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|a[5]| Allerdurchlauchtigster, Großmächtigster und Unüberwind- lichster Kayser, auch in Germanien und zu Je- rusalem König, Allergnädigster Kayser, König und
Herr Herr!
Ew.
Abkürzungsauflösung von "Ew.": Euer, Eure
Kayserl.
Abkürzungsauflösung von "Kayserl.": Kayserliche
Majestät haben, aus einer vom
Reichsbüchercommissarius von Scheben , wegen
meiner Uebersetzung des Neuen Testaments, unter dem Titel: die neusten Offenbahrungen Gottes, geschehenen |a6|
Anklage, vermittelst eines höchstvenerirlichen Reichshofrathsconclusi vom 4ten Februar 1778
Sr.
Abkürzungsauflösung von "Sr.": Seiner
Churfürstl.
Abkürzungsauflösung von "Churfürstl.": Churfürstlichen
Durchlaucht zu Pfalz die
Einziehung der noch vorfindlichen Exemplarien des gedachten Buchs und dem Büchercommissarius die
Einholung theologischer Gutachten von Göttingen und Würzburg anzubefehlen, zugleich aber meine
einstweilige Amtssuspension und die Einstellung alles auf Religion bezughabenden Lehrens und Bücherschreibens zu verordnen, und hierauf, durch ein zweytes Conclusum von 27 Merz a. c.
Abkürzungsauflösung von "a. c.": anni currentis
mit Verwerfung meiner allerunterthänigsten Bitte um Communikation der Klage und Vernehmung meiner weitern Vertheidigung, mich meines Amtes, so mir
der mit den Episcopal gerechtsamen versehene protestantische Reichsgraf von Leiningen Dagsburg übertragen hatte, und um dessen Fortsezung
meine Gemeine Ew.
Abkürzungsauflösung von "Ew.": Euer, Eure
Kayserl.
Abkürzungsauflösung von "Kayserl.": Kayserliche
Majestät flehentlich gebeten hatte, gänzlich zu entsezen, und mir alles Lehren und Bücherschreiben auf immer zu verbieten, anbey aber,
sub poena einer gänzlichen Verwei|a7|sung aus den Gränzen des H. R.
Abkürzungsauflösung von "H. R.": Heiligen Römischen
Reichs,
eine über meine wahren und nach dem Vorgeben meiner Kläger hinter so zweydeutige Ausdrücke versteckten Lehrsätze abgefaßte Druckschrift und Bekänntniß der Gottheit Christi und der H.
Abkürzungsauflösung von "H.": Heiligen
Dreyeinigkeit, in termino duorum mensium, mir aufzulegen sich allergnädigst bewogen gesehen.
Wie ich nun beyden höchstvenerirlichen Conclusis mich sogleich demüthigst unterworfen, auch mein Amt bereits verlassen, und alles, was mir,
meiner Gattinn und vier kleinen unerzognen Kindern bisher Quell des Unterhalts und der Verpflegung gewesen war, so gar mein im Gräflichen Leiningischen
Schlosse Heidesheim mit einem Aufwande von mehr als 6000 Rthlr.
Abkürzungsauflösung von "Rthlr.": Reichsthalern
errichtetes und von tausend gutdenkenden Menschen gebilligtes Erziehungsinstitut mit dem Rücken angesehen, und ohne alle bestimmte Aussichten, mich
in ein ander Land gezogen habe; also eile |a8| ich nunmehro auch noch diejenige Erklärung und Bekänntniß meiner Lehrsätze, Ew.
Abkürzungsauflösung von "Ew.": Euer, Eurer
Kayserlichen Majestät zu Füßen zu legen, welche Allerhöchstdieselben von mir zu fodern geruhet haben.
Ew.
Abkürzungsauflösung von "Ew.": Euer, Eurer
Kayserlichen Majestät großer, durchdringender Geist und erhabnes, huldvolles, gerechtigkeitliebendes Herz, beydes so allgemein verehrt, läßt mich hoffen, daß Allerhöchstdieselben meiner allerwilligste Unterwerfung mit Gnaden und Wohlgefallen vermerken, und meine nachstehende offenherzige Erklärung nach den Gesetzen der Menschenliebe und der christlichen Duldung aufnehmen und beurtheilen werden.
Ich finde mich aber zu einer so offenherzigen und freymüthigen Erklärung jetzo verpflichteter als jemals. Denn wenn ich
in meinen zeitherigen Schriften, besonders in denen, welche das Unglück hatten, meinen Klägern und Richtern zu mißfallen, mich ja einiger zweydeutigen und nicht genug bestimmten Ausdrücke bedient habe, |a9|
um der Schwachen zu schonen, und nicht, durch
übereilte Bekanntmachung meiner Einsichten in Dingen, die nach meiner Ueberzeugung das Wesen der Religion nichts angehen, den Nuzen und Eindruck zu schwächen, den ich durch einen guten Vortrag der mir wesentlichen Religionswahrheiten stiften zu können glaubte; so ist es gegentheils, bey diesem meinem Bekenntniß, unverletzliche und heilige Pflicht, meine Ueberzeugungen frey und ohne alle Zurückhaltung, offenherzig zu entdecken, und meinen allerhöchsten Richtern die reinste Wahrheit aus dem innersten meines Herzens vorzulegen, gewiß, daß Ew.
Abkürzungsauflösung von "Ew.": Euer, Eurer
Kayserlichen Majestät, den ehrlichen Mann, der mit Muth und Entschlossenheit, erkannte Wahrheit sagt, mit mehr Gnade anblicken werden, als den Heuchler, der, um des Brods willen, seinem Regenten leugt, und mit Verletzung seines Gewissens Menschengunst zu erschleichen sucht.
Ich gestehe also, daß ich schon seit einiger Zeit überzeugt gewesen, es enthalte un|a10|ser protestantisches Religionssystem Lehrsäze, welche weder in der Schrift noch in der Vernunft einigen Grund haben und die theils der Gottseeligkeit schaden, theils, durch ihr der Vernunft Anstößiges, die Quelle des Unglaubens und der Religionsverachtung bey Tausenden sind.
Unter diese Lehrsätze rechne ich: Die – von der Erbsünde – von der Zurechnung der Sünde Adams – von der Nothwendigkeit einer Genugthuung – von der blos und allein durch den heiligen Geist in dem sich leidend verhaltenden Menschen zu bewirkenden Bekehrung – von der ohne alle Rücksicht auf unsere Besserung und Tugend geschehen sollenden Rechtfertigung des Sünders vor Gott – von der Gottheit Christi und des heiligen Geistes
im Athanasianischen Sinn – von der Ewigkeit der Höllenstrafen – und einige andere.
Ich habe zwar, wie es von einem Doctore Theol.
Abkürzungsauflösung von "Theol.": Theologiae
Augustanae confessionis|a11| ohnehin zu erwarten stehet, gegen diese vorgedachten Lehrsätze, – vor dem Volk – (weder im Predigen noch Catechisiren,) niemalen directe gelehret, sondern sie entweder gar übergangen oder doch so davon gesprochen, daß ihr schädliches abgesondert und ihr irriges gemildert worden: (davon meine
Predigten über die Person und das Amt Jesu ein Beyspiel sind:) folglich bin ich auch noch nie von den eigentlichen Verpflichtungen eines protestantischen Lehrers abgewichen, sondern habe mit Klugheit und Vorsicht die Gesetze des Staats mit der Gewissensfreyheit zu vereinigen gesucht: – fest überzeugt, daß streitige Religionspunkte nie in den
Volksunterricht gehören, und daß folglich auch von solchen kirchliches Lehramt verwaltet werden kann, welche von der
Systemsreligion in ihren Ueberzeugungen abweichen, dagegen aber desto eifriger an der reinen Christusreligion halten, und dieselbe gründlich vorzutragen wissen.
|a12| Ich muß es also nun schon ferner wagen, bey dieser mir zur Pflicht gemachten öffentlichen Erklärung meiner Privatüberzeugungen freymüthig zu gestehen, daß ich die oberwähnten Lehrsätze, nach meiner geringen Einsicht, für schriftwidrig halte und als die Quelle eines doppelten Uebels ansehe.
Einmal empören sie die gesundeVernunft, und haben so wenig Beweise für sich, daß es kein Wunder ist, wenn zu allen Zeiten, der selbstdenkende und prüfende Theil der Menschen, dieselben anstößig fand, und wenn die meisten davon, um jener Lehrsätze willen, welche die auf ihren Posseß trotzende Geistlichkeit, (die eben nicht immer das Vorurtheil der Gelehrsamkeit, Geistesstärke und der kaltblütigen Prüfungsgabe für sich gehabt hat,)
die Welt als alleinseeligmachende Glaubenswahrheiten aufdringen wollte, die ganze Religion verwarf. Daher man jene Lehrsätze mit Recht als den Hauptgrund des |a13|
überall einreissenden Unglaubens ansieht, welcher sich von den Höfen bis in die Hütten des ärmsten Volks ausbreitet, und bald alle Religion in der Welt verdrängen wird, wenn dem Uebel durch keine andere als gewaltsame und freyheitkränkende Mittel gesteuert wird.
Und eben so gewiß scheint es mir, daß die meisten der obgedachten Lehrsätze der Tugend und Gottseeligkeit
Schaden. Denn so bald man die Menschen überredet, daß z. B.
Abkürzungsauflösung von "z. B.": zum Beispiel
a) jeder von Natur und von Mutterleibe an mit allen Neigungen zu allem Bösen behaftet und ein gebohrner Feind Gottes ist; daß er b) zur Befreyung von diesem Elende und zur Besserung seines Herzens und Lebens nichts wirken könne, sondern lediglich den Beystand des heiligen Geistes dazu erflehen müsse; daß Gott c) auch auf alle gute Werke des Menschen und auf allen seinen Eifer in der Gottseeligkeit nichts rechne, sondern
Vergebung der Sünden und ewige Selig|a14|keit ihm schenke, nicht, wegen seiner Besserung und Tugend, sondern wegen eines für unsere Sünde geschehenen Menschenopfers und wegen der an unserer statt geleisteten Tugend des Geopferten – wenn man, sage ich, die Menschen dergleichen überredet; so ists unmöglich, daß ächte Reue über die Sünde und Abneigung gegen das Laster entstehen kann; so ists unvermeidlich, daß das Herz gegen die Tugend kalt und gleichgültig werde, und aller Eifer der Gottseeligkeit ermatte; und es lehrts auch leider die Erfahrung genug, daß das heutige Christenthum fast alle Kraft zur Heiligung der Menschen verlohren hat, und daß seine Zöglinge in Absicht auf Tugend und Glückseeligkeit oft
sehr weit hinter einen auch nur gemeinen Heiden stehen.
Ach, allergnädigster Kayser, König und Herr! wie blutet mir das Herz, wenn ich denke, wie werth, wie hochgeachtet das Evangelium Jesu Christi unter den aufge|a15|klärtesten Menschen in allen Welttheilen seyn könnte, was für Siege es über Unglauben und Laster erringen, wie ganz anders als bisher es auf die Besserung und Heiligung der Menschen wirken, und was für in die Augen fallende Einflüsse auf Moralität und Glückseeligkeit dasselbe zeigen würde, wenn es von allen Unrath menschlicher Hypothesen und Meinungen gereiniget und zu seiner ursprünglichen Lauterkeit und Einfalt zurückgeführt würde.
O möchten doch Ew.
Abkürzungsauflösung von "Ew.": Euer, Eure
Kayserl.
Abkürzungsauflösung von "Kayserl.": Kayserliche
Majestät von Gott auserkohren seyn, alle diejenigen vor der Wuth der Verfolgung zu schützen, welche Kraft und Muth haben an diesem großen Anliegen der Menschheit zu arbeiten, den
unübersehligen Wust der Systemsreligion zu untersuchen und das reine Gold der göttlichen und seeligmachenden Christusreligion wieder herauszufinden.
Möchte unter Allerhöchstdero Regierung der Tag anbrechen, da in dem christlichen |a16| Europa alle die für Christen gehalten und in den Rechten des Staats und der Menschheit geschützt werden, welche Jesum Christum verehren und seine Lehren befolgen – ohne gezwungen zu seyn, sich
Kefisch oder Paulisch oder Papisch oder Calvinisch oder Luthrisch zu nennen und auf Menschenwort zu schwören.
Und möchten doch Allerhöchstdieselben geruhen, mit Langmuth und Schonung auf mich unschuldig Verfolgten vom Thron der Majestät herabzublicken, und nun mein Glaubensbekenntniß in Gnaden von mir anzunehmen.
Was ich glaube und nicht glaube.
1. „Ich glaube, daß ich und alle Menschen Sünder sind, welche der Gnade und Erbarmung Gottes bedürfen. Daß aber dieses (daß wir Sünder sind) uns angebohren sey und daß alle Menschen mit der Neigung zu allem Bösen auf die Welt kommen, |a17| daran zweifle ich. Vielmehr scheinen mir die Menschen an ihrem Verderben selbst Schuld zu haben. Denn ich bemerke in ihnen von Natur so viel herrliche Anlagen zur Tugend, so viel angebohrne, edle Gefühle und Neigungen, daß vielleicht nur eine
andere Erziehungsmethode und von Tyranney und Luxus mehr entfernte Lebensart nöthig wäre, um der Menschheit ihre ursprüngliche Güte wiederzugeben.[“]
2. „Ich glaube, daß der Mensch, so wie er alles Gute Gott zu verdanken hat, auch all sein moralisches Gute, was in ihm ist, der Gnade Gottes schuldig sey. Daß aber Gott die Besserung der Menschen selbst wirke, und der Mensch nichts thue, als Gott stille halte, ist wider die Schrift, und beruhet dieser Irrthum gröstentheils auf dem
Wort Gnade , welches die meisten Lehrer der Kirche bisher gemisdeutet haben.[“]
3. „Ich glaube, daß uns Gott
aus blosser Gnade unsre Sünden vergiebt, und daß unsere Tugend und unser Eifer im Guten, da er selbst im Grunde Wohlthat Gottes und mit so viel Mängeln und Unvollkommenheiten befleckt ist, einer ganzen Ewigkeit voll Lohn und |a18| Seeligkeit nicht werth sey: Daß aber doch unsere Besserung und Tugend auf der einen Seite die Bedingung sey, unter welcher uns Gott Vergebung der Sünde und ewige Seeligkeit um Christi willen ( d. h.
Abkürzungsauflösung von "d. h.": das heißt
weil er diese Gnadengeschenke allen Tugendhaften durch Jesum Christum verheißen und versiegelt hat) ertheilet, und daß sie auf der andern Seite die natürliche Quelle der höchsten Seeligkeit ist, aus welcher dieselbe von selbst erfolget. Daß aber Gott blos um eines Menschenopfers willen mir meine Sünden vergebe, und um einer fremden Tugend willen die Flecken der Meinigen übersehe, das ist wider meine Vernunft, und habe ich auch nie etwas davon in h.
Abkürzungsauflösung von "h.": heiliger
Schrift gefunden.[“]
4. „Ich glaube, daß Gott den Aposteln seinen Geist gegeben hat; daß aber dieser Geist eine dritte Person in der Gottheit sey, davon bin ich nicht überzeugt: vielmehr finde ich in heiliger Schrift keine andre Bedeutung von dem
πνευμα αγιων als diese beyden: daß es entweder göttlich gewirkte Gaben, Talente und Kräfte anzeigt, oder das nomen Dei selbst, welcher diese Gaben mittheilt.[“]
|a19| 5. „Ich glaube, daß Gott in und mit Christo war, und daß wir folglich alle den Sohn zu ehren verbunden sind, wie wir den Vater ehren: allein wie Gott in Christo war, ob
nach Athanasius Vorstellungsart (welche ich gerade für die schlechteste halte) oder nach Arius oder Sabellius oder eines andern Meynung, das ist für den Zweck der Religion d. h.
Abkürzungsauflösung von "d. h.": das heißt
für die Besserung und Beruhigung der Menschen, sehr gleichgültig, und sollte nie mit kirchlicher Autorität entschieden, sondern jedem überlassen werden, wie er sichs denken will. Indessen scheint mir so viel aus Vernunft und Schrift bis zur höchsten Evidenz erweißlich, daß Christus und der einige Gott Jehovah, den er seinen Vater nennt, sehr verschieden sind, und daß wenigstens Christus nicht in dem nämlichen Sinne Gott heisse, in welchen es der einige Gott Jehovah heißt; wie er sich denn selbst über diese Benennung
Joh. 10. deutlich und ehrlich genug erklärt hat; wenn er denen, die ihm Gotteslästerung vorwarfen, sagt: – Wenn die Schrift alle die Gott nennt, προς ους ο λογος θεου εγενετο , d. h.
Abkürzungsauflösung von "d. h.": das heißt
die göttliche Aufklärungen zu Belehrung der Menschen erhalten haben, wie könnte ich mir über diese Benennung ei|a20|nen Vorwurf machen,
(ον ο πατηρ ηγιασε ) da mich der Vater so ganz besonders ausgezeichnet hat.[“]
6. „Daß für Christen der Glaube an Jesum Christum die unausbleibliche Bedingung der Seeligkeit sey, ist unleugbar. Allein daß sich diese Verbindlichkeit auch auf die
Nichtchristen erstrecke, halte ich für unvernünftig, unmenschlich und schriftwidrig. Und
daß dieser Glaube in einer Ergreifung und Zueignung des Verdienstes Christi bestehe, halte ich für eben so falsch. Wenigstens steht im neuen Testament so wenig von diesem Begrif des Glaubens, daß es mir ein Räthsel ist, wie die Lehrer der Kirche je haben drauf fallen können. Der Glaube an Christum ist Annehmung und Befolgung der Lehre Jesu , und festes Vertrauen auf seine mit seinem Tode besiegelten Verheißungen einer künftigen Seeligkeit der Tugendhaften.[“]
7. „Daß Gott alle Tugendhafte in einem andern Leben höchstseelig machen werde, glaube ich; daß er aber eben so geneigt sey, die Bösen in alleEwigkeit zu martern und dem Teufel zu übergeben, glaube ich nicht. Denn er selbst sagt:
ich bin ein eifriger Gott, der über |a21| die, so mich hassen, die Sünde der Väter heimsucht bis ins dritte und vierte Glied , aber denen, so mich lieben und meine Gebote halten, denen thue ich wohl bis ins tausende Glied. Daraus schliesse ich gegen die, welche Gott gern eben so strafgierig als gütig machen möchten: wie sich verhält 4 gegen 1000, so verhält sich Gottes Neigung zu strafen, gegen seine Neigung zu belohnen.[“]
8. „Daß es Engel und Teufel giebt, mag wahr seyn: Daß sie aber das sind, wofür das Kirchensystem sie ausgiebt – daß sie leiblich die Menschen besizen, daß sie sich als Gespenster zeigen, daß sie in die Seelen der Menschen wirken, und böse Gedanken und Vorsätze hervorbringen können, dazu habe ich nie einen hinreichenden Grund gefunden, es zu glauben.[“]
9. „Daß die göttlichen Schriften neuen Testaments göttliche Belehrungen der Menschen zur Glückseeligkeit enthalten, denen wir alles Vertrauen und allen Gehorsam schuldig sind, davon bin ich gewiß; daß aber
Gott alle in diesen Schriften enthaltene Worte eingegeben habe, davon habe ich noch nie einen befriedigenden Beweis gelesen.[“]
10. „Daß alle Christen die Religionslehren der Schrift, welche ohne Kunstauslegung darin|a22|nen zu finden sind, zu glauben und zu befolgen verbunden sind, ist gewiß, daß aber der Kirche, (darunter ich mir doch eigentlich nichts als
den großen Haufen {plurima vota} der Geistlichkeit denke, die, wie schon oben gesagt worden, zu keiner Zeit das Vorurtheil der tiefen Einsicht, Gelehrsamkeit und unpartheyischen Prüfungsgabe, gehabt hat) das Recht zustehe, mir, aus den Sätzen der Schrift künstlich gefolgerte Lehren und Begriffe aufzudringen, das glaube ich nicht. Wenigstens wäre dieß ganz wider die Grundsätze des
Protestantismus, welcher im deutschen Reich mit dem Catholicismus gleiche Herrschaft und Rechte behauptet. Denn nach diesen Grundsätzen bin ich in Absicht auf meinen Glauben an keines Menschen Ansehn gebunden, sondern habe das Recht,
alles zu prüfen, und nur das zu behalten, wovon ich mich aus Gottes Wort überzeugt fühle. Und dieses Recht erstreckt sich bey protestantischen Lehrern noch weiter als bey gemeinen Protestanten. Denn als ein solcher bin ich ein Theil der repräsentirenden Kirche, und bin daher nicht nur verpflichtet, die Lehrsätze meiner Kirche zu prüfen, sondern auch das Resultat meiner Prüfung, wenn |a23| es von Wichtigkeit ist, meinen Glaubensbrüdern vorzulegen, wie ich bisher in einigen meiner Schriften gethan habe, auch fernerhin thun werde, und in diesem meinem öffentlichen Bekenntniß jezt zum erstenmale vor dem allerhöchsten Richterstuhle thun zu können, gewürdiget werde.[“]
Ew.
Abkürzungsauflösung von "Ew.": Euer, Eure
Kaiserl.
Abkürzungsauflösung von "Kaiserl.": Kaiserliche
Majestät gestatten mir allergnädigst, nun dieser meiner Erklärung und Bekenntniß nur dieses einzige noch hinzuzufügen, was in der That der allergrößten Aufmerksamkeit werth ist: daß es mir höchstwahrscheinlich ist, es sey dieß zugleich das Bekenntniß eines sehr großen und ansehnlichen Theils der deutschen Nation.
Tausend und aber Tausend denken so wie ich; nur daß sie keine Gelegenheit oder Verbindlichkeit oder auch nicht genug Freymüthigkeit haben mögen, es laut zu sagen.
Tausend und aber Tausend wünschen, sehnen sich mit mir, nach Reforme, nach Freyheit – weil sie sehen, daß diese Freyheit das sichere und entscheidende Mittel seyn |a24| werde, den Sieg der Religion Jesu allgemein zu machen, allen Unglauben zu beschämen, und in kurzem eine
allgemeine Verbrüderung aller Religionspartheyen zu stiften.
Tausend und aber Tausend flehen mit mir um die
Rechte der Menschheit und des Gewissens, und stimmen in meine allerunterthänigste Bitte, daß Ew.
Abkürzungsauflösung von "Ew.": Euer, Eure
Kayserl.
Abkürzungsauflösung von "Kayserl.": Kayserliche
Majestät, mit
Zuziehung der Stände des Reichs, ein Mittel ausfindig machen möchten, wodurch die beyden Stüzen der öffentlichen Glückseeligkeit – Gewissensfreyheit und Kirchenfriede – vereinigt und in ewiger Verbindung erhalten werden könnten.
Ich ersterbe in allertiefster Submission
Ew.
Abkürzungsauflösung von "Ew.": Euer, Eurer
Kayserl.
Abkürzungsauflösung von "Kayserl.": Kayserlichen
Majestät
allerunterthänigster Knecht, D.
Abkürzungsauflösung von "D.": Doctor
Carl
Editorische Korrektur von: Carl. (digital)
Friedrich Bahrdt .
Herr Herr!
Zu der Gepflogenheit, bei Schreiben an höhergestellte Minister oder Regenten die Anrede „Herr“ zu verdoppeln, vgl. etwa die dringende Empfehlung in Johann Alphons de Lugos Sistematische[m] Handbuch für Jedermann, der Geschäftsaufsätze zu entwerfen hat, Erster Theil für Privatpersonen (³1784), 260.
Reichsbüchercommisarius von Scheben
Der Wormser Weihbischof Franz Xaver Anton Freiherr von Scheben (1711–1779) wurde 1765 Kaiserlicher Bücherkommissar in Frankfurt. Er stand der kaiserlichen Bücherkommission vor, die seit dem 16. Jh. die Aufsicht und weltliche Zensur über den Buchmarkt, besonders im Umfeld der Frankfurter Buchmesse, umsetzen sollte. Scheben war ab 1767 zudem Apostolischer Bücherkommissar und somit auch mit der römischen Buchzensur betraut. Das Reichshofratsconclusum vom 27. März 1779 rügte explizit das fehlende Einschreiten der Frankfurter Bücherkommission und setzte sie gleichzeitig als Adressat der von Bahrdt geforderten Erklärung ein.
meiner Übersetzung [...] unter dem Titel: die neusten Offenbahrungen Gottes
Bahrdt veröffentlichte zwischen 1773 und 1774 in vier Teilen eine Übersetzung des Neuen Testaments unter dem Titel Die neusten Offenbarungen Gottes in Briefen und Erzählungen, Riga bey Johann Friedrich Hartknoch. Eine zweite Ausgabe (Die neusten Offenbarungen Gottes) in zwei Bänden erschien 1777 in Frankenthal bey Ludwig Bernhard Friedrich Gegel (1731–1788), später sogar noch eine dritte Ausgabe (Das Neue Testament oder die neuesten Belehrungen Gottes durch Jesum und seine Apostel) 1783 in Berlin bei August Mylius, außerdem ein von Johann Friedrich Kleuker (1749–1827) anonym herausgegebener, berichtigter und ausführlich kommentierter Nachdruck der zweiten Auflage (Die lezten Offenbarungen Gottes das ist die Schriften des Neuen Testaments) 1780/81 in Frankfurt und Leipzig.
Anklage [...] vom 4ten Februar 1778
Am 4. Februar 1778 war ein erstes Reichshofratsconclusum erschienen, welches das Verfahren und erste Maßnahmen gegen Bahrdt einleitete. Ein Abdruck findet sich etwa im Frankfurter Staats-Ristretto, Nr. 33 (27.2.1778), 133f., sowie in den [N]euesten Religionsbegebenheiten 2 (1779), 128–131.
Sr. Churfürstl. Durchlaucht zu Pfalz
Gemeint ist Karl Theodor von Pfalz-Sulzbach (1724–1799), seit 1742 Pfalzgraf und Kurfürst von der Pfalz und seit 1777 auch Kurfürst von Bayern. Er ist hier als Kurfürst von der Pfalz angesprochen, weil Bahrdts inkriminiertes Buch Die neusten Offenbarungen Gottes in der zweiten Auflage von 1777 im pfälzischen Frankenthal gedruckt worden war. Entgegen der reichsrechtlich immer wieder geforderten Pflicht hatte der Drucker Gegel kein kaiserliches Druckprivileg erworben, das im Gegenzug eine weltliche Präventivzensur zur Folge gehabt hätte. Die Erteilung des Druckprivilegs und die Ahndung von diesbezüglichen Verstößen oblag dem Reichshofrat. Die Bestrafung des Druckers überließ der Reichshofrat dem Kurfürsten, mahnte aber eine Benachrichtigung darüber an.
Einziehung der noch vorfindlichen Exemplarien
Im Reichshofratsconclusum vom 4. Februar 1778 werden explizit der pfälzische Kurfürst sowie Bahrdts Landesherr, der Reichsgraf zu Leiningen-Heidesheim, aufgefordert, „alle in seinem Gebieth antreffende Exemplaria dieses Buchs einsweilen auf die Seite zu schaffen, und in Verwahrung zu halten“ (Frankfurter Staats-Ristretto, 33. St., 27.2.1778, 133). Bahrdt selbst gab daraufhin noch in Heidesheim in dem von ihm herausgegebenen Litterarische[n] Correspondenz- und Intelligenzblatt süffisant die Verbote seines Buches in Worms, Speyer und Frankfurt bekannt.
Einholung theologischer Gutachten von Göttingen und Würzburg
Der Reichshofrat hatte in seinem Conclusum vom 4. Februar 1778 zwei theologische Fakultäten zur Beurteilung von Bahrdts Bibelübertragung (Die neusten Offenbarungen Gottes) aufgerufen. Die zwei Gutachten aus dem lutherischen Göttingen und dem katholischen Würzburg lagen 1779 im Druck vor (Berlin und Leipzig bey George Jacob Decker) und wurden in den zeitgenössischen Rezensionen lebhaft diskutiert.
einstweilige Amtssuspension [...] zu verordnen
Der Reichshofrat wies Bahrdts Landesherrn, den Reichsgrafen zu Leiningen-Heidesheim, bereits im ersten Beschluss vom 4. Februar 1778 an, ihm vorsorglich „das Bücherschreiben, Lehren und Predigen“ (Frankfurter Staats-Ristretto, 33. St., 27.2.1778, 133) zu untersagen. Das Finalconclusum vom 27. März 1779 bekräftigte diesen Befehl ausdrücklich „ein für allemal bey Vermeidung schärferer Strafe“.
der mit den Episcopal gerechtsamen versehene protestantische Reichsgraf von Leiningen Dagsburg
Carl Friedrich Wilhelm von Leiningen-Dagsburg-Falkenburg (1724–1807), ab 1779 erster Fürst zu Leiningen, fungierte in seinem Territorium als „Notbischof“ der lutherischen Kirche. Ihm unterstand somit die Aufsicht über Kirchenangelegenheiten und er war direkter Dienstherr von Bahrdt, der seit 1776 Superintendent in der leiningischen Residenz Dürkheim an der Haardt war.
meine Gemeine [...] flehentlich gebeten hatte
Die Gemeinde im pfälzischen Dürkheim, deren Superintendent Bahrdt seit Juli 1776 war, hatte eine Supplik (lat. supplicium; „flehentliche Bitte“) an den Kaiser gerichtet. Der genaue Wortlaut ist nicht bekannt, vgl. aber Bahrdt, Geschichte seines Lebens III (1791), 385.
sub poena einer gänzlichen Verweisung aus den Gränzen des H. R. Reichs
Das Reichshofratsconclusum vom 27. März 1779 drohte bei Ungehorsam (lat. contumacia) die Reichsacht an. Dieses „Contumax-Acht“ genannte Zwangsmittel benutzte der Reichshofrat weiterhin, obwohl die Reichsacht bereits im Jüngsten Reichsabschied (1654) offiziell abgeschafft worden war.
eine über meine wahren [...] in termino duorum mensium
Hier paraphrasiert Bahrdt das Reichshofratsconclusum vom 27. März 1779 fast wörtlich, unterschlägt allerdings den dort explizit genannten Befehl, seine Druckschrift vorab der kaiserlichen Bücherkommission zur Einsicht, d.h. zur Präventivzensur, vorzulegen. Der Reichshofrat setzte für die Einreichung der Druckschrift die gängige Frist von zwei Monaten.
meiner Gattinn und vier kleinen unerzognen Kindern
Bahrdt war seit 1769 mit Johanna Elisabetha Kühn (1746/47–1793) verheiratet, der Witwe des sächsischen Regierungssekretärs Christian Wilhelm Kühn und Tochter des Konsistorialrats und Superintendenten Christian Wilhelm Volland (1682–1757) aus Mühlhausen (Thüringen). Aus der Ehe gingen acht Kinder hervor, von denen vier (drei Jungen und ein Mädchen) binnen weniger Tage oder Wochen nach der Geburt starben. Zur Abfassungszeit des Glaubensbekenntniß lebten vier Töchter. Namentlich bekannt sind die älteste Tochter Johanna Christiana („Hanchen“; 1773–1791), Christel, sowie die jüngste Tochter „Dorchen“ (gest. 1779, nachdem die Eltern das todkranke Kind in Heidesheim zurückgelassen hatten). Daneben hatte Bahrdt mindestens fünf (vermutlich aber mehr) uneheliche Kinder: davon drei – Johanne Caroline (1789–1835), Erdmann Hannibal (1791–1792) und ein weiteres namentlich nicht bekanntes – mit der Magd Christina Klarius (Christine Klar) in Nietleben, Zwillingsmädchen (geboren 1778) mit einer Magd aus Heidesheim sowie wahrscheinlich ein Kind (geboren 1768) mit einer Prostituierten in Leipzig. – Bahrdt erwähnt seine (ehelichen) Kinder recht selten. Wenn er es tut, spricht er aber mit Wärme von ihnen. Insbesondere seine älteste Tochter scheint er innig geliebt zu haben. Als Bahrdt seine Ehe im zweiten und dritten Teil seiner Autobiographie (1790/91) in schwarzen Farben malte und als von Beginn an unglücklich beschrieb, replizierte Bahrdts Schwager – Georg Gottfried Volland, Beiträge und Erläuterungen zu Herrn Doctor Carl Friedrich Bahrdts Lebensbeschreibung die er selbst verfertiget (1791) – mit einer Ehrenrettung seiner Schwester: Bahrdt habe aus Liebe geheiratet (16) und mit seiner Frau vor der Nietlebener Zeit „sehr vergnügt gelebet“ (6), bis er sie schließlich einer „nichtswürdigen Hure [Christina Klarius]“ (5) aufopferte und verstieß.
Schlosse Heidesheim
Das Schloss Heidesheim, auf dem Gebiet der heutigen Gemeinde Obrigheim (Pfalz), beheimatete das von Bahrdt während seiner Dürkheimer Superintendentur (s.
) ins Leben gerufene und geleitete reformpädagogische Philanthropinum, das im Mai 1777 den Lehrbetrieb aufgenommen hatte. Die erste und berühmteste Schule dieser Art war 1774 von Johann Bernhard Basedow (1724–1790) in Dessau gegründet worden. Bahrdt selbst hatte bereits von Juni 1775 bis Juni 1776 dem Philanthropinum in Marschlins (Graubünden) als Direktor vorgestanden. Dort verfasste er auch einen neuartigen Philanthropinische[n] Erziehungsplan oder vollständige Nachricht von dem ersten wirklichen Philanthropin zu Marschlins (1776; ²1777). – Die Neugründung in Heidesheim entpuppte sich spätestens mit dem finanziellen Rückzug des Reichsgrafen von Leiningen-Dagsburg (vgl.
) als wirtschaftliches Desaster. Nach Bahrdts „Weggang“ (vgl.
) wurde die Schule geschlossen, sein zurückgelassener Besitz versteigert, ein Großteil der Schulden jedoch nie beglichen, vgl.
. Das Schloss wurde 1794 schließlich von französischen Revolutionstruppen niedergebrannt.
in ein ander Land gezogen
Das Glaubensbekenntniß wurde zwar in Heidesheim geschrieben, allerdings war Bahrdts Weggang zur Abfassungszeit bereits beschlossene Sache. Nach einer abenteuerlichen Flucht vor seinen Gläubigern erreichte er am 27. Mai 1779 Preußen und ließ sich mit seiner Familie in Halle (Saale) nieder. Während Bahrdt seine Ankunft auf den Folgetag datiert (Geschichte seines Lebens IV, 1791, 17), notieren die Hallenser Universitätsakten den 27. Mai (Archiv der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Rep. 3, Nr. 272, fol. 1). Am 27. Mai 1779 endete die vom Reichshofrat verhängte Frist für Bahrdts Stellungnahme und drohte eine direkte Verhaftung.
in meinen zeitherigen Schriften
Bahrdt war ein Vielschreiber, für den Einnahmen aus Publikationen eine wichtige Rolle bei der Bestreitung des Lebensunterhalts spielten. Sein Werk umfasst über 100 selbstständige Schriften (knapp die Hälfte lag zum Abfassungszeitraum vor). Thematisch betreffen sie sämtliche theologische Disziplinen, darüber hinaus vor allem politische Philosophie und Pädagogik. Die Genres reichen von klassischen Abhandlungen und Streitschriften über Predigten, Jahrbücher, Texteditionen, Übersetzungen, autobiographische Werke etc. bis hin zu Lustspielen und Romanen. Zu Anfang seiner schriftstellerischen Laufbahn orientierte sich Bahrdt noch an der lutherischen Orthodoxie. Erst mit Beginn der 1770er Jahre löste er sich von ihr. In diese Periode fallen die inkriminierten Schriften (vgl.
und
).
um der Schwachen zu schonen
Gängiger Topos, gemäß dem man in Dingen, die nicht das Wesen der Religion angehen (Adiaphora), den intellektuell oder motivational „Schwachen“ ihre (abergläubischen) Meinungen und Praktiken lassen soll. Biblische Bestätigung hierfür fand man vor allem in den paulinischen Bemerkungen zum Streit um Speisegebote; vgl. Röm 14,1–23; 1Kor 8,13. Bahrdt benutzt obige Formulierung explizit in seinen [N]eusten Offenbarungen (s.
) für Apg 20,35.
übereilte Bekanntmachung
Während Bahrdt sich hier gerade gegen Übereilung ausspricht, wird Semler ihm genau eine solche vorwerfen (vgl. b25. 30. 62. 81 ) und Bahrdt sich wiederum (vgl. e5. 6. 10 ) von diesem Vorwurf distanzieren. Vgl. aber auch Bahrdt, Geschichte seines Lebens IV, 1791, 70.
Unter diese Lehrsätze
Während das Reichshofratsconclusum vom 27. März 1779 ein Bekenntnis von Bahrdt zur Christologie (Art. 5 des Glaubensbekenntniß[es]) und Trinitätslehre (Pneumatologie Art. 4 und Christologie Art. 5) eingefordert hatte, behandeln die nur wenig systematisch geordneten zehn Artikel seines Glaubensbekenntniß[es] auch weitere Punkte: Sünden- und Gnadenlehre (Art. 1–3), Erlösungslehre (Art. 6–7), Lehre von Engeln und vom Teufel (Art. 8), Lehre von der Heiligen Schrift (Art. 9) und Ekklesiologie (Art. 10).
im Athanasianischen Sinn
Anspielung auf die großen theologischen Kontroversen des 4. Jh.s, aus denen Athanasius von Alexandrien (299?–373) als Sieger hervorging. Auf dem ersten Konzil von Nicäa (325) hatte sich die Konzeption der Trinitätslehre durchsetzen können, die man im bis heute für alle großen Kirchen verbindlichen nicäno-konstantinopolitanischen Glaubensbekenntnis wiederfindet. Diese Konzeption wird mit dem Namen des Athanasius assoziiert, der sie im Nachgang des Konzils wirkmächtig interpretierte und verteidigte.
Augustanae confessionis
Gemeint ist das Augsburger Bekenntnis, eine ursprünglich von Kurfürst Johann von Sachsen (1468–1532) in Auftrag gegebene Erwiderung an Kaiser Karl V. (1500–1558) auf dem Augsburger Reichstag 1530. Weitere evangelisch gesinnte Reichsfürsten schlossen sich an, sodass das Augsburger Bekenntnis schnell die wichtigste Bekenntnisschrift des lutherischen Protestantismus werden konnte. Seit dem Augsburger Religionsfrieden (1555) und dem Westfälischen Frieden (1648) bildete es die Grundlage für die Anerkennung der Evangelischen im Reich.
Predigten über die Person und das Amt Jesu
Gemeint ist Die Lehre von der Person und dem Amte unsers Erlösers in Predigten rein biblisch vorgetragen (1775). Bahrdt legt in seinem an den Gießener Professorenkollegen und Intimfeind Johann Hermann Benner (1699–1782) adressierten unpaginierten Vorwort [11]–[20] Wert darauf, dass das Buch „in der Hauptsache mit den wesentlichen Lehrsätzen unserer Kirche [...] übereinstimmend“ [15] sei. Diese Einschätzung hinderte den Bücherkommissar von Scheben (vgl.
) freilich nicht, die Vorwürfe gegen Bahrdt auf besagte Schrift auszudehnen, vermutlich weil er sie mit der weit anstößigeren Predigtsammlung von 1772 (Predigten) verwechselte. Vgl. dazu Bahrdts Kirchen- und Ketzer-Almanach aufs Jahr 1781 [1780], 204–206.
Volksunterricht
Dass man metaphysische Streitigkeiten, etwa über Details der Trinitäts-, Zweinaturen- oder Satisfaktionslehre, der akademischen Auseinandersetzung vorbehalten und in Predigten oder Erbauungsschriften nach Möglichkeit zugunsten des moralischen und soteriologischen Kerns des Christentums aussparen sollte, war unter Neologen Allgemeingut. Vgl. etwa Johann Joachim Spalding, Ueber die Nutzbarkeit des Predigtamtes und deren Beförderung (1772; ³1791), SpKA I/3, 104–106; 144–160.
Systemsreligion [...] der reinen Christusreligion
Die terminologische Gegenüberstellung von (mit spekulativen Annahmen befrachteter) offizieller „Systemsreligion“ und (auf Bibel und gesundem Menschenverstand gegründeter) „reiner Christusreligion“ scheint Bahrdts Erfindung zu sein (vgl. b34 ), der Sache nach war die Unterscheidung aber unter Aufklärungstheologen gängig (vgl.
).
die Welt
Semler verbessert in seinem Zitat dieser Stelle stillschweigend zu „der Welt“, s. b38 .
überall einreissenden Unglaubens
Die Klage über angeblich „einreissenden Unglauben“ war ein Topos (nicht nur) der Aufklärungszeit. Tatsächlich wurden explizit atheistische Positionen im 17. und 18. Jh. jedoch nur selten vertreten (u.a. von Knutzen, Łyszczyński, de La Mettrie, d’Holbach). Häufiger anzutreffen war eine deistisch, spinozistisch, später auch kantisch begründete Kritik am Christentum.
Schaden
Semler verbessert in seinem Zitat dieser Stelle stillschweigend zu „schaden“, s. b48 .
Vergebung der Sünden [...] ihm schenke, nicht, wegen seiner Besserung und Tugend, sondern wegen eines [...] Menschenopfers [...]; so ists unmöglich, daß ächte Reue über die Sünde und Abneigung gegen Laster entstehen kann
Vgl. hierzu ausführlicher Bahrdts anonym erschienene Apologie der Vernunft durch Gründe der Schrift unterstüzt, in Bezug auf die christliche Versöhnungslehre (1781), Kap. XI („Die Versöhnungslehre des Systems bewirkt weder Besserung noch Beruhigung der Menschen, sie schadet vielmehr“), 194–207.
sehr weit hinter einen auch nur gemeinen Heiden stehen
Vgl.
und
.
unübersehligen Wust der Systemsreligion
Vgl. die augenfällige Parallele zu einer Formulierung aus der nur ein Jahr zuvor erschienenen Schrift Gotthilf Samuel Steinbarts (1738–1809), System der reinen Philosophie oder Glückseligkeitslehre des Christenthums (1778; 1794, BdN VIII), 4: „Wir haben daher noch in dem herrschenden Kirchensysteme den ganzen Wust menschlicher Hypothesen, welche [...] aus mißverstandenen Theorien [...] mit dem Christenthum vermischt worden sind.“ In e16 bezieht sich Bahrdt explizit auf Steinbarts Buch, vgl. auch
.
Kefisch oder Paulisch oder Papisch oder Calvinisch oder Luthrisch
Anspielung auf 1Kor 1,12 sowie 3,5. Die paulinische Mahnung zur Einheit wird hier auf die drei reichsrechtlich geduldeten christlichen Konfessionen übertragen. Vgl. auch Bahrdts eigene Übersetzung der Bibelverse in Die neusten Offenbarungen Gottes III (1773), 105 u. 113.
andre Erziehungsmethode
Wichtigstes Prinzip der originellen Pädagogik, die Bahrdt in seinem Philanthropinische[n] Erziehungsplan (vgl.
) umreißt, ist die Erziehung zur Fröhlichkeit. Fröhlichkeit ist ihm nicht weniger als „das Ebenbild Gottes, zu welchem wir erneuert werden sollen“ (25), „Erzeugerin“ der Tugend (31), „eigentliche Bestimmung des Menschen“ (26). Fröhlich wird, wer „die seltene Kunst versteh[t], die Welt zu genießen“ (30). „Lasset uns [...] fröliche Menschen machen, damit wir auch arbeitsame, willige, folgsame, gesellige, Gott ergebne – tugendhafte Menschen aus ihnen machen mögen.“ (36) Vgl. Bahrdt, Ueber den Zwek der Erziehung, in: Allgemeine Revision des gesammten Schul- und Erziehungswesens I (1785), 3–124, wo er von „Vergnügen aus Thätigkeit“ (17), „Heiterkeit“ (37), „Bildung zur Liebe“ (50), mit der der Mensch „in der Vorstellung der von ihm bewirkten Freude und Zufriedenheit Andrer seine eigene und höchste Freude finden lerne“ (48), als Zweck der Erziehung spricht.
Wort Gnade, welches die meisten Lehrer der Kirche bisher gemisdeutet haben
Die Gnadenlehre stellt eine der großen Herausforderungen christlicher Theologie dar. Die unterschiedliche Beurteilung des Miteinanders von göttlicher Gnade und menschlicher Freiheit durchzieht die gesamte Theologiegeschichte und spaltete selbst konfessionelle Lager, so etwa in den unterschiedlichen Ausprägungen des Protestantismus sowie im katholischen Gnadenstreit (vgl.
).
aus blosser Gnade [...] Vergebung der Sünde und ewige Seeligkeit um Christi willen
Seine im Glaubensbekenntniß skizzierte (pelagianische) Gnaden- und Versöhnungslehre hat Bahrdt ausführlicher in der Apologie der Vernunft (vgl.
) vorgetragen, vgl. v.a. 116–167: Göttliche Begnadigung setze moralische Besserung auf Seiten des Menschen voraus. Eine solche moralische Besserung wurde durch Jesu Unterricht, Beispiel, Beglaubigung in Leiden und Tod etc. angestoßen oder „begründet“. Insofern, und nur insofern, könne man sagen, dass uns um Christi willen vergeben wird.
πνευμα αγιων
Der Heilige Geist. Semler hat in seiner Antwort (s. b80 ) das Griechisch stillschweigend von αγιων zu ἁγιον verbessert.
nach Athanasius Vorstellungsart [...] oder nach Arius oder Sabellius
Athanasius (gest. 373), Arius und Sabellius (3. Jahrhundert) gelten als Hauptvertreter und Pole unterschiedlicher theologischer Konzeptionen der Trinitätslehre. Während Athanasius in Übereinstimmung mit den Beschlüssen des 1. Konzils von Nicäa (325) die Wesensgleichheit Christi mit Gottvater, bei gleichzeitiger personaler Verschiedenheit, betonte, sahen Arius und Sabellius durch die Annahme von drei Hypostasen (Gottvater, Sohn, Hl. Geist) den christlichen Monotheismus bedroht. Arius lehnte die Wesensgleichheit ab und lehrte eine Subordination des Sohnes, der von Gottvater aus dem Nichts gezeugt worden sei. Die Anhänger des Sabellius schlugen den entgegengesetzten Weg ein und hoben die Verschiedenheit auf, indem sie annahmen, die Redeweise von drei Personen spiegle lediglich unterschiedliche Erscheinungsformen oder Seinweisen der einen Gottheit.
Joh. 10 [...] προς ους ο λογος θεου εγενετο
Joh 10, 35: „an die das Wort Gottes erging“.
(ον ο πατηρ ηγιασε) da mich der Vater so ganz besonders ausgezeichnet hat
Joh 10, 36.
Nichtchristen
Ob Menschen (und evtl. auch Bewohner fremder Planeten), die nie von Christus gehört, geschweige denn seiner Kirche angehört haben, zu vollkommener Besserung (Heiligung; s. a14 ) und Seligkeit fähig sind, war ein viel diskutiertes Thema der Zeit. Calvin etwa (Institutio, IV, 1, 4) hatte eine solche Möglichkeit genauso verneint wie die vorreformatorische Kirche (z.B. während des Konzils von Ferrara/Florenz, 1438–45). Für Bahrdt (Apologie der Vernunft [vgl.
], 161–163) ist hingegen klar, dass Menschen immer und überall einen „bessernden Messias“ haben, „obgleich nicht in Person“. Denn sie haben „den λογος θεου, der zu allen Zeiten alle Menschen erleuchtete – die Vernunft.“ Erlösung und Seligkeit sind für die gesamte Menschheit bestimmt, auch wenn die Bibel nichts über die besondere Art der Erlösung von Personen lehrt, die vor Christus lebten oder nie von ihm erfuhren. Vgl.
und
.
daß dieser Glaube in einer Ergreifung und Zueignung des Verdienstes Christi bestehe
Eine unter lutherischen Autoren der Zeit verbreitete, formelhafte Charakterisierung des christlichen Glaubens, welche in Artikel 20 der Confessio Augustana (1530) wurzelt. Vgl. z.B. Peter Ahlwardt: Gründliche Betrachtungen über die Augspurgische Confession, 5. Teil (20. Betrachtung; 1746), 396: „Das Wesen des seeligmachenden Glaubens besteht in der Ergreiffung und Zueignung des Verdienstes JEsu und der göttlichen Gnaden-Verheißungen“. Oder Christian Thomasius: Ernsthaffte, aber doch Muntere und Vernünfftige Thomasische Gedancken und Erinnerungen über allerhand auserlesene Juristische Händel IV (1725), 44f.: „Dieses ist leicht zu erkennen, wenn man erweget, daß der rechte Glaube [...] JEsum Christum ergreiffet und ihn dem Menschen, in welchen er ist, appliciret oder zueignet [...]. Wo die Ergreiffung und Zueignung JEsu Christi ist, da ist auch die thätige Ubung durch Liebe und andere Tugenden gegen GOtt und den Nechsten [...]“. Zu diesem Modell des Glaubens und zur neologischen Abkehr von ihm vgl. ausführlich zu Propst Teller
.
ich bin ein eifriger Gott [...] tausende Glied
Anspielung auf Ex 20, 5–6.
Gott alle in diesen Schriften enthaltene Worte eingegeben habe
Die Lehre der Verbalinspiration, nach der die Bibel im Wortlaut von Gott den menschlichen Schreibern eingegeben (vgl. 2Tim 3,16) oder „diktiert“ worden sei, wurde von Vertretern der lutherischen Orthodoxie (u.a. Gerhard, Buxtorf d. J., Quenstedt, Hollaz) verfochten. Vorbilder lassen sich bereits bei den Kirchenvätern finden (Hieronymus, Augustinus u.a.). Die meisten Aufklärungstheologen lehnten die Lehre ab, so auch Semler in seiner Abhandlung von freier Untersuchung des Canon I (1771), 115–117; s. außerdem e18 .
den großen Haufen der Geistlichkeit {plurima vota}
Bahrdt will hier darauf hinaus, dass in den Kirchen die Mehrheitsmeinung der Theologen zähle („plurima vota valent“), nicht bessere Einsicht. Vgl. Johann Konrad Dippel (s.
), Eröffneter Weg zum Frieden III (1747), 139f.: „man kan hiebey sehen, daß der heutige Separatismus (oder Trennung von dem gewöhnlichen GOttes-Dienst) eben so alte Vorgänger hat, als der Kirchismus und Sacramentismus der heutigen Orthodoxen, (wir müssen auch anfangen neue Ismos zu machen) nur hat er damals noch nicht die plurima Vota (meiste Stimmen) gehabt, um den Titul der Orthodoxie zu erlangen; [...] so lange der Abfall von dem lebendigen GOtt noch währet, und der Bösen, Narren und Blinden Anzahl grösser ist, als der Guten und Sehenden, auch allezeit die plurima Vota für den Irrthum schließen, und folglich der Irrthum selbst Orthodoxia heissen werde. Also muß man die wahre Kirche und die Wahrheit selbst nie unter dem Hauffen, der das Dominium (die Herrschaft) hat, oder orthodox ist, suchen, sondern unter einem suspecten (verdächtigen) und verworffenen Namen eines Ketzers“.
Protestantismus, welcher im deutschen Reich mit dem Catholicismus gleiche Herrschaft und Rechte behauptet
Durch den Augsburger Religionsfrieden (1555) erhielten die weltlichen Reichsstände in ihrem jeweiligen Territorium das Recht, die Reformation sowie ein eigenes Kirchenwesen einzuführen (ius reformandi und ius circa sacra). Die Untertanen erhielten zudem ein Emigrationsrecht aus Glaubensgründen (ius emigrandi). Diese pragmatische Lösung befriedete den schwelenden Religionskonflikt und schuf den Anhängern des Augsburger Bekenntnisses (1530) reichsrechtliche Anerkennung.
alles zu prüfen, und nur das zu behalten
Anspielung auf 1Thess 5,21. Die in dieser Wendung zum Ausdruck kommende (und eng mit dem Prinzip des Selbstdenkens verbundene) Eklektik wurde häufig als Kennzeichen der Aufklärung angesehen. Spalding, Nutzbarkeit des Predigtamtes (vgl.
), spricht von einer „heilige[n] unverletzliche[n] Vorschrift“ (219).
allgemeine Verbrüderung aller Religionspartheyen
Gemeint ist eine friedliche Wiedervereinigung der getrennten christlichen Konfessionen, wie sie seit der Reformation von unterschiedlichen Irenikern gefordert worden war.
Rechte der Menschheit
Es ist nicht ganz klar, ob und ggf. durch wen (Locke, G. F. Meier, Rousseau, Wieland) die Redeweise von „Rechten der Menschheit“ hier beeinflusst ist. Bahrdt sollte in den folgenden Jahren der Presse- und Religionsfreiheit eigene radikale Schriften widmen, die weit über die Forderungen der meisten Aufklärer hinausgingen, an erster Stelle: Ueber Preßfreyheit und deren Gränzen. Zur Beherzigung für Regenten[,] Censoren und Schriftsteller (anonym; 1787). Zwei Kostproben: „Freyheit zu denken und zu urtheilen, unabhängig von Autorität, [...] ist das heiligste, wichtigste unverletzlichste Recht der Menschheit“ (38f.); „Ich behaupte: das Recht, über Religion seine Gedanken mitzutheilen, darf gar nicht eingeschränkt werden, weil es keinen Fall gibt, wo der Gebrauch desselben dem Staate oder den Rechten einzeler Menschen einen wirklichen Schaden thun könnte“ (78).
Zuziehung der Stände des Reichs
Gemeint ist die Herrschaftsteilhabe derjenigen Personen und Korporationen des Alten Reichs, die Sitz und Stimme am Reichstag besaßen.