Ich bezeuge also zuvörderst, daß jene Schrift
nicht
Folge des Leichtsinns und der Uebereilung war. –
Ein höchstes Reichsgericht hatte geurtheilt, ich müsse wegen meiner Uebersetzung des neuen Testaments, aller meiner Aemter entsezt werden; und dabey
ausdrücklich anbefohlen, daß ich in einer, an den Reichsbücherkommissarius einzuschickenden,
Druckschrift, mich über die meiner Uebersetzung schuldgegebenen Irrthümer erklären, oder aus dem deutschen Reiche weichen solle. Nun war es zwar weder überhaupt, noch durch
die eingeholten
Responsa erwiesen, daß ich, in gedachter Uebersetzung, Hauptlehren der Kirche angegriffen, oder Grundirrthümer ausgestreuet hätte: vielmehr zeugen jene
Responsa zur Genüge, daß eine eigentliche Verwerfung wesentlicher Lehren des Christenthums, aus meiner Uebersetzung schlechterdings nicht zu erzwingen sey: indessen mußte ich mich, da diese Richter mir keine Vertheidigung gestatten, noch meinen damaligen Landesherrn, den durchlauchtigsten Fürsten von Leiningen
, die ihm allein gebührende
|e7| Untersuchung der Sache überlassen wolten, jenem Urtheil unterwerfen, mir meine Absetzung
*) gefallen lassen, und die Verlegenheit, in die mich jene mir überdem noch abgesonderte Erklärung versezte, eine überströmende Quelle meines Unglücks werden sehen. Denn bisher hatte ich, nach dem allgemeinen Recht der Menschheit, von den Lehrsätzen der Kirche denken können, was ich gewolt. Aber jezt – mußte ich
entweder, wider meine Ueberzeugung, Sätze, die ich im Herzen verwarf, öffentlich bekennen,
oder mich (nach einer gewissen doppelten Lehrart) hinter zweydeutige Ausdrücke verstecken,
oder, der Wahrheit ein Opfer bringen. Mancher Andrer würde freylich in meiner Stelle den Mittelweg gewählt haben. Und es fanden sich auch einige unter meinen Bekannten, welche mir riethen, nicht gerade herauszugehn,
|e8| sondern mich, in gemilderten Ausdrücken, so zu erklären, daß man mir nicht beykommen könnte. Allein dieser Weg schien mir, – vielleicht habe ich mich geirrt, vielleicht auch nicht – genung
mir schien dieser Mittelweg eine niederträchtige
Heucheley zu seyn. Denn so lange mich keine Obrigkeit um meinen Glauben, in Absicht auf das Detail einzelner und besonderer Begriffe und Vorstellungsarten, befragt hat, so lange habe ich freylich meine Privatmeinungen für mich behalten und verhelen können, ohne mein Gewissen zu verletzen – weil mir die Religion ein so weites Feld des Unterrichts zum Trost und zur Belehrung meiner Gemeinen eröfnete,
daß ich im Volksunterricht nie nöthig hatte, jene streitigen Punkte zu berühren, wo ich von den Vorstellungsarten des grossen Haufens abwich. – Aber, da ich jezt von dem höchsten Richterstuhle des Reichs aufgefordert ward, Lehrsätze, die ich nicht
so glaubte, wie sie der große Haufe glaubt, nicht nur öffentlich zu bekennen, sondern auch in einer
Druckschrift zu erklären, daß ich sie
nie zu leugnen
willens gewesen, – da, sage
|e9| ich, meine Richter nach meiner
innern, geheimen Ueberzeugung ausdrücklich fragten – da konnte ich, bey dem Vorschlage, mich hinter Zweydeutigkeiten zu verstecken,
mein Gewissen ohnmöglich beruhigen.
Ich hielt es für
Pflicht, meine Privatmeinungen freymüthig herauszusagen. Vielleicht daß
Andre anders urtheilen. Genung ich urtheilte so, und mein Urtheil ist noch jezt das nemliche. Ich war schuldig, die Wahrheit, so nackend und rein, wie sie in meiner Seele lag, darzustellen. Und ich habe sie gesagt, das heißt, ich habe
meine Ueberzeugungen, wie sie damals in meinem Gemüthe sich vorfanden, offenherzig gestanden. Ich habe mich dabey sorgfältig geprüft. Ich habe alle Winkel meines Herzens durchsucht, um wahre, feste Ueberzeugung, von heimlicher Prädilection zu Lieblingsmeinungen, wohl zu unterscheiden. Ich habe das Resultat einer funfzehnjährigen ehrlichen Wahrheitforschung in meiner Seele aufzufassen und meiner Feder mitzutheilen gesucht. Kurz, was ich geschrieben habe, habe ich in keinem Betracht aus Leichtsinn
|e10| oder Uebereilung geschrieben. Und ich schmeichle mir, daß wenn ich einst Gelegenheit haben solte, mich über mein Glaubensbekenntniß näher zu erklären, die Worte desselben genauer zu bestimmen, und von diesen so bestimten Worten meine Gründe der Welt vor Augen zu legen, jedermann werde gestehen müssen, daß sehr, sehr viel Ueberlegung vor Abfassung dieser Schrift angestellt worden sey. Habe ich es, in Ansehung der
Art des Vortrags, in welchen ich dieß abgenöthigte Geständniß meiner Ueberzeugungen eingekleidet habe, einem oder dem andern nicht nach seinem Sinne gemacht, so ist das meine Schuld nicht. Denn dieß ist das unvermeidliche Schicksal
aller menschlichen Handlungen, daß
keine den Beyfall
aller hat: weil jeder einen andern Maasstab hat, nach dem er sie mißt – jeder eine andre Wage, auf der er sie wiegt – jeder einen andern Gesichtspunkt, aus welchem er sie begaft oder – beurtheilt. Genung, daß die Bekanntmachung selbst mir nicht zu schulden kommen kann. Denn sie war Folge des
Gehorsams. – Aus freyem An
|e11|triebe hätte ich vielleicht – gewiß weiß ich es nicht, so wenig ein Mensch in der Welt es weiß, was er in der Zukunft thun wird – vielleicht nie so laut und deutlich gesprochen, wenigstens bey meinem Leben nicht.
Aber
auf Befehl des Reichsrichterstuhls
mußte ich; was auch Gott für Folgen über diesen Schritt des willigen Gehorsams zu verhängen beschlossen haben mochte. Und was aus einem solchen Gehorsam entsteht, wären es auch die allerwichtigsten Ereignisse, kann nur der
Befehlende, nie der
Gehorchende, zu verantworten haben.