göttlich zu erkennen, wegzuräumen. Denn,d49 wer reine Begriffe von einer höchstvollkomnend50 Gerechtigkeit hat, kan unmöglich beredet werden, daß der Vater der Welt andre Strafübel, als welche zur Besserung nothwendig sind, über jemand verhängen könne. Es ist aber deshalb weder nöthig noch rathsam, auf den Kanzeln die gemeine Theorie zu bestreiten. Man bleibe in öffentlichen Vorträgen bey der einfachen Lehre der Schriften des neuen Testaments: daß Jesus alle erlöset und ihnen die Gnade Gottes, Vergebung der Sünden, wenn sie sich bessern, zu findend51, durch seinen Tod vergewissert habe. Man lasse sich aber gar nicht über die in der heiligen Schrift unentschiedned52 Fragen ein: warum Christus so vield53 habe leiden und warum er d54 sterben müssen? ob disd55 um Gottes oder der Menschen willen nöthig gewesen wie eigentlich Christus der Welt Sünden getragen habe? in wie fernd56 seine Leiden eigentlich vertretend gewesen sind? Gehörte eine vollständige Erkentniß hiervon zur Seligkeit, so würde es in der heiligen Schrift so deutlich erklärtd57 worden seyn, daß keine Streitigkeiten darüber entstehen könten.a\
a1: dieserd2: gesetzetcd3: fließetd4: Genugthuungad5: Heiligkeit,d6: Zornesc7: bevorstehenderd8: bevorstehender willkührlichera9: von aller Furcht einiges Zorns oder bevorstehender willkührlichen Strafen Gottes erlöseta10: Bereitwilligkeit,ad11: Geister,ad12: Satisfaction (a) ; Satisfaction (d)ad13: Genugthuungad14: Büßungena15: verzeihna16: machen,a17: Denkartd18: eigenen Denkungsart,d19: andrea20: Characterd21: schließena22: lehrtd23: äußere Demuthsbezeugungend24: Beleidigungend25: bleibetd26: jedermanna27: Zeiten, daß durch Christi Tod alled28: überflüßiga29: selbstgewählte Besänftigungsmittel der Gottheit für überflüßig erkläret worden sinda30: dacd31: eigenena32: fordern werdea33: nun nur annehmen,a34: freudigend35: genießend36: welchecd37: entstehet, durch seinen Toda38: befreyetc39: natürlichea40: die natürlichen Folgend41: höheren Staffelna42: bezeichneta43: denselbend44: eigenend45: gesuchetd46: Genugthuungcd47: died48: werded49: Dennd50: höchstvollkommenend51: erlangend52: unentschiedenend53: vielesd54: habed55: diesesd56: ferned57: erkläret

|d146| §. 67.

Die Streitfrage zwischen der römischen und den protestantischen Kirchen, ob die Seligkeit aus dem Glauben allein entstehe, oder ob auch gute Werke dazu nothwen|a149|dig erfordert werden, läßtcd1 sich bey Voraussetzung der bisher entwickelten Begriffe nun leicht entscheiden. Der Vortrag der heiligen Schrift selbst ist hierüber ganz deutlich, so bald man nur die Ausdrücke Glaube, Werke, Gerechtigkeit, Seligkeit so versteheta3, wie sie von den ersten Lesern der apostolischen Briefe, dem damaligen Sprachgebrauchd4 und dem Zweckcd5 der heiligen Schriftsteller gemäß, im Zusammenhange verstanden werden müssen. Paulus und Jakobus widersprechen sich nur, in so fernd6 man die Begriffe des Systems von Werken, Glaube und Seligkeitc7 den Ausdrücken der Apostel unterschiebtd8. |b163||c163|
  • 1. Paulus hat im Briefe an die Römer und Galater augenscheinlich zur Absicht, die pharisäisch gesinnten Irrlehrer, welche nach Apostg.d9 15, 5. das Gesetz Mosis /aausserhalb Palästinaa\a10 von allen Christen, auch den ehemaligen Heiden, beobachtet wissen woltena11, zu widerlegen. Es war so leicht nicht,a12 den Juden, wenn sie auch Jesum für den verheissenend13 Christ erkantena14, den so fest eingewurzelten Nationalstolz zu benehmen, nach welchem sie sich grossed15 Vorrechte vor andern Völkern in Absicht auf Gott zueigneten; die höhere Verheissungend16 der Lehre Jesu, als Belohnungen ihrer durch Beobachtung des mosaischen Gesetzes erlangten Verdienste ansahen;a17 und daher die Heiden nicht anders daran Theil nehmen lassen woltena18, als in so fern sie sich auch beschneiden und dadurch zurc19 Befolgung des jüdischen Gesetzes verpflichten liessen. Hierwider lehret nun Paulus, daß die Juden durch ihre Werke des Gesetzes, das ist, durch die mosaische Gottesdienstlichkeiten, nicht eine wahre Gerechtigkeit oder wahrhaftig religiöse Gesinnungen, wodurch man Gott allein angenehm würde, hätten erhalten können, sondern /adaßa\ das sittliche Nationalverderben unter ihnen eben so groß |d147| als unter den Heiden gewesen sey, und sie daher eben so wol Sünder,a20 und eben so sehr einer Vergebung derselben aus Gnaden bedürf|a150|tig wären als andre Völker,a21 Röm. 2, 3. Ferner daß nicht blos das Ceremonialgesetz, sondern das ganze durch Mosen bekantac22 gemachte Gesetz die Juden nur mit einem Geistd23 der Furcht vor Gotta24 erfüllet hätted25, wobey keine wahre Freudigkeit zu Gotta26, und kein freiwilligesa27 Bestreben ihm wohlgefällig zu werden, in ihnen hätte entstehen können; um so mehr, da es die Menschen zu sehr ans sinnliche beym Gottesdienstd28 und nicht an höhere geistigere Vorstellungen gewöhntcd29 hätte;a30 daher es ein Gesetz, welches nur Zorn anrichtet;a31 ein |b164| |c164| Buchstabe,a32 der da tödtet, genantacd33 wird Röm. 7cd34 und 8. K. 4, 15. Gal. 2, 5. 2 Cor. 3, 6 f. Dagegen wird nun das Christenthum unter den synonymischend35 Benennungen, Glaube, Geist, Gesetz des Glaubens, Christus,d36 dem /dGesetzc37 schlechthind\d38 oder dem Gesetzcd39 der Werke, des Fleisches, der Sünde, des Todes entgegen gesetztd40 und behauptet, daß /cdescd\cd41 ohne Beymischung der cd43 mosaischen Religion beselige, mit Freudigkeit zu Gott und einem kindlichen Geistd44 erfülle, und zu allen guten Werken geschickt mache. Röm. 1, 16. 17. K. 3, 22 f. K. 7, 6. K. 8. Gal. 3, 23. K. 8. K. 5, 24. Joh. 1, 17. Selig werden, heißtd45 nun oft nur so viel als ein Christ werden, und hiermit aus dem bisherigencd46 Aberglauben und cd47 ängstlichen Gottesdienstlichkeit errettet und zu lebendigen Hofnungen wiedergeboren werden. Und in dieser Absicht wird die Seligkeit oder das Glück ein Christ zu werden, für ein freiesa48 Gnadengeschenk Gottes, dascd49 Juden und Heiden ohne Rücksicht auf ehemalige Verdienste zu theil /awerde, beschrieben,a\a50 Eph.a51 2, 8. 9. verglichen mit Röm. 10, 12. 15. K. 11, 5 f.
  • 2. Nun darf man nur in Pauli Schriften auf den von ihm überall beobachteten Unterschied zwischen Werken schlechthin oder Werken des Gesetzes (Mosis),a52 und zwischen guten Werkena53 oder Erweisungen wahrer Tu|a151|gend aufmerk|d148|sam seyn, so siehet man sogleich, wie er mit Jakobo, Petro und Christo selbst aufs genaueste übereinstimmet; /aso sagt er:a\ Eph. 2, 7. 10. Tit. 3, 5. 8. nicht aus vorhergegangnencd54 Werken, sondern aus Gnaden gelanget jeder zu dem Glückd55 ein Christ zu werden, aber durchs Christenthum wird er zu guten Werken zubereitet und verpflichtet. Gott wird einem jeden nach seinen Werken geben, nur denen, die in guten Werken standhaft beharren, das ewige Leben, Röm. 2, 6. 7. Ueberall dringtd56 Pau|b165||c165|lus auf Fleiß in guten Werken,a57 2 Cor. 9, 8. Gal. 6, 4. Col. 1, 10. 2 Thess. 2, 17. 2 Tim.a58 2, 21. Tit. 2, 14. und also lehret er eben das, was Jakobus lehrt, daß ein blossesd59 Erkentniß und ein müssigerad60 Beyfall gegen die Lehre Christi den Menschen nicht glückseliger mache, sondern nur /acddieacd\ wahre Thätigkeit im Guten,a61 Jak. 2, 14–26. K. 1, 22 f. Jakobi Brief ist daher nicht strohern, wie Luther als Augustiner glaubte, denn eben das hat Jesus selbst gelehret,a62 Matth. 7,d63 22 f. und das künftige entscheidende Urtheil für die Ewigkeit soll nach den Werken erfolgen,a64 Matth. 25, 35. 36. 40. 42. 43. 45. jeder wird ein desto grössercd65 Maaß der Kräfte und Seligkeit erhalten, /aje mehr und d67 treuera\a68 er hier mit dena69 anvertraueten /aTalentena\a70 gewuchert;cd71 und desto reichlicher erndten,a72 je reichlicher er hier gesäet hat,a73 Luc. 19, 23 f. 2 Cor. 9, 6c74 f. Man lese auch 1 Joh. 1, 7. K. 2, 4 f. v. 29. K. 3, 3 f. K. 4, 7a75 f.
cd1: läßet (c) ; läßet (d)cd2: lässeta3: verstehtd4: Sprachgebrauchecd5: Zwecked6: fernec7: Seeligkeitd8: unterschiebetd9: Apostelg.a10: nocha11: wolltena12: nichtd13: verheißenena14: erkanntend15: großed16: Verheißungena17: ansahen,a18: wolltenc19: zua20: Sündera21: Völker.ac22: bekanntd23: Geistea24: GOttd25: habea26: GOtta27: freywilligesd28: Gottesdienste,cd29: gewöhneta30: hätte,a31: anrichtet,a32: Buchstabeacd33: genanntcd34: 7.d35: synonimischend36: Christus;c37: Gesetzed38: Gesetze schlechthin,cd39: Gesetzed40: gesetzetcd41: das Christenthum oder die innre Religion (c) ; das Christenthum oder die innre Religion (d)cd42: das Christenthum oder die innere Religioncd43: äußernd44: Geisted45: heißetcd46: bißherigencd47: dera48: freyescd49: welchesa50: werde beschrieben.a51: Eph[.]a52: (Mosis)a53: Werken,cd54: vorhergegangenend55: Glücked56: dringeta57: Werken.a58: Timd59: bloßesad60: müßigera61: Gutena62: gelehrtd63: 7.a64: erfolgencd65: grösseres (c) ; grösseres (d)cd66: größeresd67: jea68: nachdema69: dema70: Talent mehrcd71: gewuchert,a72: erndtena73: hat.c74: 6.a75: 7.

§. 68.

Wer die Streitschriften der Theologen und Philosophen mit einer ganz unbefangenen Vernunft, das ist, ohne im voraus zu glauben oder zu wünschen, daß diese oder jene Parthey Recht haben möchte, /aunda\ mit Nachdenkend1 durchlieset, der wird finden, daß fast immer beyde streitende Partheiena2 gewisser massenad3 Recht haben, oder daß die Wahrheit zwischen ihnen getheilet ist. Ich nehme |a152| diejenigen spekulativena4 und transcendenten Fragen aus, die ganz über den Gesichtskreiß unsresa5 , und worüber |d149| daher keiner etwas gegründetes /ahata\ behaupten können; sonst mache ich mich anheischig, von allen übrigen, besonders den kirchlichen Zwistigkeiten darzuthun, daß die Wahrheit niemals ganz auf einer Seite allein gewesen istd6. Nirgends aber fället disd7 mehr in die Augen, als bey den Streitigkeiten über die Lehre vom Glauben und d8 guten Werken, wo offenbar jede Kir|b166||c166|che aus einem besondern Gesichtspunktad9 einen Theil des Ganzen richtiger als die andernad11 erkanta13 hat, und blosd14 Mißverständnisse der Worte die vollständigere Einsicht in den Zusammenhang des gesamten Plansd15 der christlichen Religion erschweretc16 haben. Ich will in Beziehung auf diese noch obwaltende Streitfragen hier die wahre Theorie liefern, worüber im Grunde und den Sachen nach alle Kirchen einig seyn werden, so bald die gewöhnliche Lehrformeln, welche die Mißverständnisse veranlassen, an die Seite gelegtd17 werden.
d1: Nachdenken,a2: Partheyenad3: maßena4: speculativena5: unsersd6: seyd7: diesed8: vonad9: Gesichtspunct (a) ; Gesichtspunct (d)ad10: Gesichtspunktead11: andern, (a) ; andern, (d)ad12: andrea13: erkanntd14: bloßd15: Planesc16: erschwehretd17: geleget

§. 69.

Die Ordnung,a1 in welcher ein Mensch durchsa2 zu höherer Glückseligkeit gelanget,a3 ist folgende:
Erstlich:a4 Die Wahrheit, daß Jesus der Christ, der höchste Gesandte und Sohn Gottes sey, und daß also seine Anweisungen einen göttlichen Unterricht über den Weg zur Glückseligkeit enthalten, ist die Grundlage des gesamten Glaubens eines Christen,a5 1 Joh. 5, 1. K. 4, 16. Joh. 17, 3. 16. 36. Apostelg. 2, 36–38, K. 4, 12. K. 16, 30. 31. Auf diesen Satz wurden die Juden, welche den einigen Gott schon /aerkanten, bey ihrem Eintrittd6 in die Gemeine der Christena\a7 getauft, Apostg.d8 8, 16. K. 10, 48. K. 19, 4. 5. und hiermit selig gemacht oder errettet,a9 Röm. 10, 9. 10 f. Discd10 ist der Glaube an Christum;a11 und in so fern hat die lutherischea12 Kirche recht, daß sie das Vertrauena13 in den Begrif des Glau|a153|bens aufnimta14. Wer an den Namen Christi glaubtcd15, der eignet ihm die höchste Autorität in der Religion zu, und hat also ein völliges Vertrauen zu desselben Anweisungena16. So bald nun /adera\ Jude oder Heide dieses Vertrauen zu Christo faßtend17, |d150| so gingcd18 eine μετανοια oder Veränderung der Denkartcd19 in der Religion in ihnen vor. Ihre bisherige abergläubische Vorurtheile verloren alle Gewalt über sie; die Heiden thaten den ersten Schritt aus |b167| |c167| der Finsterniß zum Lichtd20, aus der Gewalt des Satans zu Gott, /adas ist, von der Abgötterey zu richtiger Erkentniß und Verehrung des wahren Gottes, und vona\a21 der Lasterhaftigkeit zu bessern Gesinnungen:a22 die Juden aus der Sklavereya23 beschwerlicherc24 Gottesdienstlichkeiten und beständigera25 Todesfurcht zur Freiheita26 d27 und d28 den erfreulichsten Aussichten. So wurden beydea29 errettet oder selig, ob sie gleich von dem ganzen Inhaltcd30 des Unterrichts Jesu noch /agar keine vollständige Einsichtena\a31 hatten, und solche erst nachher durch /cdfernern Unterrichtcd\cd32 erhalten mußten,a33 Röm. 12, 1. 2 f. Eph. 4, 15–32. und andern Orten. Allein mit diesem Glauben, daß Jesus ein göttlicher Wegweiser zu höherer Glückseligkeit sey, entstundd34 unmittelbar die Begierded35 seine Anweisungena36 nun anzuhören, und einea37 a38 solche zu befolgen. So wie nun ein Kind schon alsdenncd39 gutartig ist, und sich auf dem Wege zu seiner Wohlfart befindet, wenn es geneigt ist, sich in allencd40 nach seines Vaters Willen zu erkundigena41 und denselben zu befolgen, wenncd42 es gleich noch nicht den ganzen Plan des Vaters übersiehet, und erst nach und nach solchen verstehen lernen muß;a43 so kana44 auch ein Christ bey dem blossend45 Vertrauen zu Christo und d46 der allgemeinen Geneigtheit seinen Unterricht in allencd47 zu befolgen, Gott wohlgefällig /dundd\ auf dem Wege zum Leben seyn, wenn er gleich noch sehr mangelhafte Erkentnisse von /aden Anweisungena\a48 Jesu hat. Hieraus erhellet in wie fern die Katholiken Recht haben, wenn sie /aein ausführlichcd49a\a50 Erkentniß der gesamten Religion nicht zum seligmachenden Glauben für nothwendig halten, sondern behaupten,c51 daß |a154| schon fides implicita bey denen hinlänglich sey, deren geringe Verstandskräftea52 und äusseread53 Umstände ein deutliches und vollständigesa55 Erkentnißc56 /ader Lehre Christia\ nicht verstatten.
a1: Ordnunga2: durcha3: gelangta4: Erstlich.a5: Christend6: Eintrittea7: erkannten,d8: Apostelg.a9: errettetcd10: Diesesa11: Christum,a12: Lutherischea13: das Vertrauena14: aufnimmtcd15: glaubeta16: Anweisungd17: faßtecd18: giengcd19: Denkungsartd20: Lichtea21: ausa22: Gesinnungen;a23: Sclavereyc24: beschwehrlichera25: beständigena26: Freyheit,d27: der Kinder Gottesd28: zua29: siecd30: Inhaltea31: wenige entwickelte Begriffecd32: fernere Belehrungena33: mußten.d34: entstandd35: Begierde,a36: Anweisunga37: diea38: Bereitwilligkeitcd39: alsdanncd40: allema41: erkundigen,cd42: oba43: muß,a44: kann alsod45: bloßend46: beycd47: allema48: der Anweisungcd49: ausführlichesa50: dasc51: behauptena52: Verstandeskräftead53: äußre (a) ; äußre (d)ad54: äußerea55: ausführlichesc56: Erkenntniß

|b168| |c168| |d151| §. 70.

Zweytens:a1 Aus dem Glauben an den Namencd2 Christi, das ist, aus der Ueberzeugung, daß Jesus ein göttlicher Lehrer sey, entstehtcd3 nun unmittelbar die Begierde von ihma4 zu lernen, und /aseine wohlthätige Vorschriftena\a5 zu befolgen. Der Inhalt der Lehre Jesu ist theils theoretisch, theils praktisch. Hier ist die Frage entstanden, ob nur die erstere oder beyde Arten der Wahrheiten den eigentlichen Gegenstand des Glaubens ausmachen. Aus Mißverstand einiger paulinischena6 /dStellen darind\d7 das Gesetz und der Glaube einander entgegen gesetztcd8 werden, hat man die christliche Religion in Evangelium und Gesetz eingetheiltd9, und nur die Gnadenversicherungen unter dem Namen des Evangeliums mit Ausschliessungd10 der Anweisungena11 über unser Verhaltend12 für den Gegenstand des Glaubens erklärtcd13. Allein Paulus setztcd14 offenbar Gal. 3, 23 f. und in allen ähnlichen Stellen nicht zwey Theile der Lehre Jesu unter dem Namen des Gesetzes und des Glaubens einander entgegen, sondern er verstehet unter Gesetzd15 die ganze mosaische Religion, und unter dem Glaubena16 die ganze christliche Lehre;a17 daher auch Mose und Christus als synonymische Ausdrücke statt Gesetz und Glaube gebrauchtcd18 werden,a19 und das Christenthum als ein Gesetz des Glaubens ausdrücklich von dem Gesetze der Gottesdienstlichkeiten oder der Werke unterschieden wird,a20 Röm. 3, 27. Joh. 1, 17. Ebr. 8, 9. 10. Die Lehre Jesu ist demnach ein unzertrennbares Ganzecd21 und durchaus Evangelium. In ihr erscheinen die göttlichen Vorschriften über unser Verhalten nicht als Anforderungen eines Gebieters, sondern als Rathgebungen eines Vaters. Wie nun ein Vater seine Kinder nur halb glücklich machen |a155| würde, wenn er ihnen blos seine Liebe versicherte, und vieles Gute verspräche und schenkte, sie aber nicht zugleich unterrichtete, wie sie solches brauchend22 und aufs beste benutzen und geniessend23 solten:a24 so würde auch die |b169| |c169| Lehre Jesu uns durch alle Versicherungen von der Gnade Gottes nicht wirklich zu seligen Leuten machen, wenn sie uns nicht |d152| auch durch ihre moralische Anweisungen belehrte, wie wir aufs weiseste alles von Gott kommende Gute anwenden und /cdaufs fruchtbarstecd\cd25 benutzen sollena26. Der Christ muß demnach eben so vield27 Vertrauen zu den praktischen Anweisungen Jesu, als zu desselben Gnadenversicherungen beweisena28 und jene /dso wold\d29 wie diese erkennen und glauben.
a1: Zweitens.cd2: Nahmencd3: entsteheta4: ihna5: seiner wohlthätigen Anweisunga6: Paulinischend7: Stellen, in welchencd8: gesetzetd9: eingetheiletd10: Ausschließunga11: Anweisungd12: Verhalten,cd13: erkläretcd14: setzetd15: dem Gesetzea16: Glauben,a17: Lehre,cd18: gebraucheta19: werden:a20: wird.cd21: Ganzesd22: gebrauchend23: genießena24: sollten,cd25: auf das fruchtbarestea26: solltend27: vielesa28: beweisen:d29: sowohl

§. 71.

Drittens:a1 Je mehr nun der an Christum glaubende Mensch den Unterricht desselben verstehen lerntcd2, und je mehr sich seine Einsichten in die Gesinnungen und den Entwurf Gottes über uns erweitern und aufklären, /dje mehrd\d3 Seligkeit entstehet aucha4 hiermit in seiner Seele. Da die Kirche sich hierüber fast in lauter allegorischena5 und mystischena6 Ausdrücken erkläreta7, und diese grossead8 Veränderung der Denkungsart descd9 Menschen, welche der lebendige Glaube bewirktd10, Wiedergeburt, Geburt aus Gott, neue Schöpfung, Vereinigung mit Gott und Christo, Hervorbringung eines neuen Geistes und Herzens, Rechtfertigung und Heiligung,d11 u. s. w. zu benennen pflegtd12, wodurch blos schwankende und verworrenea13 Begriffe, zum Theil auch nur Worterkentnisse /cd, wie ich aus eigner Erfahrung weiß,cd\ selbst bey Theologen veranlasset und unterhalten werdena14, so will ich mich bemühena15 anschauendere Sacherkentnisse von dem, was in dem Gemüthcd16 des Menschen in seiner Bekehrung vorgehet, hier zu erwecken.
  • a) Der natürliche durch höherenc17 Unterricht über die Religion noch nicht erleuchtete Seelenmensch beurtheilet |a156| die Dinge nach dem sinnlichen Eindruckcd18, welchen sie auf ihn machen. Ihm erscheinet daher sehr vieles als Unvollkommenheit und Uebel in der Welt, die unaufhörlichen Klagen der Menschen über das |b170| |c170| Elend dieses Lebens solches beweisen. Ueberall findet er Hindernisse und Schranken bey dem Bestreben seine Begierden zu befriedigen, und seine klügsten Entwürfe werden bald durch Unglücksfälle,a19 bald durch die Hinterlista20 böser Menschen vereitelt. Hierbey kana21 nun keine wahre Zufriedenheit in seiner Seele wohnen; denn ihm scheintcd22 in seiner Lage |d153| das Böse ein grossesad23 Uebergewicht über das Gute zu haben. Richtet er seine Blicke in die Zukunft, so ist sie in fürchterliches Dunkel vor ihm verhüllet. Sorgen, a24 ängstliche Befürchtungen bemächtigen sich nothwendig von Zeit zu Zeit einesc25 Geistes, der seine Ruhe und sein Glück in Dingen suchtd26, die ihrer Natur nach unaufhörlichen Abwechselungen unterworfen sind, so wie es unser Körper selbst ist, derd27 schon im männlichen Alter zur endlichen Zerstörung sich aufzulösen beginnt. Vermischen sich mit diesen trüben Vorstellungen noch einige Begriffe von einem allgewaltigen Wesen, welches die Welt beherrscht, so wird das moralische Elend noch grösserad28. Der sinnliche Mensch kanac29 eine Gottheit nicht lieben, von welcher er glaubt,a30 schon hier verwahrloset und in ein Jammerthal gesetzetc31 zu seyn. Daher tadeln und lästern rohe Menschen die Einrichtung der Dinge, und die Wege der Vorsicht. Aber der Gedanke, daß man sich der Obermacht dieses furchtbaren Wesens nicht entziehen könne, daß man es beleidiget habe, daß es zürned32 und vielleicht im Tode seine Rache noch über uns ausschütten werde, fälltd33 in den Stunden des Tiefsinns und der Kränklichkeit schwerd34 auf das Gemüth des hoffnungslosencd35 Sünders, daß Zittern und Zagen ihn ergreift und in seinem Busen eine wahre |a157| Hölle entbrennt. Dann hascht der sinnliche Mensch nach abergläubischen Rettungsmitteln, und quältcd36 sich durch willkührliche Büssungenad37, oder vergräbt sich lebendig in Einöden schwermüthiger Gottesdienstlichkeitd38 |b171| |c171| und entsagtcd39 dem gesellschaftlichen geschäftigen Leben, /awelches dagegena\a40 für uns ein Paradies Gottes wird, so bald das Licht des Evangeliums seinen himlischenacd41 Glanz darüber verbreitet. Denn bey den Erleuchtungen der Lehre Jesu verschwindet diecd42 furchtbare /cdDunkelheit, welchecd\cd43 die Liebenswürdigkeit Gottes den Augen blos sinnlicher Menschen verbirgt. Wir erblicken auf dem Throne der Welt einen Vater, der nur wohlthätig und nachsichtsvoll gegen uns denktcd44 und handelt: der uns auf dieser Erde im ersten Kind|d154|heitsalter unsresa45 Daseyns zu höherer Glückseligkeit vorbereitet und mannigfaltige Freuden für die Sinne darbietet;a46 nicht um uns darincd47 zu sättigen, und in ihrema48 Genußd49 unsere höchste Wohlfart zu suchen, sondern /cddarancd\ nur einen Vorschmack cd50 zu haben, was für erhabnerea51 Freuden uns, wenn wir Gott lieben,a52 in einem männlichen Alter des zukünftigen Lebens erwarten. So betrachtet nun der glaubende Christ alle von ihm nicht abhängende auf seiner Wallfart hienieden;acd53 alle glückliche und unglückliche Ereignisse seiner Tage;acd54 als Führungen eines gütigen weisen Vaters, derd55 ihn auf unbekantena56 Wegen zu Scenen höherer und dauerhafterer Seligkeit hinüber führtd57. Und hierbey nehmen Ruhe, Heiterkeit, Zufriedenheit und getroster Muth in dem Herzen des Christen ihre beständige Wohnung. Der lebendige Glaube an die Lehre Jesu hat demnach die Kraft selig zu machen;a58 indem er alle fürchterliche Vorstellungen von Gott, von willkührlichen Forderungen, oder willkührlichen nicht zur Besserung abzielenden Strafen desselben, und von der Nothwendigkeit eigener Büßungen und beschwerlicher Gottesdienstlichkei|a158|ten /dvölligd\ verscheucht, und die Ueberzeugung hervorbringtcd59, daß alle von uns nicht abhängende Bestimmungen und Veränderungen unsres Zustandes uns gut sind, und ein immer fortge|b172||c172|hender Wachsthum unserer Vollkommenheiten von Gott veranstaltet wird. Daß aber dieses herrschende Bewußtseyn des wachsenden Uebergewichtsd60 des Guten in unsremacd61 Zustande ganz eigentlich die menschliche Glückseligkeit bestimmea63, ist bereits im ersten /dAbschnitt /cerwiesenc\c64d\d65.
  • b) Derc66 sinnliche sich selbst überlassenec67 Mensch setzet sein größtes Glück in dem Besitzcd68 der äussernad69 Vortheile dieses Lebens. Indem er /ademselben nachjagtcd70,a\a71 wähltd72 er /cdsehr oftcd\cd73 Wege, die zum Verderben führen. List und Gewaltthätigkeit scheinen ihmcd74 näher zum Zield75 seiner Wünsche zu führen, als Redlichkeit und mühsame Verdienste;a76 indem aber andere eben so denkende Menschen, |d155| oft mit /dmehrerm Glücka77d\d78 ihm entgegen arbeiten, so entstehtcd79 in seinem Gemüthd80 Eifersucht, Neid, Rachsuchta81 und Menschenhaß. Bey diesen Gesinnungen und Maaßregelnc82 ist der Mensch stets mit sich selbst uneins, verdrüßlich, ängstlich und in beständiger Unruhe, weil seine Denkartcd83 nicht mit der allgemeinen Ordnung und dem göttlichen Pland84 über die menschliche Glückseligkeit harmonirtd85. So bald nun aber der Mensch es Christo glaubt, daß das einzige wahre Mitteld86 sich cd87 glücklich zu machen, die redlichste und thätigste Menschenliebe sey, nach welcher man einem jeden mit einer solchen Begegnung zuvor komta88, als man in ähnlichen Fällen von ihm zu erhalten wünschtcd89; so wird er mit sich selbst und mit dem Plancd90 Gottes in Harmoniecd91 gebracht. Die menschenfeindlichen Gesinnungen der Mißgunst, d92 Rangsucht und des niedrigen Eigennutzes, an welchen er bisher gekranket hat, fliehen das durch Liebe zu Gott zur Menschenliebe erwärmte und veredelte Herz, und hiermit werden zugleich alle |a159| natürliche Triebe nicht unterdrückt oder geschwächt, sondern geheiliget, das ist, auf das erhabene Ziel unserer Bestimmung zu höherer gesellschaftlichen Glückselig|b173||c173|keit übereinstimmig gerichtet. Nun suchtcd93 der Mensch seine Ehrliebe nicht mehr dadurch zu befriedigen, daß er besser scheinen will, als er ist; er denket nun wirklich so gegen andre, daß /aaucha\ seine /ainnred94a\ Gesinnungen ihm Ehre machen, und er der ängstlichen Bemühung überhoben ist, sich zu verstellen. Der Trieb,a95 das Eigenthum und die damit verknüpfte Unabhängigkeit zu /acdvergrössern bestimtacd\acd96 ihn nicht mehr zu niedrigen Handlungen des Betruges, wodurch die Ehrliebe gekränket wird; er erwecket ihn vielmehra99 zur Arbeitsamkeit und zum Fleißd100 in seinem Berufd101 und zur Ordnung und Wirthlichkeit im Haushalten. Die Neigung zu sinnlichen Ergötzlichkeiten, died102 ihm vielleicht öfters zuma103 Nachtheild104 seiner Gesundheit, seines Vermögens, und seines Rufes /azu Ausschweifungena\a105 hingerissen hatte, wird nun durch dank|d156|bares Andenken an Gott beym Genußcd106 der sinnlichen Annehmlichkeiten, veredelt: und der entgegen gesetzte tyrannische,a108 den Menschen selbst quälende und entehrende,ad109 Trieb zum Geitzd110 wird durch den grossenad111 Gedanken, daß wir Gott nur durch wohlthätige Gesinnungen ähnlich werden, und durch Almosen die irdischen Güter,a112 died113 sonst im Tode zurück bleiben, ins künftige Leben hinüber retten können, entkräftet und zur weisen Sparsamkeit gemildert. So bringtcd114 also der Glaube an Christum eine innred115 Harmonie aller unsrerd116 natürlichen Triebe unter einandera117 und mit dema118 Plancd119 Gottes hervor, und nun wird /aeinem jedena\a120 die Sache selbst deutlich seyn, was die Theologen durch die Ausdrücke sagen wollen: der Glaube heiliget;ad121 er schaffet ein neucd122 Herz; er erfüllet mit dem /cdGeist Gottescd\cd123 oder mit dem Sinncd124 Christi; er vereiniget den Menschen mit Gott; er macht uns göttlicher Natur theilhaftig; denn nun will der |a160| Mensch,a125 was Gott will, und wirket mit Gott zu einerley Zweckd126, zur allgemeinen Wohlfart und Glückse|b174||c174|ligkeit, wie Christus dazu auf die verdienstvollste Art gewirket hat.
a1: Drittens.cd2: lernetd3: jemehra4: nuna5: allegorischea6: mystischea7: erklärtad8: großecd9: derd10: bewirketd11: Heiligungd12: pflegeta13: verworrnea14: wordena15: bemühen,cd16: Gemüthec17: höherncd18: Eindruckea19: Unglücksfällea20: Hinderlista21: kanncd22: scheinetad23: großesa24: Kummer undc25: seinesd26: suchetd27: welcherad28: größerac29: kanna30: glaubtc31: gesetztd32: zürne,d33: fälletd34: schwehrcd35: hofnungslosencd36: quäletad37: Büßungend38: Gottesdienstlichkeit,cd39: entsageta40: dasacd41: himmlischencd42: dascd43: Dunkel, welchescd44: denketa45: unsersa46: darbietet,cd47: darana48: ihrend49: Genussecd50: darana51: erhabnea52: liebenacd53: hienieden,acd54: Tage,d55: welchera56: unbekanntend57: führeta58: machen,cd59: hervorbringetd60: Uebergewichtesacd61: unserm (a c) ; unserm (d)acd62: unserema63: bestimmtc64: ins Licht gesetzt und dargethan wordend65: Abschnitte ins Licht gesetzet und dargethan wordenc66: derc67: überlaßnecd68: Besitzead69: äußerncd70: nachjageta71: denselben nachjagtd72: wähletcd73: zum öfterncd74: ihnd75: Zielea76: Verdienste,a77: Glück,d78: mehrerem Glückecd79: entstehetd80: Gemüthea81: Rachsucht,c82: Maßregelncd83: Denkungsartd84: Planed85: harmoniretd86: Mittel,cd87: dauerhafta88: kommtcd89: wünschetcd90: Planecd91: Uebereinstimmungd92: dercd93: suchetd94: innerea95: Triebacd96: vergrößern bestimmt (a) ; vergrößern bestimmt (c) ; vergrößern bestimmt (d)acd97: vergrössern, bestimmt (c) ; vergrössern, bestimmt (d)acd98: vergrößern, bestimmta99: nund100: Fleißed101: Berufed102: welchea103: zud104: Nachtheilea105: zur Ausschweifungcd106: Genuße (c) ; Genuße (d)cd107: Genussea108: tyrannischead109: entehrended110: Gesetze,ad111: großena112: Güterd113: welchecd114: bringetd115: innered116: unserera117: einander,a118: dencd119: Planea120: jedemad121: heiliget,cd122: neuescd123: Geiste Gottes,cd124: Sinnea125: Menschd126: Zwecke

§. 72.

Viertens:a1 So bald die Denkartcd2 eines Menschen gottesgeistig geworden ist, so bald er den Sinn Christi, das ist, wahrhaftiga3 christliche Gesinnungen, wie sie das Vorbild und die Lehre Jesu erfordern, angenommen hat, so befindet er sich in dem Zustande der höhern moralischen Glückseligkeit oder der Gnade bey Gott. Denn nun hat er ein völliges Vertrauen zu Gott,a4 und ist über alle Veränderungena5 seines Lebens ruhig und voll der erfreulichsten Hofnungena6 für die Zukunft: und da Gott wohlgefällig und zu handeln, das Ziel seiner Wünsche und Bestrebungen ist, so findet in ihm schon die allgemeine Geneigtheit und der Grundtrieb zu allen göttlichen und gesellschaftlichen Tugenden statt. cd7
⌇⌇a
Nun lässet sich die berühmte Streitfrage zwischen der römischen und der protestantischen Kirche, /aob nur der |d157| Glaube allein oder auch die Werke zur Seligkeit nothwendig sind?a\a8 ohne Schwierigkeit auflösen.
Unter guten Werken verstehet man entweder selbstgewählte und willkührliche Gottesdienstlichkeiten und Büssungenad9, als fasten, sich geisselnd10, wallfahrten, Formulargebete hersagen u. d. gl.d11 oder die äusseread12 Erweisungen der innern christlichen Gesinnungen gegen Gott und den Nächsten. Die /cderste Gattung so genantera13cd\cd14 guten Werke cd16 sind ein Ueberbleibsel des Judenthums, wogegen Paulus so oft im Briefe an die Römer und Galater eifert, und Col. 2, 16. ausdrücklich einschärftcd17, lasset euch niemand Gewissen machen über Speise,a18 oder Trank, oder bestimmtend19 Feyertagen /du. s. f.d\d20 und diese werden daher mit Recht von den Protestanten für unnöthig, ja unter gewissen Um|a161|ständen für cd21 der Seligkeit /cdschädlich erkläreta23cd\cd24. |b175| |c175| Was aber die guten Werke nach biblischen /cdBegrif a25 betriftcd\cd26, so ist davon zu bemerken:
  • a) Man kana27 immerfortcd28 gut gesinnet seyn und eine herrschende Geneigtheit haben, alle Tugenden auszuüben, ohne jedoch solches immerfort werkthätig äussernad29 zu können. Jede Art der guten Werke, als äusseread30 in die Sinne fallende Handlungen betrachtet, erfordern äusseread31 Gelegenheiten, sie verrichten zu können. Ich kana32 zum Beyspiel so gut gesinnet seyn, daß ich der Vorschrift Jesu gemäß meinen Feind gern speisen und bekleiden würde; allein um discd33 gute Werk thätig zu verrichten, wird voraus gesetzt, theils daß ich einen Feind habe; theils daß dieser meiner Unterstützung bedarf; theils daß ich das Vermögen dazu habe, ihm zu helfen; theils daß mir seine Dürftigkeit bekanta34 wird; theils daß ich mich mit ihm in einer solchen Lage befinde, daß meine Wohlthaten bis zu ihm gelangen können; alles dieses hängtcd35 aber nicht von mir selbst ab. Gleiche Bewandniß hat es mit allen andern einzelnen Arten der guten Werke. Nun würden wir in der That sehr übel daran seyn, wenn die Verrichtung einer oder doch gewisser bestimtera36 Arten guter |d158| Werke zur Seligkeit schlechterdings nothwendig wären, da es nicht von uns abhängtcd37, uns die Gelegenheiten dazu zu verschaffen. In dieser Beziehung kana38 also der Satzcd39: gute Werke sind zur Seligkeit nicht nothwendig, allerdings mit Grunde behauptet werden, in so fern keine einzelne Gattung derselben zu nennen ist, deren werkthätige Leistung schlechterdings zum Glückseligseyn erfordert würde.
  • b) Da aber die Seligkeit nicht ein augenblicklich vorübergehenderd40 sondern fortdaurender Zustand ist, darin der Mensch immerfort denktcd41, wünscht und handelt, und alle diese Entschliessungend42 und Handlungen nothwendig |a162| entweder gut oder böse sind, cd43 uns vollkomnera44 oder |b176| |c176| unvollkomnera45, Gott wohlgefälliger oder mißfälliger machen, so erhelletd46 wie in diesem Betrachtd47 der Fleiß in guten Werken zur Seligkeit nothwendig sey. Es muß nemlich der Mensch nothwendig alle christliche Tugenden werkthätig ausüben, /aso bald sich zu Verrichtung Gelegenheit darbeut,a\a48 denn der aus Gott /aGeborne kanc49a\a50, wie Johannes 1 Br. 3, 9. sagt, nicht sündigen, er kanacd51 nicht wider sein Gewissen handeln, noch unterlassen,a52 was dieses von ihm fordert. Christus selbst erklärtcd53 das blossed54 Unterlassen guter Handlungen für den Grund der Unseligkeit. Matth. 25, 42a55 f.
  • c) Gute Werke sind nun eigentlich in einer dreifachena56 Beziehung nothwendig,
    • als natürliche und unausbleibliche Folgen guter Gesinnungen,a57 Matth. 7, 18. an welchen der Mensch erkennen muß, ob er den Sinn Christi wirklich habe, 1 Joh. 3, 10. 14.
    • als Befestigungsmittel in guten Gesinnungen;a58 indem nur durch Uebung in der Geduld, im Vertrauen auf Gott, im Nachgeben, in großmüthiger Wohlthätigkeit, in der Arbeitsamkeit, diese beseligende Tugenden zu Fertigkeiten werden können.
    • als Beförderungsmittel der Wohlfarta59, indem jede Ausübung einer Pflicht unsrena60 Zustand verbessert. |d159| So oft ich andern mit Ehrerbietung und Dienstbeflissenheit zuvorkomme, erwerbe oder vermehre ich ihre Achtung odercd61 Freundschaft gegen mich: so oft ich eine Versuchung zu Thorheiten überwinde, entgehe ich übelnad62 Folgen, die mich beunruhiget haben würden, und befestige die Herrschaft des Geistes über die Sinnlichkeit.
a1: Viertens.cd2: Denkungsarta3: wahrhaftigea4: Gotta5: Veränderunga6: Hofnungcd7: 1 Joh. 3, 21–24.a8: ob nur der Glaube allein oder auch die Werke zur Seligkeit nothwendig sind?ad9: Büßungend10: geißelnd11: u. dergl.ad12: äußerea13: genanntercd14: sogenante (c) ; sogenante (d)cd15: sogenantencd16: der ersten Gattungcd17: einschärfeta18: Speised19: bestimtend20: u. s. w.cd21: Hinderniße (c) ; Hinderniße (d)cd22: Hindernissea23: erklärtcd24: erklärta25: von denselbencd26: Begriffe anlangeta27: kanncd28: beständigad29: äußernad30: äußeread31: äußerea32: kanncd33: diesesa34: bekanntcd35: hängeta36: bestimmtercd37: abhängeta38: kanncd39: der Concordienformeld40: vorübergehender,cd41: denketd42: Entschließungencd43: folglicha44: vollkommnera45: unvollkommnerd46: erhellet,d47: Betrachtea48: so bald sich zu derselben Verrichtung Gelegenheit darbeut,c49: kanna50: geboren, kannacd51: kanna52: unterlassencd53: erkläretd54: bloßea55: 42.a56: dreyfachena57: Gesinnunga58: Gesinnungen,a59: Wohlfahrta60: unserncd61: undad62: üblen

|a163| §. 73.

Fünftens:a1 Da das Wort Glaubea2, durch die so sehr von einander /adabweichende willkührlichead\ad3 Definitio|b177||c177|nen der Theologen so vieldeutig geworden ist, und selbst in der heiligen Schrift eine /dverschiedned\d4 Ausdehnung hat; es aber bey dem Erkentnißd5 der Religion nicht auf Töne, sondern auf Begriffe ankomta6: so ist der sicherste Wegd7 aus der Verwirrung der Wortstreitigkeiten, und den daraus entstehenden Mißverständnissen sich heraus zu finden, daß man statt dieses Worts,acd8 andre Ausdrücke von bestimterera10 Bedeutung wähle, died11 eben die Begriffe einzeln und begrenzta12 darbieten, welche sonst unter dem /cdWort Glaube zusammengefaßtcd\cd13 werden. Soltenac15 nicht alle einsichtsvolle Theologen in allen Kirchpartheienad16 darüber einscd18 seyn, daß der Mensch alsdennd19 selig wird, wenn er /aden Sinn Christi überkomta\a20, oder gegen Gott und Menschen,cd21 solche Gesinnungen annimta22, wie Christus gegen seinen Vater und gegen uns gezeiget hat? Denn worind23, meine protestantisched24 Brüder, wollen wir das Leben des Glaubens setzencd25, als in diecd26 Wirksamkeit, welche er auf die Gesinnungen /aäussertd27? Kana\a28 wol ein Glaube rechter Art seyn, oder selig machen, der das Herz ungeändert läßt? Was fehltd29 aber, meine katholisched30 Mitbrüder, demjenigen noch zur Seligkeit, dessen Denkartcd31 dem Sinncd32 Christi ähnlich ist? Wird nicht der, welchen dieser Geist des Christenthums beseeltcd33, alle Gelegenheiten gutes zu thun freywillig aufsuchen und mit Emsigkeit benutzen? Ich empfehle daher statt der ewigen Wortanalysen über den rechten Begrif des Glaubens und des lebendigen Glaubens, wodurch man einfältigen |d160| Christen niemals bestimtea34 und nutzbare Erkentnisse beybringen wird, auf den Kanzeln lieber zu sagen: Die Seligkeit beruhet auf guten oder christlichen Gesinnungen. Disd35 wird von jederman so gleich verstanden, und nun kana36 man das aus der Lehre Jesu vortragen, was diese Gesinnungena37 der dankbaren Liebe, des Vertrauens, der |a164| Folgsamkeit gegen Gott, und der aufrichtigen und wohlthätigen Menschenliebe in den Zuhörern zu erwecken am geschicktesten |b178| |c178| ist;d38 und sie danna39 weiter anweisen, wie sied40 diese Gesinnungena41 in ihrem ganzen Verhalten äussernad42 und an den Tag legen müssen. So bestehet denn das ganze Werk der Seligmachung des Menschen durch die christliche Religion darin, daß der Mensch
  • 1. Vertrauen zu Christo als einem göttlichen Lehrer fassetad43.
  • 2. Den Unterricht desselben sich bekanta45 machtd46.
  • 3. Die daraus /aerkanten Warheitencd47a\a48 in der Zueignung auf sich selbst überdenktcd49, und hierdurch seine ganze /dDenkartc51 umbildetd\d52.
  • 4. Durch den Geist der Religion Jesu sich nun weiter in alle Wahrheit und Tugend leiten läßtcd53, und hiermit seinen innern und äussernad55 Zustand immerfort vollkomnera57 machtd58, nach allen Gelegenheiten, died59 sich ihm,cd60 gutes zu thun, darbieten.
a1: Fünftens.a2: Glaubead3: abweichenden willkührlichend4: sehr verschiedened5: Erkentnissea6: ankommtd7: Weg,acd8: Worts (a) ; Worts (c d)acd9: Wortes,a10: bestimmtererd11: welchea12: begränztcd13: Worte Glauben zusammengefaßet (c) ; Worte Glauben zusammengefaßet (d)cd14: Worte Glauben zusammengefassetac15: Solltenad16: Kirchpartheyen (a) ; Kirchpartheyen (d)ad17: Kirchenpartheiencd18: einigd19: alsdanna20: den Sinn Christi überkommtcd21: Menschena22: annimmtd23: worinnd24: protestantischencd25: suchencd26: derd27: äußerta28: äußert? Kannd29: fehletd30: katholischencd31: Denkungsartcd32: Sinnecd33: beseeleta34: bestimmted35: Diesesa36: kanna37: Gesinnungd38: ist,a39: dennd40: Christena41: Gesinnungad42: äußernad43: faßt (a) ; faßt (d)ad44: fassea45: bekanntd46: machecd47: Wahrheitena48: erkannten Wahrheitencd49: überdenket (c) ; überdenket (d)cd50: überdenkec51: Gemüthsartd52: Gemüthsart umbildecd53: lässet (c) ; lässet (d)cd54: lassead55: äußern (a) ; äußern (d)ad56: äußerena57: vollkommnerd58: mached59: welchecd60: ihm

§. 74.

Die Bekehrung des Menschen durchs Christenthum ist vermöge der bisherigen Entwickelung eine durchaus erfreuliche Sache. In der ganzen Lehre Jesu findet sich kein Satz, der den Menschen, welcher sich bessern will, betrübt oder niedergeschlagen machen /akönte. Wira\a1 werden sogleich,a2 wenn wir diese Lehre /aannehmen, cd3 wiedergebohrena\a4, indem wir die Grössead5 der Liebe Gottesa6, der Mildthätigkeit seines Plansd7 über uns, und einen sichern und angenehmen Weg,a8 unsre Wohlfarta9 immerfort Ewigkeiten hindurch zu vergrössern,ad10 aus dem Unterrichtd12 der heiligen Schrift kennen lernen; das kana13 niemandencd14 Traurigkeit erwecken. Es muß daher jedem Freunde der Lehre Je|d161|su nahe gehen, wenn er gewahr wird, wie blos die unglückliche Uebersetzung des Worts μετανοια durch poenitentia |a165| und durch Buße in der abendländischen Kirche so vield15 finstere Lehrsätze erzeuget hat, welche die Liebenswürdigkeit der Einladungen Christi so sehr verdunkeln. Der |b179| |c179| ganze Artikel von der Buße in unsrer Dogmatik und Moral, besonders was von einer Beängstigung des Gewissens, Zerknirschung, Bußkampf und dergleichend16 darin vorkomta17, ist aus dem alten Testamentd18 entlehnt, hat nicht den allermindesten neutestamentischen Grund, und kana19 auch schlechthin mit dem Geistcd20 des Evangeliums nicht bestehen. Ich will dieses etwas umständlicher erweisen.
1. Ueberall wo Luther in der Verdeutschung des N. T. Buße und Reue gesetztcd21 hat, stehen im Grundtextd22 zwey Worte, welche blos eine aus reiflicher Ueberlegung und Nachdenkend23 entstehende Veränderung und Verbesserung der Entschliessungend24 und Gesinnungen anzeigen. Eben diese Worte brauchen die alexandrinischen Uebersetzer selbst von Gott und von der Veränderung seiner Verfügungen, folglich liegtcd25 darin gar nicht der Begrif des Betrübtseyns oder der Zerknirschung. Dagegen bedeutet nun Buße und büßen so viel,a26 als Genungthuungc27 für begangene Vergehungen leisten, es sey durch Geldbuße, oder ad28 Erduldung schmerzhafter Empfindungd29. Esr. 7, 26.
/d*)d\ Im hebräischen bezeichnet נחם auch ganz allgemein jede Veränderung des Gemüthszustandes und der Gesinnungena30, so wie μετανοεω, und daher nicht nur reuen, sondern auch sich trösten und neuen Muth fassen:cd31 dagegen büßen ein ganz anderer Begrif ist, der durch ענש und ζημιοω ausgedruckt
2. Alle Stellen und Beyspiele, welche aus dem alten Testamentd32 in diesem Artikel als Erklärungen und Beweise dessen, was bey der Bekehrung durchs Christenthum im Menschen vorgehen mußd33, angeführet werden, sind schlechterdings unbrauchbar. Denn der Geist des alten Testamentsd34 war der Geist der Furcht und Knechtschaft; |a166| der Geist des neuen Bundes ist der kindliche freudige Geist zu Gotta35. cd36 Die jüdischen Schriftsteller waren |d162| unter dem /dGesetzc37, dasd\d38 nur Zorn anrichtet,c39 unter dem Buchstaben, der da tödtet;cd40 wir sind unter der Gnade und einem |b180| |c180| lebendigmachenden geistigen Evangelium. cd42 Nur erst durch Christum Jesum ist Gnade und Wahrheit und lebendige Hofnung ans Licht gebracht worden. cd43 Wäre jener erste Bund untadelicha44 gewesen, so hätte es keines neuen Bundes bedurft,a45 Ebr. 8, 7 f. Ich betrübe mich allemal, so oft ich in christlichen Versamlungen die Psalmen Davids lesen höre, als ob es vom Geistcd46 des Christenthums eingegebenea47 Gebete wären. Was sind sie? es sind /cdangstvolle Gebetea48cd\cd49, worin /cdDavidcd\ Gott nicht als /cdden allgemeinencd\cd50 Vater der Menschen, sondern als dencd51 Schutzgott des jüdischen Volks,cd52 der die benachbarten Nationen hasset, anruftcd54, und dessencd55 Ehrliebe a56 /cdzum öftern auffordertcd\cd57/a, sicha\ seines Volkes a58 um seines Namens willen, weil er sich den Gott Israels nenne, anzunehmen und andre Völker zu verderben:cd59 zum Beyspiel Ps. 79. 44. 46. /cdodercd\ worin ercd60 bey dem Anblickd61 der Zerrüttung und d62 Meuthereiena63, died64 seine Vielweiberey, schlechte Kinderzucht, und andre Vergehungen in seiner Familie und in dem /aStaate veranlasseta\a65 hatten, sich in dem größten äussernacd66 Bedrängniß befindet, und Gott mit Gelobung der Besserung um Rettung gegen seine Feinde, und um Hülfe zu ihrer Untertretung anfleheta68, /cdPs. 2. 5, 9 f.cd\ Ps. 6. 7. cd69 und in vielen andern. Wie ist es möglich, daß solche Gebetea70, darin so gar nichts von dem christlichen göttlichen Geiste der Liebe zu spüren ist, noch von Christen nachgebetet werden können? ⌇⌇a
Ich muß hierbey von dem Verhältnißcd71 der Schriften des alten Testaments zum Christenthumd73 eine allgemeine Bemerkung einschalten. Die jüdische Nation war durch Mosen und die Propheten, als durch Knechte Gottes,acd74 in ihrem Kindheitsalter oder in der Zeit ihrer rohen unkultivirten Sinnlichkeit gehofmeistert und in strenger |a167| Zucht durch eine Menge einzelner Gesetze und willkührlicher Strafen gehalten worden,a76 Ebr. 3, 5. 6. Gal. cd77 4, 1 f. nun erschien Christus als der Sohn Gottes,a78 |c181| und hob alle |b181| Ver|d163|ordnungena79 der Vormünder auf, verbesserte die ganze /cdDenkartcd\cd80 der Juden und erklärte sie für freiea81 und volljährige Söhne, die keines Gesetzes mehr bedürften,a82 Gal. 3, 23. 24. K. 4, 1 f. Ebr. 8, 6. 17. Nun mußten die Apostel allerdings die Juden, welche an ihre bisherige Pfleger, Mosen und die Propheten gewöhntcd83 waren, überführen, daß diese Lehrer ihrer Kindheit nicht das Gegentheil von dem Inhaltcd84 des Christenthums vorgetragen hätten, sondern daß ihre Anweisungen auch schon zu eben dem Zweckd85 abgezielet, aber nur wegen der kindischen Denkartd86 des Volkscd87 sehr sinnlich, und daher unvollkommenes Schattenwerk gewesen wärecd88, und daß /ajene vorzüglichea\a89 Männer auch selbst eine noch bevorstehende größrecd90 Aufklärung der Religionseinsichten /avorher verkündiget hätten,a\a91 Col. 2, 16. 17. Ebr. 8, 5 f. K. 9, 9 f. Daher sagtd92 nun Christus selbst Matth. 11, 9. 11. Luc. 7, 26 f. Johannes sey bereits grösserad93 denn alle Propheten, welche vor ihm gewesen wären, und nur auf die Zeiten des neuen Bundes gedeutet hätten, aber der geringste Lehrer des Christenthums sey grösserad95 denn Johannes, das ist, übertreffe bey weitema96 alle Propheten des alten Testamentsd97 an Richtigkeit, Deutlichkeit und Vollständigkeit der Einsichten in demacd98 Plan Gottes über die Glückseligkeit der Menschen. Wie undankbar handeln wir demnach gegen Christum, derd99 unser einziger Meister seyn soll, daß wir in die Kinderschule der Juden zurückkehren, und in derselben die Begriffe, was zur christlichena100 Bekehrung gehöre,a101 erlernen wollen; aber wir werden auch dafür bestraft, indem wir aus derselben Aengstlichkeit, Hammerschläge des Gesetzes, Zerknirschung, Bußkampf, heilsam seyn sollende Verzweifelung, und andre den Geist einer kindischknechtischen Furcht einhauchende Begriffe unausbleiblich zurück bringen. cd102
|a168| 3. Im ganzen neuen Testamentd103 findet sich nicht eine |c182| einzige Stelle, /ddarind\d104 gelehreta105 werde, daß zur Verbesse|b182|rung des menschlichen Gemüthsd106 durchs Christenthum eine vorläufige Beängstigung des Gewissens, oder wehmuths|d164|volle mit Thränen begleitete tiefe Betrübniß vorgängig erfordert werde. Die Stellen, welche man hieherd107 zu ziehen pflegtd108, handeln offenbar nicht von der christlichen Umbildung zu Gott ähnlichen Gesinnungen. Der Zöllner, welcher im Tempel betet, betet unläugbar als Jude,a109 Luc. 18, 13 f. und Christus stellet ihn gar nicht in der Lage vor, wie er durchs Evangelium wiedergeboren wird, sondern setztcd110 nur die demüthige Aufrichtigkeit eines Zöllners, /ddied\d111 von den Juden schlechthin als verworfned112 Sünder angesehen wurden, der stolzen Heucheley eines Pharisäers, welche das Volk für Heilige hielt, entgegen. Wenn Ebr. 12, 17. nach Luthers Verdeutschung gesagtd113 wird:a114 Esau fand keinen Raum zur Buße, wiewol er sie mit Thränen suchte, so wird doch wol niemand behaupten, daß hier von einer Bekehrung des Esau durchs Christenthum zu Gott die Rede sey;a115 überdisd116 aber ist der eigentliche Sinn dieser Stelle: Esau kontead117 seinen Vater selbst durch Thränen nicht bewegen,a118 seine Gesinnungen zu ändern, daß er den vorzüglichen dem Jakob ertheilten Segen /cdzurück genommencd\cd119 und auf ihn übertragen hätte. Die scheinbarste Stelle ist 2 Cor. 7, 8 f. worin von einer Traurigkeit, welche religiöse Besserung wirketa121, geredet wird. Allein der Zusammenhang beweiset, daß hier nicht von einer Bekehrung der Corinther zu Christo, und von einer Traurigkeit über ihren vorigen lasterhaften Zustand die Rede sey; sondern daß ihre Betrübniß daher entstanden war, weil Paulus der ganzen Gemeine harte Vorwürfe /cddarübercd\ gemacht hatte, daß sie einen Menschen in ihrer kirchlichen Gesellschaft duldeten, der seine Stiefmutter geheiratheta122 hatte. Die Wirkungen,a123 welche dieser Betrübniß zugeschrieben werden, /asind nach Vers 11.c124 Verantwortung, Furcht, Verlangen, Eifer, |c183| Rache. Diese Wirkungen abera\ passen |a169| a125 gar nicht zu der |b183| dogmatischen Theorie von der Buße; indem die Corinther nur,a126 um sich gegen Paulum zu rechtfertigen, ihren Zorn/a, Eifer und Rachea\ gegen den Verbrecher und dessen etwannige Beschützer ausgelassen hatten.
|d165| Will jemand über den Begrif der Sinnesänderung mit mir philosophiren, und daraus a priori es etwa herleiten, daß doch nothwendigcd127 so oft man seine Gesinnungen ändert und sich zu einem neuen Plancd128 des Lebens entschließtcd129, eine Mißbilligung der bisherigen Maaßregeln vorhergehen müsse,a130 so gebe ich dieses überhaupt zu; läugne aber die Folge, daß aus dieser Mißbilligung des vorhergehenden Verhaltens ein praedominium oder Uebergewicht des Affektsad131 der Traurigkeit über /adasa\a133 Vergnügen, welches /adurcha\ die Aussicht in dencd134 glücklichen Erfolgcd135 der neuen Entschliessungencd136 /averanlasset wirda\a138, in einem sich bessernden Gemüth entstehen müsse. Wir können hierbey drey Fälle unterscheiden.
  • Wenn ein Mensch gewissenhaft,a139 aber aus Mangel richtiger Erkentnisse fehlerhaft gedacht und gehandelt hat,c140 und nun zu bessern Einsichten in sein wahres Wohl gelangeta141, so findet bey dem Entschlußcd142 zu einem neuen Plancd144 des Lebens blos Freude und keine Betrübniß statt. In diesem Fallcd145 befanden sich fromme Juden und gutherzige Heiden bey der ersten Einladung zum Christenthumd146. Ihr Uebergang aus der Finsterniß zum Licht;ad147 aus einer knechtischen Gottesdienstlichkeita149 zur Freiheit; aus dem Schatten des Todes zu den Hofnungen ewiger Glückseligkeit;a150 war eine durchaus angenehme Umwandlung ihrer Denkartcd151.
  • Wenn ein Mensch wider beßred153 Einsichten und wider sein Gewissen ausgeschweiftcd154 hat, und dann in ein Elend hineingeräth, aus welchem er noch keinen Ausgang gewahr werden kana155; so bemächtiget sich allerdings seines Gemüthsd156 Schwermuth, bittre Reue und |c184| Verdruß gegen sich selbst, welche so lange fortdauren,a157 |a170| |b184| als es ihm noch ungewiß scheintcd158, ob er errettet werden könne. So war die Angst Davids nach dem begangnend159 Verbrechen des Ehebruchs und /dMords, und die Reue des verlornen Sohnesa160, ehe er gewiß war, ob ihn der Vater wieder annehmen würde,d\d161 beschaffen: und von dieser Art ist die Buße der meisten Christen auf dem Sterbebette und der verurtheilten , daher man solche gewöhnlich und mit Recht eine Galgenbuße, /ddied\d162 |d166| aus a163 Furcht vor noch bevorstehenden Strafen erzeugeta164 wird, zu nennen pflegt.
  • Wenn ein Mensch zwar überhaupt Gelegenheit zu guten Erkentnissenc165 und einige allgemeine Begriffe von dem Wege zur Glückseligkeit gehabt, solche aber theils aus Leichtsinn, theils wegen mancher Zweifel dagegen unbenutzt gelassen, und nach blossemd166 Gutdünken gelebtcd167 hat;a168 alsdenncd169 a170 durch irgendscd171 etwas veranlasset wird,a172 mehr Aufmerksamkeit und Nachdenken darauf zu wenden, und etwa so glücklich istd173 eine Predigt voll Salbung zu hören,a174 und dadurch mit dem wahren Geistcd175 der Religion Jesu bekantacd176 zu werden: so wird der Entschlußd177 den ganzen Plan des Lebens zu ändernd178 mit einem doppelten Affektad179 begleitet seyn. Auf einer Seite wird er bedauren, nicht früher zu solchen beseligenden Gesinnungen gelanget zu seyn; auf der andern Seite aber wird die erfreuliche Vorstellungd181 nun endlich zu der längst vergeblich gesuchten Ruhe des Gemüths und /azura\ wahren Zufriedenheit des Lebens zu gelangend182 ihn frölich machen, und gewiß wird dieser angenehme /aAffekt das Uebergewicht in der Seele /dso fortd\d183 erhaltena\a184. Disd185 ist der gemeinste Fall, worind186 unsre von Jugend auf in der Religion unterrichtete Christen sich befinden, wenn sie in männlichen Jahren /azu der lebhaftena\a187 Ueberzeugung gelangena188, daß nur allein |c185| das gewissenhafte Bestreben,a189 Gott wohl zu gefallen, uns ruhig, weise und glücklich machen könne.
    |a171| |b185| Es ist demnach gewiß, daß alle durchs Christenthum bewirkte Besserung der Gesinnungen, von den angenehmen Aussichten in wahre Glückseligkeita190, welche durch dasselbe uns eröfnet werden, /aanfängt,cd191a\ und nicht von Gewissensangsta192 und Zerknirschung. Lutherusd193 fühlte auch die Uebereinstimmung dieser Begriffe mit dem wahren Geistcd194 des Christenthumsd195 und ward nur durch den Mangel /cdgenungsamen Spracherkentnissescd\cd196 abgehalten, es deutlicher aus der Schrift herzuleiten;cd197 denn er schreibt in einem seiner Briefe an Staupitz: /aEs war mir, als wenn ich eine Stimme vom Himmel hörete, da du lehrtest: |d167| es sey keine Buße (oder Bekehrung) rechter Art, wenn sie nicht aus innrerd198 Liebe zu Gott und dem Guten ihren Ursprung hätte.a\a199 Möchte man doch, da jetzt allgemein anerkanta200 wird, daß μετανοια nicht Buße,a201 sondern Besserung der Gesinnungen heißt, einen solchen Hauptbegrif in der gemeinen Uebersetzung ändern, und nicht aus Anhängigkeit an Menschen so gleichgültig gegen das richtige Erkentnißc202 der Anweisungen Jesu seyn.cd203
a1: könnte, wira2: sogleichcd3: zu lebendigen Hofnungena4: annehmen wiedergeborenad5: Größea6: GOttesd7: Planesa8: Wega9: Wohlfahrtad10: vergrößern (a) ; vergrößern (d)ad11: vergrößern,d12: Unterrichtea13: kanncd14: bey keinemd15: vieled16: dergleichen,a17: vorkommtd18: Testamentea19: kanncd20: Geistecd21: gesetzetd22: Grundtexted23: Nachdenkungd24: Entschließungencd25: liegeta26: vielc27: Genugthuungad28: durchd29: Empfindungena30: Gesinnungcd31: fassen;d32: Testamented33: solld34: Testamentesa35: GOttcd36: Röm. 8, 15.c37: Gesetzed38: Gesetze, welchesc39: anrichtetcd40: tödet: (c) ; tödet: (d)cd41: tödtet:cd42: Röm. 4, 15. K. 6, 14. 2 Cor. 3, 6 f.cd43: Joh. 1, 17.a44: untadlicha45: bedurft.cd46: Geistea47: eingegebnea48: Gebetercd49: jüdische National-Gebetecd50: der allgemeinecd51: dercd52: Volks (c) ; Volks (d)cd53: Volkes,cd54: angerufencd55: diea56: ercd57: desselben aufgefordert wirda58: sichcd59: verderben;cd60: Davidd61: Anblicked62: dera63: Meuthereyend64: welchea65: Staat veranlasstacd66: äußern (a c) ; äußern (d)acd67: äußerena68: flehtcd69: 13. 22. 27. 43. 51.a70: Gebetercd71: Verhältniße (c) ; Verhältniße (d)cd72: Verhältnissed73: Christenthumeacd74: GOttes (a) ; GOttes (c d)acd75: Gottesa76: worden.cd77: 3, 23. K.a78: Gottesa79: Verordnungcd80: moralische Denkungsarta81: freyea82: bedürften.cd83: gewöhnetcd84: Inhalted85: Zwecked86: Denkungsartcd87: Volkescd88: wärena89: diesecd90: größerea91: vorherverkündiget hätten.d92: sagetad93: größer, (a) ; größer, (d)ad94: größerad95: größera96: weitend97: Testamentesacd98: dend99: welchera100: christlichena101: gehörtcd102: Matth. 23, 8 f. Gal. 5, 1. Joh. 1, 17. 18. Matth. 11, 11. 1 Joh. 4, 18.d103: Testamented104: in welchera105: gelehrtd106: Gemüthesd107: hierherd108: pflegeta109: Judecd110: setzetd111: welche Leuted112: verworfened113: gesageta114: wird,a115: sey:d116: überdiesesad117: konntea118: bewegencd119: zurückgenommen (c) ; zurückgenommen (d)cd120: zurückgenommen,a121: wirkta122: geheyratheta123: Wirkungenc124: 11,a125: aucha126: nurcd127: nothwendig,cd128: Planecd129: entschließeta130: müsse;ad131: Affects (a) ; Affects (d)ad132: Affektesa133: den Affect descd134: diecd135: Folgencd136: Entschliessung (c) ; Entschliessung (d)cd137: Entschließunga138: veranlaßta139: gewissenhaftc140: hata141: gelangtcd142: Entschluße (c) ; Entschluße (d)cd143: Entschlussecd144: Planecd145: Falled146: Christenthumead147: Licht, (a) ; Licht, (d)ad148: Lichte;a149: Gottesdienstlichkeit,a150: Glückseligkeit,cd151: Gemüthsfaßung (c) ; Gemüthsfaßung (d)cd152: Gemüthsfassungd153: besserecd154: ausgeschweifeta155: kannd156: Gemüthesa157: fortdaurencd158: scheinetd159: begangenena160: Sohnsd161: Mordesd162: welche nura163: dera164: erzeugtc165: Erkenntnissend166: bloßemcd167: gelebeta168: hat,cd169: alsdanna170: abercd171: irgenda172: wirdd173: ist,a174: hörencd175: Geisteacd176: bekanntd177: Entschluß,d178: ändern,ad179: Affect (a) ; Affect (d)ad180: Affekted181: Vorstellung,d182: gelangen,d183: sogleicha184: Affect prädominirend185: Diesesd186: in welchema187: die lebhaftea188: erhaltena189: Bestrebena190: anfängtcd191: anfange,a192: Gewissenangstd193: Luthercd194: Geisted195: Christenthums,cd196: genungsamer Sprachkentnissecd197: herzuleiten:d198: innerera199: te velut e sonantem excepimus, quod vera poenitentia (resipiscentia) non est, nisi quae ab amore justitiae & dei incipit etc.a200: anerkannta201: Bußec202: Erkenntnißcd203: seyn!

§. 75.

Ich will diese ganze Lehre noch durch ein Gleichniß erläutern, welches auf die gewöhnliche Bekehrungsgeschichte unsrer Christen genau passet. Gesetztd1 der König liessed2 öffentlich von den Kanzeln bekanta3 machen, daß alle,a4 died5 sich und die ihrigen nicht ehrlich zu nähren wüßtend6, sich in einer gewissen Gegend einfinden soltena7, wo ihnen Gelegenheit zu reichlichem Erwerbd8 angewiesen werden /dsollte;c9 gesetztd\d10 daß viele, die bisher höchst kümmerlich /cdgelebt hätten, so gleichcd\cd11 auf die erste Bekantmachunga12 sich entschlössen, die Einladung anzunehmen, so ist offenbar, daß von diesen die Entschliessungcd13 zur Veränderung des ganzen Plans ihres Lebens cd14 |c186| mit /dFreudend\d15 gefaßt werden würde, weil sich ihnen die Aussicht in beßred16 Tage eröfnet; |b186| und daß sie über ihr bisheriges Verhalten keine Betrübniß oder |a172| Reue empfinden würden, weil sie vorher nicht gewußt hättend17, wie sie sich besser helfen soltena18. In diesem Fallcd19 befanden sich Juden und Heiden, da ihnen das Evangelium zuerst verkündiget ward;cd20 und darin befinden sich in unsern Tagen noch alle diejenigen gebornen Christen, welchen lauter unverständlicher Wörterkram statt Christenthum von Jugend auf vorgetragen /cdwordencd\ ist, wenn sie das erstemal einecd21 wirklich /cdchristliche Predigtcd\cd22 hörencd23. Gesetzt abercd24 daß andre Einwohner, died25 eben so sehr der gnädigen Hülfe des Landesvaters bedürftend26, die erste Einladung nicht benutzten, weil sie überhaupt nicht recht darauf acht gehabt,cd27 und sie nicht völlig verstanden hätten, oder weil sie ein Mißtrauen gegen die Bekantmachunga28 hegten, ob sie auch wirk|d168|lich vom Könige sey; ob sie auch ihre Person angehe; ob ihnen auch alle gute Versprechungen würden gehalten werden; oder cd29 weil sie die Reise für allzu beschwerlich /cdhielten;a30 oder endlich weil siecd\cd31 zu sehr an den Ort ihres bisherigen Aufenthalts gewöhntcd32 wären, und sich an demselben beßred33 Zeiten für die Zukunft versprächen. Gesetzt ferner, daß cd34 einer dieser nachgebliebenen in immer dürftigere Umstände geriethe, durch die mühseligsten Arbeiten nicht mehr genungsamesa35 Brodt für die Seinigen erwerben köntea36, schon zum Stehlen seine Zuflucht genommen hätte, dabey aber ergriffen und ins Gefängniß gesetztcd37 worden wäre, so daß er keinen Ausgang des Elendscd38 mehr vor sich erblicken köntea39. Gesetzt endlich, daß unter diesen Umständen ein königlicher Kommissara40 diesem Mannd41 nochmals die Gnade des Königsd42 anböte, ihm völlige Verzeihung wegen seines bisherigen Aussenbleibensd43 und seiner Vergehung wider die Gesetze versicherte, die angenehmste Beschreibung von der blühenden Wohlfart derer machte, died44 der Einladung /ades Monarchena\ /cdgefolgtcd\cd45 wären, ihm alle etwannige Zweifel /cddarübercd\ benehme und |c187| endlich ihm sogara46 königlichen Vorspann /dund Gelder,a47d\ und |b187| alle Erleichterung bey der Reise verspräche: was, fraget euch selbst |a173| meine Leser, was werden wol für Gemüthsbewegungen in diesem Mannd48 vorgehen, so bald er dem königlichen Boten glaubt? wird nicht der Gedanke:a49 was bin ich für ein Thor gewesen, daß ich mich so lange gequältd50 und nicht sogleich den gnädigen Einladungen des Königesa51 gefolgtcd52 bin, die Seele gleichsam nur obenhin berühren, und von der freudigen Vorstellung,a53 nun Ketten und Kerker verlassen zu können, und sich künftig im Wohlstande zu befinden, völlig verdrungen werden? Genau so gehet es mit der Bekehrung derd54 Christen, welche von Kindheit an unsred55 Kirchen besuchtcd56 haben; wenn sie zu klaren und praktischen Einsichten in die wohlthätige Beschaffenheit der himlischena57 Berufung des Evangeliums gelangen. So bald ihre Zweifel gehoben sind, aus denen allein Schwermuth und Traurigkeit entstehen kana58, bemächtiget sich ihrer ein freudiger und kindlicher Geist, und die Liebe Gottes wird in ihre Herzen |d169| ausgegossen, bey welcher keine Pein, keine Aengstlichkeit, keine andre Thränen als Thränen der dankbaren Freude statt finden können. cd59
d1: Gesetzt,d2: ließea3: bekannta4: alled5: welched6: wüsstena7: solltend8: Erwerbec9: sollte:d10: solte: gesetzt,cd11: gelebet hatten, sogleicha12: Bekanntmachungcd13: Entschließungcd14: durchausd15: froher Hofnungd16: bessered17: habena18: solltencd19: Fallecd20: ward:cd21: einencd22: christlichen Vortragcd23: oder lesencd24: aber,d25: welched26: bedürfencd27: gehabta28: Bekanntmachungcd29: endlicha30: hielten,cd31: hielten,cd32: gewöhnetd33: besserecd34: danna35: genugsamesa36: könntecd37: geworfencd38: Elendesa39: könntea40: Commissard41: Manned42: Königesd43: Außenbleibensd44: welchecd45: sogleich gefolgeta46: so gara47: Gelderd48: Mannea49: Gedanke,d50: gequäleta51: Königscd52: gefolgeta53: Vorstellungd54: derjenigend55: unserecd56: besucheta57: himmlischena58: kanncd59: Eph. 1, 3–19. K. 2, 1–18. 1 Petr. 1, 3 f.

§. 76.

Ueber die Frage: ob ein Christ den Tag und die Stunde seiner Bekehrung wissen könne und müsse? will ich meine Meinung noch mit wenigen Worten eröfnen. Wenn man unter der Bekehrung die Umbildunga1 der Denkartcd2 und d3 Gesinnungen eines Menschen verstehtcd4, wobey in demselben der allgemeine a5 feste Entschluß gefaßtd6 wird, durchaus rechtschaffen und gewissenhaft zu denken und zu handeln, und das Wohlgefallen Gottes zum höchsten Zield7 aller Bestrebungen zu setzen, so sind zwey Fälle zu unterscheiden.
  • 1.
    Wenn ein Mensch, der im Christenthumd8 von Jugend auf unterrichtet ist, (denn von einem solchen ist hier |c188| nur die Frage,a9) eine geraume Zeit hindurch gänzlich ge|b188|wissenlos und in offenbaren Ausschweifungen der Un|a174|gerechtigkeit, Völlerey, Unzucht /du. d. g.d\d10 gelebeta11 hat, und denncd12 auf einmal in ihm die Vorstellung lebhaft wird, wie dieser Weg ihn zum Verderben führe und er dagegen durch Befolgung der Vorschriften der Religion zu wahrer Glückseligkeit gelangen könne, so wird allerdings auf eine so auffallende und feierlichea13 Art seine ganze Denkartcd14 umgeschaffen, daß nicht nur er selbst, sondern auch andre, died15 sein Betragen beobachten, die Zeit seiner Bekehrung wissen können.
    Indesd16 ist auch hierbey zu bemerken, daß wenn gleich bey einigencd17 Christen die Besserung schnell und auf einmal zu /cdfolgena18 scheintcd\cd19, solche dennoch lange vorher und allmähliga20 vorbereitet worden ist. Die Sache verhält sich folgendergestalt: Der Mensch samlet nach und nach Einsichten und Beweggründe /azum rechtmässigend21 Verhaltena\a22 ein: bald wird ihm diese,a23 bald jene Warheitacd24 theils durch Unterricht, theils aus der Erfahrung klärer und gewisser. Es entstehen daher von Zeit zu Zeit Beun|d170|ruhigungen über sein regelloses Verhalten und einige Wünsche und schwache Entschliessungend25 sich zu bessern. Disd26 ist das, was die Mystiker in ihrer Sprache gute Rührungen oder das Anklopfen der Gnade an das Herz der Menschen zu nennen pflegen. So lange indesd27 die Beweggründe zur Besserung sich nur einzeln darbieten, und das Gemüth noch durch sinnliche Zerstreuungen im ernsthaften Nachdenken gestörtcd28 wird, so kommen die Vorsätze nicht zur Kraft. Wenn nun aber das Herz eines solchen Menschen durch irgend eine äusseread29 Veranlassung, zum Beyspiel durch Unglücksfälle, /amerkwürdige Errettungena\a30, Krankheit, schreckenvollesd31 Ende eines geliebten Gefährten der Ausschweifungencd32 oder sonstcd33 einen andern begünstigenden Vorgang in die Lage ge|c189|bracht ist,acd34 daß es stillen Selbstbetrachtungen nachzu|b189|hängen sich schon bestimta36 findet, und dann ein Buch oder |a175| eine Predigt oder das Zureden eines redlichen Freundes alle in der Seele schon vorhandned37 Triebfedern zum Guten in Bewegung setzt, daßa38 die einzelencd39 eingesamleten Begriffe und Motiven zur Besserung /a/cdbelebtcd\cd40 werden,a\ sich herzudrängen, und mit vereinter Kraft auf das Gemüth wirken, so erfolgtcd41 auf eine auffallende Art die grossead42 Revolution auf einmal. Hierin ist demnach nichts magisches, wunderthätiges oder übernatürliches anzutreffen, sondern alles /cderfolgt den psichologischena43cd\cd44 Veränderungsgesetzena46 /dvölligd\d47 gemäß.
  • 2. Wenn ein Mensch von Jugend auf ehrbar, nach den durch die Erziehung in ihn gebrachten Fertigkeiten und nach natürlicher Ehrlichkeit und Gutherzigkeit gehandelt hat, so erfolgtcd48 die höhere Verbesserung seiner moralischen Denkartcd49 nur allmähliga50 und nach dem Maaßcd51, /anach welchema\a53 seine Einsichten in die wahre Rechtschaffenheit sich aufklären und vervollkomnen,a54 und ein solcher Mensch kana55 also keinen besondern Zeitpunkt seiner Bekehrung angeben. In diesem Fallcd56 befinden sich die meisten unsrer Christen, deren Gewissen durch das Fehlerhafte in ihren Gesinnungen aus Mangel genungsamer |d171| Sachbegriffe von der Religion nicht beunruhiget wird, und die sich immer für gut genung halten, ob sie gleich sich mancherley Ausnahmen von den Regeln der Ordnung und Rechtschaffenheit erlauben, bis sich nach und nach ihre Einsichten verbessern, wenn sie so glücklich sindd57 gesunde moralische Predigten cd58 zu hören.
a1: Revolutioncd2: Denkungsartd3: dercd4: versteheta5: undd6: gefassetd7: Zieled8: Christenthumea9: Fraged10: u. dergl.a11: gelebtcd12: danna13: feyerlichecd14: Gemüthsartd15: welched16: Indeßcd17: einema18: erfolgencd19: erfolgen scheineta20: allmäligd21: rechtmäßigena22: des rechtmäßigen Verhaltensa23: dieseacd24: Wahrheitd25: Vorsätzed26: Diesesd27: indeßcd28: gestöretad29: äußerea30: merkwürdiger Errettungd31: schreckensvollescd32: Ausschweifungen,cd33: durchacd34: ist (a) ; ist (c d)acd35: wird,a36: bestimmtd37: vorhandenea38: undcd39: einzelncd40: insgesamt belebetcd41: erfolgetad42: großea43: psychologischencd44: entwickelt sich psychologischen (c) ; entwickelt sich psychologischen (d)cd45: entwickelt sich dena46: Verändrungsgesetzend47: der Seele ganzcd48: erfolgetcd49: Denkungsarta50: allmäligcd51: Maße (c) ; Maße (d)cd52: Maaßea53: daßa54: vervollkommnena55: kanncd56: Falled57: sind,cd58: öfters

§. 77.

Die Mißdeutung des Lehrsatzes, daß allein der Glaube und die Ergreifung des Verdienstes Christi auch ohne Werckeacd1 gerecht und selig mache, hat nun in der lutherischena2 Kirche den Fleiß im gutes thun ungemein ge|b190||c190|schwächt,a3 und die beseligenden Wirkungen des Geistes der christlichen Religion auf vielerley Art eingeschränkt und |a176| verhindert. Lutherus eiferte zwar sehr wider die guten Werke der römischen Kirche, aber wo er nicht polemisirtd4, dringt er überall auf wahre Geschäftigkeit im Guten; und es scheint,acd5 als ob er die unglücklichen Mißdeutungen seiner Nachsprecher vorher besorgtcd7 hätte und ihnen zuvorkommen wollen, indem er mehr denn hundertmal die Nothwendigkeit der guten Werke in seinen Schriften behauptet hat. Man lese darüber nur seinen Kommentara8 über den Brief an die Galater. Im 4ten Tom.a9 der lateinischen jenensischena10 Ausgabe seiner Werke, Blata11 109 schreibt er: /aMan muß von den guten Werken nur nicht sagen, daß man durch sie die Vergebung der Sünden bey Gott verdiene, sonst kancd12 man nicht groß und rühmlich genung von guten Werken sprechen und sie nicht angelegentlich genung empfehlen.a\a13 Desgleichen Blatt 165. /aEs ist nothwendig, daß rechtschafned14 Prediger die Lehre von den guten Werken eben so sorgfältig einschärfen, als die Lehre vom Glauben.a\a15 Dem ohnerachtet ist bald nachher die Religion als ein blosserd16 Gegenstand des Glaubens oder vielmehr der Spekulationa17 behandelt, und auf allen Kanzeln über theoretische gelehrte Streitfragen polemisirtd18 worden. Als hierauf der ehrwürdige Spener und seine Gehülfen die Lehre Jesu wiederum als eine Sache fürs Herz vorstelltencd19, und nach und nach alle kordated20 Leute auf ih|d172|re Seite traten, verfielen ihre minder gelehrte und minder redliche Nachtreter auf eine mystische Sprache und auf Tändeleyen mit dem Körper Jesu, wodurch sinnliche Gefühle erregtcd21, aber der Geist des Menschen wenig erleuchtet und gebessert ward. Nachher hat man sich in den Predigten in einem engen Zirkel von Worterklärungen über die theologischen Begriffe von Buße, Glauben und guten Werken, Rechtfertigung, Wiedergeburt, Natur und Gnade u. d. g. herumgedreht, |b191| |c191| so daß /din einemd\d22 ganzen Jahrgange oft nicht eine einzige umständliche und deutliche Anweisung zu irgends einer christlichen Tugend anzutreffen d23 ist, wie so viele gedruckte Postillen und Andachtsbücher beweisen. Seit etwa 30 Jahren hat man /dhin und wiederd\d24 angefangen,a25 sich über mehrere |a177| Religionswahrheiten in den öffentlichen Reden zu verbreiten, auch moralische Vorschriften ausführlichcd26 vorzutragen. Allein noch finden sich viele zum Theil es recht gut meinende Männer, welche moralische Predigten für unchristliche auch wol gar für heidnische Reden erklären. Soltenacd27 einige dieser Männer diese Schrift gewürdiget haben, sie bis hieherd28 zu lesen, so hoffe ich, daß wir uns hierüber mit einander verständigen woltena29. Zuvörderst bin ich mit euch, gutdenkende fromme Männer, vollkommen darüber einig, daß aller Vortrag einzelner Pflichten dem Menschen keine Kraft darbieten kanad30, solche vollständig auszuüben, und daß also die blossed32 Vorschriften der Moral keine Seligkeit hervorbringen, sondern daß vorher die ganze Denkartcd33 eines Menschen umgeändert oder der Sinn Christi in ihm hervorgebracht seyn muß, wenn er christliche gute Werke verrichten soll. Ich gestehe ferner zu, daß der Geist des Christenthums oder wahre /cdRechtschaffenheitcd\cd34 nur eigentlich durch die theoretischen Wahrheiten von den durch Christum uns bekanta35 gemachten guten Gesinnungen Gottes gegen uns, und von der Wohlthätigkeit aller seiner Vorschriften überhaupt,a36 in den Menschen erwecktd37 werden könne: denn es läßtd38 sich nicht die Liebe zu Gott durch einen Befehl erzwingen, sondern sie muß aus anschauender Erkentniß der Liebenswürdigkeit Gottes entstehen. |d173| Allein /dsoltenac39 dennd\d41 nicht, wennd42 wir mehrere Jahre hindurch diese erfreuliche Wahrheiten geprediget haben, endlich ein oder der andred43 unter unserend44 beständigen Zuhörern sich finden, der a45 wirklich von der Liebe Gottes überzeugtcd46 worden wäre, /aselbst dankbare Liebe gegen Gott empfände,a\ und nun von |b192| |c192| ganzem Herzen wünschte,a47 Gott durch sein gesamtesa48 Verhalten wohl zu gefallen, und Christo ähnlich zu werden? Und wenn ohnstreitig a49 dergleichen /aPersonena\ in allen christlichen Gemeinen /aanzutreffen sinda\a50, ist es denn nun nicht nöthig, daß wir sie ausführlicher unterrichten, wie sie in jeder Beziehung handeln müssen, um Gott zu gefallen? Wird denn ein Kind |a178| schon dadurch weise und glücklich, wenn es Vertrauen zu seinem Vater hat und geneigt ist, ihm in allen zu folgen? Was hilft alle seine Bereitwilligkeit zum Gehorsamd51, so lange es nicht weiß, was es von Stunde zu Stunde zum Wohlgefallen des Vaters thun und wie es sich in allen Beziehungen verhalten soll? Sehetc52 da, meine Freunde, darum sind moralische Predigten nothwendig, um den Kindern Gottes, died53 durch die Rathgebungenc54 ihres Vaters gern weiser und vollkommner werden möchten, solche nun umständlicher bekantacd55 zu machen, damit sie in allen besondern Verhältnissen ihres Lebens ihm wohlgefälliger werden, und sich seiner höhern Wohlthaten immer empfänglicher machen können,a56 Röm. 12, 2. Eben dahin zielen die vielen praktischen Anweisungen und einzelned57 Lebensregeln in den Reden Jesu, und in den Briefen seiner Apostel ab; und nach Gal. 1, 8. ist es doch unmöglich, daß Amsdorf und Muskulus ein anderd58 Evangelium zu verkündigen, von Gott bevollmächtiget gewesen seyn soltena59.
⌇⌇a Bey dieser Gelegenheit fühle ich mich gedrungen, die Wunden unsrer Kirche aufzudecken, nicht um ihrer zu spotten, sondern meine aufzufordern,a60 sich zur derselben zu ermannen. Die Verächtlichkeit, womit man über moralische Predigten hergefahren ist, hat es veranlaßtcd61, daß selbst von den Predigern /adas Studium der christlichen Morala\a63 unglaublich vernachlässigtacd64 worden |d174| ist: obgleich in neuern Zeiten verschiedene grossead66 Männer in unsrer Kirche vortrefliche Systeme darüber geschrieben haben. Niemand kana67 disd68 |b193| |c193| so sehr gewahr werden, als wer ein Theologe von Profession ist, was für unbestimtea69, verworrned70, und zum Theil ganz falsche Begriffe über viele der wichtigsten Pflichten des Christenthums in den öffentlichen Lehrvorträgen angetroffen werden. Soll zum Beyspiel die Demuth empfohlen werden, so wird sie als eine Geneigtheit beschrieben, sich für den größten unter den Sündern, und für ganz nichtswürdig zu halten. Man |a179| beruft sich auch wol dabey auf Pauli Urtheil über sich selbst,a71 1 Tim. 1, 15. wo er sich den vornehmsten unter den Sündern nenneta72. Wenn man aber diese Stelle cd73 mit dem vorhergehenden /cdnurcd\ im Zusammenhange,a74 und cd75 1 Cor. 15, 10. /cddamitcd\ vergleichen woltea76, so würde man erkennen lernen,c77 daß die Demuth nicht /cddarin bestehtcd\cd78, sich für schlechter zu halten, als man ist;a79 sondern daß die Demuth eine Fertigkeitd80 sey, sich seiner Unvollkommenheiten bewußt zu seyn, ohne die Vollkommenheiten, die man hat, zu verkennen. Denn Paulus, welcher sich darum den größten Sünder und d81 geringsten unter den Aposteln nenneta82, weil er vorher den Namen Christi verlästert und die Apostel verfolget hatte, verringert theils selbst die anscheinende Grössead83 seiner Vergehung dadurch, daß er bemerkt, er habe es aus Unwissenheit gethan;a84 theils erwähntcd85 er auch seiner Talente und des treuen Gebrauchscd86 derselben, daß er mehr gearbeitet habe,cd87 als alle übrige Apostel. In was für Aengstlichkeit versetztd88 man aber nicht den Christen, wenn man es ihm zur Pflicht macht, sich für den nichtswürdigsten unter den Menschen zu halten, und dieses Demuth nenneta89: da es doch der Fehler der Niederträchtigkeit ist, wenn man seinen eignend90 Werth verkennet. So gehtcd91 es nun fast mit allen Pflichten; theils werden sie zum Nachtheild92 andrer Pflichten übertrieben, theils aus ganz falschen Gesichtspunkten vorgestelleta93, überall aber solche schwankende Begriffe davon dargeboten, daß bey /dKollisionena94d\d95 der Christ mit aller Gewissenhaftigkeit oft thöricht und wider seine |b194| |c194| Wolfartad96 zu han|d175|deln veranlasset wird. Unbeschreiblich groß ist der hieraus täglich entstehende Nachtheil für die Christen. Man stelle sich nur eine Anzahl Kinder vor, welchen man täglich vorpredigte, wie gütig ihr Vater gegen sie gesinnet sey, wie sehr sie aus Dankbarkeit ihm in allencd98 zu folgen verpflichtet wären, und wie glücklich sie dabey werden würden; denen man aber,a99 wenn sie nun begierig wären zu wissen, wie und wodurch sie ihrem |a180| Vater wohlgefällig werden köntenacd100, die väterlichen Vorschriften /cddesselbencd\ entweder gar nicht /abekantd101 machte,a\a102 oder /cdihnencd\ falsche und mangelhafte Erklärungen darüber gebed103: würden diese Kinder wol täglich weiser und vollkommnerc104 werden können? Wären unsre gemeine Christen selbst die Weisheitslehre Jesu zu erfinden geschickt, wozu bedürfte es einer Offenbarung? wozu wären so viele Ermahnungen zu einzelnen Pflichten in jeder Beziehung des Lebens in den apostolischen Schriften verzeichnet?d105
acd1: Werkea2: Lutherischena3: geschwächtd4: polemisiretacd5: scheint (a) ; scheint (c d)acd6: scheinet,cd7: besorgeta8: Commentara9: Tom[.]a10: Jenensischena11: Blattcd12: kanna13: Extra justificationis nemo potest bona opera a Deo praecepta satis magnifice commendare.d14: rechtschaffenea15: Necessarium est, ut pii doctores tam diligenter urgeant doctrinam de bonis operibus, quam doctrinam de fide.d16: bloßera17: Speculationd18: polemisiretcd19: vorstelletend20: gutecd21: erregetd22: imd23: gewesend24: hier und daa25: angefangencd26: ausführlicheracd27: Solltend28: hierhera29: wolltenad30: kann (a) ; kann (d)ad31: könned32: bloßecd33: Gemüthsartcd34: Liebe zu Gotta35: bekannta36: überhauptd37: erwecketd38: lässetac39: sollten (a) ; sollten (c)ac40: solted41: solte dannd42: wannd43: andered44: unsrena45: nuncd46: überzeugeta47: wünschtea48: gesammtesa49: sicha50: findend51: Gehorsamec52: Sehet,d53: welchec54: Rathgebungacd55: bekannta56: können.d57: einzelnend58: anderesa59: solltena60: aufzuforderncd61: veranlaßet (c) ; veranlaßet (d)cd62: veranlasseta63: das Studium der christlichen Moralacd64: vernachläßigt (a) ; vernachläßigt (c d)acd65: vernachlässigetad66: großea67: kannd68: diesesa69: unbestimmted70: verworrenea71: selbsta72: nenntcd73: nura74: Zusammenhangecd75: mita76: wolltec77: lernencd78: darinnen besteheta79: ist,d80: Geneigtheitd81: dena82: nenntad83: Größea84: gethan,cd85: erwähnetcd86: Gebrauchescd87: habed88: versetzeta89: nenntd90: eigenencd91: gehetd92: Nachtheilea93: vorgestelltad94: Collisionen (a) ; Collisionen (d)ad95: dem anscheinenden Streite der Pflichten,ad96: Wohlfahrt (a) ; Wohlfahrt (d)ad97: Wohlfartcd98: allema99: aberacd100: könntend101: bekannta102: bekannt machted103: ertheiltec104: vollkomnerd105: verzeichnet.

§.

Ein andrerd1 sehr grosserd2 Fehler der /cdtheologischen Denkart und dercd\ öffentlichen Lehrvorträge, welcher dem Zwecke unsresa3 Amtes überaus nachtheilig wird, ist /adied4 fast allgemeine Gewohnheit auf den Kanzeln immer zu tadelnd5 und niemals zu loben. Da,a\a6 so viel ich weiß,a7 diese üble Gewohnheit und ihr verderblicher Einfluß noch nicht öffentlich gerüget worden ist, so will ich ausführlicher zeigen, wie solchecd8 theils auf ganz falschen Gründen beruhe, theils wider das Beyspiel Jesu und der Apostel sey; theils dem Christen die grossenad9 innern Belohnungen,a10 died11 Gott mit dem Bewußtseynd12 guter Gesinnungen zur Aufmunterung in der Tugend verknüpftcd13 hat, beraube; theils auf mehr denn eine Art die volle Wirkung des Evangeliums und unserer Amtsbemühungen hindre.
1. Es liegen ganz verworrned14 und falsche Begriffe bey der üblichen Tadelsucht zum Grunde. Alle unsre gu|b195|ten sind unvollkommen, das ist wahr;a15 aber |c195| Gott fordert auch so wenig, als irgends ein menschlicher Vater,a16 von schwachen unmündigen Kindern,a17 mehr als aufrichtigen |d176| Willen und treuen Gebrauch der vorhandnencd18 Kräfte, Einsichten und Gelegenheiten. Selbst fehlerhafte und verunglückende Versuche eines Kindes,a19 gut zu handeln,a20 sind väterlichen Augen bereits angenehm, und werden von vernünftigen Aeltern mit Beyfall bemerktcd21 und belohnt. Mancd22 mag /cdnuncd\ in |a181| Absicht der natürlichen Kräfte des Menschen die Lehre des Augustins oder die Lehre der heiligen Schrift cd23 annehmen, so folgtcd25 aus beidena26, daß wir alled27 auch noch so mangelhafte Aeusserungenad28 des guten Willens unsrer Zuhörerd29 loben müssen.
  • a) Glaubt man mit Augustin, daß Gott alles Gute in dem Menschen in Absicht jeder Handlung wirken müsse: so ist es ja die größte Undankbarkeit gegen Gott, wenn man das Gute, was er im Menschen /chervorbringtd30, verkennetc\c31 oder für geringschätzig hält; und man ehret und preiset cd32 Gott und seine Gnade selbst, wenn man alle gute Gesinnungen, Vorsätze, Versuche und Handlungen der Christen in ihrema33 wahren Werthd34 vorstellet und rühmetcd35. Doch vielleicht wird der Mensch nur getadelt, weil er den Wirkungen Gottes nicht genungsamcd36 Raum giebt, weil er widersteht.cd38 Allein,a39 meine Freunde, wisset ihr denn gewiß, daß alle eure Zuhörer immer widerstehen, und soltena40 nicht wenigstens alle, in so fern sie nicht widerstanden und daher Gutes gethan haben, gelobet werden? Ich will mich einmal ganz in Augustins Theorie hineindenken,a41 und die Sache durch ein passendes Gleichniß ins Licht setzen. Man nehme an, daß ein Kind schreiben lernen solte;ad42 der Vater verlangtcd44 nun,a45 es soll ihm nur seine Hand lediglich überlassen und nicht widerstehen. Er faßtd46 also die Hand des Kindes und führtcd47 sie: allein das Kind macht mit seiner Hand widerwärtige Be|b196|wegungen und daher geräth kein Buchstabe. Nach |c196| öfterncd48 Erinnern und fehlgeschlagenen Versuchen überläßtcd49 endlich das Kind seine Hand so ziemlich der Regierung des Vaters, und nun komta51 ein zierlicher Buchstabe zum Vorschein. Sagt mir nun, Freunde, was würdet ihr in diesem Fallc52 zu eurem Kinde sagen? |d177| Etwa: mein Sohn sey ja nicht stolz darauf, daß der Buchstabe so schön gerathen ist, du hast gar |a182| nichts dazu beygetragen, du kansta53 nichts, dein Vater hat ihn ganz allein durch seine Geschicklichkeit hervorgebracht;a54 blos das Fehlerhafte daran ist deine Schuld, weil du hast mitschreibend55 wollen. Oder würde nicht jeder vernünftige Vater sagen: Siehe, mein Sohn, wie schön der Buchstabe aussiehet, dismald56 hast du es recht gemacht; so schön wirst du bald selbst schreiben lernen, wenn du nur aufmerksam bist und mit deiner Hand immer meiner Führung folgesta57, es wird jedesmal /aimmer nocha\a58 schöner gerathen. Wolan,a59 so redet denn auch eben so zweckmäßig auf den Kanzeln und saget wenigstens: Ich danke Gott allezeit, lieben Brüder, eurentwegen, so oft ich euer gedenke in meinem Gebet, daß ihr seine Gnade nicht vergeblich empfahet. Ich bemerke unter euch rechtschaffene Väter und Mütter, redliche Kaufleute, gutgesinnte, treue und fleissigead60 Dienstboten etc. es geschiehtd61 täglich in allen Häussernacd62 so /dviel Gutesd\d63, so vielec64 unter euch geben die unverdächtigsten Beweise, daß sie sich vom Geiste Christi regieren, und Gottes Gnade in sich wirken lassen. Seyd dankbar gegen diese innred65 göttliche Wirkungen auf euch, und überlasset euch immer mehr denenselben. /a/dSolte disd\d66 nicht mehr Aufmunterung veranlassen, als das ewige Tadeln? und kan man fehlen, wenn man dem Apostel nachspricht? cd67a\
  • Doch, meine Brüder, warum wolta68 ihr euch vom Augustin länger die Augen verbinden lassen, wenn ihr |b197| |c197| die Kanzel besteigtcd69? denn in der That sehet ihr, so bald ihr die Augen eures Verstandes nur öfnet, mit völliger Gewißheit ein, daß der Mensch zu seinen guten Handlungen sich selbst bestimmen kana70 und muß, und /c/ddarüberd\c\d71 das Lob cd72 so wol verdientcd73, als über seine Vergehungen den Tadel. Ich habe Predigten gehörtd74, in welchen auf das strengste und ausführlichste erwiesen ward, der Mensch könne gar nichts zu seinen guten Entschliessungend75 beytragen, alles was wir selbst wirkten sey verwerflich, und daher müßten wir alles Gutead76 was wir |a183| etwa thäten, Gott allein zuschreiben, und uns von allem Selbstruhm und Mitwirken ausleeren. Allein gleich nach vollendetem Beweise dieser Sätze und noch am /cSchlußd78 derselbenc\c79 Predigt /doffenbartec80 sichsd\d81, daß der Redner von allem, was er erwiesen hatte, im Grunde nicht überzeugt war; so sehr er sich überredet haben mochte,a82 es selbst zu glauben. Er dankte seiner Gemeine für einige freiwilligead83 Geschenke, womit Liebe und Erkentlichkeit gegen seine Bemühungen /cdum sie,cd\ in der verfloßnend84 Woche an den Tag gelegtcd85 hatten. Hierbey ward cd86 gar nicht gesagt, daß Gott allein das Gute gethan, und /cdsiecd\cd87 nichts dazu beygetragen hätten;cd88 es wurde nichts davon erwähnt, daß alle ihre /deigne Entschliessungend\d89 verwerflich wären; auch keine Warnungd90 gegen den cd91 Stolz und cd92 Selbstgenügsamkeit beygefügtd93; sondern aller Dank und /dalled\ Ehre ward den gutgesinneten Leuten lediglich und allein zugeeignet, und ihnen noch /cdoben eincd\cd94 eine gewisse Belohnung dafür von Gott versprochen. Warum veränderte sich hier die Sprache des Predigers so sehr? Gewiß nicht aus Mangel der Redlichkeit, denn es war ein sehr gewissenhafter Mann, sondern weil er nun nicht mehr ans System dachte, sondern seine eigned96 Vernunft brauchted97, die ihm sehr richtig /asagte: um die Menschen im aufzumunternd98 muß |c198| man jede Auesserungd99 |b198| des guten Willens, jeden auch unvollkomnencd100 Versuch gut zu seyn, loben.a\a102 So lasset euch denn, meine Brüder, nicht mehr durch menschliche Lehrformeln verblenden, sondern brauchet euren gesunden Verstand und eure eigned103 natürliche Vernunft so ganz und völlig im Dienstd104 eures Gottes, wie ihr sie mit Nutzen in den Angelegenheiten eures eignen Interesse anwendet.
2. Christus und die Apostel haben jede gute Gesinnung und jede Aeusserungad105 derselben gelobt. Christus |a184| rüh|d179|met viele wegen ihres Vertrauensa106 gegen ihn,a107 Matth. 8, 10. K. 15, 28. K. 9, 22. Marc. 10, 52. Luc. 7, 50. K. 17, 19. K. 18, 42. den Nathanael wegen seiner Rechtschaffenheit,a108 Joh. 1, 47. die Maria wegen /dderd\ Erweisung ihrer Liebe gegen ihn,a109 Marc. 14, 6. den Simon wegen seiner Freimüthigkeita110 und Standhaftigkeit,a111 Matth. 16, 17. 18. wenn die Jünger sich wegen ihrer guten Gesinnungen und c112 deren Beweisencd113 rühmten, tadelt er sie deswegen nicht, sondern versichert ihnen Belohnung,a114 Matth. 19, /a27.a\a115 und wenn auch das Vollbringen der guten Vorsätze fehlte, lobet er doch den guten Willen und entschuldiget, anstatt zu schelten,a116 Matth. 26, 41. Marc. 10, 17 f. K. 12, 34. Paulus lobt durchaus die Gemeined117 zu Philippen und zu Thessalonich, wie auch den Timotheus, Titus und Philemon, in den an sie gerichteten Briefen;a118 und in allen seinen Schriften rühmet er das vorzügliche Verhalten einiger Glieder der Gemeine namentlich, ohne eine Warnung /c/dvor geistlichema119d\d120 Stolzc\c121 dabey für nöthig zu halten. Eben discd122 thut der Verfasser des 2ten und 3ten /ader Briefe, die dem Johannes zugeeignet wordena\a123.
3. Man raubtcd124 dema125 Christen die unmittelbare eigenthümliche Belohnung, died126 Gott mit dem Bewußtseyn guter Gesinnungena127 zur Aufmunterung in der Tugend verknüpftd128 hat, wenn man statt das Gute zu loben, nur |b199| |c199| auf die Mängel desselben siehtcd129 und diese immerfort tadelt. Was ist denn das Zeugniß des Geistes Gottes im Herzen? ist es nicht die aus dem Bewußtseyn Gott /adwohl gefälligerad\ad130 Gesinnungen entstehende Zuversicht zu ihm? Der Beyfall unsresa131 Gewissens und die daraus erwachsende Werthschätzung unsrer selbst ist die eigenthümliche natürliche Belohnung, died132 Gott der Tugend bestimta133 hat. Wie soll aber der Christ diese geniessend134? Wie soll in ihm d135 Versicherung, daß er ein Kind Gottes sey, entstehen, wenn wir immerfort alles für schlecht,a136 für nichtswürdig erklären, was er thut? Aus den Früchten, sagt Christus, soll die Gü|a185|te des Baums erkantacd137 , und aus den Erweisungen der |d180| Menschenliebe sollen, nach Johannis Ausspruch, Christen von sich selbst wahrnehmen, ob sie mit Gott vereiniget sind. cd138 Tadeln wir unaufhörlich die Früchte, finden wir das Betragen unserer Kirchkinder immer verwerflich, so rauben wir ihnen alle wahre Gründe der Freudigkeit zu Gott und allen Muth zur Tugend. Lobten wir dagegen jeden Versuch im Guten; erwecktenc139 wir sie zur Aufmerksamkeit auf die erhabene Freude, welche der Beyfall unsresa140 Gewissens gewährt; sprächen wir ihnen mehr Muth durch Billigung ihrer Bestrebungen ein, warlich wir würden /abalda\ bessere und seligere Christen haben.
4. Der tadelnde mürrische Ton in Predigten hindert den Zweck /aunsres Amtesa\a141 auf mehr denn eine Art. Dahin gehörtd142:
  • So oft der Prediger seinen Vortrag mit allgemeinen Verweisend143 anfängt, und zum Beyspiel sagtcd144: Es ist traurig, wenn man das Betragen unsrer heutigen Christen beobachtet, so wenig Redlichkeit und thätige Menschenliebe wahrzunehmena145 etc. so /cddenktcd\cd146 keiner der Zuhörer an sich, sondern an irgends einen /cdanderncd\ seiner Nachbarencd147, der nach seiner Meinung der falsche und lieblose Mensch ist, welcher diesen Verweis ver|b200||c200|dientd148. So bald aber der Prediger sagt: ich freue mich, geliebte Zuhörer, daß ich täglich Beweise von Redlichkeit und christlichen mildthätigen Gesinnungen vond149 vielen unter euch wahrnehme;a150 und ich zweifle nicht, daß auch manches Gute im Verborgenen von euch ausgeübtacd151 wird, was ich nicht erfahre: so wird jeder aufmerksam und begierig sich so vield152 von dem Vortrage selbst /cdzu zueignen,a153cd\cd154 als er nur kana155; und dann ist es leicht in das sich uns entgegen öfnende Herz den Samen Tugend zu streuen, und wo er vorhanden ist, ihn zu befruchten. Gesetzt auch wir /däus|a186|serten größrersc156d\d157 Vertrauen zu unsrerd158 Gemeine, als die wenigsten Mitglieder verdienten; so lehrtcd159 doch die Erfahrung, daß kein wirksamercd160 Mittel ist,a162 Leutecd163 die noch unschlüßigd164 sind, wie sie sich bestimmen wollen, zu guten Entschliessungend165 aufzumuntern und da|d181|rin zu befestigen, als daßcd166 man recht vielcd167 Zutrauen zu ihnen bezeigetacd168.
  • So oft wir allgemein oder zu unbestimtacd169 die Denkartcd170 und das Verhalten unsrer Zuhörer tadeln, machen wir die besten Gemüther muthlos und schwächen allen eignend171 Fleiß in der Heiligung. Denn wer sich bewußt ist, mit aller Redlichkeit zu handeln,a172 und danna173 doch immer Vorwürfe hören muß, verliertcd174 nothwendig alle Lust sich weiter Mühe zu geben. Bey einem andern Theilcd175 der Zuhörer, welche noch gleichgültig gegen ihr Gewissen sind, schwächen wir dagegen die Beweggründe sich zu bessern: indem dergleichen Leute auf die Gedanken kommen, es müsse doch wol nicht möglich seyn, so gut d176 zu werden,cd177 als der Prediger es verlange; weil doch noch keiner in der Gemeine so geworden sey: und nun denktcd179 jeder derselben, er habe nicht eben nöthig der erste zu seyn, derd180 den mühseligen Versuch wagen soltea181. Wenn wir dagegen loben, so beweisen wir dadurch zugleich die Möglichkeit und Wirk|b201||c201|lichkeit wahrer Christen, welche sich der Lehre Jesu gemäß verhalten; und disd182 ermuntert andre zu ähnlichen Versuchen. Diejenigen aber, welchen ihr Gewissen erlaubt,acd183 sich das Lob des Predigers /cdzu zueignencd\cd185, werden aufs neue ermuntert, sich immer mehr Christo ähnlich zu bilden;a186 und überhaupt wird das Vertrauen und die Zuneigung einer Gemeine gegen ihren Lehrer ausnehmend vermehrt, wenn sie bemerktcd187, daß er /aals ein liebreicher Vatera\ Vertrauen zu ihren Gesinnungen und Aufmerksamkeit auf das Gute, was sie zu thun /asuchen,a\a188 beweiset. |a187|
  • c) Wenn wir uns an einen mürrischen tadelnden Ton in unsern gewöhnen, so verstärken wir bey unsern Zuhörern die menschenfeindliche Geneigtheit nur immer auf die Fehler des Nächsten zu sehen, und das Gute desselben zu verkennen. Hiedurch vermehren wir auch insonderheit bey heuchlerischen Leuten den geistlichen Stolz, die Verachtung anderera189 und den Hang zum Splitterrichten, wovon wir leicht selbst, so bald wir ihre |d182| Fehler berühren, der Gegenstand werden. /aDie Tadelsucht ist unter den Christen weit stärker als unter d190 andern Religionsverwandten; unter den Protestanten gemeiner und spitzfindiger, als unter den Katholickend191, und nirgends übertriebener als unter den Pietisten. Denn jemehr in den öffentlichen Lehrvorträgen theils die Anforderungenc192 und Vorschriften der Religion /cdüberspannt werdencd\cd193, theils alle menschliche Handlungen von ihrer fehlerhaften Seite vorgestelltd194 und ihrecd195 Unvollkommenheiten gerügtcd196 werden; desto grössered197 und allgemeinere Geneigtheit zum Splitterrichten und unbilligenc198 übertriebenen Tadelcd199 muß sich in der Gemeine verbreiten.a\ Wenn wir dargegencd200 das Gute, so viel wir dessen gewahr werden,a201 undcd202 warlich es ist dessen unglaublich viel mehr als man gewöhnlich bemerkt,acd203 an unsern Zuhörern loben, und escd205 |b202| ins Licht setzen, so gewöhnen wir unsere Gemeine zur Fertigkeit auf das Gute mehr, als auf die Fehler des Nächsten zu merken;a206 und eben dieses ist die Grundlage der Menschenliebe und aller göttlichen Tugenden, welche das Christenthum als das wahre Mittel, zu gesellschaftlicher Glückseligkeit zu gelangen, empfieltad207.
  • Wenn wir ewig über unsre Gemeine äussernad208, was sollen, sagt mir theureste Amtsbrüder! die Feinde der christlichen Religion von ihrer Göttlichkeit und Wirksamkeit denken.cd209 Wenn ein Ungläubiger in die Predigt eines Mannes komta210, der 20, 30, 40 Jahrea211 an einer Gemeine gestanden hat, und der seine beständiged212 Zuhörer doch noch durchaus für schlechte ungebesserte Menschen erklärt, died213 noch keine /aeinzigea\ Tugend in einigem Grade besitzen, was soll er für Vertrauen zur seligmachenden Kraft des Evangeliums fassen? Aber lasset ihn einer Predigt beywohnen, darin wir nach der Wahrheit eine Anzahl rühmlicher Handlungen unsrer Christen erzehlen; nicht eben heroische, welche die Posaune des Gerüchts anfüllencd214, sondern die weniger /dbemerkbare edelnd\d215 sanften Bestrebungen der häußlichend216 Frömmigkeit, welchecd217 in den Familien und |a188| Nachbarschaften stille Glückse|d183|ligkeit des gesellschaftlichen Lebens verbreiten; wird er alsdennd218 sich nicht weit eher gereizta219 finden, ein Mitglied einer solchen Gemeine zu werden, worin es so gute und ehrwürdige Personen giebt? Ich glaube,a220 daß hierwider niemand etwas einwenden kana221, als etwa ein solcher, welcher von Kindheit an nicht eher sich entschlossen hat,a222 etwas gutesacd223 zu thun, als bis er hart darüber angeredet worden ist;a224 denn bey allen andern muß das Selbstgefühl für die Wahrheit meiner Behauptungen sprechen.
Ich kenne durchaus keine stolzere und selbstsüchtigere Leute, als /ddied\d225 sich einbilden, sie hätten sich von aller Eigenheit und |b203| |c203| Selbstwirken ausgeleert. Sie halten ihre eigned226 Träumereiena227 bis zu den offenbarsten Eigensinnigkeiten für Wirkungen des Geistes Gottes und /asich selbsta\ voll Eigendünkelcd228 bey dem Scheind229 der größten Demuthcd230 a231 für unverbesserlich klug und heilig. – Unmöglich ists, den natürlichen Trieb zur Selbstschätzung und zur Ehre auszurotten,a232 und er ist /ahöchst wohlthätiga\a233, so bald er geheiliget wird, das ist, die Richtung bekomta234, daß man seine Ehre in wahrhaftig ehrwürdigen Gesinnungen und Handlungen setzet. Danna235 ist es erlaubt und pflichtmässigad236 von sich groß zu denken. Nach Röm. 2, 7. wird Gott eben denen, die nach /aPreis, Ehrea\a237 und Unsterblichkeit getrachtet haben, ewige Glückseligkeit zutheilen.
d1: andererd2: großera3: unsersd4: died5: tadlena6: die fast allgemeine Gewohnheit auf den Kanzeln immer zu tadeln und niemals zu loben. Daa7: weißcd8: solchesad9: großena10: Belohnungend11: welched12: Bewustseyncd13: verknüpfetd14: verworrenea15: wahr,a16: Vatera17: Kinderncd18: vorhandenena19: Kindesa20: handelncd21: bemerketcd22: Ja mancd23: in System (c) ; in System (d)cd24: in seinem Systemecd25: folgeta26: beydend27: alle,ad28: Aeußerungend29: Zuhörer,d30: hervorbringetc31: hervorbringet, verkentcd32: dagegena33: ihrend34: Werthecd35: rühmtcd36: genungsamen (c) ; genungsamen (d)cd37: gnugsamencd38: widerstehet?a39: Alleina40: solltena41: hineindenkenad42: sollte, (a) ; sollte, (d)ad43: soll;cd44: verlangeta45: nund46: fassetcd47: führetcd48: öftermcd49: überläßet (c) ; überläßet (d)cd50: überlässeta51: kommtc52: Fallea53: kannsta54: hervorgebracht,d55: mit schreibend56: diesmala57: folgsta58: noch immera59: Wolanad60: fleißiged61: geschiehetacd62: Häusernd63: vieles Gutec64: vield65: innered66: Sollte diesescd67: 1 Teßl. 1, 2 f. 2 Teßl. 1, 3 f.a68: wolltcd69: besteigeta70: kannd71: daß ercd72: darübercd73: verdienetd74: gehöretd75: ad76: gute, (a) ; gute, (d)ad77: Gute,d78: Schlußec79: Schluße derselbigenc80: offenbareted81: offenbarete es sicha82: mochtead83: freywilliged84: verflossenencd85: gelegetcd86: nun abercd87: die Zuhörercd88: hätten:d89: eigene Entschließungend90: Warnungencd91: geistlichencd92: died93: beygefügetcd94: überdis (c) ; überdis (d)cd95: überdiesd96: eigened97: gebrauchted98: aufzumuntern,d99: Aeußerungcd100: unvolkomnen (c) ; unvolkomnen (d)cd101: unvollkommnena102: sagte, um die Menschen im Guten aufzumuntern muß man jede Aueßerung des guten Willens, jeden auch unvollkommnen Versuch gut zu seyn, loben.d103: eigened104: Dienstead105: Aeußerunga106: Vertrauena107: ihna108: Rechtschaffenheita109: ihna110: Freymüthigkeita111: Standhaftigkeitc112: umcd113: Erweisungena114: Belohnunga115: 27. f.a116: scheltend117: Gemeinena118: Briefen,a119: geistlichend120: gegen den geistlichenc121: gegen den geistlichen Stoltzcd122: diesesa123: Briefes Johannescd124: raubeta125: dend126: welchea127: Gesinnungd128: verknüpfetcd129: siehetad130: wohlgefälligera131: unsersd132: welchea133: bestimmtd134: genießend135: diea136: schlechtacd137: erkanntcd138: 1 Joh. 3, 21. 24. K. 2, 3 f.c139: erwektena140: unsersa141: unsers Amtsd142: gehöretd143: Beweisencd144: sageta145: wahr zunehmencd146: denket gewißcd147: Nachbarnd148: verdienetd149: beya150: wahrnehme,acd151: ausgeübetd152: vielesa153: zueignencd154: zuzueignen,a155: kannc156: grösseresd157: äußerten größeresd158: unserercd159: lehretcd160: wirksameres (c) ; wirksameres (d)cd161: wirksamersa162: istcd163: Leute,d164: unschlüssigd165: Entschließungencd166: wenncd167: vielesacd168: äußertacd169: unbestimmtcd170: Denkungsartd171: eigenena172: handelna173: denncd174: verlieretcd175: Theiled176: werdencd177: werden (c) ; werden (d)cd178: könnencd179: denketd180: welchera181: sollted182: diesesacd183: erlaubt (a) ; erlaubt (c d)acd184: erlaubet,cd185: zuzueignena186: bilden,cd187: bemerketa188: sich bemühen, als ein liebreicher Vatera189: andrerd190: allend191: Katholikenc192: Anforderungcd193: überspannetd194: vorgestelletcd195: derencd196: gerügetd197: größerec198: unbilligemcd199: Tadelncd200: dagegena201: werden;cd202: (undacd203: bemerkt; (a) ; bemerkt; (c d)acd204: bemerkt,)cd205: sol|c202|chesa206: merken,ad207: empfiehltad208: äußerncd209: denken?a210: kommta211: Jahrd212: beständigend213: welchecd214: füllend215: bemerkbaren edlend216: häuslichencd217: died218: alsdanna219: gereitzta220: glaubea221: kanna222: hatacd223: Gutesa224: ist,d225: die, welched226: eigenea227: Träumereyencd228: Eigendünkel,d229: Scheinecd230: Demuth,a231: sich selbst überhaupta232: auszurottena233: höchstwohlthätiga234: bekommta235: Dennad236: pflichtmäßiga237: Preis Ehre,

§. 79.

Ueber die fehlerhafte Vorstellung der Aussichten in die Ewigkeit würde ich hier gar nichts erwähnen, weil es meine Absicht nicht /aist, spekulativea\a1 Irrlehren in dieser Schrift zu rügen: wenn nicht die gewöhnliched2 Grausen und Entsetzen erregende Hypothese von ewigen Höllenstrafend3 so gerade zu dem Zweckd4 und Geistcd5 der Religion Jesu entgegen wäre, und cd6 alle reine Liebe zum Vater der Geisterwelt /cddadurchcd\ verhindert würde. Es ist hier unnö|a189|thig alle Schriftstellen, died7 dahin gezogen werden, richtiger zu erklären, da schon /cddarübercd\ für Leute, die nur sehen wollen, genugd8 Licht cd9 verbreitet ist. Ich beziehe mich also /cdnurcd\cd10 auf meine weitläuftige Entwickelung der Begriffe von göttlichen Strafen und deren Absicht, und von der göttlichen Ehre, |d184| welche §. 56. a11 bis 65. a12 in diesem Abschnitte vorgekommen ist, bemerke nur noch:
1. Wenn man annehmen woltea13, Gott würde einige Christencd14 alle Ewigkeiten hindurch, /aohne einige wohlthätige Absichta\a15, blos aus /dinnermac16 Abscheud\d18 und Grolld19 gegen die Sünde strafen;cd20 weil er durchaus das moralische Böse vor seinen Augen nicht leiden könte;ac21 so würde nach der gemeinen Theorie das moralische Uebel nicht ,a23 sondern vermehrtcd24 werden, weil man |c204| cd25 annimta26, daß sich die |b204| Verdamtena27 niecd28 bessern werden; folglich würde Gott sich immer mehr darübercd29 ärgern und erzürnen,a30 und die physischen Kräfte der Verdamtena31 immerfort vermehren müssen, damit sie immer grösseread32 Quaalen aushalten köntena33: und so würde sich die Bosheit der Leute und der Grimm Gottes in Ewigkeit in einander multipliciren,a34 und Gott, anstatt das Böse und die Gründe seiner innern Beunruhigung wegzuschaffen, sich immer mehr Verdruß zuziehen. Wer es nicht fühlen oder nicht einsehen kana35, wie sehr diese Vorstellung die Majestät Gottes verunehre, dem ist es zu verzeihen, wenn er sie blindlings für wahr hält.
2. Soltea36 Gott /aum des Beyspielsc37 willena\a38 ewig einige Christend39 quälen müssen, so ist nach der gemeinen Theorie abermals nicht abzusehen, wer durch diese exemplarische Strafen gebessert werden /asolted40: denn nach der kirchlichen Meinung soll kein Gottlosverstorbener sich dort mehr bekehren können, sondern die Gnadenzeit mit diesem Leben verlaufen seyn: diea\a41 vollendeten Gerechten /aabera\ bedürfen solcher Schreckmittel zur Beharrung in guten Gesinnungen, bey welchen sie sich höchst glückselig fühlen, nichtacd42 und /asind auch, wie die Kirche glaubt, vor aller Gefahr des Rückfallsd44 in Sünden gesichert. Also können ewige exemplarische Höllenstrafen keinen mehr c45 bessern und /cdalsocd\ keine wohlthätige Absichten dabey cd46 statt finden. Aber sie können auch nicht die Tugend und Seligkeit der vollendeten Gerechten vergrössernd47; denna\a48 Beyspiele des Zorns /aund der Rache, welche Gott an unsern Mitbrüdern und seinen eignend49 Kindern ausübt und uns zur Schau stelltcd50, können nur Schreckend51 und Schwermuth, niemals aber Liebe, Ehrfurcht und Freudigkeit gegen den allgemeinen Vater der Geister hervorbringen, und müssen nothwendig allen gefühlvollen sanften Gemüthern ihre Seligkeit ausnehmend vermindern.a\a52
|a190| |b205| |c205| 3. Wenn Gott einer Seele gänzlich alles Wohlwollen entziehen soltea53, so müßte sie schlechterdings nicht zu verbessern seyn. Es müßte also die unendliche Weisheit entweder schon hier alle mögliche wirksame Verbesserungsmittel bey jedem verloren gehenden Menschen erschöpftcd54 haben, welches wider die Erfahrung ist,a55 oder Gott müßte voraus sehen, daß ein solcher Mensch in keiner einzigen Verbindung und in keiner cd56 Reihe der Veränderungcd57 moralisch besser werden köntead58, noch geworden seyn würde, er möchte ihn in welchem Zeitalter, unter welchen Nationen, und unter was für Umständen man auch immer wolleacd60 haben gebohrena61 werden lassen. Hieraus aber würde folgen, daß also in der Natur eines solchen /a/dMenschenc62 derd\d63 unter gar keinerley Bedingung und in keinem Zusammenhange gebessert werden kan, odera\a64 in der ursprünglichen Beschaffenheita65 und dem Verhältnißd66 seiner Kräfte gegen einanderd67 der Grund der Unmöglichkeit einer Ausbesserung anzutreffen wäre; welches abermals,a68 da Gott der Urheber der Natur ist, nicht gedacht werden kana69. Man wende sich also,a70 wohin man will, so wird man Widersprüche mit den reinen Begriffen von den väterlichen Gesinnungen Gottes antreffen. Nur denenjenigen, welche an dergleichen Widersprüche in ihrem /cdSystem gewöhntcd\cd71 sind, und dadurch gar nicht beunruhiget werden, wenn sie sich Gott eben so unendlich grausam als gütig denken, können dergleichen Lehrsätze mit dem Geistcd72 Christi überein zu stimmen scheinen.
4. Die reine Lehre der Schrift, wie sie sich mir nach aufrichtiger Untersuchung vorgestellet hat, ist hierüber diese: Nicht nur in dem gegenwärtigen Leben, sondern cd73 in jeder cd74 gedenkbaren Scene des Daseynscd75 kana76 kein endlicher Geist zu höherer Glückseligkeit gelangen, wenn er nicht Gott über alles liebt, das ist, von der Wohlthätigkeit der |d186| göttlichen Gesinnungen, Absichten und Verfügungen überzeugtcd77 ist, und daher auch |c206| die Regeln der |b206| Ordnung in dem Plane Gottes genehmiget und befolgt: |a191| denn so lange disd78 nicht ist, bleibt Unzufriedenheit mit dem gegenwärtigen,a79 und Furcht wegen des zukünftigen der herrschende Affekta80 des Gemüths, und der Mensch handelt seiner Wohlfarta81 zuwider. Eben so kana82 kein gesellschaftliches Wesen ohne Rechtschaffenheit und allgemeines Wohlwollen gegen seines gleichen zu höherer Wohlfart hinaufsteigen, weil gesellige Geister nur durch gegenseitige liebreiche Begegnung und wohlthätige Dienstbeflissenheit jeden Ort des Aufenthalts sich zum Himmel anbauen können und müssen. Daher ist für Menschen, welche durch habituelle Hartherzigkeit und menschenfeindliche Neigungen zu allen gesellschaftlichen Freuden unfähig sind, nirgends ein Himmel,a83 und diese Wahrheiten änderta84 Ewigkeit ab.
5. Uebrigens kana85 ganz rohen Leuten,cd86 die moralische Unseligkeit, welche aus Lieblosigkeit und Falschheit entspringt, freylich nicht anders als unter allerley Bildern eines Feuers, das nicht verlischt, eines Thal Hinnoms und dergleichen, anschauend gemacht werden;a87 welches aber so wenig in der heiligen Schrift nach dencd88 Buchstaben zu verstehen ist, als wenn gesagt wird, daß wir ewig in Abrahams Schoosad89 sitzen, oder mit den Altvätern zu Tische liegen werden.
a1: ist speculatived2: gewöhnliche,d3: Höllenstrafen,d4: Zweckecd5: Geistecd6: dadurchd7: welched8: genungsamescd9: darübercd10: hier bloßa11: 56 a12: 65a13: wolltecd14: Menschena15: ohne einige wohlthätige Absichtac16: innern (a) ; innern (c)ac17: inneremd18: innerem Abscheued19: Grollecd20: strafen,ac21: könnte: (a) ; könnte: (c)ac22: könnte;a23: verringertcd24: vermehretcd25: dabey zugleicha26: annimmta27: Verdammtencd28: niemalscd29: über siea30: erzürnena31: Verdammtenad32: größerea33: könntena34: multiplicirena35: kanna36: Solltec37: Beyspielesa38: um des Beyspiels willend39: Menschend40: sollea41: sollte. Dieacd42: nicht; (a) ; nicht; (c d)acd43: nicht,d44: Rückfallesc45: demnach über allcd46: fernerd47: vergrößerna48: überall bringend49: eigenencd50: stelletd51: Schrek|d185|kena52: Gottes nie Liebe zu Gott und dem Guten, nie eigentliche Tugend hervor.a53: solltecd54: erschöpfeta55: ist;cd56: möglichencd57: Veränderungenad58: könnte (a) ; könnte (d)ad59: könneacd60: wolle,a61: geborenc62: Menschen,d63: Menschen, welchera64: Menschen, unda65: Beschaffenheit,d66: Verhältnissed67: einander,a68: abermalsa69: kanna70: alsocd71: Systeme gewöhnetcd72: Geistecd73: auchcd74: anderncd75: Daseyns,a76: kanncd77: überzeugetd78: diesesa79: gegenwärtigena80: Affecta81: Wohlfahrta82: kanna83: Himmel;a84: änderna85: kanncd86: Leutena87: werden,cd88: demad89: Schooß (a) ; Schooß (d)ad90: Schoß