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Evangelium am 1
Sontage nach Trinitatis.
Lucä 16, 19−Ende.
Schon der Umgang mit Kindern lehret es,
daß
Exempel beides auf unsern Verstand und Herz viel kräftiger wirken, als trockene Lehren. Sie machen uns die
unsichtbare Wahrheit
sichtbar: zeigen sie uns im Leben, bringen sie uns vor die Sinne. Und eben darum belehren sie unsern Verstand besser, und rüren unser Herz weit kräftiger. So wie ein Blick auf ein wohlgetroffenes Gemälde, oder die Person selbst, mehr ausrichtet, als die ausfürlichste, noch so lebhafte Beschreibung ihrer Gestalt!
|a2| |b2| Dies nun ist die Ursache, warum sich unser Heiland bei seinem Unterricht so ofte der Gleichniß-Reden (Parabeln) bedienet. Exempel, die er aus dem was täglich im gemeinen Leben ge|c2|schieht, entlehnete, so anordnete, und einkleidete, daß sie eine wichtige Wahrheit in das volle Licht stellen; und nicht bloß den Verstand unterrichten, sondern auch die Empfindungen in Wirkung sezen. Diese Wahrheit nennt man die Moral der Parabel; sie mag übrigens eine historische, oder dogmatische, oder eigentlich moralische seyn. Und nur diese macht den Inhalt der Parabel aus.
Die Gleichniß-Rede von dem reichen Schwelger und armen Lazarus soll, nach Jesu Absicht uns die Wahrheit lehren: Was der Mensch hier thut, das ist der Grund von dem, was er dort ewig seyn wird. Die beiden Exempel, die er uns da aufstellet, zeigen das jedem der sie genauer betrachtet.
Es war ein reicher Mann; der kleidete sich in Purpur und köstliche Leinwand, und lebete alle Tage herrlich und in Freuden (oder genauer, lebte immer in prächtigen Schmausereien) vers 19. – Immerhin hätte er sich in Purpur und köstliche Leinwand kleiden, und prächtige Gastmahle, auch täglich, anstellen mögen. Aber ohne alle heilsame Berufs-Geschäfte, ohne liebesvolle Aussicht auf seine Nebenmenschen, sahe er nur auf sich, oder vielmehr, auf seinen Bauch: machte Pracht und Schmausen, und Wohlleben zu seinem Geschäfte! Und gleich |b3| als |a3| wäre er nichts, denn Bauch und Körper; nur gebohren, zu essen, zu trinken, sich zu kleiden, Gastmahle anzustellen und zu besuchen; lebte er in einem beständigen Wirbel von Lustbarkeiten, in ei|c3|nem unaufhörlichen Rausch der Wollüste. Er lebte unaufhörlich in prächtigen Schmausereien. – Sehet da was die Reichtümer und irdischen Güter aus dem Menschen machen können! Was sind viele der Reichen und Vornehmen? Was ist ein grosser Theil der grossen glänzenden Welt, die wir mit solchem niedrigen Neide und Erstaunen angaffen? Menschen sind es, die so leben als wären sie ganz Körper! Wollüstige Schwelger, und schimpfliche Sclaven des Bauches!
Es war aber, färt
Jesus fort v.
20. 21.
ein Armer, mit Nahmen Lazarus ; (
d. h.
hülfloser)
der lag vor seiner Thür voller Schweren, und begehrete sich zu sättigen von den Brosamen, die von des reichen Tische fielen; doch kamen die Hunde und etc.
(genauer, aber nur die Hunde leckten seine
Geschwüre).
Gott! welcher die Menschheit
schändende, äusserst schändende Anblick! Der Schwelger, in Purpur gekleidet, verprasset an seiner Tafel vielleicht einige hundert Thaler; wärender Zeit einer seiner Mitbrüder, krank, halb nackend, voller Geschwüre, ausgehungert, da liegt; und alle seine Wünsche nur auf einige Bissen, seinen Hunger zu stillen, einschränkt! Aber keine Unterstüzung, keinen liebreichen Zuspruch, keinen mitleidigen Seufzer, keine menschliche Thräne, findet er bei dieser
|a4| |b4| ganzen Gesellschaft! Auch aller Schein des Mitleidens wäre aus diesem Pallast verbannt, wenn nicht noch einiger Rest davon
bei den Hunden übrig geblieben. Die
Menschen, sizen da und
|c4| schwelgen ganz ungerürt fort. Nur die
Hunde kommen, und
lecken dem Elenden mitleidig seine Schwären.
Wie? ist es möglich, daß irgend ein Mensch; daß besonders in Purpur gekleidete, in Pallästen, unter lauter süssen Reden, zärtlicher Nahrung, und verfeinernden Anblicken der schönsten Kunstwerke aufgewachsene Menschen, in solche, mehr als viehische Hartherzigkeit und Füllosigkeit herabsinken können? – Ach! nur gar zu viel Originale finden wir zu diesem Gemälde, in der reichen und vornehmen Welt! Rechnet auch die Ungeheure ab, welche die Niedrigen und Armen als Geschöpfe einer ganz andern Art betrachten, von ihnen mit den verächtlichsten Nahmen sprechen, und es ihrem hohen Stande für schimpflich halten, sich um sie zu bekümmern. Auch diese Ungeheure abgerechnet, leitet Reichthum, Ansehen und Ueberfluß nur gar zu leicht zu solcher Hartherzigkeit. Diese in allem Ueberfluß aufgewachsene haben von dem Elende der Menschen gar keine eigene Erfahrung. Ihre Schmeichler und Mitschwelger verbergen auch wohl sorgfältig solche traurige Anblicke vor ihnen um die Lustigkeit nicht zu stören. Oder, der Elende komt ihnen gerade zur Unzeit. Eben jezo wollen sie sich vergnügen, zum Gastmahl gehen, eine Lustreise anstellen. Und darum wenden sie denn, geflissentlich Herz und Auge davon ab, um ihre Ergözung nicht zu stören. Die beständige Lustigkeit|a5| |b5| worin sie leben sezet ihre Seele, wie der häufige Genuß berauschender Getränke, in eine Art von Taumel und Schwindel; giebt ihr eine solche |c5| Richtung zum Leichtsin, Unbedachtsamkeit und Gedankenlosigkeit, daß die Seele erst viele harte Schläge fülen muß, ehe sie zum Denken aufwacht. Auch bringen solche traurige Anblicke eines Hungrigen, Kranken ihnen die Flüchtigkeit ihrer Güter, nebst dem vielfachen Elende dem auch sie ausgesezt sind, so lebhaft ins Andenken, daß ihre weichliche, entnervete Seele es nicht ausstehen kan. Und so geschiehet es denn nur gar zu leicht und oft, daß unter den Reichen und Vornehmen solche Schandflecke der Menschheit, so viel hartherzige und Füllose sich finden, welche zwar bei erdichtetem und in Schauspielen vorgestelltem Elende, Thränen vergiessen; aber im wirklichen Leben, den äussersten Jammer, einen Lazarus , hungrig und voller Schmerzen, mit ganz trockenem Auge, und versteinertem Herzen ansehen können.
Aber welche Veränderung!
{V.
22.} Es begab sich aber, dies war der Ausgang des Schauspiels,
daß der Arme starb. Da ward er getragen von den Engeln in Abrahams Schooß. Die Redensart ist von der Gewohnheit der Morgenländer hergenommen, welche
bei ihren Mahlzeiten nicht, wie wir,
zu Tische sizen, sondern
bei Tische liegen. Der Sinn dieses Bildes ist also der: „Lazarus
ward, sogleich im Augenblick seines Todes, unter die seeligen Menschen und Engel mit Ruhm und Freude aufgenommen.[“] –
Der Reiche aber starb auch. So konte ihn denn
|a6| |b6| sein Reichthum und vornehmer Stand vor dem Tode nicht
schüzen. Und ward begraben. Dieser Leichen-Pomp war nun auch der Schluß
|c6| seiner Theater-Pracht. Nunmehro fieng ein ganz anderer Auftritt an!
{V.
23. 24.} Als er nun in der Hölle und in der Quaal war, hub er seine Augen auf, und sahe Abraham von fernen, und Lazarum in seinem Schooß, rief und sprach, Vater Abraham, erbarme dich mein, und sende Lazarum , daß er das äusserste seines Fingers ins Wasser tauche, und küle meine Zunge; denn ich leide Pein in dieser Flamme.
{V.
25.} Abraham aber sprach: Gedenke, Sohn, daß du dein gutes empfangen hast in deinem Leben, und Lazarus dagegen hat böses empfangen; nun aber wird er getröstet, und du wirst gepeiniget. Mit andern Worten: „du hast das Maaß von Freuden genossen, womit dich Gottes Güte bessern und beglücken
wollte.
Lazarus hingegen hat das Maaß der Leiden geduldet, die ihn vorbereiten solten. Mit eurem Tode ist nun die
Vorbereitung geendigt.
Hier, in dieser Welt, ist nichts als
Vergeltung.[“]
Und ganz unveränderliche, ewig-unwiederrufliche Vergeltung! Dies ist der Sinn der im 26
v.
folgenden Worte; woferne sie nicht ganz
sinnlooß seyn sollen.
Und über das alles ist zwischen uns und euch eine grosse Kluft befestiget; (genauer, „liegt ein grosser Abgrund zwischen uns“)
daß die da wolten von hinnen fahren, zu euch, können nicht, und auch nicht von dannen zu uns herüber fahren.
|a7| |b7| |c7| {V.
27. 28.} Da sprach er; so bitte ich dich, Vater, daß du ihn sendest in meines Vaters Haus; Denn ich habe noch fünf Brüder, daß er ihnen bezeuge, (genauer,
sie beschwöre), auf daß sie nicht auch kommen an diesen Ort der Quaal; 2 Timoth. 4, 1.; „sie von der Gewisheit eines Lebens und Gerichts nach dem Tode versichre, und zur Besserung kräftig anmahne.“ Wie es scheint so gieng dieser Schwelger in seinem Unglauben und Religions-Verachtung so weit, daß er gar alles Leben nach dem Tode leugnete, und behauptete, beim Tode sterbe der ganze Mensch, gleich dem Vieh, auf immer. Und diese solchen
Sclaven des Bauchs würdige Grundsäze flössete er auch seinen Freunden und Gesellschaftern sorgfältig ein. Das Andenken dieser Thorheit und
Gottlosigkeit peinigte ihn jezt;
c√ war ihm ein Stück der
Hölle.
{V.
29−31.} Abraham sprach zu ihm: sie haben
Mosen und die Propheten (die göttlichen Schriften des Alten Testaments);
laß sie dieselben hören. Er aber sprach: Nein, Vater Abraham , sondern wenn einer von den Todten zu ihnen gienge, so würden sie Buße thun. Er sprach zu ihm: Hören sie Mosen und die Propheten nicht, so werden sie auch nicht glauben, wenn jemand von den Todten auferstünde. – Denn, bei diesen fünf Brüdern des Schwelgers, wie bei ihm selbst, waren die
sündlichen Lüste, die Ursache des Unglaubens. Sie waren Feinde der Religion, nicht, weil sie nicht glauben
konten, sondern weil sie nicht glauben
wolten. Die Religion war gegen sie; darum waren auch sie gegen die Religion.
|a8| |b8| |c8| Die Erscheinung eines ihnen bekandten Todten würde also nichts weiter, als ein fruchtloses
Erstaunen gewirkt haben. Und wenn der erste Schrecken
vorbei gewesen, so
hatten sie lustige Gesellschafter um
sich, die das alles für Schwärmerei,
Schwermuth und Aberglauben erkläret hätten.
Denn,
meine Leser, eben der Stolz, Ungerechtigkeit, Unkeuschheit, und andere sündliche Neigungen, die uns
verleiten die Rede
Gottes in der Bibel zu verschmähen, eben diese werden uns auch gar bald die Rede eines Gesandten aus jener Welt gleichgültig und verächtlich machen.
{Joh. 11. 12.} Die
Pharisäer sahen das wirklich, was hier der Reiche für seine Verwandte erbat. Sie sahen den aus dem Reiche des Todes zurückgekommenen, auferweckten
Lazarum . Und dennoch glaubten sie nicht. Sie
wusten daß
Jesus auferstanden. Dennoch blieben sie so ungläubig als
vorher. Auch in unsern Zeiten hat man Beispiele, daß die ruchlosesten Menschen, durch die Einbildung des hereinbrechenden jüngsten Tages in Schrecken gejagt, Schaarenweise in die
Kirche gedrungen, und mit dem grösten Eifer die Religion
bekandt die sie vorhin verspotteten. Kaum aber war der
critische Tag
vorüber: so gieng einer nach dem andern, erst zur Gleichgültigkeit, und sodenn zu seinem alten Laster und Unglauben zurück! –
– So ausgemacht ist
es „
hören sie Mosen und die Propheten nicht, so werden sie auch nicht gläuben, ob jemand von den Todten auferstünde.[“] |a9| |b9| |c9| ⌇ So ist denn, das was der Mensch hier thut, dies und nichts anders, ist der Grund von dem, was er dort Seyn, c√ Ewig seyn wird! Wer hier durch den Glauben an den Sohn Gottes tugendhaft gelebt; der wird dort ewig beglückt: der Lasterhafte aber, ewig bestrafet werden. – Der Reiche und Vornehme ward, weil er ein Schwelger, und hartherziger, ein niederträchtig geiziger war, ward wegen seiner lieblosen und menschenfeindlichen Handlungen, zu grosser Pein verdamt. Lazarus hingegen, der hier mit Geduld litte, ward mit ewiger Freude belohnt. – – Dies ist eigentlich die Moral, der Inhalt dieser Gleichniß-Rede Jesu .
Aber der natürliche Schluß hieraus ist c√: wie ehrwürdig muß uns die christliche Religion, und wie theuer, über alles theuer JEsus , der Lehrer derselben seyn? Diese Lehre von dem Leben nach dem Tode, welche so kräftig unsre Tugend stärket; unsre irrdische Freuden veredelt und verdoppelt; unsre Leiden versüsset; und den Todt uns erfreulich macht: – Diese Lehre hat Er, Jesus Christus , zu allererst in das helleste Licht gestellet! 2 Timoth. 1, 10.
Auch lehren uns beide Beispiele, die uns
Jesus hier vor Augen stellet,
die richtigen Begriffe von dem wahren Werth der irrdischen Güter.
Reichtümer, angesehene Geburt, vornehmer Stand und Familie, und alle Güter
|a10| |b10| |c10| der Erde sind, an sich selbst nichts; haben an sich gar keinen Werth. Denn sie können dem Menschen keine wahre Würde geben; noch weniger den Beifall seines Schöpfers verschaffen; wohl aber ihn zum schändlichsten Menschen machen. Hier sehen wir einen höchst verächtlichen Menschen, in Purpur gekleidet im Schooß des irrdischen
Glücks; und einen Würdigen vor seiner Thüre, um Brodt bitten. – Allen ihren Werth erhalten sie lediglich von ihrer Verbindung mit der Tugend. Nicht der
Besiz, sondern der
Gebrauch der irrdischen Güter bestimmet die Würde des Menschen. Nur Reichthum an tugendhaften
, edlen Thaten sichert uns
Gottes Beifall und
seinen Himmel.
Matth. 6, 19−21. 1
Timoth. 6, 18. 19.
Wohlan denn, Reiche und Vornehme, braucht eure Güter ihrem wahren Werthe gemäß, zu eurer Ehre und Glück: das heißt, braucht sie mit einer gegen Gott dankbahren Freude, und mit einem menschenfreundlichen Herzen. Braucht sie; euch zu recht gemeinnüzigen Geschäften für die Welt geschickt zu machen; die unterdrückte Unschuld zu schüzen, die Handhabung der Gerechtigkeit zu befördern, Väter der Wittwen und Waisen zu seyn, mit einem Wort, nach {1 Tim. 6, 17−19.} Gottes Muster lauter Freude und Wohlfarth um euch her zu verbreiten. Sodenn sind euch diese Güter, wahre Glücks-Güter. Da seyd ihr treue Haushalter Gottes; Wohlthäter seiner Menschen; sichtbare Bilder der Gottheit selbst. Und da werdet ihr dereinst, von eurem allmächtigen |a11| |b11| |c11| Freunde, im Angesicht aller Menschen und Engel, mit dem ehrenvollen Zeugniß empfangen werden; {Matth. 25, 23.} Du frommer, getreuer Knecht bist über das Geringere treu gewesen; ich will dich über viel setzen, gehe ein zu deines Herrn Freude.
Und ihr weniger begüterte, Niedrige und Arme, lernet aus diesem Unterricht Jesu
,
euren Zustand hochschäzen und dankbahr brauchen
. Als einen Stand, der euch tausend Versuchungen, und tausend schändlichen Thaten entreißt. Als eine Anordnung der allweisen Güte. Voll von der grossen Lehre eures Heilandes
lernet: daß der Mensch nicht davon lebet, sein Glück darin nicht bestehet,
wenn er viel Güter hat.
Lucä 12, 15−21. 1
Timoth. 6, 6−12.
Diese ächte, erhabenste Philosophie lernet,
Jünglinge! –
{1 Tim. 4, 8.} Gottseligkeit ist der einzige wahre Gewinn! Bildet euren Verstand, durch heilsame gemeinnüzige
Kentnisse. Bildet euer jugendliches, noch weiches Herz, durch tägliche Uebungen, zur Bescheidenheit, Demuth, Keuschheit, Sanftmuth, und zu allen den erhabenen Tugenden, die uns das Christenthum lehret, und in dem grossen Muster unsers Heilandes vor Augen stellet. – Dies, nur dies ist der gerade und sichere Weg zur Ehre und Freude!
Uns allen, endlich, stehet das Schicksal des Reichen und Armen bevor. Wir müssen sterben. Und von einem jeden unter uns wird es einmahl |a12| |b12| |c12| gewiß, – vielleicht schon nach wenig Tagen heissen: Er starb, und ward von den Engeln in den Himmel getragen. Oder wie von dem schwelgerischen Reichen. Er starb: und als er nun in der Hölle und Quaal war, da hub er seine Augen auf. Dies muß denn unser angelegentlichstes, und tägliches Geschäfte seyn, daß wir uns zu dieser allerwichtigsten Veränderung anschicken.
Du aber, Ewige Liebe, gieb daß wir es recht, nach der Anweisung deines Wortes thun! Täglich im Glauben an Deinen Sohn, und in allen Tugenden Deines Gesetzes wachsen. Daß wir stets, als Christen leben, damit wir auch einst, als Christen sterben können.