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|d[109]| Briefe über die
Recension in der Berlinischen Bibliothek, das Bahrdtische Glaubensbekenntniß betreffend.
In: D. Joh. Sal. Semlers theologische Briefe. Erste Samlung. Leipzig, in der Weygandschen Buchhandlung. 1781, S. 109–182.
|d[111]| Erster Brief.
Warum, Werther Freund, sollte eine öffentliche Revision jener Recensionen nicht sehr nützlich seyn? Wäre es auch nur in dieser einzigen Absicht, daß manche Recensionen vorsichtiger eingerichtet würden, und nicht ein Recensent in seinem localen Gesichtspunct so viel äußerte, das andern Zeitgenossen, in ihren auch localen Umständen, sehr anstößig seyn mus. Sie wissen es noch mehr, in dortigen Gegenden, als wir in unserm moralischenClima es empfinden können, was für öffentlichen Anstos das Bahrdtische Bekenntnis
nach sich gezogen hat; was für Folgen noch immer fortdauern, und was für Gedanken vollend sich immer mehr erzeugen, wenn gleich manche Leser es lange vergessen haben sollen; andre aber es lange verachten, und noch andere gar nicht daran denken wollen. Diese Recension hat freylich diesen Erfolg, den viele auch gern sähen, und die Mittel dazu recht gut kennen, nicht befördern und erleichtern wollen; sie vergißt es fast, daß viele Leser dieser Bibliothek
, am allerwenigsten über Begebenheiten dieser Art, sich ihr Urtheil, ihre eigenen Gedenken über allerley bisherige Erscheinungen, nicht nehmen lassen.
|d112| Es ist wahr, daß
manche meiner Schriften oft in dieser Bibliothek ausgezeichnet worden sind; daß mancher neue Versuch von mir, als zu seiner Absicht gut angesehen, oder gar mit Beyfall, beurtheilet worden ist. Aber ich habe die indes entstehende Veränderung viel zu richtig eingesehen, als daß ich nicht schon im Voraus hätte erwarten sollen, eine Recension meiner Antwort auf das Bahrdtische Bekenntnis, würde dieser einsweiligen Veränderung ganz gewis sich völlig anpassen. Meine Antwort
hat mich um alle Zuneigung, um allen Beyfall gebracht, bey einer Parthey, deren besondre Absichten ich weiter nicht gekannt habe. Die Sünde, welche ich, ohne allen Vorsatz, in der täglichen Ordnung meines gelehrten Berufs, begangen habe, soll und mus unverzeihlich heißen. Der Unwille ist so gros, daß man mein ganzes bisheriges rechtschaffenes Leben, meinen unermüdeten Fleis, meine gelehrten Versuche, deren manche sogar von römischen Gelehrten begünstiget wurden, ein für allemal gar nicht mehr rechnet. Dieser Recensent ist noch unbilliger; übernimmt einen recht bedächtigen Angrif wider – – meine Gelehrsamkeit, in sofern sie zum Urtheil des Bekenntnisses gehört? nein – sondern wider meine Ehrlichkeit und theologische Rechtschaffenheit. Sehr ungern, in der That, sehr ungern, lasse ich mich dazu bringen, auf dergleichen Recension zu antworten; aber ich mus antworten, und
den Recensenten, sey er wer er wolle, öffentlich |d113| bitten, sich nun seinem Namen nach zu erkennen zu geben. Sehr annehmungswürdig ist der Vorschlag in den
Frankfurter gelehrten Anzeigen, N.
Abkürzungsauflösung von "N.": Nummern
XIII. XIV. daß Recensenten, die mit gutem Grunde etwas sehr tadeln zu müssen, meinen, sich allezeit nennen sollten. Die Unpartheylichkeit dieser Frankfurtischen Zeitungen kann auf grossen Beyfall, und in diesem Vorschlage auf öffentliche Attention Anspruch machen. Es betrifft diese Sache von nun an den moralischen Character von uns beyden; es ist der Sache selbst, die der Recensent vertheidiget und ich bestreite, von nun an daran gelegen, daß man in dem katholischen und protestantischen Teutschland es wisse, wer der so eifrige, so künstliche, so partheyische Vertheidiger des Herrn D[.]
Abkürzungsauflösung von "D": Doctor
Bahrdts ist, daß er darüber auch einen Professor in königlichen Landen, der 30 Jahre lang unbescholten war, preis giebt; und ihn als einen
untreuen politischen Theologus öffentlich aufstellen will. Da ich mich öffentlich genennt habe, und das Publicum nun es frey hat, über mich zu urtheilen: so liegt auch viel daran, den Mann zu kennen, der sich dieses Geschäfte gab, oder geben lies, mich öffentlich um Hrn.
Abkürzungsauflösung von "Hrn.": Herrn
D.
Abkürzungsauflösung von "D.": Doctor
Bahrdts willen, in übeln Ruf zu bringen.
Ich kann Ihnen also, mein Freund, nicht folgen; Sie mögen aber Recht haben, wenn Sie glauben, Herr D.
Abkürzungsauflösung von "D.": Doctor
Bahrdt seye von dieser Recension auszuschliessen; mehrere Leser hatten ihn selbst für den Verfasser gehalten. Destomehr ist es nun |d114| nöthig, daß der wahre Urheber sich nenne; das Zutrauen gegen diese Bibliothek im theologischen Fache in unserer Zeit, wird sonst sich noch mehr vermindern; und es wäre wirklich einiger Nachtheil für die Ausbreitung der Gelehrsamkeit, wenn man in noch mehrern teutschen Provinzen es auch für das beste Mittel halten müste, die so genannte Aufklärung der Einsichten, lieber wieder einzuschränken, als ferner zu erleichtern. Ihnen darf ich es vorsagen, mein Freund, daß selbst katholische Gelehrte manche meiner Schriften ohne Anstos gelesen, und meinen Fleis, meine Rechtschaffenheit in Absicht der Wahrheitsliebe, gelobet haben. Noch mehrere waren auf dem Wege, der weiter vorwärts führet; aber diese schönen Entschliessungen – – werden nun ernstlich untersucht, und nun – gemisbilliget; in der That nicht um meiner Schriften willen, wenn gleich die
freyburgische Bibliothek sich eben darum heldenmäßig wider mich aufgemacht hatte. Es ist auch kein Gelehrter im ganzen teutschen Reiche über meine Antwort unwillig worden; wohl aber haben sehr viele das Bekentnis, und seine Bekanntmachung ganz frey und ernstlich beurtheilet. Und hat wohl jemand ein Recht dis zu hindern? Kann man es je sich vorsetzen es zu hindern? Was hatte nun der Recensent für eine wichtige Absicht, da er sich hinsezte, und mich in meiner damaligen Lage, die er vielleicht weis,
gar als einen Politicker aufstellen wollte? Ich habe wohl in meinem Leben mir diese Geschicklichkeit schaffen wollen! Und wie viel |d115| richtiger urtheilen Sie, mit recht vielen meiner Freunde, daß ich gerade ganz unpolitisch, recht ohne alle Klugheit, in sofern diese allerley eigenen Nachtheil vermeiden will, stets gehandelt habe! Wie so sehr gros mus also die Sache seyn, die ich durch eine Politik soll gehindert haben? Das sonderbarste hiebey ist, daß ich gar keinen weitern Zusammenhang weis und kenne; daß ich blos hintennach, aus denen mir allein nachtheiligen Folgen das Daseyn eines grossen Vergehens, haben kennen lernen.
Nehmen sie dazu, daß
in eben dieser Bibliothek, in eben diesem Stück, S.
Abkürzungsauflösung von "S.": Seite
17, ein anderer viel billigerer Recensent dis Urtheil niederschreibet, „ein Namenloser Recensent kann viel eher eine kleine Beleidigungen hingehen lassen, als ein Schriftsteller der sich genennt hat; auf den leztern sehen alle, die ihn kennen; zumal seine Feinde.“ Sie werden nun zugeben, daß dis wirklich mein Fall ist; wenn ich gleich sie nicht meine Feinde nennen will, die iezt über meine Antwort, über mich also, sehr unwillig worden sind, und ihren Unwillen noch durch eine solche Recension fortsetzen.
Hätte Herr Basedow die elende Schrift nicht drucken lassen, Urkunde, mit so viel
angeblichen Mitleiden über meine wohlverdiente grosse Strafe, daß er gar mich und die Meinigen ernähren wollte – – so hätte ich weiter nichts über dis Bekentnis zu sagen nöthig gehabt. Hätte der
Urheber des Almanachs
mich nicht so muthwillig abermals als den Verfolger, als den Heuchler beschrieben, aus |d116| jenem Sendschreiben, das – – mehr nichts ist, als es ist: so hätte ich in der
Vorrede zu meinem Leben nicht Ursache gehabt, so viel zu sagen. Hätte nun dieser Recensent sich nicht vorgesezt gehabt, Herrn D.
Abkürzungsauflösung von "D.": Doctor
Bahrdt durchaus zu rechtfertigen, und mich dafür zu beschreiben, ich hätte eben so wenig eigene Hochachtung für die Grundwahrheiten der christlichen Religion: so hätte ich gewis nicht weiter geantwortet. Aber meine Rechtschaffenheit lasse ich mir nicht nehmen; ich kann nichts leichter retten und vertheidigen, als diese unentberliche Eigenschaft eines würdigen Menschen; und es ist der Menschenwelt an nichts so viel gelegen, als an Rechtschaffenheit. Grössere Ausbreitung der Religion, und Erleuchtung der Menschenwelt, Aufklärung – man rede wie man wolle, ist uns alles entberlich, wenn es beym Reden bleibet, und diese Eigenschaft den Menschen geringschätzig wird; wenn man sie aufopfert, oder der Kopf das Herz unterdrücken darf.
Endlich bin ich auch davon gewis, daß ich so gar manche Dinge oder Gegenstände noch mehr und gewisser aufklären kann; auch die Hauptsache auf der rechten Stelle halten werde, um darüber richtig zu urtheilen. Es ist mir eine angenehme, große, würdige Vorstellung, daß das aufmerksame Publicum nun so sehr leicht über uns beyde, und die Bahrdtische Sache, urtheilen und absprechen kann.
Die Recension enthält eine Anklage wider mich, und eine sehr weit getriebene Rettung und |d117|Entschuldigung des Bahrdtischen Bekenntnisses; diese meine Antwort soll meine eigene, mir in der That abgedrungene Vertheidigung und Ehrenrettung enthalten. Und nun haben teutsche Leser gerade die bisherigen Acten beysammen, um über – – zu entscheiden. Teutschland kann ganz und gar nicht Ursachen haben, partheyisch zu urtheilen; und warum müßte es meine Politik seyn, wenn ich ganz gewis hoffe, meine Gegenparthey, seye sie noch so unwillig, könne mich nicht in der Absicht unterdrücken, um nur sich selbst und Hrn.
Abkürzungsauflösung von "Hrn.": Herrn
D.
Abkürzungsauflösung von "D.": Doctor
Bahrdt aufzuhelfen.
Ich gestehe es Ihnen, daß dis eine lange Vorrede zu einem Briefe ist; aber ich werde gewis so bescheiden seyn, ihn abzubrechen, so bald er gar zu lang wird; Sie lesen es doch nach einander, wenn Sie Lust haben; oder Sie brechen das Lesen ab, ohne dem Brief selbst ein Gebiet über Ihre Neigung einzuräumen. Ich fange also die Revision an, über die Recension.
Sie macht es zum Eingange, daß
ich möge Gründe gehabt haben, mich wider das Bahrdtische Glaubensbekenntnis zu manifestiren, und allen Verdacht als ob die theologische Facultät in Halle die Heterodoxie desselben begünstige etc
Abkürzungsauflösung von "etc": et cetera
.
Ist es nicht wahr, das Wort, ich hätte mich manifestiret –
gehört sonst eigentlich auf einen pohlnischen Reichstag? Ich bin wenigstens kein Magnat, und weis nicht, warum meine Antwort so besonders beschrieben werden soll. Aber wir wollen auf die Sache selbst sehen; die Zeit|d118|rechnung ist hier ganz unbestechlich; der will ich folgen, und die Heterodoxie – das soll sich auch recht gut finden.
Die Universität hat zuerst eine Vorstellung eingeschickt, als in Halle davon geredet wurde, Herr D.
Abkürzungsauflösung von "D.": Doctor
Bahrdt würde oder wolle, oder werde – – Sie können denken, daß die Aufmerksamkeit ganz andrer Leute sehr geschäftig gewesen ist, diese futura zu bestimmen; und in diesem öffentlichen Gerede, das aus allerley Briefen sich täglich vermehrte, ist die Veranlassung zu suchen, daß nun die Universität diese allerley Aufgaben nicht länger circuliren lassen wollte; es wurde also einstimmig beschlossen, hierüber allerunterthänigste Anzeige zu thun; und es wurden die Dinge erzählet, wie sie hier schon angesehen, und herum geschrieben wurden. Die meisten Professores kannten
eine besondere nachtheilige Localität, von der Zeit an, da in der gelehrten Hallischen Zeitung, welche
der Professor und Geheime Rath Klotz ehedem hier angefangen hat,
eine hier überall bekannte Erzählung aus Leipzig, öffentlich im Druck bekannt gemacht worden war. Ist es Ihnen wohl unbegreiflich, daß Professores aufmerksam sind auf alles, was ihrer Universität so oder so nachtheilig gedeutet werden könnte? Wir haben alle es in unserm Eid, so weit unser Gesichtskreis reichet, dis ehrlich in Acht zu nehmen. In Acht zu nehmen, schreibe ich; nicht, zu entscheiden; sondern höhern Orts von solchen Dingen Anzeige zu thun, wenn sie auch am Ende unnöthig und unerheblich seyn mag. Dis letzte können |d119| wir nicht ausmachen. Es ist nicht für ganz unnöthig angesehen worden;
wir bekamen den Bescheid, Herr D.
Abkürzungsauflösung von "D.": Doctor
Bahrdt solle keine lectiones theologicas halten. Die theolog.
Abkürzungsauflösung von "theolog.": theologische
Facultät bekam weitere Ursache, es für nöthig zu halten, in einem unterthänigen
privat Schreiben an Sr.
Abkürzungsauflösung von "Sr.": Seiner
Excellenz, den Freyherrn von Zedliz , mehrere Umstände vorzustellen; und
wenn der Recensent Recht hat, daß ich schon vor Herrn D.
Abkürzungsauflösung von "D.": Doctor
Bahrdt eben diese Sachen, diese ungerechten Urtheile über unsere Kirchenlehre, öffentlich geschrieben hatte: so mus es die Facultät nicht gewust haben, oder sie hat auf eine sehr gütige Weise dieses geheime Anliegen jetzt mit ausgedrückt; der Hauptinhalt war aber nicht, daß wir den Schein bekämen, an der Heterodoxie Theil zu nehmen, indem hier ein jeder sich dem Urtheil der Zeitgenossen ruhig überlassen konnte, vermöge unserer schon langen Bekanntschaft in den teutschen Kirchen; es waren blos locale Umstände, deren Einflüssen man sich freylich nicht so leicht entziehen kann, als andere, die nicht in dem localen Kreise stehen. Um der oder jener Leute willen kann ich doch keine Unwahrheit sagen; ich will es hier nicht wieder abschreiben,
was ich in der Vorrede zu meiner Lebensbeschreibung schon erzählet habe.
Nun müssen es die Leser beurtheilen, ob es wirklich der Fall ist, wie es S.
Abkürzungsauflösung von "S.": Seite
47 heißt:
„blos gewisse politische Betrachtungen könnten mir diesen Eifer eingegeben haben. Dis sey noch glimpflich geurtheilet; sonst möchte man eine nähere |d120| Ursache finden, in dem Bestreben, sich so viel möglich von dem verhaßten D.
Abkürzungsauflösung von "D.": Doctor
Bahrdt zu entfernen, nachdem man nicht so glücklich gewesen, ihn durch alle Bewegungen, worinn man sich und andre gesetzt hat, von sich zu entfernen.“ Sie und recht viel gute Menschen kennen mich lange. Sie kennen auch Hrn.
Abkürzungsauflösung von "Hrn.": Herrn
D.
Abkürzungsauflösung von "D.": Doctor
Bahrdt ; ich bin stets von ihm entfernt gewesen. Mus es nun wirklich nur auf diese Art begreiflich werden, daß ich wider Herrn D.
Abkürzungsauflösung von "D.": Doctor
Bahrdt geschrieben habe? Ich hätte blos politisch gehandelt; und der Recensent erweise mir noch Glimpf, daß er nicht anders urtheile? Ich habe patriotisch handeln wollen. Es können noch so gute Menschen auch in patriotischen Betrachtungen irren, fehlen, und zu weit gehen; richtig, mein Beyspiel zeigt dis, und zeigt noch mehr. Aber habe ich alsdenn ausHaß geschrieben? Sollte wohl Herr D.
Abkürzungsauflösung von "D.": Doctor
Bahrdt es selbst sagen, er glaube, daß ich ihn hasse? Beweise davon könnte er doch nicht anführen, weder aus Erfurt, noch aus Heidesheim, noch bey den zwey Besuchen, die er mir hier gab. Noch glaube ich, er werde mit der Zeit, wenn sich einige Dinge geändert haben, es öffentlich gestehen, daß ich ihm am allertreulichsten hätte rathen wollen. Ich rechne so sicher auf – – daß ich noch glaube, auch dieser Schritt des Recensenten werde ihn nicht abhalten, es einst zu gestehen. Wenn es also wahr ist, ein Professor kann in patriotischer Neigung mehr thun, als die Klugheit anräth: so habe ich gerade umgekehrt gehandelt, nicht politisch; wie |d121| ich schon gestanden habe. Aber dis würde eher helfen zu einer gütigen oder nachgebenden Beurtheilung meiner Historie; darum soll es ja nicht so angesehen werden.
Wär denn Hr.
Abkürzungsauflösung von "Hr.": Herr
Bahrdt , dessen Historie wir alle wissen, durch dis Bekenntnis, das ich gleich weiter beurtheilen will, geradehin ein so annehmliches Mitglied der Universität worden, daß es nur Haß seyn mußte, wenn wir wünschten, ihn nicht in unserm academischen Kreise zu haben? Oder ist es unbegreiflich, daß die Professores, welche nicht wider Herrn D.
Abkürzungsauflösung von "D.": Doctor
Bahrdt geschrieben haben, dennoch es gebilliget haben, daß ich es gethan habe? Und bin ich alsdenn doch immer der Einzige, der also auch nur aus Haß es that?
Der Recensent gestehet es selbst am Ende, daß er eine Universalreligion, oder wie man es nennen will, für möglich und wünschenswerth hält; da ist ja Ursache genug, daß Gelehrte ihre ganz andern Urtheile ebenfalls bekannt machen können. Haß gehört nicht erst dazu.
Ich kann es ihnen aber versichern, daß mehrere Professores die große Abweichung dieses Bekenntnisses von dem
westphälischen Frieden, noch stärker beurtheilet haben, als ich; und daß hier niemand ist, der so unedel wäre,
westphälischen Frieden und westphälischen Schinken in einer Zeile mit einander zu verschlingen; wie Herr Basedow sich dieses (viel zu bald) hat entwischen lassen. Nehmen Sie so viel Eltern dazu, die ihre Söhne hier studiren lassen; welche mit ihren dortigen |d122| Nachbarn so viel Zusammenhang haben, daß sie schon prophezeyen – so werden Sie es gestehen, es war nicht nothwendig, daß Haß wider Herrn D.
Abkürzungsauflösung von "D.": Doctor
Bahrdt mich zu dieser Antwort brachte. Doch für einen Brief ist dis immer eine lange Erzählung, willigen Sie mir indessen diese Freyheit, daß historische Briefe so lang seyn dürfen, als der Verfasser will.
manche meiner Schriften oft in dieser Bibliothek ausgezeichnet worden sind
Semler wurde von Anbeginn der AdB häufig und meist wohlwollend besprochen, darunter mehrfach von dem Neologen Wilhelm Abraham Teller (s.
) und von Hermann Andreas Pistorius (s.
), der auch die aktuelle Rezension von Semlers Antwort verfasst hatte.
den Recensenten, sey er wer er wolle
Die Allgemeine deutsche Bibliothek versuchte die Unabhängigkeit und Objektivität ihrer Besprechungen durch die Anonymität ihrer Rezensenten zu wahren. Der Autor der Sammelrezension gibt sich am Ende, AdB 43 (1780), 74, lediglich durch das Kürzel „St.“ zu erkennen, womit der lutherische Theologe Hermann Andreas Pistorius (1730–1798) angedeutet ist. Pistorius, ein Schwager von Johann Joachim Spalding (1714–1804), war seit 1764 ein häufiger Rezensent in der AdB.
in den Frankfurter gelehrten Anzeigen, N. XIII. XIV.
Zu Beginn der Doppelnummer der Frankfurter gelehrte[n] Anzeigen, Nr. XIII u. XIV (13.–16.2.1781), 97–105, steht eine anonyme Rezension von Samuel Endemanns (1727–1789) Institutiones Theologiae Moralis (1780). Trotz aller Kritik an Endemanns Werk lamentiert der Rezensent über den grassierenden „Recensentenunfug“ (103) allzu harscher Kritik, der durch die Anonymität der Rezensenten begünstigt werde. Die Herausgeber der FgA ergänzen darunter, 105: „Aber Herr Recensent! warum selbst Anonymus! und muß sich die Toleranz nicht auch über die Intoleranten erstrecken?“
untreuen politischen Theologus
Anspielung auf z46 („seinen bisher behaupteten Grundsätzen ungetreu“) und z47 („blos gewisse politische Betrachtungen“ etc.).
freyburgische Bibliothek
Der Freiburger katholische Dogmatikprofessor Engelbert Klüpfel (1733–1811) setzte sich in der von ihm redigierten Nova bibliotheca ecclesiastica Friburgensis (1775–1783/90) mehrfach kritisch mit Semlers Schriften auseinander.
gar als einen Politicker aufstellen wollte
Anspielung auf z47 .
in eben dieser Bibliothek [...] ein anderer viel billigerer Recensent dis Urtheil niederschreibet, „ein Namenloser Recensent [...] seine Feinde“
Von Semler geringfügig verändertes Zitat aus einer Rezension zu Melchior Adam Weikards (1742–1803) Vermischte[n] medicinische[n] Schriften, 2. St. (1779), in AdB 43 (1780), 17–31; 17. Der Rezensent gibt sich mit dem Kürzel „Nf.“ zu erkennen. Es handelt sich um den Oldenburger Hofmedicus Heinrich Matthias Marcard (1747–1817).
Hätte Herr Basedow die elende Schrift nicht drucken lassen, Urkunde
Der vollständige Titel der Schrift Basedows (s.
) lautet: Eine Urkunde des Jahrs 1780 von der Neuen Gefahr des Christenthums durch die scheinbare Semlerische Vertheidigung desselben wider den ungenannten Fragmentisten (1780). Die Identität des Verfassers wird im „Anhang“ der Schrift (145) offenbart.
angeblichen Mitleiden [...] daß er gar mich und die Meinigen ernähren wollte
Basedow hatte Semler im Januar 1780 das Manuskript der Urkunde (s.
) zugesandt. Im Begleitschreiben, das im „Anhang“ der veröffentlichten Version der Urkunde dokumentiert ist, bot er sein „ganzes Vermögen zu Diensten“ an, falls Semler sich offen zu „Naturalismus oder Deismus“ bekennen und „darüber in Verlegenheit“ geraten sollte (Urkunde, 147; vgl. auch 149). Semler wies in einer eingerückten „Nachricht“ in den Hallische[n] Neue[n] Gelehrte[n] Zeitungen, 14. St. (17.2.1780), 110, Basedows „seltsame Anerbietung“ umgehend zurück (vgl. Urkunde, Anhang 148). Vgl. auch Semlers „Vorrede“ zu seiner [A]ufrichtige[n] Antwort, auf Herrn Basedows Urkunde (1780), 28–45.
Urheber des Almanachs
Kirchen- und Ketzer-Almanach aufs Jahr 1781 (anonym, [1780]); vgl. auch
. Semler dürfte die Verfasserschaft Bahrdts erschlossen haben (vgl. unmissverständlich d129 ), da der Almanach zahlreiche auf Bahrdt verweisende Indizien enthält (aufgelistet in [Christian Karl Am Ende], Freymüthige Anmerkungen über Herrn D. Bahrdts Kirchen- und Ketzer-Almanach auf das Jahr 1781, 1782, 11–16). Auch der Semler-Schüler Christian Gottfried Schütz (1747–1832) spricht im Mai 1781 in den Jenaische[n] Gelehrte[n] Anzeigen, 39. St. (14.5.1781), 309, bereits ganz selbstverständlich von Bahrdt als Verfasser.
mich nicht [...] als den Verfolger, als den Heuchler beschrieben, aus jenem Sendschreiben
Bahrdt hatte in seinem Kirchen- und Ketzer-Almanach [1780], 180f., eine lange Passage aus Ernst Christian Trapps (1745–1818) Sendscheiben an den Herrn Doktor Semler (1780), 2–4, zitiert, in der Semler als intriganter Heuchler geschildert wird, „der alles scheinen will und nichts ist“. Trapp war 1778 als Professor für Pädagogik nach Halle berufen worden und übernahm dort zugleich die Leitung eines neu gegründeten Erziehungsinstituts. Da das Institut an der theologischen Fakultät angesiedelt war, kam es zu Kompetenzstreitigkeiten mit Semler. Im Dezember 1779 entschied Minister Zedlitz (vgl.
) schließlich auf ganzer Linie gegen Semler: Trapp solle fürderhin das Institut in alleiniger Verantwortung führen („solitarie, bloß von Berlin abhängig“), darüber hinaus Nösselt (vgl.
) den Direktorposten des Theologischen Seminars von Semler übernehmen, der „ sein Ansehen mehr verloren hat, als er glaubt“ (abgedruckt in: Sendschreiben, 53).
Vorrede zu meinem Leben
Auf den Seiten [XXII]–[XXV] der nicht paginierten „Vorrede“ seiner Lebensbeschreibung I (1781) geht Semler auf einige der Vorhaltungen Trapps ein und stellt sie als Teil einer von Basedow und anderen gegen ihn inszenierten Kampagne dar. Semler konstatiert allerdings, er „habe stets an Se. Excellenz [den Freiherrn von Zedlitz] alles [über Trapp] gemeldet“ [XXIV], und bestätigt damit einen der zentralen Vorwürfe gegen ihn.
ich möge Gründe gehabt haben [...] desselben begünstige etc.
Leicht verändertes Zitat z45 (Hervorhebungen von Semler).
gehört sonst eigentlich auf einen pohlnischen Reichstag
Sprichwörtlich für ein „Bild der Unordnung und Zerfahrenheit“ (Grimmsches Wörterbuch). Im polnischen Reichstag (Sejm) konnten bis zum Jahre 1791 einzelne adlige Abgeordnete (Landboten) mit einem Veto (Liberum Veto) jeden Beschluss blockieren, was Bestechungen erleichterte und zu politischer Lähmung und teils ungezügelter Wut der jeweiligen Mehrheit führte.
Die Universität hat zuerst eine Vorstellung eingeschickt
Semler zitiert in der nicht paginierten „Vorrede“ zu seiner Lebensbeschreibung I (1781), [XV]–[XX], das Schreiben an Minister von Zedlitz vom 31. Juli 1779, dem bereits ein erstes Schreiben am 4. Juli 1779 vorangegangen war.
eine besondere nachtheilige Localität
Laut Bahrdt (Geschichte seines Lebens I, 1790, 372) befand sich das (von ihm angeblich nicht als ein solches erkannte) Freudenhaus, auf das Semler hier anspielt, im „Barfüßergäßchen“ (Barfußgäßchen) im Zentrum Leipzigs.
der Professor und Geheime Rath Klotz
Christian Adolf Klotz (1738–1771) wurde 1765 Professor für Philosophie und Beredsamkeit in Halle, 1766 zusätzlich Geheimrat. Im selben Jahr begründete er die Neue[n] Hallische[n] Gelehrte[n] Zeitungen, die er bis zu seinem Tode herausgab. Klotz war bekannt für den gefälligen Stil und die thematische Breite seiner Werke. Die Kritik, die er an Lessings Laokoon (1766) in der Schrift Ueber den Nutzen und Gebrauch der alten geschnittenen Steine und ihrer Abdrücke (1768) übte, trug ihm beißende Repliken des Verfassers ein. 1768 vermittelte der gut vernetzte Klotz Bahrdts Wechsel von Leipzig an die Universität Erfurt.
eine hier überall bekannte Erzählung aus Leipzig, öffentlich im Druck bekannt gemacht worden war
Vgl. auch Christian Gottfried Schütz, Geschichte des Erziehungsinstituts bei dem theol. Seminarium zu Halle (1781), 14: „So spottete er [Klotz] über die histoire scandaleuse des Hrn. Bahrdt, der damals noch in Leipzig war, in den hallischen gelerten Zeitungen. Ich entsinne mich noch folgender Stelle, die ich Ihnen, mein Werthester, blos aus dem Gedächtnisse herschreiben muß, da ich den Band hallischer Zeitungen nicht bei der Hand habe, in welchem sie vorkömt. ‚Ja wol ist Hr. Bahrdt vir clarissimus geworden, wenn es war ist, was izt die Jungemägde in Leipzig von ihm erzälen.‘ So bald aber Hr. Bahrdt nach Halle hinüber kam, vor Klozen sich beugte, und ihm die Not vorstellte, in die ihn seine jugendliche Ausschweifung gestürzt hatte, ward jener so gleich sein Patron, und brachte ihn durch seine Fürsprache nach Erfurt.“ In Wahrheit hatte Klotz den Skandal nur andeutungsweise erwähnt. Als in einem von ihm rezensierten Band die Rede auf Bahrdt kam, fügte er in Fettdruck folgende Bemerkung ein: „zu viel der Ehre, daß jetzt noch der nun auf einer ganz andern Seite bekannt gewordene Mann in dergleichen Schriften nur genennt wird“ (Hallische Neue Gelehrte Zeitungen, 22. St., 17.3.1768, 174). Weniger als zwei Monate später besprach Klotz dann allerdings Bahrdts Commentarius in Malachiam (1768) in lobendem Ton (Hallische Neue Gelehrte Zeitungen, 38. St., 12.5.1768, 300f.), damit das Schütz’sche Diktum bestätigend, dass Klotz „Schriftsteller, die er auf alle mögliche Art verpottet hatte, so bald diese ihm ihre Devotion bezeugten, und zu seiner Partei übertraten, auf einmal wieder zu preisen [pflegte]“ (Schütz, Geschichte des Erziehungsinstituts, 14). In seinen Memoiren dankte Bahrdt es übrigens schlecht und konstatierte, dass „es in neuern Zeiten [schwerlich] einen Gelehrten von so mittelmäßigem Range gegeben [hat], welcher zu einem so algemeinen Ansehen sich hat emporschwingen können, wie es Klozen gelungen war“ (Bahrdt, Geschichte seines Lebens I, 1790, 387f.).
wir bekamen den Bescheid, Herr D. Bahrdt solle keine lectiones theologicas halten
Entgegen eines deutlichen Votums gegen Bahrdt, das die Hallesche theologische Fakultät Anfang Juni 1779 ausgesprochen hatte, verfügte der preußische Minister von Zedlitz (s.
) zeitnah, dass Bahrdt zumindest an der philosophischen Fakultät lehren dürfe. In einem Schreiben an den König begründete Zedlitz diesen Schritt im Dezember 1779: „so muss ich gestehen, dass ich den Bahrdt nach Halle habe kommen lassen, weil ich eines Theils überzeugt bin, dass der Kais. Reichshofrath in protestantischen Religionssachen nicht juge competent ist, und weil der Bahrdt ein besonders in der Litteratur und Rhetoric geschickter Mann ist. Ich lasse ihn aber dort Rhetoric nach dem Quintillian und über die Orientalische Sprachen lesen, und keine Theologie, damit nicht etwa orthodoxe Eltern abgehalten werden, ihre Söhne nach Halle zu schicken.“
privat Schreiben an Sr. Excellenz, den Freyherrn von Zedliz
Karl Abraham Freiherr von Zedlitz (1731–1793) war ein preußischer Staatsminister (1770–1789) und Ehrenmitglied der preußischen Akademie der Wissenschaften (seit 1776). Ihm unterstand nicht nur das Kriminaldepartement, sondern auch das Kirchen- und Erziehungswesen, das er tiefgreifend reformierte (Letztere Zuständigkeiten musste er 1788 im Zuge der unter Friedrich Wilhelm II. einsetzenden Reaktion an Johann Christoph Woellner abtreten). Zedlitz, ein Förderer Kants, repräsentierte die liberale Universitäts- und Religionspolitik Friedrichs des Großen. – Die theologische Fakultät in Halle wandte sich 1779 in zwei „unterthänigsten Privatschreiben“ mit der (erfolglosen; s.
) Bitte an Zedlitz, nicht nur die theologische, sondern sämtliche Lehrtätigkeit Bahrdts in Halle zu untersagen. Das zweite Schreiben, das Semler laut eigener Auskunft zwar unterzeichnet, jedoch nicht verfasst hat, wird in der unpaginierten „Vorrede“, [XV]–[XX], zu seiner Lebensbeschreibung I (1781) abgedruckt.
wenn der Recensent Recht hat [...] öffentlich geschrieben hatte
Anspielung auf z46 und z48 („da man in seinen Schriften auch dergleichen findet“).
was ich in der Vorrede zu meiner Lebensbeschreibung schon erzählet habe
Vgl. Semler, Lebensbeschreibung I (1781), [XIII]–[XX].
„blos gewisse [...] von sich zu entfernen.“
Abgewandeltes Zitat z47 (Hervorhebung und Umstellung auf Konjunktiv gehen auf Semler zurück).
Der Recensent gestehet es selbst am Ende
Vgl. z50f. Der Rezensent spricht von der Möglichkeit einer Universalreligion, anders als Semler unterstellt, nur hypothetisch: „Sollte aber das Vorhaben [...] möglich seyn“ etc.
westphälischen Frieden
1648 beendete der auf dem fünfjährigen Friedenskongress von Münster und Osnabrück ausgehandelte und von den europäischen Mächten angenommene Friedensschluss den sog. Dreißigjährigen Krieg (1618–1648). Der Westfälische Frieden bekräftigte die im Augsburger Religionsfrieden (1555) festgeschriebenen Rechte der christlichen Konfessionen und stellte das Reformiertentum reichsrechtlich dem Luthertum und Katholizismus gleich.
westphälischen Frieden und westphälischen Schinken [...] wie Herr Basedow
Anspielung auf Basedows anonym erschienene Schrift Für forschende Selbstdenker. Lehren der Christlichen Weisheit und Zufriedenheit. Eine Folge des Friedens zwischen dem wohlverstandnen Urchristenthume und der wohlgesinnten Vernunft (1780), VI: „Warum haben [die vernünftigen Zweifler und Christen] mehr, oder eine andre Vernunft, als diese oder jene Kirche ihnen einzutrichtern für gut befindet? Der Westphälische Friede, und, wenn man große mit kleinen Sachen vergleichen darf, auch die westphälischen Schinken müssen in Ruhe genießbar einem jeden Kirchenlehrer, Küster, Canter und Glockenläuter bleiben.“
Zitat aus a) D. Carl Friedrich Bahrdts
Glaubensbekenntniß:
Hr.
Abkürzungsauflösung von "Hr.": Herr
D.
Abkürzungsauflösung von "D.": Doctor
S. Gründe mag gehabt
haben, sich wider das Bahrdtische
Glaubensbekenntniß zu manifestiren, und allen Verdacht, als ob er und die
theologische Fakultät in Halle, die Heterodoxien desselben begünstige
Zitat aus a) D. Carl Friedrich Bahrdts
Glaubensbekenntniß:
blos gewisse politische Betrachtungen
können
Editorische Korrektur von: köunen (digital)
diesen Eifer eingegeben haben. Dies ist noch glimpflich
geurtheilt; sonst möchte man eine nähere Ursache finden in dem
Bestreben, sich so viel möglich von dem verhaßten D.
Abkürzungsauflösung von "D.": Doctor
Bahrdt zu entfernen,
nachdem man nicht so glücklich gewesen, ihn durch alle Bewegungen, worinn
man sich und andre gesetzt hat, von sich zu entfernen.