Siebenter Brief.
Immer näher zum Ende. Der
Recensent nimmt sich nun seines
Clienten so an, daß er ohne
|d173| Umstände sagt
„
ich hätte darum keine hinlängliche Vertheidigung der von Herrn Bahrdt angeschuldigten Kirchenlehren gegeben, weil ich sie nicht in dem Sinne vertheidigte, worinnen das Glaubensbekenntnis sie verwirft“. Dis heißt doch wirklich, jene Beschuldigung und Prüfung der Lehrsätze der drey Kirchen,
habe ihren guten Grund,
Herr D.
Bahrdt hätte nur noch seinen Tadel in gemäßigten und behutsamen Ausdrücken vorbringen sollen. Diese Partheylichkeit, welche in der sonst so
angesehenen berlinischen Bibliothek jezt, Herr
D.
Bahrdt zu Liebe, Plaz findet, ist sehr gros und sichtbar. Wenn nun die
Theologen der
drey Kirchen urtheilen,
quod quis per alium Facit – in welchen Verdacht kommt diese Bibliothek? Daß sie nemlich hier Herrn
D.
Bahrdt so ausdrücklich in öffentlichen Schutz nimmt, daß die bisher würdige Lage der drey Kirchen im öffentlichen Staat, wirklich den Makel behält,
wir lehren in einem solchen Sinne Erbsünde, Genugthuung etc.
etc.
welchen Sinn Herr
D.
Bahrdt mit Recht tadelte in jenem Bekenntnisse. Wenn nun aber die
Leser nothwendig zuerst an Herrn
D.
Bahrdt selbst dencken, der,
nach mehrern uns bekannten Auftritten seines Lebens, endlich uns ein solch Bekenntnis, nachdem er sich dort weg begeben hatte, anbietet, worinn der
Tadel guten Grund haben soll, in einem Sinne, den Herr Bahrdt
jezt soll genommen haben; ich sage, wenn die Leser die
wormsischen Dinge gar wohl kennen: wo sollen sie denn dem Herrn
D.
Bahrdt |d174| die grosse Hochschätzung der christlichen Religion zutrauen,
daß
ihm das Herz blute, über
allen Systemwust in unsern Kirchen, und er dis Bekenntnis darum habe bekannt machen müssen, um dem fernern Unglauben zu wehren, den unsre Lehren befördern sollen? Indes, war es denn nicht höchst nöthig, den Sinn zu bestimmen, den wir lehreten, und den er nun doch so verwerfen wollte, daß ein neu
Religionssystem nöthig seye? Der Text lautet:
daß
Gott um eines Menschenopfers willen – dis hält er selbst für die Summe der Lehre von Genugthuung; und darum verwirft er diese ganze Lehre. Ich habe die allen drey Kirchen gemeinschaftliche Lehre von Genugthuung, wider eben diese Beschreibung vertheidigt; sie läßt es nicht zu, daß man sie durch ein Menschenopfer – erkläre. In welchem Sinn hat nur Herr
D.
Bahrdt diese Genugthuung so verworffen, daß meine Vertheidigung nicht zulänglich ist? Und
für wen ist meine
historische Vertheidigung nicht genugthuend? Für den Recensenten: kann er denn beweisen, daß dieser
angebliche andre Sinn zu unserer Kirchenlehre jemalen sey gerechnet, oder uns gar vorgeschrieben worden?
Nun sollen Beyspiele angeführt werden.
Meine Antwort (S[.]
44. meiner Antwort) auf das, so Herr Bahrdt wider die gewöhnliche Vorstellung von Erlösung und Genugthuung eingewendet hat, weiset dieses nicht ab –
trift Hrn.
Bahrdt gar nicht; jeder Socinianer, ja jeder von irgend einer christlichen Parthey kann dis unterschreiben, und |d175| die Erklärungsart, die er für die schicklichste hält, dabey in Gedanken haben – Ich mus den Vorwurf abtheilen. Ohne mich aufzuhalten, will ich nur anzeigen, daß ich
S.
44. von einer
ganz andern Sache zu reden hatte; nemlich
von der Nothwendigkeit einer Genugthuung. Dieses habe ich in der wider mich angeführten Stelle
S.
44. recht gut beantwortet;
Herr
D.
Bahrdt that unrecht, daß er diese Bestimmung der Nothwendigkeit (a parte Dei) mit zu unserer Glaubenslehre rechnete; es war schon seit den
Scholastikern theologische Aufgabe, und keine Glaubenslehre.
Darum schreibe ich: wir freuen uns, daß sie da ist
etc.
etc
.
Warum nahm nun aber der Recensent nicht meine Antwort auf das 3te Stück
S.
74. 75. wo Herr
Bahrdt , um Christi
willen, wie wir lehren, erklärte,
um eines Menschenopfers willen? Hier war
die Hauptsache. Der Recensent hätte also von diesem meinen Vortrag sagen sollen, ob Herr
D.
Bahrdt und Socinianer –
ihn auch unterschrieben? Ueberhaupt stehet es mir ja frey, meiner Erkenntnis zu folgen; wenn ich die
Sachen so gut beschreibe: so liegt weder mir noch der protestantischen Kirche, etwas an dem
lateinischen Worte
Satisfactio. Mus denn nicht ein jeder Christ die Erklärungsart vorziehen, welche er in jetziger Zeit
für die schicklichste hält? Warum soll er sie nur
in Gedanken haben? Darf man gar nichts in Gedanken haben, um es für sich zu brauchen? Wird es sogleich auch andern nützlich, wenn sie es auch wissen?
|d176| Ich mus auch den Vorwurf herschreiben:
„
hier ist kein Wort von der Art und Weise der Erlösung und Genugthuung (Art und Weise, gehört nicht zum Glauben der Sache;) wie sie in den symbolischen Lehrvorschriften vorgetragen wird.“ Sollte ich denn 1) erzählen, wie wir
Satisfactionem den
römischen Lehrern damalen entgegen setzten, davon viele, mit den patribus, nur Erbsünde und Tod – hinrechneten? Ist es etwa einem Lehrer befohlen, stets die Zeilen und Worte zu sagen? wenn nun aber
Hr.
D.
Bahrdt hier die
gewöhnliche Vorstellung von Genugthuung angegriffen hat, wie sie in den symbolischen Büchern stehet, sagen Sie, Freund,
wie hat er denn nur unvorsichtig sich ausgedruckt, und die gröbste Ideen vor Augen? Ich dächte der Recensent
widerspräche sich sehr derb; Herr
Bahrdt soll nur auf die
härteste und unschicklichste Vorstellungsart gesehen haben, sagte der Recensent
S.
47. Hier
S.
49. sagt er, Herr
Bahrdt habe so stark wider die
gewöhnliche Vorstellung opponiret, daß meine Antwort
ihn nicht träfe; er hält mir gar vor, ich hätte von der Genugthuung,
wie sie in den symbolischen Büchern
vorgetragen wird – und welche also Herr
Bahrdt geleugnet, kein Wort gesagt. Aber ich will ihm den Widerspruch schenken, und nur noch sagen, daß die Rede nicht davon war, ob wir
obedientiam actiuam, passiuam, Stellvertretung – und noch
|d177| vielerley Beschreibungen haben, die ich freylich nicht alle daher setzen mußte: sondern davon,
ob irgend eine Vorstellung in unsern
symbolischen Büchern
der Schrift und Vernunft entgegen, und blos dem Unglauben – beförderlich seye, wie Herr
D.
Bahrdt behauptet hatte. Will der Recensent etwa
hiemit selbst sagen, in unsern symbolischen Büchern seyen solche Beschreibungen von
obedientia actiua, passiua, und Stellvertretung,
welche allerdings mit Grunde in diesem
Bahrdtischen Bekenntnisse verworfen worden seyen: so müssen wir sehen, ob er einen neuen Beweis davon geben wird; und nur uns besinnen, daß wir
lutherischen oder
protestantischen Christen doch eben das Recht behalten, unser Gewissen hier selbst anzuwenden. Dis habe ich recht weitläuftig beschrieben bis
S.
80. Man könnte ja hiemit zufrieden seyn, wenn man nicht
selbst noch ganz andre Absichten hätte.
Die andern
Beyspiele sind eben so gezwungen. Kann Herr
D.
Bahrdt meine Erklärung gar mit seinem Bekenntnis reimen: so hatte er
keine Ursache unsre Lehrsätze so greulich zu beschreiben. Die
Wortspielerey will ich nicht aufdecken; es ist nicht möglich daß er eben die Vorstellungen mit meinen Worten verbinde, die ich habe; nachdem sein Bekenntnis uns seine gänzliche Entfernung von unserm
Lehrsystem, und jene Projecte – entdeckt hat. Und von
|d178| der
Bekehrung? Wenn ich also daran recht schreibe, unsre Lehre von Bekehrung bringt nicht Sünde – hervor; so war ja Herrn
Bahrdts Tadel ungegründet. Denn eine
Ueberredung, ich kann nichts – ich mus Gotte nur stille halten: ist nicht ein Theil der unausbleiblichen Folge dieser unsrer Lehre. Denn wir lehren ja zugleich, nun, durch diese christliche Heilsordnung und Kenntnis, werde eben das
Vermögen, actiuae, im Menschen hergestellet, wider seine habituelle vorige Gewohnheit, da er ein Knecht der Sünde war.
Nun sind wir endlich fertig, mit dieser so ernsthaften, auf mich so sehr bösen Recension. Denn die Betrachtung,
das Vorhaben gewisser Männer, eine Universalreligion oder allgemeines Christenthum, aufzurichten –
seye nicht so zu verachten: – will ich gar nicht weiter beurtheilen. Ich habe in der That so ein Herz für alles Gute, als je sich manche beylegen mögen, deren Leben offenbar so wenig privat – als Universalchristenthum an den Tag leget. Und solche Leute kann ich doch wohl gerade beurtheilen! Ob es nöthig gewesen ist, daß ich so ernsthafte Anstalten gegen einen (nach meinem Urtheil) ganz unthunlichen Entwurf gemacht – werden meine Zeitgenossen wohl selbst einsehen; die sich noch immer darinn nicht finden können, daß – wenn
Entwürfe zur Empfehlung der Religion, Tugend, und zu grösserer Glückseligkeit der Nebenmenschen gemacht werden sollen:
|d179| so müssen wenigstens solche Leute nicht dazu kommen, deren Religion und Tugend uns allen so unbekannt ist. Und doch hält sich der
Recensent die Spötterey über mich zu gute
„
meine Bemühung könne nur darauf abzwecken, die Verschiedenheit der Kirchenverfassung und die Mannigfaltigkeit jener Localsysteme in der christlichen Welt aufrecht zu erhalten; die zwar bis ans Ende der Tage öffentlich gelehrt werden sollten, aber eben nicht dürfen geglaubt werden.[“]
Es mus doch immer dem
Recensenten, (gewisser Umstände wegen,) viel daran liegen, mir ja recht wehe zu thun; auch durch matte, unwürdige Spötterey! Die
Localsysteme (die zur
Scienz für Gelehrte, und
nie zum Glauben der Christen gehören) habe ich nicht hervorgebracht, kann sie auch nicht aufheben, wenn ich auch Lust hätte, in jene
Universalgesellschaft überzutreten. Es weis ja wohl ein jeder, daß äußerliche Religionsverfassung zum äußerlichen bürgerlichen Staat gehört; daß besondere Grundsätze eine Religionsparthey von andern unterscheiden, zu Folge der
Localität, die gar nicht menschlicher Macht unterworfen werden kann. Die
Grundsätze des Protestantismus kann niemand in der Absicht aufheben wollen, um alle Religionspartheyen in
Teutschland oder gar in
Europa zu vereinigen; ihre
Religionssysteme gehören zu ihrer Religionsgesellschaft. Diese
Systeme hat noch niemand
zum Glauben, zur
Seligkeit einzelner Christen gerechnet; sondern zu einer Ordnung, worinn Mittel
|d180| zum Endzweck festgesetzt sind. Der nächste Endzweck der protestantischen Kirchengesellschaften, den sie durch ihre Kirchenordnung, und Vorschriften der Lehre, durch die sie ehedem vom Pabstthum abtraten, noch jetzt erreichen wollen; ist ihre eigene Erhaltung und Fortsetzung, wider tägliche
Zerrüttungen und
Unruhen. Alle Gesellschaften haben eine äußerliche Ordnung, woneben aber aller privat Fleiß, und Geschicklichkeit –
frey gelassen wird. Der
Erfolg der öffentlich festgesetzten Lehrordnung in den Mitgliedern, ist auch
an sich selbst frey; niemand hat ein Gesetz gegeben; was
für Vorstellungen der Leser oder Zuhörer sammlen und verknüpfen soll; sinnliche, oder reine; zusammenhängende, oder ganz einzelne, die er nach einer eigenen Ordnung so und so wieder erweckt; dis ist seine Privaterbauung. Ich sehe nicht, wo die
Sorge des
N. N.
für größere Glückseligkeit der Nebenmenschen,
ihren Grund herbekommen könne? Die ehemalige päbstliche
Vnitas der Kirche möchte hier wieder hervorkommen, wo einige
Projectmacher, welche
neue Orden stifteten, freylich auf einmal hoch steigen mußten; und wir andern armen Leute, möchten unsere moralische Glückseligkeit und Freyheit unsers Gewissens, wieder der angeblich größern Glückseligkeit
des Ganzen, geduldig aufopfern. Indes, ich will diesen Spott und alles übrige mir nachtheilige lieber tragen, und der Kirchengesellschaft, zu der ich gehörte, ehe
Usurpatores und
Kraftgenies aufstanden, hiedurch einen gegenwärtigen
|d181| ernstlichen Dienst leisten; den andere
inskünftige erst versprechen, wenn ich und meines gleichen Gelehrte von der Religionsgesellschaft, die uns unsre Lage anwies, völlig unserer Dienste entlassen seyn werden.