Johannis 19, 28–30.
Was es sey, Würdig der Erlösung Jesu leben?
Darnach, als Jesus wuste, daß schon alles vollbracht war, daß die Schrift erfüllet würde, spricht er: Mich dürstet. Da stund ein Gefäß voll Essigs. Sie aber fülleten einen Schwamm mit Essig, und legten ihn um einen Ysopen, und hielten es ihm dar zum Munde. Da nun Jesus den Essig genommen hatte, sprach er: es ist vollbracht; und neigte das Haupt, und verschied. ⌇ Als Christen,
Würdig der Liebe Gottes, würdig dem Creuze, der Erlösung
Jesu zu leben! – Dies war das Gelübde, das feierliche Gelübde,
womit wir neulich die Betrachtung der unermeslichen Liebe Gottes in dem
verdienstlichen Leiden Seines Sohnes schlossen.
|b586| Was heißt nun aber, würdig der Erlösung Jesu leben? Wie müssen wir leben, um würdig der Liebe Gottes, würdig dem Creuze Jesu uns zu bezeigen?
Dies, Meine Christl. Zuh. lernen, dies Sehen wir heute, an Jesu , der für uns an jenem martervollen und schmälichen Creuze hängt; und nun im Begrif ist, zur Ruhe von allen seinen peinlichen Arbeiten, und schrecklichen Leiden einzugehen! – Das
|a608| Geschäfte, das Tagewerk Gottes vollbringen; so wie es Jesus vollbracht.
Das Christen! heißt, würdig der Erlösung Jesu leben! Das ist unsre Pflicht, wenn wir uns als dankbahre Seelen zeigen; wenn wir unser feierliches Gelübde erfüllen wollen. – Wie könte ich nun noch, an Eurer Aufmerksamkeit zweifeln?
⌇ {vers 28} Als nun – würde. „Daß er alles vollbracht, was die Schrift vorhergesaget: was Gott ihm aufgetragen,
und in den Schriften des
Alt. Test.
bereits der Welt angekündiget hatte!“
Spricht er – dürstet! – Nun erst denkt er an sich selbst. – So sehr lag ihm jenes am Herzen; so eifrig war seine ganze Seele auf Gott, und sein Geschäfte geheftet: daß er selbst diese dringende Bedürfniß der Natur, darüber vergaß. – Nun aber, da Er alles, zur Beglückung der Welt vollbracht, sprach er; mit der Seelen Ruhe eines zärtlichen Vaters, der nun eben alles ausgerichtet, um das Glück seiner Familie recht feste zu gründen, sprach Er: Mich dürstet!
|b587|
{vers 29 vergl.
Matth. 27, 48} Da stand ein Gefäß voll Essigs –
u. s. f.
Man tränkte nämlich einen Büschel von Ysop mit Essig; legte diesen in einen
Schwamm; und befestigte beides an ein Rohr, um es ihm, ans Creuze hinauf zu reichen.
{vers 30} Als nun – vollbracht! – – Welche Wonne für die Göttliche Seele
Jesu ! Welcher Seegen für uns! –
Vollbracht hatte Er nun, für uns Alles. Vollbracht, die Geschäfte; – die Leiden; – die Summe Menschenfreundlicher Thaten.
{vers 30 vergl.
Lucä 13, 26.} Vollbracht mit einem Wort:
das Tagewerk, das ihm Gott aufgetragen!
Da neigete er – verschied.
|a609| Sanft neigte Er das Haupt. Und sprach.
Vater in deine Hände lege ich meinen Geist nieder. Und als er das gesagt, verschied er. – Wer von uns wünscht hier nicht, so zu sterben! – Noch
Theureste! Noch haben wir es alle in unsrer Gewalt. Wir alle können, so wie
Jesus sterben, wenn wir so wie
Jesus leben.
Sein ganzes Leben, an jedem Tage, in jedem Theile, war eine Vollbringung des Willens Gottes, des Tage-Werkes, das ihm Gott aufgetragen. Ein beständiger Dienst Gottes. {Johannis 4, 34} Das ist meine Speise, spricht er, meine tägliche Beschäftigung meine Lust und Vergnügen, daß ich thue den Willen des, der mich gesandt hat, und vollende sein Werk. So sagte Er. Und so that Er auch.
Er vollbrachte
Seine Geschäfte: die Geschäfte die ihm Gott aufgetragen. – Sein Beruf in der Welt, der Posten wohin ihn Gott gestellt, war das Amt eines Lehrers. Und dieses Amt verwalte
|b588|te Er mit einer Treue, die nicht ihres gleichen hat. – Keine Mühe, keine üble Nachrede, keine Schmähung, keine Gefahr und Verlust, scheuete er, um Menschen zu erleuchten. Er gieng zu den Zöllnern, obgleich man ihn darüber, einen Gesellen der Bösewichter nannte. – Er lehrete die Apostel, obgleich ihr Unverstand fast unüberwindlich, und für gemeine Seelen unausstehlich war! Er unterrichtete die Juden, obgleich sie ihn ins Gesicht
schmäheten, und Steine gegen ihn aufhoben. – – Man kan die Gelassenheit; die Herablassung; die unüberwindliche Geduld; die unerschöpfliche Sanftmuth; die erfinderische Güte, nicht genug
|a610| bewundern
(*) : womit Er – und so solten auch wir, an der Besserung unsrer Nebenmenschen billig arbeiten! – Eben dieselbe Sache ofte zehnmahl wiederhohlt, und auf alle Seiten dreht. Die allereinfältigsten, kindischen, fast unsinnigen Einwürfe, anhöret, aufnimmt, zergliedert, wiederleget. – Das Ermüdende, Empörende, Ewige Einerlei seiner Gegner, zehnmahl anhört, und zehnmahl aufs neue beantwortet! – Die allerhartnäckigste Unbiegsamkeit seiner Zuhörer, allmälich und unvermerkt zu erweichen sucht, – und wenn ich so sagen darf, die so ungeheuren Stricke ihrer Vorurtheile, Albernheiten, und Irrtümer, Faden vor Faden auflöset.
|a610*||b588*| (*) Siehe
z. E.
bei
Johanne die Reden mit den
Juden Kapitel 7
folg.
Und
mit den
Aposteln Kapitel 13
f.
Diese Bewundrung geht in Erstaunen
über, wenn wir –
seine Leiden vollbringen sehen.
|b589| Der Messias, der Weltheiland solte nach Gottes Willen, und Vorhersagung durch
Jesaiam ,
{Jesaiä 53} der Allerverachteste, der
Allerunwehrteste seyn. Voller Schmerzen! Voller Elend! Voller Marter! – – Und ihr wisset es,
Meine Christl.
Zuhörer! Bei Eurer täglichen Haus-Andacht, bei jener stillen einsahmen Betrachtung der Passionshistorie in diesen Leidens-Wochen; da, so manches mahl ward da unsre Brust beklemmet; bange schlug das Herz; Thränen flossen aus unsern Augen: wenn wir ihn, unsern Freund leiden sahen. Ihn so viel, So Schwer, und So Gros- und heldenmütig leiden sahen, als noch nie ein Mensch gelitten! – – –
Vom Haupt bis zu den Fußsolen, war kein Glied, klein Plaz, keine Fiber, die
|a611| nicht von einem eigenen Schmerz gefoltert ward.
Das Haupt mit Dornen zerstochen! Die Hände, eine jede, mit grossen
Nägeln durchbohret! Der Rücken, mit Geisseln zerrissen!
Die Füsse ans Creuz angenagelt! Der ganze Leib, an einen Pfahl aufrecht gehangen, wo er
nirgends ruhen konte, und wo sein eigenes Gewicht, jede Wunde aufriß, und jedes Glied ausspannete, und jeden Schmerz verdoppelte. – –
Und in
Seiner Seele, war keine Empfindung, die nicht eine Quelle von Schmerz, und Marter ward. Seine
edelste Ehrbegierde; wie ward sie, durch die Schmach des Creuzes gepeiniget! Was litte seine
Menschenliebe; bei jeder Ungerechtigkeit, Bosheit, Grausamkeit der Juden! Was seine
Freundschaft;
bei dem Unverstande seiner Jünger;
bei der Gottlosigkeit des
Judas ;
bei dem Falle
Petri ! Und – seine
Zärtlichkeit! Ach wer kan es
|b590| aussprechen, was seine Seele; diese Seele, so fein in ihren Empfindungen, als groß in ihrem Muth, empfand; als er seinen Busen Freund
Johannes ; als er die
Maria , seine Mutter; die zärtlichste Mutter die einsmahls so liebreich, so bange zu ihm sprach,
{Lucä 2, 48} mein Sohn warum hast du uns das gethan? Dein Vater und ich haben dich mit Schmerzen gesucht – Als er diese zwei Personen die in sein Herz gleichsam eingewebt waren, unter dem Creuze stehen
sahe. Sie mit zerfallenen Wangen, mit abgehärmtem, todtblassem Gesicht, mit versteinertem Auge, da stehen sah! Ach. Wie ward sein Herz zerrissen, als er da, das Wort –
Mutter – und
Sohn aussprach! – – Väter! Mütter! Geschwister! – Freun
|a612|de! Fület es, was
Jesus für uns gelitten! Was es ihn gekostet, um sagen zu können – –
Es ist vollbracht!
Vollbracht hat
Jesus , auch die
ganze Summe Menschenfreundlicher Thaten, die ihm Gott aufgegeben! Sein ganzes Leben war eine Kette davon: und jeder Tag, jede Stunde, ein Glied in dieser Kette.
{Lucä 9,} Des Menschen Sohn ist nur gekommen, die Menschen zu beglükken. {Johannis 9, 4.} Ich muß wirken so lange es Tag ist! Dies waren die grossen Denksprüche; die erhabenen Regeln eines jeden seiner Tage! Bald gab er Rathlosen, Rath. Bald sprach er Schwachen, Muth ein. Bald heiterte er Niedergeschlagene auf. So viel Traurige wurden aufgemuntert! So manche Thräne abgetrocknet! So viel Kranke geheilet!
So viele Witwen erfreuet – Und allenthalben wohin er nur kam, Freude und Wohl
|b591|farth, zur Rechten und zur Linken verbreitet. – Gleich der schönen Frühlings-Sonne, die jeden Plaz, dem sie sich nähert, erleuchtet, austrocknet, erwärmet, fruchtbahr macht, und mit jedem Strahl der aus ihr fährt, wohlthut.
So vollbrachte Jesus alles. Seine
Geschäfte in dem Amte und Stande das ihm Gott angewiesen, erregen unsre Bewunderung. Seine
Leiden sezen uns in Erstaunen. Seine
Menschenfreundliche Thaten, füllen uns mit Anbetung. – Und nachdem er alles vollbracht, da ward, selbst die Schmach und Quaal des Creuzes, für ihn Majestät und Wonne! – Mit aller Gegenwart des Geistes, mit aller Ruhe des Gemüts, mit einer Himmels-Wonne der Seele, neiget er sein
|a613| Haupt sanft, – hauchet noch den lezten Athem in Seegnungen und Beglückungen der Menschen aus; – und gehet hin zur Fülle der Freuden im Himmel, zu der ewigen Wonne in Gottes Gesellschaft – – Wer wolte nicht lieber,
Jesus am Creuz;
als
Tiberius , auf dem Throne seyn!
Ja, Meine Theuresten! Genent nach Jesu Nahmen! Es giebt keinen andern Weg zur Ruhe, und Freude. Es ist kein ander Mittel, ruhig und froh zu leben; kein Mittel froh und seelig zu sterben; als dieses. – Vollbringen müssen wir so wie Jesus , das Geschäfte, das Tagewerk Gottes.
Einem jeden von uns, jeden Menschen hat Gott, durch die Kräfte seines Leibes und seiner Seele, durch seine Geburth und übrigen Umstände |b592| in der Welt, seinen besondern Beruf und Stand angewiesen, worin er der Welt nüzlich seyn soll. Der eine soll als Gelehrter, der andre als Handwerker, der dritte als Künstler, oder als Kaufmann, oder Haus-Vater, oder als Haus-Frau Einen Theil des grossen Ackers Gottes der Welt anbauen; und so viel an ihm ist, die Blüthe und den Wohlstand des Ganzen befördern. – So hat auch die väterliche Weisheit Gottes, einem jeden sein Maas von Leiden bestimt, wodurch er sich selbst bessern, und andre erbauen soll. – Von ihm hat auch ein jeder, Gelegenheit und Vermögen empfangen, eine Anzahl andrer Menschenfreundlicher Thaten auszurichten. – – Diese Arbeiten, Leiden, und menschenfreundliche Thaten: das ist das Tagewerk, das grosse Geschäfte, das Gott einem jeden Menschen aufgetragen hat.
|a614| Dieses nun müssen wir vollbringen. Es im Glauben an die Lehre und Verdienst Jesu , aus dankbahrer Liebe zu Gott vollbringen! – Vollbringen unsre Arbeiten die uns Gott aufgetragen! Nicht müssig in der Welt leben. Sondern einen gemeinnüzigen Beruf oder Stand wälen. Uns dazu in der Jugend gebürend vorbereiten. Und wenn das geschehen, in diesem Stande, unsre Arbeiten, unsre Geschäfte, als Handwerker, als Dienstbothe, als Gelehrter, als Hausfrau verrichten; sie treulich, so gut als wir können; sie uneigennüzig, und willig, vornemlich darum verrichten, um dem Gott zu gefallen, der uns auf diesen Posten gestellet. – So wie {Johannis 4, 34} Jesus , den Willen das Geschäfte Gottes zu unsrer Speise machen, unserer täglichen Beschäftigung machen.
|b593| Vollbringen müssen wir unsre Leiden. – Die Müseligkeiten, Beschwerdten, Leiden dieses Lebens die uns Gott zuschickt, das heißt, die wir durch keine rechtmässigen Mittel der Klugheit abwenden konten, willig übernehmen; gelassen mit tiefster Unterwerfung tragen; zu unsrer immer grössern Besserung brauchen; und dabei auf alle Weise, durch Reden und Thaten, Zeugen der Güte Gottes in der Welt werden. – Uns immermehr gewönen, so wie Jesus , in allen Umständen, mit Zustimmung unsers ganzen Herzens, und Uebereinstimmung unsers ganzen Lebens zu sagen, {Matth. 26,} Vater nicht mein, sondern dein Wille geschehe.
Vollbringen müssen wir, die Zahl der Menschenfreundlichen Thaten, die uns Gott aufgegeben hat! Im Umgange; in unsern |a615| Häusern; gegen unsre Familie; gegen unsre Untergebene; gegen unsre Amts-Gehülfen; unsre Beleidiger; unsre Mitbürger; und gegen alle Menschen die Gott mit uns in Verbindung sezet; so viele nüzliche Belehrung, Berathung, Vergebung, Duldung, Unterstüzung, Hülfleistung ausrichten als wir nur immer können. – So wie Jesus , {Johannis 9, 4.} wirken weil es Tag ist; jede Gelegenheit Menschen zu erfreuen, und zu beglücken emsig aufsuchen, und treulich brauchen.
Auf diese Art
alles vollbringen. Dergestalt in unserm ganzen Leben, immer
auf Gott sehen. An dem Morgen eines jeden Tages überdenken, was für Geschäfte, Leiden und menschenfreundliche Thaten, uns von Gott aufgegeben worden. Und in dem Laufe desselben, alles auf Gott
|b594| beziehen, mit Ihm in Verbindung sezen;
{1 Corinth. 10[,] 31 Colosser 3, 17.} unser ganzes Leben, unsre Arbeiten, Ergözungen, Leiden, Gesellschaften, alles zu einem
Gottesdienst machen. – Das,
Meine Christl. Zuh.
, das heißt, als Christen, würdig der Erlösung
Jesu ,
würdig der Liebe Gottes lieben.
Erkennen wir uns in diesem Bilde?
Meine Th. Zuh.
– Bringen wir jeden Tag unsers Lebens in nüzlicher Geschäftigkeit hin; unser Haus gut zu regieren, unsre Kinder Gott gefällig zu erziehen, die Arbeiten unsers Berufs und Standes, als Gottes Geschäfte auszurichten: oder wenn wir noch in dem Jugendlichen Alter leben, uns dazu gehörig vorzubereiten? – Verehren wir in unserm Leiden, die Vaterhand die uns züchtiget? Streben wir darnach, dadurch immer demütiger, liebesvoller, sanftmütiger, immer bessre Menschen zu werden? – Macht es uns Freude, irgend
|a616| einen Menschen, ohne Ausnahme, auch unsre Mitwerber, unsre Feinde zu beglücken? Beseufzen wir jeden Tag als verlohren, den wir nicht, auf die eine oder die andre Art, dem
Reiche Gottes, der Welt nüzlich gemacht?
O wie sehnlich wünsche ich, daß dieses, das Leben eines jeden unter uns sey! – Wie wohl, wie unaussprechlich wohl würde es da, um uns alle stehen! Das, nur das, meine Theuresten, giebt unserm Leben einen Werth. Denn nur dieses ist das Christliche, das Göttliche im Leben, wenn wir so, in allem und immer für Gott leben. Unsre Geschäfte, unsre Gesellschaften, unsre Ergözungen, unsre Leiden, alles mit Gott in Verbindung sezen; alles zu Mitteln machen, unsre Dankbahrkeit, unser Ver|b595|trauen, unsern Gehorsam gegen Ihn zu stärken. Das, nur das machet uns das jezige Leben, so ruhig und froh, als es in dieser Vorbereitungszeit nur seyn kan. Verstopfet alle die unseligen Quellen der Pein, und eröfnet in uns, tausend unerschöpfliche Quellen der Freude. Das, nur das machet unsern Todt froh und seelig. Wie erquickend, wie unaussprechlich süß muß es seyn, wenn wir am Ende unsers Lebens mit Jesu sagen können, Es ist vollbracht! Und denn wie Er, sanfte unser müdes Haupt neigen; und zu Gott gehen!
Noch stehet es in unsrer Gewalt, uns alle diese Seeligkeiten zu verschaffen. Bedenket es aber ja recht wohl, diese grosse, erhabene Weisheit, frölich zu sterben, lernet man nicht auf dem Krankenbette, nicht in den Armen des Todes. Das ganze Leben muß ein Studium auf den Todt seyn. Um so zu sterben, als Jesus starb, müssen wir auch so leben, als Er lebte. Amen.