|a[233]| |b219| |c234| Evangelium am 17 Sontage nach Trinitatis.
Sehr auffallend ist bei diesem Gastmahl
* der Gegensaz des
Characters Jesu und des
Characters der
Pharisäer.
Diese nehmen, allenthalben geheimnisvoll eine gewisse Gravität, Rükhaltung,
c√ Verschwiegenheit an; die gewönliche Maske der Unwissenheit und Bosheit.
Jesus aber, immer offen, gehet in jede Gesellschaft, läßt sich mit
jederman und über jede Sache in Gespräche ein; und
spricht mit einer Freimütigkeit die zwar nie unverständig Schaden stiftet oder andre beleidiget, aber auch nicht so ängstlich auf ihrer Hut ist, und jede Mine abzirkelt und jedes Wort andern zuwäget.
{vers 1} Die
Pharisäer schleichen im Finstern, legen heimliche Fallstricke:
Jesus auf seine Klugheit und Unschuld gestüzt, gehet selbst seinen Feinden in die Hände.
bc√ Die
Pharisäer sind so pünktlich in Kleinigkeiten als nachgebend in wichtigen Dingen:
{vers 4. 5.} Jesus arbeitet immer nur auf den grossen Zweck,
Gott durch Beglückung
Seiner Menschen zu ehren.
{vers 7–11.} Die
Pharisäer drängen sich
|b220| |c235| nach den Ober-Stellen und zanken über Vortritt und Rang:
Jesus strebet nur dahin, Wohlthäter der Menschen und von diesen geachtet und geliebt zu seyn. –
Leser! Zu welcher Parthei gehörest du?
|a233*||b219*| |c234*| * S.
oben
Seite 13 f.
{vers 1} Es begab sich als Jesus in das Haus eines Obersten, eines Mitgliedes
des hohen Raths zu Jerusalem, von der
Secte der Pharisäer, an einem Sabbath kam, das Brodt zu essen, (zum Gastmahl) – Auch des
Sontages sind also
Gastmahle, eine anständige,
Gottgefällige Er
|a234|gözung. Die Speisen und Getränke sind dem Christen, Geschenke
Gottes. Sie mässig, dankbahr gegen
Gott, und menschenfreundlich geniessen, ist gar ein
Gottesdienst. 1
Timoth. 4, 1–6.
{vers 1.} Da hielten sie auf ihn, „laureten auf ihn.“ Ohne Zweifel wuste es Jesus , {Johannis 2, 24. 25} der den Menschen so genau kante, gar wohl, daß man ihn heimtükkisch, bloß in der Absicht zu Gaste gebeten hatte, um ihm eine Falle zu legen. – So befreiet uns die Tugend, auch von so manchem beschwerlichen Zwange. Der Tugendhafte darf keinen Ort, keinen Menschen scheuen. Sicher gehet er allenthalben hin, wo ihn Pflicht, und Vergnügen ruft. {1 Johannis 4, 4.} Denn der mit ihm ist, ist grösser als der mit der Welt ist.
{vers 2} Auf einmahl stand ein Wassersüchtiger vor ihm. Seine Feinde hatten ihn bestellt. Dieser Elende war die Klippe, woran das Ansehen
Jesu scheitern sollte. Sie wusten,
er
b√ werde ihn
|b221| |c236| gesund machen, ob es gleich Sabbath
sey. Und so hätten sie den Beweiß, daß er ein
Sabbaths-Schänder sey. – Wie groß, wie Unüberwindlich mußte die Unschuld
Jesu seyn, da selbst seine
scharfsichtige, mächtige und
boshafte Feinde; Feinde die alles ausspürten und alles sich gestatteten, keine andre Falle für ihn finden können, als seinen
unwiderstehlichen Hang zum Wohlthun! – Zugleich sehen wir hier, daß
ächte Tugend; Tugend auf zulängliche Kentniß und richtige Grundsäze gebaut und mit Treue geübt, auch die
beste Politik ist.
Jesus handelt nach Pflicht. Und nun waren alle die listigen Ränke seiner staatsklugen Feinde vereitelt.
{vers 3} Er sprach zu den Gesezgelehrten und Pharisäern, ist es Recht, am Sabbath heilen? Die Pharisäer haschten auch dadurch nach dem Ruhm der
Heiligen, daß sie eine
gewisse Strenge |a235| in der Moral lehreten.
Gott hatte
im Geseze
Mosis alle Arbeit am Sabbath
verbothen; aus gütiger Vorsorge für den grössern Theil der
Menschen, um nämlich, den
Dienstbothen c√ einen Tag der Ruhe und Erhohlung zu sichern. Dies dänete der heuchlerische Pharisäer so weit aus, daß er
auch so gar Rettung und Beglückung der Menschen am Sabbath, für Sünde erklärte.
Gott hatte dies Gesez
für die Menschen gegeben, und der Pharisäer drehete es
gegen die Menschen.
Gott hatte erkläret,
{Marci 2, 27.} der Sabbath sey da um des Menschen willen; der
Pharisäer aber lehrete, der Mensch sey da um des Sabbaths willen. Schon diese Frage
Jesu muste sie beschämen, und zurechte weisen, wenn sie nicht durch Disputir-Sucht und Laster
|b222| |c237| auch so gar den gesunden Verstand zum Stillschweigen gebracht.
Ist es recht, am Sabbath heilen? mit andern Worten, „Was schickt sich besser zum Dienst des
Wohltätigen Gottes, Wohlthun? oder
Schaden und Elend anrichten?[“]
{vers 4–6 } Sie aber schwiegen stille. Denn es war ihnen nicht um Wahrheit, sondern um die Stürzung
Jesu zu thun.
v.
1. –
Da rürete er ihn an, und heilete ihn, und ließ ihn gehen; und sprach zu ihnen: „Wer unter euch, dessen Ochse oder Esel in eine Grube fällt, eilet nicht, ihn so gleich am Sabbath herauszuziehen?“ Dies hielten die Pharisäer für Recht. Und dennoch war es nach ihrer Lehre, Sünde, einen Menschen am Sabbath zu heilen. Denn, haben wir erst einmahl der Wahrheit den Eingang in die Seele verschlossen und irgend eine sündliche Begierde zur Herrschaft kommen lassen: so ist keine Ungereimtheit und kein Verbrechen so groß, deren wir nicht fähig wären!
|a236| {vers 7–11.} Bei eben diesem Gastmahl trug
Jesus auch folgendes
Gleichniß,
c√ Lehre, vor. Er war es gewohnt,
auch aus dem kleinsten im alltäglichen Leben wichtige, bessernde und beglückende Wahrheiten zu
ziehen; wie die Bienen aus den unansehnlichsten Kräutern den süssen heilenden Saft
saugen. –
Jesus bemerkte nämlich, daß
die Gäste sich nach den Ober-Stellen drängeten. Da nun sprach er zu ihnen, – wenn du von jemanden geladen wirst zur Hochzeit, so seze dich nicht oben an; denn, es möchte ein Angesehenerer als|b223| |c238| du, auch gebeten seyn. Und wenn der komt der dich und ihn eingeladen; so wird er sprechen. Mache Plaz für diesen; du aber wirst alsdenn beschämt herunter rücken müssen. – Sondern wenn du eingeladen wirst, so seze dich unten an. Und wenn denn komt der dich eingeladen, so wird er zu dir sagen, Freund rücke hinauf! Das wird dir Ehre bringen bei allen Gästen. Denn, – wer sich erhebet, das heißt vermöge des Zusammenhanges
vers 7, „Wer ängstlich nach Rang,
c√ Vortritt strebet“
der wird herabgesezt werden, „dem versaget man auch den ihm gebürenden Rang.“
Wer sich aber herabsezet, „wer in Absicht des Ranges und Vortritts nachgebend ist“
der wird hinaufgesezet werden, „dem giebt
jederman gerne, seinen gebürenden Rang, ja gar einen höheren.“
Es ist klar, der Zusammenhang lehret es augenscheinlich, daß
Jesus hier nicht von der
Demuth spricht. Bei solchen schwachen, kindischen Menschen
{vers 7} die sich nach den Ober-Stellen drängeten; bei solchen Heuchlern und
Sclaven des Lasters die ihrem Eigennuz alles, selbst die heiligsten Rechte der Gastfreiheit aufopferten; hier war es nicht der Ort von einer
solchen, so
erhabenen Tu
|a237|gend zu reden.
Kinder lehret man das
ABC; nicht aber
c√ Sternkunde und Seelenlehre.
Noch weniger befiehlet hier
Jesus , sich geflissentlich und immer herabzusezen;
nie von sich gut zu denken,
nie von seinen Verdiensten zu reden, hingegen
immer böse von sich zu denken und zu ur
|b224||c239|theilen. –
Nie hören wir
Jesum in diesem Thon von sich sprechen; wohl aber mehr als einmahl seine Würde und Unschuld behaupten. –
Das wäre auch, sehr übel verstandene Demuth. –
Dies ist wahre
Verläumdung; welche in Absicht unsrer
eigenen Person eben so wohl und noch mehr strafbar ist, als in Absicht andrer. –
Dies ist gemeiniglich, nichts als eine
Larve des
gröbsten Stolzes. Ofte höret man diese, die nach ihrer Einbildung Helden in der Demuth sind, sagen: „ich bin zu nichts
nuze, alle meine Neben-Menschen können mehr als ich, ich weiß fast nichts, und so voll von Fehlern bin ich
etc.
“ Versucht es nur und
gebet ihm Recht. Alsbald werdet ihr ihn, wenn er nicht ein recht geübter Heuchler ist, erröthen, sich entrüsten sehen. Und warum dies? Ihr thut ja nichts, als seiner Meinung beitreten! Darum, weil seine Absicht ist, zu glänzen, bewundert, gelobt zu werden. Und da er es nicht durch Kentnisse und
Geschicklichkeiten kan; so versucht er es durch das, was jeder Ignorant und Thor thun kan, durch eine angenommene, vermeinte Demuth. Ist das nicht wahrer
Stolz? Denn es ist ja gleich viel, ob man durch eine Welt-Bezwingung oder ein prächtiges Gastmahl, durch Brocat und Sammet oder durch das schlechteste Kleid, durch Prahlereien oder Herabsezungen seiner selbst, in der Welt glänzen will. Ja es ist der
gröbste Stolz: denn man fület die Thorheit und Sündlichkeit des Stolzes; und macht gar die Demuth zum Werkzeuge desselben.
|a238| Es ist diese Lehre
Jesu , eine liebreiche Herablassung; ein Versuch diese Kinder erst zu Män
|b225||c240|nern zu machen, um sie hernach zur Tugend zu leiten. So wie der Schnelle, wenn er mit einem Kinde einen Weg macht, ihm die Hand reicht, seine Schritte einschränkt, und nicht weiter geht als sein Gefärte vermag. Diese Menschen waren
Kinder: denn was kan
kindischer seyn als sich um Rang streiten und nach Vortritt drängen? Darum musten sie
auch, als Kinder behandelt werden. Der weise Lehrer braucht nicht die höheren, edleren Gründe, sondern gerade den niedrigen schwachen, der ihrer kindischen Denk-Art angemessen war. „Dränge dich nicht nach Rang, und Ober-Stelle.
Denn, man versagt dir sonst auch den dir gebürenden. Andre sind eben so ehrgeizig als du. Diese machst du dir dadurch zu Feinden. Sie suchen also, und finden daher auch, Gelegenheit dich zu demütigen; dich nicht allein auf deinen wahren Werth, sondern auch noch tiefer herabzusezen. Oder wenn sie klüger sind als du, so werden sie dich verachten, deiner spotten, und aus diesem Grunde abermahls dich zu demütigen suchen.
Hingegen sey nachgebend in Absicht des Ranges, Vortritts und bürgerlicher Ehrenbezeugungen. So wird man dir nicht allein den gebürenden Rang, sondern auch noch einen höheren gerne geben.[“] – – Der Arzt muß erst den Patienten
heilen, ehe er daran denken kan, ihn
zu stärken. So auch der Sitten-Lehrer! Erst muß er den
kindisch-ehrgeizigen gewönen, sich nicht nach Rang zu drängen,
um sich ihn desto mehr zu sichern. (Dies ist ja auch nicht Sünde) Nun ist schon ein Schritt gethan. Der Mensch fängt almälich an, die wahre Ehre,
Gottes Beifall zu kennen, zu schäzen. Nun ist er nachgebend
|a239| in Absicht des Ranges,
darum weil nicht dies son
|b226||c241|dern nur
Gottes Beifall seine wahre Ehre ist. Und so
wird denn, durch die Weisheit des Lehrers, dasjenige was Anfangs nur ein
bekleisterter Ehrgeiz war, allmälich wahre,
c√ erhabene Tugend.
Dieses Beispiel lehre uns die
weise Herablassung eines Christen.
Die Natur rückt nicht durch Sprünge fort, sondern durch bedächtliche Schritte. Und
Gott bessert zwar unsre Natur, aber
er kehret sie nicht um. Demnach müssen wir, Kindern Milch, und nur Erwachsenen starke Speise geben: bei jenen mit dem Geringen anfangen, um allmälich zu dem Grösseren fortzuschreiten; sie anfangs
bei ihrem Ehrgeiz, bei ihrem Eigennuz fassen, ihnen zeigen daß diese und jene Tugend Ehre giebt und Einnahme bringt. Thun sie erst die
Sache, so werden sich auch die
Absichten dabei allmälich veredeln. Hundert Menschen thun im Anfange ihrer Bekehrung das Gute nur aus Furcht und mit innerm Widerwillen; aber nach einiger fortgesezten Uebung wird es ihnen zur Lust, sie thun es aus freier Wahl des Herzens. Andere werden durch starke Leiden ungeduldig; aber was anfangs nichts als Verdruß über das Leben war wird allmälich, himmlischer Sinn. Dem Ungeduldigen zeige man zuerst daß er mit der Ungeduld nichts ausrichtet
; dem Rachbegierigen, daß die Rache an seinem Feinde ihn beschimpfet
u. s. f.
und so
gängele man sie allmälich zu der erhabeneren Tugend des Christenthums. Wenn wir
in diesem Sinn, mit Paulo
,
allen alles werden: so werden wir auch wie er,
{1 Corinther 10, 33} viele gewinnen.
|b227| |c242| Ehe Jesus die Wohlthat dem Elenden erzeigte, that er erst die Frage an die Pharisäer, Ist es recht am Sabbath heilen? Er zeigte ihnen aus ihren eigenen Grundsäzen, daß dies keine Entehrung
|a240| des
Sabbaths und Uebertretung des göttlichen Geboths sey. Er bewieß,
daß nicht Mangel der Ueberlegung, nicht Eigensinn, Ruhmsucht, oder Geringschäzung des Sabbaths, sondern Achtung gegen
Gott und
sein Gesez ihn zu diesem Verfahren bestimme. So müssen auch Christen
nie gleichgültig gegen die Urtheile ihrer Neben Menschen seyn. Sie, die
{Philipper 4, 8.} nach allem dem streben sollen was Rümlich ist und Lob bringet;
{Römer 14, 18} die
Gott gefällig und dem Menschen werth zu seyn suchen;
{Titum 3, 8.} die lauter Edle und Wohltätige Handlungen verrichten sollen; sie die Anhänger einer Religion welche die edelste Ehrbegierde
einflösset; wie solten, wie könnten sie zu der Niederträchtigkeit
herabsinken Ehre und
Schande sich gleich viel seyn zu lassen? Zwar,
nie muß sie diese Achtung gegen die Urtheile anderer, abhalten, ihre Pflicht zu thun, oder zu irgend einer Uebertretung des göttlichen Gesezes verleiten. Denn, welche Schande könte grösser
seyn, als von
seinem Schöpfer mit Misfallen betrachtet zu werden? Aber auch hier, wo sie sich in der traurigen Nothwendigkeit sehen, die irrdische, der erhabeneren und einzig wahren Ehre aufzuopfern, müssen sie
jedes rechtmässige Klugheits-Mittel versuchen, um die gute Meinung anderer von sich zu erhalten. Auf diesem Wege gieng unser Erlöser zu seinem Ruhm. Und auf demselben werden auch wir, selbst bei den Bösen, gemeiniglich Zufriedenheit
|b228| |c243| und Achtung finden; und wenn wir ja üble Nachreden von ihnen zu dulden haben, den Trost für alles, und die alles übersteigende Erquickung immer behalten,
{2 Corinth. 1, 12.} dies ist mein Ruhm, das Zeugniß meines Gewissens, daß ich mit aller Aufrichtigkeit und Lauterkeit vor Gott wandle.