|b[III]| Vorrede.
Es ist wol nicht nötig, mich weitläuftig und künstlich erst zu rechtfertigen, daß ich auf das
bahrdische Glaubensbekentnis
eine öffentliche Antwort ertheile. Ich wil also auch nicht umständlich anfüren, daß ich von mehrern dazu ersucht worden bin; die nicht sowol erst erfaren wolten, ob ich auch unter den
angeblichen Tausenden seie, welche eben diese Lehrsätze vorziehen, und sogar eine neue algemeine Religionsform zu wünschen für wichtig halten; als vielmehr hoffeten, daß ich zu einer ehrlichen Untersuchung und eben so freien
|b[IV]| Beurtheilung ganz gewis bereit und willig seyn würde; wonach allerdings kein unansehnlicher Nutzen für unsre Zeitgenossen in mehr als einer Absicht, zu erwarten seyn könte. Eben so freie Beurtheilung des Bekäntnisses, ohne Zurückhaltung, muß doch wenigstens eben sowol auf unserer Seite rechtmäßig heissen: als der
Hr.
Verfasser sich eine in der That sehr grosse Freiheit erlaubet hat. Alle billigen und noch unparteiischen Leser werden es also nicht übel deuten, daß gerade ich, hier,
an eben dem Orte, meine Beurtheilung öffentlich bekant mache, wo sich der
Hr.
Verfasser für jetzt aufhält; es konte dis in mehr als einer Rücksicht wirklich vortheilhaft oder nötig heissen, da ohnehin manche seltsame Gerüchte sich ausgebreitet haben, denen man sogar eine furchtbare Stellung oder einen solchen Zusammenhang geben wolte, der
unserer
Universität nachtheilig heissen solte. Je gewisser es ist, daß eine rechtmäßige wünschenswerthe
Toleranz bey uns, und besonders,
|b[V]| was unsere
theologische Lehrart betrift, sich schon lange ausgezeichnet hat, vor vielen andern
teutschen Universitäten, wenn auch ich insbesondre schon eben so lange von manchen Eiferern übel und unfreundlich darüber beurtheilet worden bin: desto ausgemachter ist es wol auch, daß niemand unter uns den
Hrn.
Verfasser um dieses Uebertrits willen zur
socinianischen Partey, zu drücken und zu verfolgen gesonnen seie; wir behalten alle Menschenliebe und Achtung, die wir in änlichem Falle uns je wünschen mögen. Indessen wird auch dis
kein Beweis einer Verfolgung heissen können, wenn man geradehin und öffentlich dieses Bekentnis historisch unrichtig, unzuverläßig, und in Absicht des geäusserten Widerspruchs wider
die
augspurgische Confeßion, und wider alle feierliche Grundsätze der
drey Religionsparteien im römischen Reiche, ungegründet nent; auch die Wünsche für eine
ganz andre Vereinigung dieser drey Parteien, durch eine
vierte Religionsform, als
|b[VI]| unthunliche, und unnötige, übereilte ansiehet. Gerade diese Freiheit, solchen öffentlichen Aufsätzen, eben so öffentlich zu widersprechen, gehört noch mehr zu den Rechten dieser Kirchen, als zu der Pflicht, die man der Untersuchung des Wahren, oder vorzüglich Wahren schuldig ist. Wenn also sonst es unsern höchsten Obern nicht zuwider ist, und sie es der öffentlichen Geselschaft nicht nachtheilig erachten: wird es mir und andern öffentlichen Lehrern gar nicht entgegen seyn, daß der
Hr.
Verfasser nun mit mehrern sich über seine übereilte Sätze und Aufgaben, oder Behauptungen, gelegentlich erklärt; damit auch andre Zeitgenossen Gelegenheit haben, Gründe von beiden Seiten zu lesen und zu beurtheilen; so wenig auch, auf Seiten des
Hrn.
Verfassers irgend etwas neues vorgebracht worden ist oder werden kan.
Ich wil mich hier nicht insbesondre darüber heraus lassen, daß ich alle Entwürfe ei
|b[VII]|nes algemeinen Systems, oder Lehrbegrifs für alle Christen, ganz und gar für ungegründet halte; es ist meine Beurtheilung, der ich mich nicht schäme; indem solche Entwürfe stets
local sind und bleiben; aller gute Unterricht aber darauf mitgehet, den fähigen Zeitgenossen in Absicht eigener Einsichten und Urtheile beförderlich zu seyn; folglich ihre Gewissensfreiheit in immer grössere Uebung zu setzen; und nun werden diese wol aus ihrer eigenen Erfarung wissen, wie es mit eigenen Erkentnissen zugehet, und werden niemanden, der mitdenken kan, ihre moralische Geschichte oder ihre Einsicht aufdringen. Mit vieler Aufmerksamkeit habe ich daher stets Studiosos Theologiä davon zu überzeugen gesucht, daß sie die Mannichfaltigkeit und Ausdenung der
moralischen Welt, nach Ost und West, Süden und Norden, nach allen Strichen und Climatibus, und die Mannichfaltigkeit aller ihrer Veränderungen hinlänglich überdenken, und danach ihr Lehramt gewissenhaft und mit
|b[VIII]| Zuversicht einst füren möchten. Alles, was zur eigentlichen Theologie gehört, seie Vorbereitung zu ihrer besondern Geschicklichkeit und Gewissenhaftigkeit; beides müsse sie, als Lehrer, von den andern Zeitgenossen gar sehr unterscheiden. Alle geschickte und gewissenhafte Lehrer aller drey grossen Kirchenparteien kämen darin überein, daß die eigentlichen unmittelbaren Grundartikel des christlichen Glaubens, oder der christlichen Religion, wie sie eine christliche Fertigkeit und Glückseligkeit gewähret, allen Parteien wirklich gemein seien und bleiben, obgleich in sehr verschiedenen Gesichtspuncten; und darauf gründe sich theils eine wahre Verträglichkeit und redliche geselschaftliche Verbindung, theils auch die feierlichen öffentlichen Religionsrechte, nachdem man der
Unionsarbeiten müde geworden. Die
besondern Bestimmungen, in sogenanten
symbolischen Büchern seit dem 16ten Jahrhundert, beschrieben die jetzige wirkliche Verschiedenheit aller dieser Christen,
|b[IX]| in Absicht der bey ihnen, wirklich eingefürten,
localen Denkungsart und Lehrart; mit ausdrücklicher neuen äusserlichen Verbindung einer jeden solchen besondern Religionspartey. Diese äusserliche Verbindung beruhe auf den obrigkeitlichen Rechten, und könne in Absicht des einheimischen Gebrauchs und Verhältnisses so und so von der Obrigkeit und Kirchengeselschaft streng fortgesetzt, oder aber etwas abgeändert werden; wenn sie gleich in dem ersten Verhältnis, gegen Juden und Heiden, und gegen gewesene Kirchengewalt der Päbste, ein für allemal unveränderlich bleibe. Unter dieser Anleitung bleibe das noch so verschiedene Gewissen der Christen ungekränket und unbeeinträchtiget; die Abwechselung der historischen Erkentnis frey und vor GOtt unsündlich; entstehende Zweifel würden leicht gehoben, oder so weit zurück gesetzt, daß sie den Christen nicht in moralische Gefar und Unordnung füren könten. Ein Lehrer könne also, ohne geradehin gleichgültig oder gottlos zu denken, gar
|b[X]| wohl einsehen, daß
auch
Socinianer, Arianer, Sabellianer wirklich zu Christen gehörten, und keinen Haß oder Abscheu um der Religion willen bey andern Christen verdienten; ob sie gleich in der öffentlichen Geselschaft der im Staate grössern oder schon aufgenommenen Partey, eben so wenig mit diesen Christen einerley äusserliche Rechte hätten und haben könten, die ihnen auch Gewissens wegen gar nicht nötig seien, als
Juden und
Muhammedaner, und heidnische Völker, die auch christliche Unterthanen seyn könten. Diese meine Lehrart ist so wenig der
Intoleranz bisher beschuldiget worden, daß ich vielmehr häufig nachtheilige und widrige Urtheile mir damit zugezogen habe. Ich fürchte also nicht, daß meine Antwort an sich selbst als ein Beweis der
Intoleranz mit einigem Schein möge angesehen werden; da es zu den im römischen Reich ausgemachten Rechten aller drey Parteien, also auch der
lutherischen Kirche gehört, über ihre symbolischen Bücher und Lehrschriften von Zeit zu Zeit schriftliche Er
|b[XI]|läuterungen, Bestätigungen und Vertheidigungen öffentlich drucken zu lassen; wodurch Lehrer und Mitglieder gewis sind, daß sie noch zu derselben äusserlichen Kirchengeselschaft gehören, und ihre feierlichen Rechte behaupten. Desto besondrer ist mein Schicksal, daß mich manche so leicht zu ihrer Partey rechnen; zu einer Partey, die von vielen für eine neue, gleichsam aufwachsende bessere Geselschaft angesehen wird, weil sie die
augspurgische Confeßion nicht behalten, sie für ein Hindernis einer Universalreligion, und die Wünsche und Beförderungen für diese Universalreligion, als ein grosses Verdienst um die ganze Menschenwelt, ansehen und anrechnen. So setzte mich erst vor kurzem
Hr.
Lavater , in grossem heftigen Eifer, auf der letzten
Zürchischen Synode in eine Klasse mit
Hrn.
Steinbart ; und beschrieb mich vornemlich, als einen arglistigen höchst gefärlichen
Naturalisten. Andere aber glaubten schon lange, ich wäre doch wol ein
Socinianer, oder
|b[XII]| Arianer, (manche denken noch dazu, es seie, beides beisammen, desto ärger; um mich desto gräulicher zu beschreiben.) Ich bin aber weder ein
Naturalist, was es auch für grosse Ansprüche auf Einsicht begreifen mag; noch ein
Socinianer oder
Arianer; ich bin ein ehrlicher treuer
lutherischer Professor, der seinen
Eid zu bereuen oder zu brechen gar keine Ursache hat; es mag manchem lieb seyn oder nicht. Ich lehre und schreibe mit und in gutem Gewissen, und bestrebe mich, daß mein Leben und Wandel auch selbst gut christlich seie und andern nützlich werde. Ich denke, wenn unter allen Parteien alle Lehrer und Mitglieder ebenfals ein gut christlich gemeinnütziges Leben beweisen: so wäre dis für sie alles, und für andre so viel, daß niemand Ursache hätte, die Unarten und wissentlichen Laster der Menschen, in der Religionslehre zu suchen; worin der
Hr.
Verfasser dieses Bekentnisses ganz gewis sich völlig irret; und wie ich hoffe, den grossen Irtum geständig seyn wird.
|b[XIII]| Ich kan aber diese Vorrede nicht schliessen, ohne
unsre und alle Studiosos Theologiä öffentlich mit aller Aufrichtigkeit und Herzensöfnung zu ermahnen, wie ich es so herzlich gerne, und ohne Affectation, bey aller Gelegenheit in Vorlesungen thue: daß sie des Berufs ja wohl wahr nehmen mögen, in den sie einwilligen, wenn sie sich zum öffentlichen Lehramt für unsre Zeitgenossen zubereiten lassen wollen. Schon
Epictetus sahe das Lehramt eines
Philosophen für so wichtig an, daß er forderte: ein solcher muß eine so grosse Sache ja nicht ohne GOtt sich vorsetzen; er muß sich durchaus immer mehr übertreffen; er ist ein Bote GOttes, der den Menschen bekant machen sol, in was für grossen Irtümern sie stecken – er muß alles durch sein gutes Beispiel klar machen; sein Gemüt muß reiner seyn als die Sonne – Wie groß! wie stark gesagt!
Mag
Epictet , wie manche glauben, dis aus der christlichen Forderung und Belehrung entlehnet oder gelernet und selbst aufrichtig gebil
|b[XIV]|liget haben; unter Christen muß die Anforderung an einen, der ein christlicher öffentlicher Lehrer werden wil, wahrlich doch nicht geringer seyn. Der gewisse Einflus GOttes, der die christliche Religion in der Welt zu einem besondern Mittel grosser Absichten gebrauchet, lebendige starke Vorstellung davon, muß den Jüngling bewahren für aller sinlichen Unordnung und Zerrüttung, für schändlicher Wollust und Frechheit, für aller Verunreinigung des Gewissens in Werken der Finsternis! Wo wil sonst der Mann entstehen und gebildet werden, den der Lehrer an sich untadelhaft zeigen muß,
wie Paulus
forderte, er muß
ἀνεπιληπτος seyn.
ἀνεπιληπτος fordert alle Zeitgenossen, alle Bekanten, alle Freunde auf, die unserm Leben auf der Universität und in der Geselschaft zugesehen haben. Wie klug, wie bedächtig muß alle Zeit eingetheilet werden, um den ganzen Grund einer solchen Gelehrsamkeit und moralischen Ordnung so gewis zu legen, als zur Festigkeit des Charakters und des würdigen Ver
|b[XV]|haltens nötig ist! Wie selbst bekant muß man seyn mit den wirklichen
moralischen Folgen der gesunden Ueberlegung und treuen Betrachtung
der christlichen Wahrheiten, um diese grosse so nötige Erfarung nicht selbst zu entberen, und nicht auf Mittel einst zu fallen, sich fortzuhelfen, welche weder
Socrates noch
Epictet sich verstattet oder zu gute gehalten hätten; um nicht sich wiegen und wägen zu lassen von allerley Wind der Lehre. Wer die
Universitätszeit nicht volkommen zweckmäßig anwendet, und für Kopf und Herz so sorget, als es einst die redlichen Zeitgenossen voraussetzen: wird zu spät seinen Trost oder Beystand aus Büchern oder Zufällen suchen.
Und nun wünsche ich, daß Studiosi Theologiä, da sie jenes neue Glaubensbekentnis gelesen haben, auch mit eignen Nachdenken meine Antwort lesen; ihre gewissenhafte Beurtheilung üben, ohne sich zu übereilen, um mit reinem guten Gewissen einst treue fruchtreiche
|b[XVI]| Lehrer der protestantischen Kirche zu seyn und zu bleiben; selbst
himmelfest gewis davon, daß sie nicht
Heuchler sind, die ums Brots willen ihrem Regenten lügen, und mit Verletzung des Gewissens Menschengunst zu erschleichen suchen; wie in diesem Bekäntnis sehr unbilliger und unglimpflicher Weise andere Lehrer beschrieben werden, die nicht so ungewis und wankend in ihrer gelehrten Einsicht zu seyn Ursache haben, als dessen
Hr.
Verfasser haben muste. In dem Falle, worin ich bin, und ein jeder treuer Lehrer ist, der seiner Religionsgeselschaft nicht lügen wil, ist an Menschengunst nicht zu denken; da gilt kein schleichen oder erschleichen; wir wollen nicht schleichen und heucheln,
οὐκ ἐσμεν ὑποστολης. Halle den 17ten Aug. 1779.
|b[1]| Nachricht an den Leser.
Ohnerachtet es keinen sonderlichen Zusammenhang und Einflus haben kann, auf den richtigen Verstand und die billige Aufname dieser kleinen Schrift, unter was für Umständen und Gründen ich mich entschlossen haben möchte, sie drucken zu lassen: so halte ich doch dafür, es werde den meisten Lesern sogar lieb seyn, wenn ich auch hiervon einige Nachricht mittheile. Ueberhaupt ist gar nicht die
bahrdische Schrift selbst, in Absicht meiner, von einigem wichtigen Zusammenhange, der mich dazu gleichsam bringen könte; wenn ich gleich mich gar wohl erinnere, in der letzten Zeit, als der
Hr.
Verfasser noch in
Heidesheim war, unvermutet ein kurzes Schreiben von ihm erhalten zu haben, worin die so unangenehme Lage angezeigt war, welche nach dem kaiserlichen Reichshofrathsconcluso entstehe, und eine baldige
|b2| Entfernung mit sich bringe. Zugleich wurde darin angezeiget, daß der
Hr.
Verfasser sein Glaubensbekentnis werde drucken lassen, worin solche Aeusserungen vorkämen –
Ich habe sogleich wieder geantwortet, und meine grosse Befremdung geäussert, über eine so unerwartete Entschliessung; und dawider kürzlich vorgestellet, daß ja die ganze ehemalige Uneinigkeit der christlichen Parteien über die Vorstellung von
Christo damalen und nur daher entstanden seie, als die wirklichen christlichen Urkunden oder die Schriften der Apostel noch nicht
beisammen gewesen, die wir nun alle haben; wonach eben, nach allen diesen Schriften, die Lehrsätze der katholischen Kirchen, in Absicht ihrer Lehrer und Diener, wider andre Parteien abgefasset und fortgesetzet worden – daß manche vorige Schriften dem
Hrn.
Verfasser die Gestalt der Heucheley, und dieser öffentliche Schritt, die vorher nicht erwiesene Anklage und Beschuldigung ganz klärlich wahr machen würde. Ich würde unter den ersten seyn, welche Gegner einer solchen Schrift abgäben, und beiläufig habe geäussert, daß es eine ganz andre Frage wäre, ob der kaiserliche Reichshofrath Recht habe, in solchen
protestantischen Kirchensachen sich auf diese Art einzumischen; welches ich stets leugnen würde, wie dergleichen Benehmen oder Betragen schon lange unter Religionsgravamina gebracht und stets von Protestanten mit Recht widersprochen worden
*) . Bald nachher erschien
dieses Be|b3|kentnis im Druck; der
Hr.
Verfasser traf hier in
Halle ein, ohne daß wir, ich wenigstens, davon etwas gewust haben. Er besuchte mich; ich bedaurete die Veranlassung dieser Erscheinung, und wünschte, daß sich im Königreiche Preussen, oder in andern Staaten, die mit dem
teutschen Reiche in nähern Zusammenhange nicht stün
|b4|den, ein Platz finden möchte, für seine sonstigen Talente – Ich gab zu erkennen, daß es hier, (wo eine
lutherische der augspurgischen Confeßion zugethane Universität ist,) grosse Schwierigkeiten eines steten und erleichterten Aufenthalts geben würde, auch was das vorhabende Lesen betrift. Indes schlug ich einige nützliche Arbeiten nochmals vor;
eine eigene gute Lebensbeschreibung;
Uebersetzung aus dem
Philo ,
Eusebii Vorbereitung
etc.
Nach einiger Zeit habe ich diesen Zuspruch noch einmal gehabt; und einige Hefte von dem Anfang einer Lebensbeschreibung gesehen, die mir allerdings fruchtbar und gemeinnützig vorkamen; nur an zwey Orten etwa habe ich einige
lateinische Anmerkungen geschrieben. Bey der übrigen Unterredung, wo ich darauf bestand, der
historische Verstand solcher Stellen, von Christo
, könne der gleichzeitigen vielen Zeugnisse wegen, nicht geleugnet werden, nach aller meiner Einsicht; ein anders seie, ob ein
Socinianer ihn für sich, bejahe und selbst auch annehme; ein anders aber, ob es dort der historisch erweisliche
sensus seie, wurde der Zweifel vorgebracht, ob auch wol der
|b5|
erste Anfang des 1sten Kapitel
Johannis ächt seie? da antwortete ich: es seie für mich gar kein Zweifel da; aus der ganzen alten Kirchengeschichte wüste ich gar keinen Wink davon aufzufinden; und wenn ich selbst
die sogenanten
Aloger als eine Partey wolte gelten lassen: so seie doch ihre Behauptung
geradehin aufs ganze Buch, und nicht auf einige Verse des ersten Kapitels gegangen – Indessen wurde in der Stadt unter Studiosis immer mehr geredet, von öffentlichen
Lectionibus, die der
Hr.
Verfasser des Bekäntnisses bald anfangen werde, wozu er auch ein Auditorium schon suche; wogegen ich ohne Zurückhalten bey aller Gelegenheit äusserte, daß ich nicht glaubte, daß dazu würde die
nötige Erlaubnis ertheilet werden. Ich wurde darauf vom 12ten
Jul.
an
Decanus, und da wurde mir
von einem hiesigen Buchdrucker ein geschriebenes Avertissement vorgezeiget, zur Censur; worin auf ein grösseres Werk, zur Bestätigung dieses Bekäntnisses
Pränumeration gesucht, und 4000 Exemplarien im Druck zu liefern versprochen wurde. Ich schrieb, nach
Communication mit der
Facultät, mit eigner Hand darauf, daß dieses und dergleichen Avertissement, und noch mehr ein solches Werk, hier nicht mit unserer Censur gedruckt werden möge.
*) Ich wil dieses einigermassen erläutern, weil manche Leser es sonst unrecht verstehen und misdeuten könten. Statt vieler andern klaren Beispiele, wil ich nur aus der
volständigen
Samlung aller Conclusorum, Schreiben und anderer übrigen Verhandlungen des hochpreislichen
Corporis Euangelicorum (
Eberhard Christian Wilhelm von
Schauroth ) 1sten tomus
,
S.
706
f.
Gläsnerische Processache
etc.
so viel mittheilen. 1. Schreiben an Ihro römisch-kaiserliche Majestät vom
Corpore Euangelicorum sub dato den 4ten April 1750.
dictatum Regenspurg den 13ten May.
Ew.
Kaiserliche
|b3*| Majestät geruhen allergnädigst aus der Anfüge zu ersehen – „Nachdem nun die in ermeldetem (
königl.
preußischen und
königl.
grosbritannischen)
pro memoria angegebene, auf die Religionsfriedensschlüsse selbst, auch Reichsverfassung sich gründende
argumenta und
principia, die nemlichen sind,
welche das gesamte Corpus Euangelicorum von seinem ersten Anfange bis hieher unverändert fort,
gegen alle anmasliche Iurisdiction
derer höchsten Reichsgerichte in Evangelischen Kirchen- und geistlichen Sachen,
behauptet und geheget hat; wie solches die bey diesem
Corpore so vielfältig ausgefallene
conclusa, und allerehrerbietigste Vorstellungsschreiben an
Ew.
Kaiserl.
Majestät glorreicheste Vorfaren am kaiserlichen Thron, hinlänglich bewäret; solchemnach aber sämtliche höchste und hohe Evangelische Churfürsten, Fürsten und Stände, die von dem kaiserlichen Reichshofrath in sothaner
Gläsenerischen unstreitigen Kirchen- und Consistorialangelegenheit
sich angemassete Gerichtsbarkeit um so minder gleichgültig ansehen mögen, da hiedurch einem der edelsten Rechte evangelischer
statuum in Ansehung der
Iurisdictionis ecclesiasticae, welche dieselben, nach den obhandenen
pactis publicis, priuatiue exerciren, offenbar
zu nahe getreten worden – als ergehet an
Ew.
Kaiserl.
Majestät, im Namen und auf Befel unserer höchsten und hohen Principalen, auch Obern und Committenten, das geziemende und respective allerunterthänigste Ersuchen, und devoteste Bitten, bey mehrermeldeten Dero Reichshofrath unter ernstlicher Verweisung des in gegenwärtiger Angelegenheit angemaßten Erkentnisses, die allergerechteste Verfügung dahin ergehen zu lassen,
daß derselbe fernerhin aller cognition in disseitiger geistlichen und Kirchensachen,
ohne Ausnahme und schlechterdings sich zu enthalten habe. Da übrigens zu sorgfältigster Verwahrung derer hierunter unsern höchsten und hohen Herren Principalen, Obern und Committenten zustehenden Befugnisse, wir noch diese Declaration hier allerehrer
|b4*| bietigst beifügen sollen, wie man evangelischer Seits, des kaiserlichen Reichshofraths Iurisdiction
in ecclesiasticis nimmermehr erkennen, weniger die Execution derer in solcherley Fällen incompetenter ergangenen
Iudicatorum,
geschehen lassen könne noch werde; vielmehr alle von daher erfolgende derley Erkentnisse, als mit der Reichsverfassung incompatible, mithin von keinen Kräften zu seyn
und für nicht ertheilet zu halten, anzusehen sich gemüßiget finde.[“]
Da nun in diesem Falle, worin sich der
Hr.
Verfasser dieses Bekäntnisses befindet, noch dazu nicht einmal Appellationen von ihm an den kaiserlichen Reichshofrath gebracht worden, wie doch damalen
D.
Gläsener gethan: so hatte er noch weniger Ursache einem solchen Befel zu Folge dergleichen Bekentnis von sich zu geben, und konte seiner Obrigkeit, und den
protestantischen höchsten und hohen Reichsständen es ruhig überlassen; wenn er nicht selbst etwa diese Gelegenheit, zu einer lang gehegten Absicht, sogleich gebrauchen wollen.
In allen diesen Umständen würde ich noch nicht für nötig geachtet haben, mich öffentlich über dis Bekenntnis, dessen Inhalt ohnehin sehr mangelhaft und unbedeutend ist, herauszulassen; wenn nicht mehrere Briefe von Auswärtigen, und manche von sehr erheblichen Inhalte, mich gleichsam mit Augen sehen liessen, wie nachtheilig dieser von Auswärtigen so ungleich erzälte und beschriebene Aufenthalt nun beurtheilt würde, wie man so gar mich selbst mit unter diejenigen zälen wolle, von denen Seite
23. stehet:
Nun muste ich auf einmal mich entschließen, dieser Vermutung, welche man wirklich gar zu gerne ausbreiten möchte, öffentlich zu widersprechen, und zu zeigen, daß ich allerdings Freymütigkeit und Verbindlichkeit ganz gerne vereinige, damit die Kirche, zu deren
academischen Lehrern ich so viele Jahre gehöre, wenigstens mich nicht unter diese angeblich vielen Tausende zälen möge, die so leicht den ganzen untreuen Inhalt dieses nicht
augspurgischen Bekenntnisses, und so gar den seltsamen Wunsch billigen und genemhalten sollen,
daß kaiserl.
Majestät mit Zuziehung der Stände des Reichs ein Mittel ausfindig machen möchten, wodurch die beiden Stützen der öffentlichen Glückseligkeit, Gewissensfreyheit und Kirchenfriede – vereinigt und in ewiger Verbindung erhalten werden könnten.
Ich gestehe es gerne, ich habe mich nicht so viel gewundert über den so sehr unrichtigen und schlechten Inhalt des Bekenntnisses selbst, indem es der
augspurgischen Confession und allen öffentlichen Religionsurkunden widersprechen soll; als über diese Aeusserung, die ich, bey allem Gutmeinen, doch für ganz und gar ungegründeten Einfal halten muß, ich mag auf innere oder äussere Gründe eines so sonderbaren und unerwarteten Wunsches sehen. Ich glaube, und erkenne es mit recht vielen meiner Zeitgenossen mit lebhaftester dankvollen Empfindung, daß wir weder an
Gewissensfreiheit noch an
Kirchenfrieden Mangel haben; nachdem die geheiligten Grundgesetze über den öffentlichen Religionsfrieden schon so viele lange Zeit, und zumal jetzt, in den gerechtesten Händen so unvergleichlicher höchsten Regenten, öffentlichen Friede und Sicherheit und gegenseitige Rechte so aufrichtig gewären, daß auch Religionsfreiheit und Gewissensfreiheit überall so glücklich genossen und genützt werden kann. Ich verstehe
Gewissensfreiheit als ein heiliges Recht eines einzel
|b7|nen Menschen, der über die Urkunden der christlichen Religion oder die heilige Schrift, und die daraus gemachten Bekenntnisse, selbst nachdenken wil, um seinem Gewissen zu folgen; der sich also aus den daseienden so vielen Lehrbüchern selbst den Stof und Inhalt seiner eigenen christlichen Erkenntnis zusammen setzen, und mit ganzem Herzen sie nun ausüben will, weil er kann. Ich brauche nicht zu erzälen, daß er in allen drey öffentlichen Religionen, sich zu der besondern Partey darin wenden kann, welche ihm am meisten mit der Lehre Jesu
, und mit gewisserer eigner Vollkommenheit und Erbauung, einzustimmen scheinet; er kann
Jansenist seyn und ein strenger Schüler
Augustini ; er kann zur Gegenpartey gehören; er kann die
practische Religion aus
Speners oder andern Schriften, gar aus
Böhmen ,
Dippel ,
Herrnhut etc.
für sich annemen; er kann ein
Arianer, Socinianer, – seyn; ja gar, wenn er sich dazu verbunden achtet, ein Jude werden; nur muß er in den letzten genannten Parteien diese seine
eigenen Gewissensrechte nicht weiter ausdehnen, und nicht in
öffentliche, die der ganzen besondern Gesellschaft gehören, verwandeln. Er kann sich von der herrschenden Landesreligion gar lossagen; er mus aber ihre Rechte nun sich nicht zueignen, indem er alsdenn sichtbar die
Gewissensfreiheit mit der
äußerlichen Freiheit, die zu dem Staat und zur Gesellschaft gehört, verwechselte. Noch weniger muß er sich anmaßen, das kirchliche eingefürte Staatsrecht abzuändern, und in die gesetzgebende höchste Gewalt, in Ansehung der öffentlichen Kirch- und Lehrverfassung, mit seinen Forderungen eingreifen. Wer dis thut, muß nicht sagen, daß er es aus Gewissensfreiheit zu thun recht hätte; denn dis sind Gegenstände, die sein Gewissen und sein Verhältniß gegen GOtt, gar nicht anrüren können; so wenig als ein Unterthan seine ihm so gewis versicherte Freyheit über seinen rechtmäßigen Kreis ausdehnen darf. Ich kann also nicht einsehen, mit was für historischen oder sonst wahren Grun
|b8|de, der Herr Urheber des Bekenntnisses, öffentlich versichern und vorgeben möge:
Ich gestehe es nochmals, ich kann nicht den geringsten wahren Grund hievon einsehen. Rechte der Menschheit felen uns im teutschen Reiche! welche übertriebene Sprachart! Hat die Menschheit alsdenn Anspruch auf die christliche Religion, wenn ein einzelnes gewesenes Glied einer bürgerlichen und kirchlichen Gesellschaft sich öffentlich aufstellet, und wider diese öffentliche Gesellschaft, zu ihrer abermaligen Beunruhigung, jene alten, längst dem eigenen Gewissen freistehenden, Begriffe und Lehrsätze so beschreiben will, daß es selbst eine Lehrformel einer algemeinen Verbrüderung aller Religionsparteien öffentlich zu empfelen sich herausnimmt? Sind Wünsche für eine solche Reforme, aus dem Rechte der Menschheit zu rechtfertigen? Kann das Gewissen wol mit Recht sich anmassen über andere Gewissen, und über die öffentliche Regierung der christlichen Staaten, eine Vorschrift zu entwerfen? Ich habe noch nie dergleichen Behauptung gesehen, und von ihrem Grunde kann ich nichts finden. Wenn wir die Historie fragen: so belehret sie uns schon lange über solche Projecte; daß gar nicht zu erwarten ist, es werde irgend ein Staat seine guten Unterthanen in solche ganz unmögliche Aufgaben einleiten lassen. Alle Religionsparteien sind schon so weit verbrüdert, als es mit dem Staat bestehen kann, als es die Menschheit erfordert; es beruhet aber diese Beschreibung, daß eine algemeine Religionsverbrüderung, so gar in kurzem, gestiftet werden könne und solle, auf einem sehr großen Vorzuge von Einsichten und Urteilen, die manche Liebhaber von neuen Vorschlägen sich sehr leicht anmassen, aber keinesweges aus den Rechten der Menschheit und des Gewissens rechtfertigen oder empfehlen können. Wenn jeder Christ und Unterthan gewissenhaft seinem Berufe folget: so hat er so |b9| viel zu thun, daß er sich um eine algemeine Religionsverbrüderung schwerlich eher bekümmern, oder die Zeit darauf verwenden wird, bis es ihm von den Schutzherrn der Religionsparteien aufgetragen wird. Es ist gar wohl glaublich, daß es manche gutmeinende Zeitgenossen giebt, die eine äußerliche Vereinigung aller Parteien sich vorstellen, sie wünschen und für thunlich halten; aber ob ihnen wirklich die Menschheit und Gewissen einen Beruf dazu gebe, müssen sie nicht eigenliebig allein entscheiden wollen. Lange genug hat man in und seit dem 16ten Jahrhundert an dieser äußerlichen Vereinigung, und zwar nur der 3 größern Religionsparteien in Teutschland oder Europa gearbeitet; aber die weisesten erfarensten Männer haben endlich eingestanden, daß es an innerer und äußerer Obliegenheit wirklich ermangele; daß Frieden und feierliche gegenseitige Versprechung der Regenten, Schlüsse über die äußerlichen Religionsrechte, alles und das einzige seien, was mehrere Staaten einander deshalb gewären können. Ich gestehe es, daß diese Zeitgenossen, welche so liebreiche Projecte machen, für sich ihre Gedanken frey haben; sie können sich vergnügen, über den eingebildeten Erfolg und über größern Segen oder Wohlfart der Menschen; aber wer mehr sich anmaßet, mus nun nicht sein Gewissen oder Rechte der Menschheit vorschützen; er tadelt die höchsten Regierungen, und schmälert das Zutrauen ihrer Unterthanen, und darum bleiben solche Schriften landesherrlicher Hoheit und allen Obern unterworfen, welche den äusserlichen Religionszustand ihrer Unterthanen, nach ihren Einsichten, besorgen. Wir werden es aus dem Erfolge, aus der Aufnahme sehen: ob Landesherren solche Schriften bey einer vorgeschlagenen ganz neuen Kircheneinrichtung so oder so weit zum Grunde legen. Wenn sie es nicht thun: sollen sie alsdenn solchen Bitten die Rechte der Menschheit und des Gewissens versaget haben? Dieser ganze Vortrag ist höchstens mit einem Affect und einer Aufwallung zu entschuldigen.
Abkürzungsauflösung von "D.": Doctor