Die interaktive textkritische Ansicht setzt eine
Bildschirmbreite von mind. 768px voraus.
Bitte verwenden Sie einen entsprechend breiten Bildschirm,
um diese Ansicht in vollem Umfang nutzen zu können.
Nachschrift.
Hiemit mögen diese Briefe über die Berlinische Bibliothek aufhören; ob ich gleich willens war, über
noch andre Recensionen mich einzulassen, zumahl von der Biographie; die auch kein Muster der Unpartheilichkeit ist. Ernstlicher redet der
Verfasser der Recension des wahren Characters des Hrn.
Abkürzungsauflösung von "Hrn.": Herrn
D.
Abkürzungsauflösung von "D.": Doctor
Bahrdts in vertraulichen Briefen etc.
Abkürzungsauflösung von "etc.": et cetera
wenn er sagt, Herr D.
Abkürzungsauflösung von "D.": Doctor
Bahrdt hat die gerechteste und dringendste Veranlassung, um seinen guten Namen zu retten, freymüthig und offenherzig die wahre Beschaffenheit jener Umstände und Vorfälle, die man ihm hier zur Last leget, dem Publicum vorzulegen. Dis ist ein Biedermännisches Urtheil; dis haben schon seit aller dieser Zeit alle gute Zeitgenossen gefället, welche doch freylich ihr Recht behalten, über diese große Aufgabe ernstlich zu denken. Es ist dis die dringendste Veranlassung seinen guten Namen zu retten – Daß die Schreibart
pasquillantisch seye, in diesen Briefen, wird nicht von allen Lesern so leicht eingesehen, als bey dem Kirchen- und Ketzer Almanach; und wenn
der weggelassene Name des Druckorts |d182| und Verlegers, einen sehr gegründeten Verdacht wider die Wahrheitsliebe und die gute Absicht des Verfassers erreget, oder ihn nicht wenig zu bestätigen scheinet: so ist es gerade der Fall dieses Almanachs. Von jenen Briefen ist übrigens der
Druckort und Verleger eben nicht unbekannt; und hätten freylich viele Zuschauer dieses Auftrittes es desto mehr erwartet, daß die
actio iniuriarum erhoben werden würde,
da Herr D.
Abkürzungsauflösung von "D.": Doctor
Bahrdt noch so angesehene Verwandte in Leipzig hat. Die gegründete Achtung des Publikums gegen Herrn D.
Abkürzungsauflösung von "D.": Doctor
Bahrdt in Absicht des moralischen Characters, würde auf einmal sich wieder heben, und viele andere Dinge würden sich in eine bessere Lage bringen lassen, wenn er diese dringendste Veranlassung ernstlich anwendete, seinen guten Namen zu retten; sollte es auch in einem
Zusatz zur verbesserten Auflage des Almanachs geschehen; oder
in dem Schulalmanach, darinn – besonders Herr – so sehr gepriesen werden soll.
noch andre Recensionen [...] zumahl von der Biographie; die auch kein Muster der Unpartheilichkeit ist
Gemeint ist die Rezension der Schrift „Biographie und Silhouette von C. F. Bahrdt“, AdB 43 (1780), 63–65. Die AdB macht keinerlei Angaben zu Verfasser, Erscheinungsort, -jahr oder Verlag. Ein Werk mit ähnlichem Titel liess sich in heutigen Bibliothekskatalogen nicht auffinden. Der Rezensent rekapituliert anhand der „Biographie“ in teils bewunderndem Ton den Lebenslauf Bahrdts, spart dabei aber unangenehme Details (Affäre in Leipzig, persönliche Zerwürfnisse, sich bereits vor der Flucht abzeichnendes ökonomisches Fiasko in Heidesheim etc.) aus.
Verfasser der Recension des wahren Characters des Hrn. D. Bahrdts in vertraulichen Briefen etc.
Semler zitiert im Folgenden aus der Rezension der anonym veröffentlichten Schrift Der wahre Character des Herrn Doctor C. F. Bahrdt. In vertrauten Briefen geschildert von einem Niederländischen Bürger an Seinen Freund in London (1779), AdB 43 (1780), 65. Beim Rezensenten handelt es sich um Hermann Andreas Pistorius, s.
. Semler folgt der inkorrekten Titelangabe der AdB („vertraulichen“ statt „vertrauten“).
pasquillantisch
Ein Pasquill ist eine anonym oder pseudonym erscheinende Schmähschrift. Der Name leitet sich von einer römischen Statue, genannt „Pasquino“, her, an die die Bewohner der Stadt seit dem frühen 16. Jahrhundert Spottgedichte auf den Papst oder seine Regierung zu heften pflegten. Angeblich erhielt die Statue ihren Namen im Volksmund zu Ehren eines besonders schlagfertigen Schneiders aus der Nachbarschaft.
der weggelassene Name des Druckorts und Verlegers
Das Titelblatt von Bahrdts Kirchen- und Ketzer-Almanach aufs Jahr 1781 (s.
) liefert folgende fiktive Angabe: „Häresiopel, im Verlag der Ekklesia pressa“. Tatsächlich wurde der Almanach bei Frommann in Züllichau verlegt. Laut Bahrdt (Geschichte seines Lebens IV, 1791, 144f.) wurde die Idee bei einem vergnügten Abendessen in Basedows Leipziger Unterkunft geboren und ihre Umsetzung sogleich in stillem Einvernehmen von Bahrdt und dem ebenfalls anwesenden Verleger Nathanael Sigismund Frommann (1736–1786) beschlossen. Weitere Gäste waren u.a. der reformierte Leipziger Prediger Georg Joachim Zollikofer (1730–1788) sowie der Medizinprofessor und Philosoph Ernst Plat(t)ner (1744–1818).
Druckort und Verleger eben nicht unbekannt
Die Schrift wurde offenbar mindestens einmal nachgedruckt, es sind zwei verschiedene Titelblätter erhalten; auf einem der beiden findet sich die fiktive Angabe „London, Bey James Brother“. Dies ist ein deutlicher Hinweis auf den Verlag Rothe in Gera, dessen Name sich im Wort „Brother“ verbirgt.
actio iniuriarum
Der Begriff bezeichnet im klassischen römischen Recht eine Bußklage. Sie betraf vorsätzliche Körper- und Ehrverletzungen (Real- und Verbalinjurien).
da Herr D. Bahrdt noch so angesehene Verwandte in Leipzig hat
Bahrdts Eltern lebten seit 1747 in Leipzig, der Vater, ein anerkannter Theologieprofessor orthodoxer Prägung, Johann Friedrich Bahrdt (1713–1775), war zur Abfassungszeit der Theologische[n] Briefe bereits tot. Bahrdts Mutter Christiana Elisabeth, geb. Ehrenhaus, überlebte ihren Sohn. 1779 machte Bahrdt auf seiner Flucht nach Halle Station bei ihr (Geschichte seines Lebens IV, 1791, 17), über das weitere Verhältnis ist nichts bekannt. Von Bahrdts Geschwistern wohnte zumindest Margarethe Friederike Sophie (gest. 1805) mit ihrem Ehemann, dem Juristen August Friedrich Schott (1744–1792), in der Stadt. Degenhard Pott (Leben, Meynungen und Schicksale D. Carl Friedr. Bahrdts, 32) berichtet für das Jahr 1790, dass ein Bruder [Christian Gottlieb] „Doctor der Rechte und Syndikus der Universität Leipzig“, ein anderer [Christian Traugott, ebenfalls Doktor der Rechte] „Stadtschreiber in Geithayn“ (Sachsen) sei, eine zweite Schwester lebe bei der Mutter (die Namen nach eigenen Recherchen von den Hgg. ergänzt). – Bahrdts Verhältnis zu seinem Vater war geprägt von Zuneigung und Respekt, seine Mutter und die vier jüngeren Geschwister erwähnt er hingegen kaum.
Zusatz zur verbesserten Auflage des Almanachs
Bahrdt hatte eine alljährliche Ausgabe angekündigt (Kirchen- und Ketzer-Almanach aufs Jahr 1781 [1780], 246f.), tatsächlich erschien die nächste Ausgabe jedoch erst 1787. Dort wird unter Verweis auf die Erstveröffentlichung auf einen Wiederabdruck der Invektiven gegen den „große[n] Mann“ (175) Semler verzichtet. Zugleich konstatiert Bahrdt allerdings, dass dieser „in der gelehrten Welt nicht mehr in Rechnung komme[.], da er sich mit Chemie und Alchymie abgibt und – Achselzucken erregt“. Vor allem mokiert sich Bahrdt über das von Semler in mehreren Schriften (beginnend mit Von ächter hermetischer Arzenei [1786]) propagierte „Luftsalzwasser“, eine von einem gewissen Baron Leopold von Hirschen vertriebene Universalarznei geheimer Zusammensetzung. Bahrdts Rat an Semler, sich aus Wissenschaften herauszuhalten, von denen er nichts verstehe, entbehrt nicht der makabren Ironie, sollte Bahrdt doch wenige Jahre später sich und seine älteste Tochter mit eigenverordneten Quecksilberkuren umbringen.
in dem Schulalmanach, darinn – besonders Herr – so sehr gepriesen werden soll
Es ist unklar, auf was und wen sich Semler hier bezieht. Am wahrscheinlichsten ist wohl das kurzlebige Magazin für die Erziehung und Schulen besonders in den Preußischen Staaten gemeint, das erstmals im Herbst 1781 in Halle im Verlag Johann Jacob Gebauer erschien. Herausgeber war der Stettiner Lehrer und Historiker Johann Jakob Sell (1754–1816). Besonders „gepriesen“ (vgl. Widmung und Vorrede, Bd. 1, 1. St.) wurde das Wirken des Freiherrn von Zedlitz (vgl.
), der Semler des Postens des Seminardirektors enthoben hatte (vgl.
). Preußische Autoren waren zum Einsenden von Beiträgen ermuntert worden. Nicht völlig auszuschließen ist auch, dass Semler bereits auf Johann Heinrich Campes epochale Allgemeine Revision des gesammten Schul- und Erziehungswesens (16 Bde.; 1785–1792) anspielt, deren erster Band von einem programmatischen Beitrag Bahrdts eingeleitet wurde (vgl.
) – allerdings erst vier Jahre später. Campe trug sich aber wohl schon seit 1780 mit dem Gedanken eines solchen Unternehmens und warb dafür unter Kollegen. In dem 1783 in der Berlinische[n] Monatsschrift (2, 162–181) veröffentlichten „Plan zu einer allgemeinen Revision [...]“ wird Bahrdt bereits als Beitragender aufgeführt. Zu guter Letzt könnte auch Trapps Werbeschrift Ueber das Hallische Erziehungs-Institut (1782) gemeint sein, in der er naturgemäß die eigene Arbeit als Institutsleiter „preist“. Für diese Deutung spräche, dass Semler auch sonst die namentliche Nennung seines Intimfeindes vermeidet (vgl. d115. 129 ) und ihm bekannt gewesen sein dürfte, dass Trapp mit Bahrdt auf vertrautem Fuße stand (Bahrdt, Geschichte seines Lebens IV, 1791, 87f.). Andererseits fällt es schwer, in Trapps oder Campes Publikationen einen „Almanach“ zu sehen.