|a[281]| |b264| |c278| Evangelium am 21 Sontage nach Trinitatis.
Das Amt des von Gott gesendeten,
{Hebräer 1, 1.} höchsten Lehrers der Welt eröfnete
Jesus , in der Landschaft
Judäa,
mit seiner
Taufe von
Johannes dem Täufer .
Nun trat er, nach überstandener Versuchung, als Lehrer unter den Juden auf. Bald darnach reisete er, nach
Galiläa zurück, wo er die
Kinder und Jünglings-Jahre bei seiner Familie zugebracht; und that daselbst,
{Johan. 2, 1–11} zu
Cana, das
Erste Wunderwerk.
{Johan. 2, 12. 13.} Von
Cana gieng er nach
Capernaum; und bald darauf, nach
Jerusalem aufs
Osterfest.
{Johannis 2, 14–Ende des dritten Kapitels} Hier lehrete er einige Zeit, unter vielen Wunderwerken, und mit grossem Erfolg. Nach seiner Rückreise von dort, verrichtete er nun das
zweite Wunder, in der Landschaft
Galiläa. (Denn zu
Jerusalem hatte er schon mehrere gethan.
Johannis 2, 23.
Kapitel 4, 45.)
Er heilete, nämlich,
den kranken Sohn eines königlichen Hofbedienten zu Capernaum. ⌇ {vers 43. 44} Nach zweien Tagen, (
den zweien Tagen; nämlich welche er zu
Sichem in Samaria zugebracht. Siehe
vers 40)
reisete er ab von dannen, aus Sichem in der Landschaft Samaria
, und gieng nach Galiläa; nicht
nach
Nazaret,
|b265| |c279| wo seine Familie wohnete, sondern in andre Gegenden der Landschaft
Galiläa.
Denn Jesus selber zeugete, (genauer „pflegte zu
sagen.“)
daß ein Prophet in seinem Vaterlande nichts|a282| gilt. Dieser
Vers ist eine Einschaltung. Der Evangelist giebt den Grund an, warum
Jesus nicht, wie man erwarten solte, aus
Judäa, geradesweges nach dem Orte gegangen wo seine Mutter und Familie wohnete. „
Darum,
will er sagen, gieng er nicht nach
Nazaret, weil, wie Er selbst zu sagen pflegte, ein Prophet in seinem Vaterlande nichts gilt.“ – – So irren die Menschen unaufhörlich in
Vorurtheilen herum! – Bald gilt bei ihnen, nichts
als das Einheimische.
Denn wie gemein ist nicht, der bis zum Lächerlichen gehende
National-Stolz. Ein jeder findet, so lange keine besondre Ursachen ihn anders zu urtheilen bewegen, nur
die Regierungs-Art,
die Mode,
die Gegenden schön die bei ihm zu
Hause sind. Der Unterthan eines Despoten, hält nur
Sein Land für frei.
Der Bewohner rauher Gebirge und kahler Klippen, frägt jeden Fremden ob er wohl schönere Gegenden gesehen als die
Seinigen? Bis zum Lächerlichen kan die Eigenliebe, auch sonst kluge Menschen blenden! – Bald hingegen findet man nichts Gut,
als das Fremde!
Und woher dieser Widerspruch? – Es ist kein Widerspruch. Das Alles ist nichts anders, als eben dieselbe Eigenliebe unter veränderter Gestalt. Nur das
Einheimische gilt bei uns, da wo wir es als
einen Theil von Uns Selbst ansehen: und nur das Fremde, da wo das Einheimische
Uns Selbst im Wege stehet.
|b266| |c280| Welcher Freund der Menschen wird nicht wünschen, seine
Neben Menschen von diesem Vorurtheil zu befreien, das ihnen so wenig Ehre macht und nicht selten den grösten Nachtheil bringt! – Wie schlecht muß der Verstand oder das Herz, oder
|a283| beides zugleich, bei den Einwohnern zu
Nazaret gewesen seyn, wie vielen Verlust und wie viel Elend zogen sie sich zu, da sie
Den verachteten, dessen Gleichen die Welt nie gesehen, und die Nachwelt nie sehen wird! Und
bloß darum verachteten, weil er ihr Landsmann, unter ihnen erzogen war! Gleichwohl urtheilen auch wir, noch immer nach gleichen Einfällen. Das
Auswertige Gute und nicht selten, Schlechte wird angestaunt; und das Einheimische eben so Gute, und ofte Bessere wird verachtet. Den weisen Lehrer unter uns schäzen,
c√ benüzen wir nicht, wärender Zeit wir einen
auswertigen Schwärmer bewundern. – Der Mann, den wir von Kindheit an aufwachsen gesehen, wird uns gewohnt, und seine Person veraltert uns gleichsam. Den Fremden hingegen sehen wir nur in der Ferne; die Neuheit giebt ihm einen
Werth, und die Entfernung vergrössert seine Gestalt:
wir glauben es sey ein Riese, und wenn wir uns nähern, so finden wir einen Schatten. Auch die persönlichen Verbindungen mit dem Einheimischen erregen allerlei Neid und andre sträfliche Neigungen. Dies sind die Ursachen dieser so gewönlichen als schädlichen Erscheinung.
{vers 45 vergleiche Kapitel 2, 23.} Als nun Jesus nach Galiläa kam, bewirtheten ihn die Galiläer; welche alle die Wunder gesehen, die er zu Jerusalem, am|b267| |c281| Oster Feste gethan. Denn auch sie waren auf das Fest gegangen. – Die
Galiläer! Und diese waren sicher, eben so gute und noch bessere Richter als die Einwohner von
Judäa.
In Galiläa blühete die Handlung. Und wo Handlung blühet, da ist immer, mehr Aufklärung.
{vers 46–48} Jesus aber kam wiederum nach Cana,
|a284| in Galiläa, wo er das Wasser in Wein verwandelt hatte. (
Johannis 2,
1–11)
Um die Zeit lag der Sohn eines königlichen Hofbedienten zu Capernaum krank. Der damahlige
Landesherr von Galiläa,
Herodes Antipas , in dessen Bedienung er war, hatte zwar nur den Titel eines
Fürsten. Im gemeinen Leben aber pflegte man ihn auch
König zu nennen.
Da dieser hörete, daß Jesus aus Judäa nach Galiläam gekommen, gieng er zu ihm, und bat ihn daß er nach Capernaum käme und seinen Sohn gesund machte. Denn er war todtkrank. Er glaubte,
Jesus könne
wie etwa ein Arzt, nur gegenwärtig; vielleicht durch gewisse geheime Künste, Kranke heilen. –
Jesus aber sprach zu ihm, wenn ihr nicht
Zeichen und Wunder (Wunder und Wunder, oder wie wir zu reden pflegen,
Wunder über Wunder, eine
Menge von Wunderthaten)
sehet, so glaubet ihr nicht. Dieser Mann hatte also, wie die übrigen Einwohner in
Galiläa,
vers 45, schon viele Wunder von
Jesu gesehen. Und
dennoch, glaubt er,
Jesus könne nur in Gegenwart, nicht in der Entfernung helfen; hält ihn für nichts mehr als einen geschickten Arzt; und fordert immer neue
|b268| |c282| Wunder ohne die vorigen gehörig zu brauchen; und fordert sie, nicht für seine Seele, sondern für seinen Leib. Dies, nicht aber das Fordern der Wunder zur Ueberzeugung, war es was
Jesus ihm hier verweiset.
Wunderwerke kan, und muß man fordern, wenn jemand sich für einen Gesandten Gottes ausgiebt. Nur diese sind das einzige sichere Beglaubigungs-Schreiben der Gottheit. |a285| Johannis 5, 33–37. Kapitel 10, 22–39. Und ohne diese ihm glauben, das ist Entehrung der Vernunft die uns Gott gegeben, und thörichter Aberglaube. Wenn aber eine Sache schon hinlänglich bewiesen worden; wenn, wie hier Jesus gethan, der Bothe Gottes schon durch mehrere unläugbahr wahre und göttliche Wunder, sein Creditiv der Welt vorgelegt c√: alsdenn noch gleichgültig und unentschlossen bleiben; noch neue Wunder, oder gar unmögliche Dinge fordern; das ist eben so wohl eine Beschimpfung unsrer Vernunft, und noch dazu der Beweiß eines schlechten Herzens; noch dazu Versuchung Gottes, eine Entehrung Seiner Weisheit, welche Wunder, nie ohne Noth thut. So {Lucä 16, 19–Ende.} versuchte jener Schwelger im Evangelio, Gott; welcher verlangte, Gott solle aus dem Himmel jemand in seine Familie senden, um ihnen das zu sagen, was ihnen schon klar und überzeugend genug gesagt war. So war es eine Versuchung Gottes, wenn {Johannis 20, 24–29} Thomas , nichts glauben wolte, als was er mit seinen Augen sahe und seinen Händen betastete. Und wenn noch jezo die Feinde der Religion fordern, Jesus solle sich nach |b269| |c283| seiner Auferstehung dem ganzen hohen Rath zu Jerusalem vorgestellet haben; solle noch jezo vom Himmel kommen, und sich jedem Ungläubigen zeigen: so macht dies eben so wenig ihrem Herzen als ihrem Verstande Ehre.
Der Hofbediente indessen, nur auf seinen eigenen Nuzen geheftet, braucht diese Lehre Jesu nicht. {vers 49–53.} Herr, antwortet er, komme ehe mein Kind stirbt. Und Jesus sprach zu ihm, – Gehe hin, dein Sohn ist Gesund! – Der Mann glaubte dieser Versicherung Jesu , und gieng|a286| weg. Noch unterwegens begegneten ihm seine Bediente und berichteten ihm, dein Sohn ist gesund. Da fragte er nach der Stunde, in welcher es besser mit ihm geworden. Gestern, sprachen sie, um die siebende Stunde verließ ihn das Fieber. So sahe denn der Vater, daß er gerade in der Stunde besser geworden da Jesus zu ihm gesagt, dein Sohn ist gesund! – Und er ward ein Anhänger der Lehre Jesu ; er, und sein ganzes Hauß. – Denn, kein Beweiß von der göttlichen Macht und Sendung Jesu konte klärer seyn. Weit entfernt von dem Patienten, spricht er ein Wort. Und bloß dieses Macht-Wort, heilet augenblicklich den Kranken. – Auch für uns ist dieser Beweiß vollkommen überzeugend. Denn ein Mann der es selbst gesehen; ein Mann von der allerhöchsten Glaubwürdigkeit, erzälet uns dieses Wunder. Erzälet es uns, so ohne allen Schmuk; so sehr genau nach den kleinsten Umständen; so sehr mit fülbahren Spuhren der Auf|b270||c284|richtigkeit. – Ohne zulänglichen Beweiß glauben, ist Unverstand. Aber bei zulänglichem Beweise, nicht glauben, ist es eben so wohl.
Der Hofbediente gerürt durch die Macht der Wahrheit glaubte, mit seinem ganzen Hause. Und von nun an ward sein Haus, die Wohnung der Ruhe, der Ordnung, der süssesten Eintracht, der zärtlichsten Liebe. Denn eine Religion, welche dankbahre Liebe zu Gott, und zärtliche Liebe zu seinen Gebothen und Seinen Menschen, in die ganze Seele ihrer Anhänger leitet; sie, nur sie ist der Seegen einer Familie. – Ja, Leser! keine grössere Ehre, kein grösseres Glück |a287| kan uns zu Theil werden, als wenn es von uns mit Wahrheit heißt, Er glaubet mit seinem ganzen Hause!
Ueberhaupt aber, lasset uns, auch an diesem Beispiel,
die Vortheile der Leiden Sehen, und die gröste Tugend des Menschen, die
christliche Geduld Lernen! –
Trübsahle entfernen uns von der Sünde und leiten uns zu Gott. Dieser Hofmann würde vielleicht nie zu
Jesu gekommen seyn, nie an ihn geglaubt, nie mit seinem ganzen Hause geglaubt haben, wenn nicht die tödtliche Krankheit seines geliebtesten Kindes, ihn dazu gleichsam hingetrieben. Nie wäre,
Seegen, Freude und Glück in sein Haus gekehret; wenn Schmerz und Leiden immer daraus verbannt gewesen. – Ach
meine Leser!
kennen wir uns recht, wenn wir glauben, nicht Leid, sondern Freude sey das Mittel, uns zu guten Menschen zu ma
|b271||c285|chen, und in der Tugend zu
stärken!
Geschichte, und
Erfahrung, und die
jezige Natur des menschlichen Herzens saget das Gegentheil.
Manasse , David , Joseph der edle Joseph
,
Abraham , Paulus , Petrus , nebst so vielen andern, waren Menschen wie wir; und zum Theil bessere Menschen als selbst der Stolzeste sich einzubilden wagen wird. Ihre Beispiele zeigen uns, daß Reichtum, Ansehen und
andre irrdische Freuden, – nicht selten, den Menschen in den Schlamm der unvernünftigen Sinnlichkeit immer tiefer versenken;
immer vergessener, und fülloser in Absicht
Gottes, Seiner Gnade und
Seiner Geseze machen;
immer weiter von
allem Gebrauch der Tugend-Mittel entfernen;
ihn aus einer Sünde in die andre stürzen;
und auf solche Art für sich
|a288| selbst, zur Last und Plage, und für seine Nebenmenschen zur Geissel machen. Zeigen uns daß hingegen die
irrdischen Leiden, bey dem sichern Sünder, den vereitelten Sinn brechen;
lebhafte Empfindung der Abhängung von
Gott erregen;
die Seele in Sammlung und ruhigen Ernst füren;
sie um Trost verlegen machen; und auf solche Art
zu Gott, zur Tugend und Glück leiten. Zeigen uns dergestalt, die
Unfälle dieses Lebens; als ein bewärtes Mittel, –
den Sichern Sünder, aus seiner Sicherheit zu erwecken und zu einem Guten und Glücklichen Menschen zu machen; hingegen
dem Frommen, seine Tugend und Glück zu
Sichern, und zu
Stärken. So füren denn Trübsahle, uns –
zu Gott, oder welches einerlei ist, zu unserm Einzigen und Allerhöchsten Glück. Und dies muß uns nicht allein mit den
Leiden,
|b272| |c286| den kurzen geringen Leiden dieses
spannelangen Lebens, aussönen; sondern sie uns auch in
Wohlthat und, – –
Ihr wisset es, ihr die ihr zu den Geheimnissen des Christenthums eingeweihet seyd! – in
Freude verwandeln. Eine
Zucht der Vaterhand Gottes! Eine Zucht die zwar
{Hebräer 12, 11.} so lange sie dauert, nicht Freude sondern Schmerz scheint zur Absicht zu haben, hinterher aber denen, die sich dadurch Geübet, die Seelige Frucht der Tugend verschaft; sollen wir der nicht, uns
gerne unterwerfen?
{Jacobi 1, 2–4, und vers 12.} Sollen wir da nicht, es, selbst für Freude achten, wenn uns allerlei Trübsahl befällt? Versichert, daß dadurch unsre Tugend gestärket und die Krone des Glücks uns verschaffet werde!