|a[481]| |b960| |c510| Evangelium am fünften Sontage nach Epiphanias.
Matthäi 13, 24–30 und vers 36–43.
Dieses dreizehnte Kapitel
Matthäi enthält eine Menge
{Siehe oben S.
1. 2. } angenehmer, lehrreicher und rürender
Gleichnis Reden Jesu , worin er bald die Schicksahle seiner Religion entdeckt, bald eine wichtige
Lebens Regel oder andre nüzliche Lehre mit so viel Kraft als Klarheit vorträgt. In dieser von dem
Weizen und
After Weizen lehret er so einleuchtend und nachdrücklich, eine Wahrheit, welche Tausenden und Millionen Menschen, Wohlstand, Ruhe und Leben gesichert hätte, wenn sie gehörig befolget worden!
{vers 24–30} Das Himmelreich, sprach er, (die christliche Kirche Siehe oben
Seite 82 )
ist gleich einem Menschen der reine Saat auf seinen Acker aussäete. – Die Juden, als verständige Landwirthe laasen das Getraide zur Aussaat. Schon
Moses hatte es ihnen
befohlen. 3
Buch Mos. 19, 19. 5 Buch
Mos. 22, 9. –
Als man aber schlief, kam sein Feind, und streuete Afterweizen zwischen den reinen Weizen, und gieng davon. Dieser Afterweizen schlägt eben so tiefe Wurzel als der edle. Er
kan daher, auch nicht ausgerottet werden, ohne der Wurzel des rei
|b461||c511|nen Weizens zu schaden. –
Als nun die Pflanze grünete, und Frucht trug, da zeigte sich auch der Afterweizen. Die Knechte aber des Hausherren sprachen zu ihm, Herr, hast|a482| du nicht reine Saat auf deinen Acker gesäet? woher komt denn der Afterweizen? Er antwortete, Ein Feind hat das gethan. Die Knechte versezten, wilst du, so wollen wir hingehen und ihn ausjäten. – Mit nichten, antwortete der Hausherr. Denn ihr möchtet, indem ihr den Afterweizen ausjäten wollet, auch den reinen Weizen ausrotten. Lasset beides bis zur Erndte, zusammen wachsen. Und zur Zeit der Erndte werde ich den Schnittern befehlen, Sammlet erstlich den Afterweizen und bindet ihn in Bündel um ihn zu verbrennen. Den reinen Weizen aber bringet in meine Scheure.
{vers 36–43} Die Auslegung
ist, wie sie
Jesus selbst giebt, folgende.
Der die reine Saat säet, ist des Menschen Sohn (der Herr
Jesus Siehe
Seite 274 .)
Der Acker ist die Welt. Die reine Saat, sind die Glieder des Reichs (wahre Christen)
der Afterweizen aber, die Bösen. Der Feind der ihn säete, der Teufel. Die Erndte, ist das Ende der Welt: die Schnitter aber, die Engel. So wie man nun den Afterweizen zusammensamlet und ihn verbrennet: so wird es auch am Ende der Welt geschehen. Des Menschen Sohn wird seine Engel aussenden, um aus seinem Reich alle Scandale und Lasterhafte |b462| |c512| zu samlen, damit man sie in den glühenden Ofen werfe; wo sie heulen und mit den Zänen knirschen werden. Die Tugendhaften aber werden alsdenn in dem Reiche ihres Vaters leuchten gleich der Sonne. – Wer Ohren hat zu hören, der höre!
|a483| Ja! wahrlich!
Verstopfen muß man vorsäzlich seine Ohren, um nicht zu hören; so laut wird hier die
Duldung aller Irrgläubigen und Lasterhaften geprediget!
Verschliessen muß man vorsäzlich seine Augen, um die Ungerechtigkeit, Abscheulichkeit der
Intoleranz nicht zu sehen: so helle strahlt sie hier in die Augen. Alle jene
Scandale, die Gefängnisse, die Scheiterhaufen, die
Trauer Gerüste, die Felder und Richtpläze mit Menschenblut überschwemmet, Processionen wo man
Gott, Seine Menschen opferte; Menschen, Christen, die zur Rechten und zur Linken, die Glieder der Familie
Gottes an Fesseln schmieden, in dumpfige Kerker versenken, schaarenweise aus dem Lande jagen, auf die Galeeren treiben, und in ihrem und der
ihrigen Blute begraben; das alles in der
Meinung Gott damit einen Dienst zu
thun. Johannis 16, 2. Menschen die den Acker
Gottes fast von allem Weizen entblössen, in der Einbildung, daß sie lauter Afterweizen
ausjäten. –
Er dem die Zukunft so klar war als das Gegenwärtige,
Jesus Christus der beste Freund, der gröste
Wohltäter, der Erretter und Beglücker der Menschen, sahe dies alles vorher. Aus der Fülle seines Herzens das lauter Zärtlichkeit gegen die Menschen alle, als seine Kinder war, rief er daher
|b463| |c513| mit lauter Stimme – –
Wer Ohren hat zu hören, der höre!
So höret es denn alle die ihr Christen seyn wollet! 1) Gott allein, Er allein hat sich das entscheidende Gericht in Sachen der Religion vorbehalten. Dinge welche die bürgerlichen Rechte, Menschen und Menschen ange|a484|hen, richtet der Staat, im Nahmen Gottes. Aber Sachen der Religion, Dinge die den Menschen und Gott betreffen, richtet Gottc√. Ueber Irrthum also und Wahrheit in Sachen die Gott und Seinen Dienst betreffen; über Gewissenhaftigkeit und Gewissenloosigkeit! Dies kan nur allein Gott richten: denn niemand als der Allwissende, kan über das Maaß der Talente, und über die Absichten eines Menschen, sicher und gerecht sprechen. Gott will es auch nur Allein richten: Er hat es sich, als ein besonderes Majestäts Recht vorbehalten. – 2) Die Religion muß also, schlechterdings nicht, durch irgend einige weltliche Macht und Zwang ausgebreitet werden. In Sachen der Religion, giebt es für menschliche Gerichte, kein Verbrechen; und Strafen. Da etwas zu Verbrechen machen, und mit Strafen belegen: das ist wahres Verbrechen, Verbrechen der schwärzesten Art, Majestäts-Schändung Gottes. Einen Menschen also, zur Ablegung seiner Irrtümer und zur Annehmung der Religion, durch Geld Strafen, Gefängnisse, Landes-Verweisung, und sonst durch irgend eine gröbere oder geringere weltliche Macht zwingen: das ist – – wer Ohren |b464| |c514| hat zu hören der höre! – das ist Eingriff in die Majestäts-Rechte Gottes! – Verbrechen der verlezten Majestät in Gottes Staat! – – „Herr sollen wir den Afterweizen ausjäten? – {vers 29 30} Mit nichten! Sondern lasset beides bis zur Erndte zusammen wachsen. Und alsdenn werde Ich den Schnittern befehlen, Samlet den Afterweizen, und bindet ihn in Bündel ihn |a485| zu verbrennen: den reinen Weizen aber bringet in meine Scheure!“
So will es Gott! – Und Er
will auch hier, wie sonst immer, nur aus Liebe zu Seinen Menschen. –
{vers 29} „Mit nichten! Denn ihr
möchtet indem ihr den Afterweizen ausjäten wollet, auch den Reinen Weizen ausrotten!“
Seit
Saulo an, welcher
{Apostelgeschicht 6–7} Stephanum
und die ersten Christen verfolgte, bis auf die
geharnischte Missionarien herunter, welche unsre Brüder in
Frankreich, Schaarenweise mit Schwerdtern und Kugeln ums Leben brachten, hat kein wütender Eiferer und Verfolger gelebt, so grausam, so wild, so
Tyger- und Teufelmässig er auch immer wütete, der sich nicht eingebildet, –
er rotte lauter Afterweizen aus. – Und wie ist es möglich, daß wir, die Untersten in
Gottes Geister Staat, die wir noch dazu, erst in unserm
Kinder-Stande leben, wir, in deren Köpfen neben Einer sichern Wahrheit vielleicht Zehn
Irrtümer stehen; wie ist es möglich, daß wir, in jedem Fall mit völliger Sicherheit den Afterweizen von dem Reinen unterscheiden können? Jede
Religions Parthei glaubt sich im Besiz der reinsten Wahrheit. Der Heuch
|b465||c515|ler sieht in den Augen der Menschen, gerade so aus als der Tugendhafte. Was der Eine für ausgemachte Wahrheit hält, das erkläret ein Andrer für Irrthum, wohl gar für
verdamlichen Irrthum. Auch bei dem Besten mengen sich
c√ eigennüzige, stolze Absichten, unter der Larve der Sache
Gottes, ins Spiel. Wäre nun das
Bestrafungs Recht in Sachen der Religion den Menschen überlassen, so müste die Welt eine
Mörder Grube werden. Der
|a486| Catholik würde den
Protestanten, und dieser jenen, und beide den
Sozinianer zum Scheiterhaufen reissen. Und angenommen, daß wir Protestanten der reine Weizen sind, so wäre es um die Religion gethan. Denn alle andre
Religions Partheien, die uns für Kezer halten, würden uns anfallen und als Afterweizen ausrotten. – Darum sagt die ewige Weisheit,
Mit nichten! Denn indem ihr den Afterweizen ausjäten wollet, würdet ihr den Reinen Weizen ausrotten!
Keine Religion kan erdacht werden, die mit dem
Verfolgungs Geist aller Art, dem feineren wie dem groben, in grösserer Feindschaft steht als die
christliche. Einen Menschen wegen seiner
Religions Meinungen und Handlungen auf irgend eine Art verfolgen, oder hassen, ihn durch irgend eine Gewalt zur Ablegung seiner Meinungen
zwingen: das ist nach ihren Grundsäzen
{1 Timotheum 2, 1–6 Lucä 9, 51–56} eine Verleugnung und Schmähung des Verdienstes
Jesu , dieses
allgemeinen Welt-Heilandes! Ist eine Verdammung des Göttlichen Betragens, welcher jeden der ein Mensch ist liebt, und so lange er hier lebt, zu bessern und zu beglücken sucht! Eine Ver
|b466||c516|heerung des Reiches
Gottes! Eine verwegene Uebertretung so vieler und ernstlicher Befehle
Gottes! Ist eine unsinnige Empörung, ein Verbrechen der beleidigten Majestät in
Gottes Staat! Und dennoch, dennoch – o lasset uns die Augen von diesen schrecklichen Auftritten wegwenden, welche die Menschheit aufs äusserste beschimpfen, welche ewige
Schand-Säulen jener höllischen Geister in
Menschen Gestalt sind, die sich
Christen nannten!
|a487| Zunächst Christen! lasset uns nie vergessen, es uns tief einprägen, daß wir
trügliche Menschen sind. Unsre Meinung, glauben wir, ist
Gottes Wort. Aber dies glaubt der
Catholik, der
Quäker von der seinigen auch. Wer soll, wer kan nun den Streit zwischen uns entscheiden? –
Der Allwissende! Er, die ewige Liebe, der einen jeden, nur nach dem
Masse seiner Kräfte, und der Redlichkeit seines Betragens richtet! Gesezt also, unser Nebenmensch irret, er irret in einem wichtigen, dem allerwichtigsten Punkt. Darum ist er noch nicht bei
Gott verurtheilt. Denn bei
Ihm verdamt kein Irrthum, als nur der
Verschuldete. Weg demnach mit den Urtheilen, „dieser Mensch, diese
Religions Parthei steckt in
verdammlichen Irrtümern! Ist ein Feind
Gottes!“ Solch ein Urtheil schickt sich für
uns nicht; und ist eben darum verwegen, liebloos, und
Gott abscheulich. Bloß für den
Allwissenden schickt es sich zu urtheilen, welcher Irrthum verdammlich sey oder nicht?
|b467| |c517| Vielmehr müssen wir jeden Menschen, der uns scheint ein Irrender, oder gar ein Feind
Gottes zu seyn; jeden noch so gröblich irrenden; jeden Juden, Heiden oder andern Nichtchristen; jeden Lasterhaften; selbst den offenbahren Feind,
Verächter und Spötter der Religion – von
ganzem Herzen, eben also wie unsern Glaubens Bruder lieben. –
{Römer 14, 10} Ihn nie wegen seiner Religions-Meinungen verachten. Bei dem Nahmen Jude, Heide, Socinianer
u. s. f.
nie etwas verächtliches denken. –
Noch weniger ihn mit kränkenden, oder schimpflichen Nahmen belegen. –
{Römer 14, 4. 10 13. Matthäi 5, 22. Siehe oben Seite 85 f.
} Erzittern müssen wir
für dem Gedanken, ihn als einen
Verdamten anzusehen, oder
|a488| gar dafür zu erklären. Schwachheit ist es, einem zur fremden
Religions Parthei gehörigen Verstorbenen, den
Titel, (denn nichts mehr als dieses ist es doch im gemeinen Rede Gebrauch)
Seeliger zu verweigern. Unschicklich in dem Munde eines Christen ist es, von seiner
Seligkeit geheimnisvoll reden. Abscheulich aber und Satanisch ist es, sie ihm geradezu absprechen. –
Lieben müssen wir ihn von
ganzem Herzen: seine Seligkeit liebreich hoffen; sein Glück durch alle nur mögliche Freundschafts-Dienste befördern, und dafür mit heisser Inbrunst zu
Gott beten. So werden wir uns als
Schüler Jesu zeigen,
{Lucä 9, 56} der nicht gekommen die Menschen zu zerstören sondern zu beglücken! So werden wir
{Lucä 6, 35.} Kinder des
Gottes seyn, der gütig ist auch gegen die Undankbahren und Bösen!
{vers 30} Wenn endlich, unser Allmächtige Hausherr will, daß hier noch, Gute und Böse gemischt bei |b468| |c518| einander leben sollen: so ist dies freilich für den Tugendhaften, die Quelle mancher schwerer Versuchungen, peinlicher Kämpfe und bitterer Leiden. Aber auch die Quelle vieler edlen Thaten und erhabenen Freuden. Schäzet Freunde Gottes und der Tugend! Schäzet das Gewicht des Postens worauf euch der Allwissende Zeuge und Gnädige Vergelter eurer Handlungen hingestellet! Traget durch bessernde Reden, und exemplarischen Wandel, alles bei, um die Bösen mit denen ihr lebet, zu bessern und zu beglücken. Rettet so viele unsterbliche Seelen als ihr könt. Und wenn ihr denn, dergestalt euren Beitrag zum Himmel geliefert: alsdenn erwartet sicher und froh, daß ihr – {vers 43.} in dem himmlischen Reiche eures Vaters leuchten werdet gleich der Sonne!