|f[III]| Vorrede.
Mit wehmüthigem Vergnügen übernahm ich den Auftrag, die letzte Schrift meines unvergeßlichen Lehrers, des seligen Semler , zum Druck zu befördern; und um so mehr, da gerade diese Schrift seinen so oft und in so mancherley Beziehung geäußerten Grundsätzen das Siegel aufdrückt, und einen ganz unwidersprechlichen Beweis enthält, daß er seine Ueberzeugungen von der eigentlichen Bestimmung der christlichen Religion bis an sei|fIV|nen Tod nicht verläugnet, oder abgeändert habe.
Es war eine Zeit, wo
Semler bey vielen in den Verdacht gerieth, daß Er,
unleugbar der erste lutherische Theolog unsers Jahrhunderts, welcher von der langen Anhänglichkeit an ein festes dogmatisches System, abzugehen wagte, und der freyen Untersuchung des Lehrbegriffs eine neue Bahn eröffnete, dennoch wieder von seinen eignen Prinzipien abgegangen sey, oder doch das
an andern getadelt habe, was er sich selbst für erlaubt gehalten.
An diesem Verdachte war sein Herz und seine Denkart, wie ich immer überzeugt gewesen bin, ganz unschuldig; von seiner Seite gab dazu, die Eigenthümlichkeit seiner Schreibart, und von Seiten derjenigen, die ihn falsch beurtheilten, Mißverstand Anlaß.
Semler
hatte
bey der erstaunlichen Lektüre in die er sich von Jugend auf geworfen, nie einen eigentlichen Fleiß auf Politur des
|fV| Stils gewandt; hatte, weil ihn hauptsächlich alte Literatur und das unermeßliche Feld der Geschichte beschäftigte, nie sich Zeit genommen, zu einer philosophischen Präcision in der Anordnung und in dem Ausdrucke seiner Gedanken sich zu gewöhnen. Daher konnte es nicht fehlen, daß man ihm oft Inconsequenzen zur Last legte, die es bey ihm wirklich nicht waren. Das Feuer seines Geistes, und sein außerordentlich großes Gedächtniß, verleiteten ihn, jenes zu einer unglaublichen Schnelligkeit in schriftlichen Arbeiten, dieses zu einem etwas zu großen Vertrauen in die Sicherheit seiner Citaten, und in die Bündigkeit seiner Gedanken, die sich, wie er meinte, auf dem Papiere von selbst ergeben würde, so wie er sich derselben innerlich bewußt war. Daher konnte es nicht fehlen, daß man oft in den von ihm angeführten Stellen das nicht fand, was er darin gefunden zu haben versicherte; und daß man oft Widersprüche unter seinen Grundsätzen und Meinungen fand, die, wenn man sich Zeit nahm, ihn recht zu verstehn, wieder verschwanden.
|fVI| Wenn man nun aber besonders in Ansehung seiner Vorstellungen vom Wesentlichen der christlichen Religion, und von der freymüthigen Untersuchung des dogmatischen Lehrbegriffs, seit der Zeit besonders, als Herr
D.
Bahrdt
sich nach Halle wandte, hie und da geglaubt hat, er habe entweder aus Animosität, oder weil er sich eingebildet habe, daß die Freyheit der Untersuchung übertrieben werde, und, um nicht zu weit zu gehn, eher ein paar Schritte wieder zurück thun müsse, seine vorigen Grundsätze verlassen, so lag dieser Mißverstand noch mehr an der Uebereilung derjenigen, die ihn so beurtheilten, als an seiner eignen Art des Vortrags.
Nirgends ist er von dem Grundsatze, daß die
Untersuchung frey bleiben müsse, auch nur im geringsten abgewichen; aber die Keckheit der Entscheidungen und das
despotische Aufdringen seiner Meinungen, das war es, was er immer unleidlich fand, und was er aus Bahrdts
Veranlassung nicht zuerst, wohl aber seitdem dieser in Halle zu schreiben anfieng, ungleich öfter
|fVII| und lebhafter bestritt. Wo er Unkunde der Geschichte fand, bey Untersuchungen, die doch nicht blos philosophisches Raisonnement, sondern Kenntniß der Begebenheiten und Studium historischer Quellen voraussetzten, da schien es oft, als ob er den Schlußsätzen selbst widerspräche, indem er bloß der Methode, dazu zu gelangen, sich entgegensetzte. Wo er trotziges Absprechen, oder intolerante Rechthaberey wahrnahm, da drückte er seinen Widerwillen oft so aus, als ob er eben so wohl gegen den Stoff und Inhalt, als gegen die Form gewisser Aeußerungen, und gegen die unsittliche Art sie anzubringen eingenommen wäre. Hieraus ist auch
die Art seiner Bestreitung des Wolfenbüttelschen Fragmentisten zu erklären, der sonst, wenn es auf die bloßen trocknen Folgesätze ankam, mit ihm in sehr vielen Punkten offenbar zusammenstimmte.
In gegenwärtiger Schrift nun, die er ganz vollendet, wiewohl ohne Titel, den ich selbst erst habe vorsetzen müssen, hinterlassen hat, finden sich seine Gedanken über das
|fVIII| Verhältniß der christlichen und natürlichen Religion ungleich dichter zusammengedrängt, besser geordnet, und lichtvoller dargestellt, als ich sie sonst bey ihm gefunden habe; und sie enthält vortrefliche Wahrheiten, die, wenn sie auch für gelehrte und selbstdenkende Leser nichts Neues enthalten, doch nicht nur in Rücksicht auf den Mann, der sie vorträgt, ein neues Interesse gewinnen, sondern auch nicht oft genug wiederholt werden können; am wenigsten ist ihre Wiederholung in unsern Tagen überflüßig, wo es fast das Ansehen hat, als ob einige, wenn auch wohlmeinende, doch gewiß übel unterrichtete Leute, um einer, ich weiß nicht wo existirenden Rotte von Leuten, die das Christenthum untergraben wollen, entgegen zu arbeiten, damit umgehn, das Kleinod der freyen und vernünftigen Prüfung in Religionssachen, was selbst itzt viele verständige Männer in der katholischen Kirche zu schätzen anfangen, uns Protestanten zu entreißen, und uns einer überlieferten Glaubensnorm,
d. h.
einer päpstlichen Tradition zu unterwerfen; was denn freylich, so lange sie uns Vernunft und Schrift nicht
|fIX| nehmen können, unmöglich gelingen kann, und wenn sie auch, was einige bereits in Kammern thun sollen, den Herrn Jesum Christum
auf öffentlichen Plätzen
leibhaftig erscheinen ließen.
Diese ganze Schrift lehrt, wie sehr der verewigte Semler
von der großen Wahrheit überzeugt war, die in Lessings
Nathan so unübertreflich ausgedrückt ist:
Daß Ergebenheit in GottVon unserm Wähnen über GottSo ganz und gar nicht abhängt.
Daher zeigt sich Semler
gleich billig gegen orthodoxe und heterodoxe Christen, gegen Christen und Naturalisten, gegen Naturalisten und Fanatiker.
Ihm ist es
der allererste Grundsatz der christlichen Religion, (S.
9. ) daß ein und derselbe Gott aller Menschen und Völker Herr und Vater sey, daß er nicht auf die äußerlichen Umstände sehe, wodurch sich Ju|fX|den von andern Völkern ganz unmoralisch unterscheiden, sondern das Thun und Lassen der Menschen nach dem Maaße ihrer Erkenntniß vom Guten und Bösen beurtheile. Wenn man niemals mehr als diesen Grundsatz, verbunden mit der höchst reinen und vernünftigen Sittenlehre Christi für nöthig gehalten hätte, um jemanden einen Christianer zu nennen, was für Unglück, welche abscheuliche Scenen des Verfolgungsgeistes in der christlichen Kirche wären der Menschheit erspart worden!
Semler läßt ausser obigen Grundsatze keinen einzigen sogenannten Fundamentalartikel der Dogmatik als einen nothwendigen Glaubensartikel gelten, den man durchaus annehmen und behaupten müsse, wenn man nicht auf den Namen eines Christen Verzicht leisten wolle; nicht
die Lehre von der Dreyeinigkeit, nicht die Lehre von der Inspiration der Bücher des
A.
oder
N.
Testaments, nicht die, von der stellvertretenden Genugthuung Christi; aber er behauptet auch, daß es dem wahren Geiste des Christenthums nichts schade, wenn man
|fIX[!]| alle diese Lehrsätze annehme; er besteht darauf, daß sich derjenige, der sie annimmt, und der, so sie verwirft, beide einander tragen und keiner den andern mit den schimpflichen Benennungen von Dummköpfen, Fantasten, oder Ketzern und Ungläubigen belegen solle.
Daher bin ich überzeugt, daß er auch demjenigen Naturalisten, der die Sittenlehre Christi , und die große Lehre von dem allgemeinen Antheil aller Menschen an Gottes Gnade, nicht auf Autorität, sondern aus Gründen der Vernunft annimmt, den Namen eines Christen nicht abgesprochen haben würde; nur denket er sich oft unter Naturalisten Leute, welche andere zu Annahme ihrer Meynungen mit einer Art von Gewalt bewegen, oder die öffentliche, bürgerliche Form der Religion eigenmächtig stürmen wollen. Gegen diese Anmaßungen erklärt er sich so laut und ernsthaft, als ihm immer möglich ist.
Daher seine so oftmal wiederholte, so lebhaft eingeschärfte Behauptung des
Un|fXII|terschiedes zwischen
öffentlicher und
Privat-Religion. Vergleicht man die in gegenwärtiger Schrift darüber vorkommenden zerstreuten Stellen, so bleibt mir kein Zweifel übrig, daß er hierinnen nicht auch seine Ideen völlig aufs Reine gebracht, und immer consequent gedacht habe, wenn er gleich sie nirgend so gut geordnet, und so bestimmt ausgedrückt hat, als es neuerlich unter andern, und vielleicht vor allen andern mein theurester Freund und College
Hr.
Prof.
Hufeland gethan
*) . Kann man sich stärker darüber herauslassen, als wenn Semler
S.
70. u.
f.
in dieser Schrift sagt: daß wenn irgend eine christliche Religionsparthey sage, sie hätte ganz allein die christliche Religion im Besitz, und auch ganz allein das Recht, eine ewige Seeligkeit von Gott zu erwarten, alle andern Menschen aber, auch alle andern christlichen Familien oder Partheyen, (also auch Socinianer oder andere,
|fXIII| die in den Lehren von der Dreyeinigkeit, vom Abendmal, von Christi
Versönung nicht auf
Hutters
oder Beyers
Compendium geschworen hätten) keine wahre christliche Religion, keinen Anspruch an Gottes Liebe und Gnade hätten, solches eine sehr rohe, ganz unmoralische Anmaßung, ein grober Irrthum, eine grobe Unwissenheit der allerersten christlichen Grundsätze sey: ja daß diejenigen, die andre zu ihrer Religionsform zwingen wollen, eben dadurch beweisen, daß sie selbst die wahre, geistliche oder vollkommnere Verehrung Gottes wissentlich verläugnen oder unterdrücken wollen.
*) In der Schrift:
Ueber das Recht protestantischer Fürsten unabänderliche Lehrvorschriften festzusetzen und über solchen zu halten. Jena 1788.
Wenn Semler
nun hierbey auf symbolische Bücher und festgesetzte kirchliche Lehrbegriffe zu sprechen kam, so war er weit davon entfernt anzunehmen, daß diese symbolischen Bücher unter den Protestanten, wie sich mancher ganz fälschlich einbildet, beständige ein für allemal festgesetzte Normen seyen, von denen weder Lehrer noch Gemeinden abweichen dürften. Er kannte den Geist des Protestantismus viel zu gut, als daß ihm hätte
|fXIV| einfallen können
so etwas zu behaupten. Er stimmte gewiß vollkommen mit demjenigen überein,
was neuerlich wieder
Hr.
D.
Rosenmüller so trefflich auseinander gesetzt hat, und was jedes wahren Protestanten, zumal jedes vernünftigen Lutheraners Grundsatz seyn muß, daß die Freyheit fernerhin die Schrift zu untersuchen, und der beständige Gebrauch der Vernunft in Glaubenssachen der wahre Charakter des Protestantismus sey. Er wußte, daß Glaubensbekenntnisse und symbolische Bücher provisorisch und zu guter äußerlicher Ordnung für eine unbestimmte Zeit entworfen werden, daß die Gemeinden oder Kirchen sie annehmen, und von der Obrigkeit sanctioniren lassen, ohne deswegen ihr unveräußerliches Recht an die stete Verbesserung und Berichtigung ihres Lehrbegriffs aufzugeben. Dahingegen verwarf er wie billig, die Anmaßung einzelner Personen, christliche Religionsgesellschaften in ihrem Glauben gewaltsam stören zu wollen.
Nur gerade hier fehlte es seinem Raisonnement noch an der nöthigen Vollständig
|fXV|keit und Bestimmtheit. Denn 1. setzte er bey den Naturalisten zuweilen voraus, daß sie die christliche Religion gewaltsam verdrängen oder aufheben wollten. Dazu fehlte es gleichwohl an aller historischer Veranlassung. Selbst wenn einige schwärmerische und unbehutsame Pocher, wie
D.
Bahrdt
z. B.
geradehin entscheiden wollten, eine positive Religion, wenn auch ihre Sittenlehre noch so rein wäre, sey zu gar nichts nütze, oder wenn sie behaupteten: die
Gottesverehrung müsse durchaus ganz rein deistisch seyn; so hatten sie ja damit immer noch keine Gewaltthätigkeit ausgeübt; sie hatten ja blos einen Einfall debitirt, an den sich weder Clerici noch Laici zu kehren brauchen. Im Ernste sieht man auch gar nicht ein, wozu der Naturalist in den protestantischen Kirchen es nöthig hätte, auf eine solche zufahrende, geschweige denn eigenmächtige und gewaltsame Veränderung des öffentlichen sogenannten Gottesdienstes zu verfallen. Niemand zwingt ihn ja, wenn er nicht will, in die Kirche zu gehn; niemand fodert ihm Beichtzettel ab; und wenn ihm die christlichen Sakramente bloße Ceremonien
|fXVI| scheinen, so müßte er ja sehr unklug, ja wirklich toll und rasend seyn, einen Lärm im Staate darüber anzufangen, damit diese Ceremonien, die einmal eingeführt sind, abgeschafft, und noch dazu eben durch diese Abschaffung eine Menge Leute, denen jene Sakramente ungleich mehr sind, als bloße Ceremonien, geärgert und gekränkt würden. Man fängt aber wie schon gesagt an, hie und da, es sey aus Leichtgläubigkeit oder aus gehässigen Privatabsichten, von einer
Rotte von Aufklärern zu sprechen, die gleichsam eine Coalition gemacht haben sollen, um die Aufhebung der öffentlichen kirchlichen Verfassung unter den Protestanten zu bewirken. Man sucht sogar Fürsten und Regierungen zu bereden, daß dieser
Rotte von Aufklärern durch öffentliche Anstalten entgegen gearbeitet werden müsse. Das natürlichste wäre wohl, vorerst zu fragen, wo denn diese Rotte existire, was sie denn bereits für geheime Machinationen anfangen, was für Grund zum Verdachte da sey, daß sie dergleichen im Sinne haben. Man weiß ja, daß es heutzutage nicht wohl möglich ist, einen Plan
|fXVII| durch Correspondenz zu irgend einer gemeinschaftlichen Unternehmung anzulegen, ohne daß die Sache in kurzem bekannt werde.
Kaum war
z. B.
von
Hn.
Bahrdt
die
Union der
Zwey und Zwanziger entworfen, als sie verdientermaßen lächerlich gemacht, und durch
die Schrift eines einzigen philosophischen und witzigen Kopfes, (
Mehr Noten als Text,) gänzlich vernichtet wurde. Aber noch immer hört die Unvorsichtigkeit nicht auf, nicht nur vorhandne Sectennamen so zu misbrauchen, daß wo man
z. B.
vielleicht nur eine einzige Meinung eines berühmt gewordnen Lehrers antrift, man gleich sein ganzes System voraussetzt, sondern auch immer noch neue Sectennamen zu erfinden, um damit die noch so verschiedene Denkart mehrerer Gelehrten, wenn sie allenfalls in einem oder dem andern Punkte zusammentreffen, unter einer einzigen Kategorie zu begreifen. Kann man wohl einen mildern Ausdruck, als den eines sehr unvorsichtigen Verfahrens dafür finden, wenn jemand das
ἀληθευειν ἐν ἀγαπῃ eines
Spalding
oder
Teller
und die ganz von dieser abweichen
|fXVIII|de Procedur eines Bahrdt
, in theologischen Untersuchungen, dadurch in eine Klasse setzt, daß er sie allesamt
Aufklärer nennt? Gleichwohl gehn einige schon so weit, daß sie sogar, um gewisse Grundsätze in einem noch gehässigern Lichte vorzustellen,
Aufklärer und
Illuminaten für Synonymen nehmen. Freylich ist dieser unbedachtsame, oder boshafte Namentausch schon so oft in der christlichen Kirche verübt worden, daß sie niemanden, der nicht ganz Fremdling in ihrer Geschichte ist, etwas neues seyn kann. Aber schmerzen muß es doch jeden Freund der Religion und der Menschheit, daß eine so häßliche Unart noch immer in Zeiten sich erhält, wo man längst durch die Beyspiele voriger Jahrhunderte gewitzigt, den Schaden davon hätte beherzigen sollen. Bey dem
sel.
Semler
war es nun gewiß nicht Vorsatz, wenn er sich manchmal so ausdrückte, als ob alle Naturalisten in
eine Klasse zu werfen wären. Es war bloß Folge seiner Gewohnheit, im Schreiben sich nicht immer bestimmt genug auszudrücken. Er selbst war überzeugt, daß man sogar die Namen Christen
|fXIX| und Naturalisten nicht geradezu einander entgegensetzen könne, und
daß der Name
christliche Naturalisten keineswegs einen Widerspruch in der Zusammensetzung enthalte. In der That, wenn jemand in der Lehre von der allgemeinen Gnade Gottes, in dem Widerspruch gegen den Polytheismus, in dem Glauben an die Unsterblichkeit der Seele, und in der reinen Sittenlehre mit den Grundsätzen Jesu Christi
und seiner Schüler übereinstimmt, so weiß ich nicht, warum man ihn, falls er auch alles Miraculöse und Uebernatürliche davon trennte, nicht eben so gut einen Christen nennen könnte, als man denjenigen einen Sokratiker nennen würde, der des
Sokrates
Denkart und Lebensweise sich eigen machte, ohne deshalb zu glauben, daß er einen besondern Genius gehabt habe. 2.
Sehr oft eiferte der
sel.
Semler , und mit Recht, gegen das
Aufdringen seiner Meinungen in Religionssachen. Nur schien er nicht immer daran zu denken, daß derjenige seine Meynung noch nicht aufdringt, der sie in Schriften so viel ihm immer möglich ist, ins Licht zu stellen, zu bestätigen, und entgegengesetzte Meinungen zu widerlegen
|fXX| sucht. Im Grunde war er zwar völlig überzeugt, daß die Freyheit seine Meinung zu sagen, einem jeden, er möge zu sogenannten Orthodoxen, oder Heterodoxen, Christen oder Nichtchristen gehören, ungekränkt bleiben müsse, aber es lag doch zuweilen in einigen seiner Ausdrücke eine anscheinende Inconsequenz, welche diejenigen als eine Beystimmung, wiewohl mit Unrecht, hätten ansehn können, welche wirklich demjenigen System, was ihnen
reine Lehre heist, keinen bessern Dienst leisten zu können glauben, als wenn sie alle, die etwas dagegen schreiben, als Leute verschreyen, die das Christenthum verdrängen, und von der Erde vertilgen wollen. Möchte man doch bedenken, daß man die Wahrheit immer verdächtig macht, wenn man sie der strengen Untersuchung entziehen will, und daß weder Religion durch ihre Heiligkeit, noch Gesetzgebung durch ihre Majestät aufrichtige Achtung erwarten kann, wenn diese nicht auf Prüfung einer ganz freyen und unbestochnen Vernunft gegründet wird. 3. In Ansehung des Volksunterrichts durch Prediger über dogmatische Religionslehren
|fXXI| scheint es zuweilen, als ob der
sel.
Semler
, die mannigfaltigen dabey in der Ausübung entstehenden Schwierigkeiten dadurch lösen wollte, daß er zwischen
öffentlicher und
Privat-Religion unterscheidet. Allein damit ist die Sache noch nicht ausgemacht. Daß einem jeden Menschen seine Privat-Einsichten frey bleiben
müssen, so lange er sie nicht äussert, versteht sich ja von selbst, und man braucht darüber kein Wort zu verlieren. Allein der Mensch hat doch auch ein ungezweifeltes Recht, seine Gedanken zu
äußern; und die große noch immer nicht ganz bis zu völliger Befriedigung aufgelößte Frage ist: 1) was für ein Recht hat der Staat, die Aeußerungen, oder den mündlichen und schriftlichen Vortrag gewisser Meinungen einzuschränken; und 2) was für Mittel lassen sich, wenn es zur Ausübung dieses Rechts kömmt, mit der Staatsklugheit vereinigen? Was die Religionsvorträge betrift, so hat die verschiednen Fälle, welche bey einer protestantischen Gemeinde vorkommen können, wenn die Einsichten der itzigen Lehrer oder Glieder der Gemeinde gegen die ehemaligen
|fXXII| sich geändert haben,
neuerlich
Hr.
Prof.
Hufeland
am bestimmtsten auseinander gesetzt. Aber noch bleibt immer die Frage übrig: welche Methode über dogmatische Religionslehren zu predigen, die bessere sey, so daß weder die Glieder der Gemeinde sich von ihr zu trennen nöthig haben, noch der Lehrer bey seinen geistlichen Vorgesetzten anstoße, noch auch sich entweder als einen Unwissenden oder als einen Heuchler verdächtig mache. Hier bin ich nun geneigt zu glauben, der Lehrer könne sich auf keine bessere Art aus allen diesen Schwierigkeiten heraushelfen, als wenn er bey jeder Gelegenheit, wo er auf christliche Dogmata kömmt, die Geschichte der Religion zu Hülfe nehme, und so viel etwa auch dem großen und gemischten Haufen beygebracht werden kann, anführe, um eines Theils auf die stete Abwechslung dieser dogmatischen Vorstellungen zu führen, andern Theils die christliche
d. h.
die vernünftige Sittenlehre sicher zu stellen, und zu zeigen, daß diese unwandelbar fest stehe, man möge über das Dogma diese oder jene Vorstellung hegen. Der Prediger müßte
z. B.
am Oster
|fXXIII|feste nicht verheimlichen, daß es ehemals viele gegeben und noch itzt viele gebe, die sich von der Auferstehung Christi
nicht überzeugen könnten; daß diese ausserordentliche Begebenheit viele Gründe für sich, aber auch wider sich habe; daß man ein wahrer Verehrer Jesu seyn könne, wenn man auch sich nicht zu überzeugen vermöge, daß er auferstanden sey; daß Christus nirgend die Seligkeit der Menschen an diesen Glauben gebunden: daß dennoch der Glaube an diese Begebenheit, für denjenigen, dem sie glaublich oder zuverlässig scheine, ungemein trostreich sey, und man also niemanden darinn irre machen, am wenigsten über ihn spotten, oder mit ihm zanken müsse; daß es aber eben so wenig erlaubt sey, denjenigen für einen Frevler oder Gottlosen zu halten, der die Auferstehung Christi nicht in dem Sinne, wie sie gewöhnlich erzählt und geglaubt werde, für wahr halten könne. Wenn so der Prediger Gründe und Gegengründe neben einander stellte, so würde er keinem Theile seiner Zuhörer anstößig werden; er würde nicht beschuldigt werden können, daß er eine Lehre, die seine Zuhörer
|fXXIV| beybehalten wissen wollen, ihnen eigenmächtig entziehen wollte, und doch würde er dem andern Theile, der sie für weiter nichts als eine hergebrachte Kirchensatzung hält, weder lästig fallen, noch als ein blinder Nachbeter erscheinen.
Sollte aber auch diese Freyheit dem protestantischen Prediger nicht gelassen werden, so würde die sonst unläugbare
Nutzbarkeit und Würde des Predigtamts für unsere Zeiten gänzlich zerstört, und der Prediger, der eine vorgeschriebene Anzahl von Glaubensartikeln, wider beßre Ueberzeugung lehren und beweisen soll, ein sich selbst verächtlicher Gaukler, sofern er sie aber ununtersucht nachbeten sollte, nichts weiter als
ein tönendes Erz und eine klingende Schelle werden. Jena den 3 May 1792.
Chr. Gottfr. Schütz .
Abkürzungsauflösung von "D.": Doctor