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|f[I]|D.
Abkürzungsauflösung von "D.": Doctor
Joh. Salomo Semlers
letztes Glaubensbekenntniß über natürliche und christliche Religion.
Mit einer Vorrede herausgegeben von
Chr. Gottfr. Schütz. Königsberg, bey
Friedrich Nicolovius 1792.
|f[II]|
|f[III]| Vorrede.
Mit wehmüthigem Vergnügen übernahm ich den Auftrag, die letzte Schrift meines unvergeßlichen Lehrers, des seligen Semler , zum Druck zu befördern; und um so mehr, da gerade diese Schrift seinen so oft und in so mancherley Beziehung geäußerten Grundsätzen das Siegel aufdrückt, und einen ganz unwidersprechlichen Beweis enthält, daß er seine Ueberzeugungen von der eigentlichen Bestimmung der christlichen Religion bis an sei|fIV|nen Tod nicht verläugnet, oder abgeändert habe.
Es war eine Zeit, wo Semler bey vielen in den Verdacht gerieth, daß Er,
unleugbar der erste lutherische Theolog unsers Jahrhunderts, welcher von der langen Anhänglichkeit an ein festes dogmatisches System, abzugehen wagte, und der freyen Untersuchung des Lehrbegriffs eine neue Bahn eröffnete, dennoch wieder von seinen eignen Prinzipien abgegangen sey, oder doch das
an andern getadelt habe, was er sich selbst für erlaubt gehalten.
An diesem Verdachte war sein Herz und seine Denkart, wie ich immer überzeugt gewesen bin, ganz unschuldig; von seiner Seite gab dazu, die Eigenthümlichkeit seiner Schreibart, und von Seiten derjenigen, die ihn falsch beurtheilten, Mißverstand Anlaß.
Semler hatte
bey der erstaunlichen Lektüre in die er sich von Jugend auf geworfen, nie einen eigentlichen Fleiß auf Politur des |fV| Stils gewandt; hatte, weil ihn hauptsächlich alte Literatur und das unermeßliche Feld der Geschichte beschäftigte, nie sich Zeit genommen, zu einer philosophischen Präcision in der Anordnung und in dem Ausdrucke seiner Gedanken sich zu gewöhnen. Daher konnte es nicht fehlen, daß man ihm oft Inconsequenzen zur Last legte, die es bey ihm wirklich nicht waren. Das Feuer seines Geistes, und sein außerordentlich großes Gedächtniß, verleiteten ihn, jenes zu einer unglaublichen Schnelligkeit in schriftlichen Arbeiten, dieses zu einem etwas zu großen Vertrauen in die Sicherheit seiner Citaten, und in die Bündigkeit seiner Gedanken, die sich, wie er meinte, auf dem Papiere von selbst ergeben würde, so wie er sich derselben innerlich bewußt war. Daher konnte es nicht fehlen, daß man oft in den von ihm angeführten Stellen das nicht fand, was er darin gefunden zu haben versicherte; und daß man oft Widersprüche unter seinen Grundsätzen und Meinungen fand, die, wenn man sich Zeit nahm, ihn recht zu verstehn, wieder verschwanden.
|fVI| Wenn man nun aber besonders in Ansehung seiner Vorstellungen vom Wesentlichen der christlichen Religion, und von der freymüthigen Untersuchung des dogmatischen Lehrbegriffs, seit der Zeit besonders, als Herr D.
Abkürzungsauflösung von "D.": Doctor
Bahrdt sich nach Halle wandte, hie und da geglaubt hat, er habe entweder aus Animosität, oder weil er sich eingebildet habe, daß die Freyheit der Untersuchung übertrieben werde, und, um nicht zu weit zu gehn, eher ein paar Schritte wieder zurück thun müsse, seine vorigen Grundsätze verlassen, so lag dieser Mißverstand noch mehr an der Uebereilung derjenigen, die ihn so beurtheilten, als an seiner eignen Art des Vortrags.
Nirgends ist er von dem Grundsatze, daß die Untersuchung frey bleiben müsse, auch nur im geringsten abgewichen; aber die Keckheit der Entscheidungen und das despotische Aufdringen seiner Meinungen, das war es, was er immer unleidlich fand, und was er aus Bahrdts Veranlassung nicht zuerst, wohl aber seitdem dieser in Halle zu schreiben anfieng, ungleich öfter |fVII| und lebhafter bestritt. Wo er Unkunde der Geschichte fand, bey Untersuchungen, die doch nicht blos philosophisches Raisonnement, sondern Kenntniß der Begebenheiten und Studium historischer Quellen voraussetzten, da schien es oft, als ob er den Schlußsätzen selbst widerspräche, indem er bloß der Methode, dazu zu gelangen, sich entgegensetzte. Wo er trotziges Absprechen, oder intolerante Rechthaberey wahrnahm, da drückte er seinen Widerwillen oft so aus, als ob er eben so wohl gegen den Stoff und Inhalt, als gegen die Form gewisser Aeußerungen, und gegen die unsittliche Art sie anzubringen eingenommen wäre. Hieraus ist auch
die Art seiner Bestreitung des Wolfenbüttelschen Fragmentisten zu erklären, der sonst, wenn es auf die bloßen trocknen Folgesätze ankam, mit ihm in sehr vielen Punkten offenbar zusammenstimmte.
In gegenwärtiger Schrift nun, die er ganz vollendet, wiewohl ohne Titel, den ich selbst erst habe vorsetzen müssen, hinterlassen hat, finden sich seine Gedanken über das |fVIII| Verhältniß der christlichen und natürlichen Religion ungleich dichter zusammengedrängt, besser geordnet, und lichtvoller dargestellt, als ich sie sonst bey ihm gefunden habe; und sie enthält vortrefliche Wahrheiten, die, wenn sie auch für gelehrte und selbstdenkende Leser nichts Neues enthalten, doch nicht nur in Rücksicht auf den Mann, der sie vorträgt, ein neues Interesse gewinnen, sondern auch nicht oft genug wiederholt werden können; am wenigsten ist ihre Wiederholung in unsern Tagen überflüßig, wo es fast das Ansehen hat, als ob einige, wenn auch wohlmeinende, doch gewiß übel unterrichtete Leute, um einer, ich weiß nicht wo existirenden Rotte von Leuten, die das Christenthum untergraben wollen, entgegen zu arbeiten, damit umgehn, das Kleinod der freyen und vernünftigen Prüfung in Religionssachen, was selbst itzt viele verständige Männer in der katholischen Kirche zu schätzen anfangen, uns Protestanten zu entreißen, und uns einer überlieferten Glaubensnorm, d. h.
Abkürzungsauflösung von "d. h.": das heißt
einer päpstlichen Tradition zu unterwerfen; was denn freylich, so lange sie uns Vernunft und Schrift nicht |fIX| nehmen können, unmöglich gelingen kann, und wenn sie auch, was einige bereits in Kammern thun sollen, den Herrn Jesum Christum auf öffentlichen Plätzen leibhaftig erscheinen ließen.
Diese ganze Schrift lehrt, wie sehr der verewigte Semler von der großen Wahrheit überzeugt war, die in Lessings Nathan so unübertreflich ausgedrückt ist:
Daß Ergebenheit in GottVon unserm Wähnen über GottSo ganz und gar nicht abhängt.
Daher zeigt sich Semler gleich billig gegen orthodoxe und heterodoxe Christen, gegen Christen und Naturalisten, gegen Naturalisten und Fanatiker.
Ihm ist es
der allererste Grundsatz der christlichen Religion, (S.
Abkürzungsauflösung von "S.": Seite
9. ) daß ein und derselbe Gott aller Menschen und Völker Herr und Vater sey, daß er nicht auf die äußerlichen Umstände sehe, wodurch sich Ju|fX|den von andern Völkern ganz unmoralisch unterscheiden, sondern das Thun und Lassen der Menschen nach dem Maaße ihrer Erkenntniß vom Guten und Bösen beurtheile. Wenn man niemals mehr als diesen Grundsatz, verbunden mit der höchst reinen und vernünftigen Sittenlehre Christi für nöthig gehalten hätte, um jemanden einen Christianer zu nennen, was für Unglück, welche abscheuliche Scenen des Verfolgungsgeistes in der christlichen Kirche wären der Menschheit erspart worden!
Semler läßt ausser obigen Grundsatze keinen einzigen sogenannten Fundamentalartikel der Dogmatik als einen nothwendigen Glaubensartikel gelten, den man durchaus annehmen und behaupten müsse, wenn man nicht auf den Namen eines Christen Verzicht leisten wolle; nicht
die Lehre von der Dreyeinigkeit, nicht die Lehre von der Inspiration der Bücher des A.
Abkürzungsauflösung von "A.": Alten
oder N.
Abkürzungsauflösung von "N.": Neuen
Testaments, nicht die, von der stellvertretenden Genugthuung Christi; aber er behauptet auch, daß es dem wahren Geiste des Christenthums nichts schade, wenn man |fIX[!]| alle diese Lehrsätze annehme; er besteht darauf, daß sich derjenige, der sie annimmt, und der, so sie verwirft, beide einander tragen und keiner den andern mit den schimpflichen Benennungen von Dummköpfen, Fantasten, oder Ketzern und Ungläubigen belegen solle.
Daher bin ich überzeugt, daß er auch demjenigen Naturalisten, der die Sittenlehre Christi , und die große Lehre von dem allgemeinen Antheil aller Menschen an Gottes Gnade, nicht auf Autorität, sondern aus Gründen der Vernunft annimmt, den Namen eines Christen nicht abgesprochen haben würde; nur denket er sich oft unter Naturalisten Leute, welche andere zu Annahme ihrer Meynungen mit einer Art von Gewalt bewegen, oder die öffentliche, bürgerliche Form der Religion eigenmächtig stürmen wollen. Gegen diese Anmaßungen erklärt er sich so laut und ernsthaft, als ihm immer möglich ist.
Daher seine so oftmal wiederholte, so lebhaft eingeschärfte Behauptung des Un|fXII|terschiedes zwischen öffentlicher und Privat-Religion. Vergleicht man die in gegenwärtiger Schrift darüber vorkommenden zerstreuten Stellen, so bleibt mir kein Zweifel übrig, daß er hierinnen nicht auch seine Ideen völlig aufs Reine gebracht, und immer consequent gedacht habe, wenn er gleich sie nirgend so gut geordnet, und so bestimmt ausgedrückt hat, als es neuerlich unter andern, und vielleicht vor allen andern mein theurester Freund und College Hr.
Abkürzungsauflösung von "Hr.": Herr
Prof.
Abkürzungsauflösung von "Prof.": Professor
Hufeland gethan *) . Kann man sich stärker darüber herauslassen, als wenn Semler
S.
Abkürzungsauflösung von "S.": Seite
70. u.
Abkürzungsauflösung von "u.": und
f.
Abkürzungsauflösung von "f.": folgende
in dieser Schrift sagt: daß wenn irgend eine christliche Religionsparthey sage, sie hätte ganz allein die christliche Religion im Besitz, und auch ganz allein das Recht, eine ewige Seeligkeit von Gott zu erwarten, alle andern Menschen aber, auch alle andern christlichen Familien oder Partheyen, (also auch Socinianer oder andere, |fXIII| die in den Lehren von der Dreyeinigkeit, vom Abendmal, von Christi Versönung nicht auf
Hutters oder Beyers Compendium geschworen hätten) keine wahre christliche Religion, keinen Anspruch an Gottes Liebe und Gnade hätten, solches eine sehr rohe, ganz unmoralische Anmaßung, ein grober Irrthum, eine grobe Unwissenheit der allerersten christlichen Grundsätze sey: ja daß diejenigen, die andre zu ihrer Religionsform zwingen wollen, eben dadurch beweisen, daß sie selbst die wahre, geistliche oder vollkommnere Verehrung Gottes wissentlich verläugnen oder unterdrücken wollen.
*) In der Schrift:
Ueber das Recht protestantischer Fürsten unabänderliche Lehrvorschriften festzusetzen und über solchen zu halten. Jena 1788.
Wenn Semler nun hierbey auf symbolische Bücher und festgesetzte kirchliche Lehrbegriffe zu sprechen kam, so war er weit davon entfernt anzunehmen, daß diese symbolischen Bücher unter den Protestanten, wie sich mancher ganz fälschlich einbildet, beständige ein für allemal festgesetzte Normen seyen, von denen weder Lehrer noch Gemeinden abweichen dürften. Er kannte den Geist des Protestantismus viel zu gut, als daß ihm hätte |fXIV| einfallen können
Editorische Korrektur von: lönnen (digital)
so etwas zu behaupten. Er stimmte gewiß vollkommen mit demjenigen überein,
was neuerlich wieder Hr.
Abkürzungsauflösung von "Hr.": Herr
D.
Abkürzungsauflösung von "D.": Doctor
Rosenmüller so trefflich auseinander gesetzt hat, und was jedes wahren Protestanten, zumal jedes vernünftigen Lutheraners Grundsatz seyn muß, daß die Freyheit fernerhin die Schrift zu untersuchen, und der beständige Gebrauch der Vernunft in Glaubenssachen der wahre Charakter des Protestantismus sey. Er wußte, daß Glaubensbekenntnisse und symbolische Bücher provisorisch und zu guter äußerlicher Ordnung für eine unbestimmte Zeit entworfen werden, daß die Gemeinden oder Kirchen sie annehmen, und von der Obrigkeit sanctioniren lassen, ohne deswegen ihr unveräußerliches Recht an die stete Verbesserung und Berichtigung ihres Lehrbegriffs aufzugeben. Dahingegen verwarf er wie billig, die Anmaßung einzelner Personen, christliche Religionsgesellschaften in ihrem Glauben gewaltsam stören zu wollen.
Nur gerade hier fehlte es seinem Raisonnement noch an der nöthigen Vollständig|fXV|keit und Bestimmtheit. Denn 1. setzte er bey den Naturalisten zuweilen voraus, daß sie die christliche Religion gewaltsam verdrängen oder aufheben wollten. Dazu fehlte es gleichwohl an aller historischer Veranlassung. Selbst wenn einige schwärmerische und unbehutsame Pocher, wie D.
Abkürzungsauflösung von "D.": Doctor
Bahrdt z. B.
Abkürzungsauflösung von "z. B.": zum Beispiel
geradehin entscheiden wollten, eine positive Religion, wenn auch ihre Sittenlehre noch so rein wäre, sey zu gar nichts nütze, oder wenn sie behaupteten: die
Gottesverehrung müsse durchaus ganz rein deistisch seyn; so hatten sie ja damit immer noch keine Gewaltthätigkeit ausgeübt; sie hatten ja blos einen Einfall debitirt, an den sich weder Clerici noch Laici zu kehren brauchen. Im Ernste sieht man auch gar nicht ein, wozu der Naturalist in den protestantischen Kirchen es nöthig hätte, auf eine solche zufahrende, geschweige denn eigenmächtige und gewaltsame Veränderung des öffentlichen sogenannten Gottesdienstes zu verfallen. Niemand zwingt ihn ja, wenn er nicht will, in die Kirche zu gehn; niemand fodert ihm Beichtzettel ab; und wenn ihm die christlichen Sakramente bloße Ceremonien |fXVI| scheinen, so müßte er ja sehr unklug, ja wirklich toll und rasend seyn, einen Lärm im Staate darüber anzufangen, damit diese Ceremonien, die einmal eingeführt sind, abgeschafft, und noch dazu eben durch diese Abschaffung eine Menge Leute, denen jene Sakramente ungleich mehr sind, als bloße Ceremonien, geärgert und gekränkt würden. Man fängt aber wie schon gesagt an, hie und da, es sey aus Leichtgläubigkeit oder aus gehässigen Privatabsichten, von einer
Rotte von Aufklärern zu sprechen, die gleichsam eine Coalition gemacht haben sollen, um die Aufhebung der öffentlichen kirchlichen Verfassung unter den Protestanten zu bewirken. Man sucht sogar Fürsten und Regierungen zu bereden, daß dieser Rotte von Aufklärern durch öffentliche Anstalten entgegen gearbeitet werden müsse. Das natürlichste wäre wohl, vorerst zu fragen, wo denn diese Rotte existire, was sie denn bereits für geheime Machinationen anfangen, was für Grund zum Verdachte da sey, daß sie dergleichen im Sinne haben. Man weiß ja, daß es heutzutage nicht wohl möglich ist, einen Plan |fXVII| durch Correspondenz zu irgend einer gemeinschaftlichen Unternehmung anzulegen, ohne daß die Sache in kurzem bekannt werde.
Kaum war z. B.
Abkürzungsauflösung von "z. B.": zum Beispiel
von Hn.
Abkürzungsauflösung von "Hn.": Herrn
Bahrdt die Union der Zwey und Zwanziger entworfen, als sie verdientermaßen lächerlich gemacht, und durch
die Schrift eines einzigen philosophischen und witzigen Kopfes, (Mehr Noten als Text,) gänzlich vernichtet wurde. Aber noch immer hört die Unvorsichtigkeit nicht auf, nicht nur vorhandne Sectennamen so zu misbrauchen, daß wo man z. B.
Abkürzungsauflösung von "z. B.": zum Beispiel
vielleicht nur eine einzige Meinung eines berühmt gewordnen Lehrers antrift, man gleich sein ganzes System voraussetzt, sondern auch immer noch neue Sectennamen zu erfinden, um damit die noch so verschiedene Denkart mehrerer Gelehrten, wenn sie allenfalls in einem oder dem andern Punkte zusammentreffen, unter einer einzigen Kategorie zu begreifen. Kann man wohl einen mildern Ausdruck, als den eines sehr unvorsichtigen Verfahrens dafür finden, wenn jemand das
ἀληθευειν ἐν ἀγαπῃ eines
Spalding oder
Teller und die ganz von dieser abweichen|fXVIII|de Procedur eines Bahrdt , in theologischen Untersuchungen, dadurch in eine Klasse setzt, daß er sie allesamt Aufklärer nennt? Gleichwohl gehn einige schon so weit, daß sie sogar, um gewisse Grundsätze in einem noch gehässigern Lichte vorzustellen, Aufklärer und
Illuminaten für Synonymen nehmen. Freylich ist dieser unbedachtsame, oder boshafte Namentausch schon so oft in der christlichen Kirche verübt worden, daß sie niemanden, der nicht ganz Fremdling in ihrer Geschichte ist, etwas neues seyn kann. Aber schmerzen muß es doch jeden Freund der Religion und der Menschheit, daß eine so häßliche Unart noch immer in Zeiten sich erhält, wo man längst durch die Beyspiele voriger Jahrhunderte gewitzigt, den Schaden davon hätte beherzigen sollen. Bey dem sel.
Abkürzungsauflösung von "sel.": seligen
Semler war es nun gewiß nicht Vorsatz, wenn er sich manchmal so ausdrückte, als ob alle Naturalisten in eine Klasse zu werfen wären. Es war bloß Folge seiner Gewohnheit, im Schreiben sich nicht immer bestimmt genug auszudrücken. Er selbst war überzeugt, daß man sogar die Namen Christen |fXIX| und Naturalisten nicht geradezu einander entgegensetzen könne, und
daß der Name christliche Naturalisten keineswegs einen Widerspruch in der Zusammensetzung enthalte. In der That, wenn jemand in der Lehre von der allgemeinen Gnade Gottes, in dem Widerspruch gegen den Polytheismus, in dem Glauben an die Unsterblichkeit der Seele, und in der reinen Sittenlehre mit den Grundsätzen Jesu Christi und seiner Schüler übereinstimmt, so weiß ich nicht, warum man ihn, falls er auch alles Miraculöse und Uebernatürliche davon trennte, nicht eben so gut einen Christen nennen könnte, als man denjenigen einen Sokratiker nennen würde, der des
Sokrates Denkart und Lebensweise sich eigen machte, ohne deshalb zu glauben, daß er einen besondern Genius gehabt habe. 2.
Sehr oft eiferte der sel.
Abkürzungsauflösung von "sel.": selige
Semler , und mit Recht, gegen das Aufdringen seiner Meinungen in Religionssachen. Nur schien er nicht immer daran zu denken, daß derjenige seine Meynung noch nicht aufdringt, der sie in Schriften so viel ihm immer möglich ist, ins Licht zu stellen, zu bestätigen, und entgegengesetzte Meinungen zu widerlegen |fXX| sucht. Im Grunde war er zwar völlig überzeugt, daß die Freyheit seine Meinung zu sagen, einem jeden, er möge zu sogenannten Orthodoxen, oder Heterodoxen, Christen oder Nichtchristen gehören, ungekränkt bleiben müsse, aber es lag doch zuweilen in einigen seiner Ausdrücke eine anscheinende Inconsequenz, welche diejenigen als eine Beystimmung, wiewohl mit Unrecht, hätten ansehn können, welche wirklich demjenigen System, was ihnen reine Lehre heist, keinen bessern Dienst leisten zu können glauben, als wenn sie alle, die etwas dagegen schreiben, als Leute verschreyen, die das Christenthum verdrängen, und von der Erde vertilgen wollen. Möchte man doch bedenken, daß man die Wahrheit immer verdächtig macht, wenn man sie der strengen Untersuchung entziehen will, und daß weder Religion durch ihre Heiligkeit, noch Gesetzgebung durch ihre Majestät aufrichtige Achtung erwarten kann, wenn diese nicht auf Prüfung einer ganz freyen und unbestochnen Vernunft gegründet wird. 3. In Ansehung des Volksunterrichts durch Prediger über dogmatische Religionslehren |fXXI| scheint es zuweilen, als ob der sel.
Abkürzungsauflösung von "sel.": selige
Semler , die mannigfaltigen dabey in der Ausübung entstehenden Schwierigkeiten dadurch lösen wollte, daß er zwischen öffentlicher und Privat-Religion unterscheidet. Allein damit ist die Sache noch nicht ausgemacht. Daß einem jeden Menschen seine Privat-Einsichten frey bleiben müssen, so lange er sie nicht äussert, versteht sich ja von selbst, und man braucht darüber kein Wort zu verlieren. Allein der Mensch hat doch auch ein ungezweifeltes Recht, seine Gedanken zu äußern; und die große noch immer nicht ganz bis zu völliger Befriedigung aufgelößte Frage ist: 1) was für ein Recht hat der Staat, die Aeußerungen, oder den mündlichen und schriftlichen Vortrag gewisser Meinungen einzuschränken; und 2) was für Mittel lassen sich, wenn es zur Ausübung dieses Rechts kömmt, mit der Staatsklugheit vereinigen? Was die Religionsvorträge betrift, so hat die verschiednen Fälle, welche bey einer protestantischen Gemeinde vorkommen können, wenn die Einsichten der itzigen Lehrer oder Glieder der Gemeinde gegen die ehemaligen |fXXII| sich geändert haben,
neuerlich Hr.
Abkürzungsauflösung von "Hr.": Herr
Prof.
Abkürzungsauflösung von "Prof.": Professor
Hufeland am bestimmtsten auseinander gesetzt. Aber noch bleibt immer die Frage übrig: welche Methode über dogmatische Religionslehren zu predigen, die bessere sey, so daß weder die Glieder der Gemeinde sich von ihr zu trennen nöthig haben, noch der Lehrer bey seinen geistlichen Vorgesetzten anstoße, noch auch sich entweder als einen Unwissenden oder als einen Heuchler verdächtig mache. Hier bin ich nun geneigt zu glauben, der Lehrer könne sich auf keine bessere Art aus allen diesen Schwierigkeiten heraushelfen, als wenn er bey jeder Gelegenheit, wo er auf christliche Dogmata kömmt, die Geschichte der Religion zu Hülfe nehme, und so viel etwa auch dem großen und gemischten Haufen beygebracht werden kann, anführe, um eines Theils auf die stete Abwechslung dieser dogmatischen Vorstellungen zu führen, andern Theils die christliche d. h.
Abkürzungsauflösung von "d. h.": das heißt
die vernünftige Sittenlehre sicher zu stellen, und zu zeigen, daß diese unwandelbar fest stehe, man möge über das Dogma diese oder jene Vorstellung hegen. Der Prediger müßte z. B.
Abkürzungsauflösung von "z. B.": zum Beispiel
am Oster|fXXIII|feste nicht verheimlichen, daß es ehemals viele gegeben und noch itzt viele gebe, die sich von der Auferstehung Christi nicht überzeugen könnten; daß diese ausserordentliche Begebenheit viele Gründe für sich, aber auch wider sich habe; daß man ein wahrer Verehrer Jesu seyn könne, wenn man auch sich nicht zu überzeugen vermöge, daß er auferstanden sey; daß Christus nirgend die Seligkeit der Menschen an diesen Glauben gebunden: daß dennoch der Glaube an diese Begebenheit, für denjenigen, dem sie glaublich oder zuverlässig scheine, ungemein trostreich sey, und man also niemanden darinn irre machen, am wenigsten über ihn spotten, oder mit ihm zanken müsse; daß es aber eben so wenig erlaubt sey, denjenigen für einen Frevler oder Gottlosen zu halten, der die Auferstehung Christi nicht in dem Sinne, wie sie gewöhnlich erzählt und geglaubt werde, für wahr halten könne. Wenn so der Prediger Gründe und Gegengründe neben einander stellte, so würde er keinem Theile seiner Zuhörer anstößig werden; er würde nicht beschuldigt werden können, daß er eine Lehre, die seine Zuhörer |fXXIV| beybehalten wissen wollen, ihnen eigenmächtig entziehen wollte, und doch würde er dem andern Theile, der sie für weiter nichts als eine hergebrachte Kirchensatzung hält, weder lästig fallen, noch als ein blinder Nachbeter erscheinen.
Sollte aber auch diese Freyheit dem protestantischen Prediger nicht gelassen werden, so würde die sonst unläugbare
Nutzbarkeit und Würde des Predigtamts für unsere Zeiten gänzlich zerstört, und der Prediger, der eine vorgeschriebene Anzahl von Glaubensartikeln, wider beßre Ueberzeugung lehren und beweisen soll, ein sich selbst verächtlicher Gaukler, sofern er sie aber ununtersucht nachbeten sollte, nichts weiter als
ein tönendes Erz und eine klingende Schelle werden. Jena den 3 May 1792.
Chr. Gottfr. Schütz .
S.
Abkürzungsauflösung von "S.": Seite
272. Z.
Abkürzungsauflösung von "Z.": Zeile
20. l.
Abkürzungsauflösung von "l.": lies
ἐνσπαρτος. S.
Abkürzungsauflösung von "S.": Seite
273. Z.
Abkürzungsauflösung von "Z.": Zeile
6. l.
Abkürzungsauflösung von "l.": lies
Theurgia.
letztes Glaubensbekenntniß über natürliche und christliche Religion
Der (irreführende) Titel des postum erschienenen Werks geht nicht auf Semler selbst zurück, sondern wurde vom Herausgeber Schütz (vgl.
) – wohl in Anlehnung an Bahrdts Skandalschrift – gewählt; vgl. fVII . – Semlers letztes Glaubensbekenntniß war nicht das einzige voluminöse Werk, das aus seinem Nachlass herausgegeben wurde: Nösselt (vgl.
) veröffentlichte im selben Jahr eine 350 Seiten starke Schrift Semlers über den 1. Johannesbrief (Paraphrasis in primam Ioannis epistolam, 1792).
Chr. Gottfr. Schütz
Der Theologe, Philosoph und Altphilologe Christian Gottfried Schütz (1747–1832) war ein Schüler Semlers und Georg Friedrich Meiers. 1769 wurde er Inspektor am Theologischen Seminar in Halle, 1773 außerordentlicher, 1777 ordentlicher Professor für Philosophie, 1779 wechselte er als Professor für Dichtkunst und Beredsamkeit nach Jena, bevor er schließlich 1804 als Professor für Literaturgeschichte nach Halle zurückkehrte. Im Streit zwischen Semler und Bahrdt/Trapp (vgl.
) bezog er öffentlich Stellung für seinen Lehrer (Geschichte des Erziehungsinstituts bei dem theol. Seminarium zu Halle [...] zur Apologie des Herrn D. Semler, 1781). Heute ist Schütz vor allem als früher Anhänger und Popularisator der kritischen Philosophie Kants bekannt, der er als Mitherausgeber des Rezensionsorgans Allgemeine Literatur-Zeitung (1785–1849) ein wichtiges Forum bot.
Friedrich Nicolovius
Matthias Friedrich Nicolovius (1768–1836) erlangte Berühmtheit als Verleger von Immanuel Kants Schriften. Nach Lehrjahren bei Johann Friedrich Hartknoch (1740–1789) in Riga eröffnete er 1790 eine Verlags- und Sortimentsbuchhandlung in Königsberg. 1818 musste er seine Buchhandlung an die Brüder Friedrich (1787–1866) und Ludwig Bornträger (1788–1843) verkaufen, die das Geschäft unter ihrem Namen weiterführten.
unleugbar der erste lutherische Theolog unsers Jahrhunderts
Diese Einschätzung wurde weithin geteilt, vgl. pars pro toto den umfangreichen Nachruf des Theologen und Orientalisten Johann Gottfried Eichhorn (1752–1827) in der Allgemeine[n] Bibliothek der Biblischen Litteratur 5 (1793), 1–183; 182f: „[Semler war] der erste Reformator unserer neueren Theologie, der kühnste und belesenste, der an Erforschungen und neuen Resultaten reichste Theolog unter den bis itzt verstorbenen unseres Jahrhunderts.“
an andern getadelt habe, was er sich selbst für erlaubt gehalten
Vgl. c[3] , e18 , z46 .
bey der erstaunlichen Lektüre in die er sich von Jugend auf geworfen
Vgl. Semler, Lebensbeschreibung I (1781), z.B. 40–45. Von der enzyklopädischen Belesenheit Semlers zeugen die ca. 300, das gesamte Gebiet der Theologie umspannenden Einzelveröffentlichungen; s. dazu auch diverse weitere Erläuterungen.
die Art seiner Bestreitung des Wolfenbüttelschen Fragmentisten
Anspielung auf Semlers Beantwortung der Fragmente eines Ungenanten (1779; vgl.
), in der er mit dem (ihm namentlich nicht bekannten) Verfasser der Fragmente, Hermann Samuel Reimarus, hart ins Gericht ging.
Daß Ergebenheit [...] gar nicht abhängt
Vgl. Gotthold Ephraim Lessing (1729–1781), Nathan der Weise (1779), 3. Aufzug, Erster Auftritt. Der Ausspruch entstammt dem Munde Rechas, der Adoptivtochter Nathans.
der allererste Grundsatz der christlichen Religion, (S. 9.) daß [...] beurtheile
Zitat f9.
die Lehre von der Dreyeinigkeit [...] Genugthuung Christi
Grundlegend äußert sich Semler dazu in seiner kontrovers aufgenommenen Institutio ad doctrinam christianam liberaliter discendam (1774), vermehrt erneut erschienen als Versuch einer freiern theologischen Lehrart, zur Bestätigung und Erläuterung seines lateinischen Buchs (1777). Zu seinem Bibelverständnis vgl. auch Semlers Abhandlung von freier Untersuchung des Canon I–IV (1771–1775). Die offensichtliche Nähe zu einigen von Bahrdts Thesen (vgl. a10 ) wurde bereits zeitgenössisch häufig bemerkt, vgl. etwa z46 .
Prof. Hufeland
Gottlieb Hufeland (1760–1817) war ein angesehener Jurist, der nach Professuren in Jena, Würzburg und Landshut für einige Jahre Bürgermeister in Danzig war und ab 1816 in Halle lehrte. Schütz und Hufeland kannten sich aus den gemeinsamen Jenaer Jahren, in denen sie ab 1785 zusammen mit Christoph Martin Wieland an der einflussreichen Allgemeine[n] Literatur-Zeitung beteiligt waren.
S. 70 u. f.
Paraphrase f70f.
Ueber das Recht [...] Jena 1788
Gottlieb Hufeland: Ueber das Recht protestantischer Fürsten unabänderliche Lehrvorschriften festzusetzen und über solchen zu halten[,] veranlaßt durch das preussische Religionsedict vom 9 Julius 1788 (1788). Während Hufeland in dieser Schrift kritisch Stellung zum Woellnerschen Religionsedikt nahm, verteidigte Semler die im Vergleich zum 1786 verstorbenen Friedrich II. restriktivere Haltung des neuen Monarchen Friedrich Wilhelm II. (1744/86–1797). Vgl. Vertheidigung des Königl. Edikts vom 9ten Jul. 1788 wider die freimüthigen Betrachtungen eines Ungenannten (1788).
Hutters oder Beyers Compendium
Zu Hutter vgl.
; Johann Wilhelm Baier (1647–1695) war zunächst Theologieprofessor in Jena und ab der Universitätsgründung 1694 in Halle. Gemeint sind die auch im 18. Jh. häufig wieder aufgelegten Werke: Hutter, Compendium locorum theologicorum ex scripturis sacris et libro concordiae (1610) sowie Baier, Compendium Theologiae Positivae (1686).
was neuerlich wieder Hr. D. Rosenmüller so trefflich auseinander gesetzt hat
Johann Georg Rosenmüller (1736–1815) war ab 1775 Theologieprofessor in Erlangen, von 1783–85 in Gießen und schließlich Professor, Superintendent und Konsistorialpräsident in Leipzig, was ihm erlaubte, seine aufklärerischen Kirchenreformpläne auch in die Tat umzusetzen. Gemeint ist Rosenmüllers Beantwortung der Frage: Warum nennen wir uns Protestanten? (1790), 11: Protestanten müssten „gegen allen Gewissenszwang auf das feyerlichste protestiren“ und es gelte, „daß wir uns stets das Recht vorbehalten, selbst zu prüfen, nichts anders für wahr anzunehmen, als was wir [in der Bibel] nach gewissenhafter und sorgfältiger Prüfung, und nach gesunden Regeln der Auslegung durch den Gebrauch der uns durch die Vorsehung geschenkten bessern Hülfsmittel als wahr erkannt haben“.
Gottesverehrung müsse [...] rein deistisch seyn
Deisten betrachteten positive Religionen als Verfallsformen einer rationalen oder „natürlichen“ Religion. Sie glaubten zwar an die Existenz eines Schöpfergotts, bestritten jedoch, dass er in der Geschichte „interveniert“: Gott bewirkt keine (übernatürlichen) Wunder, wird nicht Mensch und offenbart sich auch nicht in heiligen Texten oder religiöser Erfahrung; vgl. auch
(„Naturalisten“). Der Deismus war unter Gebildeten im 17. und 18. Jh. besonders im englischsprachigen Raum populär, fand aber auch in Frankreich und Deutschland Anhänger. Als Begründer gilt Edward Herbert, 1st Baron Herbert of Cherbury (1583–1648), der freilich noch an der Existenz von Wundern und der Wirksamkeit von Bittgebeten festhielt. Zu den bekanntesten Vertretern zählen außerdem Matthew Tindal (1657–1733), Anthony Collins (1676–1729), Voltaire und Hermann Samuel Reimarus. Die deistische Streitschrift The Age of Reason (1794/95; dt. 1796) des amerikanischen Revolutionärs Thomas Paine (1737–1809) gehörte zu den meistverkauften Büchern der Zeit. Der englische Publizist David Williams (1738–1816) musste seinen Versuch, 1776 in London einen deistischen Gottesdienst zu etablieren, allerdings mangels Nachfrage alsbald wieder einstellen.
Rotte von Aufklärern
Schütz bezieht sich hier (s. auch fVIII , „Rotte von Leuten“) vermutlich auf die im Gefolge des Woellnerschen Religionsedikts (1788) am 31. August 1791 ergangene „Instruction für die Königliche Examinations-Commission in Geistlichen Sachen“ des preußischen Königs Friedrich Wilhelm II. Die Mitglieder besagter Kommission wurden u.a. angewiesen, eine schwarze Liste zu erstellen und dabei „vorzüglich alle Neologen und die ganze Rotte der sogenannten Aufklärer unter den Predigern und Schullehrern“ zu erfassen. Die Instruction war allgemein bekannt, da Ernst Christian Trapp (vgl.
) sie in seiner anonym publizierten Streitschrift Freymüthige Betrachtungen und ehrerbietige Vorstellungen über die neuen Preußischen Anordnungen in geistlichen Sachen (1791), 12–26, abgedruckt hatte. Wer Trapp die Instruction zuspielte, ist unklar.
Kaum war z.B. von Hn. Bahrdt die Union der Zwey und Zwanziger entworfen
Die Deutsche Union oder Union der Zwey und Zwanziger war ein von Bahrdt 1787 gegründeter Geheimbund, dem er gestützt auf anonym betriebene Korrespondenz zeitweilig erhebliche Anhängerschaft verschaffte. Berühmtestes Mitglied war Adolph Freiherr von Knigge (1752–1796); vgl. die in Pott, Briefe V (1798), gesammelten Briefe und Dokumente, darunter auch eine Mitgliederliste (334–360). Laut Geheime[m] Plan der deutschen Union ist der „letzte Zweck“ des Bundes nur „Brüder[n] des dritten Grades“ bekannt, unter die „Hauptzwecke“ werden gleichwohl u.a. gerechnet: „Vervollkommnung der Wissenschaften, der Künste[,] des Kommerzes etc. insonderheit der Volksreligion“, „Verbesserung der Erziehung“, aber auch „Belohnung entschiedener Verdienste“ und „Versorgung verdienstvoller Menschen im Alter und Unglück“. „[A]llgemeine Mittel“ dazu seien „[g]emeinschaftliches Wirken durch Rath, Empfehlung und Hülfe“, „Unterricht in Schriften“ sowie „[h]inlängliche Geldsummen“ – was bei manchem Zeitgenossen den Verdacht keimen ließ, Bahrdt verfolge mit der Union nicht bloß selbstlose Ziele. Als Bahrdt schließlich am 7. April 1789 wegen seines konspirativen Wirkens sowie der Veröffentlichung des Lustspiels Das Religions-Edikt (1789) verhaftet wurde, bedeutete dies auch das Ende des Geheimbundes. Das Gerichtsurteil – Freispruch u.a. in Sachen Union, jedoch zwei Jahre Festungshaft für die mit der Publikation des Lustspiels begangene Beleidigung und „Majestätsschändung“, später nach Fürsprache des attackierten Woellner auf ein Jahr reduziert – findet sich im „Anhang“ von Bahrdts Geschichte und Tagebuch meines Gefängnisses nebst geheimen Urkunden und Aufschlüssen über Deutsche Union (1790); ebenso dort: die Verteidigungsschrift des Bahrdt’schen Anwalts sowie der Geheime Plan.
die Schrift eines einzigen philosophischen und witzigen Kopfes, (Mehr Noten als Text,)
Anspielung auf die von dem Verleger und Freimaurer Johann Joachim Christoph Bode (1731–1793) anonym publizierte Schrift Mehr Noten als Text oder die Deutsche Union der Zwey und Zwanziger eines neuen geheimen Ordens zum Besten der Menschheit (1789). Bode kommentierte Ankündigungen, Pläne, Rundbriefe, Eidesformel etc. der Deutschen Union und versuchte, sie mit den Mitteln der Ironie als lächerlich, prätentiös oder größenwahnsinnig zu entlarven. Eine abgedruckte vermeintliche Mitgliederliste, die stark von der Pott’schen abweicht (vgl.
), sorgte für Verlegenheit und bewirkte eine Reihe öffentlicher Distanzierungen.
ἀληθευειν ἐν ἀγαπῃ
Anspielung auf Eph 4,15: „Wahrheit bezeugen in der Liebe“.
Spalding
Johann Joachim Spalding (1714–1804), 1764–1788/91 Propst (St. Nikolai) und Oberkonsistorialrat in Berlin, Autor der epochalen Bestimmung des Menschen (1748; 1794, SpKA I/1), war einer der wichtigsten Vertreter der Neologie. Im Unterschied zu Bahrdt war Spalding für seine ausgleichende Art bekannt und ging der polemischen Auseinandersetzung für gewöhnlich aus dem Weg, vgl. etwa seine freundlich-souveräne Reaktion auf Herders feindselige Schrift An Prediger (1774) (Spalding, Briefe [2018], Nr. 127 und 129).
Teller
Vgl.
.
Illuminaten
Der radikal-aufklärerische Geheimbund der Illuminaten („Erleuchtete“) war 1776 vom Ingolstädter Professor für kanonisches Recht Adam Weishaupt (1748–1830) gegründet, doch nach einigem Erfolg im süddeutschen Raum bereits 1785 verboten worden, was kurz darauf zu seiner Zerschlagung führte. Gleichwohl nährte der Gedanke eines zentralgeleiteten Ordens mit religionsfeindlichen Ideen diverse Verschwörungstheorien, die weit über die kurze Existenz der Illuminaten hinauswirkten. So wähnte man einen direkten Zusammenhang zu den Revolutionen in Amerika und Frankreich.
daß der Name christliche Naturalisten keineswegs einen Widerspruch [...] enthalte
Vgl. Abhandlung von freier Untersuchung des Canon I (1771), 88, und II (1772), 465–470. Semler betont dort, er wolle das Christentum an die christlichen Wahrheiten binden und nicht an die „Provinzen oder äusserlichen Hülfsmittel dieser oder jener [biblischen] Bücher“, insofern lasse er sich die Bezeichnung „christlicher Naturalist“ gefallen; vgl.
und
.
Sokrates
Vgl.
.
Sehr oft eiferte der sel. Semler [...] gegen das Aufdringen seiner Meinungen in Religionssachen
Vgl. z.B. b99 ; f149 .
neuerlich Hr. Prof. Hufeland am bestimmtsten auseinander gesetzt
Gemeint ist wieder Hufelands Schrift (vgl.
) Ueber das Recht protestantischer Fürsten unabänderliche Lehrvorschriften festzusetzen (1788), die dieser in Reaktion auf das Woellnersche Religionsedikt verfasst hatte.
Nutzbarkeit und Würde des Predigtamts
Hier klingt Spaldings Titel Ueber die Nutzbarkeit des Predigtamtes und deren Beförderung (1772; 1791, SpKA I/3) an.
ein tönendes Erz und eine klingende Schelle
Anspielung auf 1Kor 13,1.
Zitat aus a) D. Carl Friedrich Bahrdts
Glaubensbekenntniß:
der allererste
Grundsaz der neuen christlichen Religion, daß ein und derselbe Gott
aller Menschen und Völker Herr und Vater sey, daß er nicht auf die
äusserlichen Umstände sehe, wodurch sich Juden von andern
Völkern ganz unmoralisch unterscheiden; sondern das Thun und Lassen der
Menschen
nach demnach dem
Editorische Korrektur von: nachdem (digital)
Maße ihrer Erkenntnis vom Guten und Bösen beurtheile.
Abkürzungsauflösung von "D.": Doctor